Interstate

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Er erreichte das Drehkreuz am Ausgang, wo sich seine noch geöffnete Kameratasche verfing und seine teure Kamera auf den Beton aufschlug, wobei mehrere Splitter abbrachen. Weil sie ohnehin seine Bewegungsfreiheit einschränkte, ließ er sie zurück. Er konnte vielleicht später nach ihr sehen, wenn dieses Chaos vorbei war.

Cord zwängte sich mitsamt seines neuen Gepäcks nach draußen und rannte weiter in Richtung Zentrum, bis seine Lungenflügel sich anfühlten, als ob sie in Flammen stünden. Unterwegs drehte er sich ein paarmal um, und erst, als er mehr als hundert Meter zurückgelegt hatte, sah er, wie zwei Männer ebenfalls den Zoo verließen und es offenbar ebenso eilig hatten wie er. Vor ihm lag eine große Einkaufsstraße, und wenn er es bis dorthin schaffte, wäre er zunächst einmal sicher, denn er würde in eine große Menschenmenge eintauchen und sich unsichtbar machen können. Dort angelangt verlangsamte er sein Tempo und versuchte eine vernünftige Entscheidung darüber zu treffen, was er als Nächstes zu tun hatte.

Er passierte den Eingang eines Kinocenters, kehrte um und kaufte eine Eintrittskarte für einen Abenteuerfilm, der in den nächsten Minuten beginnen sollte.

Drinnen im Saal war es angenehm kühl und beinahe dunkel, der Vorfilm lief schon, als er sich vor eine Gruppe von Jugendlichen setzte, die ihn dem oberflächlichen Blick möglicher Verfolger entziehen würde. Sein Herz schlug bis hinauf in die Schläfen, er zitterte am ganzen Leib und beruhigte sich erst dann ein wenig, als der Hauptfilm begonnen hatte, ohne dass noch jemand den Saal betreten hatte.

Er hatte sie offenbar abgeschüttelt, auch wenn er nicht darauf wetten würde. Waren es Profis? Die tödliche Präzision der Schüsse legte es nahe, die stümperhafte Verfolgung sprach dagegen.

Nach einer halben Stunde schlich er sich aus der Vorstellung und verließ das Kino, wobei er zunächst ein paar Schritte in die eine Richtung ging, dann stehen blieb und so tat, als habe er etwas vergessen, während er über den breiten Strom der Fußgänger blickte, um zu sehen, ob ihm jemand auffiel. Das war nicht der Fall.

Würden sie zuhause auf ihn warten? Kannten sie seine Identität und seine Adresse? Er hatte keine Ahnung, konnte es aber nicht ausschließen. Schließlich wusste der Albino, wo er zu finden war. Es war also besser, nicht sofort nach Hause zu gehen, sondern vorher ein wenig Zeit verstreichen zu lassen. Er kannte eine Kneipe in einem Gässchen, das parallel zu dieser Straße verlief. Es waren kaum mehr als fünf Minuten Fußweg dorthin.

Das Lokal war im vorderen Teil gut belegt, ein paar Rentner nahmen ihr flüssiges Frühstück am Tresen ein und würfelten lautstark um die Rechnung. Aber im Hintergrund des Schankraumes, der in gnädiges Schummerlicht getaucht war, saß er beinahe für sich allein. Er stellte den Koffer und das Notebook ab, und als die Kellnerin kam, bestellte er ein großes Glas Bier und einen doppelten Wodka, denn er brauchte etwas zur Beruhigung seiner gemarterten Nerven.

Was um alles in der Welt hatte ihn geritten?

Er hatte einen klaren Auftrag gehabt: „Machen Sie ein paar brauchbare Fotos vom Kardinal, wenn dieser sich mit dem Papst trifft!“ Präziser konnte eine Jobausschreibung nicht formuliert werden.

Es waren keine Extraleistungen vereinbart worden. Er hatte völlig ohne Not Kopf und Kragen riskiert, um etwas an sich zu bringen, das ihm nicht gehörte und das ihn auch nichts anging.

Nach dem zweiten Bier war er soweit, sich des Aktenkoffers anzunehmen, der zwar ein Zahlenschloss besaß, aber unverschlossen war. Sein Besitzer hatte keine Zeit mehr gehabt, ihn abzuschließen.

Neugier ist der Katze Tod!

Er stellte ihn vor sich auf den Tisch, ignorierte das inzwischen geronnene Blut, klappte ihn auf und erstarrte. Seine Kopfhaut kribbelte mit einem Mal, die Härchen auf seinem Unterarm stellten sich steil auf. Er schluckte trocken.

Das Erste, was er sah, war Geld, viel Geld; Geld in mindestens drei Währungen, die großen Scheine jeweils gebündelt zu dicken Paketen. Er konnte kaum abschätzen, um wie viel es sich handelte, aber es mussten zigtausende Euro, Dollar und Schweizer Franken sein. Mehr, als er je auf einem Haufen gesehen hatte.

Er wandte sich den Papieren zu, die in zwei dicken Stapeln den Großteil des Kofferinhalts ausmachten. Auf den ersten Dokumenten sah er den Betrag von zehntausend US-Dollar aufgedruckt, das Papier war von einer bekannten amerikanischen Bank ausgegeben worden und durfte – wenn er den Sinn des Aufdrucks richtig deutete – in jeder Filiale des betreffenden Institutes eingelöst werden. Diese Dokumente trugen keinen Inhabernamen, wer sie vorlegte, galt als ihr Besitzer.

Er zählte die obersten fünfzig Papiere des ersten Stapels ab und schätzte, dass der ganze Stapel etwa dreihundert Blatt stark war. Er schwitzte jetzt wieder.

Nachdem er ein weiteres Bier bestellt und erhalten hatte, überprüfte er den zweiten Packen; die ausgebende Bank war eine andere, die Wertpapiere aber offenbar gleicher oder ähnlicher Natur.

Er nahm einen Schluck von seinem Glas und flüsterte heiser: „Sechshundert mal zehntausend Dollar. Es sind verdammte sechs Millionen Dollar.“

Was zum Teufel hatte er getan!?

7 Frankfurt am Main

Die Verfolger kamen keuchend zum Stehen und blickten sich um. Von ihrem Mann war nichts mehr zu sehen im Gedränge der vollen Fußgängerzone, und er konnte inzwischen überall sein. „Wer sagt es dem Meister? Ich habe eine Höllenangst.“

„Was soll er schon machen? Es war nicht unsere Schuld. Wir hätten einfach mehr Leute vor Ort haben müssen, das habe ich doch von Anfang an gesagt. Gib her.“

Er nahm seinem Begleiter das Handy ab und wählte eine Nummer aus dessen Wahlspeicher. Nach dem zweiten Klingelton wurde abgenommen. Ein barsches Ja ertönte am anderen Ende.

„Es gibt ein Problem, Chef.“

„Ich mag keine Probleme. Was ist passiert?“

„Jemand hat in die Operation eingegriffen, und der Kerl hat den Geldkoffer und das Notebook des Bulgaren mitgehen lassen. Wir kannten ja den Treffpunkt und hatten auch rechtzeitig Stellung bezogen, etwa fünfzig Meter entfernt von der Stelle. Und dann war da plötzlich dieser Kerl, der dem Bulgaren gefolgt sein musste.“

„Das kann nur der Detektiv gewesen sein, den dieser blöde Albino ohne jede Not eingeschaltet hat, wahrscheinlich, um einen Beweis der Übergabe in die Hände zu bekommen. Wir haben jemanden an seine Fersen geheftet, wissen aber nicht zuverlässig, was der Zweck des Auftrags war, den er diesem Schnüffler gegeben hat. Es wussten nur Wenige etwas von diesem Treffen. Warum habt ihr ihn nicht auch abserviert?“

„Wir haben die Beiden erledigt, wie Sie es befohlen hatten. Von einem dritten Mann war nicht die Rede. Als wir uns dann vergewissern wollten, dass sie auch wirklich tot waren, und uns den Koffer und den Laptop holen wollten, war plötzlich der Teufel los. Eine Horde von Kindern, die durch die Schüsse in Panik gerieten, versperrte uns für eine ganze Weile die Sicht. Wir waren einfach zu weit weg. Als Bert sein Gewehr endlich wieder auseinandergebaut und verstaut hatte, und wir schließlich zu der Stelle kamen, waren Koffer und Computer nicht mehr da, und man hörte schon die Bullen anrücken. Wir sahen den Kerl noch wegsprinten, rannten, was wir konnten, aber irgendwo im Gewühl einer Einkaufsstraße haben wir ihn verloren. Er war spurlos verschwunden.“

„Ihr seid Idioten! Unser ganze Plan funktioniert nur mit dem Geld und den Dokumenten auf dem Rechner des Bulgaren.“

„Chef“, jammerte der Kleinere der beiden Attentäter, „wir hatten keine dritte Person auf unserer Rechnung. Einen geeigneten Platz ausfindig machen, auf die Übergabe warten, beide Kerle umnieten, das war unser Auftrag.“

„Okay, wir müssen das Beste aus diesem Schlamassel machen. Ich rufe den Albino an. Geht aus der Leitung und ruft in fünf Minuten nochmal an!“

Und wenige Minuten später: „Der Mann heißt Hennings und wohnt in der Gräfstraße in Bockenheim, in direkter Nachbarschaft zur alten Universität; Hausnummer 47, vierter Stock. Fahrt hin, findet ihn. Holt euch das Zeug zurück, das er gestohlen hat. Macht ihn fertig, wenn ihr es habt. Wenn nicht, sucht euch besser ein schattiges Grab aus, denn wenn diese Geschichte schief geht, ist euer Leben nicht mehr viel wert. Dafür werden unsere amerikanischen Freunde sorgen.“

Mit stockendem Atem hörte der Killer zu, er versuchte zweimal, seinen Boss zu unterbrechen, aber ohne Erfolg.

„Es gibt eine Kneipe direkt neben seinem Haus; man kann dort draußen auf Bänken sitzen und hat den Eingang direkt vor der Nase. Wenn er in einer Stunde nicht da ist, verschafft euch Zugang zu seiner Wohnung. Stellt alles auf den Kopf und sucht nach Informationen über seinen Umgang. Er wohnt alleine, aber er hat eine Ex-Frau und zwei Kinder. Versucht herauszufinden, wo die sind. Schaut nach Freunden aus, nach einer Geliebten, der Sekretärin, was auch immer. Er muss irgendwo hingehen. Meldet euch sofort, wenn etwas passiert. Vermasselt es kein zweites Mal.“

Das Gespräch wurde beendet und die beiden Männer blickten sich konsterniert an. „Dann wollen wir mal.“ Es klang eindeutig ängstlich, obwohl sie dies sicherlich empört abgestritten hätten.

*

Wassermann: „Können wir diese Exekution noch stoppen?“

Schütze: „Zu spät. Sie hat vor mehr als zwei Stunden stattgefunden.“

Löwe: „Warum fragst du danach, Wassermann?“

Wassermann: „Wir hätten unseren Mann auch anders gekriegt. Unsere Leute haben endlich herausgefunden, was ihn umtreibt. Um ihn unter Druck zu setzen, hätten wir diese grenzdebilen Armleuchter, die sich unseren Deutschen Arm nennen, gar nicht gebraucht.“

 

Löwe: „Und, dann erzähl doch mal!“

Wassermann: „Dieser Bursche steht auf kleine braune Mädchen – und nicht nur das; er hat sich dabei fotografieren lassen, während er dieser höchst fragwürdigen Neigung nachging. Die Frau, die im Besitz dieser Fotos ist, ist eine unserer Hackerinnen, und sie hat ihn in aller Seelenruhe ausgeplündert, während wir uns den Kopf darüber zerbrachen, wozu er das viele Geld braucht.“

Steinbock: „Dann wäre unsere Operation in Deutschland gar nicht nötig gewesen, weil jemand aus unseren Reihen in die eigene Tasche gewirtschaftet hat, anstatt uns zu sagen, was Sache ist?“

Wassermann: „Richtig, und sie hat dadurch die ganze Sache erheblich verkompliziert. Es hat eine Einmischung von dritter Seite gegeben. Ein deutscher Detektiv war vor Ort, und dieser Kerl ist mit dem Geld und dem Notebook des bulgarischen Vermittlers abgehauen, nachdem die Schüsse gefallen waren.

Ihr könnt euch denken, dass das auch für uns und unseren Mann im Weißen Haus gefährlich werden kann, je nachdem, welche Informationen auf diesem Rechner gespeichert sind.“

Löwe: „Unsere Freunde in Deutschland suchen nach dem Mann; wenn sie ihn haben, wird er erledigt. Das sollte kein Problem darstellen, er ist nur ein gewöhnlicher Amateur.“

Skorpion: „Hoffentlich. Wenn sie ihn kriegen, bevor er Unheil anrichtet, sind wir unserem Ziel einen guten Schritt näher.“

Wassermann: „Wir wissen nicht nur Bescheid über diese Erpressung, wir werden auch bald im Besitz dieser Fotos sein. Wir können die junge Dame mit entsprechendem Druck sicherlich dafür begeistern, sie uns zu überlassen. Die Ärmste wird in ein paar Tagen mit dem Gesicht nach unten auf dem Potomac in Richtung Atlantik treiben und keine Gelegenheit mehr haben, ihren ergaunerten Wohlstand zu genießen. Schade um die Frau, sie hatte uns bisher gute Dienste geleistet. Aber wir müssen sie natürlich ausschalten.

Dasselbe wird dem Albino geschehen, wenn er sich noch einmal hier blicken lässt. Wir müssen durchgreifen, sonst tanzen uns die Fußtruppen bald nur noch auf der Nase herum. Seine eigenmächtige Einmischung hat dieses Frankfurter Desaster erst möglich gemacht.“

Bedächtiges Schweigen herrschte in der Runde der zwölf alten, weißen Männer, die sich und ihre fanatischen Anhänger die „Besorgten Patrioten“ nannten; und jeder machte sich seine eigenen Gedanken, nachdem die kleine Videokonferenz geendet hatte und die Bildschirme erloschen waren.

Kapitel 2

1 Aspen, Colorado

Das Handy klingelte ihn wach, er hatte den Wecker in der vergangenen Nacht gestellt, um den Makler frühzeitig anzurufen. Es wäre zu schade gewesen, wenn ihnen jemand zuvorkam.

Lisa drehte sich noch einmal um, und Cord schlüpfte aus dem Bett, setzte Kaffee auf, ging ins Bad und duschte mit der gebotenen Vorsicht.

Der Kaffee war fertig und Lisa schien der Duft munter gemacht zu haben. Sie stand bei der Kaffeemaschine und war dabei, zwei Tassen zu füllen.

Sie rauchten eine Zigarette, schlürften das heiße, dünne Gebräu und machten Pläne.

„Wir werden einige Sachen brauchen, bevor wir heute dort oben ankommen. Aspen liegt fast zweieinhalbtausend Meter über dem Meeresspiegel, unsere Lodge sogar ein paar hundert Meter höher. So hoch im Gebirge kann es auch Anfang September schon richtig kalt werden.“

„Du hast Recht. Am besten suchen wir uns ein größeres Einkaufszentrum, in dem wir Klamotten, Vorräte und alles andere kriegen, was wir für diese Woche brauchen. Ich werde mehr Verbandszeug brauchen, Schmerztabletten für die Nächte - und das Fläschchen mit dem Jod ist auch schon fast leer.“

Sie bekamen die Lodge, obwohl der Makler spürbar befremdet war über die Dringlichkeit, die diese Angelegenheit offenbar hatte.

„Ich habe völlig unverhofft eine Woche Urlaub nehmen können“, sagte Cord. „Und da meine Lebensgefährtin furchtbar gerne im Gebirge wandert, haben wir uns über Nacht dafür entschieden, dass wir nach Colorado wollen. Es ist eine spontane Sache.“

Der Mann war offenbar zufrieden mit dieser Erklärung, denn er kam schnell zum geschäftlichen Teil des Gespräches. Cord gab ihm die Nummer seiner Kreditkarte (der zweiten von drei, die er besaß), und der Vorgang wurde bestätigt, noch während sie am Telefon miteinander sprachen.

„Der Verwalter heißt Denver… Was? Ja, das ist kein Witz, er heißt Denver und wohnt in Aspen. Bill Denver. Rufen Sie mich in etwa fünfzehn Minuten an, ich kläre das mit ihm ab. Wann wollen Sie denn dort eintreffen?“

„Am späten Nachmittag, wäre siebzehn Uhr für Sie in Ordnung?“

„Das sage ich Ihnen, wenn ich den Mann erreicht habe. Bis gleich dann. Fünfzehn Minuten.“

Lisa blickte ihn fragend an und er hob den Daumen. „Wenn der Verwalter mitspielt, sind wir schon beinahe dort.“ Sie lächelte, wühlte in ihrem Koffer nach einem frischen Slip und marschierte ins Bad. Er hörte, wie sie die Dusche andrehte und eine ihm unbekannte Melodie summte. Cohen vielleicht, dachte er, aber einer von den späteren Songs.

Er war erleichtert darüber, dass seine Kreditkarte noch nicht gesperrt worden war. Lisa hatte bei ihrem letzten Gang zur Bank eine hohe Summe auf das Kartenkonto eingezahlt, und der Verlust des Geldes würde sie spürbar treffen, wenn auch bei weitem nicht ruinieren. Aber sie wären zunehmend auf Bargeld angewiesen, wenn seine Karten nach und nach aufflogen; bei hohen Beträgen konnte das zu einem Problem werden.

Vielleicht waren ihre Verfolger doch nicht so allmächtig, wie er aufgrund der Geschehnisse der letzten Tage unterstellt hatte. Es würde sich herausstellen, sobald sie einmal mehrere Tage am selben Ort blieben. Er hoffte, dass ihre Lodge wirklich so professionell gesichert war, wie es die Beschreibung versprach.

„Geht klar, Sir!“ brüllte ihm der Makler ins Ohr. „Dieser Mister Denver war ein wenig verschnupft, weil er heute etwas anderes vorhatte, aber er wird heute zwischen siebzehn und achtzehn Uhr in der Hütte auf Sie warten. Sollte es bei Ihnen länger dauern, dann rufen Sie ihn bitte rechtzeitig an. Er wirkt zwar meistens etwas schlecht gelaunt, ist aber kein schlechter Kerl. Ich arbeite seit langem mit ihm zusammen, er betreut auch ein paar andere Objekte, die ich im Auftrag ihrer Besitzer vermiete.“

„Danke, wir werden uns Mühe geben, ihn nicht warten zu lassen. Geben Sie mir bitte seine Nummer.“

Geschafft!

Sie hatten einen Rückzugsort für eine volle Woche. Es würde ihnen fremd vorkommen, morgens aufzustehen und nicht sofort packen und weiterfahren zu müssen; sie würden sich stattdessen ein ausführliches Frühstück leisten können. Gute Ernährung fiel unterwegs immer als Erstes unter den Tisch, und ständige Angst war ein Appetitkiller.

Sie packten ihre Sachen, trugen sie zum Auto, und Cord fuhr die wenigen Meter zur Rezeption, wo er der Frau des Besitzers die Zimmerschlüssel zurückgab. Sie dankte ihm und wünschte ihnen gute Fahrt.

„Nächster Halt: Ein Walmart in Denver“, sagte er lächelnd zu Lisa, als sie den Highway erreichten und er den Kickdown betätigte. Seine Beifahrerin fand einen Sender, der aus irgendeinem Grund die größten Hits von Creedence Clearwater Revival spielte, die richtige Musik für die Straße. Und diese war heute Vormittag praktisch leer; dennoch ermahnte er sich, nie den Blick in den Rückspiegel zu vergessen.

Was sie taten, hatte Lisa vor ein paar Tagen sehr nüchtern als Fahren, Saufen und Ficken bezeichnet. Er hätte es vielleicht nicht ganz so krass ausgedrückt, aber im Großen und Ganzen hatte sie Recht; was sonst blieb ihnen denn auch zu tun in den Nächten, wenn ein strapaziöser Tag sie aufgewühlt hatte und sie in ständigem Alarmzustand waren; sie mussten abends schnellstmöglich abschalten, um am Morgen wieder reisetauglich zu sein. Alkohol und Sex halfen dabei, so einfach war das.

Einmal hielt sich eine graue Limousine eine ganze Zeitlang keine hundert Meter hinter ihnen, fiel nicht zurück, holte aber auch nicht auf. Cord spielte ein wenig mit dem Gaspedal, zog das Tempo bis auf neunzig Meilen die Stunde an, aber es änderte sich nichts. Er reduzierte die Geschwindigkeit auf unter siebzig Meilen, der Abstand blieb der gleiche, der Fahrer des anderen Wagens hatte es vielleicht auf sie abgesehen.

Kurz entschlossen verließ Cord die Interstate an der nächsten Ausfahrt und fuhr zu einer Tankstelle in einer halben Meile Entfernung. Niemand war mehr hinter ihnen.

Paranoia? Nein, aber höchste Vorsicht. Der Fahrer des anderen Wagens war vielleicht nur müde gewesen und hatte jemanden gebraucht, an dessen Stoßstange er sich hängen konnte. Aber ein Vielleicht war in ihrer Situation nicht befriedigend.

Er hatte sich beim Verlassen des Highways Farbe und Modell des Wagens gemerkt, und er würde sich im weiteren Verlauf der Fahrt nach ihm umschauen. Träfen sie ein zweites Mal auf ihn, wäre es wahrscheinlich kein Zufall mehr.

Sie tranken im Stehen einen Kaffee, kauften ein paar Dosen eines dieser gefährlich aussehenden blauen Energydrinks und zwei Schokoriegel, plauderten, um die Straße noch eine Zeitlang beobachten zu können, ein wenig mit dem Tankstellenpächter und fuhren dann weiter.

Nach zwei Stunden erreichten sie die Umgebung von Denver, und schnell füllte sich die Autobahn. Sie wechselten von der I-25 auf die I-76 westwärts und hielten Ausschau nach einem größeren Einkaufszentrum. Schnell fanden sie eines, das ausreichend groß für ihre Zwecke war, und sie stellten den Wagen auf einen Parkplatz, der größer war als sechs Fußballfelder.

Sie neigen gelegentlich zum Übertreiben, diese Amis!

Cord, der Einkaufen hasste, bekam eine Lektion in Geduld und Toleranz, und als sie nach gut zwei Stunden wieder bei ihrem Wagen ankamen, hatten zweitausendfünfhundert Dollar den Besitzer gewechselt. Noch vor kurzem hätte er angesichts einer solchen Rechnung einen leichten Schlaganfall erlitten. Aber man gewöhnte sich schnell an solche Summen. Er war jetzt seit zwei Wochen unterwegs und hatte fünfundvierzigtausend Dollar ausgegeben, allerdings schloss das die beiden Autos mit ein, die er gekauft hatte. Dieses Geld war von Dieben gestohlen und es konnte ihr Leben retten. Sein anfangs schlechtes Gewissen wurde von Tag zu Tag leiser. Auch daran, Unrecht zu tun, gewöhnte man sich schnell, wenn die Umstände es mit sich brachten. Für ihn war es eine neue Erfahrung.

Sie kauften Thermo-Hemden, Pullover mit Norweger-Muster, zwei gefütterte Lederjacken, warme Stiefel, Medikamente, zwei Stangen Zigaretten und Essen und Getränke für einen halben Winter.

Ihr Kofferraum war randvoll gepackt, als sie wieder losfuhren. Es war fast ein Uhr mittags - noch etwa drei Stunden bis Aspen, weitere zwanzig Minuten hinauf zu ihrer Lodge. Ihre Vorfreude nahm zu, Lisa sang mit zur Musik, die von einem lokalen Oldie-Sender mit vier Buchstaben ausgestrahlt wurde. Sie besaß eine wundervolle Stimme, immer ein wenig heiser, aber äußerst bluesig und verdammt sexy.

Help me make it through the night!

Sie schien ihm oft abwesend zu sein, konnte stundenlang schweigen und aus dem Fenster sehen, und selten wusste er, an was sie gerade dachte. Aber das schien sie nicht zu stören, und ihm machte es auch nicht viel aus, weil auch er auf langen Fahrten gerne seinen Gedanken nachhing.

Er hatte vor einigen Tagen versucht, sie darauf anzusprechen, aber sie hatte nur gesagt, er solle sie nicht zum Sprechen drängen. Sie genieße es, einmal nicht ständig gehorchen zu müssen, oder zu etwas genötigt zu werden, was sie nicht wollte. „Ich werde mit dir reden, wenn ich soweit bin. Ich bin dir dankbar für die Chance, die du uns gibst, aber ich brauche Zeit.“

Dazu gab es nicht viel zu sagen. Und er musste zugeben, dass trotz ihres ausdauernden Schweigens ihre Beziehung an Nähe und Vertrautheit gewann. Es fehlten nur die Worte, aber die wurden oft genug überschätzt. Manche Menschen redeten nur, weil sie Angst vor Stille hatten; er kannte mehr als genug von ihnen.

Aber ab und zu lag er nachts für längere Zeit wach, lauschte ihren regelmäßigen Atemzügen und erinnerte sich dabei an ein Sprichwort, das er vor langer Zeit einmal gehört hat. Es ging ungefähr so: Auch wenn zwei Köpfe auf demselben Kissen ruhen, müssen sie noch lange nicht dieselben Träume haben. Das war wohl gut beobachtet.

 

2 Frankfurt am Main

Er wagte es lange nicht, das Lokal zu verlassen und nach Hause zu gehen. Fieberhaft suchte er nach einer Erklärung für das, was geschehen war.

Zur Polizei konnte er nicht gehen, die würde ihn zunächst einmal einlochen, wegen Verlassens eines Tatortes, wegen Diebstahls - und vielleicht sogar wegen des Verdachts auf Beihilfe zu einem zweifachen Mord.

Wenn das geschah (selbst, wenn er straffrei aus dieser Nummer herauskam), dann würde seine Ex-Frau dafür sorgen, dass er die Kinder höchstens noch zweimal im Jahr und das auch nur von weitem zu sehen bekam. Sie würde es mit seiner Verantwortungslosigkeit begründen, und er hätte angesichts seiner unpassenden Handlungsweise am heutigen Tag einen schweren Stand damit, sie zu widerlegen. Wer einem Kapitalverbrechen beiwohnte und wem danach nichts Besseres einfiel, als die noch warmen Leichen zu bestehlen, konnte keinen guten Einfluss auf ein sieben- und ein fünfjähriges Kind ausüben, und so weiter.

Wer war wer in diesem Schlamassel? Seinen Albino hatte er im Zoo nicht gesehen. Also wer war der Kardinal, wer waren die beiden Attentäter? Worum ging es hier?

Er dachte nach, aber schon nach kurzer Zeit musste er seine Anstrengungen aufgeben – es gab zu viele Unbekannte in dieser Gleichung. Diebe, Agenten, die Mafia; der Möglichkeiten gab es viele, zu viele für seinen müden Verstand.

Woher wussten die Attentäter die genauen Koordinaten dieser Übergabe? Sie mussten schließlich schon vor Ort gewesen sein, als der Bulgare ankam. Hatten sie ein Telefonat belauscht, in denen Papst und Kardinal sich verabredeten? Wenn ja, warum konnten sie das so einfach tun?

Der Gang zur Polizei schien ihm immer weniger erfolgversprechend. Er war in etwas hingeraten, das mindestens eine Gewichtsklasse zu hoch für ihn war. Er hätte die Finger von der Sache lassen sollen. Er hätte es wissen können. Er hätte nach den Schüssen abhauen sollen, wie jeder geistig gesunde Mensch es getan hätte. Wer bezahlte schon sechstausend Kröten für ein paar Fotos?

Konnte er gefahrlos nach Hause zurückgehen? Hatte sein Auftraggeber den Inhalt des Koffers gekannt? War er scharf darauf gewesen? Würde er jemanden schicken, damit er ihm das Geld wieder abjagte?

Damit war zu rechnen.

Und was war mit dem Notebook? Enthielt es brisantes Material? Gab es zwischen diesem Material und dem Inhalt des Koffers einen Zusammenhang? Wahrscheinlich war das so, die beiden Männer hatten wild gestikulierend auf den Bildschirm gezeigt und über etwas gestritten, kurz bevor sie aufstanden und die Schüsse fielen.

War das Geld vielleicht nicht das einzige Motiv für dieses Blutbad gewesen? Andererseits waren sechs Millionen durchaus ein Motiv, Laptop hin oder her.

Der Alkohol begann, sein Denken zu verlangsamen; er hatte heute Morgen nicht einmal gefrühstückt.

Er blickte auf die Uhr und staunte darüber, in welch kurzer Zeit er es geschafft hatte, sein unscheinbares, aber halbwegs geordnetes Leben gegen die Wand zu fahren; seit dem Anruf des verrückten Iren waren noch keine vier Stunden vergangen. So etwas nannte man wohl Effizienz.

Er packte den Laptop zuoberst auf das Geld und die Wertpapiere, und der Koffer ließ sich gerade noch schließen. Noch hatte er das Geld nicht angerührt, er hatte vielleicht sogar die Chance, es dem Albino (oder wer auch immer der Besitzer war) zurückzugeben. Aber würde man ihn verschonen, soweit, wie Cord sich in seiner grenzenlosen Weisheit in Angelegenheiten eingemischt hatte, die ihn nichts angingen?

Du bist fast dreiundvierzig, mein Freund, dein Konto ist chronisch schwindsüchtig, und es ist keine Änderung in Sicht. Was meinst du, wann du das nächste Mal sechs Millionen Dollar zu Gesicht bekommen wirst?

Mit einem Vermögen wie diesem konnte man weit kommen. Es musste umsichtig genutzt und vielleicht ein bisschen gewaschen werden, damit es nicht mehr so sehr nach Verbrechen roch, aber danach konnte man sich ohne weiteres zur Ruhe setzen und auf einer Insel im Südpazifik mit einem Cocktail in der Hand den Sonnenuntergang genießen. Es war verlockend.

Aber der Weg dahin war steinig und gefährlich, ein einziger Fehler, und er würde nirgends mehr die Sonne sehen, weder morgens noch abends. Und um ganz ehrlich mit sich zu sein, die Südsee oder die Karibik würden ihn schnell langweilen, und außerdem wäre es dann endgültig vorbei damit, seinen Kindern nahe und ihnen beim Heranwachsen ein Freund zu sein, auf den sie bauen und auf den sie stolz sein konnten.

Er rief die Kellnerin an seinen Tisch und bezahlte die Getränke - mit seinem eigenen Geld, worauf er trotzig Wert legte.

Draußen sprangen ihn die gleißende Helligkeit und die Mittagshitze an wie ein übellauniges Raubtier mit Mundgeruch. Er blickte sich um und sah am Straßenrand ein Taxi, aus dem gerade ein Fahrgast ausstieg. Er winkte den Fahrer heran, ließ sich samt des Koffers auf die Rückbank fallen, und nannte dem Fahrer sein Ziel; der schaltete den Taxameter ein, wendete und fuhr los. Es war wenig Verkehr auf den Straßen der Stadt, die Hitze fesselte die Menschen an ihre schattigen Wohnungen oder Büros, und wer konnte, war im Schwimmbad oder hatte die Stadt in Richtung Taunus verlassen, wo es nicht ganz so heiß und schwül war.

Er ließ den Taxifahrer fünfzig Meter entfernt von seinem Haus halten, bezahlte und stieg aus; vor Anspannung hätte er beinahe vergessen, den Koffer mitzunehmen.

Er konnte von weitem sehen, dass die Stühle und Bänke der Kneipe neben dem Haus leer waren; zumindest dort schien niemand auf ihn zu warten. Er kam zur Eingangstür und eine Nachbarin, die gerade ihre Post aus dem Briefkasten fischte, grüßte ihn unfreundlich. Sie wusste von seiner Scheidung und nahm sie ihm übel, ohne die Hintergründe zu kennen. Es sei denn, seine Ex-Frau hatte sie mit Tratsch aus ihrer Ehe auf ihre Seite gezogen, was er neuerdings nicht mehr ausschließen konnte.

Er ignorierte den ungnädigen Tonfall, grüßte übertrieben freundlich zurück und fuhr mit dem Aufzug nach oben. Immerhin schien niemand bei ihr geklingelt und nach ihm gefragt zu haben; in seiner Lage war man auch für Kleinigkeiten dankbar.

Aber dass hier etwas passiert war, merkte er, als er im vierten Stock den Aufzug verließ und an seine Wohnungstür trat.

Die Tür war nur angelehnt!

Er hatte sie mit Sicherheit nicht offen gelassen, als er heute Vormittag aufgebrochen war. Er war in Eile gewesen, aber so etwas passierte ihm nicht.

Ihm wurde heiß, er stand regungslos da und versuchte, seinen Atem zu kontrollieren. Es war nichts zu hören. Was, wenn sie den Lift gehört hatten und ihn drinnen erwarteten? Die Tür mussten sie professionell geöffnet haben, er sah keine Kratzer am Schloss und auch keine anderen Anzeichen gewaltsamen Eindringens.

Er wartete zwei volle Minuten und hielt immer wieder kurz den Atem an, um zu lauschen. Außer den gedämpften Lauten der Straße war nichts zu hören. Er tippte die Wohnungstür mit dem Zeigefinger an und öffnete sie einen Spaltbreit. Zu wenig, um etwas sehen zu können. Er nahm die ganze Hand und drückte die Tür ein großes Stück weit auf. Im Flur war nichts zu sehen… oder doch?

Er tat einen Schritt in die Wohnung und hielt erneut inne. Schon von hier aus konnte er sehen, dass seine Besucher nicht gekommen waren, um bei ihm aufzuräumen. Sie hatten seine Garderobe untersucht, seine beiden Jacken und sein Mantel lagen auf dem Boden.

Er machte sich auf Schlimmeres gefasst und betrat die Küche. Niemand da, nur die Schranktüren standen offen.

Das Wohnzimmer sah gut aus, denn sie hatten lediglich die Sofakissen verschoben, und die Türen der geschmacklosen Schrankwand (die seine Frau dort gegen seinen Willen hatte einbauen lassen) waren aufgerissen worden. Beschädigungen waren auf den ersten Blick nicht zu erkennen.