Slow Dancing In A Burning Room

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10

Die Zwillinge hatten sich gegenseitig mit Lametta dekoriert und jagten sich durch das Wohnzimmer, immer knapp genug am Weihnachtsbaum vorbei, um ihn fast umzuwerfen. Grace saß auf dem Teppich vor dem Kamin und brachte ihre eigene Version des Weihnachtsmanns zu Papier und Simon versuchte Cookie ein Glöckchen an den Schwanz zu binden. Doch immer wenn er dachte, es geschafft zu haben, wedelte der gutmütige Husky mit dem Schwanz und schüttelte das Glöckchen geräuschvoll ab.

Briony und Bethany standen am Küchentisch und stachen kleine Sterne aus dem Lebkuchenteig, während Maartje das Blech im Ofen kontrollierte und Haydn und Faith bestäubten sich gegenseitig unter fröhlichem Singen mit Mehl, die Hände vom Teig ganz verklebt. Lucas hatte sich mit seinen Kopfhörern in den Wintergarten zurückgezogen und der Reverend versuchte, sich zwischen Kindergeschrei, Glöckchen Gebimmel und Weihnachtsmusik auf seine Predigt zu konzentrieren. Es war ein ganz normaler Dezembertag im Hause Cavendish.

„Papa, bleibst du bis ins neue Jahr?“, streckte Briony sich über den Tisch, anstatt um ihm herumzugehen und renkte sich fast die Schulter aus. „Bis zum dritten Jänner“, nickte Haydn fröhlich. „Das sind ganze drei Wochen“, hob er sie hoch und sie drückte ihren Ausstecher in den Teig. „Drei Wochen?“, konnte sie es kaum glauben und das Teigstück fiel auf den Fußboden. „Ja“, bückte sich Haydn, um es aufzuheben und wischte sich dann die Hände an ihrer Schürze ab. „Ist das ein gutes Weihnachtsgeschenk?“ „Das beste“, schlag sie ihre Arme um ihn, doch dann sah sie ihn etwas skeptisch an. „Heißt das aber, dass ich sonst nichts kriege?“ Alle in der Küche Anwesenden lachten laut und Haydn zwickte ihr in die Nase. „Nimmersatte Raupe.“ „Aber ich hab einen langen Brief an den Weihnachtsmann geschickt“, schmollte das Kind. „Und ich hab nicht mal einen einzigen Rechtschreibfehler gemacht.“ „And here I thought that all you wanted for Christmas was me“, tat Haydn beleidigt und Briony kletterte auf einen Stuhl, um ihm einen Kuss auf die Wange zu drücken. „Dich hab ich ja schon – und es ist noch nicht Weihnachten.“ „Da hat sie Recht, Brüderchen“, bewaffnete Faith sich mit einer Faust voll Mehl und als Haydn sich umdrehte, um ihr zu erwidern, klatschte sie sie ihm direkt ins Gesicht. „Okay, now it’s war!“, spuckte und hustete er und tastete nach etwas, mit dem er sich die Augen reiben konnte. Dann nahm er eines der Eier von der Anrichte und zielte so scharf, dass Faith es nicht einmal kommen sah, bevor es ihr auf den Kopf klatschte. „Und ich hab gedacht, ich bin das Kind“, seufzte Briony in dem Tonfall den sie eindeutig von ihrem Vater hatte und Bethany und Maartje grinsten.

Als sie alle wieder sauber waren und die Kekse sicher in den Blechdosen vor hungrigen Kindermündern versteckt waren, nahm Haydn Cookie und Briony mit auf einen kleinen Spaziergang, da der Kleinen von der Teignascherei etwas übel war. „Sagst du mir auch, was du dir vom Weihnachtsmann wünscht?“, zog er an der Leine, damit Cookie hinter dem Baum hervorkam, hinter dem sie wohl ihr Territorium markieren wollte. Er war erst am Vorabend nach Hause gekommen und hatte noch keine Gelegenheit gehabt, sich den Zettel anzusehen, den Maartje feinsäuberlich kopiert hatte, bevor sie ihn mit den Kindern in den Postkasten geworfen hatte. „Ich wünsch mir neue Farbstifte“, hüpfte sie über die kleinen Schneehaufen auf dem Gehsteig. „Das ganze Set mit allen Farben. Und wenn man mit Wasser drübermalt, verschwimmen sie.“ „Du meinst Aquarellstifte.“ „Ja, Awaell.“ Sie hatte eben auch seine künstlerischen Ambitionen in die Wiege gelegt bekommen. „Und was noch?“ „Ein Fernrohr! Ein großes, damit ich den Mars sehen kann.“ „Das heißt Teleskop.“ Cookie vergrub ihre Schnauze in einer Schneewehe und Haydn wickelte sich die Leine etwas fester ums Handgelenk. Briony an seiner anderen Hand nieste. „Gesundheit, Kröte“, zog er eilig ein Taschentuch aus der Manteltasche und putzte ihr die Nase. „Du hast dich doch nicht verkühlt, Ladybird?“ „Nein“, schüttelte sie heftig den Kopf und die Quaste auf ihrer Mütze flog hin und her. „Ich hab Schnee in die Nase gekriegt.“ „Ah ja“, nickte er lächelnd und zog ihr die Mütze über die Augen. „Hey!“, protestierte sie und boxte ihm in die Seite. Dann nieste sie wieder und hätte Haydn sie nicht festgehalten, wäre sie wohl ausgerutscht und hingefallen. „Oi, ich glaube, wir gehen wohl besser wieder zurück und machen dir einen heißen Tee.“ „Ich bin nicht verkühlt“, schmollte sie und ließ sich auf den Arm nehmen. „Ich muss morgen beim Schlittenrennen Peter Donaldson schlagen.“ „Umso mehr Grund, schnell einen heißen Tee zu trinken und unter die warme Decke zu kriechen.“ „Krieg ich eine heiße Schokolade und kommst du zu mir ins Bett?“ „Absolument.“

„Weißt du was ich mir noch gewünscht habe?“ schlüpfte sie in ihren Flanellpyjama und kletterte auf ihr Bett. Haydn breitete die Decke über sie beide und sie schmiegte sich an ihn. „Dass ich dieses Jahr eine Maman und eine kleine Schwester kriege mit der ich spielen kann.“ „Aber du hast doch all deine Onkel und Tanten“, versuchte er sein plötzliches Unbehagen zu überspielen das ihn wie ein Schlag getroffen hatte. „Ja, aber das sind deine Geschwister. Ich will meine eigene Schwester. Und meine eigene Maman.“ „Du hast ja eine, chouchou.“ „Ja, eine unsichtbare, die mich nicht will.“ Hatte er eigentlich je bedacht, wie Briony es auffassen würde, wenn er ihr so geradeheraus erzählte, dass ihre Mutter einfach gegangen war ohne sie mitzunehmen? „Aber ich will eine richtige Maman, so wie die von Lucy. Die mir meine Haare in Zöpfe flechtet und mir Puppenkleider näht und…“ An ihrer Stimme und der Art wie sie ihre Arme um ihn schlang wusste er, dass kleine heiße Tränen über ihre Wangen liefen, ohne sie ansehen zu müssen. „Oh, babydoll! Komm her“, zog er sie hoch und drückte sie an sich. Er hasste es, wenn sie weinte. Sie weinte nicht oft, aber wenn, dann war er meistens unfähig etwas dagegen zu tun. Er konnte nicht bei ihr bleiben, er konnte sie nicht nach Montréal holen, er konnte ihr keine Mutter und eine Schwester aus dem Hut zaubern. „Aber“, schniefte sie. „Der Weihnachtsmann wird sie mir schon bringen, wenn ich mir ja sonst nicht viel wünsche. Irgendwann im nächsten Jahr.“ Er streichelte ihren Kopf. „Bestimmt.“

Die Tränen trockneten und das Mädchen dämmerte in einen traumlosen Schlaf. Haydn löste sich vorsichtig von ihr und bettete ihren Kopf auf das Kissen, bevor er das Zimmer verließ und zurück hinunter ins Wohnzimmer ging. Der Fernseher war an und die Hausälteren hatten sich auf die beiden Sofas verteilt, während die Kinder auf dem Boden saßen. Es war erstaunlich friedlich und Haydn schob seine Schwester zur Seite, um sich zu ihnen zu quetschen. Manchmal tat es richtig gut, eine Familie zu haben.

Zwei Wochen später saßen zweiundzwanzig Mitglieder des Cavendish Clans und ihre Gäste in einem viel zu kleinen Esszimmer an einem zu kleinen Tisch voll viel zu viel Essen. Aber das war eine Tradition. So wie die fröhlichen, lauten Gespräche, das Gelächter und die Insiderjokes im Sprachenchaos. Es war eine Atmosphäre die wohl die meisten erst einmal zurückschrecken ließ wenn sie nicht hinein geboren worden waren. Aidan, Faiths Freund, und Macy, Lucas’ Freundin, sahen auch nach einer Stunde nicht so aus, als würden sie nicht doch immer wieder nach einem Notausgang Ausschau halten.

Jullien und Maartje und Matisses Frau Carrie hatten den Nachmittag in der Küche verbracht – mit der abwechselnden Hilfe von Matisse, Haydn und Faith. Es gab Truthahn mit genügend Fülle, um einen Elefanten zu stopfen, gedämpften Rotkohl, einen kleinen Kartoffelacker, Pies, Salate in fünf Variationen und drei Kuchen als Dessert – niemand konnte den Cavendishs vorwerfen, dass an Feiertagen gekleckert wurde.

„Warum hat der Weihnachtsmann eigentlich einen Schlitten, wenn er ja fliegt?“, trottete Grace am Morgen davor an Haydns Hand hinter den anderen zur großen Wiese, auf der sich die Kinder zum allweihnachtlichen Schneemanwettbewerb einfanden – im Falle eines Schneemangels konnte es auch spontan in einen Sandburgenwettbewerb am Strand umgewandelt werden. „Na, manchmal ist das Wetter schlecht und dann muss er eben durch den Schnee fahren“, zuckte Aaron die Schultern und kickte einen Schneeball vor sich her. „In Afrika schneit es aber nicht“, warf Sara ein und gab ihm einen Schubs. Aarons Reaktion war ein schneller Handgriff und das Mädchen schrie auf als seine Zähne in ihr Handgelenk sanken. „Hey, hey, you two, cut it out!“, ging Lucas dazwischen und Haydn schenkte Macy ein mitleidiges Lächeln. „Welcome to our family.“ Sie zuckte etwas verzagt die Schultern. „Keine Sorge“, fügte Briony nonchalant hinzu. „Wir fressen nur Verwandte.“ Haydn zog ihr wieder ihre Mütze über die Augen und sie protestierte lautstark.

Obwohl man nicht sagen konnte, dass der Ort unter Kindermangel litt, war es doch schwer, gegen die geballte Ladung Cavendishs anzukommen, wenn es um Wettbewerbe ging. Es war Noel, der die Trophäe – ein Marmeladenglas gefüllt mit Gummibärchen – nach Hause tragen durfte - für seinen Schneemann aus dem Weltall. Briony saß auf Haydns Schultern und machte ihn fast taub, als sie mit den anderen Weihnachtslieder verunstaltete und wuschelte ihm dabei mit den Wollfäustlingen in den Haaren herum. Dass sie ihm dabei auch manchmal die Augen zuhielt und ihn somit fast zum Stolpern brachte, führte dazu, dass er sie den Rest des Weges über eine Schulter geworfen trug, während sie ihm ihre Füße in die Brust boxte.

Die Kuchenauswahl servierte man im Wohnzimmer, wo Haydn sich gezwungen sah, sich mit Jullien ans Klavier zu setzen, bevor er von allen weiblichen Mitgliedern seiner Familie mit Küssen erdrückt wurde. Während sie ganz und gar unweihnachtliche Duette spielte, tanzten die Kinder durch den Raum und versprühten Sillystring bis sie sich fast daran verschluckten. Aidan und Macy schienen den Weg des geringsten Widerstands gewählt zu haben und lachten nur mehr darüber.

 

Als die Meute im Bett war und die Semi-Erwachsenen sich in ihre Zimmer zurückgezogen hatten, saß Haydn auf der Veranda und zog an einer Zigarette, während er in seinem Notizbuch kritzelte. Obwohl es Minusgrade hatte und sich niemand mehr im unteren Stockwerk befand, hatte er es dennoch vorgezogen nicht im Hause zu rauchen. Die eisige Luft half ihm dabei, seinen Kopf freizukriegen und er hatte tatsächlich ein paar Minuten Zeit sich darüber Gedanken zu machen, welche Erziehung er sich für seine Tochter vorstellte. Sie hatte definitiv eine Menge seiner Kreativität geerbt und begeisterte sich zumindest in seiner Gegenwart für Musik und Kunst, aber sie war auch ein Tomboy und las Sternbilder und Planetensysteme wie andere die Morgenzeitung. Wenn es so schwer war, ein Kind richtig zu erziehen, wieso kam es dann nicht von Anfang weg mit einer individuellen Gebrauchsanweisung? Vielleicht wäre er dann nicht so ein Rabenvater.

Als er keine Zigaretten mehr hatte und das Gekritzel in seinem Buch zu abstrakte Formen annahm, kehrte er ins Haus zurück und verteilte die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum. Die meisten hatten kleine Kärtchen „von Mum und Dad“ angehängt, auch wenn viele davon streng genommen Haydn bezahlt hatte. Was sollte er auch sonst mit seinem Geld anfangen? Es kam ihm nicht einmal besonders absonderlich vor, dass er es war, der seinen Eltern Taschengeld gab und nicht umgekehrt.

Nachdem die Geschenke abgezählt waren und er seinen Tee ausgetrunken hatte, setzte er sich auf die Couch und rief seinen liebsten Grinch an. Phonesex hatte ihm immer noch durch eine schlaflose Nacht geholfen. Kishiko hatte sich in ihren exklusivsten Dessous auf ihrem weißen Fellteppich ausgebreitet, trank Champagner aus einem teuren Kristallglas und hörte Heavy Metal. Sie war nur zu gewillt, die Fernbedienung gegen einen anderen batteriebetriebenen Gegenstand auszutauschen. Sie trieben sich so weit zum Höhepunkt soweit Haydns schmutziges Japanisch reichte, dann fertigte er sie mit ein paar gezielten englischen Schweinereien ab und sank keuchend zurück auf die Armlehne. „Now that’s what I call a merry Christmas“, lachte Kishiko am anderen Ende der Leitung und streckte sich genüsslich. „Any chance you might be available in person sometime soon?“ „Ich kann Ende Jänner einen Abstecher nach San Francisco machen, wenn du dich freimachen kannst.“ „Ist das eine Frage?“ „Nein.“ „Schick mir das genaue Datum und ich werde sehen, dass ich so wenig wie möglich am Leib trage. – Wusstest du übrigens, dass…“

Dass es halb sieben Uhr morgens war, bemerkte er erst, als eine Herde geschenkewütiger Kinder das Wohnzimmer enterte – gefolgt von zwei gähnenden Eltern. Maartje setzte sich seufzend zu ihm und band ihren Morgenmantel zu, während Jonas den Kamin entzündete. „Na, Sinta Klaas? Heute Nacht hast du ja wenigstens eine Ausrede, warum ich mal wieder umsonst dein Bett überzogen habe.“ „Vrolijke Kerstmis, Mams“, drückte er ihr einen Kuss auf die Wange und konnte sich gerade noch rechtzeitig wieder aufrichten, bevor Briony auf seinen Schoß sprang, um das Papier von ihrem ersten Geschenk zu reißen.

11

Linnea und Agneta hatten es sich auf dem Sofa bequem gemacht und schlürften selbstgemachten Punsch. Sie hatten Agnetas alten Plattenspieler vom Dachboden geholt und die leicht verstaubten Platten aufgelegt, die Linnea aus ihrer Kindheit kannte. Ihr Weihnachtsdinner war im Kühlschrank – niemand konnte ernsthaft erwarten, dass sie sich an den Herd stellten, auch wenn Weihnachten war, das würde ihnen nur das Fest zunichte machen – und sie hatten rechtzeitig daran gedacht, sich ein paar Kekssorten vorzubestellen, von denen sie nun einen Teil vor sich auf dem Couchtisch ausgebreitet hatten. Den anderen Teil hatten sie schon fast zur Gänze vertilgt.

„Weißt du, was schade ist?“, seufzte Linnea und lehnte den Kopf zurück. „Dass heute nicht Neujahr ist. Ich hätte so viele gute Vorsätze.“ „Und du meinst, du hast sie bis Neujahr wieder vergessen?“ „Nein, verworfen.“ Agneta lachte und wippte mit dem Fuß im Rhythmus. „Ich weiß heute schon, dass ich mir vornehme, meiner Tochter fürs nächste Jahr den perfekten Ehemann zu finden.“ „Oh, Mamma, bitte nicht!“ Und das sagte sie nicht nur, weil sie etwas wusste, dass ihre Mutter nie erraten könnte. „Linni“, fuhr Agneta jedoch fort. „Du wirst neunundzwanzig…“ „Und im nächsten Jahr werde ich wieder neunundzwanzig“, zwinkerte Linnea und stand dann auf, um in die Küche zu gehen. Langsam bekam sie Hunger, draußen war es dunkel und es war wirklich höchste Zeit, den Wein etwas atmen zu lassen, den gebeizten Lachs und den würzigen Frischkäse aus dem Kühlschrank zu holen, bevor sie ihn zum Auftauen in die Mikrowelle stecken mussten.

„Ach, ich finde es so schön, mein Kind an Weihnachten ganz für mich allein zu haben“, schwenkte Agneta ihr Glas und verschüttete beinahe etwas von seinem Inhalt auf den frisch geschrubbten Boden des Wintergartens. Linnea biss in ein Stück Schinken und lächelte milde. „Ernsthaft!“, wischte sich Agneta einen edlen Tropfen von ihrem Rock. „Männer sind ja sehr nett, aber meine Tochter ist mir der liebste Mensch auf der ganzen Welt.“ „Ich hab dich auch lieb, Mamma.“

Den Rest des Abends verbrachten sie damit, kitschige Weihnachtsfilme anzuschauen und schließlich – als die Filme zu gruselig wurden - Brettspiele zu spielen. Etwa eine halbe Stunde lang saßen sie mit ihren Weingläsern vor dem Fernseher auf dem Boden und amüsierten sich über einen Softporno – das Weihnachtsprogramm war auch nicht mehr das, was es mal war. „Oh Gott, sie reitet auf Luft! Da ist weit und breit kein Schwanz in Sicht!“, klopfte sich Linnea auf die Schenkel und Agneta kam nicht darüber hinweg „wie viele Haare der Typ auf der Brust hat“.

Am Weihnachtsmorgen hatten sie beide leichte Kopfschmerzen und trotteten mit der vollen Kanne Kaffee ins Wohnzimmer, um die restlichen Geschenke auszupacken, die sie sich ohnehin selbst gekauft hatten. Mit Außnahme derer, die sie sich die Mühe gemacht hatten, für einander auszusuchen, oder die von Freunden eingetrudelt waren.

12

„Aufwachen, Schlafmütze“, kitzelte sie etwas an der Nase und sie blinzelte. Haydn saß neben ihr auf dem Bett und streichelte ihr Gesicht mit einer blutroten Rose. „Grattis på födelsedagen!“ „Oh…“, lächelte sie und gähnte. „Das klang ja schon fast richtig.“ „Ha-ha“, beugte er sich zu ihr, um ihr einen Kuss zu geben. „Hmmm… Aber danke.“ Sie streckte sich und setzte sich dann genüsslich seufzend auf. Sie hatte ausgezeichnet geschlafen und es war ihr Geburtstag! Und vor ihr saß ein äußerst attraktiver junger Mann, in nichts als Shorts. „Sorry, dass ich mir die letzten Male nicht die Mühe gemacht habe, daran zu denken“, legte er ihr ein Paket in den Schoß und steckte die Rose in die Schleife, die darum herumgebunden war. Dass er jetzt daran dachte überstieg alles, was sie bis dahin über ihn geglaubt hatte und sie versuchte nonchalant zu wirken. „Ach, da bist du nicht alleine“, nahm sie die Rose an sich und roch daran. Wann hatte sie das letzte Mal Rosen zum Geburtstag bekommen?

Das Papier verlor den Kampf gegen ihre Neugierde viel zu früh und sie brach in schallendes Gelächter aus. „Ich dachte, es wäre m e i n Geburtstag“, hielt sie die Handschellen ins Licht, die mit pinkem Leopardenplüsch überzogen waren. „Na, sagen wir’s so“, beobachtete er sie grinsend, als sie die Lederkorsage und den nietenbesetzten Strumpfgürtel aus dem Karton holte. „Wir haben beide was davon.“ „Der ewige Egoist“, zwinkerte sie und fand dann etwas auf dem Boden des Kartons, das ihre Augen aufleuchten ließ. „Okay“, zog sie die Reitgerte heraus. „Das ist ein Geschenk nach meinem Geschmack!“ Damit schnalzte sie sie in Richtung Haydns nacktem Oberkörper. „Aber klär mich auf: Hat das hier einen Zweck oder bist du nur mal wieder ein Arsch?“ „Okay“, rückte er näher und nahm die Handschellen. „Damit“, klickte er sie um Linneas Handgelenk, „fesselt man einen“, ließ er sie um sein Handgelenk einrasten. „Und damit…“ Er wollte ihr die Reitgerte aus der Hand nehmen, aber sie klopfte ihm eilig damit auf die Finger. „Du bist unmöglich, Cavendish! – Ich hoffe nur, du hast dafür einen Schlüssel“, deutete sie dann auf die Handschellen. „Sonst musst du ernsthaft mit mir verheiratet sein.“ „Solange du nichts gegen eine Ménage á trois einzuwenden hast…“ Dann drückte er einen kleinen Knopf unter all dem Plüsch, machte sich los und griff hinter sich, um ihr triumphierend ein Kuvert zu überreichen. „Und was ist das?“, nahm sie an. „Meine Mitgliedskarte für den Sado-Maso Club?“ „Mach’s auf“, gelang es ihm, ihr die Gerte zu stibitzen und fuhr damit seinen Körper entlang, sodass sie sich kaum auf das Kuvert konzentrieren konnte.

„Du würdest deine arme kleine Freundin doch nicht so auf den Arm nehmen, oder?“, stammelte sie, nachdem sie für einen schier endlosen Moment lang absolut sprachlos gewesen war. In ihren zitternden Händen hielt sie zwei VIP Tickets für ein Alice Cooper Konzert in Toronto. „Ich habe mich vage daran erinnert, dass du mal erwähnt hast, dass du ein Poster von ihm gegenüber deinem Bett hattest.“ „Ich wollte ihn heiraten! – Ihn oder Nikki Sixx.“ Beinahe hätte sie ihn darum gebeten sie zu kneifen, um sicher zu gehen, dass das kein Traum war. Und Haydn hatte sich daran erinnert und er hatte sie ihr geschenkt. Das war vielleicht eine noch größere Überraschung – und Freude. „Bei Alice könnte nicht mal ich landen“, zuckte Haydn die Schultern, „aber Nikki ist immer offen für Vorschläge, soweit ich weiß.“ „Haydn Cavendish?“, sah sie auf und ihre Schultern sackten nach vor. Wenn es nicht zu kitschig gewesen wäre, hätte sie Tränen in den Augen gehabt. „Ich liebe dich.“ „Ich hab dich auch lieb, Babydoll“, streichelte er ihre Wange mit der Gerte und stellte dann die Kiste auf den Boden. „Und jetzt komm her, damit ich auch noch was von deiner Freude habe.“ Er schmeckte nach Pfefferminzzahnpasta und Linnea musste sich eingestehen, dass sie es unheimlich erregend fand, wie er das harte Leder der Gerte über ihre Brüste und Schenkel wandern ließ.

„Du hast aber nicht ernsthaft Alice Cooper angemacht?“, verschränkte sie ihre Finger mit seinen, als sie durch das winterlich graue Wien spazierten. Haydn blieb stehen und zuckte die Schultern. „Vielleicht?“ „Oh…!“, gab sie vor, ihm ins Schienbein zu treten und biss dann in ihr Stück warmen Apfelstrudel, das sie in einer kleinen Bäckerei auf dem Weg vom Hotel in die Altstadt gekauft hatten. Sie war zwar erst wenige Stunden zum ersten Mal hier, aber sie konnte schon jetzt sagen, dass ihr die Stadt wirklich gut gefiel. Sie mochte vor allem die Pferdekutschen, die trotz der Kälte auf zahlkräftige Touristen warteten, wie auch die Tatsache, dass sogar Schaufensterpuppen als Mozart verkleidet waren.

„Hmmm, was hältst du davon?“, waren sie vor den Temperaturen in ein Musikgeschäft geflüchtet und sie zeigte ihm eine CD. Haydn hielt darin inne, den Buchstaben D zu durchsuchen und warf einen schnellen Blick auf das Cover. „Angeblich sind sie ziemlich gut.“ „All wankers“, zuckte er die Schultern und grinste. Sie ließ sie CD sinken. „Wie ist es eigentlich, wenn man seine eigene Musik in den Regalen findet?“, fragte sie dann und sah ihn an. „So wie ein Blick in den Spiegel?“, zog er die Augenbrauen hoch. „Sei ehrlich“, öffnete sie die CD, um das Booklet heraus zu holen. „Haydn Cavendish“, las sie daraus laut. „Vocals, Guitar, Drums. ‚Silk Wire’, Lyrics/Music: Cavendish, Roche. Erhöht das nicht wenigstens deinen Puls?“ „Okay“, nahm er seine Hände von den CDs. „Ich gebe zu, beim ersten Mal wäre ich fast ohnmächtig geworden.“ Sie kicherte. „Aber“, griff er nach ihrem Schal und zog daran. „Aber du kennst mich: Natürlich finde ich unser Album in den Regalen. I know how fabulous I am.“ „Ach du“, winkte sie ab und steckte die Cd zurück. Plötzlich fand sie sich in Haydns Armen wieder, in einen äußerst leidenschaftlichen Kuss verwickelt. „Whoohaa…“ schnappte sie nach Luft und zog ihre Mütze zurecht. „Ey baby, wir sind hier nicht im Schlafzimmer.“ „Jemand hat unsere Alben durchstöbert. Ich wollte nur sichergehen, dass man mich nicht erkennt…“ Sie zog ihm die Mütze vom Kopf.

Nach einem Bummel durch die Altstadt, einem Besuch im Museum und einem Rundgang durch Schloss Schönbrunn – das sich nun auch wieder nicht so großartig vom Stockholmer Stadtschloss unterschied, aber für einen Kanadier war jede Burg ein Schloss -, kehrten sie kurz in ihr Hotelzimmer zurück, um Sex unter der Dusche zu haben und sich für den Abend herzurichten. Ein weiterer Teil ihres Geburtstagsgeschenks beinhaltete Opernkarten. Linnea war noch nie in der Oper gewesen. Sie mochte klassische Musik und sie kannte auch ein paar Namen, aber es hatte noch nicht zu ihren gewöhnlichen Freizeitbeschäftigungen gehört. Umso überraschter war sie, dass Haydn sich sogar ein wenig mit den Inhalten einzelner Werke auszukennen schien. Und ihr gefiel die Idee, sich ein bisschen hübsch zu machen, um in ein Theater zu gehen – vor allem als sie Haydn zum ersten Mal, seit sie sich kannten, in einem Anzug sah. Okay, schwarze Hosen, schwarzes Sakko und ein dunkelblaues Hemd, an dem er geflissentlich vergessen hatte die obersten Knöpfe zuzuknöpfen. „My oh my“, drehte sie sich herum, die sie gerade beschäftigt war, ihren Lidschatten im Garderobenspiegel aufzutragen und musterte ihren Ehemann, der sich, ganz das Topmodel, gekonnt herumdrehte. „Yes, I do scrub up quite nicely sometimes“, zwinkerte er dann und legte seine Armbanduhr an. „Aber ich muss neidlos zugeben, du hast auch keine schlechte Wahl getroffen.“ Sie sah an ihrem lila Kleid hinunter und streifte den Stoff glatt. „Und dabei hab ich es mir selbst gekauft.“

 

Ihre Plätze waren nicht die besten, aber das Linnea hatte vergessen, kaum dass der erste Akt vorüber war. Sie hatte sich schnell daran erinnert, dass sie Die Zauberflöte einmal im Stockholmer Schlosstheater aufgeführt hatten und sie Teile davon in einer Fernsehübertragung gesehen hatte, aber so, live, war es geradezu mitreißend. Sie mochte die Musik und die verschiedenen Charaktere und sie erschauderte innerlich, als die Königin der Nacht sich in schwindelnde Höhen sang.

Haydn hatte ihre Finger in seinem Schoß mit den seinen verschränkt und beobachtete vielmehr Linneas Reaktion zu den einzelnen Szenen auf ihrem Gesicht als das Geschehen auf der Bühne und spürte den unterschiedlichen Druck ihrer Hand. Es war schwer zu sagen, was er empfand, als er das tat oder woran er dachte. Eigentlich dachte er überhaupt nicht, was es umso angenehmer für ihn machte.

Linnea konnte hingegen gar nicht fassen, dass es ihnen gelungen sein sollte, zwei beinahe normale Wochenenden miteinander zu verbringen, in denen er sie tatsächlich behandelte, als wäre sie mehr als ein Mädchen das er bei einem Interview aufgerissen hatte. Hatte sie ihn etwa in ihrer Gegenwart tatsächlich ein wenig gezähmt? Doch alle Hoffnung zerfiel in winzig kleine Stückchen, als sie in der Pause von der Toilette zurückkam und ihn lachend und flirtend an der Bar vorfand, völlig in das Dekolleté einer jungen Frau neben ihm vertieft, die ihm auch noch an den Po fasste. Hatte sie eigentlich das Recht, ihm eine Szene zu machen? Sie waren immerhin nicht in seiner Öffentlichkeit und sie war seine Frau.

Die junge Frau hatte sich neben Haydn wiedergefunden, als sie zwei Glas Sekt für sich und ihre Freundin holen wollte. Sie trug ein schlichtes schwarzes Kleid, das jedoch kaum etwas der Phantasie überließ und sie zwinkerte ihm zu, als sie sich über die Theke beugte, um die Aufmerksamkeit der Kellner auf sich zu ziehen. „Argh, bis die sich bewegen ist die Pause längst vorbei“, brummte sie und Haydns Deutsch war gut genug, um zumindest die Umstände zu verstehen, auch wenn ihm der Dialekt Probleme bereitete. „Was darf’s denn sein?“, fragte er und versuchte seinen holländischen Akzent zu verstecken, den man meistens raushörte, wenn er Deutsch sprach. Sie hatte kurze metallicblonde Haare und war eigentlich so gar nicht sein Typ. Aber sie hatte dieses Blitzen in den Augen, als sie sich zu ihm drehte. „Zweimal Sekt.“ „Okay.“ Innerhalb weniger Sekunden stellte er die Gläser vor ihr hin und sie schüttelte den Kopf. „Wie hast du das gemacht?“ „Zauberei.“ „Ich bin beeindruckt“, steckte sie ihre Geldtasche zurück in ihre Handtasche. „Ach, das war doch nur eine Kleinigkeit“, zuckte er die Schultern. „Süßer Akzent“, zwinkerte sie und schlängelte sich dann mit den beiden Gläsern zurück zu ihrer Freundin. Haydn schüttelte nur lachend den Kopf und sah dann zu den Toiletten hinüber.

„Hey, was machst du später noch?“, tauchte dann auf einmal das Mädchen wieder neben ihm auf und er fuhr herum. „Was treibt ihr denn nachher noch?“ Er wusste, dass ihr die Zweideutigkeit des „ihr“ nicht entgangen war „Na ja, wir müssen unser Hotel finden…“ Nein, das war zu einfach. Zu schnell. „Aber vielleicht willst du uns später in einem Club oder einer Bar treffen?“ Dabei schob sie ihm ein Stück Papier in die Tasche. Er brauchte nicht darauf zu sehen, um zu wissen, dass es die Nummer ihres Hotels war. „Eigentlich“, sah er aus den Augenwinkeln Linnea auf sie zukommen und steckte die Hände in die Hosentaschen. „Eigentlich wollte ich meine Frau noch zu einem Mitternachtsdinner entführen…“ Jahrelange Erfahrung hatten ihn diesen Satz so timen lassen, dass sie in Hörweite gewesen war. Trotzdem war er über sich selbst überrascht. Er hatte schon eindeutigere Einladungen abgelehnt, aber er hatte noch nie einen solchen Vorwand angegeben.

Linnea war gleichermaßen verblüfft. „Hej, Käraste“, schob sie ihren Arm durch seinen und schlang ihn um seine Hüften. „Hej“, erwiderte er. Oh, sie hätte ihn am liebsten erdrückt. Und dann gab er ihr auch noch einen Kuss, der keinen Zweifel mehr daran ließ, dass er niemals mit diesem Mädchen ins Hotel gegangen wäre. Konnten Zeichen und Wunder tatsächlich geschehen?

Am nächsten Morgen küsste er sie wach. „Hmmm“, öffnete sie die Augen. „Wie spät ist es?“ „Kurz vor acht.“ „Warum weckst du mich dann?“, drehte sie sich herum und zog die Decke übers Kinn. „Ich muss zurück nach Kanada“, strich er ihre Haare zurück und küsste ihren Nacken. „Was?“, drehte sie sich herum. „Ich dachte, dein Flug geht erst heute Abend.“ „Sie brauchen mich für einen roten Teppich. So eine Charity Gala und es fehlen noch ein paar große Namen.“ „Oh…“ Er wusste, dass sie ihm nicht glaubte und er war ihr dankbar dafür, dass sie so tat als würde sie es tun.