Slow Dancing In A Burning Room

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5

Er legte die Schlüssel auf die Kommode und bückte sich, um seine Schuhe auszuziehen. Ronron kam angetapst und setzte sich neben seine Tasche, ihn beobachtend. „Na du?“, kraulte er den Kater hinter den Ohren und brachte dann seine Sachen ins Schlafzimmer.

„Hmmm, wo kommst du denn jetzt her?“ Sebastian legte die Zeitschrift zur Seite und sah zu Haydn auf, der die Sonnenbrille wieder auf seine Nase gleiten ließ und ihm dann mit einer Handbewegung andeutete, zur Seite zu rücken. „Von nirgendwo“, ließ er sich neben ihm aufs Bett fallen und stöhnte auf. „Lass mich raten“, setzte Sebastian sich auf und tippte sich mit dem Finger ans Kinn. Dann beugte er sich über Haydn, schob dessen Hemd hoch und küsste seinen Bauch. „Groß – etwa 1,85…“ Haydn wand sich lachend. „Das kitzelt.“ „Gut gebaut“, fuhr Sebastian fort und zwinkerte. „Vorne und hinten.“ „Ha-ha.“ Sebastian schob das Hemd immer weiter nach oben und küsste die Haut darunter. Dann berührten sich ihre Lippen. „Du hast ihn geküsst!“ Er nahm Haydn die Sonnenbrille ab und sah ihm in die Augen. „Verdammt, Junot, hast du denn gar keine Prinzipien mehr?“, richtete er sich wieder auf. „Nein, die hast du mir schon vor einer ganzen Weile ausgetrieben.“

Sebastian sank in die Kissen und stöhnte auf. „Wow.“ „Yep.“ „Das war…“ „Yep.“ „Ich dachte, du und ich…“ „I had a lot on my mind.“ „But not me.“ „Jan…“ „Hey, far from me to complain.“ Haydn legte seinen Arm um ihn und küsste ihn in den Nacken. „Tut mir leid, dass ich mich in letzter Zeit nicht sehen ließ.“ „Ich muss sagen, ich habe mich ein wenig vernachlässigt gefühlt.“ „Oh je.“ „I did miss you, you know?“ „I missed you too.“ „Liar!“ Er packte Haydns Bein und schlang es um seine Hüften. „Ich habe sogar brav geputzt und die Wäsche gewaschen UND gebügelt.“ „Oh mein Gott, hattest du nichts Besseres mit deinem Leben anzufangen?“ „Du glaubst nicht, was man so alles unterbringt, während man darauf wartet, dass die Waschmaschine fertig wird.“ Haydn lachte und rollte auf den Rücken. „I’m not sure I like your newfound domesticity.“ „Ich gebe mir Mühe.“ Er nickte langsam. „Das weiß ich.“ „Hey“, griff Sebastian nach der Decke und wickelte sie beide darin ein. „If the shoe fits…“ „We don’t know that yet, now do we? - Und jetzt entschuldige mich“, schob Haydn ihn von sich und stand auf. „Ich muss jetzt dringend unter die Dusche.“ „Huh, Baby“, packte Sebastian seine Hand und hielt ihn zurück. „Lass mich vorher deinen Knackarsch in diesen Jeans bewundern.“ „Du kannst ihn auch“, zog Haydn ihn hoch, „ohne Jeans unter der Dusche bewundern.“ „Huh, Baby!“

„Irgendwas ist anders an dir“, setzte Sebastian sich auf die Toilette und mustere Haydn, der seine nassen Haare kämmte. Sie waren lang und rot. „Ich weiß nicht, was du meinst“, sah Haydn ihn im Spiegel an. „Ich auch nicht so genau“, kniff Sebastian die Augen zusammen. „Aber irgendwas stimmt nicht ganz.“ Er stand wieder auf und musterte Haydn aus nächster Nähe. „Würdest du das lassen“, schubste Haydn ihn von sich und legte den Kamm weg. „Es ist nichts anders an mir.“ „Hmmm, zumindest äußerlich schon“, konstatierte Sebastian und wuschelte ihm durch die Haare. „Besser?“, fragte Haydn und Sebastian zwickte ihm in die Schulter. „Ja, viel besser.“

„Hast du auch daran gedacht, Brionys Zimmer herzurichten?“, suchte Haydn frische Kleidung aus dem Schrank und warf Sebastian ein paar Shorts zu. „Staub gesaugt und gewischt, wie aufgetragen. Das hast du mir aufgetragen.“ „Hmmm“, stützte Haydn sich auf die Schranktür. „You sure do make quite a good houseguest, I must say.“ „Ja“, zwängte Sebastian sich an ihm vorbei, um selbst ein T-Shirt aus dem Schrank zu nehmen. „Mit dem Unterschied, dass ich jetzt hier wohne. Sonst würde ich verlangen, dass du mich für meine Arbeit bezahlst.“ „Kein Grund sich zu prostituieren, mein Liebster“, bekam er daraufhin einen Kuss auf die Nase und Haydn begann Sachen aus seiner Tasche zu räumen, um sie in die Wäschetruhe zu stopfen.

„Wie ich sehe, hast du sogar eingekauft“, standen sie in der Küche und warteten darauf, dass die Kaffeemaschine zu Ende gebrodelt hatte. Haydn wohnte nicht mehr bei Sebastian. Er hatte, in einem Anfall von Überzeugung, den Jungen bei sich einziehen lassen. „Oh, absolutely!“, nickte Sebastian stolz. „Milch, Brot, Kaffee, Butter – alles da. Und ich hab sogar die Schokoflakes gekauft die Briony so sehr liebt. - Aber lass dir gesagt sein, dass das nicht zu Gewohnheit werden soll. Ich schmeiße keinen Haushalt.“ „Aber du bist so gut darin“, nahm Haydn sein Gesicht zwischen beide Hände. „Ich habe halb erwartet, dass ich nicht mehr zur Tür herein komme.“ „Pah!“, drückte Sebastian ihm das Brot in die Hand, das er eben aus dem Schrank geholt hatte und machte auf dem Absatz kehrt, um hinaus zu gehen. „Mach dir dein Sandwich doch selbst!“ Haydn sah das Brot an, das er ja gar nicht gewollt hatte und grinste dann: „So gefällst du mir schon besser.“

6

„Nein, die Taste“, drückte er ihren Finger nieder. „Nein die! – Du machst das absichtlich, nicht wahr?“ Sie nickte. „Okay. Dann sag mir, was das für ein Ton ist“, schlug er eine andere Taste an. „Ich dachte, du kannst nicht Klavier spielen.“ „Ich spiele ja auch nicht. – Also, was ist das für ein Ton?“ Er schlug die Taste noch mal an. „Ein F?“ „Ein F oder ein F??“ „Ein G.“ Er seufzte und stützte die Ellbogen auf die Tasten, was dem Klavier einen schreiend jammernden Laut entlockte und Linnea lehnte sich an seine Schulter. „Sorry, Schatz. – Ich werde mich benehmen“, richtete sie sich wieder auf. „Lehr mich Noten zu lesen, Maestro.“ Haydn schenkte ihr einen misstrauischen Seitenblick und seufzte dann. „Okay. Aber wirst du jetzt auch wirklich artig zuhören?“ „Indianerehrenwort“, machte sie ein Kreuz auf ihrer Brust. „Nur woher weiß ich eigentlich dass das alles richtig ist, was du mir da beibringst, wenn du nicht spielen kannst?“ „Ich kann Noten lesen!“

Linnea hatte am Morgen plötzlich verkündet, dass sie ein Instrument lernen wollte und Haydn sollte es ihr beibringen. Wahrscheinlich hätten sie am Abend zuvor nicht Rockstar im Pay TV sehen sollen, jedenfalls hatte Haydn eine Augenbraue hochgezogen und angemerkt, dass sie schon vor zwei Jahre festgestellt hätten, dass Linnea jegliches musikalisches Talent fehle. Linnea war jedoch der Meinung, dass sie es ja noch nie wirklich versucht hätte und vielleicht wäre ja ein echter Virtuose an ihr verloren gegangen. Und er, Haydn, wäre Schuld an diesem Verlust für die Welt. Da es noch früh am Morgen war und Haydn noch keinen Kaffee getrunken hatte, drehte er sich einfach um und zog die Decke über den Kopf. Linnea gab sich allerdings nicht geschlagen und kroch unter die Decke und wandte andere Mittel ihrer Überredungskunst an.

„Boy, you sure are determined“, schlug Haydn nach Luft schnappend die Decke zurück und Linnea grinste. „Also bringst du mir zumindest Notenlesen bei?“ „Die besten Musiker können nicht Notenlesen“, sprang Haydn aus dem Bett und Linnea quiekte auf. „Hey! Das ist nicht fair!“ „Sieh es als eine gute Übung“, packte er ihre Beine und kitzelte ihre Fußsohlen, bis sie fast aus dem Bett fiel, um ihm auszukommen.

„Also gut, was ist das für eine Note?“, malte er einen kleinen schwarzen Punkt in eine Notenzeile und Linnea überlegte. In ihrem Kopf zählte sie ja wirklich die Zeilen und versuchte die Tonleiter durchzugehen, die sie in der letzten Stunde durchgenommen hatten. „Ein A.“ „Braves Kind.“ „Kuss!“, tippte sie sich auf die Lippen und Haydn verdrehte die Augen. „Okay, für die nächste Tonleiter brauchen wir ein neues Belohnungssystem.“ Aber er gab ihr trotzdem ihren Kuss. So viel mehr hatten sie in der letzten Stunde auch nicht getan. Er hatte die Tonleiter praktisch in ihrem Mund rezitiert. „Nein, ich finde das gut so. Du darfst mir was beibringen und ich krieg meine Küsse.“ „Du tust es auch nur wegen der Küsse“, zwickte Haydn ihr in die Schulter. „Du hast gar nichts gelernt.“ „Natürlich“, rieb sie sich die Stelle und er sah sie leicht vorwurfsvoll an. „Das ist ein C, Léa.“ „Du hast gesagt, die besten Musiker können nicht Notenlesen.“ „Und du hast mir einen Blowjob gegeben, weil du unbedingt Musikerin werden willst.“ Sie hatte zu viele Bandbiografien gelesen. „Genau, also sehe ich nicht, worüber du dich zu beklagen hättest.“ „Gut“, nahm er die Blätter und klappte den Deckel zu. „Könnten wir dann bitte endlich nach oben gehen und Sex haben?“ „Ich dachte schon, du fragst nie“, sprang sie auf, aber er folgte ihr nur kopfschüttelt und mit einem gewissen Sicherheitsabstand.

„Huh, hätte ich nur gewusst, dass es so anstrengend ist, Musiker zu sein“, warf sie sich aufs Bett und streckte Arme und Beine von sich. Haydn lehnte in der Tür, die Notenblätter immer noch in der Hand und zog wieder die Augenbrauen hoch. „Wo warst du denn die letzten drei Jahre?“ „Wieso?“, hob sie gerade mal den Kopf und ließ ihn dann wieder zurück fallen. „Na, vielleicht bin ich Musiker?“, kratzte er sich die Nase mit einer Ecke des Papiers. „Oh“, sah sie wieder auf. „Ja, richtig“, lachte sie dann und er warf die Notenblätter nach ihr, bevor er ihre Hände packte und sie an den Kopfteil fesselte, ehe sie sich gegen ihn wehren konnte.

Angefangen hatte alles damit, dass sie in dem kleinen Hotel in Montmartre abgestiegen waren in dessen Foyer ein großer schwarzer Flügel stand. Die Rezeption war unbesetzt, aber Haydn schien das nicht weiter zu stören und er nahm ganz selbstverständlich und zielsicher einen Schlüssel von einem der Haken dahinter und Linnea folgte ihm nach oben und den Flur hinunter, bis sie vor einer Tür hielten bei der der Schlüssel passte. Das Zimmer das sie betraten war eindeutig kein reguläres Hotelzimmer. Dafür war es viel zu persönlich. In den Regalen standen Bücher, an den Wänden hingen Bilder, das Dekor war viel zu individuell. Haydn wirkte auch sofort wie zu Hause. Er ging zum Fenster, zog die Vorhänge beiseite und ließ frische Luft herein. Dann zog er seinen Mantel aus und warf ihn über einen der leicht unbequem aussehenden antiken Stühle die um den Couchtisch gereiht waren. Linnea ging durch den Raum und warf einen Blick auf die Bilder. Die meisten davon hatte Haydn gemalt. Wie sie später feststellen würde, hatte er fast alle Bilder gemalt, die in diesem Hotel aufgehängt waren.

 

„Möchtest du etwas zu trinken?“, kniete er vor einem kleinen Kühlschrank, den sie noch gar nicht gesehen hatte. Darauf standen außerdem eine Kochplatte, ein Minibackofen und ein Wasserkocher. Es war fast so wie eine kleine private Garconniere. „Ich fürchte, ich habe nichts hier“, schloss er die Tür, „aber ich gehe schnell nach unten in die Küche und hole etwas. Oder willst du Tee?“, richtete er sich wieder auf und holte eine Holzschachtel von einem Regal. „Tee ist noch genug da.“ „Tee klingt gut, danke“, setzte sie sich vorsichtig auf die Couch und verschränkte die Hände im Schoß. „Tea it is“, verschwand er in das kleine Badezimmer, um Wasser aufzufüllen. „Aber ich werde trotzdem schnell nach unten telefonieren, dass wir noch Handtücher brauchen. Und Mineralwasser.“ Er setzte den Kocher auf und griff nach dem Telefon.

„Du bist öfter hier“, stellte sie fest, als er aufgelegt hatte und er lachte. „Whatever gave you that idea?“ Sie deutete auf die Gitarre, die unter dem Fenster stand und die sie ebenfalls noch nicht auf Tour gesehen hatte. „Du hast Tourgitarren und du hast private Stücke.“ Über diese Antwort musste er lachen. Damit hatte er nicht gerechnet. „Very well observed“, ließ er dann seine Hand über das glänzende Holz gleiten und hob sie auf. Er strich über die Seiten und ließ sich in einen der Stühle fallen. Wieso konnte sie so was nicht? Wieso war sie so gänzlich unmusikalisch, dass eine Gitarre wie seine nur ein Stück Holz darstellte, dem ihre Finger höchstens ein paar falsche Töne entlockten? „Diese hier hat mir Mamie geschenkt. Sie hat sie von einem Flohmarkt, aber der Klang ist fantastisch. Wenn ich sie als Kind gespielt habe, habe ich mir immer Geschichten ausgedacht, wem sie wohl einmal gehört hat und was schon alles auf ihr gespielt worden ist.“ Er fing an, eine Melodie zu zupfen und dann begann er leise mitzusingen. Es jagte Linnea einen Schauer über den Rücken. Nicht nur, weil es äußerst selten vorkam, dass er in ihrer Gegenwart einfach nur etwas spielte, ohne dabei zu komponieren, sondern viel mehr wegen der Wahl des Liedes. Es war keine Eigenkomposition, Linnea kannte es sehr gut: Es war auf einer der Schallplatten, die ihr Vater so oft aufgelegt hatte. Elias hatte ihr einmal erklärt, um was es in den Lyrics ging, als sie noch zu jung gewesen war, um die Sprache und die Worte zu verstehen und sie hatte den Song immer wieder aufgelegt und sich die Bilder dazu im Kopf bewahrt. Aber als ihr Vager auszog hatte er die Platten mitgenommen und Linnea hatte das Lied so gut wie vergessen. Dass dieser junge Mann vor ihr, der sich manchmal ihr Ehemann nannte und meistens Mistkerl, ausgerechnet dieses Lied ausgesucht hatte, das eigentlich so gar nicht zu ihm passte, war fast zu viel für Linnea. Zu oft wusste er scheinbar zu genau, wer sie war, ohne es wissen zu können. Wieso musste sie ausgerechnet einen Faible für Musiker haben? Konnte sie sich nicht eine etwas weniger komplexe Menschengruppe aussuchen?

Irgendwann klopfte es an der Tür und Linnea schreckte regelrecht aus ihren Träumen und wusste plötzlich nicht, ob sie den Menschen vor der Tür verfluchen sollte oder ihm dankbar sein, dass die Intimität des Augenblicks nun durchbrochen war. Haydn sah kaum auf, als er den Besuch herein rief. Es war eine ältere Dame mit langem grauem Haar, das zu einem dicken Zopf geflochten war. Ihre Garderobe war bunt und lose, passte aber durchaus zu ihrem Typ. „Haydn, mon chéri!“, ging sie sofort auf den jungen Mann zu, der ihr den Kopf hinreckte, ohne die Gitarre abzusetzen. Die Dame beugte sich zu ihm und gab ihm einen dicken Schmatz auf die Lippen. Linnea setzte sich auf. „Schön, dass du wieder mal hier bist“, sagte die Dame in breitem Pariserisch und Linnea hatte alle Mühe es zu verstehen. „Ich habe immer Sehnsucht nach Paris“, antwortete Haydn fröhlich und lehnte die Gitarre nun doch an den Tisch. „Und Paris nach dir“, lächelte die Dame und warf einen Blick auf Linnea, unschlüssig, ob sie die junge Frau bereits kennen gelernt hatte oder ob sie erst gar nicht erst fragen sollte. Haydn zögerte einen Moment und Linnea hatte ihrem Blick standgehalten, selbst zu unsicher, wie sie reagieren sollte.

„Mamie“, setzte er sich dann auf. „Mamie, das ist Léa.“ Das war also seine Großmutter. „Salut“, reichte sie Cyrielle Junot die Hand. „Salut, mademoiselle Léa“, erwiderte sie und damit schien alles wieder in Ordnung zu sein. Cyrielle ging zum Kühlschrank, schüttete den vergessenen Tee weg und machte neuen. Haydn stand auf, um ihr zu helfen und die beiden verfielen bald in ein Frage-Antwort Spiel, dem Linnea nicht mehr folgen konnte und sie nahm eine der Zeitschriften vom Tisch. Sie blätterte darin bis Cyrielle ihr eine Tasse frischen Tee vorsetzte. Die alte Dame blieb vor ihr stehen und musterte Linnea freundlich, bevor sie ihr eine Hand an die Wange legte. „Très adorable“, lächelte sie und ging aus dem Zimmer. „Was hast du ihr gesagt?“, fuhr Linnea herum, aber Haydn zuckte nur die Schultern und nahm seine Gitarre wieder auf. „Ich habe ihr nur gesagt, dass du kein Model bist.“

Später, als der ohnehin schon vorangeschrittene Nachmittag endgültig in den Abend überging, stiegen sie aus dem Bett, hoben die Notenblätter auf und machten sich auf den Weg durch Montmartre. Paris lag in der Dämmerung und der Spätherbst hatte fast alle Blätter von den Bäumen gefegt. Es war relativ kühl und Linnea knöpfte ihren Mantel zu. Sie hatte sich besonders chic gemacht für diesen Abend – die Tatsache, dass sie nun nicht mehr so große Hemmungen zu haben brauchte Haydns Kreditkarte zu benutzen, hatte dabei ein wenig geholfen – und sie trug Kniebundhosen, ein seidenes Trägertop und eine bestickte Jacke unter dem vergleichsweise eleganten Mantel. Sie hatte auch ein wenig geübt, besser auf Heels gehen zu können, aber das Pariser Pflaster ließ sie sich noch ein bisschen an Haydns Arm klammern, der lachend darüber hinwegsah.

Er führte sie in kleines Restaurant, wo man ihn bereits am Eingang freundlich begrüßte wie einen alten Freund und man gab ihnen sofort den besten Tisch im ganzen Raum. „Dich haben wir hier ja schon ewig nicht mehr gesehen“, reichte der junge Kellner ihnen die Menükarten und Haydn zuckte die Schultern. „Ich hatte viel zu tun.“ „Schön zu sehen, dass du uns trotzdem nicht vergessen hast.“ „Wie könnte ich das beste Steak in ganz Paris vergessen?“, zwinkerte Haydn und Linnea lächelte. Er war so unglaublich sexy, wenn er keine Rolle spielte.

„Oh mon dieu, je ne le crois pas!“, kam plötzlich ein weiterer junger Mann aus der Küche auf sie zu gelaufen. „Haydn!“ Der Angesprochene sah auf und sein Gesichtsausdruck war für eine Nanosekunde entsetzt, bevor er sich augenblicklich wieder fing und lächelte. „Mathieu! Das ist ja eine Überraschung…“ Aber keine besonders angenehme, wie Linnea trotzdem sehen konnte. „Ich bin der neue Sous-Chef“, umarmte ihn der junge Mann, der nichts von Haydns plötzlicher Distanziertheit bemerkte. „Das ist ja großartig“, schob Haydn ihn bemüht freundlich von sich. „Gratuliere.“ „Danke, danke. – Oh, pardonnez-moi“, wandte er sich dann an Linnea, die dem Ganzen etwas abseits zugesehen hatte. „Ich habe meinen Cousin schon seit bald einem Jahr nicht mehr gesehen und habe darüber ganz meine Manieren vergessen: Ich bin Mathieu Junot.“ Er hielt ihr unschuldig strahlend die Hand entgegen und Linnea fing Haydns Blick ein, der etwas verkniffen war. „Erm… Linnea.“ „Wie bitte?“ „Léa“, wiederholte Haydn und nahm wieder die Menükarte zur Hand. „Oh, Léa“, nickte Mathieu. Warum bedeutete hier ihr Name jedem etwas? „Mon plaisir. Freut mich sehr.“ „Mathieu, sei so gut und bring uns eine Flasche Wein“, schob Haydn die Getränkekarte zwischen seinen Cousin und Linnea. „Gerrard weiß schon, welchen ich meine.“ „Natürlich, natürlich“, nickte Mathieu fröhlich und ließ Linneas Hand los. „Kommt sofort.“

„Du hast nicht gewusst, dass er hier arbeitet?“, stellte sie fest und musterte dabei sein Gesicht. „Nein“, schüttelte er den Kopf. Es gefiel ihm auch nicht besonders und Linnea konnte sich denken, warum. Nur: Wenn ihm sein Privatleben so heilig war, sollte er Linnea nicht ständig hineinziehen! Der Wein kam, aber Mathieu musste sofort zurück in die Küche, um nicht gefeuert zu werden und so konnte das Paar sein Essen in Ruhe genießen. Haydn hatte nicht zu viel versprochen: Das Steak war wirklich ausgezeichnet und Linnea konnte einfach nicht verhindern, ihn damit aufzuziehen, dass er seinen Teller leer gegessen hatte – zum ersten Mal seit sie sich kannten. „Red keinen Unsinn“, wehrte Haydn jedoch ab. „Ich esse immer auf.“ „Ja, aber deine Portionen sind meist so klein, dass sie mit zwei Bissen weg sind.“ „Ich glaube, der Wein steigt dir zu Kopf, meine Liebe.“ „Wenn ich jetzt noch eines dieser fabelhaft aussehenden Desserts bestelle, könnte es dann sein, dass ich dich ernsthaft satt erleben darf?“ „All I need is the air that I breathe in to fuck you“, zuckte er die Schultern. „Was glaubst du, warum ich immer nur so wenig esse?“ Aber er grinste und bestellte ein Dessert mit zwei Löffeln.

„Oh oh oh min Gud!“, sank sie in ihrem Stuhl zurück und schloss die Augen. „Das ist fantastisch.“ „Offensichtlich sogar besser als Sex?“, musterte Haydn sie lächelnd und Linnea blinzelte. „Hmmm“, leckte sie den Löffel ab. „Schwer zu sagen.“ Sie tauchte ihn wieder ein und hielt ihn dann Haydn an den Mund. „Sag du’s mir.“ „Ahhh“, machte er ihn auf und sie schob den Löffel hinein. „Oh my“, leckte er sich die Lippen und fuhr sich übers Kinn. „Das legt die Latte verdammt hoch.“ Er nahm seinen eigenen Löffel und fütterte Linnea. „Yummy“, seufzte sie. „Sei ehrlich: Hattest du schon mal so gute Eiscreme?“ „Hmm“, zog er den Löffel langsam aus dem Mund. „Ich hatte noch nie so guten Sex.“ „Ha-ha!“ Er lachte und griff nach seiner Serviette. „Ich fürchte, ich werde die Rechnung verlangen müssen und dir augenblicklich beweisen, dass ich besser bin als Eiscreme.“ Aber er tauchte nur seinen Löffel wieder in den Becher und hielt ihn Linnea an den Mund.

Nachdem sie ausgetrunken hatten und er die Rechnung beglichen hatte, half er ihr in den Mantel und sie verabschiedeten sich von Gerrard, als Mathieu erneut aus der Küche gelaufen kam. „Ihr geht doch nicht, ohne euch zu verabschieden?!“, rief er und stolperte fast über einen Blumentopf. „Es hat großartig geschmeckt“, fing Haydn ihn auf. „Man hat fast nicht bemerkt, dass du deine Finger im Spiel hattest.“ „Ha-ha“, grinste Mathieu und gab ihm ein Küsschen auf beide Wangen. „Wenn du das nächste Mal in der Stadt bist, komm wieder vorbei. – Und du auch“, küsste er auch Linnea, bevor diese sich wehren konnte. „Und richte Mamie aus, dass ich am Wochenende zu Kaffee und Kuchen komme. Ich würde ja noch gerne nach der Schicht vorbei kommen, aber es wird spät und ich will euch zwei Turteltauben nicht stören. – Außerdem will Mamie dich sicher für sich allein. Du warst ja immer schon ihr Lieblingsenkel, auch wenn du das nicht verdient hast.“ „Hat mich gefreut dich wieder zu sehen“, öffnete Haydn die Tür und schob Linnea hinaus. „Liebe Grüße an deine Eltern.“ „Richte ich aus“, verbeugte sich sein Cousin. „Richte ich aus. – Aber beim nächsten Mal komm einfach selbst in persona vorbei. Maman hat schon nach dir gefragt.“ „Sag ihr, ich suche immer noch nach dem perfekten Kleid für sie.“

Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her, dann nahm sie seinen Arm und sah ihn von der Seite an. „Ich mag dein Paris sehr“, flüsterte sie. „Viel mehr als Paris.“ „Du warst doch ohne mich noch gar nicht hier.“ Sie lachte leise. „Nein, aber ich stelle es mir laut und dreckig vor.“ „Jede Großstadt ist laut und dreckig.“ „Und warum kommst du dann so gerne hierher?“ „Deshalb“, deutete er um sich. „Weil ich weiß, wohin ich gehen muss. – Und wenn du in Zukunft in diese Stadt kommst, dann sollst du wissen, dass du bei Mamie immer willkommen bist. Und um Mathieu mach ich mir keine Sorgen. Den kümmern meine Affären nicht besonders, ich bin mir nicht einmal sicher, dass er darüber Bescheid weiß.“ Ach so, seine Affären. Darum hatte seine Großmutter ihn erst nach ihr fragen müssen. Es war also gar nichts Besonderes, das er seine Damen hierher ausführte?

„Er und ich waren nie besonders eng, aber trotzdem beneide ich ihn um eine Sache.“ Seine Stimmung hatte sich schlagartig geändert und Linnea schüttelte den Kopf, nicht sicher, ob er einen Kommentar erwartete. „Darum, dass Mamie ihm einmal ihr Hotel vermachen wird.“ Oh… „Ich wohne in diesem Zimmer seit meiner Jugend. Ich hab an der Rezeption mitgeholfen und die Abrechnungen mitgemacht und mit den Jahren habe ich die Bilder gemalt und bei Umgestaltungen mitgeplant…“ Linnea spürte etwas in seiner Stimme, das sie bislang nur in Bezug auf seine Tochter kannte. Wenn sie es nicht besser wüsste, hätte sie es mit „Sehnsucht“ bezeichnet. „Du… Du hättest es gerne.“ Das war keine Frage, das war längst eine Feststellung. Er nickte. Sie nahm wortlos seinen Arm und legte ihn um ihre Hüften. Für diesen kurzen Augenblick erschien er so menschlich - auch wenn das wahrscheinlich das Letzte war, was er vermitteln wollte – und sie hielt ihn zurück und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Das war die einzige Geste, die ihr in diesem Moment angebracht schien.