Handbuch der Sprachminderheiten in Deutschland

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5.2.1 Sprachenpolitik als language policy

Dem ersten Grenzlandbeauftragten Kurt Hamer schwebte ein Projekt „Modell Nordfriesland“ vor, das er so beschrieb:

Es müsste langfristig angelegt sein, alle Maßnahmen zur Förderung der friesischen Sprache und Kultur umfassen, und es müsste ökonomisch und ökologisch untermauert sein, damit Friesen tatsächlich in ihrer Heimat Nordfriesland sein und bleiben können. (Hamer 1990: 71)

Leider starb Hamer zu früh, als dass er das Modell noch hätte ausarbeiten können.

Fast der einzige Politiker, der sich ernsthaft mit der Theorie der Sprachenpolitik in Bezug auf Schleswig-Holstein beschäftigt hat, ist der frühere Landtagsabgeordnete und spätere Staatssekretär Rolf Fischer (Fischer 1998, Fischer/Schulz 1998, Fischer/Pauls 2011, Fischer 2013). Er verweist auf die erfolgreiche Minderheitenpolitik Schleswig-Holsteins, macht aber gleichzeitig auf die Gefahr des „Klammergriff[s] der Routine“ und der „Erstarrung durch ‚Bürokratisierung‘“ aufmerksam (2013: 40). Da seines Erachtens „[d]ie Wissenschaft […] heute ein Interesse am Entwurf einer zukunftsorientierten deutschen Minderheitenpolitik vermissen [lässt]“ (2013: 44), plädiert er in acht Thesen für einen „Neustart“ in der Minderheitenpolitik. Dies wird als eigenständiges Politikfeld, als politische Querschnittsaufgabe verstanden, die eine enge Zusammenarbeit von Minderheiten, Politik und Wissenschaft voraussetzt. Minderheitenpolitik gilt als „eine stetige Aufgabe“, die „nicht statisch, sondern dynamisch“ und „ebenso vielschichtig wie komplex“ ist (2013: 47).

Den ersten Versuch, ein umfassenderes sprachplanerisches Konzept für das Friesische zu entwickeln, brachte der Friesenrat 2004 in der Broschüre „Modell Nordfriesland/Modäl Nordfriislon“ heraus, das 2006 in einer überarbeiteten Fassung neu herausgegeben wurde. Dieser erste gute Ansatz ist bis heute nicht weiter in Anlehnung an die internationale Literatur auf dem Gebiet der Minderheiten- und Sprachenpolitik entwickelt worden. Es hat zwar 2013 (Pingel 2013: 12–21), 2017 (Riecken 2017: 8) und 2018 Konferenzen zur allgemeinen Thematik gegeben, die aber den ersten Ansatz kaum weitergebracht haben. Auf einzelnen Gebieten, neuerdings etwa in der Frage von Friesisch in der Schule, gibt es positive Entwicklungen, aber sie finden sich in keinem Gesamtkonzept wieder. Problematisch ist die Frage, wer oder welche Einrichtung von der fachlichen Qualifikation her ein solches modernes sprachplanerisches Konzept entwickeln könnte und vom Aufgabenbereich her entwickeln sollte.

2015 hat die Minderheitenbeauftragte Renate Schmack einen „Handlungsplan Sprachenpolitik“ herausgegeben, dessen Leitbild ein geschlossener Bildungsgang für die einzelnen Regional- oder Minderheitensprachen ist (Schnack 2015). Der Handlungsplan soll unter dem neuen, seit 2017 amtierenden Minderheitenbeauftragten Johannes Callsen fortgeführt werden.

5.2.2 Sprachpolitik als language politics

Trotz guter Ansätze seitens der Grenzland- und Minderheitenbeauftragten und vieler Sonntagsreden lässt sich die vage formulierte „policy“ nur schwer umsetzen, da die Besonderheiten einer Minderheitenpolitik in den normalen politischen Strukturen und Abläufen kaum Berücksichtigung finden. Die Umsetzung scheint u.a. durch Unwissenheit, manchmal durch eine fehlende Priorisierung seitens der teilweise überarbeiteten Behörden vernachlässigt zu werden. Es gibt aber auch positive Entwicklungen. Es ist nicht auszuschließen, dass es seitens der friesischen Volksgruppe manchmal an einem hartnäckigen Durchsetzungsvermögen und entsprechendem politischen Geschick fehlt.

Im o.g. Handlungsplan von 2015 ist u.a. ein durchgehendes Unterrichtsangebot auf Friesisch an den Schulen in der Bökingharde mit einem Schwerpunktzentrum für die Sekundarstufe in Niebüll vorgesehen. Als eine im Fach Friesisch qualifizierte Gymnasiallehrerin sich um eine Stelle am Gymnasium in Niebüll bewarb, wurde sie jedoch abgelehnt, da ihre Hauptfächer an der Schule bereits belegt waren. Die Qualifizierung im Fach Friesisch spielte keine Rolle. Trotz des gut gemeinten Ansatzes der Minderheitenbeauftragten gibt es heute an den weiterführenden Schulen in Niebüll einschließlich des Gymnasiums keinen Friesischunterricht.

5.3 Politische Entwicklungen auf unterschiedlichen Ebenen

Die Maßnahmen zur Förderung der friesischen Volksgruppe umfassen politische Entwicklungen sowie die Einführung und den Ausbau von Strukturen, die zum Teil bereits bestehende Strukturen ergänzen. Sie befinden sich auf unterschiedlichen Ebenen, zum Beispiel auf der lokalen, regionalen, nationalen und europäischen Ebene. Einige Strukturen teilt die friesische Volksgruppe mit den anderen autochthonen Sprachminderheiten, zum Teil auch mit der niederdeutschen Sprachgemeinschaft.1

5.3.1 Die lokale Ebene (Kreis)

In der 2005 verabschiedeten bzw. ab 29. Juni 2018 geltenden neuen Hauptsatzung des Kreises Nordfriesland steht in § 3 Absatz 2 folgender Satz: „Der Kreis schützt und fördert die kulturelle Eigenständigkeit der dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe“.1 In der Nachtragssatzung 2013 werden in § 4 Absatz 1, Punkt c) die Aufgaben des Kultur- und Bildungsausschusses dargestellt. Diese enthalten u.a. die „Vorbereitung von Beschlüssen des Kreistages in den Gebieten […] Heimat- und Sprachenpflege, […] Kulturarbeit der dänischen Minderheit und der friesischen Volksgruppe, […] [den] Erhalt[ ] der kulturellen Vielfalt in Nordfriesland.“

2011 erschien der erste und bis jetzt einzige Minderheitenbericht des Kreises Nordfriesland. Am 19. November 2013 fand eine Anhörung zur aktuellen Situation der Minderheiten in Nordfriesland im Husumer Kreishaus statt.

5.3.2 Die regionale Ebene (Land)

Im Land Schleswig-Holstein begann in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre eine neue Ära der Minderheitenpolitik, die durch die Einführung neuer Strukturen gekennzeichnet war.1

Der/Die Minderheitenbeauftragte

Als 1988 das Amt des Grenzlandbeauftragten (2000 erfolgte eine Umbenennung in das Amt der Minderheitenbeauftragten2) eingerichtet wurde, bekamen die Minderheiten in Schleswig-Holstein, und später auch die niederdeutsche Sprachgemeinschaft, einen Ansprechpartner bzw. eine Ansprechpartnerin auf Landesebene.

Die bisherigen Grenz- und Minderheitenbeauftragten sind Kurt Hamer (SPD; 1988–1991),3 Kurt Schulz (SPD; 1991–2000),4 Renate Schnack (SPD; 2000–2005), Caroline Schwarz (CDU; 2005–2012), Renate Schnack (SPD; 2012–2017)5 und seit 2017 Johannes Callsen (CDU). Während Kurt Hamer, Kurt Schulz und Renate Schnack das Amt ehrenamtlich ausübten, nahm Caroline Schwarz ab 2008 das Amt hauptamtlich wahr. Bei Johannes Callsen ist neu, dass der Minderheitenbeauftragte gleichzeitig Landtagsabgeordneter ist. Die einzelnen Amtsinhaber und Amtsinhaberinnen haben unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und eine unterschiedliche Arbeitsintensität gezeigt.

Im Rahmen des Friesischstudiums an der Universität Kiel finden Exkursionen in den Schleswig-Holsteinischen Landtag statt, um mit dem/der Minderheitenbeauftragten sowie mit den minderheitenpolitischen Sprechern und Sprecherinnen der einzelnen Landtagsfraktionen über die Minderheitenpolitik im Lande zu diskutieren. Bei einem solchen Besuch wurde die Minderheitenbeauftragte Caroline Schwarz gefragt, ob es zu ihren Aufgaben gehöre, Gesetzesentwürfe in Bezug auf ihre Bedeutung für die Minderheitenpolitik zu überprüfen. Dies hat sie verneint. Im Falle des Schulgesetzes 2007 hätte eine solche Überprüfung hilfreich sein können (vgl. Abschnitt 7.3.2).

Die Minderheitenberichte des Landtages

Seit 1986 soll in jeder Legislaturperiode ein Minderheitenbericht erstellt werden. 1986 erschien der erste Bericht über die dänische Minderheit in Deutschland und die deutsche Minderheit in Dänemark (Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages 1986). 1987 folgte ein Bericht über den friesischen Bevölkerungsteil (Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages 1987). 1990 fand ein Arbeitstreffen im Landeshaus Kiel statt, das in der Broschüre „Berichte zur Lage der Minderheiten“ dokumentiert ist (Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages 1991). Der anschließende Bericht 1992 umfasste sowohl die friesische Volksgruppe als auch die beiden nationalen Minderheiten (Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages 1992). 1996 wurden auch die deutschen Sinti und Roma in den Bericht aufgenommen (Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages 1996). Seitdem sind Berichte 1999, 2003, 2008, 2012 und 2017 erschienen (Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages 1999, 2003, Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein 2008, 2012, 2017).6 Die Berichte geben immer Anlass zu einer Debatte im Landtag.

Da die Berichte in der Regel nur den aktuellen Stand in den einzelnen Bereichen (z.B. Bildung) wiedergeben, ist es erforderlich, alle Berichte zu studieren, um Entwicklungen festzustellen.

Die Berichte zur Europäischen Charta

Im Jahre 2000 hat der Schleswig-Holsteinische Landtag die Landesregierung aufgefordert, jeweils in der Mitte der Legislaturperiode, einen Bericht über die Umsetzung der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen in Schleswig-Holstein vorzulegen. Solche Berichte sind 2003, 2007, 2016 und 2019 erschienen.

Das Friesengremium

1988 wurde das Gremium für Fragen der friesischen Bevölkerungsgruppe im Lande Schleswig-Holstein gegründet. In der Regel trifft sich das Gremium zweimal im Jahr. Dem Gremium gehören Vertreter und Vertreterinnen der Landtagsfraktionen, Bundestagsabgeordnete aus Schleswig-Holstein, der/die Minderheitenbeauftragte sowie Vertreter und Vertreterinnen der friesischen Verbände an.

 

Das Gremium gibt den friesischen Vertretern und Vertreterinnen die Möglichkeit, sich über Probleme und Entwicklungen mit den politischen Ansprechpartnern und -partnerinnen auszutauschen.

Der Schleswig-Holsteinische Heimatbund (SHHB) 7

Der SHHB unterhält einen Ausschuss für Niederdeutsch und Friesisch. Hier informieren sich die Mitglieder über aktuelle Themen und Entwicklungen in Bezug auf diese Sprachen und beobachten ferner, inwiefern das Land seinen übernommenen Verpflichtungen aus der Europäischen Charta nachkommt.

5.3.3 Die nationale Ebene

Der parlamentarische Arbeitskreis

Seit 2005 gibt es beim Deutschen Bundestag einen parlamentarischen Arbeitskreis zu Fragen der nationalen Minderheiten, in dem sich mit Unterstützung des Vorsitzenden des Innenausschusses Abgeordnete mit den Vertretern der Dachorganisationen der nationalen Minderheiten ein- bis zweimal im Jahr beraten (Boysen 2012: 202ff.). Im Bundestag finden auch Debatten zur Minderheitenpolitik statt.

Der Beauftragte für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten

Das 1988 eingerichtete und am Bundesministerium des Innern angesiedelte Amt des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen wurde im November 2002 erweitert, um ebenfalls die Belange der nationalen Minderheiten wahrzunehmen.1 Dieser ist der zentrale Ansprechpartner für die nationalen Minderheiten auf der Bundesebene. Seit März 2018 ist Prof. Dr. Bernd Fabritius (CSU) Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten (Nordfriisk Instituut 2018c). Die bisherigen Amtsinhaber waren Jochen Welt (SPD; Dez. 1998–Okt. 2004), Hans-Peter Kemper (SPD; Nov. 2004–Feb. 2006), Dr. Christoph Bergner (CDU; Feb. 2006–Dez. 2013) und Hartmut Koschyk (CSU; Jan. 2014–Okt. 2017).

Im November 2014 haben der Beauftragte und die Minderheiten das Grundsatzpapier „Charta-Sprachen in Deutschland – Gemeinsame Verantwortung“ vorgestellt, das „den Startpunkt für eine von Bund, Ländern, Minderheiten und Niederdeutsch-Sprechern gemeinsam zu entwickelnde sprachenpolitische Ausrichtung für die Charta-Sprachen in Deutschland [setzt]“ (Minderheitenrat/Der Beauftragte für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten 2014: 2). Es ist jedoch unklar, inwiefern dieser Ansatz sich bislang überhaupt bemerkbar gemacht hat.

Öffentlichkeitsarbeit

Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit zur Frage der nationalen Minderheiten hat das Bundesministerium des Innern diverse Broschüren herausgebracht: 2004 „Nationale Minderheiten in Deutschland“, 2008 „Regional- und Minderheitensprachen in Deutschland“ (mit Niederdeutsch) und 2015 in der 3. Auflage „Nationale Minderheiten. Minderheiten- und Regionalsprachen in Deutschland“. Im Jahre 2000 ist ebenfalls eine vom Schleswig-Holsteinischen Landtag unterstützte Broschüre „Kulturen-Sprachen-Minderheiten. Ein Streifzug durch die dänisch-deutsche Grenzregion“ erschienen.

Der Minderheitenrat

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands hat sich ein loser Verband von Vertretern der vier autochthonen nationalen Minderheiten und Volksgruppen Deutschlands gebildet, der sich regelmäßig traf. 2002 schlossen sich die Minderheiten zu einem Minderheitenrat zusammen (Boysen 2012: 200f.), dessen Konstituierung am 9.9.2004 erfolgte. Der Minderheitenrat setzt sich für die Förderung und Schutz der vier Minderheiten ein und vertritt gemeinsam deren Interessen gegenüber der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag.2

Das Minderheitensekretariat

Das Minderheitensekretariat in Berlin wurde 2005 gegründet.3 Es versteht sich als Verbindungsstelle der Verbände der anerkannten Minderheiten zu den Bundesorganen Bundestag, Bundesregierung sowie Bundesrat. Zu seinen Aufgaben gehören u.a. die Kontaktpflege und Darstellung der Positionen der vier anerkannten Minderheiten gegenüber Bundestagsausschüssen, Bundestagsabgeordneten, Fraktionen, Regierung und Ministerien.

Der Beratende Ausschuss für Fragen der friesischen Volksgruppe

Der Beratende Ausschuss für Fragen der friesischen Volksgruppe wurde am 1. Juni 2005 konstituiert. Er sichert den Kontakt der friesischen Volksgruppe zu der Bundesregierung und dem Deutschen Bundestag. Im Ausschuss sitzen Vertreter und Vertreterinnen der friesischen Verbände, von Ministerien, der Politik sowie der Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein (Bundesministerium des Innern 2015: 59f.).

5.3.4 Die europäische Ebene

Die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen

Die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV) wurde 1949 gegründet (Kühl 2000). FUEV ist eine unabhängige Dachvereinigung von Organisationen nationaler Minderheiten in Europa und hat ihren Sitz in Flensburg. Sie versteht sich als Nachfolgeorganisation des von 1925 bis 1938 bestehenden Europäischen Nationalitätenkongresses und hat als Ziel die Erhaltung und Förderung der nationalen Identität, der Sprache, der Kultur und der Geschichte von nationalen Minderheiten.1

Ein Vertreter der Foriining for nationale Frashe (heute Friisk Foriining) wurde 1949 zum Kongress in Versailles eingeladen, der als die Gründungsversammlung von FUEV gilt. Der Nordfriesische Verein für Heimatkunde und Heimatliebe trat 1954 FUEV bei. Die unterschiedliche Haltung der beiden friesischen Vereine gegenüber der FUEV spiegelt den langen Streit bezüglich des Status der Nordfriesen wider. Der Nordfriesische Verein hat den Status der Nordfriesen als „nationale Minderheit“ lange abgelehnt. Als Kompromiss gelten die Friesen heute als „Volksgruppe“. 2010 hat der Nordfriesische Verein seine Mitgliedschaft auf Grund fehlenden Interesses wieder gekündigt.2

Die Jugend Europäischer Volksgruppen

Die Jugend Europäischer Volksgruppen (JEV) wurde 1984 als unabhängige, internationale, nichtstaatliche Jugendorganisation gegründet.3 Ihr Hauptziel ist die Erhaltung und Entwicklung von Minderheiten- und Volksgruppenrechten. Traditionell spielen junge Nordfriesen und insbesondere Nordfriesinnen hier eine bedeutsame Rolle.

Das Europäische Büro für Sprachminderheiten

Das Europäische Büro für Sprachminderheiten (European Bureau for Lesser Used Languages – EBLUL) wurde 1982 auf Initiative des Europäischen Parlamentes gegründet und hatte seinen Sitz in Dublin, später Brüssel. 2010 wurde das Büro aufgelöst.4

Ziel des Büros war es, die europäische Sprachenvielfalt in Form der Regional- und Minderheitensprachen zu fördern sowie die Zusammenarbeit zwischen kleinen Sprachgemeinschaften zu stärken.

Das Büro hatte in sämtlichen EU-Mitgliedsstaaten nationale Komitees, in denen alle im betreffenden Staat anerkannten Regional- und Minderheitensprachen vertreten waren. Mitglieder des Komitees für die Bundesrepublik Deutschland5 waren die dänische Minderheit, die deutschen Sinti und Roma, die Nord- und Saterfriesen, die Sorben sowie die niederdeutsche Sprachgemeinschaft.

Die wichtigste Veranstaltung des Komitees für die Bundesrepublik Deutschland war der Kongress „Sprachenvielfalt und Demokratie in Deutschland“, der 2001 in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium des Innern und dem Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt in Berlin stattfand (European Bureau for Lesser Used Languages 2002). Ein gewisser zeitlicher Zusammenhang mit der Ergänzung des Amtes des Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen durch die Aufnahme der nationalen Minderheiten (2002), der Gründung des Minderheitenrates (2002 bzw. 2004) sowie des Minderheitensekretariats (2005) lässt sich feststellen, ein kausaler Zusammenhang nur vermuten.

Obwohl EBLUL sich aufgelöst hat, haben sich einige nationale Komitees gehalten, u. a. in Deutschland. Das Komitee hat in der Vergangenheit eine wichtige Rolle gespielt und zum Beispiel regelmäßig Vertreter der Friesen zu den „Euroschulen“6 sowie zu den von der Europäischen Kommission organisierten “Study Visits” geschickt. Derzeit sucht sie nach einer geeigneten Rolle für die Zukunft. Problematisch ist die von Minderheitenfunktionären geforderte Trennung von Minderheiten- und sprachlichen Angelegenheiten. Die Forderung, dass EBLUL sich nur mit sprachlichen Fragen beschäftigen darf, ignoriert den Zusammenhang zwischen Sprache und Sprachgemeinschaft bzw. Minderheit. Dies verdeutlicht auch das manchmal schwierige Verhältnis zwischen Wissenschaftlern und Funktionären (Walker 2011b: 182ff.).

Es gibt zwei mögliche Nachfolgeorganisationen von EBLUL, nämlich das Network to Promote Linguistic Diversity (NPLD)7 und das European Language Equality Network (ELEN).8 Beide scheinen den Friesen unbekannt zu sein.

Gesellschaft für Bedrohte Völker

Seit 2017 ist die Friisk Foriining Mitglied der Gesellschaft für Bedrohte Völker in Göttingen.9

Zusammenfassung

Es wird deutlich, dass inzwischen eine ganze Reihe von Maßnahmen, Institutionen und Gremien existiert, die der friesischen Volksgruppe in ihren Bemühungen um die Förderung des Friesischen behilflich sein soll. Nur ist es nicht immer klar, welche Funktion diese Maßnahmen, Institutionen und Gremien tatsächlich haben und wie bzw. ob sie den Friesen in Wirklichkeit helfen. Hier wäre mehr Transparenz wünschenswert.

5.4 Die finanzielle Förderung der friesischen Volksgruppe
5.4.1 Die Fördermittel

Eine Folge der 1990 in Kraft getretenen Landesverfassung war 1991 die Aufnahme eines gesonderten Titels im schleswig-holsteinischen Landeshaushalt für die „Kulturarbeit der friesischen Volksgruppe“, der zunächst 150.000 DM betrug. Bezweckt waren die institutionelle Förderung des Nordfriesischen Vereins und der Foriining for nationale Friiske sowie die Förderung friesischer Publikationen. Außerdem gab es einen besonderen Titel für die Bezuschussung des Nordfriesischen Instituts in Bredstedt, der 1991 380.000 DM (= 194.300 EUR) betrug.

Nach der Wiedervereinigung Deutschlands trugen 1992 Vertreter und Vertreterinnen der Nordfriesen den Wunsch vor, analog der Stiftung für das sorbische Volk ebenfalls eine Stiftung für das friesische Volk zu bekommen. Die Landesregierung hat 1995 diese Initiative unterstützt und der Kulturstiftung 1 Mio. DM treuhänderisch übergeben in der Hoffnung, dass die Bundesregierung diesem Beispiel folgen würde (Präsidentin des Schleswig-Holsteinischen Landtages 1996: 48f.). Die jährlichen Zinserträge in Höhe von 45.000 DM (= 23.000 EUR) stehen den Friesen zur Verfügung. 1998 wurden alle bis zum 15.12.1997 aufgelaufenen Zinsen ausgezahlt (Präsident des Schleswig-Holsteinischen Landtages 1999: 97). Nach vielen Jahren des Stillstands regelt jetzt ein Gesetz vom 13.1.2020 die Errichtung der „Stiftung für die Friesische Volksgruppe im Lande Schleswig-Holstein (Friesenstiftung)“.1

Obwohl die Bundesregierung sich mit dem Gedanken einer Stiftung für das friesische Volk zurückgehalten hat, hat sie 2000 mit einer Projektförderung begonnen. Diese Förderung betrug zunächst 51.100 EUR, im darauffolgenden Jahr 2001 255.600 EUR, und ist inzwischen auf jährlich 300.000 EUR gestiegen (Stand 2017). Da der Friesenrat die Verwaltung der Projektförderung in Nordfriesland übernommen hat, erhält er seit 2002 einen Personalkostenzuschuss in Höhe von 15.000 EUR.


1992 1997 2002 2007 2012 2016
43,5 35,9 20,2 20,2 12,2 20,2
11,0 8,2 5,8 0 k.A. 0
Kulturstiftung 0 0 23,0 17,2 28,0 18,3
Projektförderung durch den Bund 0 0 255,6 280,0 320,0 300,0

Tab. 1: Übersicht über die Entwicklung der Projektförderung der friesischen Volksgruppe gemäß den Minderheitenberichten 1996–2017 (in TEUR)

 

Ein Vergleich der Unterstützung der einzelnen Vereine und Institutionen zeigt, dass im Zeitraum 1992–2016 die Zuschüsse für den Nordfriesischen Verein und die Friisk Foriining im Wesentlichen konstant geblieben sind mit respektiv 25.600 EUR und 7.700 EUR. 2014 ist der Zuschuss für die Friisk Foriining ebenfalls auf 25.600 EUR erhöht worden. Auf der anderen Seite sind die Zuschüsse für das Nordfriesische Institut von 194.300 EUR im Jahr 1992 auf 456.700 EUR im Jahre 2016 gestiegen.


1992 1997 2002 2007 2012 2016
194,3 194,3 245,7 254,7 456,7
Nordfriesischer Verein 25,6 25,6 25,6 25,6 25,6 25,6
Friisk Foriining 7,7 7,7 7,7 7,7 7,7 25,6
Friesenrat Geschäftsstelle 0 0 15,0 15,0 15,0 15,0

Tab. 2: Übersicht über die Entwicklung der institutionellen Förderung der friesischen Volksgruppe gemäß den Minderheitenberichten 1996–2000, 2000–2005, 2005–2010, 2009–2012, 2012–2017 (in TEUR)

In der Bundesrepublik Deutschland, wie auch in anderen Ländern, existiert eine Hierarchie unter den autochthonen Minderheiten bzw. Sprachgemeinschaften (Oeter/Walker 2006: 235ff.). Während die zirka 50.000 Personen umfassende friesische Volksgruppe 2016 603.400 EUR an Zuschüssen aus Schleswig-Holstein und 300.000 EUR vom Bund (also insgesamt 903.400 EUR) erhielt, bekam die etwa gleich große dänische Minderheit im selben Jahr 65.214.000 EUR aus Dänemark und 42.481.800 EUR aus Schleswig-Holstein (also insgesamt 107.695.800 EUR) an Zuschüssen (Ministerpräsident des Landes Schleswig-Holstein 2017: 43f. bzw. 217 und 219).6