Der mondhelle Pfad

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„Und nach Thera kommt natürlich gleich Hera, die erste aller Göttinnen, in einem bezaubernden Lindgrün wie das Kleid von Mutter Erde im Lenz, wenn sie – passenderweise – die Saat in sich trägt.“

Flora schwebte hinter dem Ofen hervor und sah die aufgerissenen Augen von Arminius. Ein strahlendes Lächeln umspielte ihre vollen Lippen.

„Und nun noch Demeter in Strahlend-Gelb, Leto in Mystisch-Violett und in Rosa-Abendrot unsere Götterbotin Iris, die gerade von einem Botengang aus Äthiopien kommt und dort schön braun geworden ist.“

Jetzt kamen Noeira, Taberia und Hanibu hinter dem Ofen hervor. Noeira schwenkte ihre Hüften und musste kichern, als sie Conalls begeistert-schmachtendes Mienenspiel beobachtete. Taberia zog Hanibu hinter sich her, lächelte Tarian zu und stellte sich neben Noeira. Hanibu wollte sich verstecken, aber Taberia zerrte sie bestimmend neben sich, ohne den Blick von ihrem Mann zu wenden, der mit offenem Mund auf der Bank saß.

Loranthus fand als erster die Sprache wieder und sah Arminius fragend an, denn ihm stand eigentlich das erste Wort zu. Doch Arminius schienen die Worte abhanden gekommen und so nickte er nur zurück. Loranthus rutschte sich auf der Sitzbank in Position und räusperte sich, als wolle er im Senat eine Rede halten.

„Viviane, du hast uns nicht zu viel versprochen. Es ist eine wahre Pracht, die wir hier erblicken dürfen! Atemberaubend schön! Genau so müssen sie aussehen, die obersten Göttinnen des Olymps. Ich nehme an, du hast auch ein Kleid?“

Flora reichte Viviane das grüne Kleid. Sie stieg von den Stangen und drapierte es über ihren Schultern.

Silvanus ruckte auf der Bank nach vorne.

„Du bist Aphrodite, Viviane! Wahrlich, so schön …“

Viviane winkte ab, lächelte aber erfreut.

„Nein, Silvanus. Ich bin natürlich Athene. Das passt besser zu mir. Aphrodite ist schon vergeben.“

Viviane nickte in Richtung Burg und lächelte Loranthus zu. Alle lachten, als Loranthus versuchte, sich hinter Tarian zu verstecken.

Die Kinder ergriffen die Gelegenheit und stellten sich bittend vor Viviane. Die gab ihnen natürlich die Stelzen und kicherte weiter, bis sie den Kopf schief legte und ihnen nachdenklich hinterher schaute.

„Silvanus? Wie habt ihr noch mal das Transportproblem mit den Pferden gelöst, sagtest du?“

Statt Silvanus erhob sich Arminius und legte ihr den Arm um die Schultern.

„Dieses Moosgrün passt perfekt zu deinen Augen und deinem wunderschön glänzendem Haar, Töchterchen.“

Viviane sah ihn von der Seite her an und drehte sich betont langsam zu Lavinia, die gerade begeistert auf die Stangen kletterte, während Robin assistierte.

„Ach. Jetzt wird mir alles klar“, murmelte sie und tippte sich mit dem Zeigefinger sehr nachdenklich an die Lippen. „Hm, Naschu will doch sicher nicht … alleine mit euch reiten?“

Arminius griente verlegen.

„Eigentlich wollten alle … ich meine … nur die Männer …“

„Hm. Zanadu, Naschu und Hirlas, das ist natürlich eine wirklich gute Lösung. Aber so ganz reicht das immer noch nicht …“

Arminius klopfte ihr auf die Schulter und ging noch mal vor die Tür. Mit einem triumphierenden Lächeln hob er noch ein Stangenpaar hoch und stellte es vor Viviane. Robin kam gleich angerannt und sah Viviane hoffnungsvoll an.

Viviane verdrehte die Augen, schob ihm die Stangen hin und seufzte.

„Naschu kennt meinen schwachen Punkt wirklich ganz genau. Also gut, aber nur unter einer Bedingung.“

Arminius nickte vorsichtig.

„Und die wäre …?“

„Ein Pferd bleibt immer hier. Jeden Tag ein anderes.“

„Hmpf. Na gut.“

„Dann wäre ja alles geklärt.“

Arminius griente jetzt wieder und bedachte erst Silvanus und danach Viviane mit einem verschwörerischen Lächeln.

„Ganz recht. Und deshalb nimmt jetzt jeder die ihm angetraute Göttin, äh Gattin, und führt sie zum rechtmäßigen Beilager, auf dass uns alle der süße Schlaf neue Kraft für den morgigen Tag schenkt.“

„Hmpf“, machte jetzt Viviane und schaute ihrem Vater nach, der Flora unter hakte und beschwingten Schrittes zur Tür hinausging. Silvanus nahm tröstend ihre Hand und flüsterte ihr etwas ins Ohr, woraufhin sich ihre Mundwinkel wieder nach oben bewegten.

Alle polierten sich die Zähne mit ihren kleinen Wolltüchern, pulten mit spitzen Haselnussgerten die Zahnzwischenräume frei, spülten kräftig aus und gingen in ihre Häuser. Silvanus hielt sich dicht hinter Viviane, strich ihr unauffällig über den Rücken und erhaschte im Obergeschoss noch einen Kuss von ihr. Artig verschwand er hinter dem Vorhang und legte sich neben Medan und Loranthus auf sein Strohlager.

Doch bei den Maiden auf der anderen Seite des Vorhangs wurde es nicht ruhig, im Gegenteil. Viviane japste laut. Hastig schlug Silvanus seine Wolldecke zurück und schnellte hoch, da hörte er Viviane fragen: „Wer hat das gefilzte Täschchen auf mein Lager gelegt?“ Also stand er sehr leise auf und lugte ganz vorsichtig durch einen äußerst winzigen Spalt. Medan und Loranthus postierten sich zu beiden Seiten und schielten mit hindurch.

Lavinia kicherte schelmisch und hopste mit Schwung auf ihr Schaffell.

„Na, ich und Hanibu natürlich, wer denn sonst? Wir haben es ja schließlich extra für dich gemacht.“

„Das hübsche Filztäschchen ist für mich? Grün mit roten Karos, das habt ihr aber schön gemacht!“

Lavinia winkte Viviane näher heran und flüsterte in ihr Ohr: „Du kannst es auch aufmachen. Einfach an der Schleife ziehen, dann aufklappen.“

„Das kommt mir irgendwie bekannt vor“, raunte Viviane verschwörerisch zurück, tat aber gleich, wie ihr geheißen.

Vorsichtig zog sie die Schleife auf, die ein wenig zu groß geraten war – bestimmt hatte Lavinia sich daran versucht. Mit spitzen Fingern schlug sie die vier Ecken auseinander und japste: „Aber das ist ja ein Fidchellspiel! Ein Fidchellspiel aus grünem Filz mit rotem Wollfaden für die Karos! Und die Spielfiguren sind kleine Halbkugeln aus Holz, mit irren Mustern in Orange-Braun und Violett-Weiß! Was sind denn das für Dinger? So was hab ich im Leben noch nicht gesehen!“

„Pantherschildkröten“, kiekste Lavinia und kuschelte sich eng an Hanibu. „Hanibu hat uns aufgemalt, wie sie aussehen und Noeira hat sie aus ein paar Lindenholzabfällen geschnitzt. Die wilden Muster hat Hanibu aber selber aufgemalt. Sie sind wirklich echt, hat sie uns versichert. Besonders die jungen Pantherschildkröten sind total farbenprächtig, wenn sie so alt sind wie ich und … ob du es glaubst oder nicht: Sie sind auch so schwer wie ich, oder noch schwerer! Stell dir das mal vor, Viviane! Natürlich sind die hier eine Miniaturausgabe!“

„Was es nicht alles gibt …“

Viviane ließ sich auf ihren Schlafplatz am Fenster sinken und schaute ungläubig auf ihre Finger, die mit den abstrakt gemusterten Halbkugeln klapperten. Je mehr sie die Pantherschildkröten mischte, desto verwirrender wurde das Farbenspiel. „Wahnsinn! Sie sind wirklich winzig und federleicht. Ideal für ein kleines Täschchen. Ein Fidchellspiel zum Mitnehmen …“

Jetzt kicherte Hanibu und sprach langsam in der Mundart der Hermunduren: „Kannst du dich noch erinnern, wie wir auf der Wiese gelegen haben? Damals hatte ich Angst vor deinen Leuten, weil ich so anders aussehe als ihr und du hast gesagt …“

Viviane drehte sich zu Hanibu und nickte.

„Du wirst sehen, meine Leute werden dich gut aufnehmen, sei ganz zuversichtlich. In fast jeder Herde gibt es schließlich ein schwarzes Schaf. Jetzt haben wir endlich auch eins.“ Viviane lächelte wehmütig. „Ja, ich kann mich noch an jedes Wort erinnern, obwohl es mir so vorkommt, als wäre es schon ewig her. Dabei war das gerade mal vor zwei Monden.“

„Und was hast du noch gesagt?“

„Ich hab dich zum Lachen gebracht, weil ich gesagt habe: Du und ich auf der Weide als Schafe, wie wir genüsslich den Löwenzahn kauen. Und was wir dann für eine Wolle abgeben. Meine Mutter macht daraus die exotischsten Kleider in Schwarzweiß. Darauf kann man dann Fidchell spielen. Ich höre schon die Rufe der Händler: Fidchell spielen wann immer du willst! Leicht und luftig oder dick und wärmend!“

„Genau. Und das habe ich Lavinia alles erzählt.“

Hanibu drückte Lavinia an sich, beide lächelten glücklich.

„Wir haben in deiner Sprache gesprochen und in meiner Sprache und manchmal auch mit den Händen und Füßen … Aber wir konnten uns gut verstehen. Lavinia kann deshalb sogar schon ein paar Wörter in Griechisch.“

Lavinia rutschte sich gerade zurecht und deutete auf das Fidchellspiel in Vivianes Händen.

„Eines Nachts bin ich aufgewacht und hatte diesen Einfall. Hanibu war ganz begeistert, obwohl ich unbedingt grüne und rote Wolle nehmen wollte statt braun und weiß. Sie hat mir auch beim Filzen geholfen, sonst wäre es wohl nicht so schön gleichmäßig geworden.“ Lavinia verzog entschuldigend das Gesicht, doch nur kurz, und redete dann stolz weiter: „Natürlich ist das hier kein richtiges Brett wie bei dem Spiel, das du Papa aus Britannien mitgebracht hast. Dafür kann man es aber beidseitig benutzen.“

Viviane hielt anerkennend das viereckige Wolltuch hoch und besah sich auch die Karos auf der Rückseite.

„Es ist perfekt. Das war ein genialer Einfall, Lavinia!“

Lavinia streckte sich und nickte heftig.

„Noeira hat das auch schon gesagt, weil ich …“ Sie seufzte und zog einen herzerweichenden Schmollmund. „Weil ich so traurig war.“

„Traurig? Wo du so ein schönes Fidchellspiel gemacht hast?“

Lavinia hob Achtung heischend den Finger, klapperte mit den Augenlidern und langte unter ihre Wolldecke. Dort raffte sie etwas Kugeliges ein und streckte Viviane die geschlossenen Hände entgegen.

 

„Ich war traurig, weil meine eigene Idee für die Spielfiguren nicht funktioniert hat. Ich wollte nämlich unbedingt Elefanten filzen, wie die Figuren bei dem echten Fidchellspiel.“

„Aha, Elefanten.“

Viviane machte einen langen Hals mit neugierigem Gesicht, bis Lavinia die Finger spreizte. Da schlug sie sich die Hand vor den Mund und prustete los: „Ist der aber niedlich! Ein rosa Flaumball mit Segelohren und kurzen Wollfäden, einer dick, einer dünn!“

„Ja, ja! Lach nur! Nach diesem Probeexemplar habe ich es eingesehen: Elefanten kommen nicht in die Tasche. Sie sind einfach zu dick und die Rüssel sind in Wirklichkeit auch länger …“

„Ach, nein! Der kurze Rüssel reicht vollkommen! Er muss doch kein Gras rupfen! Und, dick … hm …“ Viviane piekte dem wuscheligen Ball ihren Finger in die Stelle, wo sie den Bauch vermutete. „Ich weiß nicht … Irgendwie sieht er wirklich wie ein Elefant aus. Ich habe zwar noch keinen echten gesehen, aber wenn ich ihn mal mit den Figuren von Vaters Fidchellspiel vergleiche … außer, dass er rosa ist …“ Sie drehte den Wuschel prüfend nach allen Seiten und strich ihm liebevoll über die abstehenden rosa Ohren. „Nein, dick ist er nicht, höchstens gut im Futter. Und erst das niedliche Schwänzchen hinten dran! Sogar mit Quaste!“

Viviane wedelte den winzigen Wollfaden hin und her, der am Ende einen Knoten hatte und dahinter extra verzottelt war. Das konnte nur der Schwanz sein, denn der vermeintliche Rüssel war etwas länger und glatt. Verschmitzt grinsend, warf sie den Ball hoch in die Luft und fing ihn wieder auf, plötzlich riss sie die Arme auseinander und umarmte Lavinia und Hanibu stürmisch.

„Das ist das schönste Geschenk, was ihr mir machen konntet! Ich danke euch von ganzem Herzen!“

„Das freut uns, Viviane.“ Lavinia nahm ihr das gefilzte Tuch aus der Hand. „Guck mal! Wir haben extra eine schmale Brettchenwebkante in Grün-Rot gemacht, die legst du einfach ein und fertig ist die Umhängetasche. Aber jetzt wird geschlafen. Die Nacht ist kurz und morgen wird wieder ein langer Tag. Da spielen wir mal eine Partie, Viviane.“

„Ja, Vater! Äh, ich meinte natürlich: Ja, Lavinia! Den rosa Elefanten will ich aber unbedingt dazu. So ein Sonderexemplar hat nicht jeder … und schon gar nicht von seiner kleinen Schwester.“

Lavinia ließ sich kichernd zurück plumpsen, zerrte an ihrer Decke und strampelte so lange, bis sie nur noch ab ihrer Nase hervorlugte. Viviane streckte sich schmunzelnd neben ihr aus und zog betont sorgfältig ihre eigene Wolldecke über sich.

„Endlich …“, flüsterte Lavinia und gähnte müde. „Kannst dir übrigens noch einen schönen Namen für den Elefanten aussuchen …“ Mit letzter Kraft kuschelte sie sich an Viviane, fasste nach ihrer Hand und streckte die andere nach Hanibu aus.

„Rosvinia!“, hauchte Viviane und strich ihrer kleinen Schwester über den nussbraunen Haarschopf. Sie seufzte, weil Lavinia wirklich schon eingeschlafen war. Wer unschuldig ist, schläft einfach besser, wurde ihr wieder einmal bewusst. Sie selbst hatte Angst, die Augen zu schließen, denn seit der Schlacht sah sie jedes Mal schmerzverzerrte Gesichter, um Gnade flehende Augen und verunstaltete, zuckende Körper. Fest presste sie das Stoffbündel an sich, sog den vertrauten Duft des Hauses in sich ein und lauschte auf das Plätschern des Flusses. Ganz kurz huschte der Gedanke durch ihren Geist, dass ihre Mutter noch extra eine Kütze voller Blumen gesammelt haben musste, denn das Stroh roch nicht nur nach den üblichen beigemischten Bettkräutern, sondern intensiv nach Blüten aller Art.

Tief atmete sie den Wohlgeruch ein und lächelte über diesen ganz besonderen Willkommensgruß. Und wirklich kamen diesmal die schrecklichen Bilder nicht, denn Sünna sang ihr gleichmäßiges, altbekanntes Lied und nahm sie mit in ihre klare, friedliche Welt – die Welt ihrer Kindheit, bei der sie die ersten Schritte ihres Lebens über eine sonnenbeschienene Wiese tat und ihre winzige Nase in jede Blüte steckte, die ihr gefiel.

Fragen sind der Anfang allen Wissens

Als wäre Viviane nie weg gewesen, erhob sie sich bei Sonnenaufgang und ging mit Hanibu, Lavinia, Flora und Großmutter Mara die Kühe melken. Sie mussten zwar jetzt ein kleines Stück länger gehen, weil die Mutterkühe auf einer anderen Weide grasten, aber das war nicht weiter schlimm. Der Morgen war herrlich, die erwachende Göttin der Morgenröte winkte mit einem goldenen Tuch über die Thuringer Berge und die Vögel zwitscherten so lautstark, als hätten sie einen Wettstreit im Jubilieren auszutragen.

Den Rückweg liefen sie so beschwingt, dass sie sich sogar im Imitieren der Vogelstimmen versuchten und danach Großmutter Mara zur Zaunkönigin wählten. Immer noch trällernd, stellten sie die gefüllten Milcheimer ins Langhaus, gingen zum Fluss und wuschen sich.

Noeira und Taberia kamen ihnen nach und schmunzelten, als sie ihre Babys in den großen Weidenbaum hängten. Der hieß jetzt nämlich Kinderbaum, weil nun schon zwei Kinder in ihren Tragetaschen dort dran hingen. Lavinia hatte diesen Einfall gehabt und sie damit jeden Morgen aufgeheitert. Denn wenn eines gefehlt hatte in der Zeit, als die Männer und Viviane fort waren, dann war es die Heiterkeit.

Doch nun standen sie alle unter den Weiden und machten ausgiebige Dehnübungen. Die hatten sie auch ohne Viviane weiter gemacht, weil sie sich einbildeten, dass sie ihnen tatsächlich halfen. Großmutter Mara war sogar felsenfest davon überzeugt, dass sie sämtliche Glieder nicht nur besser bewegen konnte, sondern auch mehr Kraft hatte als früher.

Sie blinzelte durch die Augenlider, beobachtete Viviane bei ihren geschmeidigen Bewegungen und sagte: „Kind, du machst mir heute irgendwie einen angespannten Eindruck.“

Viviane atmete lange ein, noch langsamer wieder aus und ging mit geschlossenen Augen in den Spagat.

„Da gebe ich mir extra Mühe …“, seufzte sie und vollführte kreisende Bewegungen mit ihrem Oberkörper. „ … und du merkst es trotzdem, Großmutter. Wie machst du das nur?“

„Jahrelange Übung“, gluckste Mara und deutete auf Vivianes Gesicht. „Also, warum kneifst du die Augen zusammen, als müsstest du nachdenken, wie du etwas Unmögliches schaffst, weil du Silvanus diesmal nicht als deinen Komplizen hast?“

Noeira hielt in ihrer letzten Pose inne, streckte die Arme besonders weit in den Himmel, die Augen in die Gegenrichtung und grummelte: „Sag’s uns, Viviane! Ich fühle mich auch schon ganz angespannt!“

„Er soll Tinne nicht mit zur Sonnenwendfeier nehmen“, brummte Viviane, stemmte ihren gesamten Körper nur mit den Fingerspitzen ein Stück weit über den Boden und machte endlich die Augen auf.

Noeira stemmte die Hände in die Hüften und schnaubte: „Das erlaubt er niemals! So etwas hat es noch nie gegeben!“

Viviane schnappte mit einem Ruck hoch, stellte sich betont aufrecht hin und reckte entschlossen das Kinn.

Mich hat es auch noch nie gegeben. Wenn alle Stricke reißen, muss ich ihn eben bestechen.“ Sie legte den Kopf schief und lugte nachdenklich zur einzigen Wolke am Himmel. „Ich könnte ihm natürlich auch was zu trinken anbieten …“

„Ha! Du kannst ihm auch ein Pferd schenken! Immerhin hast du mehr Beute gemacht als er!“

„Das wäre wirklich eine gute Idee, Noeira! Aber wenn wir unser eigenes Land bekommen, müssen wir sowieso Abgaben darauf zahlen.“

„Ach. Und die leistest du in Pferden?“

„Ja, jedes Jahr zwei Fohlen seiner Wahl.“

„So viel geschenktes Land und zwei Fohlen als Gegenleistung? Das soll alles sein?!“

„Natürlich nicht. Er und unser Hochkönig dürfen Arion zur Zucht nehmen.“

„Oh, oh. Ich ahne Schreckliches …“

„Wieso?“, fragte Viviane verständnislos. „Das ist doch wirklich der günstigste Handel, den es gibt!? Wir müssen nur den Anteil von Silvanus abtreten.“

Noeira winkte ab.

„Ist doch klar. Immerhin bist du eine Druidin, da brauchst du dich nicht mit solch profanen Sachen wie Abgaben belasten. Silvanus muss zwar Abgaben leisten, aber ich wette mit dir, dass er ab und zu ein gutes Hirschhündchen extra übrig hat und noch ein paar Glasarmbänder oder Glasperlen, oder mal einen neuen Streitwagen, oder andere Wagen, oder ein neues Mähwerk … ganz zu schweigen von einem Paar neuer Schuhe, doppelt genäht mit wasserdichter Schweinsblase dazwischen, für den Winter mit Schafwolle …“ Noeira fuchtelte lax mit der Hand, als könnte sie noch ewig weiter aufzählen, nur sei der Tag nicht lang genug.

„Aber das mein ich doch nicht, Viviane! Guck dich doch mal um!“, rief sie und deutete auf die Berggipfel um sie herum. „Wenn sich das mit Arion erst herumspricht, kommen alle Könige mit ihren Stuten und wollen sie bei ihm auf die Weide stellen. Dann hat er schrecklich viel zu tun und natürlich schrecklich viel … Spaß.“

Noeira stellte diesen Spaß sogleich gestenreich dar, damit auch jeder wusste, was sie meinte. Alle lachten und prusteten los, als sie es mit einem Pferdegesicht in Ekstase versuchte. Ihre Augen quollen vor, ihre Zunge hing sabbernd heraus und wippte im Takt ihrer Hüften auf und ab … Großmutter Mara musste sich sogar gegen die Weide lehnen und die Augen wischen.

Viviane winkte schnaufend ab und gluckste.

„Es hat sich schon herumgesprochen, Noeira. Was meinst du, was man da alles geboten bekommt, damit Arion seinen Spaß haben kann.“

Noeira holte ihre Augen und Zunge wieder in Normalposition zurück, nickte überzeugt und wackelte Achtung heischend mit dem Finger.

„Das kann ich mir vorstellen! Da sind sicher die tollsten Sachen dabei!“

Mara klatschte schallend in die Hände und alle drehten sich zu ihr um.

„Mir ist etwas eingefallen, mit dem du König Gort bestechen kannst! Glaube mir, der erfüllt dir jeden Wunsch, wenn er nicht zu abwegig ist. Da brauchst du ihm nicht mal was untermischen.“

„Was zu trinken? Was da genau …?“

Viviane visierte ihre Großmutter an, aber die rieb sich nur die Hände und grinste verschlagen.

„Lass dich überraschen! Ich gebe dir nach dem Frühstück einen Krug mit auf die Burg.“

Zu ihrer aller Verdruss war auf dem Rückweg ins Langhaus nichts aus Großmutter Mara herauszubekommen. Also aß Viviane ein gekochtes Ei und Haferbrei mit Ahornsirup und starrte grübelnd vor sich hin. Daneben Noeira, die grübelte jedoch nicht, weil sie damit beschäftigt war, Großmutter Mara nicht aus den Augen zu lassen, die wiederum so tat, als wäre sie weitsichtig.

Medan brach die erwartungsvolle Spannung, indem er vom Tisch aufstand, um auf den Dietrichsberg zu Amaturix zu gehen. Viviane hatte plötzlich zu Ende gegrübelt.

Sie sprang auf, strich alle Eierschalen zusammen und huschte nach draußen, um sie zerbröselt ins Hühnergehege zu werfen. Beschwingt rannte sie hinter Medan her und dirigierte ihn zur Pferdekoppel um.

Als er die vielen Pferde sah, seufzte er traurig und ließ die Schultern hängen.

„Meinst du, ich soll sie mir noch mal ansehen, Viviane? Denn wenn ich heute Abend wiederkomme, sind sie schon mit ihnen weggeritten und ich habe wieder das Nachsehen wie immer.“

Medan trat gegen einen Stein, dass er im hohen Bogen ins Gras hüpfte. Viviane tätschelte ihrem jüngsten Bruder beschwichtigend die Schulter.

„Eigentlich wollte ich dich um etwas bitten, Medan …“

„Ja, ja, das wollen sie alle!“ Er spuckte aus. „Medan, nimm die Sense, der Weinberg muss gemäht werden und bring vom Heimweg gleich noch Wasserflöhe mit, wir wollen rote Wolle machen, weil das Blau schon alle ist. Medan, bring feinen Flusssand, wir haben frischen Essig gemacht und wollen die Tontöpfe scheuern. Medan, wir müssen Leinsamen pressen, unsere Schweinsblasen an den Fenstern brauchen bei der Hitze eine Ölung. Medan, räucher die Bienen aus, wir wollen Honig schleudern …“ Er hob flehend die Hände zum Himmel. „So ging es die ganze Zeit, als ihr nicht da wart! Beim Geweih von Cernunnos! Es ist wirklich anstrengend, das Oberhaupt im Dorf zu sein.“

Viviane tätschelte ihn immer noch.

„Jetzt ist Vater wieder da und du hast ihn würdig vertreten. Dafür sind wir dir sehr dankbar und deshalb …“

„Ja, ja. Ich weiß“, seufzte er, steckte die Daumen in seinen Gürtel und schob den nächsten Stein in Schussposition. „Jetzt kann ich wieder hoch zu Amaturix und weiterlernen, damit ich ein guter Eisengießer und Schmied werde. Amaturix meinte sogar, ich könnte auch mal ein Druide des Pheryllt-Ordens werden, so wie er. Stell dir das mal vor, Viviane! Ich lerne, wie ich meinen Namen ins Schwert hinein schmieden kann, ohne die Klinge zu stempeln! Erze mischen für den perfekten Härtegrad! Aber dann müsste ich ja ganz lange und ganz weit weg – bis nach Irland! Das ist noch weiter als Place in Britannien, wo du warst! Kannst du dir das vorstellen, Viviane? Ich, der ich nicht mal ordentlich Griechisch kann, soll in die Fremde ziehen?!“

 

„Na, ja. Ich muss zugeben, dein Griechisch ist wirklich miserabel, es will einfach nicht in deinen Kopf hinein. Aber vielleicht musst du gar nicht weg, um ein Druide der Metallurgie zu werden. Amaturix kann dich doch ausbilden! Ich und Amaturix machen nämlich eine Schule fürs Drachenschwert auf. Jeder, der ein Druide ist, kann da eintreten. Wir nehmen natürlich alle Sparten der Druiden, egal ob Arzt, Metallurge, Philosoph, Richter, Astronom, Barde oder Seher … Aber ich schätze mal, so viele werden es trotzdem nicht werden. Wer will schon als Druide dem Schwert verpflichtet sein. Druiden haben doch so ein schönes und sicheres Leben. Keine Abgaben, kein Kriegsdienst …“

Medan japste nach Luft und schnappte ihre Finger, die mit Aufzählen beschäftigt waren.

„Und das sagst du mir erst jetzt?! Das ist ja perfekt! Besser geht’s gar nicht mehr! Jetzt lauf ich ganz schnell hoch zum Dietrichsberg und werde der beste Schüler, den Amaturix je gehabt hat und bei dir lerne ich die Kampfkunst und dann bin ich Druide des Pheryllt-Ordens und gehöre zum Bund des Drachenschwertes. Beim Geweih von Cernunnos, ich werde ein Elitekrieger! All meine Wünsche … all meine Träume! Ich muss sofort Sünna mein Opfergeschenk schmieden! Vielleicht zeigt mir Amaturix das Kunststück mit dem Namenszug einlegen jetzt schon, denn später muss ich das ja mit zwei Drachen können, die sich um den Baum des Lebens winden!“

Medan umarmte Viviane und lief los, doch sie hielt ihn am Gürtel fest, was ihn zu einer Art Verbeugung mit gekeuchtem „He!?“ veranlasste.

„Du brauchst dich nicht so zu beeilen, Medan.“

Er versuchte, loszukommen und stemmte sich gegen sie, da ließ Viviane abrupt los und er konnte gerade noch sein Gleichgewicht halten.

„Ich habe keine Zeit für Kinderkram, Viviane!“

„Warte noch einen Augenblick, ich will dir nur was sagen.“

„Später! Ich muss mich beeilen! Ich muss doch schnell mit Amaturix alleine reden und außerdem will ich ab jetzt immer der Erste sein!“

„Keine Sorge, das wirst du.“ Viviane zeigte auf die Pferde. „Such dir eins aus!“

„Was?“

„Na, ein Pferd! Such dir eins aus! Du kannst jeden Tag ein anderes nehmen, schließlich brauchen sie Bewegung.“

Medan beäugte Viviane, als könne er plötzlich nicht nur Griechisch, sondern auch seine eigene Muttersprache nicht mehr verstehen. Dann lachte er auf, umarmte sie stürmisch und sprang gekonnt über das Gatter. Strahlend nahm er sich ein Halfter vom Weidengeflecht und ging damit zielstrebig auf eine schöne braune Stute zu. Beiläufig bückte er sich und warf einen Stein exakt in die Mitte des Weges. Viviane nickte anerkennend und Medan verbeugte sich lachend.

„Viviane, du bist die beste Schwester, die mir Mutter und Vater schenken konnten!“, rief er und warf das Zaumzeug über die lange Mähne der Stute.

Viviane machte das Tor auf und ließ ihn hinaus reiten. Medan winkte ihr glücklich zu und schnalzte mit der Zunge. Er ließ es langsam angehen, streckte seinen Rücken durch und saß so entspannt obenauf, als hätte er sein ganzes Leben nichts anderes getan als zu reiten. Die Stute gehorchte ihm willig, obwohl sie von ihrem Vorbesitzer einen ganz anderen Reitstil gewöhnt war.

Im Hinterherwinken sah Viviane plötzlich wieder ihren Speer fliegen, der durch den Schild des Unglücklichen schlug und sich in sein Auge bohrte …

Als sie wieder beim Langhaus angekommen war, schüttelte sie immer noch traurig den Kopf und wischte sich die Hände an ihrem frischen Überkleid ab, obwohl sie gar nicht blutverschmiert waren.

„So, Viviane. Jetzt wird aber nicht geguckt wie sieben Tage Regenwetter!“, trällerte Großmutter Mara, hielt ihr einen Tonkrug hin und schmunzelte verschwörerisch.

Sofort richtete Viviane ihre Gedanken wieder auf die Gegenwart. Zögernd nahm sie den Krug, zog den Pfropfen ab und lugte hinein. Sie stutzte und schnupperte.

„Das ist ja Himbeersaft, ganz gemeiner Himbeersaft!“ Ungläubig sah sie Großmutter Mara an und schielte übertrieben misstrauisch in den Krug. „Und da ist nichts drin? Nicht die kleinste Droge?“ Sie sog noch einmal argwöhnisch Luft ein, um selbst die winzigste Nuance zu wittern, die nicht wie Himbeere roch.

Großmutter Mara stemmte entrüstet die Hände in die Hüften.

„Heiße ich Flora oder Viviane?! Ich bin Mara, die Töpferin, und kein Giftmischer! Schon lange nicht mehr in dich gegangen, Viviane, was?! Also: Nein. Natürlich ist da kein Gift drin! Ich vergreif mich doch nicht am König! Die Götter würden mich allesamt verdammen! Und deine Mutter hätte mir auch garantiert keine, wenn auch noch so schwache, Droge gegeben.“ Mara schüttelte vehement den Kopf und tätschelte Vivianes Wange. „Vertrau deiner alten Großmutter! Bring deine Argumente vor und der König wird dir deine Wünsche erfüllen.“

Viviane kräuselte zweifelnd die Stirn, drückte aber den Pfropfen fest in den Krug und nickte.

„Das werde ich, Großmutter, und verzeih mein Misstrauen. Da sind wohl die Pferde mit mir durchgegangen. Also, dann mal los! Auf ins Gefecht der Worte! Ist Hanibu fertig?“

„Die ist schon mit den Kindern zur kleinen Weide.“

„Gut. Bis nachher!“

Viviane ging zur kleinsten Wiese, auf der nur Dina und Arion grasten. Sie waren schon aufgezäumt und Hanibu lehnte wartend am Gatter. Lavinia und Robin kamen ihr entgegen, jeder ein paar Himbeeren futternd.

„Nimmst du uns mit, Viviane? Wir wollen auch mal so ein winziges Baby sehen!“

„Nein, das geht heute noch nicht.“ Viviane schüttelte entschieden den Kopf. „Außerdem müsst ihr doch wieder auf die Weiden und nebenbei Himbeeren sammeln, damit wir zur Feier genug Saft für euch und alle anderen Kinder haben. Das ist sehr wichtig.“

Lavinia und Robin ließen enttäuscht die Köpfe und Schultern hängen, murrten aber nicht. Viviane wuschelte ihnen ein wenig die Haare.

„Wenn es dem Baby gut geht, nehme ich euch morgen mal mit.“

„Ja! Da freuen wir uns, Viviane! Und heute sammeln wir so viele Himbeeren, dass wir ganz viel Saft pressen können!“ Robin streckte seine Hände weit auseinander und rieb sich übertrieben den Bauch. „Mmmh, Himbeermarmelade schmeckt gut, getrocknete Himbeeren sind genauso lecker, aber Himbeersaft … mmmh … Himbeersaft könnte ich fässerweise trinken!“

„Na, dann mal los ihr zwei, auf dass wir genug Fässer voll kriegen!“

Lavinia zog Robin hinter sich her.

„Wir lassen euch wieder welche übrig!“

Viviane war bei Tinne schneller fertig, als sie gedacht hatte. Die kleine Germania schlief friedlich in der Hängewiege und machte einen gesunden und zufriedenen Eindruck. Es war eben ein großer Vorteil, dass Tinne schon einen kleinen Sohn hatte und genau wusste, was zu tun war.

Noch ein Vorteil war, dass sie eine Sklavin besaß. Die kümmerte sich um den Haushalt und spielte mit dem Jungen. So konnte sich Tinne ganz ihrem Töchterchen widmen. Sie kam gut mit dem Wickeln und Füttern zurecht und hatte die Kleine auch schon erfolgreich angelegt, denn trotz ihrer Winzigkeit hatte sie einen kräftigen Zug. Daher konnten sie alle das Beste hoffen, verabredeten sich für den nächsten Tag und Viviane ging mit Hanibu den Fuhrweg weiter nach oben.

Hanibu betrachtete das Haus von Wahedon, der als erster Krieger des Königs ein noch etwas größeres als Tinne besaß. Vor dem Haus des obersten Druiden klappte ihr allerdings die Kinnlade herunter. Es war mindestens dreimal so groß wie ihr Langhaus im Dorf.