Der mondhelle Pfad

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Robin riss die Augen auf und streckte seinen Kopf weit über den Wagenrand. Lavinia lugte mit einem ziemlich langen Hals hinter Viviane vorbei. „Erzähl!“, riefen sie im Chor und grinsten synchron.

Loranthus seufzte und ergab sich strahlend seinem Schicksal.

„Stellt euch eine riesige Wiese vor, so breit, dass man einen Speer mindestens ein Dutzend Mal werfen muss, bis man zur anderen Seite kommt.“

„So weit auseinander standen die Heere?!“, rief Robin ungläubig, schlug sich aber schnell die Hand auf den Mund. „Erzähl weiter, Loranthus!“

Loranthus tat so, als würde er in weite Ferne sehen und sprach mit geheimnisvollen Unterton: „Die Schlacht begann, als der Hochkönig der Chatten in seine Carnyx blies. Oooh, das hörte sich schauerlich an, kann ich euch sagen! Aber ich höre mir lieber den ganzen Tag zwei Dutzend Carnyx auf einmal an, als noch einmal so eine Schlacht sehen zu müssen und hören noch dazu.“

„So schrecklich war das alles?“, fragte Robin ungläubig, schlug sich wieder die Hand vor den Mund und nuschelte zwischen den Fingern hervor: „Ich will alles ganz genau wissen!“

Loranthus holte tief Luft und tat so, als würde er in enorm langes, aufrecht stehendes Horn blasen. Er brauchte beide Hände, um es fest zu halten, die eine am Mund, die andere weit ausgestreckt über seinem Kopf.

„Die Chatten blasen ihre Carnyx, grölen Schmährufe und schlagen wie die Irren gegen ihre Schilde. Der Lärm ist entsetzlich, absolut grauenvoll. Plötzlich herrscht mit einem Schlag Ruhe. Warum? Nicht, weil ihnen die Luft ausgegangen wäre, oh, nein! Weil die Erde bebt.

Alle Chatten glotzen wie blöde auf ihre Füße. Und ihre Füße, ha, ha! Es war genial! Ihre Füße, die zittern. Ihre Füße vibrieren so stark, dass ihre Knie aneinander scheppern. Das Rütteln und Schütteln zieht ihre Knochen bis hoch und sie fangen an, mit den Zähnen zu klappern. Sie klappern so laut, man kann es noch bis zu uns Hermunduren rüber hören! Auf die Entfernung, das müsst ihr euch mal vorstellen! Wie die Chatten dastehen, mit wackelnden Knien und aufgerissenen Mäulern und sich total entsetzt anstarren! Alle rufen durcheinander: ‚Die Götter der Unterwelt kommen! Hall kommt uns alle holen! Bei allen Göttern, wie kann das sein! Wir haben doch geopfert und die Götter haben uns den Sieg versprochen!‘ Oh! Sie haben geheult wie getretene Hunde, das kann ich euch versichern! Bis sie auf die Idee gekommen sind, nicht mehr auf ihre Füße zu schauen, sondern wieder nach vorne, auf die Hermunduren. Vielleicht haben sie gehofft, sämtliche Götter der Unterwelt hätten die Hermunduren verschlungen! Das wäre ja praktisch gewesen! Aber nein, oh nein! Beim Anblick der Hermunduren sind ihnen die Kinnladen runter geklappt!

Dort hat sich nämlich ein noch viel größeres Heer aus dem Boden gestampft! Stellt euch vor! Wie aus dem Nichts stehen da plötzlich an den Flanken der Hermunduren neue Krieger mit neuen Pferden, neuen Kettenhemden, neuen Schilden, neuen Speeren, neuen Äxten, neuen Schwertern und die anderen Hermunduren jubeln ihnen zu, es wird sich begrüßt und auf die Schultern geklopft … ihr wisst ja selbst, wie es zugeht. Und als sich dann alle Hermunduren fertig in Schlachtlinie aufgestellt haben, grinsen sie rüber zu den Chatten.

Ha, ha! Da reißen die Chatten wieder die Mäuler auf, aber diesmal bringen sie keinen Ton heraus. Sie können nur wie schwachsinnig da stehen und der Sabber tropft ihnen aus den offenen Mündern.

Der Hochkönig der Chatten glotzt am dämlichsten, da tobt er plötzlich wie ein wütender Stier und kreischt, dass man ihn noch auf unserer Seite hört. Wie ein Irrer reißt er mit einem Ruck seine Carnyx hoch, bläst hinein und sofort stürmen seine Bauern los. Oh, ja! Sie stürmen los!

Was bleibt ihnen auch anderes übrig, wenn ihr Hochkönig befielt. Vielleicht hat er sie mit irgendwas besoffen gemacht, dass sie so wild auf’s Kämpfen waren! Die waren ja alle wie im Rausch!

Stellt sie euch vor! Wie sie angestürmt kommen! Nicht wie unzählig viele Bauern, oh, nein! Dicht an dicht wie eine einzige, feste Wand schieben sie sich über das Schlachtfeld. Eine Masse aus rasenden, brüllenden, wahnsinnigen, besoffenen Irren mit wilden Mähnen! Ihre Augen glühen, der Speichel spritzt auf ihre Bärte … Ich sage euch, so sehen Dämonen aus der Anderswelt aus!

Hinter ihnen schlagen die restlichen Chatten wieder dröhnend gegen ihre Schilde und johlen Schlachtgesänge, damit die Bauern auch wirklich wissen, dass sie sich nicht blamieren dürfen! Nicht, dass einer umkehrt oder vor Angst in die Hosen seicht oder gar scheißt! Muss ja schließlich irgendeinen Zweck haben, das ganze Geschrei! Also grölen die anrückenden Bauern auch wie irre und schwingen dabei derart rasant die Beine, das Gras wird hochgewirbelt, die Fetzen fliegen … Es ist der reinste Wahnsinn! Ihre Arme rudern wie verrückt durch die Luft und ihre Waffen … so viele tödliche Waffen! Scharfe Äxte, Speere, riesige Messer und weiß der Geier noch was!

Auf unserer Seite bläst Hochkönig Eryrrix ebenfalls in seine Carnyx, sofort preschen die Streitwagen im wilden Galopp los und teilen sich auf. Es sieht richtig anmutig aus, wie die Kolonne erst zusammen ausrückt und sich dann mit einem spektakulären Wendemanöver in drei Gruppen aufteilt. Ein Teil fährt gerade aus weiter, die anderen Teile schwenken nach rechts und links ab.

Viviane rast mit ihrem Streitwagen zur rechten Flanke, unser Amaturix reitet auf seinem Hengst mit. Gemeinsam jagen sie am Rande des Schlachtfeldes entlang. Die Streitwagen der Chatten kommen ihnen so schnell entgegen, dass man nur noch fliegende Hufe und hoch stiebendes Gras sieht. Wie Donnergrollen hört es sich an. Tiefes, bedrohliches Donnergrollen.

Auch im Mittelfeld preschen die Streitwagen vorwärts. Oen und Harthu und andere Schleuderer jagen damit über das Schlachtfeld und steigen dann auf halber Höhe aus. Die haben die Ruhe weg, sag ich euch, denn sie sind natürlich viel schneller, als die Chatten-Bauern zu Fuß, auch wenn die noch so schnell rennen. Bis die ihnen gefährlich werden, haben unserer Schleuderer schon Unmengen an Wurfgeschossen abgeschleudert.

Diese Wurfgeschosse sind aber keine glatten Steine oder die praktischen Tonkugeln, wie ihr sie macht, oh, nein! Es sind Kugeln aus Metall! Unser Amaturix hat sie gegossen. Diese Kugeln fliegen viel, viel weiter als normale Schleudersteine und schlagen dermaßen durch, selbst durch Schilde! Bei Zeus und Pallas Athene! Blut spritzt, Knochen splittern, Augen bersten, Nasen … ja, ganze Gesichter!“

Loranthus presste sich die Hand gegen seine Stirn und erschauerte.

„Die Bauern sind noch nicht mal zu einem Viertel über das Schlachtfeld, da stehen schon Streitwagen mit Bogenschützen parat. Tarian ist mit dabei. Er spannt seinen Langbogen und einen Wimpernschlag später rammt sich sein Pfeil in die Stirn eines Chatten. Durch den Schild!“

Loranthus wischte sich geistesabwesend über seine eigene Stirn.

„Massenweise schlagen Pfeile in die Chatten. Manche haben aber Glück und rennen weiter, kreischen noch wahnsinniger und fordern Vergeltung. Die sollen sie bekommen! Unsere Streitwagen mit den regulären Speerwerfern erwarten sie schon, unsere Krieger zu Pferde mit dazu. Wer es von den Chatten-Bauern dennoch schafft und irgendwie durchkommt, der rennt gegen Lanzen und Schwerter und Streitäxte und … beim Haupte der Medusa! … Die Waffen krachen aufeinander und klirren und alle brüllen und kreischen und die Pferde stampfen und wiehern und die Streitwagen metzeln mit ihren Klingen an den Radnaben alles nieder … Fleisch und Knochen … und das Gras auf dem Schlachtfeld, alles färbt sich rot … so entsetzlich rot … und überall liegt …“

Robin stöhnte auf und verzog das Gesicht, als hätte er große Schmerzen. Loranthus nickte und zeigte auf Arion und Dina, die unbeeindruckt den Streitwagen zogen.

„An den Flanken kämpfen derweil die restlichen Streitwagen gegeneinander. Viviane und Silvanus ducken sich unter ihre Schilde gegen die anfliegenden Speere. Silvanus nutzt eine Lücke, trifft einen feindlichen Lenker und brüllt zu Viviane, wer als nächster an der Reihe ist. Viviane lenkt, weicht aus und reißt ihren Schild hoch. Wie Athene persönlich lehnt sie sich aus dem Wagen und schwingt ihr Drachenschwert … der näher kommende Lenker hebt seinen Schild, der splittert und er starrt auf seinen Armstumpf. Da trifft ihn Silvanus’ Speer im Rücken und er kippt aus dem Wagen. Der Werfer kippt hinterher, Silvanus dreht sich verdutzt um und sieht Amaturix entschuldigend die Hände heben. Viviane schüttelt strafend den Kopf, dann wendet sie den Wagen.

Im Mittelfeld stehen plötzlich die Krieger der Chatten und schlagen um sich, während sich die restlichen Chatten-Bauern zusammen rotten, unsere Krieger von ihren Pferden zerren und mit Äxten und Speeren auf sie eindreschen. Da kommen ein paar Amazonen; die Kriegerinnen vom Dolmar, eine Kriegerkönigin führt sie an! Mit wildem Geheul preschen sie durch das Getümmel, um unsere Krieger zu retten, doch sie können nicht überall sein! Alle anderen Kämpfer sind in Zweikämpfe verwickelt … da bildet sich eine große, wilde Meute und attackiert unseren Wahedon … sie werfen einen Speer auf ihn … daneben … sie schleudern Äxte auf die Pferde rechts und links … die armen Tiere brechen zusammen, begraben ihre Reiter unter sich … ein paar aus der Chatten-Meute machen sich mit wahnsinnigem Siegesgeheul über unsere wehrlosen Reiter her … nun hat Wahedon keine Flankendeckung mehr … sieben Chatten umzingeln ihn … sieben! Und Wahedon hat nur noch sein Schwert! Er haut um sich, als wolle er Bäume fällen, doch die Chatten haben gute Schilde und springen in Deckung … Wahedon schaut sich um … alle Hermunduren sind in Kämpfe verwickelt … die Meute greift wieder an … da kommt unser Lanzenkämpfer, dieser German, angerannt und spießt einen Chatten auf, so schnell und kraftvoll wie Zeus mit seinem Blitz. Und wie ein Kriegsgott in Person reißt German die Lanze zurück, dreht gekonnt die andere Spitze vor und trifft den nächsten Chatten … zack! Und noch ein Blitz und noch ein Blitz! Diesmal daneben! Wahedon schlägt sich mit zwei Chatten gleichzeitig, die letzten beiden halten sich zurück und warten auf eine günstige Gelegenheit … Da täuscht der eine an, reißt seine Axt hoch, schwingt sich herum und hechtet über einen der Toten am Boden drüber … genau in den Rücken von German. Die Axt schlägt mit einem brutalen Knirschen in Germans Kettenhemd ein … er spuckt Blut … im gleichen Augenblick rammt Wahedon dem Chatten sein Schwert ins Genick …“

 

Loranthus hebt ebenfalls seinen Arm, lässt ihn hernieder sausen, schüttelt traurig den Kopf.

„Während Wahedon sich vom letzten Chatten freikämpft und sich endlich um German kümmern kann, fällt Hirlas mit einer Axt im Beinschutz. Arminius steht gegen einen Bär von Chatten im Schwertkampf, von hinten nähert sich ein anderer Chatte, doch Tarian besiegt seinen eigenen Gegner und wirft sein Messer, um Arminius zu helfen. Conall trifft ein Schwert im Rücken, er dreht sich um, winkt seinen Gegner näher heran und grinst blutüberströmt …

Auch Viviane fletscht die Zähne und nimmt den nächsten Wagen ins Visier. Ihre Speerspitzen durchdringen Kettenhemde und Schilde besser, die Klingen ihrer Räder zerschmettern die Räder der Chatten besser, bald jagen sie im Rudel. Amaturix steigt im Schlachtgetümmel auf den erstbesten freien Streitwagen, wirft alle Speere weg und prescht zur gegnerischen Seite.

Die Nachhut der Chatten macht einen Satz Speere und einen neuen Werfer bereit, weil ihnen in ihrer Siegesgewissheit gar nicht einfällt, dass ihnen da ein Hermundure entgegengeprescht kommen könnte! Bis sie ihren Irrtum bemerken, ist Amaturix schon genau vor ihnen und alle sprengen auseinander, wegen der Klingen an seinen Rädern. Feixend fährt er einfach vorbei und winkt ihnen sogar zum Dank. Wie blöde glotzen sie ihm hinterher. Amaturix erreicht ohne Probleme die Anhöhe.

Als die Chatten-Könige dort oben die blitzenden Klingen an seinen Radnaben sehen … oh, ich sage euch! Da strecken sie ihre Schwerter vor und scharren sich wie aufgescheuchte Hühner um ihren Hochkönig, als könnte der noch was tun! Doch Amaturix umkreist sie nur, das lässt sie aufatmen. Abwartend senken sie ihre Schwerter … ja, sie triumphieren sogar … bis ein zweiter Streitwagen auftaucht und sie unter dem Blut und Dreck Viviane und Silvanus erkennen. Da vergeht ihnen das Lachen. Aber trotzdem! Auch Viviane greift nicht mit dem Streitwagen an! Oh, nein! Sie steigt sogar aus und bedeutet Silvanus, er solle es sich gemütlich machen!

Da wird den Chattenkönigen alles klar und sie besprechen sich kurz. Ein König tritt aus dem Pulk und zeigt, hochmütig lächelnd, auf Viviane. Viviane deutet eine Verbeugung an und zieht ihr Langschwert. Silvanus winkt ihr salopp zu und trommelt mit den Fingern auf dem Streitwagen herum, so als solle sie sich mal beeilen, er hätte nicht den ganzen Tag Zeit.

Auch Amaturix lehnt so lax an seinem Streitwagen, als habe er gerade nichts Besseres zu tun. Aber er beobachtet den Kampf ganz genau und sieht die überraschten Gesten der Könige, als sie Vivianes Schwert mit den eingravierten Drachen erblicken. Da fällt ihnen auch schon ein grinsender Kopf vor die Füße, sofort treten zwei Könige gleichzeitig aus ihrem Pulk vor und brüllen wie irre. Viviane lässt ihren Schild fallen und zieht noch das Kurzschwert. Sie tötet den ersten mit einem Stoß rückwärts und schlägt dem anderen gleichzeitig das Schwert entzwei. Seine Verwirrung wird ihm zum Verhängnis.

Amaturix ahnt, was jetzt kommt und stellt sich schnell Rücken an Rücken mit Viviane, da greifen auch schon alle Könige gemeinsam an. Wie die Wahnsinnigen hauen sie mit ihren Schwertern um sich, bis sie merken, dass sie sich gegenseitig behindern. Da gehen sie alle zusammen rückwärts. Viviane, überströmt von Schweiß und Blut und Dreck wie die Rachegöttin in Person, winkt zwei Könige heran und lacht sie aus, weil sie laut schlucken. Auch Amaturix wählt zwei Gegner und der Kampf beginnt aufs Neue. Viviane tanzt um ihre Gegner, taucht weg und überspringt sogar den kleineren. Amaturix verwundet mit jedem Schlag. Als die Könige fallen, sinken die Restlichen auf die Knie und beugen das Haupt.

Hinter ihnen steht nur noch der Hochkönig, aufrecht und erhaben, das Haupt stolz empor gereckt. Wie ein tollwütiger Hund fletscht er die Zähne, stößt einen bestialischen Schrei aus und stürzt sich auf Amaturix. Viviane tritt zurück, beobachtet den Kampf und die immer noch knienden Könige. Sie sind dem Schlachtfeld zugewandt und machen keine Anstalten, ihrem Hochkönig zu helfen. Da hebt plötzlich einer den Kopf. Viviane und die anderen Könige sehen in dieselbe Richtung …“

Loranthus redete nicht weiter.

Robin und Lavinia sahen schon lange nicht mehr dahin, wo sie fuhren, sodass Viviane die Zügel übernommen hatte. Doch auch sie musterte Loranthus neugierig, genau wie alle anderen.

Silvanus klatschte Loranthus die Hand auf den Rücken.

„Spuck’s endlich aus, Loranthus! Robin wird schon ganz blau vom Luft anhalten!“

Loranthus sah ihn an, als wüsste er gar nicht, was er meinte.

Silvanus verdrehte die Augen.

„Dann sag ich es eben, wenn du vergessen hat, wie die Schlacht ausging.“

Silvanus drehte sich von einem zum anderen und machte eine Bewegung, als wolle er in ein riesiges Horn blasen. Geheimnisvoll senkte er seine Stimme und raunte: „Es war total seltsam, kann ich euch versichern, aber … mitten im größten Schlachtgetümmel … da kommt tatsächlich die Todesgöttin, genau wie es Madite vorausgesehen hatte. Sie bläst einmal in ihr Horn und ein dumpfer, nie gehörter Ton schallt über das Schlachtfeld. Alle Kämpfer heben die Köpfe und versuchen auszumachen, woher dieser seltsame Hörnerklang kommt … doch nur wer in ihrer Nähe steht, erkennt die Todesgöttin in Dreiergestalt. Oh, ja, Hall! Die oberste Todesgöttin höchst persönlich! Wer sie erblickt, hört sofort auf zu kämpfen und wirft sich hastig nieder … Hall beachtet sie gar nicht, sondern lässt ihr Horn zum zweiten Mal erschallen und jetzt, wo rund herum alle danieder liegen, können viele Kämpfer sie erkennen. Hermunduren und Chatten, wie sie da stehen und auf sich eindreschen … sie alle werfen sich nieder ins rote Gras und wimmern vor Angst. Es gibt aber auch noch ein paar unter ihnen, die sind so in Brass, dass sie erst noch ihren Gegner mit in die Anderswelt nehmen wollen, bevor sie der Blick von Hall trifft. Doch so oder so: Als Hall das dritte Mal in ihr Horn bläst, da liegt jeder auf dem Boden, egal ob Chatte oder Hermundure, und die Schlacht ist aus.“

Lavinia machte große Augen.

„Hall war wirklich gekommen? In echt? Das ist … also das ist … Mir fehlen die Worte!“

„Das ich das mal erleben darf!“, seufzte Robin und streckte dankend seine Hände gen Himmel.

Lavinia wollte sich gerade auf ihn stürzen, da drückte ihr Viviane wieder die Zügel in die Hände.

„Lass gut sein, Lavinia!“, sagte sie langsam und betrachtete Loranthus von der Seite. „Auch mir haben die Worte gefehlt. Ich konnte nur dastehen und hinüberstarren zu der alten Eiche, wo die rote Göttin in Dreiergestalt erschienen ist. Doch bevor sie zu mir sehen konnte, habe auch ich mich nieder geworfen, denn wer könnte schon von sich behaupten, jemals Hall in die Augen gesehen zu haben.“

Loranthus schielte zu Viviane und ein Zittern erfasste seinen ganzen Körper.

Er sah plötzlich die verzerrten Gesichter der Toten vor sich. Jede Nacht träumte er nun schon von ihren Wunden, fühlte ihre Schmerzen, und es wären noch viele viele mehr gewesen, wenn Hall nicht gekommen wäre. Sollte er irgendwann einmal jemandem erzählen, was er alles gesehen hatte … wirklich alles … Er wischte sich unauffällig über die Augen.

„Was meinst du wohl, Loranthus?“, fragte Medan und tastete die Windungen seines langen kupferroten Zopfes ab. „Wie lange hat die Schlacht gedauert?“

„Wie lange?“, krächzte Loranthus und zog verdutzt die Augenbrauen hoch. „Soll ich den Tag davor, den mit den Schaukämpfen, mitrechnen?“

Medan wiegte den Kopf.

„Nein, die Schaukämpfe kannst du weg lassen. Die sind doch nur dazu da, um allen zu beweisen, wie gut man kämpfen kann. In der echten Schlacht hat nämlich keiner mehr die Zeit, vor sämtlichen Augen von Freund und Feind mit seinem Mut zu protzen.“

„Äh … ja, … beweisen … protzen … nun, da magst du recht haben“, bestätigte Loranthus und ergänzte: „Solche Schaukämpfe sollen wohl auch dazu dienen, dem Gegner zu zeigen, wer der Stärkere ist. Es soll ja schon vorgekommen sein, dass eine Partei lieber das Weite gesucht hat, weil sie sämtliche Schaukämpfe verloren hat. Es soll sogar schon mal eine Schlacht gegeben haben, da dauerten die Schaukämpfe mehrere Tage, bis sich die Gegner doch noch zu einer Schlacht aufgerafft haben …“

„Red nicht um den heißen Brei herum!“, forderte Medan und drehte den Finger durch die Luft. „Wie lange?!“

„He? Ach ja, die Schlacht!“

Loranthus schielte zu Viviane hinüber.

Sie betrachtete eine hübsche gelbe Blume am Wegesrand und tat so fasziniert, als wäre diese ein seltenes Heilmittel gegen Gedächtnisschwund. Wahrscheinlich überlegte sie wirklich, ob sie das Pflänzchen gebrauchen konnte. Er persönlich hätte nichts gegen einen schmackhaften Kräutersud gegen Schlafstörungen einzuwenden …

„Also was nun, Loranthus“, drängelte Medan. „Sag schon! Du, als Außenstehender, hast ja wohl die Schlacht am objektivsten betrachtet!“

Loranthus verzog das Gesicht.

„Was, objektiv? Du denkst, ich sein unvoreingenommen? Nun, ja … natürlich, das bin ich … also ich würde mal sagen … die reine Schlacht … vom Aufstellen bis zur Todesgöttin … etwa eine Stunde.“

„Was!“, brüllte Medan und starrte Loranthus so entrüstet an, als hätte der ihn schwer beleidigt. „Ei-ne Stun-de?! Mehr nicht?! Das kann doch nicht wa … chhhhh … lass … chhoo!?“

Zu mehr war Medan nicht mehr fähig, denn Conall stand plötzlich da und hatte ihn mit einer Hand im Genick gepackt. Mit gefletschten Zähnen rüttelte er ihn kräftig durch, während die Leute rundum ihre Hälse reckten, weil sie nur Medans letzte Worte verstanden hatten. Sofort entstand ein Wettstreit, wer seinen Wagen am schnellsten zum Stehen brachte; Fußgänger schlugen natürlich auf der Stelle Wurzeln, wobei manch verkorkste Gestalten entstanden. Einer vergaß sogar seinen Fuß in der Luft, weil er sich so auf Conall konzentrierte, der seinen Mund weit aufriss, um Medan zu verschlingen.

„Du kleiner Wicht! Du wagst es!“, grollte er so laut, dass es jeder im Umkreis von dreißig Schritt verstand. Wer weiter weg war, sorgte schleunigst für einen kürzeren Abstand, um deutlich zu hören: „Eine Stunde Schlachtgetümmel ist dir nicht genug?! Eine Stunde gegenseitiges Abschlachten von Menschen reicht – dir – nicht!?“

„Conall, hör auf!“, bettelte Medan, der wieder ein bisschen Luft zu bekommen schien.

Conall änderte das sogleich und nahm ihn in den Schwitzkasten.

„Was meinst du wohl, du dürres Rippchen …“, knurrte er mit einem diabolischen Grinsen und spannte seinen unversehrten Arm zu einem mächtigen Muskelpaket an. „Wie lange würde es dauern, bis du einen Hieb abbekommst? Egal was für einen! Einen Speerstoß, einen Schwertstreich, einen Axthieb oder von allem etwas?“

Er kickte Medan den freien Ellenbogen in die Rippen, krachte ihm den Schädel gegen seinen und rammte ihm ein Knie gegen die Beine. Medan röchelte nach Luft, zappelte und wand sich, Conall johlte dazu: „Was meinst du wohl, wie die Chancen stehen, bis du an einen Gegner gerätst, der besser ist als du gackerndes Hähnchen? Ein Chatte? Oder zwei? Oder gar drei?! Los! Sag was, du bartloser Ziegenbock!“

„Ichgannnich … mee …“, wimmerte Medan und sein Gesicht war schon ganz rot.

„Aha! Der Herr Kriegsgott aller hirnlosen Meckerziegen kann nicht mehr! Dann sage ich jetzt mal … so über den Daumen gepeilt … du hältst zwei Chatten stand. Das ist viel! Viel mehr als ich glauben möchte, aber nehmen wir mal an, du hast Glück und schaust erst beim dritten Gegner an dir herunter, weil du plötzlich dein Bein nicht mehr spürst … Tja, du hast vergessen, es rechtzeitig weg zu stellen!“

Er schlenkerte Medan ein wenig herum und wuschelte ihm seinen ordentlich geflochtenen Zopf durcheinander, während Medan auf seinen Zehen tänzelte, um nicht zu sehr gewürgt zu werden.

 

„Das, kleiner Bruder, kann schon mal passieren, wenn man weiter oben beschäftigt ist! Wie durch ein Wunder besiegst du deinen Gegner trotzdem noch schnell, weil du nämlich nur umkippen willst, ohne gleich tot zu sein. Leider denkt dein Gegner das Selbe und du musst dir deinen Sieg redlich verdienen, aber wie schon gesagt, du schaffst es. Nun liegst du also da, nur halb tot, inmitten von abgehackten Fingern, Händen, Armen, Beinen oder herausquellenden Gedärmen, inmitten von Blut, Pisse und Scheiße … Weil es dir da unten nicht gefällt, versuchst du aufzustehen, aber dein Bein macht nicht mit und irgendwie will auch dein einer Arm nicht so recht. Also tastest du nur mit einer Hand um dich herum nach besserem Halt und hast plötzlich ein glitschiges Auge in der Zerre … aber damit nicht genug! Oh, nein! In dem Moment siehst du eine wilde Horde Chatten auf dich zukommen! Sie fuchteln mit riesigen Messern und Schwertern und Äxten und sie sehen aus wie Irre … und diese Wahnsinnigen stürmen dir entgegen, und du liegst da und willst weg … doch du kannst nur noch kriechen, sie sind natürlich viel schneller, und da siehst du dein Weib, wie es schreit in den Wehen, und du siehst dein winziges, blutverschmiertes Töchterchen in deinen Armen, und dein Sohn weint, weil er sich das Knie aufgeschrammt hat, und du willst ihn trösten, doch du kommst nicht hin, weil dein Bein aufgeschlitzt ist … und diese blutbesudelten Chatten jauchzen und hetzen wie eine hechelnde Meute Hunde auf dich zu, die Blut geleckt hat und du weißt: Jetzt ist alles aus, und du pisst dir vor Angst in die Hosen und kneifst die Augen zu und wartest auf den ersten Schlag und bittest Hall, dass sie dich gnädig aufnimmt und dass es schnell vorbei ist …“

Conall atmete schwer. Mit einem Ruck gab er Medan frei, der sich schnell den Hals abtastete und seinen großen Bruder anstarrte, als hätte er einen Geist aus der Anderswelt vor sich.

Conall schüttelte traurig den Kopf und zeigte an sich herunter.

„Und dann“, flüsterte er. „Dann machst du die Augen auf und stellst fest, dass es die Chatten-Horde gar nicht auf dich abgesehen hat. Sie sind zehn Schritte weiter und haben den ältesten Sohn von Eburix samt seiner beiden Flankenreiter von den Pferden gezerrt. Wie animalische Bestien hauen und hacken und stechen sie auf die drei ein, mit gierigem Glitzern in den Augen wollen sie dem Königssohn seinen Schmuck abnehmen. Sie müssen sich natürlich beeilen, weil Ethel oder ihre Töchter sie irgendwann entdecken werden und ihrem Treiben ein Ende machen. Aber bis jetzt ist sie noch nicht zu sehen und die Armreifen und Bartperlen gehen schnell ab, bloß bei den Fingerringen müssen sie die Messer zücken, weil sie nicht lange zerren wollen und der Königssohn brüllt … Sein goldener Torques geht natürlich gar nicht runter, also hebt einer die Axt und der arme Junge … Hall, erbarme dich! Es ist kein Mensch mehr, der da schreit. Doch weil die Monster so in Rage sind und sich gegenseitig in die Quere kommen, trifft der Idiot mit der Axt nicht richtig, und die Schneide verklemmt sich im Brustkasten, und der Wahnsinnige reißt sie wieder raus, und der Königssohn kreischt, und die Axt kracht wieder runter … Diesmal ist es ein Ohr, weil der arme Junge in seinem Schmerz natürlich nicht still hält … Die Chatten geifern wie tollwütige Hunde, als beim nächsten Schlag das Gehirn herausquillt und der Rest vom Körper zuckt und zappelt und sich aufbäumt und stöhnt … Denk ja nicht, dass sich irgendeiner erbarmt … oh, nein! Sie zerstückeln ihn bei lebendigem Leibe und als sie es endlich geschafft haben, jauchzen sie und tanzen und raffen ihre Beute ein …“

Conall holte tief Luft und atmete rasselnd aus.

„Und was tue ich?“, fragte er tonlos und schüttelte seine geballten Fäuste. „Nichts tue ich. Ich kann nur starren, starren und nochmals starren … doch was das Allerschlimmste ist … Ich bin so ein erbärmlicher Hund, denn ich bin erleichtert. Unendlich erleichtert, dass nicht ich es bin, der da nicht mehr zu erkennen ist und ich danke Hall, als sie erscheint und ich endlich meine Augen schließen kann, jetzt wo keiner mehr kommt, der es vielleicht doch noch auf mich abgesehen hat … Und wie ich so daliege, höre ich lautes Hufgetrappel, König Donar kommt an mir vorbei mit Ethel an seiner Seite und ihre Töchter gleich hinterher. Du kannst dir ja vorstellen, wie lange diese blutrünstigen Chatten noch zu leben hatten.“

Conall kniff die Augen zu und öffnete sie langsam wieder. Staunend blickte er um sich, als wüsste er nicht genau, wo er war. Medan glotzte ihn an und zog schniefend die Nase hoch.

Mittlerweile hatte sich der gesamte Clan eingefunden. Alle beobachteten stumm, wie Medan sich schluchzend in die Arme seines ältesten Bruders warf und Conall ihn tröstete, wie er es schon immer mit seinem kleinen Bruder getan hatte, nur diesmal mit einem Arm und schmerzverzerrtem Gesicht. König Gort wischte seiner Elsbeth über die Wangen und gab ihr einen sanften Kuss.

„Lasst uns weiter ziehen“, sagte er mit belegter Stimme. „Gleich haben wir es geschafft.“

Schwerfällig löste sich die Menschenmenge auf, während Lavinia etwas murmelte, dass sich wie: „Rein rechnerisch dürfte es noch nicht mal eine Stunde gedauert haben. Immerhin waren die Heere ungefähr gleich stark und so konnten auch nur einer, höchstens zwei Gegner gegeneinander kämpfen … schon gar nicht wegen der gut durchdachten Eröffnungstaktik unsererseits.” Laut sagte sie aber: „Viviane?“

„Ja, Lavinia?“

„War es sehr laut auf dem Schlachtfeld? Ich meine: Wenn die Schwerter klirren und die Menschen schreien … Haben Arion und Dina dabei nicht gescheut?“

Viviane räusperte sich.

„Nein, sie haben nicht gescheut, Lavinia. Bei unseren Übungsfahrten auf der Burg wurden sie daran gewöhnt. Die Krieger haben nämlich immer die Schilde zusammengeschlagen und geschrien. Aber trotzdem war dieser Lärm gar nichts im Vergleich zur Schlacht. Da war es so laut, als ob der schlimmste Sturm und das gewaltigste Gewitter gleichzeitig um dich herum toben, und du kannst dich nirgends unterstellen.“

„Da kannst du nur hoffen, dass es bald vorbei ist.“

Viviane sah ihre kleine Schwester ernst an.

„Genau so ist es.“

„Ihr musstet euch doch bestimmt auch vor den Speeren der Chatten schützen. Wenn man dabei die ganze Zeit den Arm mit dem schweren Schild hochhalten muss … Das geht doch gar nicht!“

Lavinia schüttelte ihren Arm aus, der schon vom Zügel Festhalten wehtat.

Viviane lächelte sie an und nickte zu Robin.

„Dafür gibt es Halteriemen, die gehen quer über die Schulter. Unsere hat übrigens Conall gemacht. Sie haben gar nicht gescheuert. Alle haben uns darum beneidet.“

Robin schwoll die Brust, was ihn wie eine verkleinerte Ausgabe von Medan wirken ließ, der im Moment jedoch ziemlich geknickt und mit mächtig zerzaustem roten Zopf neben Conall ging. Die beiden schienen in ein sehr ernsthaftes Gespräch vertieft.

„Mein Papa hat diese Riemen gemacht?“, flüsterte Robin andächtig. „Die muss ich mir nachher unbedingt mal ansehen!“

„Nachher, Robin. Jetzt sind wir da.“

Mit diesen Worten tat sich vor ihnen der Wald auf und sie fuhren zwischen den letzten Bäumen hindurch auf die riesige Wiese vor der Burg. Der Tross fächerte sich längs des Fuhrweges auf und die Leute setzten sich ins Gras. Nur die Kämpfer sammelten sich um König Gort und Afal.

Loranthus wollte auch hingehen, aber Medan hielt ihn an seinem kurzärmeligen Hemd fest.