Der mondhelle Pfad

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Es war Adalrich. Er stand zwischen den Backöfen, hopste auf der Stelle und winkte mit beiden Armen, damit sie ihn besser sehen konnte. Seine blauen Augen strahlten wie der Himmel über ihm.

Und plötzlich sah Furia gar nicht mehr aus wie eine überhebliche Königstochter. Sie lachte ganz offen und winkte ihrem kleinen Bruder genauso ausholend zurück. Adalrich jauchzte, bedeutete ihr, dass er später vorbei kommen wolle und rannte schnell hinter seinen Mitschülern her, um nicht den Anschluss an Aodhrix zu verpassen.

Je weiter sich Adalrich entfernte, desto mehr kehrte Furias abweisende Miene zurück und versteinerte in dem Augenblick, als er außer Sicht war. Wie zum Stoß zuckte ihr Kinn gegen Viviane.

„Und wieso trägst du deine Waffen nicht!? Dein Stand gebietet dir, die Zugehörigkeit zur Bruderschaft des Drachenschwertes zu präsentieren. Schließlich gibt es von deinesgleichen so wenige. Ach!“ Furia winkte verächtlich ab. „Wenige ist wohl stark übertrieben. Elitekrieger. Ihr seid ja nur zu zweit und müsstet schon den ganzen Tag von früh bis spät durchs Lager laufen, damit man eurer überhaupt gewahr würde. Vielleicht bekomme ich dann die Gelegenheit, um endlich mal dein Schwert …“ Sie rümpfte wieder die Nase. „ … in Ruhe zu begutachten.“

Viviane lächelte.

„Deine Zunge ist so scharf wie mein Schwert im Urzustand. Sei daher unbesorgt, zum Opferfest werde ich dir deinen Wunsch erfüllen. Und … da fällt mir gerade ein … heute Morgen habe ich tatsächlich ein wirklich einzigartiges Gewand geschenkt bekommen. Wenn es nicht mehr so heiß ist, ziehe ich es bestimmt mal an. An so einem schwülen Tag bleibt einem jedoch nur das Wasser zur Abkühlung.“

„Apropos Abkühlung: Silvanus wollte auch gerade zum See. Der Ärmste hat eine Abkühlung wirklich nötig. Er verströmt eine Hitze wie Arcturus im Simiuisonna. Ich bin richtig ins Schwitzen gekommen.“

„Du solltest nicht zu nah ran gehen, Furia. Schweiß macht Schlieren auf deinem überaus weißen Teint.“

„Oh ja, wie recht du hast!“ Furia hielt ihren Arm gegen den von Viviane. „Man kann den Unterschied von einer Königstochter zu einem Bauernkind deutlich sehen. Aber keine Sorge, Viviane. Ich stand ja im Schatten. So konnte ich mich der Anziehungskraft restlos hingeben, die Silvanus umgibt. Hach, er ist ja sooo gefährlich maskulin! So animalisch! Seine Muskeln! Seine dunklen Locken und diese Augen! Er hat so eine düstere Aura, verlockend wie eine laue Sommernacht! Ich wäre die perfekte Mondgöttin für ihn.“

„Heute Nacht wird ein Gewitter toben, Furia. Doch danach wünsche dir wieder ruhige Sommernächte, bis zu dem Moment, wenn der große Wolf die Mondgöttin verschlingt.“ Viviane schürzte die Lippen und legte den Kopf schief. „Wusstest du eigentlich, dass mein Schutzgeist eine Wölfin ist? Nein? Macht nichts. Das ist im Moment auch nicht wichtig, ich muss ins Wasser! Hast du Lust mitzukommen? Nein? Ach, wie konnte ich das vergessen! Ein simpler See ist ja unter deinem Niveau! Du bevorzugst natürlich den Teich der Weisheit! Ist zwar ziemlich weit bis dorthin …“ Sie zeigte hinauf in den Himmel. „ … aber du, als angehende Mondgöttin, schaffst das schon! Bis zum nächsten Mal, Furia!“

Furia hob schlapp die Hand zum Gruß. Ihre Augen schauten traurig und sie flüsterte, mehr als dass sie rief: „Bis bald, Viviane!“ Da drehte sich Viviane noch einmal um, schon präsentierte sie wieder ihren überheblichen Blick. Viviane johlte aber nur: „Die Kette ist übrigens ein echter Hingucker! Passt gut zu dir!“, und schon ging sie weiter.

Verdutzt, ja sogar fast geschmeichelt, tastete Furia ihren Hals entlang und ließ ihre Finger auf den enormen Edelsteinen verweilen, streichelte sie gedankenverloren und flüsterte mehr zu sich selbst: „Ja, sie ist wirklich einzigartig, ein Geschenk meiner Mutter, kurz bev …“ Sie schluckte, ihr Blick verschwamm, mit schierer Willenskraft kämpfte sie die Tränen zurück. Plötzlich räusperte sich jemand hinter ihr. Erschrocken drehte sie sich um.

Da stand Hirlas, Naschus jüngster Bruder. Schon wieder einer aus dem Hirschclan. Sofort kam in ihre Augen der harte, undurchdringliche, leicht höhnische Ausdruck zurück. Nur noch ein geringer verräterischer Schimmer war von ihrer Trauer übrig, doch Hirlas hatte den Kopf schon unten.

„Was willst du.“

Hirlas räusperte sich wieder und neigte den Kopf noch tiefer, er hatte schließlich mächtig mit seinen Gesichtsmuskeln zu kämpfen.

„Hohe Herrin …“ Er räusperte sich noch einmal und kniff sich fest in den Arm. Jetzt passte die Mimik. „Furia, Tochter des stattlichen Naharrix, ich wollte mich bei dir nach Perdite erkundigen. Ich habe sie noch nicht gesehen und da sie doch …“

„Perdite ist tot,“ fiel Furia ihm ins Wort.

Hirlas konnte gerade noch einen Entsetzensschrei unterdrücken und tarnte sein Keuchen mit einem Husten. Mit dieser Wendung hätte er nie und nimmer gerechnet. Ihm war ganz schwindelig. Furia durfte nichts merken. Sicherheitshalber behielt er seinen Kopf unten.

„Was ist mit ihr geschehen? Ist sie im Kindbett gestorben?“

„Im Kindbett gestorben!? Was redest du da für Schwachsinn!?“

„Das ist kein Schwachsinn!“, fuhr Hirlas empört auf, besann sich aber sofort und senkte den Kopf noch tiefer.

Furia zog die Augenbrauen zusammen und schaute bedrohlich funkelnd auf ihn herab. Ihr fiel aber ein, dass Viviane noch nicht weit genug weg war und die war immerhin eine gute Freundin von Hirlas. Also senkte sie die Stimme zu einem, ihrer Meinung nach, angenehmen Tonfall.

„Rede und sage mir gefälligst, wie du auf derlei Gedanken kommst!“

Hirlas scharrte nervös mit den Zehen kleine Kieselsteine hin und her.

„Das ist so, hohe Herrin: Letztes Samhain war unser König Gort doch Gast bei deinem Vater, Naharrix, genau wie alle anderen Könige der Hermunduren. Und als er wieder zurückkam, hat er uns erzählt, Perdite hätte einen Krieger von Naharrix zum Mann erwählt.“

Furia schnaubte verächtlich.

„Wie kommt euer König darauf?“

„Nun, hohe Herrin, er hat sie gesehen … ich meine, König Gort hat Perdite und den Krieger gesehen, wie sie … äh … also … ich meine …“

Furia beendete das Gestammel mit einem herrischen Schlag durch die Luft.

„Ich weiß schon, was du damit sagen willst. Ja, Perdite hat sich mal wieder einen heißen Stein geholt, damit ihr Lager nicht abkühlt“, leierte Furia gelangweilt herunter. Verächtlich winkte sie ab, beugte sich ganz nah zu Hirlas und zischte: „Um es präzise zu sagen: Perdite dürfte jedes Lager eines Mannes, von den Thuringer Bergen bis Raino gewärmt haben. Dein älterer Bruder Naschu kann sicher ein Lied davon singen. Er würde in dem großen Chor gar nicht auffallen, denn mindestens …“ Furia schürzte die Lippen und sah sich in der Gegend um. „ … mindestens zehn Dutzend Männer müssten Klagelieder, vielleicht sogar Schmählieder auf Perdite singen, so ruchlos hat dieses Weibstück alle an der Nase herum geführt.“

Hirlas lief rot an vor Zorn, doch Furia seufzte übertrieben und beugte sich an sein Ohr, was ihm sofort das Blut zu den Füßen trieb.

„Und wenn mich nicht alles täuscht, hat sie auch genauso oft die Hilfe der Kräuterfrauen in Anspruch genommen, damit sie ohne Last von einen auf den anderen weiter hüpfen konnte, wie eine emsige Biene, die von Blume zu Blume schwirrt.“

Hirlas starrte sie ungläubig an, doch sie seufzte: „Armer Naschu! Ich hatte ihn vor ihr gewarnt, aber er wollte nicht auf mich hören! Tja, er war damals noch genauso grün hinter den Ohren wie du, Hirlas.“

Hirlas’ Fuß verharrte über einem Kiesel und kickte sein Blut wieder hochwärts. Sofort breitete sich eine sehr dunkle Zornesröte über sein Gesicht bis hin zu den Ohren. Fest ballte er seine Hände zu Fäusten und krampfte sie im schnellen Takt seines Herzens.

Furia betrachtete seine Reaktion auf ihre wohl überlegten Worte genau. Mit einem langen Stoßseufzer schob sie ihren Körper gegen seinen, wobei ihr Busen eingequetscht wurde, und legte ihm versöhnlich die Hand auf die Schulter.

„Zürne mir nicht, Hirlas“, schnurrte sie wie ein Kätzchen und krallte ihm ganz leicht ihre rot lackierten Fingernägel in die Oberarme. „Hmmm, deine Muskeln sind so fest, so männlich … Ich wollte dich mit meiner Rede garantiert nicht beleidigen, oh, nein! Ich meinte damit dein Alter, nicht deine stattliche Erscheinung, die dich schon mindestens zwei Jahre älter erscheinen lässt, vielleicht sogar drei. Sei also versichert, Hirlas …“ hauchte sie seinen Namen und ließ ihre Fingerspitzen seinen Hals empor gleiten. Ihr Mund wanderte hinterher. „Im Vergleich mit deinem Bruder, als er so alt war wie du … und sich mit Perdite einließ … bist du …“

Sie legte ihre Fingerspitzen unter sein Kinn, hob seinen Kopf an und ging im gleichen Augenblick etwas in die Knie. Ihre fest gewordenen Brustwarzen scheuerten bei dieser Bewegung über seinen Oberkörper. Hirlas fühlte es durch den Stoff ihres Kleides hindurch und er wusste, dass er sie in keinster Weise beleidigen durfte. Also lautete die Devise: Still halten und so tun, als merke er nichts. Leider war sein Penis in beiden Punkten anderer Meinung.

Furia lächelte wissend, rieb ihren Oberschenkel an der Wölbung seiner Hose und betrachtete diese nachdenklich mit halb gesenkten Lidern, während sie mit ihren roten Fingernägeln leicht über seinen Hals schabte.

„Nein, da ist keinen Vergleich möglich. Du bist viel reifer als Naschu damals war. Viel größer und viel … männlicher!“

Hirlas bekam ganz große Augen und starrte sie an. Furia leckte sich die Lippen und beobachtete seinen Brustkorb, der sich vorstreckte und seine Hände, die sie beinahe gepackt hätten. Er hatte sie zwar wieder zurückgezogen und versuchte, seine Atmung unter Kontrolle zu bringen, sein Mienenspiel verriet aber alles. Wie leicht es doch war, eine wütenden Mann zu besänftigen, zu schmeicheln, sich gefügig zu machen … Da hüstelte schon wieder jemand hinter ihr.

 

Diesmal selbst rot vor Zorn, drehte sie sich um und fauchte: Was willst du!“

Es war Susanne.

Schon wieder eine vom Hirschclan. Furia kniff die Augen zusammen und Susanne senkte schnell den Kopf. Hastig biss sie sich auf die Lippen, damit ihr kein unbedachtes Wort entschlüpfte.

„Hohe Herrin, ich suchte nach Hirlas. Wir waren am See verabredet. Und da ich gerade dorthin unterwegs war, dachte ich, wir könnten zusammen …“

„Ja, ja. Ich weiß. Die gemeine Jugend trifft sich am See.“

Furia legte Hirlas die Hand auf die Schulter und schubste ihn zu Susanne.

„Da! Nimm Hirlas ruhig mit. Wir haben lange genug geschwatzt. Ich hoffe …“ Damit wandte sie sich an Hirlas. „ … ich habe deine Frage hinreichend beantwortet, und ich hoffe für dich …“ Bei diesen Worten sah sie ihm bedeutsam in die Augen. „ … dass du in der Wahl deiner Gefährtin … wesentlich umsichtiger vorgehst.“

Hirlas sah Furia fest in die Augen und nickte.

„Das werde ich, hohe Herrin. Das werde ich.“

„Nun, dann ist ja alles gesagt. Ich wünsche euch gemeinen Leuten viel Vergnügen bei eurem … Gehabe.“

„Danke, hohe Herrin.“

Furia kniff ihre roten Lippen zu einem schmalen Strich zusammen und knurrte Hirlas hinterher, der sich bei Susanne einhaken wollte. Diese warf ihm jedoch einen strafenden Blick zu und stampfte sogar mit dem Fuß auf, als ihr sein mittlerer Bereich ins Auge stach. Mit hängenden Kopf trottete Hirlas hinter ihr her und musste schließlich rennen, um mit ihr Schritt zu halten.

Furia leckte sich über die Lippen und ließ ihren Blick von Hirlas Rückenpartie bis zu seinen Unterschenkeln schweifen. Da spürte sie einen warmen Lufthauch an ihrem Ohr. Zwei Hände glitten über ihre Flanken bis zu den Oberschenkeln und etwas Hartes presste sich dagegen.

Furia zog scharf die Luft ein, fasste nach den Händen und führte sie zu ihren steifen Brustwarzen. Ein Biss in den Nacken und der feste Griff entlockten ihr ein wohliges Seufzen, denn nun wurde sie zu ihrem Vergnügen abgeholt. Oh, wie hatte sie es eilig.

Loranthus zog sich das Hemd über den Kopf. Viviane zerrte dagegen und rutschte es wieder zurecht.

„Du brauchst dich nicht ausziehen, Loranthus.“

„Aber wir wollen doch …“

„Das kannst du dir wirklich sparen. Kostet alles nur Zeit und ist vollkommen unnötig.“

„Ich will aber nackt!“

„Und ich will, dass du angezogen bleibst!“

Viviane schien die Diskussion eindeutig Spaß zu machen und je mehr sie schmunzelte, desto störrischer schüttelte Loranthus den Kopf.

„Aber du hast doch gesagt, wir wollen dort rüber auf die kleine Insel im See! Ich schwimm doch nicht mit Kleidern!“

„Wir müssen nicht schwimmen, Loranthus. Was meinst du, warum sich alle mit Bratwürsten eingedeckt haben. Siehst du jemanden essen?“

Loranthus sah sich um und starrte in mindestens fünf Dutzend Augenpaare, von deren Besitzern er etliche kannte und den Rest noch kennenlernen würde. Wie blamabel! Er hatte ganz vergessen, dass sie nicht alleine am Ufer des Sees standen, er mit heruntergelassenen Hosen, sie in sein Hemd verkrallt. Da bekamen die Hermunduren doch gleich den richtigen Eindruck von ihrem griechischen Gast. Und wie konnte es auch anders sein, alle jungen Leute schienen sich prächtig zu amüsieren, feixend schwenkten sie ihre Bratwürste. Als hätte er diese Gedankenstütze nötig.

„Nein.“

„Na also, keine Panik. Lauf uns einfach nach.“

Viviane stellte sich ans Wasser, alle reihten sich hinter ihr ein und Silvanus schob Loranthus kurzerhand zwischen Beth und Ria. Die beiden kicherten und kamen ihm gefährlich nahe.

„Was habt ihr denn vor? Ich geh da nicht so rein! Ich will mich ausziehen!“

Ria raffte von hinten sein Hemd zurecht und ruckelte am Gürtel, bis alle Falten da lagen, wo sie ihrer Meinung nach hingehörten.

„Hört, hört! Ausziehen will er sich! Früher warst du doch immer der Letzte, Loranthus?! Woher der Sinneswandel?“

Beth drehte sich um, grinste verschwörerisch und steckte ihm ein Stück Bratwurst in den offenen Mund.

„Wenn ich meine Wurst gegessen habe, helfe ich dir dabei, Loranthus. Aber jetzt hältst du dich besser an mir fest, damit du nicht daneben trittst. Der Weg hat einige Tücken, die kenne ich besser als du.“

Da Loranthus nicht reagierte, nahm sie seine Hände und zog sie um ihren Bauch.

„Noch fester!“, verlangte sie und zerrte weiter, bis seine Finger gegeneinander stießen. Da gurrte sie: „So ist es gut!“ und passte sich seufzend seinen Konturen an. „Wenn du willst, kannst du mir auch mein Kleid hochhalten. Bleibt es trocken, gebe ich dir noch was von meiner Wurst ab.“

Derart angespornt, raffte Loranthus so viel von ihrem Kleid, wie er in seinen Händen unterbringen konnte, doch Beth hatte sich mehr davon erhofft. Also drückte sie ordentlich Stoff zwischen seine wehrlosen Finger und noch ein Stück Bratwurst in seinen offenen Mund, der gerade protestieren wollte. Dann trällerte sie: „Es kann los gehen, Viviane!“ und schon ruckte der Tausendfüßler an.

Loranthus setzte einen Fuß vor den anderen und dachte an Kinderspiele zu Beltaine, nebenbei kaute er genüsslich. Bei jedem kleinsten Richtungswechsel lugte er nach unten und wunderte sich, dass er nicht einsank. Den ganzen Weg bis hinüber zur Insel wurden seine Füße nur bis zu den Knöcheln nass.

Am anderen Ufer angekommen, drehte sich Beth schelmisch grinsend zu ihm um und schnurrte: „Du kannst jetzt wieder loslassen, Loranthus. Und weil mein Kleid nicht nass geworden ist, bekommst du auch die versprochene Belohnung von mir. Hier deine Bratwurst. Jetzt habe ich noch eine übrig. Willst du die auch noch verdienen?“

Ria nahm Loranthus die Antwort ab.

„Nun lass ihn sich doch erst mal umsehen, Beth! So, wie er guckt, gibt es in seiner Heimat keine Inseln im Wasser.“

„Doch, die gibt es!“, beteuerte Loranthus mit dicken Hamsterbacken. „Aber keine kann man so betreten, wie ihr es hier macht! Das ist wirklich einzigartig!“

Viviane trat dazu.

„So einzigartig ist das gar nicht, Loranthus. Schon seit vielen Generationen kommen die jungen Leute zu Lugnasad hierher. Das hat Tradition. Mein Großvater Anu meinte, dass es früher vielleicht zwei Senken waren. Die große Flut aus der Zeit, als die Götter noch unter uns weilten, hat sie überschwemmt und miteinander verbunden. Der Weg ist ziemlich schmal und hat so seine Tücken, wie du vielleicht bemerkt hast. Großvater Anu hat ihn mir schon als Kind gezeigt, damit ich ihn mir einpräge. Wir sammeln immer weiße Kieselsteine, um ihn zu kennzeichnen. Sie leuchten sogar im Mondlicht.“

„Weißt du, Viviane, eure Götter haben hier ein Wunder vollbracht. Da habe ich gedacht, mich könne nichts mehr in diesem Land in Staunen versetzen, aber das hier glaubt mir zu Hause keiner.“

Viviane lachte und Beth zog Loranthus mit sich.

„Komm hinter die Hecke, Loranthus! Die anderen warten schon alle! Die glauben dir auch nicht, dass du so lange einer duftenden Bratwurst widerstehen kannst. Und wenn wir gegessen haben, wird getanzt!“

Wer nicht wagt, der nicht gewinnt

Erst spät am nächsten Morgen gingen sie wieder zurück. Loranthus hielt sich diesmal nicht an Beth fest, sondern lief zwischen ihr und Ria und betrachtete die Kieselsteine, die ihm den Weg kennzeichneten. Bei jedem seiner Schritte funkelten sie in den kleinen Wellen, die er mit seinen Füßen aufwarf, und es kam ihm fast so vor, als würde er über einen Pfad aus Mondlicht laufen. Es war irgendwie ein erhabenes Gefühl, als würde ihn die Göttin des Sees höchstpersönlich übers Wasser tragen.

Kaum waren sie am Ufer angelangt, zerstreute sich die Gruppe auch schon in alle Richtungen, nur Loranthus blieb stehen. Silvanus und Viviane klopften ihm auf die Schulter und gingen einfach an ihm vorbei. Vielleicht hatten sie auch etwas zu ihm gesagt, er hatte es bloß überhört, denn seine ganze Aufmerksamkeit galt Elektra, die ihnen entgegen kam. Sie tuschelte einen Moment mit Viviane, die daraufhin schnurstracks den Weg Richtung Lager einschlug. Nun war er mit Elektra allein und seufzte erleichtert, als sie ihm lächelnd die Hand entgegenstreckte.

Still schlenderten sie am Lager der Könige vorbei zum Fluss und Loranthus suchte einen unverfänglichen Gesprächsbeginn.

„Viviane hat es heute wohl eilig?“

„Vor ihrem Zelt steht eine lange Schlange.“

„Was?! Eine Schlange?!“

„Ts, ts, ts, Loranthus. Du bist heute aber schwer von Begriff. Ihre Heilkunst hat sich doch schon längst herumgesprochen. Die Leute aus den anderen Königreichen nutzen die Gelegenheit, Viviane in ihrer Mitte zu haben. Sie hat extra feste Zeiten vor und nach dem Mittag abgemacht, damit niemand zu lange warten braucht. Manche stehen schon das zweite Mal vor ihrem Zelt. Und was meinst du, wie sich die Leute die Wartezeit vertreiben? Sie machen Erfahrungsaustausch! Wenn du langsam am Zelt vorbei gehst, kommen dir mindestens ein Dutzend verschiedene Krankheiten samt Heilungsmethoden zu Ohren und ich hatte den Eindruck, als wollten sie gegenseitig ein paar davon aneinander praktizieren.“

„Ach! Deshalb hatte sie es eilig! Was erzählen die Leute denn noch so? Bestimmt loben alle ausnahmslos Vivianes heilenden Hände.“

Elektra lächelte, als hätte sie genau auf diese Frage gewartet. Sie hakte Loranthus unter, dirigierte ihn in die Richtung, in der sie ihn haben wollte und gab bereitwillig ihr Wissen preis.

„Ooooh ja, über ihre Hände sagen sie alle das Gleiche! Dem einen hat sie damit fast die Rippen gebrochen, anderen hat sie die Schulter ausgekugelt, den Oberschenkel zerquetscht, den Bauch zerstochen und einem hätte sie beinahe das Genick gebrochen. Oder war es das Rückgrat? Egal! Das ist jedenfalls noch gar nichts gegen den Einen, der lauthals damit prahlte, wie seine Bauchschmerzen sooo schnell geheilt waren, dass sie ihn nicht einmal anfassen musste.“

Elektra warf einen forschenden Seitenblick auf Loranthus.

Er schmunzelte, wie sie es erwartet hatte.

„Ich will wetten, Viviane wollte ihm was abschnippeln.“

„Ahaaa! So langsam kehrt dein Verstand nach Hause zurück!“, gluckste Elektra und klopfte seinen Arm, seinen Rücken und seine Seite ab. „Horch! Er klopft schon an! Aber wo war noch mal die Eingangstür …?“ Ihr wandernder Blick blieb ein Stück unter seinem Gürtel haften und sie runzelte die Stirn.

Loranthus brauchte einen Augenblick, bis er ihr süffisantes Grinsen richtig deutete. Bedeutsam schaute er in ihre himmelblauen Augen und schüttelte sehr langsam und sehr tadelnd den Kopf. Plötzlich schnellten seine Hände vor und versuchten sie zu packen, doch Elektra machte einen Satz nach hinten, feixte und rannte los.

„Wer zuerst an der Werra ist, darf oben liegen!“

Loranthus starrte immer noch verdutzt seine vorgestreckten Hände an, die leer waren. Woher hatte sie es gewusst? Sie hatte doch die ganze Zeit nur auf seine Augen gestarrt? Egal. Hinterher! Natürlich nicht zu schnell. Es sollte ja nur aussehen, als wolle er gewinnen.

Nach dem Mittag schallten aufgeregte Rufe bis ans Ende des Lagers.

„Die Händler kommen! Ja, die Händler kommen endlich!“

Elektra streckte sich, lugte durch die Weidenäste und schmiegte sich wieder in seine Arme.

„Jetzt kannst du dir Wein kaufen, Loranthus, und Pergament. Weihrauch und Papyrus haben sie auch dabei, aber das ist sehr teuer.“ Sie rekelte sich und rollte sich mit einem Schnurren auf ihn. „Wenn du das nächste Mal auf die Insel gehst, kommst du danach wieder zu mir und erzählst mir alles?“

Loranthus lachte.

„Meine Erzählkünste sind nicht gut. Ich scheine dich gelangweilt zu haben.“

„Du kannst wunderbar erzählen, sehr spannend.“

„Du bist eingeschlafen, Elektra.“

„Ach, das lag doch nicht an dir!“, versicherte sie, bettete ihren Kopf auf seine Brust und machte die Augen wieder zu. „Ich habe letzte Nacht nicht so gut geschlafen. Immerzu grölen irgendwelche Besoffenen herum, streiten sich und wer weiß was noch. Und dann die Liebespaare unten am Fluss! Jedes Gebüsch ist voll von denen. Die sind bestimmt heute genauso müde wie ich. Da hattet ihr es auf der Insel schon ruhiger.“

„Ruhiger? Äh, Elektra, was ich dir noch gar nicht erzählt habe …“

 

Verlegen ließ er seine Finger über ihren Rücken gleiten und suchte nach Worten, Elektra hob den Kopf und legte ihm den Zeigefinger auf die Lippen.

„Das brauchst du mir nicht erzählen. Ich weiß, was ihr noch gemacht habt. Ich werde auch bald meine Weihe haben und dann wirst du froh sein, genug geübt zu haben. Ein erfahrener Liebhaber ist Gold wert, sagt Mutter Elsbeth immer.“

„Und? Hat sie recht?“

Elektra wiegte übertrieben nachdenklich den Kopf.

„Das kann ich nicht beurteilen. Ich bin schließlich eine Jungfer und habe keinerlei Erfahrung in derlei Dingen.“

„Wieso Jungfer? Ich dachte … also zur Sommersonnenwende … da …“

„Was ‚da‘?“

„Na, ja … Da hast du doch mit König Gort getanzt und da …“

„Was ‚da‘?“

„Grrrr! Da hast du plötzlich geschrien … oder laut gestöhnt … und da …“

„Wa …“

„Grrrr! Unterbrich mich nicht immer!“

„Ha! Ich wollte dir nur auf die Sprünge helfen! Deine Gedankengänge sind so langw … uaaah!“, gähnte Elektra, schloss die Augen und legte ihren Kopf wieder auf seiner Brust ab. „Also, gut. Wenn du es genau wissen willst: Da habe ich gedacht, dass dich König Gort entjungfert hat! So! Jetzt weißt du’s!“ Jetzt konnte er schmollen. Elektra warf den Kopf zurück und lachte ihr hellstes Glöckchenlachen. „Es war ein ritueller Tanz.“

„Na und?!“

„Da geht das nicht!“

„Wenn man will, geht alles!“

„Du hast die Sachlage voll erfasst, Loranthus!“

„Was? Dass alles geht?!“

„Nein. Wenn man will.“

„Oh,“ kommentierte Loranthus geistesgegenwärtig. Aufgeregt zuckte seinen Zeigefinger zwischen Elektra und der Richtung von König Gorts Zelt hin und her, sein Verstand steigerte sich zu Höchstleistungen. „Du hast also nicht … Du wolltest also nicht … und der König … der wollte … auch nicht?“

Elektra sah in zwei schwarze Augen, die sie ungläubig anstarrten. „Warum verwundert dich das so sehr? Ich habe zwei Väter und zwei Mütter, und alle sagen das Gleiche …“

Elektra räusperte sich, setzte sich auf ihn und rutschte sich zurecht, als wolle sie eine längere Rede halten.

„ … sagen das Gleiche“, echote Loranthus und nickte ihr auffordernd zu; er war vor lauter Neugier schon ganz angespannt.

Elektra war das auch aufgefallen. Sie schürzte die Lippen und nuckelte nachdenklich an ihrem Zeigefinger, als müsse sie über den richtigen Wortlaut nachdenken. Je länger sie den Finger vor ihren Lippen kreisen ließ, desto mehr wuchs Loranthus Anspannung. Endlich war ihr eingefallen, was sie sagen wollte, und sie hörte auf, ihren Finger abzuschlecken.

„Sie sagen, dass eine Königstochter rein bleiben muss …“ Sie legte ihren Zeigefinger sachte auf seine Lippen und fuhr die Konturen ab. „Aber dass es nichts schadet, …“ Ihr Finger glitt tiefer und spielte mit seiner Zunge. „ … wenn eine Jungfer Erfahrungen sammelt bei einem Mann, …“ Sie presste ihre Leib gegen seinen. „ … der ihre Reinheit achtet.“

„Nur anklopfen, aber nicht eintreten, sozusagen!“, stöhnte Loranthus und riss sie an sich.

Elektra biss ihn in den Nacken, schob ihren Körper langsam vorwärts und hauchte in sein Ohr: „Ich dachte eigentlich an Schlittschuh fahren.“

„Viviane, hast du meinen Bruder gesehen? Elsbeth ist auch verschwunden.“ Amaturix drehte sich besorgt in alle Richtungen, doch Viviane zuckte nur mit den Schultern.

„Nein, Amaturix. Alle sind zu den Händlern unterwegs. Sie werden mitten im Gewühl stecken.“

Amaturix schlug sich gegen die Stirn und sah Viviane bedeutsam an. Sogleich presste sich Viviane ihren goldenen Torques auf die pulsierende Halsschlagader, damit der Schlangenkopf aufhörte zu zucken. Mit zusammengekniffenen Augen stemmte sie die andere Hand in die Hüfte, beugte sich vor und zischte leise: „Bei allen Göttern! Ich hatte ihm doch gesagt, er darf − nicht − zu − Lew! Wenn ihn jemand dort sieht, macht er meine Geschichte mit der seltenen Krankheit zunichte. Ich musste ganz schön lange überlegen, bevor mir diese Ausrede eingefallen ist. Schließlich gibt es keine Ausnahmen zu Lugnasad.“

„Beruhige dich, Viviane“, flüsterte Amaturix zurück und beugte sich ebenfalls vor. „Wie du schon selbst gesagt hast, in dem Gewühl fallen sie gar nicht auf. Keiner achtet auf den anderen, alle sind nur auf die Händler fixiert. Gort war bestimmt so klug und ist am Fluss entlang. Wenn sie da einer sehen täte …“

„Jaaa, das ist raffiniert. Königin Elsbeth gibt ihm Deckung.“

Amaturix grinste.

„Im wahrsten Sinne des Wortes. Und wenn sie erst mal in die Nähe des Hügels gelangt sind … Da traut sich sowieso keiner hin außer dir und Großmutter Dana. Sie gehen bestimmt von hinten den Hügel hoch, niemand wird sie sehen.“

„Oh, oh!“

„Warum ‚Oh, oh‘, Viviane? Keiner sieht sie, keiner hört sie …“

„Eben. Das ist nämlich so, Amaturix …“

Ihr Kopf ruckte herum, da schrie jemand lauthals: „Viviane!!! Ich freu’ mich ja so! Viviaaaane!!!“ Nach Schmerzen hörte sich das nicht an.

„Viviane, ich glaube, du hast einen neuen Verehrer. Der muss sich aber genauso anstellen, wie alle anderen!“

„Amaturix!“, gluckste Viviane und drehte sich ganz um. Strahlend breitete sie die Arme aus und bückte sich ein wenig; ihr neuer Verehrer war fast zwei Köpfe kleiner. Usheen rannte freudig auf sie zu, mit jedem Schritt neigte sich sein Kopf schräger und sein Sonnenscheinlächeln verzog sich zu einer verwunderten Miene. Seine Augen huschten verdutzt über ihren goldenen Torques am Hals, dann richtig erschrocken zum Torques von Amaturix und wieder retour zu Vivianes. Je näher er kam, desto größer wurde sein offener Mund, bis er schlitternd zum Stehen kam.

Auf seinem Gesicht war abzulesen, dass er nicht wusste, vor wem er sich nun zuerst verbeugen sollte.

Kurz entschlossen verneigte er sich sehr tief mittig vor beiden, dann noch einmal extra jeweils vor Amaturix und Viviane. Die beiden schienen über seine Ehrerbietung höchst erfreut. Und da Viviane immer noch die Hände ausgestreckt hatte, schob er sich zögerlich dazwischen und trat ganz sachte an sie heran.

Viviane schnappte seine Schultern, quetschte ihn zwischen Arme und Bauch und rubbelte über seinen Rücken.

„Ich freue mich auch ganz sehr, dich wiederzusehen, Usheen! Seid ihr heute erst gekommen?“

„Nein, gh … gestern schon“, keuchte Usheen zwischen Vivianes Brüsten und rutschte seinen Kopf bequemer zurecht. „Aber ich habe dich nirgends finden können und heute morgen musste ich Holz holen und danach Körner mahlen. Jetzt backe ich Brot, und wen sehe ich zu meiner größten Freude …?“ Er versuchte ziemlich erfolglos, ein bisschen Platz zwischen sich und ihren Bauch zu bekommen, der ihn gerade getreten hatte.

„Mich.“ Viviane schob ihn jetzt doch ein Stück von sich und strich sich das Kleid glatt. „Ein wenig dicker, als du mich in Erinnerung hattest.“

Usheen holte Luft um zu protestieren, Viviane hob mahnend den Finger. „Glaube ja nicht, mir wäre dein Sträuben gerade eben entgangen!“ Usheen verneigte sich schuldbewusst und griente verlegen.

„Du trägst ein neues Leben in dir, Druidin Viviane, Ärztin und Kriegerin, deren Ruf bis über die Grenzen der Länder schallt. Da muss ich doch vorsichtig sein. Mögen die Barden deine heilenden Hände und dein schützendes Drachenschwert ewig besingen.“

„Usheeeen“, drohte Viviane und fuchtelte mit ihrem Zeigefinger vor seiner Nase herum. „Jetzt ist es aber genug!“

„Nein, nein! Glaube mir, Viviane! Alle wollen so sein wie du! Und ich auch! Gilt dein Angebot noch?“

„Natürlich, Usheen.“

„Gut. Ich habe mir nämlich überlegt: Ich möchte Schmied werden, so wie der Krieger, der an deiner Seite gekämpft hat. Die Leute sagen, er könne Metallkugeln gießen, die weiter fliegen, als jeder Stein, und er könne sogar Schwerter schmieden, die jedes Eisen durchschlagen – so wie dein Schwert, Viviane. Das will ich auch können! Ich will ganz fleißig lernen und auch so ein Druide werden wie dieser Mann. Und dann komme ich zu dir und du bringst mir deine Kampfkunst bei. Dann brauche ich mich vor niemandem mehr zu fürchten und verstehe mich noch auf die beste Kunst, die es gibt. Bitte zeig mir diesen Mann, damit ich ihn fragen kann, ob er mich bei sich aufnimmt.“

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