Der mondhelle Pfad

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Drei gängige Schlüssel, um Gedanken aufzuschließen: Trunkenheit, Vertrauensseligkeit, Liebe

Noeira stemmte die Hände in die Hüften.

„Wird auch Zeit, dass du endlich zum Waschen kommst! Mutter hat sich schon Sorgen gemacht. Ich habe extra auf dich gewartet. Die anderen kochen schon den Hirsebrei. Hast du unterwegs getrödelt? Oder …“ Noeira stutzte. „Dreh dich mal! Hat Baria dich etwa …?“

Viviane rollte mit den Augen, wandte sich übertrieben hin und her, zog ihr Kleid aus und hielt es Noeira ausgebreitet vor die Nase. Mit großer Geste schwenkte sie es zur Seite und deutete triumphierend auf ihren nackten Körper.

„Kleid in Ordnung und an mir noch alles dran, wie du siehst. Wir haben uns ganz lange unterhalten und dann hat sie mir noch ihre drei Jungen gezeigt. Baria saß richtig stolz neben mir, und ich habe die Kleinen gestreichelt.“

„Was? Drei Wölfchen? Gestreichelt?!“

Noeiras Worte sprudelten aus ihrem Mund und ihre Hände schoben sie wieder zurück. Deshalb kam als nächstes nur noch ein gedämpftes „Beim Geweih von Cernunnos! Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen?“, zwischen ihren Fingern hindurch.

Viviane zog fragend die Augenbrauen hoch und wusch sich gemächlich das Gesicht. Noeira wackelte ungeduldig mit dem Kopf und legte die Hände in ihre typische Denkerpose – eine ans Kinn, die andere an die Hüfte, den Fuß noch zur Seite weg.

„Ich meine doch: Hat sie ihre Kleinen geholt, damit sie dich kennen lernen oder zeigt ihnen Baria schon mal ihre zukünftige Beute?“

Noeira schlug zur Verdeutlichung ihrer Worte die Zähne aufeinander. Viviane prustete in ihre mit Wasser voll geschöpften Hände und wischte sich die Tropfen von der Brust.

„Es ist natürlich ein gutes Zeichen. Baria hat sehr viel Vertrauen in mich, sonst würde sie mir ihren Nachwuchs doch nicht schutzlos ausliefern.“

„Schutzlos!?“, schnaubte Noeira verächtlich. „Ha! Wer’s glaubt! Ich dachte, Baria hat genau neben dir gesessen!? Da braucht sie doch nur mit dem Maul rum schnappen und zack …!“ Noeira spreizte die Finger und packte ihren eigenen Hals.

Viviane wusch sich die Achseln und antwortete so geduldig, als müsse sie einem Kind erklären: „Baria hat einen Instinkt. Sie weiß, dass ich ihren Kindern nichts tue und ich weiß, dass sie mir nichts tut. So etwas nennt man Vertrauen.“

„Aha. Und wenn Baria mal seeehr, seeeeeehr lange nichts gefressen hat, kann man ihr da auch vertrauen und sorglos in ihre Nähe kommen?“

„Baria hat genug zu fressen im Wald.“

„Aber was wäre, wenn nicht?“

Viviane wiegte den Kopf, beäugte Noeira von oben bis unten, schnalzte mit der Zunge und schmatzte, als hätte sie an einem dicken Brocken zu kauen.

„Mich würde sie nie angreifen, aber jeder andere sollte sich hüten. Wölfe sind gute Beobachter. Die würden sofort merken, wenn ein schwacher, wehrloser Mensch durch ihr Revier geht.“

„Sag ich doch!“ Noeira schnappte wieder nach ihrem Hals, krächzte, röchelte, rollte mit den Augen und ließ den Kopf schlaff hängen. Dann zerrte sie sich mit ihren eigenen Händen wieder gerade und betrachtete Viviane argwöhnisch von der Seite, wie sie sich mit ihrem Wolltuch die Zähne polierte.

„Und warum sollte sie ausgerechnet dich nicht fressen wollen? Du setzt dich ihr ja geradewegs auf den Tisch? Einfacher geht’s doch gar nicht mehr! Braucht nur noch das Maul aufzumachen! So wie früher, als du sie gefüttert hast!“

„Weil wir Freunde sind“, stellte Viviane fest, ohne im Putzen inne zu halten.

„Pfhh.“

„Noeira!“ Viviane ließ ihr Tuch entsetzt sinken. „Würdest du deine Mutter töten?“

„Bei allen Göttern!“, japste Noeira. „Nein! Natürlich nicht! Der Himmel soll mir auf den Kopf fallen, wenn ich bloß darüber nachdenken sollte!“ Sie legte den Kopf schräg, um nach den ersten Anzeichen derartiger Vorkommnisse zu suchen. „Und natürlich würde ich auch nicht meine Kinder und Kindeskinder töten, so wie du auch nie Baria und den Ihren etwas tun würdest. Ja.“ Sie nickte überzeugt. „Ich schätze mal, so etwas nennt man Vertrauen!?“

Viviane wusch schmunzelnd ihr Wolltuch aus und hängte es zum Trocknen an einen Ast. Noeira lächelte ebenfalls und klatschte in die Hände.

„Heute Abend ist Sonnenwendfeier!“, trällerte sie beschwingt.

„Weiß ich doch, Noeira!“

„Und? Was kann man da gebrauchen?“

„Durchhaltevermögen und Standfestigkeit, würde ich mal sagen“, raunte Viviane verschwörerisch und warf sich aus dem Stand in den Liegestütz.

„Gute Idee! Davon kann man bei so einem Fest nie genug haben!“, kiekste Noeira und begann mit Hüftkreisen.

Nach dem Frühstück gingen alle in den Schuppen und holten sich Kützen. Nur Noeira und Taberia hatten keine, denn die trugen ja schon ihre Babys auf dem Rücken. Lavinia und Robin liefen mit Ethmanja um die Wette über die Wiesen, Loranthus sah ihnen belustigt nach und atmete tief ein.

„Sammeln wir heute wieder Blumen, Viviane?“

„Nein, Loranthus. Heute sammeln wir Arnika, Gundermann, Beifuß, Johanniskraut und Eisenkraut.“

„Aha. Und was macht man mit dem ganzen Grünzeug?“

„Arnika stecken wir um unsere Felder, damit die Götter unsere Ernte segnen. Alles andere binden wir nach dem Mittag zu Röcken und Kränzen zusammen und bekleiden uns damit. Hier, schau mal! Das mit den gekerbten violetten Blüten ist Gundermann. Damit kann man prima Haarkränze flechten. Und nachher kommt auch was davon in die Suppe. Das dort, mit den kleinen schmalen Blättern und den gelben Blüten ist Johanniskraut – auch bestens geeignet für Kränze.“

Sie gingen ein Stück weiter und Viviane zeigte auf eine buschige Pflanze mit silbrig behaarten Blattunterseiten.

„Das ist Beifuß.“

„Die kenne ich! Beifuß sagst du? Wir nennen sie Artemisia.“

„Ach, nach eurer Göttin des Mondes? Interessant. Passt perfekt!“

Loranthus zückte sein Messer und setzte es an den langen Stiel, doch Viviane hob mahnend den Finger.

„Je länger du den Beifuß lässt, desto länger wird auch dein Rock sein, Loranthus!“

Loranthus hielt sofort inne und musterte Viviane argwöhnisch.

„Ich werde nur ein Röckchen aus diesem Grünzeug anhaben? Oh, nein! So was zieh ich nicht an! Da mach ich mich ja lächerlich! Ich bin der Spross einer uralten Händlerdynastie, die schon zur Hochzeit der alten Sumerer …!“

„Ah, die alte Schule! Dann dürftest du dich ja bestens auskennen! Und ob es ein Röckchen wird oder ein Rock, liegt ganz an dir! Je nachdem, was du zeigen oder verbergen willst!“

Loranthus kniff die Augen zusammen und legte den Kopf schief.

„Ob du’s glaubst oder nicht, Viviane: Ich hab dich schon verstanden. Und die Weiber?“

„Die haben meistens Röcke aus Eisenkraut um Hüfte und Busen.“

Meistens? Bei allen Göttern! Zeus sei mir gnädig! Das wird ein toller Tanz! Schlimmer kann es gar nicht kommen!“

Kopfschüttelnd beugte er sich sehr weit hinunter und schnitt das Artemisia ganz knapp unter der Erde ab. „Jetzt weiß ich auch, warum das Kraut Bei – Fuß heißt“, vor sich hin brummelnd, betrachtete er missbilligend sein zukünftiges, im Moment noch recht dürftiges, Gewand und rannte schnell zum nächsten Büschel.

Allerdings hatte Loranthus seinen allmächtigen Göttervater Zeus nicht überzeugt, denn es kam noch viel schlimmer. Und das lag nicht am langen Weg, den er in einem sehr dichten und sehr langen Rock aus wohlriechenden Kräutern gehen musste, die auch hierzulande der Mondgöttin geweiht waren. Zeus kam extra zu Besuch und hatte einen Heidenspaß.

Das ganze Königreich traf wieder auf der großen Wiese vor der Burg zusammen, wo schon ein neuer Wall aus Holz und Gras aufragte, im Kreis darum viele kleinere Holzhaufen. Die Leute begrüßten sich, als hätten sie sich schon ewig nicht mehr gesehen und Loranthus verkniff sich das Lachen, indem er sich fest auf die Zunge biss. Seine Mundwinkel zeigten jedoch verräterisch nach oben und zuckten ab und zu.

Er fand es einfach urkomisch, dass alle wie wandelnde Büsche aussahen. Aber das Interessanteste war, dass es keinem außer ihm abnormal erschien und schon gar nicht amüsant.

Hanibu stand so ungezwungen bei Hirlas und Susanne, als würde sie jeden Tag in ihrem Kräuterzweiteiler herumlaufen. Dass sie dabei mit Händen und Füßen redete, passte irgendwie perfekt zum Gesamterscheinungsbild ‚äthiopischer Busch im Sturm‘ … Naschu streichelte Ninives gerundeten Bauch, den das Eisenkraut umrahmte, aber nicht verdeckte, und rutschte an seinem eigenen Rock den Beifuß zurecht … Silvanus und Tarian zupften johlend an Nions allzu kurz geratenem Röckchen herum, als könnten sie es durch Gegröle doch ein Stück verlängern … Nion sah derweil zufrieden in die Runde, weil viele aufmerksam wurden und kicherten … Noch schlimmer war es bei den jungen Maiden, die noch nicht ihre Weihe hatten. Die trugen tatsächlich nur einen Rock, obwohl manche von ihnen schon üppige Brüste vorzeigen konnten.

Loranthus wurde es ganz warm unter seinem behaarten Blattwerk. Erschrocken schielte er nach unten, um zu prüfen, ob nichts die Formvollendung seines Meisterwerkes störte. Sicherheitshalber lenkte er sich mit den freien Oberkörpern der Männer ab, das entspannte … Sehr schnell sogar, denn da bekam er nun massenhaft Muskeln zu sehen.

Nachdenklich strich sich Loranthus über die Brust, als müsse er sich auf das Kraulen der dortigen Haarkringel konzentrieren und betastete dabei unauffällig seinen Bauch … noch einmal zur Kontrolle … Doch, da war schon was! Zwar noch nicht viel, aber wenn er weiter so fleißig auf den Feldern arbeitete, konnte er vielleicht schon bald mithalten. Bis er so aussehen würde wie Conall und Arminius, müsste er allerdings die Felder des gesamten Königreiches beackern, des Großkönigreichs wohlgemerkt.

 

Bloß gut, dass keiner seine Gedanken lesen konnte. Also lachte auch keiner über ihn, während sie in Gruppen zusammen standen und erzählten und erzählten und erzählten. Wenn es nichts mehr zu erzählen gab, löste sich die Gruppe auf und hatte sich nach ein paar Schritten schon wieder umstrukturiert. Austausch von Neuigkeiten im keltischen Stil – unterhaltsam und effizient.

Loranthus hätte mit diesem besonders interessanten Informationstanz noch den ganzen Abend zugebracht, wenn nicht Lavinia und Robin so schnell angerannt gekommen wären, dass ihre Kräuterröckchen wie im Orkan hüpften und flatterten.

Natürlich drehten sich alle sofort um und komprimierten sich zum Pulk, denn es war ja wohl offensichtlich, dass hier die neuesten Neuigkeiten auf sie zugestürmt kamen. Dementsprechend lauschte jeder höchst aufmerksam, während Lavinia und Robin aufgeregt von ihrem Besuch bei Tinne und dem winzigen Baby erzählten, sowie mindestens zwei Dutzend Fragen gleichzeitig beantworteten.

Erst, als keinem mehr etwas fragwürdig erschien, durften sie mit den anderen Kindern über die Wiese toben. Da die Hunde dort auch mit rannten, war es schwer zu sagen, wer mehr Lärm machte, doch als die Hörner von der Burgmauer dröhnten, herrschte sofort Ruhe.

Hunde und Kinder eilten zu ihren Familien zurück und starrten erwartungsvoll zur Burg – ja, sogar die Hunde, aber eventuell aus einem anderen Grund.

König Gort trat zum Burgtor heraus. Hinter ihm gingen der Barde, Königin Elsbeth und Elektra. Auch sie waren im Kräutergewand und ihre Torques erstrahlten seltsam deplatziert in der Abendsonne. Barbarenkönig mit Anhang im Festgewand. Loranthus biss sich auf die Zunge und lenkte seine Aufmerksamkeit auf den Barden, der auf seiner Leier eine Melodie zupfte, zu der die Königsfamilie majestätisch einher schreiten konnte. Im konkreten Fall also eine Rotte musikalischer Wilder in Grün mit Rhythmusgefühl.

Bei allen Göttern des Olymp! Warum hatte ihn keiner gewarnt?! Elektra hatte auch noch nicht ihre Weihe!

Loranthus schnappte nach Luft, verbeugte sich hastig und tief, schielte aber in die entgegengesetzte Richtung. Seine Augen waren derartige Verrenkungen nicht gewöhnt und starrten natürlich auf die falsche Stelle, sodass er mehr fühlte, wie Elektra an ihm vorüber raschelte, als dass er es sah.

Dafür atmete seine Nase ganz von selbst genüsslich ein, Elektra roch immer so herrlich nach Rosenöl. Diesmal vermischte sich der Duft ihrer Haut mit dem Wohlgeruch von Eisenkraut. Noch ein tiefer Atemzug und Loranthus wurde es schlagartig heiß unter seinem tragbaren Schattenspender.

Die wildesten Phantasien überkamen ihn im Bruchteil eines Wimpernschlages und er rannte gerade hinter Elektra über eine üppige Blumenwiese, als die Hörner riefen und er mitten im Hechtsprung gegen einen Stier krachte. Durch den Rückprall landete er inmitten von grünen Büschen und wollte sich auf einem bequemen Heuhaufen ausruhen, wurde aber mit kräftigem Rückenwind stetig schwebend weiter befördert und nach der Landung ziemlich rabiat in die Erde gepflanzt.

Schwachsinn, natürlich stand er im Kreis um den Opferplatz, flankiert von Conall und Arminius, im Rücken Silvanus. Elektra, gegenüber auf der anderen Seite des Scheiterhaufens, zwinkerte ihm zu. Leider war nur ihr Kopf zu sehen, doch das hinderte Loranthus nicht am Weiterträumen, der Barde spielte dazu noch die passende Melodie namens ‚schwimmen in den Sonnenuntergang hinein‘.

Die hohen Druiden kamen nacheinander durch das Burgtor und warfen Blütenblätter vor sich auf den Weg. Über diese Blüten liefen zwei junge Stiere und zwei große Schafböcke. Sie wurden von niederen Opferdruiden geführt, waren wieder übervoll mit Blumen behängt und ihre Hörner glänzten golden.

Während sich Loranthus mit Elektra in einer heißen Quelle vergnügte, überlegte er nebenbei, wie viel Gold der Clan von Viviane wohl besaß. Sie mussten sehr reich damit gesegnet sein, wenn sie es so vielen Opfertieren um die Hörner legen konnten.

Afal stellte sich neben die aufgeschichteten Holzscheite und die anderen Druiden schlossen zu ihm auf. Wie nicht anders zu erwarten, trugen auch sie ein Kräutergewand und die Frauen sahen richtig schick aus, stellte Loranthus fest, als er von Viviane über Madite zu Fea sah. Selbst Amaturix trug sein Röckchen mit Würde und enthüllte seine kräftigen Beinmuskeln; während Gardan eher sehnig gebaut war.

Nur Afal verbarg seinen Körper samt Grünzeug unter seinem abstrakten Umhang aus allen möglichen Tierfellen. Die angehängten Rabenfedern bewegten sich leicht, als er vor den Opfertieren entlang ging und allen eine Handvoll Kräuter aus seiner goldenen Schale reichte.

Als die Tiere bereitwillig kauten und ins Gras nieder sanken, erhaschte Loranthus einen zufriedenen Blick von Viviane. Sie schien aber nicht erfreut wegen der schnellen Wirkung der Kräuter … oh, nein! Sie hatte ganz offensichtlich eine Spinne an ihrem Bauchnabel entdeckt. Nun versuchte sie diese vorsichtig ins Gras zu setzen, doch jedes Mal, wenn sie dachte, sie hätte es geschafft, hing die Spinne immer noch am Faden und der an ihren Fingern. Geduldig versuchte sie es weiter und schien sogar auf die Spinne einzureden … Amaturix beteiligte sich an der Diskussion und endlich wurden ihre Mühen belohnt, vielleicht ergriff die Spinne auch freiwillig die Flucht.

Loranthus plusterte die Backen auf. Er musste Schwerstarbeit leisten, um die Lippen zusammengepresst zu lassen, denn nun war das Bild, das er früher von den Keltoi gehabt hatte, wirklich perfekt: Ein Haufen Barbaren – die Opfertiere niedergestreckt – im Gras versammelt um ein Opferfeuer. Da Sommer war, trugen sämtliche Bewohner des wilden Landes die luftige Variante zum Fellkleid. Dennoch hatten zwei von den Wilden namens Viviane und Amaturix ganz offensichtlich schon einen Hitzeschaden, weil sie mit glückseligem Lächeln einer Spinne hinterher winkten.

Wild entschlossen, nicht an Atemnot zu sterben, konzentrierte sich Loranthus auf Afal, der auf den Stirnen der Tiere das Zeichen der vier Himmelsrichtungen machte. Dazu sang er das Dankeslied, das er schon zu Beltaine gesungen hatte.

„Ich war ein Wurm und gab mein Leben dem singenden Vogel. Er dankte mir dafür.

Ich war ein Frosch und gab mein Leben dem anmutigen Adebar. Er dankte mir dafür.

Ich war eine Maus und gab mein Leben dem schnellen Fuchs. Er dankte mir dafür.

Ich war ein Hase und gab mein Leben dem starken Wolf. Er dankte mir dafür.

Ich bin ein Mensch und nehme euer Leben. Ich danke euch dafür.“

Als er geendet hatte, waren die Tiere schon so betäubt von den Kräutern, dass sie friedlich schliefen. Afal schnitt ihnen die Ader am Hals auf und die Opferdruiden hielten ihre Schalen darunter. Afal und König Gort gingen wieder mit den seltsamen Kannen um den Opferplatz herum und brachten ihr Trankopfer dar.

Die Fleischstreifen, Herzen, Lebern und die Füllung für die Mägen wurden ebenfalls wieder in großen Holzbottichen mit Salz und Kräutern vermengt. Die geschmückten Tierköpfe kamen auf den Wall, diesmal sogar mit dem dazugehörenden rechten Schenkel.

Loranthus stellte fest, dass alles exakt symmetrisch angeordnet wurde. Stierköpfe nach Osten und Westen, Schafsköpfe nach Süden und Norden, die jeweiligen Schenkel dazwischen und drum herum die ausladenden Blumengebinde: Aus Sicht der Götter musste es wie ein abstrakter Blütenkelch aussehen.

Afal breitete die Hände aus, senkte sie zur Mutter Erde, schwang sie hinauf zu Vater Himmel und rief dabei laut: „Sohn des Allvaters und unserer Mutter Erde, du schenkst uns dein Licht am Tage. Tochter des Allvaters und unserer Mutter Erde, du erhellst uns die Nacht. Achtung und Ehre gebührt euch immerdar, demütig neigen wir unser Haupt. Nehmt unser Opfer an, auf dass ihr uns nie eure Gunst entzieht. All ihr Götter! Wir, eure Kinder, huldigen eurer Macht! Kommt in unsere Mitte! Lasst uns eintreten in eure ewigen Sphären, auf das wir uns vereinigen, wie es seit Alters her geschehen ist.“

Mit geschickten Händen schabte Afal den Feuerstein über das Eisen, Funken spritzten, Qualm entstand, blaue Flammen züngelten empor und verschlangen die Opfergaben. Aufmerksam und erwartungsvoll sah jeder im weiten Kreis dem Rauch nach, der zum Himmel stieg – selbst der junge Mann aus Kreta, dem bei diesem Anblick plötzlich ganz wehleidig ums Herz wurde. Und das lag nicht an seiner arg strapazierten Zunge, denn der Mund stand ihm weit offen.

Am Anfang verlief das Fest noch so, wie es Loranthus schon kannte. Nur Elektra gesellte sich nach dem Essen nicht zu ihm, sondern blieb auf ihrem Platz neben Afal sitzen. Sie winkte ihm aber, dass er zu ihr kommen sollte. Also machte er sich gleich auf den Weg und grüßte Amaturix und den Barden ehrerbietig, die ebenfalls am Feuer saßen, ehe er sich neben Elektra nieder ließ.

Suchend schaute er sich um, weil König Gort und seine Frau verschwunden waren, genau wie Viviane. Da fiel es ihm wieder ein: Viviane war ja schon vor der Feier mit Lavinia und Robin bei Tinne gewesen und jetzt wollte sie ihr mit dem König und der Königin etwas vom Opfermahl bringen.

Während sie auf den König warteten, verteilten die Sklaven Met aus ihren riesigen Eichenfässern mit Eisenbändern so breit wie eine Handspanne.

Medan reihte sich seelenruhig in die Schlange der Erwachsenen ein. Loth, der Sklave, nickte ihm zu, nahm das dargebotene Horn entgegen, rief „Luis!“ und reichte es an seinen kleinen Bruder weiter. Der schöpfte für Medan Himbeersaft aus seinem Fass und reichte es wieder zurück, dabei zog er die Wangen ziemlich weit ein, bestimmt wegen dem Geruch des Safts.

Mit hängendem Kopf trottete Medan davon und brummte dabei fantasievolle Verwünschungen für den achtsamen Sklaven in seinen nicht vorhandenen Bart, bis er in die Nähe seiner Familie kam.

Sofort ging sein Stampfen in ein Schlendern über und er ließ sich schwungvoll neben Tarian fallen. Bis zum Aufschlag schielten seine Augen auf dessen übervolles Horn, seine Lippen verzogen sich zu einem Schmollmund. Den versteckte er nach der anderen Seite, wo es noch ein Horn zu inspizieren galt. Hier bot sich ihm eine ungeahnte Möglichkeit und schon zuckten seine Mundwinkel nach oben, jedoch gleich wieder ein Stück zurück, wegen der Tarnung.

Conall hatte sein halbvolles Horn in der Schlaufe stecken und hielt sein Töchterchen auf dem Arm. Er war perfekt abgelenkt. Also tat Medan einen langen, schlürfenden Zug, beugte sich über Belisama und zog Grimassen, bis sie quietschte, nebenbei tauschte er seinen Himbeersaft ganz sachte aus.

Beinahe hätte das auch funktioniert, wäre da nicht Arminius gewesen, und der kannte seinen jüngsten Sohn wie sich selbst. Er brauchte Tarian nur ansehen und schon packte der Medan am Arm, Arminius schnappte sich natürlich den anderen.

Vollkommen ruhig gab Conall seine kleine Belisama an Noeira ab, nahm Medan sein Horn aus der Hand, trank den Met bis zum letzten Tropfen aus und schmatzte genüsslich. Mit tadelndem Blick zog er übertrieben langsam das untergeschobene Horn voll Himbeersaft aus seiner Gürtelschlaufe und gab Medan einen brüderlichen Klaps auf die Finger.

Arminius und Tarian deuteten das als Zeichen und zerrten Medan zu Boden.

Medan strampelte sofort mit den Beinen und ruckelte mit den Armen, aber er kam einfach nicht frei. Arminius hechtete sich auch noch todesmutig auf die fliegenden Beine und dann war es ganz vorbei mit seinen Zuckungen.

Zur großen Erheiterung aller Schaulustigen im Umkreis von zweihundert Schritt zwängte ihm Conall die Kiefer auseinander und schüttete ihm den Himbeersaft in den Rachen. Sein „Ich will nicht!“, ging in Gurgeln und Husten über, bis er sich der Übermacht fügte und einfach nur schluckte. Kein Tropfen ging daneben, was darauf schließen ließ, dass er nicht das erste Mal auf diese Art verköstigt wurde.

Arminius klopfte ihm versöhnlich auf die Schultern.

„Nächstes Mal bekommst du deinen Met, mein Sohn. Und dann wirst du erfahren, dass es richtig war, ihn dir heute noch nicht zu lassen.“

Medan knurrte wie Ethmanja, wenn ihr jemand einen besonders leckeren Knochen wegnehmen wollte, rammte sein leeres Horn in die Gürtelschlaufe und verschränkte störrisch die Arme vor der Brust. Finster starrte er von einem zum anderen, und je mehr ihm seine Familie aufmunternd zulächelte, desto düsterer wurde seine Miene.

 

„Autsch! Bei Cernunnos!“ Conall klatschte sich die Hand ans Ohr. „Was war das? Au! Schon wieder!“ Seine andere Hand schlug auf seinen nackten Oberarm. „Mitten auf meine Narbe!“

Medan rubbelte sich begeistert die Hände.

„Da hast du’s! Unser Vater im Himmel sieht alles und rächt sich dafür, dass du mich so drangsaliert hast!“

„Hmpf. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Ha!“ Conall zeigte ins Gras. „Von wegen Rache der Götter …“ Er bückte sich und hob triumphierend zwei grüne Glasperlen hoch, zu genauerer Betrachtung kam er jedoch nicht.

Hinter den Feuern kreischte Lavinia wie eine Furie auf und Robin blökte wie ein Lämmchen, dem man die Beine lang zog. Sofort liefen alle in Hörweite herbei und bildeten einen Kreis, damit jeder die Ursache des Lärms gut sehen konnte, jedenfalls wer vorne stand.

Silvanus ließ sich bereitwillig nach hinten drängen. Arminius und Conall schoben sich jedoch mit Schwung ins Zentrum, wo mehrere Kinder ineinander verkeilt am Boden lagen und sich wie irre balgten.

Arminius betrachtete eine Weile das zappelnde Knäuel aus Armen und Beinen, dann griff er hinein und zog an einem Kräuterröckchen.

Er stellte Lavinia aber nicht auf die Füße, sondern ließ sie an ihrem Gürtel in der Luft baumeln, als hätte er eben einen Busch ausgerissen und wolle die Erde abschütteln. Conall hatte es da schon schwerer, denn er musste erst mehrere Kinder auseinanderzerren, um an Robin heranzukommen. Wadi, Rivu und noch ein paar andere griffen nach allem, was daneben flog und hielten ihre Beute triumphierend in die Höhe. Ein Busch sah besonders ramponiert aus. Diesen fauchte Lavinia sofort an und ihre Zuhörer konnten sich nun ein Bild davon machen, wie es zu der Rauferei gekommen war.

„Du Tollpatsch! Du hast mit deinem vermaledeiten Schilfrohr mein schönstes Armband kaputt gemacht!“

„Was heißt hier Tollpatsch, du dumme Gans!? Was kann ich dafür, wenn mich der Hornochse schubst!? Wegen dem hab ich ein ganzes Horn Himbeersaft verschüttet!“

Jetzt fuchtelte Robin wild mit den Fäusten und begann bedrohlich hin und her zu schwingen, doch Conall schien das nicht aufzufallen.

„Selber Hornochse, du Rindvieh! Hättest halt schneller austrinken sollen! Ich bin bloß über eine Wurzel gestolpert, weil mich dein hinterlistiger Bruder mit seinem Schilfrohr in den Rücken gestochen hat! Wenn ihr schon Krieger spielen wollt, dann macht das gefälligst unter euch aus und lasst uns damit in Ruhe!“

Jetzt schwang besagter Bruder an seinem Gürtel hin und her.

„Wehe, du nennst mich noch einmal hinterlistig, du Muttersöhnchen! Aus dir wird sowieso nie ein Krieger! Komm nur her, dann beweis ich’s dir!“

Lavinia verschränkte die Arme unter ihrem Bauch und sah säuerlich von einem zum anderen.

„Ruhe jetzt! So geht das nicht weiter! Unsinnige Beschimpfungen machen mein schönes Glasarmband auch nicht wieder ganz. Lasst uns wieder Freunde sein und helft mir suchen!“

„Such doch allein, du Furie! Vorhin waren dir die Glasperlen auch egal, als du mir eine reingehauen hast!“

„Du hast doch gesagt, das hätte gar nicht weh getan! Also brauchst du auch nicht beleidigt sein“, vermittelte Rivus Sohn ruhig und bedächtig.

„Ach, sei still! Du willst Lavinia ja nur Honig ums Maul schmieren.“

„Noch ein Wort und ich schmier dir was ganz anderes ums Maul!“

„Komm doch her, wenn du dich traust! Ich warte! Na los, du Feigling!“

„Du Trottel! Hast wohl keine Augen im Kopf?!“

Rivu sah zu Arminius und Conall hinüber und begann, seinen Sohn vor und zurück zu schwenken, als würde ihn das Ganze langweilen. Alle Männer machten mit und schon war ein neuer Wettstreit erfunden, denn Conall warf Robin am weitesten hoch und griente die anderen Väter provokant der Reihe nach an. Das reichte für höhere Sphären, nur Arminius hatte eindeutig verloren, schien aber nicht enttäuscht.

„Ich weiß ja nicht, wie es euch geht …“, meinte er fast gelangweilt. „ … aber ich, für meinen Teil, fand den Vorschlag von Lavinia recht plausibel. Wir können es natürlich auch so machen wie mein Großvater, als wir noch Kinder waren.“

Rivu wechselte seinen Sohn in die andere Hand und grinste listig.

„Was hat der denn gemacht, Arminius?“

„Ach, weißt du … wenn wir uns nicht einigen konnten, dann hat er immer seinen Gürtel abgeschnallt und uns der Reihe nach damit den Hosenboden versohlt. Was glaubst du, wie schnell wir uns wieder vertragen haben?!“

Rivus Miene verzerrte sich, als hätte auch er derlei Erziehungsmethoden kennengelernt, und lugte zu seinem Bruder. Wadi schnaubte jedoch verächtlich, warf seinen jüngsten Sohn hoch und fing ihn mit der anderen Hand wieder auf.

„Arminius, mein lieber Freund und Schwager“, tönte Wadi und tätschelte Arminius mit der freien Hand. „Das ist doch ein alter Hut und wer clever war, hatte natürlich immer eine Portion Wolle parat.“ Wadi reckte die Brust raus, sodass kein Zweifel bestand, wen er mit ‚clever‘ meinte. Um nicht gar zu sehr aufzutrumpfen, schürzte er die Lippen und überlegte: „Wenn wir einmal so schön in Schwung sind, könnten wir ihnen doch die Dickschädel zusammenstoßen. Bei den großen Hörnern, die ich hier sehe, wird das ordentlich krachen. Das bisschen Schnalzen von einem Lederriemen ist lachhaft dagegen.“

Wadis Sohn hörte sofort auf zu zappeln und tastete seine Stirn ab. Er hatte sich bisher noch nicht am Geschrei beteiligt und hing nur in der Luft, weil er Lavinia und Robin beschützen wollte, schließlich waren sie blutsverwandt.

„Ach nein, Vater, lieber nicht! In letzter Zeit geht das immer so daneben. Denk an Onkel Rivus Nase! Außerdem hat Lavinia recht. Wir sollten mit ihr gemeinsam die Glasperlen suchen. Seid ihr alle dafür?“

Alle baumelnden Kinder begannen synchron zu nicken und schon standen sie wieder auf ihren eigenen Füßen. Schwankend gingen sie aufeinander zu, gaben sich die Hände und gingen in die Knie, damit ihnen keine Perle im Schein der Feuer entging. Auch einige der Umstehenden suchten mit, sogar Elektra und Loranthus. Es dauerte jedoch nicht lange, und sie gaben es auf. Das Gras war einfach zu hoch und es wurde langsam dunkel.

Mit hängenden Köpfen trotteten Lavinia und Robin zum Feuer ihrer Familie zurück.

Lavinia schniefte.

„Alle liegen in den Flammen. Im Gras haben wir keine einzige mehr gefunden.“

Flora zog ihre kleine Tochter tröstend auf den Schoß und drückte sie an sich. Silvanus setzte sich davor und wischte ihr sanft die Tränen fort.

„Hör auf zu weinen, Lavinia. Die grünen hat Conall für euch gefangen oder besser: Sie haben ihn erwischt, aber egal. Guck mal!“ Er nahm die Glasperlen, hielt sie vor seine Augen und machte Grimassen, es half nicht viel.

Lavinia schob ihre zitternde Unterlippe vor und maulte: „Ausgerechnet die grünen. Da war doch nur ein brauner Punkt drauf. Meine anderen waren alle so schön bunt verziert …“ Sie schmiegte sich an Floras Hals und schluchzte: „Ich hätte hören sollen, Mama! Warum musste ich auch unbedingt mein allerschönstes Armband umtun?“

„Weil du Luis imponieren wolltest?“, kam es ganz leise von Robin. Sofort zog er den Kopf ein und drückte sich an Noeira, doch Lavinia putzte sich gerade die Nase.

Hanibu strich Lavinia tröstend über die nussbraunen Ringellöckchen. Robin wagte sich wieder heran und tätschelte sogar ihre Hand. Lavinia sah zu Robin, lächelte Hanibu an und dann fassten sie sich ohne Worte an den Händen und gingen zu dem Feuer, wo Lavinia die Perlen gesehen hatte.

Loranthus sah ihnen kopfschüttelnd hinterher und griff sich die grünen, die unversehrt geblieben waren.

„Wie macht ihr diese Farbe, Silvanus. Aus Blätterextrakten?“

Silvanus schüttelte den Kopf.

„Grün ist unsere Ausgangsfarbe. Wenn wir Eisenerz schmelzen, fällt Glas nebenbei ab. Es ist immer grün, mal mehr, mal weniger. Ich kaufe deshalb lieber durchsichtige Glasbarren beim Händler und mische die Farben unter. Ein grüner Unterton ist bei manchen dunklen Farben aber von Vorteil. Ich setzte auch gerne mal bunte Schlaufen und andere Verzierungen drauf. Die hier jedoch …“