PISHTACO

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Kapitel 7

Capitana Garcia wusste von Claudios Besuch bei Reynaldo Mosquera und wunderte sich nicht, dass er erst am späten Nachmittag in ihrem Büro auftauchte. Er sah zerknittert aus, machte den Eindruck als sei er gerade vor wenigen Minuten aus dem Bett in die Hose gesprungen. Ohne Einleitung sagte er: „Capitana, ich möchte etwas mit Ihnen besprechen.“

Sie sah ihn mit großen Augen an. „Haben Sie bereits etwas herausgefunden?“

„Könnte sein. Es sieht so aus, als sei unser Diplomat auf junge Mädchen abgefahren.“

„Tun das nicht die meisten Männer?“

Claudio sah sie an. Sein Blick gefiel ihr nicht.

„Ich meine blutjunge Mädchen, minderjährig!“

Die Capitana blieb wie angewurzelt stehen.

„Davon ist uns nichts bekannt. Diese Milagros war doch bereits über zwanzig.“

„Er wird sich diese jungen Dinger wohl kaum in seine eigene Wohnung bestellt haben. So unvorsichtig war Robert Werner bestimmt nicht. Mich würde jetzt sehr interessieren, was er in der Selva getrieben hat. Die Tankquittungen stammen doch eindeutig aus Pucallpa, nicht wahr?“

„Und aus Tingo Maria. Der Ort liegt sozusagen auf der Strecke. Wir haben ihn übrigens weggeschafft. Ihre Botschaft hat das O.K. gegeben.“

„Na prima. Und was ist mit den Plastikflaschen?“

„Die sind noch im Labor. Bisher haben unsere Techniker nichts gefunden, was auf Drogen oder eine gefährliche Substanz schließen würde. Irgendeine Flüssigkeit befand sich allerdings in den Flaschen. Aber sie wissen noch nicht, was es war. Nur Inkacola können sie mit Bestimmtheit ausschließen.“

Claudio verzog das Gesicht.

„Das bereitet Ihnen alles keine richtige Freude, nicht wahr?“ meinte Capitana Garcia. Claudio zuckte mit den Schultern. „Irgendwie kommen wir nicht richtig weiter.“

Die Polizistin schaute auf ihre Armbanduhr. „Haben Sie Lust auf einen echten kulinarischen Leckerbissen?“

„Warum nicht. Vielleicht bringt mich das wieder auf andere Gedanken.“

Sie beschlossen ins Larco Mar zu fahren, so hieß Limas schönstes Einkaufszentrum, auch wenn es mehr eine Touristenattraktion als ein Einkaufszentrum im klassischen Sinne war. Das Larco Mar beherbergte viele kleine Souvenirläden, Schmuck- und Alpacageschäfte. Dazu kleine Bars, Cafés, Restaurants sowie die üblichen Schnellimbissketten. Außerdem gab es noch ein Kino, eine Bowlingbahn und eben diesen wunderschönen Ausblick hinaus auf das Meer und bis hinüber zu den Stadtteilen Callao auf der rechten, -beziehungsweise Chorillos auf der linken Seite. Gegenüber seinem Eingang thronten zwei Türme mit dunkel grün getönten Scheiben futuristisch in die Höhe. Sie gehörten zu dem modernen und erst vor kurzem fertig gestellten Hotel Marriot.

„Gehen wir ins Mangos?“

Diese Frage war nur rhetorisch gemeint und ohne sein Einverständnis abzuwarten nahm sie seine Hand und zog ihn zu sich auf die Rolltreppe, die sie hinunter in den ersten Stock brachte. Das Mangos war ein hübsches Restaurant und bot seinen Gästen ebenfalls jenen atemberaubenden Ausblick aufs Meer. Kurze Zeit später saßen sie sich draußen auf der Terrasse an einem kleinen Tisch gegenüber. Claudio hatte sich auf der Herrentoilette noch schnell etwas frisch gemacht und studierte jetzt die Speisekarte. Capitana Garcia beobachtete ihn und tat selbst so, als könne sie sich nicht richtig entscheiden.

„Und? Haben Sie bereits etwas gefunden?“ fragte sie ihren Begleiter. Claudio zuckte mit den Schultern. „Ach, ich weiß nicht. Der ganze Fall ist mir irgendwie auf den Magen geschlagen. Zuerst hatte ich einen riesigen Kohldampf und jetzt habe ich eigentlich überhaupt keinen Appetit mehr. Was bestellen Sie sich denn?“

Sie klappte die Karte zusammen und legte sie beiseite.

„Also ich würde ja am liebsten Ceviche essen, aber beim letzten Mal, als ich es gegessen habe, ist mir schlecht geworden.“

Jetzt musste er lachen. „Wenn Ihnen davon schlecht wir, warum essen Sie es dann immer wieder?“

„Weil ich Ceviche liebe. Rohe Fischstückchen mit Zitronen und Zwiebel. Und jedes Mal denke ich: Heute wird mir davon bestimmt nicht schlecht.“ Sie grinste ihn an. „Sehen Sie, es gibt eben nichts Besseres als Ceviche. Dazu einen Salat und einen Pisco Sour. Apropos Pisco. Wollen wir nicht zuerst den Traubenlikör bestellen?“

„Ist da Alkohol drin?“

„Ja und zwar reichlich.“

„Na dann her damit!“ Jetzt kam ihm der Rest des Tages schon wieder ein wenig erträglicher vor und ihr Blick sagte ihm, dass sie genau verstand, was er damit meinte. Sie studierten die Speisekarte. Da kam auch schon die Kellnerin an ihren Tisch.

„Was darf ich Ihnen bringen?“

Die junge Kellnerin war neu hier. Jedenfalls hatte sie die Capitana noch niemals zuvor gesehen. Das Namensschild an ihrer Bluse wies sie als Sonja Malqui aus.

„Ich habe mich gerade selbst überredet“, sagte die Polizistin. „Ich nehme Ceviche, einen gemischten Salat mit Brot und einen Pisco Sour.“

„Mit Eis?“ fragte die Kellnerin.

„Lieber ohne, wenn das möglich ist.“

Die junge Kellnerin notierte den Wunsch.

„Für mich dasselbe, nur ohne Ceviche“, entschied Claudio schnell.

„Wie? Nur Salat und Pisco? Ich kann ihnen heute die Seezunge empfehlen“, sagte Sonja Malqui. Claudio überlegte einen Augenblick. „Also gut, dann nehme ich die Seezunge.“ Wieder schrieb Sonja etwas auf ihren Zettel. „Reis oder Kartoffeln?“

„Mm…also zur Seezunge gehört eigentlich Reis, aber ich hätte lieber die Kartoffeln.“ Sonja machte sich entsprechende Notizen.

„Gibt es zu dem Fisch auch eine Sauce?“ fragte er weiter.

„Ich glaube ja. Irgendetwas mit Kräutern. Ich kann den Koch fragen, wenn Sie es wünschen?“

Claudio grinste. „Nein, das geht schon in Ordnung“, erwiderte er. „Irgendetwas mit Kräutern ist immer gut.“

„Fein, ich bin gleich zurück.“ Dabei stellte sie vorab zwei leere Gläser auf den Tisch. „Eigentlich bin ich nicht gerade scharf auf die Seezunge“, bemerkte Claudio, als Sonja ins Innere des Lokals verschwunden war.

„Ach was, der ist bestimmt gut. Alles was sie hier servieren ist normalerweise fang frisch“, meinte die Capitana.

„Sie kommen wohl öfters hierher?“ wollte er wissen. Die Polizistin zuckte mit den Achseln. „Naja, ich bin Single.“

„Oh, das wusste ich nicht.“

„Mm, das liegt wohl an meinem Beruf. Und Sie, sind Sie verheiratet?“

„Nein. Ich hatte eine Beziehung und dafür bin ich extra in die Eifel gezogen. Aber…das verstehen Sie nicht. Er schluckte. Wollen wir nicht du zueinander sagen?“ Er hätte am liebsten ihre Hand genommen, aber irgendwie empfand er diese Geste in diesem Augenblick als unpassend. Die Kellnerin kam und brachte den Pisco in einer Karaffe.

„Einen kleinen Moment noch. Die Salate kommen gleich“, sagte sie und war schon wieder verschwunden. Capitana Garcia sah ihn eine Weile an. Mit ihrer rechten Hand berührte sie ganz leicht seine Finger.

„Ich heiße Janeth“, sagte sie und irgendwie kam es ihm so vor, als sei ihre Stimme etwas rauer geworden.

„Angenehm, und ich Claudio“, erwiderte er und zog ganz leicht seine Finger zurück. Dann lächelte er sie an und fragte: „Bist du dir mit dem Ceviche auch wirklich sicher? Was, wenn dir wieder schlecht wird?“

Janeth lächelte zurück. „Dann verschwinde ich eben schnell auf die Toilette und… danach geht es mir wieder gut.“ Claudio schüttelte den Kopf.

„Du bist schon ein wenig verrückt Janeth.“

Sie lachte. Es war ein herrliches breites Lachen. Er bemerkte es sofort.

„Das Lachen steht Dir wirklich gut, aber ich nehme an, es gibt für dich nicht immer einen Grund zum Lachen?“

Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch und blickte ihn noch intensiver an. Ihr Lachen war verschwunden. „Bei dem Job“, sagte sie leise. „Es gibt immer mehr Kriminalfälle und immer weniger Personal. Das bedeutet Überstunden, Überstunden und nochmals Überstunden.“

Er wollte etwas erwidern, aber die Kellnerin kam und brachte die Salate.

„Entschuldigung, aber in der Küche ist plötzlich der Teufel los. Habe ich noch etwas vergessen?“ Janeth und Claudio schüttelten beide ihre Köpfe. Die Kellnerin füllte ihre Gläser bis zur Hälfte. „Ich hoffe, der Pisco schmeckt ihnen. Bitte melden Sie sich einfach, wenn Sie etwas benötigen.“

„Vielen Dank, das machen wir“, sagte Janeth Garcia bevor sie sich wieder ihrem Begleiter zuwandte.

„Was genau ist dein Job in Deutschland?“ wollte sie wissen.

„Eigentlich bin ich Schriftsteller, Reiseschriftsteller.“

„Oh, du schreibst? Und wie bist du dann ausgerechnet an den Job hier gekommen?“

„Sagen wir, weil ich Land und Leute kenne?“

„Wie, du bist schon einmal in Peru gewesen?“ Ihr Gesichtsausdruck heuchelte Überraschung.

„Aber sicher. Sonst hätte man wohl kaum ausgerechnet mich hierher geschickt.“

„Aber als Ermittler machst du dich auch ganz gut. Wirklich, ich bin beeindruckt. Hast du da bereits einschlägige Erfahrungen sammeln können?“

„Das kann man wohl so nennen. Ich war einige Male für das INC tätig.“

 

„Was du nicht sagst. Für das Instituto Nacional de Cultura? Ist es dabei vielleicht um Kulturgüter gegangen?“

„Jip, ganz genau. Die sind sozusagen mein Steckenpferd“, bestätigte er.

„Der Schwarzmarkt für Ausgrabungsgegenstände wächst hier genauso schnell wie die Prostitution“, ergänzte sie.

„Und Pädophile?“

„Die gibt es hier leider auch. Vor ein paar Jahren haben wir einen Pornoring ausgehoben. Glaub mir, die Fotos die wir dabei gefunden haben, möchtest du nicht sehen. Erwachsene die es mit Kleinkindern treiben und so weiter. Aber die sitzen jetzt alle hinter schwedischen, äh peruanischen Gardinen und außerdem kann ich mir kaum vorstellen, dass dies etwas mit unserem aktuellen Fall zu tun hat. Warum haben wir dieses Thema überhaupt angesprochen?“

„Na weil Mosquera etwas raus gelassen hat. Unser toter Beamter soll Kontakte zu kleinen Mädchen unterhalten haben.“

Sie saßen eine Weile zusammen, stocherten in ihren Salaten herum, und sprachen kein Wort. Bis…

„Claudio, ich…“

„Ist schon in Ordnung Janeth. Ich mache dir ja überhaupt keinen Vorwurf. Sonja kam und stellte lächelnd das Essen auf den Tisch.

„Ceviche für die Dame und eine Portion Seezunge mit Kartoffeln für den Herrn.“

Claudio schenkte seiner Begleiterin einen skeptischen Blick. „ Guten Appetit Janeth.“ Schweigend begannen sie zu essen.

„Wie ist deine Seezunge?“ erkundigte sie sich nach einer Weile.

„Danke, gut.“

Wieder aßen sie schweigend. Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. Laut schlürfte sie ihren Pisco Sour. Claudio schaute sich um, aber keinen der anderen Gäste schien das groß zu stören. Andere Länder, andere Sitten.

„Habt ihr das Messer untersucht?“ fragte Claudio, während er seinen Fisch zerteilte.

„Ja, haben wir. Es sind keine Fingerabdrücke vorhanden. Und bei dem Messer selbst handelt es sich um ein gewöhnliches Jagdmesser. Die kannst du auf jedem Markt gleich im Dutzend kaufen.“

„Also kein Ritualmesser oder so etwas?“

Janeth schaute ihn verblüfft an.

„Ich glaube du schaust zu viele Abenteuerfilme, mein Lieber.“

Er ließ ihren Kommentar unbeantwortet und widmete sich ganz seiner Seezunge. Vorsichtig öffnete er den Fisch und zog den mittleren Knochen heraus. Dann schnitt er eine der beiden Fischhälften in kleine Happen und stopfte sie nach und nach in seinen Mund. Die Seezunge war hervorragend.

„Wir sollten wirklich keine Probleme herbeireden“, sagte sie nach einer Weile und prostete ihm zu.

„Das hat meine Mutter auch schon gesagt. Gott sei ihrer Seele gnädig.“ Erwiderte er, nippte an seinem Pisco Sour und beobachtete sie dabei, wie sie den rohen Fisch mit Zitronensaft beträufelte und ihn dann verschlang.

„Janeth, ich hoffe du weißt was du da tust. Geht es dir gut?“

„Sehr gut, Claudio. Wirklich sehr gut.“ Sie kaute, was das Zeug hielt.

„Kann ich Ihnen noch etwas bringen?“ Sonja war wieder aufgetaucht.

„Kaffee vielleicht, oder einen Dessert?“

„Möchtest Du Roger?“

Er schüttelte den Kopf. „Für mich nicht mehr, danke.“

„Dann bringen Sie uns bitte die Rechnung Sonja.“ Die Kellnerin notierte rasch, was sie verzehrt hatten und addierte den Betrag. Janeth bezahlte und gab ihr ein kräftiges Trinkgeld. „Geht eh alles auf Spesen der Abteilung“, gurrte sie.

„Vielen Dank Senora. Ich hoffe Sie beehren uns bald wieder“, sagte Sonja und fing an den Tisch abzuräumen.

Noch während sie zum Parkplatz gingen, donnerte es und über den Ausläufern der Stadt zuckten die ersten Blitze. Sie blickten beide zum Himmel und berechneten im Geiste, zu welchem Zeitpinkt der Regen losbrechen würde.

„Habt ihr schon eine Theorie, wer der Mörder sein könnte?“, fragte Claudio, als er zu ihr in den Wagen stieg.

„Mehrere“, sagte sie kurz und knapp. „Da wäre zunächst die Prostituierte, der Hausmeister oder Reynaldo Mosquera selbst. Vielleicht haben sie es sogar zusammen getan.“

„Du meinst Mosquera und die Nutte?“

„Das wäre doch immerhin möglich.“

„Und was für ein Motiv sollen die beiden gehabt haben?“

„Na das liebe Geld natürlich.“

„Aber weshalb haben sie ihn an die Decke gehängt? Und was ist mit den vielen Verletzungen. Sieht mir doch eher nach einem Sadisten oder nach einem Ritualmörder aus.

„Eben, das soll es ja auch! Um von einem Kapitalverbrechen abzulenken.“

„Mm… wirklich seltsame Theorien habt ihr hier. Ist es nicht so gewesen, dass der Tote sogar noch ein paar Geldscheine in seiner Tasche hatte?“

Janeth sah ihn erstaunt an. „Du weißt aber verdammt gut Bescheid, mein Lieber.“

„Wie? Ach so. Das ist doch schließlich auch mein Job.“

Sie starte den Wagen und fuhr los. Der Regen, der dann einsetzte, unterband jegliche Konversation. Im Innenraum des Fahrzeugs war eine Zeit lang nichts zu hören, außer dem rhythmischen Geräusch der Scheibenwischer. Zwischendurch schaltete sie das Radio ein. Radio Romantica brachte eine Schnulze, aber sie sang nicht mit. Das unbehagliche Schweigen hielt an, bis Janeth das Auto in die Einfahrt zu seinem Hotels lenkte. Claudio wollte sich gerade von ihr verabschieden, da fiel ihm noch etwas ein. „Weißt du vielleicht von Urvölkern oder alten Kulturen, die ihre Opfer mit dem Kopf nach unten aufgehängt haben?“

Janeth schaute ihn etwas seltsam an. „Keine Ahnung. Das klinkt jedenfalls grausig. Wenn dich das wirklich interessiert, dann fragst du am besten im Museum de la Nacion nach. Dort wissen sie über sämtliche alten Bräuche Bescheid. Sag mal, du denkst doch nicht an etwas Bestimmtes?“

Claudio zuckte mit den Achseln. „Ich denke nur, dass man Werner nicht per Zufall mit den Füßen zuerst an die Decke gehängt hat.“

Es war bereits dunkel, als er in sein Hotelzimmer kam. Der Lärm des Feierabendverkehrs drang von der Straße zu ihm hinauf. An Schlaf war noch nicht zu denken. An der Rezeption teilte man ihm mit, dass zweimal für ihn angerufen worden sei. Zum einen war es eine gewisse Frau Neumann von der deutschen Botschaft. Sie ließ ihm mitteilen, dass er sich am kommenden Vormittag im Botschaftsgebäude einzufinden habe. Die andere Nachricht kam von Peter Baumann. Er wollte nur nach dem Rechten sehen und hatte sich nach seiner Reise erkundigt, beziehungsweise nachgefragt, ob er gut in Peru gelandet sei. Also nichts Besonderes. Peters hatte sich noch zwei Flaschen Bier der einheimischen Marke Crystal mit auf sein Zimmer genommen. Jetzt lag jetzt auf dem breiten Bett und lauschte den Geräuschen der Straße. Dabei grübelte er darüber nach, ob es richtig war, dass er diesen Auftrag angenommen hatte. Zunächst war ihm die neue Aufgabe weitaus verlockender vorgekommen als in der Eifel zu hocken und Berichte für Heimatzeitschriften zu schreiben. Vielleicht hätte er sich das Ganze doch besser noch einmal überlegen sollen. Aber dafür war es jetzt viel zu spät. Er befand sich in Peru und würde den Auftrag ausführen und damit basta. Einschlafen konnte er immer noch nicht. Jedes Mal wenn er es versuchte, tauchte dasselbe Bild vor seinen Augen auf. Das Bild des toten Diplomaten Werner und wie er kopfüber an der Decke baumelte.

Aber dann muss er doch irgendwann eingeschlafen sein. Wahrscheinlich als gerade die Morgendämmerung einsetzte.

Kapitel 8

Die deutsche Botschaft lag in der Avenida Arequipa. Schon vom Taxi aus konnte Claudio das ovale Schild mit dem Bundesadler sehen. Er gab dem Fahrer ein Zeichen, der fuhr an den Straßenrand und hielt den Wagen an. Vor dem Eingang des Botschaftsgeländes hatte sich bereits eine lange Schlange gebildet. Die meisten waren Peruaner, die versuchten ein Visum für die Schengen-Staaten zu bekommen. Einige von ihnen maulten, als er sich an ihnen vorbeidrängelte. Unmittelbar vor der Schranke, verwehrte ihm ein Wachmann den Einlass.

„Sie heißen?“ wollte er wissen.

„Claudio Guerrero.“

„Einen Moment bitte. Auch deutsche Staatsangehörige müssen sich hinten anstellen.“

„Wie bitte?“ Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Stundenlang hinter lärmenden Peruanern in der Schlange stehen.

„Ich bin quasi hier her gebeten worden“, sagte er mürrisch. „Und jetzt…?“

„Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein Senor?“

Claudio drehte sich um. Die Person, die ihn angesprochen hatte war klein, dunkelhaarig und sehr hübsch.

„Aber sicher. Sie können mich an diesem sturen Bock vorbeibringen. Ich bin angerufen worden, um bei der Botschaft vorzusprechen und nicht um stundenlang in einer Schlange zu stehen.“

Die Dame flüsterte dem Wachmann etwas ins Ohr, der trat einen Schritt beiseite und ließ sie passieren.“

Claudio bedankte sich. „Was haben Sie ihm denn gesagt, dass er so schnell reagierte?“

„Nur das Sie vom deutschen Geheimdienst BND kommen. Ich heiße übrigens Ana Maria.“

Er musste lachen. „Un plazer Ana Maria. Ich heiße Claudio. Freut mich wirklich sehr, sie getroffen zu haben.“

„Zu wem möchten Sie eigentlich?“

„Oh, einen Moment. Den Namen habe ich mir notiert.“

Er kramte einen zerknitterten Zettel aus seiner Hosentasche und versuchte ihn mit der freien Hand zu glätten. Jetzt musste Ana Maria lachen, die ihn beobachtete.

„So jetzt hab ich den Namen“, sagte er. „Die Dame, die ich besuchen soll, heißt Neumann.“

„Ah, dann weiß ich Bescheid.“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln.

„Frau Neumanns Büro befindet sich im zweiten Stock. Die erste Tür auf der linken Seite.“

Claudio versuchte sich die Wegbeschreibung zu merken.

„Vielen Dank Ana Maria“, sagte er. „Vielleicht sehen wir uns einmal irgendwo wieder?“

„Ich arbeite unter der Woche hier in der Botschaft“, war alles, was sie dazu sagte.

Er fand das Büro von Frau Neumann auf Anhieb. Sie beantwortete sein Klopfen an der Tür mit einem ausdrucksvollen „Herein.“

Jetzt saß er ihr gegenüber und starrte sie an. Frau Neumann war etwa Mitte fünfzig, kurzhaarig blond, groß und dürr. Dementsprechend war ihre Ausdrucksweise. „Guten Tag, Herr Guerrero, wie schön, dass Sie nach Lima kommen konnten, auch wenn der Anlass dazu nicht gerade erfreulich ist“, begrüßte sie ihn reserviert.

Claudio starrte auf ihre goldberingten, knochigen Finger. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Anscheinend hatte sie auch keine Antwort von ihm erwartet, denn ohne Luft zu holen erkundigte sie sich, ob er mit seinem Hotel zufrieden sei? Claudio bejahte und sie war schon bei dem nächsten Standartsatz. Der lautete, dass man die Angelegenheit so schnell wie möglich aus der Welt schaffen sollte und dass er auf die Unterstützung der Botschaft zähen konnte. Sie erzählte ihm von den Aufgaben einer Botschaftsangestellten und machte einen auf Small Talk. Daran war Claudio nur wenig interessiert. Stattdessen versuchte er die Konversation wieder in eine andere Bahn zu lenken.“

„Können Sie sich vorstellen, dass Robert Werner in illegale Geschäfte verwickelt war?“, fragte er direkt.

Sie zog die Mundwinkel nach oben. „Wie meinen Sie das, Herr Guerrero?“

Er erklärte es ihr.

„In vielen Fällen sind Mordopfer in dubiose Machenschaften verwickelt. Ganz besonders, wenn es sich dabei um höhergestellte Persönlichkeiten handelt.“

„Dazu kann ich Ihnen leider nichts sagen. Ich habe Herrn Werner nur als einen korrekten und verantwortungsvollen Menschen kennengelernt und kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie ihm jemand so etwas Schreckliches antun konnte.“ Sie seufzte.

„Wissen Sie etwas von einem Meeting, an dem er noch kurz vor seinem Tod teilgenommen haben soll?“

„Oh ja, natürlich. Herr Werner hatte viele Besprechungen. An jenem Abend hat er sich mit führenden Köpfen der peruanischen Wirtschaft getroffen. Dabei ging es um Einfuhrerleichterungen für peruanische Produkte in die EU Und wir hatten seine Handynummer. Somit konnten wir ihn stets erreichen, wenn etwas Wichtiges vorlag.“

 

Verdammt, das Handy! Claudio wusste nicht, ob man ein Mobiltelefon bei ihm gefunden hatte. Er nahm sich vor, so bald wie möglich mit Janeth darüber zu sprechen.

„Aber an jenem Abend hatte sich nichts Ungewöhnliches ereignet, nicht wahr? Ich meine, Sie haben nicht mit ihm telefoniert?“

„Nein! Außerdem hat es sich um eines jener wichtigen Meetings gehandelt, wo er nur ungern gestört werden wollte.“

„Ich verstehe Frau Neumann. Sagen Sie, Herr Werner unterhielt doch hier im Botschaftsgebäude ein eigenes Büro, nicht wahr?“ Fragen ins Blaue hinein, trafen manchmal ins Schwarze. Genau das war auch hier der Fall.

„Das ist richtig. Neben seinem Hauptbüro in der Stadt selbstverständlich.“

„Selbstverständlich“, wiederholte er ihre Worte. „Ob ich da wohl mal kurz einen Blick hinein werfen dürfte?“

Er bemerkte ihr zögern. „Ganz kurz nur!“fügte er schnell hinzu.

„Also gut, wenn es der Wahrheitsfindung dient. Kommen Sie bitte mit.“

Sie stand auf und er folgte ihr hinaus auf den Flur. Am Ende des Korridors befand sich eine Tür ohne Namensschild. Frau Neumann bewegte sich zielstrebig auf sie zu und öffnete. Der Raum sah so aus, als hätte Robert Werner ihn gerade verlassen. Überall lagen Papiere und Dokumente herum. Der Schreibtisch war antik und an der Wand hing ein Abbild des Bundespräsidenten. Ansonsten gab es hier nichts Besonderes zu sehen. Auf dem Schreibtisch lag ein Jahreskalender mit diversen Eintragungen. An seinem Todestag, dem 09. Oktober, hatte er das Meeting eingetragen und darunter mit dem Kugelschreiber ein kleines Herz gemalt. Claudio konnte sich gut vorstellen, was das Herz zu bedeuten hatte.

Er untersuchte die weiteren Eintragungen. Eine Woche vor dem Mord waren die Spalten ziemlich leer. Nur manchmal tauchte das Wörtchen Palta auf und dazu die Ortsnamen, Pucallpa, Tingo Maria und Huanuco. Dabei handelte es sich wohl um die Strecke, die er abgefahren war, aber Palta? Damit konnte Claudio überhaupt nichts anfangen. Er kopierte sich die Daten auf ein leeres Blatt Papier. Dann untersuchte er die Schubladen. Da war nichts, auch kein Mobiltelefon. Es war auch verdammt schwierig nach etwas zu suchen, von dem er nicht wusste, was es war.

„Warum ist Werner eigentlich mit einem eigenen Wagen unterwegs gewesen?“ fragte er- „Ich meine hatte er keinen Chauffeur?“

„Oh doch, den hatte er. Deshalb besaß er auch kein eigenes Fahrzeug sondern hat sich dann und wann einen Leihwagen gemietet.“

„Aber den Grund dafür kennen Sie nicht?“

Frau Neumann zuckte mit ihren schmalen Schultern.

„Nun, vielleicht hatte er eine Freundin und wollte nicht, dass jemand davon erfuhr. Manchmal musste er auch für ein paar Tage in die Provinz. Da war ein eigener Wagen natürlich viel bequemer.“

Dem konnte Claudio nur wortlos zustimmen.

„Aber Sie wissen nicht zufällig was er eine Woche vor seinem Tod noch in der Selva zu tun hatte?“

„Leider nichts Genaues. Manchmal war er in Sachen Agrarkultur unterwegs. Er hat sich die entsprechenden Betriebe und Anbaugebiete gerne selbst angesehen.“

„Ich verstehe. Dann bräuchte ich noch den Namen und die Anschrift des Chauffeurs“, sagte Claudio. Sie gab ihm beides. Als sie wieder hinaus auf den Flur traten, wollte sich Frau Neumann von ihm verabschieden. Doch Claudio machte keine Anstalten zu gehen.

„Aus welcher Gegend stammen Sie eigentlich?“, fragte er stattdessen. Sie zuckte zusammen. Aus Norddeutschland. Ein Dorf in der Nähe von Hamburg, warum fragen Sie?“

„Aus reiner Neugierde, aber das habe ich mir fast schon gedacht. Man hört noch den Akzent heraus. So das wär`s eigentlich, Frau Neumann. Im Moment habe ich keine weiteren Fragen mehr. Vielen Dank, dass Sie mir etwas von ihrer kostbaren Zeit geopfert haben.“

Jetzt war er wieder ganz Charmeur der alten Schule. Frau Neumann lächelte ihn an. Als er sich verabschieden wollte, schien ihr noch etwas einzufallen.

„Was glauben Sie, wann wir man seine Leiche freigeben? Ich meine, ich muss noch abklären, ob er nach Deutschland verfrachtet, -oder hier in Peru beerdigt werden soll. Außerdem planen wir so eine Art Trauerfeier, zu der Sie im Übrigen herzlich eingeladen sind, Herr Guerrero.“

„Vielen Dank“, sagte er mit gespielter Freude.

„Bezüglich seiner Freigabe kann ich noch keine Angaben machen, ich werde aber mit Janeth…äh Capitana Garcia darüber sprechen. Sie erhalten sofort Nachricht, wenn die Untersuchungen abgeschlossen sind.“

„Also gut, Herr Guerrero. In diesem Sinne. Ich warte dann auf ihren Anruf. Auf Wiedersehen.“

„Auf Wiedersehen Frau Neumann“, erwiderte Claudio. Eine Unannehmlichkeit folgte der anderen.“

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?