PISHTACO

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Kapitel 5

Der große Airbus A 320 der peruanischen Fluggesellschaft LAN verlor langsam an Höhe und war im Begriff sich dem Flughafen Jorge Chavez zu nähern. Claudio drückte seine Nase an dem ovalen Fenster platt und beobachtete die Umgebung Limas in der prallen Sommersonne. Es kam ihm alles irgendwie fantastisch vor und er freute sich sehr auf die Rückkehr in ein Land, dass er ganz besonders mochte. Die Räder des enormen Jets berührten den Boden und verursachten eine leichte Erschütterung in der Kabine. Einige der Passagiere applaudierten, froh wieder festen Boden unter ihren Füßen zu wissen. Das Flugzeug blieb nach einem letzten Rütteln endlich stehen und der Lärm der Motoren verstummte. Sofort machte sich eine allgemeine Mobilität unter den Passagieren breit, während das Bordpersonal versuchte, sie für das Verlassen der Maschine vorzubereiten. Claudio blieb noch sitzen und beobachtete die leichten Wolken über dem Himmel der peruanischen Hauptstadt. Später stand er auf und folgte einfach der Menge auf dem schmalen Gang bis zur Gepäckausgabe, wo er seinen Koffer einsammelte und sich danach brav in die Schlange vor der Migrationskontrolle stellte. Weitere Menschen sammelten sich um ihn herum, aber keiner schien etwas anderes zu sein als einfach ein Reisender ohne Eile. „Willkommen in Südamerika!“

Und dann geschah doch noch etwas Unvorhergesehenes. Ein Unbekannter mit einem schwarzen Aktenkoffer wurde vor seinen Augen festgenommen und abgeführt. „Sachen gibt`s…“ Und trotzdem zeigte er keine Gefühlsregung, als er vor der Passkontrolle stand.

„Auf Urlaubsreise?“, fragte ein neugieriger Beamte. Claudio nickte zustimmend und murmelte das Wort Cuzco. Das erklärte alles. Im gleichen Augenblick bekam er den ersehnten Einreisestempel in sein Dokument gedrückt. „Buen venidos a Peru!“ Er war angekommen.

Draußen vor dem Flughafengelände wartete das wahre Leben auf ihn. Unzählige Taxifahrer priesen ihren Service an. Dazu traf ihn die Hitzewand wie ein Schlag. Rasch setzte er seine Sonnenbrille auf, jetzt fühlte er sich besser. Ohne zu zögern stieg er in das Taxi, welches in der ersten Reihe stand.

„Miraflores“, sagte er. Der Fahrer nickte mit dem Kopf, fingerte ein wenig an seinem Taxameter herum und verlangte 50 soles.

„El taxametro no funciona“, sagte er grinsend. Claudio grinste zurück und sagte 10 soles. Das ging dann so eine Weile hin und her, bis sie sich auf 20 soles geeignet hatten. Auch das war noch recht großzügig bezahlt, doch Claudio fühlte sich erschlagen von dem langen Flug und hatte keine Lust mehr noch weiter zu handeln. Außerdem wollte er so schnell wie möglich in sein Hotel und raus aus seinen Klamotten. Der Toyota Corolla nahm Fahrt auf und ließ schnell das Flughafengelände hinter sich. Zum Glück führte die Schnellstraße schnurgerade am Meer entlang. Bei einer kurvenreichen Strecke hätte Peters wahrscheinlich das Menü der LAN Peru auf die Rückbank gespuckt. Er lehnte sich zurück und beobachtete die vielen kleinen schwarzen Punkte im Meer. Wellenreiter mit ihren schwarzen Brettern

Irgendwann muss er dann kurz eingenickt sein, denn das nächste, was er registrierte war, dass sie standen. Der Fahrer hatte die Seitenscheibe heruntergelassen und aus dem Radio plärrte ein Hayno. Claudio fühlte sich wie gerädert. „Stau?“ fragte er. Der Fahrer schüttelte den Kopf. „No Senor, La Rosa Nautica. Es tiempo para el almuerzo.“

Da fiel es ihm wieder ein. Die Zeitverschiebung. Es war Mittag und er war in Peru. Das Rosa Nautica war ein vornehmes Restaurant, dass clevere Konstrukteure mittels breitem Pavillon und riesigen Holzpfeilern direkt ins Meer gebaut hatten. Den Stillstand verursachten Kellner, die den wartenden Autos einen Parkplatz zu weisen wollten. Auf einmal kam wieder Bewegung in den Verkehr. Hupende Autos rasten an ihnen vorbei und missachteten jede Verkehrsregel.

„Dios mio“, dachte Claudio. Dann ging es endlich hinauf in den Stadtteil Miraflores und hinein in die Avenida 28 de Julio, wo sich unter anderem auch sein Hotel befand. Nach dem Einchecken waren Duschen und Schlafen das einzige, an was er noch denken konnte. Capitan Garcia würde sich noch eine Weile gedulden müssen.

Am nächsten Vormittag war es jedoch so weit.

„Buenvenidos a Lima Senor Guerrero“, begrüßte ihn ein freundlicher Beamter in einer schneeweißen Uniform. Claudio grüßte freundlich zurück. Zwar spürte er den Jetlag, hatte aber ein paar Stunden geschlafen und fühlte sich weitaus besser als am Tag zuvor. Das Hotel Schell, wo ihn Staatssekretär Von Sanden einquartiert hatte, war ein gutes Mittelklasse Hotel und lag zentral-günstig an einer der Hauptverkehrsstraßen in Miraflores. Zunächst hatte er ausgiebig gefrühstückt, mit Eiern, Toast, Käse, Marmelade, frischgepresstem Fruchtsaft und so weiter. Danach war er mit einem Taxi in das Hauptquartier der Policia Investigaciones de Peru gefahren. Jetzt klopfte der Beamte, der ihn vorhin so freundlich begrüßt hatte, an die Tür, die zum Büro des Polizeichefs Garcia führte. Sie wurde von innen geöffnet.

„Entran Senores!“

Claudio blieb die Spucke weg. Die Stimme war weiblich und Capitan Garcia war eine Frau. Und was für eine! Schlank, mittelgroß, gut proportioniert, große, dunkle ausdrucksvolle Augen und langes, schwarzes Haar, dass sie zu einem strengen Zopf zusammengekotet hatte. Dem ersten Eindruck nach, schien sie genau zu wissen, was sie wollte. Zielstrebig kam sie auf ihn zu und streckte ihm eine Hand entgegen. Ihr Händedruck war alles andere als weiblich.

„Freut mich, dass Sie so schnell kommen konnten, Senor Guerrero. Wir können Hilfe gebrauchen. Willkommen in Lima.“

Der Satz kam ihm durchaus bekannt vor.

„Staatssekretär Von Sanden hat sie mir wärmstens empfohlen. Anscheinend hält er große Stücke auf Sie.“

„So, tu er das?“ Claudio hatte sich immer noch nicht von der Überraschung erholt, dass er es hier mit einer Frau zu tun hatte.

„Also dann, auf gute Zusammenarbeit“, sagte Capitana Garcia.

„Und immer schön daran denken, hier bei der Mordkommission habe ich das Sagen. Also, wenn Sie damit einverstanden sind, dann fahren wir gleich hinaus zum Tatort. Gibt es irgendwelche Einwände?“

Claudio verneinte. Hyperaktive Frauen lagen ihm nicht besonders.

„Die Leiche befindet sich noch genau dort, wo sie gefunden wurde. Befehl von ganz oben! Aber wenigstens haben wir den armen Kerl bereits von der Decke genommen.“

Claudio schloss für einen Moment die Augen. Er hasste Leichen.

Das Penthouse, in dem man Robert Werner ermordet aufgefunden hatte, lag in vierten Stock eines modernen Gebäudekomplexes, unweit des Malecons. Es war ziemlich nobel eingerichtet und gehörte mit Sicherheit keiner armen Person. Am meisten gefielen ihm die Panoramafenster im Salon. Sie boten eine atemberaubende Aussicht auf den pazifischen Ozean. Doch bereits kurz nachdem er die Räumlichkeiten betreten hatte, fröstelte ihn. Der Grund dafür war nicht der Anblick der Leiche, sondern eine Eiseskälte. Jemand hatte die Klimaanlage auf unterste Temperatur und maximale Ventilation eingestellt. Und trotzdem stank es in der Wohnung wie die Pest. Robert Werner lag auf dem Bett im Schlafzimmer und sah alles andere als gesund aus. Sein Gesicht war blutleer, seine Augen glasig, seine Bekleidung überall mit Blut besudelt. Claudio konnte die vielen kleinen Schnitte sehen, die man ihm zugefügt hatte. Vorsichtig drehten sie ihn um. Auch seine Rückenpartie wies zahlreiche Schnitte und Verletzungen auf. Dazu steckte die vermeintliche Tatwaffe noch bis zum Schaft in seinem Fleisch. Claudio wandte sich ab. Er spürte, wie ihm schlecht wurde. Die Schuhe des Toten standen sorgfältig neben dem Bett. In ihrem Inneren befanden sich seine Socken.

„Geht es noch?“ fragte Capitana Garcia und fixierte ihn. Er nickte.

„Es muss“, erwiderte er. Diesmal deutete Capitana Garcia auf die Fußknöchel des Toten. Claudio sah die tiefen Striemen.

„Hier hat man ihm Lederriemen umgebunden und ihn dann an die Decke gehängt. Unsere Techniker sagen, sein Tod sei irgendwann zwischen 18 und 20 Uhr eingetreten.“

„Das sind immerhin zwei Stunden“, bemerkte Claudio.

„Stimmt genau, Senor Superdetektiv.“ Capitana Garcia grinste ihn an.

„Aber geht das nicht genauer? Ich meine bei uns in Deutschland…“

„…könntet ihr den Todeszeitpunkt wahrscheinlich bis auf die Minute genau voraussagen, nicht wahr? Aber wir sind hier in Peru, Senor Peters, schon vergessen?“

„Äh, das nicht.“

„Gut. Aber da ist noch etwas. Der Tote hat all sein Blut verloren. Wenn Sie sich einmal die Sauerei im Salon anschauen wollen?“

„Ungern!“

Trotzdem ging er in den Salon und bemerkte sofort die riesigen dunklen Flecken auf dem Velourboden. Reste von Blutspritzer sah er dagegen keine.

„Hat er dort gehangen?“ fragte er als er zurück ins Schlafzimmer kam. Capitana Garcia nickte stumm. Einen Augenblick lang sagte keiner von ihnen ein Wort. Dann unterbrach Claudio das Schweigen.

„Das mit dem Blutverlust wundert mich weniger. Haben Sie die vielen Schnitte gesehen? Knöpfen Sie doch mal bitte sein Hemd auf.“

Capitana Garcia tat wie ihr geheißen und diesmal war sie es, die schlucken musste. Der Oberkörper des Toten war vollkommen verstümmelt worden.

„Großer Gott“, stammelte sie. Wer tut denn so etwas?“

 

„Genau das ist es doch, was wir herausfinden sollen. Ist die Dame, die ihn gefunden hat schon befragt worden?“

„La Puta?“fragte sie.

Claudio nickte mit dem Kopf. Ja, die Nutte.

„Por supuesto que si, Selbstverständlich! Sie hat bereitwillig ausgesagt. Demnach wurde sie von Robert Werner für 21 Uhr hier in die Wohnung bestellt, ist allerdings schon ein wenig früher eingetroffen.“

Claudio blickte sie an. „So?“, fragte er. „Darf man vielleicht auch den Grund dafür erfahren?“

„Sie wollte einfach nur nachsehen, ob er schon früher bereit war, sie zu empfangen, weil sie anschließend noch woanders hin wollte.“

„Mm, seltsam! Dafür macht man also einen Termin? Hat sie denn wenigstens eine genaue Uhrzeit angeben können? Ich meine, wann genau ist sie denn hier eingetroffen und gibt es vielleicht Zeugen, die sie gesehen haben?“

„Gegen 20.30 Uhr hat sie gesagt und dass sie direkt zum Aufzug gegangen sei. Sehen Sie, Senor Guerrero, solche Mädchen melden sich nur selten beim Wachpersonal an.“

„Ich verstehe, es gibt keine Zeugen, also könnte sie auch noch früher hier gewesen sein?“

„Das ist eher unwahrscheinlich. Vorher ist sie noch bei ihrem Vermittler gewesen.“

„Vermittler? Sie meinen wohl bei ihrem Zuhälter?“

„Ja, so etwas Ähnliches ist er wohl. Aber die Dame ist absolut glaubwürdig.“

„Also schön, nehmen wir mal an, dass sie das ist. Was haben Sie noch? Gibt es Anzeichen dafür, dass er an einem anderen Ort ermordet wurde und man ihn danach erst hier in die Wohnung geschafft hat?“

„Nein, keine. Wir haben anderswo keine Blutspuren gefunden. Er muss an der Decke hängend regelrecht ausgeblutet sein.“

„Sie meinen, wie das ein Jäger mit einem toten Tier macht?“

„Ja, ganz genau. Terrible, verdad?“

Dem konnte Claudio uneingeschränkt zustimmen, auch wenn ihn etwas störte. Werner war überaus grausam zugerichtet worden.

„Was ist mit der Minibar?“ fragte er weiter. „Ist bereits festgestellt worden, ob etwas fehlt?“

Capitana Garcia öffnete den kleinen Kühlschrank. „Sehen Sie selbst: Wein, Sekt, Cola, Bier, Orangensaft und Whiskey. Scheint noch alles komplett zu sein.“

Claudio wusste, was sie meinte.

„Dann kann er nicht lange auf die Kleine gewartet haben. Ansonsten hätte er sich doch wenigstens einen Drink genehmigt.“

„Er ist direkt von einem Meeting gekommen. Das hat mir die Zeugin bestätigt.“

„Ist er das? Das ist mir neu. Er ist also von einem Treffen gekommen und hat sich `ne Nutte ins Haus bestellt?“

„Nein, das hatte er bereits vorher arrangiert.“

Claudio blickte sich am Tatort um. „Das hier ist Arbeit für die Spurensicherung, reine Routine.“

Plötzlich fiel ihm noch etwas ein. „Sie sagten doch, er sei von einem Meeting gekommen, nicht wahr? Mit dem Auto?“

„Richtig“, antwortete Capitana Garcia. „Er hatte einen Leihwagen. Der steht übrigens noch unten in der Tiefgarage.“

Ein Mosquito kreiste um sein Gesicht. Claudio schlug zweimal zu, traf ihn aber nicht. Genervt gab er auf.

„Na dann nichts wie hinunter“, brummte er. Sie setzten sich in Bewegung. Während sie auf den Aufzug warteten, kam er noch einmal auf das Thema Prostitution zu sprechen.

„Was geht eigentlich hier in Peru in Sachen Prostitution ab?“, wollte er wissen.

Capitana Garcia seufzte leise.

„Wissen Sie, die breitet sich mittlerweile wie ein Geschwür in diesem Land aus, vor allem in Lima.“

„Wie überall, denke ich und trotzdem habe ich hier in der Stadt noch niemals einen Straßenstrich gesehen.“

Capitana Garcia grinste. „Offiziell gibt es bei uns auch keine Prostitution. Sie ist sogar verboten. Aber gehen Sie einmal abends in die Calle de las Pizzas oder in einschlägige Lokale! Gerade hier in Miraflores stehen die Mädchen Schlange und warten auf großzügige Freier. Meistens sind es Schülerinnen oder Studentinnen, die sich auf diese Art und Weise ein sattes Taschengeld dazu verdienen. Manchmal werden sogar Ehefrauen von ihren Männern in diese Lokale geschickt, um sich an die Gringos zu verkaufen. Und dann gibt es auch noch professionelle Agenturen. Die bedienen meistens gutbetuchte Klienten, welche auf gewisse Extras stehen. Wie Sie sehen, auch bei uns gibt es leider nichts, was es nicht gibt. Und um dem Ganzen nachzugehen, sind wir gänzlich unterbesetzt.“

„Das ist leider auch nichts Neues. Aber was ist eigentlich mit unserer Nutte? Ich meine die, die den toten Robert Werner gefunden hat. Arbeitet die auf eigene Rechnung oder auch für solch eine Agentur?“

Capitana Garcia schenkte ihm ein falsches Lächeln. „Das Ganze nennt sich Escortservice für gutbetuchte Ausländer. Von direkter Prostitution spricht bei uns niemand und doch weiß jeder, was gemeint ist.“

„Und der Besitzer wird natürlich einen Teufel tun und solche Tätigkeiten zugeben?“

„Natürlich nicht! So, wir sind unten.“

Der Aufzug hielt mit einem kräftigen Ruck und die breiten Aluminiumtüren öffneten sich. Die Tiefgarage war eine geräumige Halle, unterteilt in viele, kleine Parzellen. Auf einer stand ein schwarzer Mitsubishi Geländewagen. Zielstrebig ging Capitana Garcia darauf zu. „Das ist er“, sagte sie.

„Schlüssel?“ fragte Claudio.

Die Polizistin grinste. „Sind vorhanden, der Herr. Wir wissen sehr wohl, wie wir unsere Arbeit zu erledigen haben.“

„Ist ja schon gut“, murrte er. „Man wird ja wohl noch fragen dürfen.“

„Und stellen Sie sich vor, wir haben die Schlüssel sogar bereits auf Fingerabdrücke untersuchen lassen. Da waren nur die von Werner drauf.“

„Alle Achtung“, erwiderte Claudio und pfiff leise durch die Zähne. Er wusste, dass er sich weitere Kommentare verkneifen musste.

„Und?“ fragte er deshalb betont gleichgültig. „Etwas im Wagen gefunden?“

„Einen Moment. Ich habe es aufgeschrieben.“ Capitana Garcia griff in die Seitentasche ihrer Uniform und entnahm ihr ein gefaltetes Blatt Papier.

„Mal sehen. Im Handschuhfach waren Taschentücher, Landkarten, Tankquittungen, ein Taschenmesser, ein Päckchen Kondome, CDs und ein Etui mit Sol-Münzen. Ich glaube das war`s.“

„Blutflecke?“

„Nein, keine.“

Claudio schloss das Fahrzeug auf und schaute sich um. Nach einer Weile bückte er sich und zog etwas unter dem Fahrersitz hervor.

„Und was ist das?“ fragte er. In den Händen hielt er eine kleine gelbe Plastikflasche. Auf dem blauen Schriftzug standen die Worte Inkacola geschrieben. Ohne dieses Getränk geht in Peru gar nichts. Es gibt sie überall zu kaufen und sie schmeckt wie flüssiger Hustensaft. Capitana Garcia ließ ihren Blick über die Plastikflasche schweifen. „Incacola? Das ist doch nichts Besonderes. Hinten im Kofferraum liegen noch mehr davon.“

„Na da schauen wir doch gleich einmal nach. Wie viele Flaschen sind es denn?“

„Vier oder fünf, glaube ich.“

„ Und ist zufällig einer von ihren fleißigen Mitarbeitern auf die Idee gekommen, die Inhaltreste analysieren zu lassen? Ich meine, so eine Flasche kann doch mit allem Möglichen gefüllt werden: Flüssige Drogen zum Beispiel, oder Sprengstoff.“

Er sah wie die Capitana leicht errötete. Ihr schien es sichtlich peinlich zu sein, dass ihre Kollegen ein solches Detail übersehen hatten. Claudio schloss den Kofferraum auf. Darin lagen ein Warndreieck, ein Etui mit Werkzeug, ein Wagenheber, eine Taschenlampe und fünf kleine Plastikflaschen mit der Aufschrift Incacola. Sie waren alle leer. Verblüfft sah er die Polizistin an.

„Können Sie mir erklären, warum jemand so viel von diesem Zeug trinkt?“

„Incacola ist sehr beliebt in unserem Land, Senor Guerrero!“

„Aber gleich fünf Flaschen?“

„Die Tankquittungen zeigen, dass Herr Werner eine größere Fahrt hinter sich hatte. Einer der Belege stammt aus Pucallpa, der andere aus Tingo Maria. Sicher war er durstig.“

Claudio glaubte nicht richtig gehört zu haben. „Wie bitte? Und Sie erzählen mir erst jetzt, dass er in der Selva war?“

Capitana Garcia verstand nicht, warum er sich so aufregte.

„Laut Datum auf den Quittungen liegt die Fahrt bereits zehn Tage zurück. Ich dachte, dass sei nicht mehr wichtig.“

„Nicht mehr wichtig! Claudio fehlten die Worte. Diese Frau war einfach unglaublich.

„Die Plastikflaschen müssen sofort ins Labor“, sagte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zu lies.

„Und dann der Hausmeister natürlich! Ich möchte mit ihm sprechen. Der kann mir sicher sagen, seit wann Robert Werner hier wohnt. Später sehe ich mir auch noch diesen verdammten Zuhälter an. Wie heißt er noch gleich?“

„Reynaldo Mosquera“, erwiderte die Polizistin.

„Und Senor Werner hat die Penthouse-Wohnung seit zwei Monaten bewohnt“, fügte sie noch leise hinzu, doch Claudio hatte sich bereits von ihr abgewandt, so dass er diese Info nicht mehr mit bekam.“

„Tz…Alemanes“, dachte Capitana Garcia, sammelte die Plastikflaschen ein und verließ die Tiefgarage.

Kapitel 6

Wer noch niemals in Lima war, dem sei gesagt, dass der Stadtteil Miraflores im Wesentlichen aus zwei Hauptachsen besteht, der Avenida Larco und der Avenida Benavides. Beide Straßen verlaufen in parallelem Abstand hinunter zum Meer und treffen sich vor Limas schönstem Einkaufszentrum, dem Larco Mar wieder. Von dort aus führt eine Schnellstraße direkt hinüber in den vornehmen Stadtteil San Isidro, wo sich aufgemotzte Kolonialbauten, Luxusvillen und moderne Apartmenthäuser aneinanderreihen. Claudio bekam von alle dem nichts mit. Er saß in einem Taxi und hatte seinen Blick starr nach vorne gerichtet. Dabei überlegte er, was er den Kolumbianer fragen wollte und wie er es am besten anstellte, ihm so viele Informationen wie möglich zu entlocken.

Mosqueras Agentur lag im zweiten Stock einer modernisierten Stadtvilla aus der Kolonialzeit. Über eine riesige Holztreppe gelangte er nach oben in einen langestreckten Korridor. Leises Stimmengewirr drang aus den Zimmern hinter hohen Türen zu ihm auf den Gang. Er konnte nicht verstehen worüber geredet wurde, es interessierte ihn auch nicht übermäßig. An den gleichmäßig weißen Wänden wiederholten sich geometrische Formen in regelmäßigen Abständen. Er beschleunigte seine Schritte und lenkte sie zu einer polierten Tür, an der ein glänzendes Messingschild befestigt war. Die Aufschrift M-Dreams sagte ihm, dass er hier richtig war. Ohne zu klopfen drückte er die Klinke nach unten und betrat das Zimmer. Hinter einem antiken Schreibtisch saß drinnen eine Blondine und telefonierte. Ihre rotlackierten Finger spielten mit den Tasten des Telefons. Sie war die blasseste Blondine, die Claudio jemals gesehen hatte. Ihre Blässe grenzte fast an Durchsichtigkeit. Alles andere an ihr war allerdings nicht von schlechten Eltern. Von der Seite her, konnte er sehen, was sie an hatte. Zu einem kurzen Minirock trug sie schwarze Seidenstrümpfe, an denen seitlich eine Rose bis zu ihren Oberschenkeln hinauflief, und hochhackige Pumps. Als sie ihn bemerkte, schenkte sie ihm einen verstohlenen Blick, wobei sie zwischendurch immer wieder einen Schluck aus einem Strohhalm saugte, der in einer Flasche Cola Light steckte, die wiederrum genau neben dem Telefon stand. Mit ein wenig männlicher Fantasie hätte man diese Geste durchaus als gekonnt provokativ bezeichnen können. Als sie ihr Gespräch beendet hatte, stand sie auf und trat mit einem gespielten Lächeln an ihn heran.

„Wie schön, dass Sie den Weg zu uns gefunden haben. Was kann ich für Sie tun? Möchten Sie eine Begleitung buchen?“

„Ich möchte Herrn Mosquera sprechen“, sagte Claudio und kam damit unmittelbar auf den Punkt.

„Ja weiß er denn Bescheid? Sind Sie angemeldet? Wer sind Sie überhaupt?“

„Sie stellen viel zu viele Fragen, Blondchen. Befindet sich dahinter sein Büro?“

Er deutete auf eine wuchtige Tür mit schmiedeeisernen Beschlägen.“

 

Sie nickte und bemerkte sofort, dass sie einen Fehler begangen hatte. Wie auf ein Kommando ging Claudio auf die Tür zu, drückte und zog solange an ihrem Knauf, bis er sie aufstoßen konnte. Der Raum, in den er jetzt gelangte, war um einiges größer als das Vorzimmer in dem die blasse Blondine saß. Große Panoramafenster sorgten für genügend Lichtzufluss. Ein großer, dunkelhaariger Mann von Ende vierzig, in einem dunkelblauen Hemd mit übergroßem Kragen stand neben einem wuchtigen Schreibtisch und sah hinaus. Als er hörte, wie sich die Tür zu seinem Büro öffnete, fuhr er herum. Er sah so aus, als wolle er nicht gestört werden. Demonstrativ setzte er sich an seinen Schreibtisch und blätterte in einem Stapel mit Papieren. Als er kurz darauf wieder aufblickte, sah er, das Claudio immer noch im Türrahmen stand.

„Sie wünschen?“ fragte er mit mürrischer Stimme.

„Wie ich sehe, sind Sie sehr beschäftigt…“, begann er betont vorsichtig. „Daher will ich es kurz machen. Ich komme von der Deutschen Botschaft und möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.“ Das entsprach zwar nicht so ganz der Wahrheit, aber politische Institutionen machten nun mal einen mächtigen Eindruck.

„Ich weiß, dass Sie für viel Geld Mädchen an betuchte Ausländer vermitteln. So etwas ist Kuppelei und in diesem Land verboten.“

Mosquera grinste ihn an. Er sah nicht so aus, als ob er sich vor Repressalien fürchtete. „Mit Prostitution habe ich nichts am Hut“, sagte er. „Ich betreibe eine Begleitagentur. Völlig legal und angemeldet.“

Claudio räusperte sich. Er konnte sich bildlich Vorstellen, wie diese Legalität aussah, aber deswegen war er nicht hergekommen.

„Hören Sie Senor Mosquera, an wen und wie viel Propina Sie zahlen, geht mich nichts an. Ich bin wegen dem toten Kerl hier, den eine ihrer „Angestellten“, vor ein paar Tagen gefunden hat. Er baumelte an der Decke seines Penthouses, wenn ich Sie daran erinnern darf. Dumm nur, dass dieser Mann rein zufällig ein Diplomat aus meinem Heimatland war und wenn ich nun herumerzähle, dass er mit einer Prostituierten verabredet war, die er über ihre Agentur gebucht hat, könnte die Sache verdammt unangenehm für Sie werden. Dann wird`s politisch, mein lieber Senor Mosquera und man wird Sie fallen lassen, wie eine heiße Kartoffel.“

Claudio wusste nicht, ob Mosquera die Drohung beeindruckt hatte oder nicht. Jedenfalls sagte er kein Wort. Also versuchte er es mit einem Trick.

„Genauso gut könnte ich aber auch erwähnen, dass er vom Reinigungspersonal gefunden wurde. Wie klingt das in Ihren Ohren?“

Das wirkte. Mosqueras Gesichtsauszug änderte sich schlagartig. Er drückte auf den Knopf seiner Sprechanlage. Gleichzeitig fragte er: „Wie war noch gleich ihr Name?“

Erst jetzt stellte sich Claudio vor. Doch ehe er etwas erklären konnte, erschien die platinblonde Sekretärin und brachte ein Tablett mit einer Flasche Gin Tonic und zwei Gläsern. Claudio nahm sich vor, die Blonde gar nicht weiter zu beachten. Stattdessen beobachtete er Mosquera und sah, wie der zu einem Notizblock griff und anfing etwas auf ein Blatt zu kritzeln.

„Nanu, wollen Sie mir die ganze Geschichte auch noch aufschreiben?“, fragte er neugierig.

„Wie bitte? Ach so das...“ Mosquera spielte mit seinem Oberlippenbart.

„Aber nein, ich mache mir nur Notizen über Anitas Kleidung.“

Claudio verstand die Welt nicht mehr. „Warum denn das?“, fragte er ein wenig verwirrt.

„Ach, nur so. Das ist so eine Art Spiel, verstehen Sie? Ich studiere solche Dinge, dann lasse ich mir etwas Schönes einfallen und sie probiert es aus. Das Ganze erhellt uns ein wenig den Arbeitsalltag, finden Sie nicht auch? Sehen sie nur, was sie heute scharfes trägt. Das habe ich selbst entworfen!“

Claudio war baff. Der Kolumbianer hatte zumindest ausgeglichen.

„Hat man die Leiche schon weggeschafft?“ fragte Mosquera ein wenig später. „Die ist nämlich sehr schlecht fürs Geschäft. Keines meiner Mädchen möchte mehr in die Apartments gehen, so lang sich die Leiche noch dort befindet. Könnten Sie da nicht ein wenig nachhelfen?“

„Du alter Schlingel“, dachte Claudio und musste grinsen.

„Na dann erklären Sie mir doch einfach den Sachverhalt. Vielleicht geht es dann ein wenig schneller.“

„Muy bien. Also an dem besagten Tag hat ein Robert Werner bei mir angerufen und sich ein Mädchen für den Abend in seine Wohnung bestellt. Allerdings erst für 21 Uhr, da er vorher noch an einem Meeting teil nehmen wollte.“

„O.k. Aber wie läuft so eine Bestellung eigentlich ab?“ Claudio stellte sich absichtlich dümmer als er war.

„Nun, der Kunde nennt uns die Adresse, wo er wohnt oder gegebenenfalls ein Hotel mit seiner Zimmernummer. Dann kommen die Extrawünsche und der Typ Frau, den er bevorzugt.“

„Extrawünsche?“

„Selbstverständlich!“ Mosquera öffnete eine Schublade seines Schreibtischs und nahm einen Ordner heraus. Den hielt er Claudio vors Gesicht.

„Hier, sehen Sie selbst.“

Der Ordner enthielt Fotos von jungen Mädchen in allen erdenklichen Posen und Verkleidungen.

„Ihr Verkaufskatalog?“

„Wenn Sie es so nennen wollen. Also der Typ hat ausdrücklich nach einer Krankenschwester verlangt. Er stand auf Doktorspiele, verstehen Sie?“

„Und die haben Sie ihm dann geschickt?“

„Aber sicher!“ Er grinste.

„Ich habe Milagros angerufen und sie ist hierher in mein Büro gekommen. Sehen Sie nur...“ Er blätterte in dem Ordner und zeigte Claudio das Foto einer hübschen dunkelhaarigen Mestizin.

„Sie heißt Milagros“, sagte er. Claudio nickte anerkennend.

„Wissen Sie noch, wann Sie hier eintraf?“

„Ganz genau sogar. Es war um 20.00 Uhr. Wir haben dann noch ein wenig geplaudert und Kaffee getrunken. Danach ist sie zu ihm in seine Wohnung gegangen und hat ihn gefunden.“

„Und weiter? Was geschah dann?“

„Nun, sie ist zurück zu mir gekommen und hat sich ausgeheult. Mit ihr war an diesem Abend nichts mehr anzufangen.“

Claudio überlegte. „Sagen Sie Herr Mosquera, dürfte ich wohl einen Blick in ihre Kundenkartei werfen?“

Der Kolumbianer zögerte einen Augenblick. „Kundenkartei?“, fragte er.

„Sagen Sie mir bloß nicht, Sie würden sich nicht irgendwo die Wünsche und sexuellen Neigungen ihre Kunden aufschreiben!“

Zögerlich drückte Mosquera den bekannten Knopf an seiner Sprechanlage.

„Anita Schätzchen, kommst Du bitte noch einmal rüber! Und bring die Liste mit.“

Kurz darauf erschien die blasse Blondine wieder in seinem Büro. Mosqueras sogenannte Liste erwies sich als ein schwarzer Notizblock, in dem allerhand Namen, Symbole und Abkürzungen standen. Claudio interessierte sich nur für die Eintragungen, die den toten Diplomaten Werner betrafen. Es sah nämlich ganz danach aus, als hätte sich der hochrangige Beamte sehr unterschiedlichen sexuellen Interessen gefrönt. Ganz besonders schien er auf Rollen, -und Fesselspiele mit jungen Mädchen zu stehen.