Hetzwerk

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4.

»Und jetzt machen Sie Ihre eigene Partei auf?«, fragte Stahnke und versuchte, nicht allzu ungläubig zu klingen. »Einfach so? Nur weil Carsten Fecht Sie beleidigt hat?«

Jelto Harms lächelte mild. »Keineswegs einfach so«, korrigierte er den Hauptkommissar sanft. »Da kam schon eine Menge zusammen, ehe ich so weit war. Immerhin bin ich überzeugter Sozialdemokrat, da fiel es mir schon mal nicht leicht, aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands auszutreten. Geschweige denn eine neue Partei zu gründen! Es war ja nicht dieser Fecht alleine, der mich letztlich aus der SPD getrieben hat, das war ein regelrechtes Netzwerk! Es war auch nicht nur ein einzelner Vorfall, das erstreckte sich über Jahre. Und es waren mehr als nur Beleidigungen. Fecht und seine Corona haben mich massiv verleumdet! Das ging schon an die Substanz. Und letztlich auch an meine Existenz.«

Grundschulrektor Harms hatte Stahnke in sein Büro in der Schule gebeten, als der ihn früh morgens zu Hause angerufen hatte: »Ich bin schon auf dem Sprung, muss noch aufarbeiten, das geht am besten an Feiertagen.« Das altehrwürdige, menschenleere Schulgebäude roch penetrant nach Bohnerwachs, draußen auf den Fluren war es betäubend still. Stahnke saß aufrecht auf seinem altersschwachen Stuhl, eingezwängt zwischen Armlehnen, die für einen so massiven Körper wie den seinen nicht gedacht waren, und fühlte sich unbehaglich. Weder war er so ausgesucht elegant gekleidet wie der Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches noch so sorgfältig rasiert. Gewöhnlich drückte er sich auch nicht so kultiviert aus. Und dass er ähnlich verständnisvoll sein könnte, hatte ihm auch noch niemand unterstellt. Harms, zehn Zentimeter kleiner als er und bestimmt 30 Kilo leichter, beschämte ihn allein durch das Vorbild, das er abgab. War es das, was ein Pädagoge tun sollte? Oder empfanden Kinder das weniger einschüchternd als ein desillusionierter Staatsdiener jenseits der Lebensmitte?

»Sie hören doch noch gut, oder?«, kommentierte Jelto Harms Stahnkes ausbleibende Erwiderung. »Wir Pädagogen haben ja vielfach Probleme mit dem Gehör. Hat sich was mit Kinderlärm ist Zukunftsmusik! Von zu viel Musik kann man auch taub werden, nicht wahr?«

Der Hauptkommissar rieb sich die Ohren. »Danke der Nachfrage. Diese Unterstellungen, die Sie ansprachen – da handelte es sich um …«

»Pädophilie«, ergänzte Harms lächelnd. »Indirekt verbunden mit dem Vorwurf des Missbrauchs. Sie wissen ja, Pädophilie an sich ist nicht justiziabel. Niemand kann schließlich etwas für seine sexuellen Präferenzen, nicht wahr? Erst wenn der Pädophile seinem Drang nachgibt, macht er sich strafbar. Aber diese Differenzierung findet in der öffentlichen Diskussion leider kaum statt.«

In der Tat, dachte Stahnke. Pädophiler gleich Kinderschänder, das galt als gesicherte Wahrheit. Dass es viele pädophile Menschen gab, die ihrer Neigung widerstanden, die jede Versuchung mieden und ihr ganzes Leben auf Verzicht ausrichteten, wurde ignoriert. Womöglich hätte man denen sonst noch Anerkennung zollen müssen!

»Nur zur Klarstellung.« Stahnke schluckte. »Sie sind also nicht pädophil?«

»Nein«, erwiderte Harms freundlich. »Wäre ja sonst auch etwas unklug von mir, in solch einer Position tätig zu sein, nicht wahr?« Er griff nach einem Bilderrahmen, der auf seinem Schreibtisch stand, und rückte ihn so, dass der Hauptkommissar das Foto sehen konnte. »Ich bin schwul. Das hier ist mein Mann.«

Der Mann auf dem Foto war deutlich älter und breiter als Jelto Harms. Er war korrekt gekleidet und sah ziemlich bieder aus. Geschieht mir recht, dachte Stahnke, der nicht wusste, wie er reagieren sollte. Was hatte ich denn erwartet? Olivia Jones?

»Angenehm«, stotterte er.

Jelto Harms lächelte stolz.

Genau der richtige Moment für die Standardfrage, dachte der Hauptkommissar. »Herr Harms, wo waren Sie gestern Abend? So etwa zwischen 21 und 22 Uhr?«

»Ich war zu Hause«, sagte Jelto Harms, eindeutig nicht überrascht. »Unterricht vorbereiten. Als Leiter einer Grundschule bekomme ich nur wenige Unterrichtsstunden erlassen, wissen Sie? Wogegen ich im Prinzip nichts habe, denn Lehrer wird man ja schließlich, weil man gerne mit Kindern arbeiten möchte, nicht wegen der Verwaltung. Aber beides zusammen füllt doch den Tag ziemlich aus, wenn man alles vernünftig machen will.«

»War Ihr Mann auch daheim?«, fragte Stahnke, ohne zu stocken.

Harms lächelte bedauernd. »Nein, leider nicht. Martin arbeitet als Verlagsvertreter, er ist viel unterwegs. Gestern Abend haben wir nicht einmal telefoniert, weil er noch ein längeres Geschäftsessen hatte. Er hätte mir bestimmt gerne ein Alibi gegeben, aber so …«

Das hatten andere Ehepaare schon ganz anders hingedreht, dachte Stahnke. Da wurde gelogen, dass sich die Balken bogen. Jelto Harms tat das nicht, er war ehrlich. Oder wollte er nur den Anschein erwecken?

»Können Sie mit einer Schusswaffe umgehen?«, fragte Stahnke.

»Sicher«, antwortete der Rektor. »Ich war schließlich bei der Bundeswehr. 15 Monate bei den Panzergrenadieren. Da hatten wir das volle Programm: Pistole, Sturmgewehr, MP und Maschinengewehr. Ich habe sogar die silberne Schützenschnur.«

Damit vergibt er sich nichts, dachte Stahnke. In der Onlineausgabe der Ostfriesen-Post stand, dass Fecht aus kurzer Distanz erschossen wurde. Da wäre auch eine goldene Schnur egal gewesen. Harms wusste das bestimmt. War seine sympathisch erscheinende Offenheit nichts als Berechnung?

»Aber sagen Sie mir doch einmal«, fragte jetzt der Rektor, »wieso hätte ich meinen ehemaligen Genossen Fecht denn eigentlich erschießen sollen? Der Schaden, den er mit seinen Verleumdungen verursacht hat, war doch schon angerichtet! Verschlimmert durch diesen Hackerangriff, natürlich, aber die Schuld liegt eindeutig bei Carsten Fecht und seinem unappetitlichen Netzwerk. Ich frage noch einmal: Warum morden, wenn man damit nichts mehr ändern kann?«

»Aus Rachsucht natürlich«, sagte Stahnke. »Viele Menschen werden zu Straftätern, weil sie sich für etwas rächen wollen, das sie erlitten haben. Verspüren Sie dieses Bedürfnis nicht?«

»Ehrlich gesagt schon«, sagte Harms. »Ein wenig. Aber nicht genügend, um deswegen aktiv zu werden. Aufwand und Resultat stehen in keinem Verhältnis, verstehen Sie? Ich müsste ja Fechts gesamtes Netzwerk niedermetzeln.«

Interessanter Gedanke, dachte Stahnke. Den wollen wir mal im Auge behalten.

»Für den Moment kann ich Ihnen also nur mein Wort anbieten«, sagte Harms und breitete die Hände aus. »Ich hatte zwar eine gehörige Abneigung gegen meinen ehemaligen Parteigenossen Carsten Fecht, aber die reichte bei Weitem nicht aus, ihn umbringen zu wollen. Ebenso wenig kann ich mir vorstellen, dass es von seiner Seite noch irgendetwas über mich zu enthüllen gäbe, das mich veranlassen könnte, ihn zu töten, um das zu verhindern. Ergo habe ich es auch nicht getan. Sondern mich gestern Abend auf meinen Beruf konzentriert. Damit ich morgen wieder etwas Vernünftiges unterrichten kann.« Er verschränkte seine Finger unter dem Kinn: »Und jetzt muss ich mir den Verwaltungskram vom Hals schaffen. Kann ich denn noch etwas für Sie tun?«

»Erst einmal nicht, vielen Dank.« Stahnke erhob sich. »Ich komme zu gegebener Zeit wieder auf Sie zu.«

Harms geleitete ihn zur Tür. »In drei Wochen ist übrigens die Gründungsversammlung meiner neuen Partei anberaumt«, sagte er. »Im Kulturspeicher. Wir werden uns Die Unpopulären nennen.«

»Ungewöhnlich«, erwiderte Stahnke. »Heutzutage geben doch eher die Populisten den Ton an.«

»Genau deswegen ja! Sehr gut erkannt.« Harms strahlte. »Wir wollen ein Gegengewicht setzen. Niemandem nach dem Munde reden, sondern das tun beziehungsweise fordern, was vernünftig ist, auch wenn es vielleicht unbequem sein könnte. Das fehlt doch der Politik heute, quer durch alle Parteien.«

»Aha. Und was wäre das?«, fragte Stahnke, weniger aus Interesse denn aus Höflichkeit.

»Beispielsweise ein Tempolimit auf Autobahnen«, sagte Harms. »Jeder weiß, dass das sinnvoll ist, und alle anderen Länder haben eines in der einen oder anderen Weise, nur wir nicht! Das ist unvernünftig!«

»Freie Fahrt für freie Bürger«, zitierte Stahnke. »Dafür gibt es einfach keine Mehrheit, darum traut sich da seit Jahren keiner mehr ran.«

»Eben! Und das ist schlimm, das muss sich ändern! Jüngste Umfragen geben Hoffnung.« Harms’ Augen funkelten vor Begeisterung. »Die Haltung zum Böllern in Wohngebieten beginnt sich ebenfalls zu verändern. Zeit, ein allgemeines Verbot zu fordern! Oder nehmen wir die ständigen Zerstörungen durch die Randale sogenannter Fußballfans. Das geht Jahr für Jahr in die zig Millionen. Wir verlangen, dass Fans und Vereine selber für alle Schäden aufkommen, bis zum letzten Heller!«

»Sie wissen schon, wie populär Feuerwerk ist? Ganz zu schweigen von Fußball?« Stahnke wiegte zweifelnd den Kopf. »Der ist ja quasi eine Ersatzreligion.«

»Gutes Stichwort.« Harms war nicht mehr zu bremsen. »Religionen! Deren Privilegien gehören gründlich überdacht. Keine religiöse Beeinflussung Minderjähriger mehr! Schon gar keine Körperverletzung Schutzbefohlener, auch Beschneidung genannt. Und überhaupt: Keine Religionsgemeinschaft, die die Gleichstellung der Frau nicht respektiert, sollte sich in Deutschland betätigen dürfen.«

»Das beträfe Juden, Muslime und natürlich Katholiken«, zählt Stahnke an seinen Fingern ab. »Außerdem Autofahrer und Fußballfans. Gibt es noch eine weitere einflussreiche gesellschaftliche Gruppe, mit der Sie sich anlegen wollen?«

»Bestimmt!« Jelto Harms strahlte. »Das war ja noch lange nicht alles! Kommen Sie doch ruhig zu unserer Gründungsversammlung. Ich habe den Eindruck, dass Sie das interessieren könnte.«

 

»Mal schauen.« Stahnke verabschiedete sich.

Draußen auf der Straße schnaufte er erst einmal tief durch. Dieser Mensch ist ja größenwahnsinnig, dachte er. Will sich mit Gott und aller Welt anlegen! Viel Feind, viel Ehr’, oder was geht dem Mann durch den Kopf?

Auf jeden Fall war dieser elegante Herr ziemlich kämpferisch drauf, überlegte der Hauptkommissar, während er die Autotür hinter sich zuzog und sich angurtete. Und für einen Verkünder der puren Vernunft war er ziemlich emotional. Das sollte man bei der Bewertung seiner Aussage im Hinterkopf behalten.

Stahnke startete den Motor. Diese Parteigründungsversammlung ging ihm nicht aus dem Kopf. Die Unpopulären, ha! Ob er da vielleicht wirklich mal reinschauen sollte? Schließlich war er ebenfalls ziemlich streitlustig veranlagt.

5.

Eine gutaussehende Frau, dachte Nidal Ekinci. Wenn man hochgewachsene Blondinen mochte. Was er tat. Seine Frau war der entgegengesetzte Typ, aber das war ja auch etwas ganz anderes, da machte er klare Unterschiede. Frau Fecht jedenfalls sah richtig gut aus.

Eigentlich. Bis auf den verhärmten Zug um den Mund. Entweder war sie sehr erschöpft oder sehr enttäuscht. Mit Trauer hatte das jedenfalls nichts zu tun. Den Umriss ihres getöteten Gatten und die Spuren der inzwischen beseitigten Blutpfütze auf der Auffahrt des gemeinsamen Hauses musterte sie jedenfalls mit kühlem Interesse. Bestenfalls.

»Darf ich?« Sie hob ihre rechte Hand mit dem Hausschlüssel. »Oder ist das hier noch gesperrt? Tatort und so?«

»Sie dürfen.« Ekinci nickte. »Die Spurensicherung ist schon durch. Tatortreinigung auch. Ich würde gerne mit Ihnen einmal durch die Räume gehen, um zu prüfen, ob etwas fehlt.«

Cornelia Fecht nickte und schloss auf.

Ekinci folgte ihr in den hallenartigen Flur. »Bitte sagen Sie, wenn Ihnen etwas auffällt«, sagte er. »Jede Kleinigkeit könnte wichtig sein.«

»Jede Kleinigkeit, ja? Okay.« Sie musterte den Oberkommissar von oben herab. Anscheinend hielt sie nur mit Mühe ein abfälliges Grinsen zurück. »Erste Beobachtung: An der Garderobe hängen keine typisch weiblichen Kleidungsstücke. Darauf hat er nicht immer geachtet.«

Die Verachtung in ihrer Stimme überraschte Ekinci, aber sie lieferte ihm die Erklärung für ihren verbitterten Gesichtsausdruck. »Ihr Verhältnis zu Ihrem Gatten war also … gestört?«, fragte er.

»Gestört ist gut!« Jetzt lachte sie wirklich, so böse, dass Ekinci Schauer über den Rücken liefen. »Carsten hat alles gevögelt, was nicht bei drei auf den Bäumen war. So was gilt doch als Sucht, oder? Also war er gestört. Obwohl, der eine sagt so, der andere sagt so. Viele hielten ihn für einen tollen Kerl, und tolle Kerle tun das eben. Tja, die waren entweder selber so, oder sie wären gerne so gewesen.«

»Ihr Mann hat Sie also betrogen?«, fragte Ekinci sicherheitshalber nach.

»Soll ich Ihnen ein Bild malen? Oder wollen Sie es schriftlich?« Wieder so ein geringschätziger Blick. »Obwohl, es liegt ja tatsächlich schriftlich vor. Wissen Sie das gar nicht?«

Ekinci wusste nichts. Er verstand auch nichts. Das sah man ihm an.

»Der Hacker«, erläuterte Cornelia Fecht, »der Carstens Chats öffentlich gemacht hat. Von dem wissen Sie doch? Gut. Dieser Hacker hat verschiedene Chatgruppen geknackt. Und auch online gestellt. Die lokale Zeitung hat sich natürlich auf die gestürzt, in denen es um Politik ging. Beziehungsweise Politiker. Sie kennen doch dieses Blatt, die lassen keine Chance aus, die SPD in die Pfanne zu hauen, stimmt’s?«

Nidal Ekinci nickte, dabei gehörte Lokalpolitik zu den Aspekten der deutschen Kultur, die ihn am wenigsten interessierten. Europapolitik, transatlantische Beziehungen, vor allem natürlich der Nahe Osten und die Situation der Kurden, das waren Themen, in denen er sich bestens auskannte. Aber Landes-, Kreis- und Stadtpolitik hatte er stets geringschätzig ignoriert. Vielleicht ein Fehler, überlegte er. Immerhin lebte er hier, und was zum Beispiel der Stadtrat von Leer beschloss oder auch nicht, ging ihn unmittelbar etwas an.

»Über Carstens ausschließlich private Chats aber haben sie nichts geschrieben«, fuhr Cornelia Fecht fort. »Da scheinen diese Schreiberlinge eine Hemmschwelle zu haben, die ihnen ansonsten abgeht. Einer von denen hat mir mal erzählt, dass Ex-Kanzler Gerhard Schröder, als er noch Ministerpräsident in Niedersachsen war, bei einem Pressetermin auf einer Bohrinsel in der Nordsee ganz offen mit einer Journalistin geturtelt hat, obwohl er noch anderweitig verheiratet war – und kein einziger der Pressekollegen hat auch nur eine Zeile darüber geschrieben! Scheint so eine Art Kerlekodex zu sein. Wenig später hat sich Schröders Gattin dann scheiden lassen, und die blonde Journalistin wurde seine Ehefrau Nummer vier. Inzwischen ist sie aber auch schon wieder Ex und abgelöst.«

»Aber Ihnen hat man die Chats zugänglich gemacht?«, fragte Ekinci.

»Zugänglich gemacht? Sagen wir lieber: unter die Nase gerieben«, erwiderte Cornelia Fecht. »Diese junge Tante bei der Ostfriesen-Post, Mareike Feeken, hat mich deswegen extra angerufen. Und mir ein paar Auszüge davon als Datei zugeschickt. Hat ihr bestimmt Spaß gemacht, wetten? Mir dafür weniger.« Sie schnaufte.

»Warum hat sie das getan? Wenn sie ja doch nicht darüber schreibt?«

»Was weiß ich.« Cornelia Fecht zuckte desinteressiert mit den Schultern. »Vielleicht für später? Oder sie schreibt unter anderem Namen etwas für die Bunten Blätter? Aber ob die sich für einen Hinterbänkler aus dem Landtag interessieren, ist noch die Frage. Obwohl – jetzt, nach dem Mord vielleicht schon. Na, das sehe ich dann ja beim nächsten Friseurbesuch.«

So viel Kaltschnäuzigkeit schockierte Ekinci. Die nächsten Stationen ihrer Hausbegehung absolvierten sie einsilbig. Der Oberkommissar deutete auf die geöffneten Schubladen, und Cornelia Fecht kontrollierte, ob etwas fehlte. Meist mit negativem Resultat. Nur bei einer Kommode im Esszimmer war sie unsicher. »Ich meine, hier hätte Carstens altes Handy gelegen«, sagte sie. »Vielleicht hat er es selber wieder an sich genommen. Oder aber wir haben es bei einer Sammelaktion abgegeben. Manchmal werden ja Handys gesammelt, bei denen die Notruffunktion noch geht.«

Mehr gab das Erdgeschoss nicht her, so weiträumig es auch war. Carsten Fechts Arbeitszimmer befand sich im ersten Stock. Die Treppe war ungewöhnlich breit und komfortabel geschnitten. Solche Details deuteten auf altes Geld hin, dachte Ekinci, nicht auf einen roten Emporkömmling. Hatte Carsten Fecht das Geld geheiratet?

Im Arbeitszimmer ihres Mannes blieb Cornelia Fecht abrupt stehen. »Da stand sein Laptop, wenn er zu Hause gearbeitet hat«, sagte sie und deutete auf die leere Mitte einer Arbeitsplatte aus Edelholz. »Und da war die externe Festplatte. Beides weg. Schauen Sie, da sind noch Abdrücke von den Gummifüßchen.«

Einen klassischen PC gab es in diesem Raum nicht, auch kein Tablet. Gespeicherte Dateien konnten sich also nur auf dem Laptop oder der Festplatte befunden haben. »Ihr Mann hat in der Presse verkündet, er verfüge noch über viel belastendes Material«, sagte Ekinci. »Vielleicht hätte er das besser lassen sollen.«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht«, sagte Cornelia Fecht. »Mir erspart das einiges an Stress. So eine Scheidung zieht sich ja oft ganz schön hin.«

»Sie haben also die Scheidung eingereicht«, konstatierte Ekinci.

»Klar, was denken Sie denn? Ich wusste zwar, dass Carsten schon immer Ambitionen hatte, den Bezirksbeschäler zu spielen. Wenn ich ehrlich bin, haben wir uns genau deswegen überhaupt kennengelernt. Fand ich ja auch ganz reizvoll. Aber ich habe mir ernsthaft eingebildet, nach unserer Heirat hätte ich ihn an die Kette gelegt. Von kleinen Seitensprüngen mal abgesehen; so was passiert immer mal, da bin ich auch gar nicht so. Aber als ich erfuhr, dass er mich in diesem Ausmaß und dauerhaft betrogen hat, all die Jahre, immer wieder, da hatte ich dann doch genug. Schlagartig.«

»Haben Sie seinerzeit Vermögen mit in die Ehe gebracht?«, fragte Ekinci.

»Aber hallo! Erbteil meines Vaters, der kurz vorher verstorben war. Nicht gerade wenig. Für das Haus hier hat’s jedenfalls gereicht. Meine Mutter lebt noch, aber es geht ihr ziemlich schlecht. Meine Schwester und ich sind so oft es geht bei ihr, in Westerstede. Abwechselnd. Wir haben natürlich Pflege gebucht, zweimal täglich, aber Familie ist eben auch wichtig.«

Das war auch einer von Nidal Ekincis Lebensgrundsätzen. In diesem kalten Ton ausgesprochen, ließen ihn die Worte jedoch erbeben.

»Haben Sie einen Ehevertrag?«, fragte er.

Cornelia Fecht schüttelte den Kopf. »Hielt ich damals nicht für nötig. Das hätte vorm Scheidungsrichter durchaus zu Stress führen können! Mein Vater starb nämlich kurz vor unserer Hochzeit, ausgezahlt wurde mein Erbteil aber erst nachher. Vermögen oder gemeinschaftlicher Zugewinn, das wäre die Frage gewesen! Aber dieser Streit findet ja jetzt nicht mehr statt.«

Hatte ihm die Frau gerade ein Motiv geliefert, kostenlos und frei Haus? Zusammen mit dem vielfachen ehelichen Betrug durch ihren Gatten konnte das allemal reichen, fand Nidal Ekinci. Das Auftreten der Dame des Hauses war natürlich allzu nassforsch und freimütig, als dass sie etwas zu verbergen haben könnte. Aber das mochte Absicht sein.

Die Inspektion der weiteren Zimmer im Obergeschoss inklusive Gästewohnung brachte keine weiteren Erkenntnisse. »Alles da, mein Schmuck, die Bilder, die Heimkinoanlage, das Soundsystem und all das andere Zeug«, fasste Frau Fecht zusammen. »Nur Carstens Kram fehlt. Na ja, passt ins Bild. Der Täter war ja auch seinetwegen hier.« Sie verschränkte die Arme und starrte den Oberkommissar herausfordernd an: »Kann ich mich dann jetzt wieder meiner kranken Mutter widmen? Meine Schwester ist erst morgen wieder dran.«

»Nach den Hausschlüsseln wollte ich Sie noch fragen«, sagte Nidal Ekinci. »Wissen Sie, wie viele davon es insgesamt gibt?«

»Keine Ahnung.« Cornelia Fecht schüttelte den Kopf. »Um solche Sachen hat sich allein Carsten gekümmert. Ganz bestimmt hat er auch seinem jeweiligen Betthäschen einen Schlüssel gegeben. Was meinen Sie, wie oft ich schon nach Hause gekommen bin und hinten stand die Terrassentür offen! Carsten hat dann behauptet, das wäre die Putze gewesen, die hätte die Tür nicht zugemacht. Ist aber natürlich Quatsch. So leichtsinnig ist die nicht.«

»Apropos leichtsinnig«, sagte Ekinci, während sie die Treppe hinunter gingen. »Warum gibt es hier eigentlich keine elektronischen Sicherungsmaßnahmen? Keine Alarmanlage, keine Kameras … Ich meine, das hier ist doch ein wertvolles Objekt, da gibt es einiges zu holen! Etwas mehr Security wäre doch angebracht gewesen.«

Cornelia Fecht lachte wieder ihr eisiges Lachen. »Warum? Weil Carsten strikt dagegen war«, sagte sie. »Und wenn Sie mal ein bisschen nachdenken, dann kommen Sie auch darauf, warum. Na? Warum sollte wohl solch ein Hengst wie er Sicherungen gegen unbefugtes Eindringen anbringen lassen, wenn er selber doch nichts anderes im Kopf hatte als genau das? Nämlich unbefugtes Eindringen!«

Gewöhnlich sah man es kaum, wenn Nidal Ekinci errötete. Diesmal war das anders, das konnte er an Cornelia Fechts hämischem Grinsen deutlich ablesen.