Schaum-Welt-Komfort

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weltseele in agonie -

das auftauchen des immunsystems

feldzug der moderne gegen natur luft atmosphäre kultur

kunst und leben

uralte „gegebenheiten“ offengelegt

in alten „lebenswelten“

einstürzende altbauten:

umwelt: verletzbar

kultur: parodierbar

erste natur: prothesierbar

gesellschaften: sehend und blind

menschen zum unausweichlichen aufenthalt in lauter

technisch machbaren gemachtheiten gelockt-gedrängt

wachsendes mißtrauen bleibt in suspektem getaucht

quasi-religiöses sichanlehnen ans umgebende primäre

eine verführung zur selbstgefährdung

naivität wird auffälig anstößig

pasteur und koch drängen menschliche existenz

zur symbiose mit unsichtbaren

prävention und abwehr dringen ins repertoire

gegen präzise aufgestellte mikrobische konkurrenten

atembare luft nicht mehr unschuldig

zeichen selbst wie besudelt kompromitiert

semantischen umwelten intellektuell unatembare zonen

immunsysteme werden thema

ganzheit integrität

bisher

produkt der umstände

wird

eigenleistung des organismus

durch abgrenzung eigene relevanzkreise ausgewählter dinge

nach-metaphysische ?

oder

anders-metaphysische zivilisation ?

ethik-umstellung

von

phantasmatisch-universal-friedlich-koexistenz

auf

antagonistisch-interessenwahrung-endliche einheiten

mißtrauenslernen verfärbt den sinn von rationalität

lehrjahre der nicht-hingabe

apriori-informationen werden kanpp

explizite setzung zeitgemäß

optionen ersetzen selbstveständlichkeiten

identität als prothese im unsicheren gelände

einzig „gesundheit“ unentäußerbar

nun „meine“ wankelmütige sicherheit

identität-durch-gesundheit fragil-fragwürdig

jene fein eingestellte labile struktur

biochemisch seit 100 Jahren das „immunsysteme“

biosystemische integrität profunde unwahscheinlichkeit

im körper okkulte kämpfe zwischen erreger und „antikörper“

die verantwortlichen des gesundheitsstatus

unser somatische selbst ein belagertes terrain verteidigt

von körpereigenen grenztruppen

mit wechselndem erfolg: so formuliert es die medizinische falkenfraktion

die taubenfraktion beschreibt das selbst und das fremde

als ineinander verschränkt allzu primitive abgrenzungsstrategien

sind eher kontraproduktiv zu gründliche erfolge

mutieren zu krankheitsgründen eigenen typs

die gefährlich tendenz des eigenen

sich im kampf gegen das andere zu tode zu siegen

jetzt meldet sich der mentale immunstatus:

die aufgeklärte gesellschaft weiß jetzt nicht nur was sie weiß

sonder braucht eine meinung wie sie damit leben will

es zeigt sich den modernen:

fortschritt im wissenkönnen bringt nicht automatisch Immunvorteile

wissen ist nicht einfachhin macht

dem wissenden wird klar was er am nichtwissen hatte

glauben - etwa

ein haltungswechsel

von schwächendem wissen zu stärkendem nichtwissen

in verbindung mit einer wohltuenden illusion

geborgenheit in naivität

der alarm-gesellschaft läuten die glocken 24/7

auf dauer kann bewußtsein nur ein oder zwei alarme bearbeiten

dann kommt die funktionale naivität

nicht alles kann bedacht werden was bedacht werden müsste

potentielles alarmwissen erlaubt sekundäre sorglosigkeit

eine formale stütze.

nietzsche stieß auf ein mentalen abwehrsystems:

dem operativen unbewußten

„ Die Kraft des Geistes, Fremdes sich anzueigenen,

offenbart sich in einem starken Hang,

das Neue dem Alten anzuähnlichen,

das Manigfaltige zu vereinfachen,

das gänzlich Widersprechende

zu übersehen und wegzustossen...

Diesem selben Willen

dient ein plötzlich herausbrechender Entschluss

zur Unwissenheit, zur willkürlichn Abschließung,

ein Zumachen seiner Fenster,

ein inneres Nein-Sagen

zu diesem oder jenem Dinge,

ein Nicht-heran-kommen-lassen,

eine Art Vertheidigungs-Zustand

gegen vieles Wissbare, eine Zufriedenheit

mit dem Dunkel,mit dem abschließenden Horizont,

ein Ja-sagen und Gutheissen der Unwissenheit...“

(Jenseits von Gut und Böse)

wo liebe zur weisheit war soll einsicht in die abstoßenden

nicht-integrierbaren eigenschaften zahlreicher

wahrer vorstellungen werden

in aufklärung müssen autoimmunitären paradoxien

des wissens mitgewußt werden ebenso die kosten

für idealistische aufschwünge

selbstwiderspruch und selbstschädigung gehören

zu den prämissen des erkenntnisfortschritts

der hinreichend vor sich gewarnte

gegen eigene bedürfnisse abgehärtete

erkennende

der den einflüsterungen

bornierter vitalvernunft widersteht

zwischenbetrachtung:

licht-zwang vorstoß zur artikulierten welt

making the immune systems explicit

das 20 jhrdt.eine baustelle

voller sicherheitsarrangements der existenz

förmlich gesicherte institutionen

disziplinen und routinen

für deren bewältigung rhetorische formeln:

technik segen und fluch

technikfurcht und technikhoffnung

nutzen und nachteil der entzauberten welt

unruhe und geborgenheit

gewalt gegen reales und mentales

kapitalismus heißt offene grenzen für zuzug von mechanischen

naturgeschichtlichen wissenschaftlichen einwanderern

aus unerfundenheit in erfundenheit

aus unentdecktheit in entdecktheit

zivilisation

lauter nicht-menschliche einquartierungen von

innovationen – elektrizität mikroben kunststoffe etc.-

jede invasion verstellt die gemeinsame welt

der antrieb: sozialer fortschritt

imitative wellen greifen auf lebenswelten über

nachahmungswellen schaffen kollektivverhältnisse

auch für aggresive mitbewohner

im „haus des seins“ ist platz auch für sie

die gesamte ökologie der europäischen zivilisation

durcheinandergeworfen

verändert form und richtung der

ereignisströme und handlungsroutinen

unterschiede die einen wirklichen

unterschied machen

nicht ontologie vom seienden als bestand

sondern ontologie als ereignisse

wo waren die expliziten dinge bevor sie offensichtlich wurden

die Menschen selbst – bisher ausgesetzt in die „natur“

nun bis in intimste dispositionen „zöglinge der luft“

geschöpfe von treibhauseffekte

mit neuen bewohnern

technische objekte

animalische symbionten

alle vollwertige mitglieder

forschung als systematisches wegarbeiten

von unenthültem

heimliche hauptereignisse des 20. jhrdts:

instrumentalisierte kernkraft

aufgedeckte immunsysteme

entschlüsselte gnom und

offengelegte gehirn

die zivilisation ist mit dem monströsen konfrontiert

Elias Canetti in seinen Aufzeichnungen:

„ Daß uns all die Zeit nicht glühend heiß war, von den Möglichkeiten, die wir nicht ahnten, welch ein Segen.

...Das Kleinste hat gesiegt...Der Weg zur Atombombe ist ein philosophischer...

(Elias Canetti: Die Provinz des Menschen, 1976)

Ende des Exkurses

wo also waren die immunsysteme vor ihrer „entdeckung“?

bio-systemischen immunität wirft einen langen schatten:

menschlich relevante integritätsvorstellungen eine fülle von „vorschlägen“

wie kämpfe um verletzte ganzheiten ordnungszustände

konzeptuell operativ rituell in form zu bringen sind

nicht grund- und bodenherrrschaften

müssen gesichert werden müssen

sondern animations- und kraftgemeinschaften

die sich offenbar aus einem kernbereich

einer verletzbaren peripherie zusammensetzen

vormetaphysische weltauslegung

ein guerilla-ontologisches konzept

welt als angriff und verteidigung

wirklichkeit ein patchwork aus mikrodramen

in den kriegslisten der kraftherde

das unformulierte konzept immunität

eingefaltet ins aufmerken

auf die kampfestüchtigkeit einer kraft

zelebrierte in zauberwett-bewerben sängerkriegen

metaphysische weltbilder

verlagern immunsystemvorgänge

vor zweieinhalbtausend jahren

aus den kombattanten kraftherden

in das erlebte innen das als psyche neu beschrieben wird

„seele“ umschreibt den motivwandel

bei der auslegung der inneren verteidigungs- und behauptungskräfte

 

jetzt werden die immanenten formkonstanten

die seelen im grenzkrieg mit nebenseelen

und nichtseelischem stärken

psyche

der folgenreichste vorschlag

für die latenzform -verborgenheit- von immunität

metaphysisch eine umstellung von abwehrkraft

auf formbewahrung

folglich heißt das erste attribut von seele „unsterblich“

auch „unverformbar“ „korrosionsbeständig“

eine innere stabilitätsprämie für homo metaphysikus

gegen existenzrisiken seines weltzustandes

das also ist d i e immunleistung der psychischen form:

unsterblichkeit

sie verhilft individuen zur überlegenheit über

bindungs-schauplätze

wahrheit (aletheia) ist immunitas

= höchstes gut

wahrheiten entdecken

unangreifbarkeit des lebens erfassen

wahrheit bleibt wahr

wissende werden anteilnehmer

an ihre transzendente stabilität

nur ein gott kann wissen wie rettung (immunisierung)

aller dinge (in der Welt) zu denken wäre

optimistisch die annahme

dass es ein solch übergreifendes gebe

die umstellung von

verteidigungskraft auf formsicherheit

schaft den archetypus des weisen und gerechten

der dank seelischer formerfüllung

ins immunitäre optimum gelangt

immunität

soziale unangegriffenheit

unbeflecktheit durch verbrechen

ein Weltalter lang ausgesprochen

der weise erfreut sich waffenlosen seinkönnen

aus reiner übereinstimmung

mit den formmitgiften der seele

integrität meint jetzt formerfüllung

römisches recht gewährte ein leben

im schutz der förmlichkeiten

eines entfalteten prozesswesens

radikalstes erstrebt weltseele

geistigen verteidigung und abwehr von

sinn- und formverlusten auf höchster stufe

der vollkommen runde weltkörper wird durch

weltseele überboten

von der es heißt sie die weltkörpermitte

durchdringe das all umkleide den weltkörper

folglich nicht seele im körper sondern körper in seele

platons weltseele das perfekte immunsystem

es absorbiert selbigkeit und andersheit ohne rest

was ihr „begegnet“ ist in gewisser weise vorgewußt

ihre immunleistung:

jeder information jeder invasion

jedem trauma voraus zu sein

weil sie von außen nichts erleiden kann

was in sie eindringen wollte

-von welchem außen kommend?-

ist bereist in ihr enthalten

sie benötigt kein lernen nur erinnerung

das geheimnis der metaphysik:

gleichsetzung der formen

mit der essenz des lebens

das empirirche leben

unter den schutz eines höheren lebens

in wahrheit jedoch dem toten

oder geistigen unterordnete

genauer dem was nicht sterben kann

weil es nie gelebt hat

dem reich der zahlen,

der proportionen, der ideen,

der reinen formen

der tödlichen simplifikationen?

das metaphysisch codierte konzept seele

das erste umfassende antibiotikum und analgetikum.

seine stärke die populärsten

wie die subtilsten interpretationen

zuzulassen

der trost der philosophie

die immunwirkungen solcher

formbetrachtungen

die einzelnen

aufgefordert ihren eigensinn zu opfern

sich dem walten eines gesamtplans

zu unterwerfen

sie will die einzelnen nicht langlebig sondern leichsterbig machen

das konzept wirbt für die aufhebung des kleinen im großen

mit sinn- und wärme-versprechen

erst der tiefe einschnitt des ersten weltkriegs bewirkt vollendet

die katastrophe des neu-europäisch

rezipierten weltseelegedankens

die europäische neuzeit

eine über-innovierte und deregulierte zivilisation

in der die kulturen des weltseeleglaubens

und progressive mechanistik

als ständige gegenseitige irritationen

in antagonistischen verschränkungen

ineinander existieren

die entdeckung der immunsysteme

ihre eingemeindung in die ökologie

des wissens der modernen „gesellschaft“

setzen die ablösung des klassischen holismus

durch eine organismus-und-umwelt-betrachtung

voraus

in der neuen denkform ließen sich

metaphysischen hingabezumutungen

poetische umarmungsbereitschaft

gegenüber dem all als angelegenheiten

privater stimmungen beiseite stellen

die wiener psychoanalyse übernahm ihre rolle

in diesem übergang von weltseele

zur selbstabgrenzung des einzelnen

mit der verdrängung des traumas und

den abwehmechanismen

war sie zu einem semi-immunologischen

standpunkt vorgestoßen

seit die immunstrukturen sich hinreichend entfalten

stehen mittel bereit die moderne „gesellschaften“

als vielheiten von immunraum-Produktionen zu beschreiben

- oder als schäume-

wir wollten, als bürger neuzeitlicher vernunftkulturen

noch Seelen sein und haben uns als benutzer

von Immunsystemen expliziert;

wir wollten an den unverwundbarkeitsgarantien

der form aller formen teilhaben und haben

uns als nervensystem bloßgestellt;

wir wollten uns im ganzen verankern und

haben uns in die vielheiten der systeme

mit ihren spezifischen umwelten zerstreut

wie wäre zu denken

wenn wir den rettbaren rest

des vormals metaphysisch

codierten verlangens nach

offenheit, kommunikation und

all-zusammenhang sichern wollen?

programm

was vor uns liegt

die menschlichen eigenraum-vielheiten

als form-prozesse zu kennzeichnen

bei denen abwehr und erfindung ineinander übergehen

gewissermaßen als sprechende schäume

als über sich hinaus träumende immunsysteme

menschliche haushalte als zellen im sozialen schaum

machen von defensiven vorrichtungen

und vielfältigen expansionsmechanismen

regen gebrauch:

von der einrichung eines wohnbehälters

knüpfung eines sozialen verkehrsnetzes

benutzerdefinierte weltbild-dichtung:

immunität mit offensiven zügen

selbstverteidigung durch kreativität

menschliche dauerarbeiten

an den eigenen lebenssphären

erzeugen die vielheiten aus blasen oder haushalten

deren staplungseffekt wir schaum nennen

durch diesen begriff von immunstrukturen wird die brücke

zwischen körpereigenen abwehrmechanismen

zum endo(binnen)atmosphärisch geschützten raums

dann zu kulturen als selbstklimatisierenden

und potentiell sebstvergiftenden lebensform-einheiten

begehbar

schaum eine metapher für theorieauffällige vielheiten

benachbart ineinandergeschoben übereinander-getürmen

lebensräumliche immunitätsimprovisationen:

moderner individualismus

das starke merkmal individualistischer lebensformen:

raumbildungen inmitten eines weltzustandes

versuchen zu müssen

der seiner extremen bewegtheit wegen

zur ständigen überforderung

angeborener wie erworbener immunstrukturen führt

nie zuvor war die aufrechterhaltung

der selbstaffirmation von so vielen zusatzleistungen

über das defensive niveau hinaus abhängig

deshalb der sinn von kreativität:

sorget nicht um die kreativität des nächsten tages

genug daß jeder tag seinen eigenen aufschwung habe

schaum erfaßt das alles im bild

nicht die gedrängte zerbrechliche nachbarschaft

auch die notwendige schließung jeder zelle in sich selbst

obwohl sie nur als benutzer gemeinsamer trenninstallationen existieren können nachbarschaft und getrenntheit -ko-isolation- ein sachverhalt ohne den groß“gesellschaften“ unverständlich bleiben

schäumen kehrt eigenvolumen

der kommunizierenden einheiten hervor

die relative eigengesetzlichkeit von sinnproduktionen

und ihre abkoppelung von sozialen funktionen

ohne das auseinanderfallen von gesellschaftsstruktur

und semantik keine freiheitserfahrungen

die funktion des dysfunktionalen:

spielraum fürs individuelle zu eröffnen

nachahmung ist eine fernzeugung (Gabriel Tarde)

„nachbarn“ heißen jetzt die anwender analoger immunisierungsstrategien

gleicher kreativitätsmuster verwandter überlebenskünste

das ergibt eine betriebswirtschaftslehre für zivilisationstreibhäuser:

eine atmosphärenethik

das gute gilt als das atembare; sie dürfte auch seifenblasenethik heißen

ihr merkmal:

das zerbrechliste als ausgangspunkt der verantwortung

rechnet personen und kulturen die atmosphärische wirkungungen

ihres handelns zu;

hebt die klimaproduktion als zivilisatorischen kernprozess hervor

Einleitung Luftbeben

Was hat uns das 20. Jhdt neben seinen inkommensurablen Leistungen in den Künsten eingebracht?

1. Die Praxis des Terrorismus

2. Das Konzept des Produktdesigns

3. Den Umweltgedanken

Durch das erste wurde die Interaktion zwischen Feinden auf postmilitärische Grundlagen gestellt;

durch das zweite gelang dem Funktionalismus der Wiederanschluss an die Wahrnehmungswelt;

durch das dritte wurden Lebens- und Erkenntnisphänomene in einer bisher nicht bekannten Tiefe aneinandergeknüpft.

Alle drei zusammen markieren die Beschleunigung der Explikation – der aufgedeckten Einbeziehung von Latenzen oder Hintergrundgegebenheiten in manifeste Operationen.

1. Der Gaskrieg – oder: Das atmoterroristische Muster

Wann und womit hat es begonnen? Exakt am 22. April 1915 um 18.00 Uhr mit dem ersten Großeinsatz von Chlorgasen als Kampfmittel der deutschen West-Armee gegen französisch-kanadische Infanteriestellungen.

Es wird das Zeitalter dessen entscheidender Gedanke darin bestand, nicht mehr auf den Körper eines Feindes, sondern auf dessen Umwelt zu zielen. Dies ist der Grundgedanke des Terrors im expliziteren und zeitgemäßeren Sinn. Shakespeare lässt Shylock im Kaufmann von Venedig sagen: „Ihr nehmt mir mein Leben wenn ihr mir die Mittel nehmt, wodurch ich lebe.“

Unter den Mitteln sind neben den ökonomischen heute auch die ökologischen und psychosozialen Bedingungen menschlicher Existenz in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit gerückt: von der Umwelt des Feindes her den Entzug seiner Lebensvoraussetzungen zu betreiben. Dieser „neue“, umwelttheoretisch modernisierte Terror unterscheidet sich von allen anderen Varianten (Bomben -anschlägen, Diktatorenterror, Desperardoterror) darin, dass der „neue“ Terrorist seine Opfer besser versteht, als sie sich selber verstehen.

Man liquidiert seinen Gegner, indem man ihn hinreichend lange in ein unlebbares Milieu taucht.

Hieraus entsteht der chemische Krieg, der Gaskrieg als Angriff auf die umwelt-abhängigen Vitalfunktionen des Feindes, namentlich Atmung, zentralnervöse Regulierungen und lebbare Temperatur- und Strahlungsverhältnisse durch Attentate auf die umweltlichen Lebensvoraussetzungen des Feindes. Auch wenn „gestandene“ Soldaten darin eine entwürdigende Degeneration der Kriegsführung sahen. Die konnten nun im klassischen Sinne keine „Treffer“ mehr verbuchen, weil das Ziel die „Atmosphäre“ -hier die Luftumgebung- des Feindes wurde. Es entsteht die „hinreichende Genauigkeit“, d. h. Nahe genug am Feind.

Im Gefolge der ersten Erfahrungen mit dieser Art Kriegsführung schoss eine Militärklimatologie aus dem Boden. Bei den ersten Versuchen verflüchtigte sich z. B. das verwendete tödliche Gemisch zu schnell. Giftwolkenkunde ist die erste Wissenschaft mit der das 20. Jhdt. seine Identitätsurkunde übergibt.

 

Die blitzartige Entwicklung von Militär-Atemschutzgeräte verriet die Anpassung der Truppen an die Lage. Ebenso liegt hier ein erster Schritt zum Prinzip Klimaanlage.

Darauf hin entwickelten deutsche Chemiker das Gas „Blaukreuz“ das die Masken durchdrang. Gleichzeitig führten deutsche Truppen ein Kampfgas „Gelbkreuz“ ein, das bereits in geringen Mengen und bei Hautkontakt oder Berührungen mit Schleimhäuten und Atemwegen schwere Beschädigungen des Organismus –Erblindungen, katastrophale nervöse Dysfunktionen- hervorrief. Zu den bekannteren Opfern gehörte Adolf Hitler.

Im Gaskrieg werden tiefste Schichten der biologischen Kondition von Menschen in die Attacke auf sie einbezogen: Die unaufhebbare Gewohnheit wird so gegen den Atmenden gekehrt, dass diese zu unfreiwilligen Komplizen ihrer Zerstörung werden. Es löst im Angegriffenen die Verzweiflung aus, durch das Nichtunterlassenkönnen der Atmung zur Mitwirkung bei der Auslöschung des eigenen Lebens gezwungen zu sein.

Mit dem Phänomen Gaskrieg wird eine neue Explikationsebene für klimatische und atmosphärische Prämissen menschlicher Existenz erreicht: Die Immersion der Lebenden in einem atembaren Milieu zur förmlichen Ausarbeitung gebracht. Auch ist das Prinzip Design miteinbezogen, weil der Gaskrieg zu atmotechnischer Innovationen zwingt.

Im Gefolge zog eine schwarze Meteorologie herauf, die sich mit den „Niederschlägen“ ganz besonderer Art befasste.

Entscheidend war, dass die Technik mittels Gasterrorismus in den Horizont eines Designs für das Ungegenständliche durchbrach –wodurch Latenzthemen wie physikalische Luftqualität, künstliche Atmosphärenzustände und sonstige klimabildende Faktoren in menschlichen Aufenthaltsräumen unter Explikationsdruck gerieten.

Durch die progressive Explikation sind Humanismus und Terrorismus aneinander gekettet.

Der Terrorismus hebt die Unterscheidung von Person und Sache auf. Er ist Gewalt gegen jene menschen- umgebenden Sachen, ohne welche die Personen nicht mehr Personen bleiben können.

Der Feind wird als ein Objekt in der Umwelt expliziert, dessen Entfernung einer Überlebensbedingung das System gleichkommt. Die Technik bringt das Wesen der Feindschaft militärisch auf den Punkt: Sie ist nichts anderes als der Wille zur Auslöschung des Gegners.

Terrorist ist, wer sich seinen Explikationsvorsprung hinsichtlich der impliziten Lebensvoraussetzungen des Gegners erarbeitet und für die Tat verwertet.

Das im Ersten Weltkrieg erworbene kampfklimatologische Verfahrenswissen nahm naturgemäß spätestens vom November 1918 an den Umweg über dessen „friedliche“ Nutzung.

Jetzt gerieten die Bettwanzen, die gemeine Singschnake, die Mehlmotte, die Kleiderlaus und die Förderung der Landwirtschaft durch Schädlingsbekämpfungs- mittel und die Reinraumschaffung in Mühlen, Schiffen, Kasernen, Lazaretten, Schulen, Getreide- und Saatgutspeicher ins Visier der Berliner Chemiker.

Die Nichtwahrnehmbarkeit der Gase wurde durch Beimischungen von wahrnehmungs- wirksamen Gasen behoben und unter dem Namen Zyklon A auf den Markt gebracht. Auch dies war insofern ein „Designergas“ weil es zur Wiedereinführung von nicht wahrnehmbaren oder abgeblendeten Produktfunktionen in die Benutzerwahrnehmung.

Philosophisch: Eine Re-phänomalisierung des Nichterscheinenden.

Dem 1924 von einer Hamburger Firma entwickelten und patentierten Zyklon B fehlte dann diese Wahrnehmungs-komponente.

Einer der beiden Firmengründer war von 1915-1920 im Berliner Institut beschäftigt und belegt die Kontinuität der neuen Entwesungspraktiken jenseits von Krieg und Frieden. Nach Kriegsbeginn 1939 hielt die Firma Desinfektionslehrgänge für Wehrmachtsangehörige und Zivilisten ab. Bei diesen spielte auch Gaskammerdemonstrationen eine Rolle.

Der US-amerikanische Staat Nevada nahm am 8. Februar 1924 eine erste „zivile“ Gaskammer zur Durchführung von vorgeblich human-effizienten Hinrichtungen in Betrieb mit Vorbildwirkung auf elf weitere US-Staaten. Die Hersteller konnten auf die Schwankungen der Anwendungsmoral jeweils flexibel reagieren.

Im Konzept der Gas-Exekution zeigt sich, dass nicht alleine der Krieg als Explizitmacher der Dinge wirkt; derselbe Effekt folgt ebenso häufig aus dem umweglosen Humanismus, der seit Mitte des 19 Jhdt. die amerikanische Spontanphilosophie ausmacht und in ihrer akademischen Version zu Pragmatismus wird. In ihrem Willen, das Wirksame mit dem Schmerzlosen zu verbinden, ließ sich diese Denkweise nicht beirren durch Exekutionsprotokolle, die von beispiellosen Qualen mancher Gaskammer-Delinquenten sprechen.

Als Heidegger 1927 in Sein und Zeit mit ontologischer Umständlichkeit von einem Existenzzug des Seins-zum-Tode sprach, hatten amerikanische JVA-Beamte und Exekutionsärzte schon einen Apparat in Betrieb genommen, der das Atmen-zum-Tode zu einem ontisch kontrollierten Verfahren machte.

Der Schauplatz für die Gaskammerideen auf der deutschen Seite war von SS-Intelligenz und Beratern der deutschen Schädlingsbekämpfungsindustrie besetzt und vom Mandat aus der Berliner Reichskanzlei, mit der die Freiheit der Wahl auch „ungewöhnlicher Mittel“ in dieser Frage gewiss sein durfte.

Mit Hitlers Beschluss zur „Endlösung der Judenfrage“ kam der Befehl durch mündlich kommunizierte Geheimbefehle auf die Tagesordnung ausgewählter SS-Verbände. Mit diesem Auftrag ausgestattet, die ihrer Eigeninitiative weiten Spielraum ließ, traten Hitlers treueste Helfer zum Amoklauf der Pflichterfüllung an.

Es kann kaum ein Zweifel daran bestehen, dass die äußerste exterministische Zuspitzung deutscher „Judenpolitik“ nach 1941 durch die Ungeziefermetaphorik vermittelt war, die seit den frühen zwanziger Jahren eine konstitutiver Bestandteil der von Hitler geprägten NS-Partei-Rhetorik gebildet hatte und von 1933 an zu einer gleichsam offiziellen Sprachregelung in der gleichgeschalteten Öffentlichkeit aufstieg. Den Vorsprechern gelang es, ihre idiosynkratische Form des exzessiven Antisemitismus als eine spezifische deutsche Ausprägung vorgeblicher Hygiene, wenn nicht zu popularisieren, so doch auf breiter Basis duldbar oder nachahmbar zu machen.

Im Kern war das die agierte Metapher „Schädlingsbekämpfung“ in Kombination mit „Sonderbehandlung“. Letztere meint die umweglose Applikation von Verfahren der Insektentilgung auf menschliche Populationen. Im extremen Pragmatismus der Exekutoren gingen das psychische Agieren einer Metapher und das dienstlich gleichmütige Durchführen von Maßnahmen nahezu ohne Reibung ineinander über.

Die Holocaustforschung hat zu Recht in der Fusion von Amok und Routine das Betriebsmerkmal von Auschwitz erkannt. 1941 wurden Juden als alleiniger „Seuchenträger“ bezeichnet. Goebbels spricht in seinen Tagebüchern von „Juden als Läuse der zivilisierten Menschheit“. Hier zeigt sich, dass Goebbels wie ein Agitator mit sich selbst wie vor einer Menge sprach.

Wie die Dummheit ist auch das Böse autohypnotisch.