Schaum-Welt-Komfort

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poetischer p r o l o g - schaumgeborenheit

luft an unerwarteter stelle

schäume träume

für ernste nur nichtigkeiten

gerieten in verruf gegen solides

nur schaumverächter

galten als ernste verfechter von

bestehendem vererbbarem

bauten auf felsen

wollten selber einer sein

wurden stein

schaum

ist das etwa luft an nicht

erwarteten stellen

das solide lachte in fäuste

wenn schaum zusammenfiel

doch auch materie

die fruchtbare matrone

site by site mit logos

läuft illusionen in die arme

noch fehlt schäumen die substanz-achtung

bis -ja genau- hegel

mehrdeutigkeiten auf die bühne half

ein mittler zwischen geist und stoff

binäre idioten traten beiseite

nun wandeln sich weltbilder

freudsche träume un-bewußtes

werden königswege

mit couchlagen für tics private einfälle

alte rechnungen wurden beglichen

nietzsche husserl chaostheorie

surreales atmossphärisches

errang theoriewürde

mathematische unschärfe

zufälliges formloses

erhielt anschluss an theorie-wirklichkeiten

der ernst wurde neu verteilt

lange schatten -materie substanz-

blieben aber im schaumdenken

wurde das zerbrechliste herzstück des wirklichen

zeugungsmächtiger zukunftsträchtiger schaum

entzöge der substanz die grundlage

dann würde das verächtlich gemachte

das scheinbar frivole

anteil am realen

gewinnen

schwebendes hohles fragiles unwiederholbares

- wesentlicher schaum?

in mythen-schäume werden göttinen geboren

potenz für westliche schaum form

geburtskraft zu schönem reizvollem vollendetem

im indischen mythos

gebiert schaum ozeane

ist nektar der unsterblichkeit

unter alchemistischen zügen:

luft in milch macht butter-substanz

ägypter nutzen speichelschaum

atum gebar kreaturen

kein befehl - nur schaum

das ermutigt nach menschen

aus luftigem schwebendem inspirierten

zu fragen

schaum die matrix der humanen tatsachen

bald formuliert j.a.f. plateu die gesetze der schäume

vielkammernsysteme zellen wände ordnung im scheinbaren chaos

120grad -vier ecken oberflächenspannung

mit farbenlehre fürs kinderzimmer

schäume werden prozesse

im innern sprünge umschichtungen reformatierungen

deren unruhe hat eine richtung:

stabilität

keine zelle im schaum kann platzen

ohne alles ins nichts zu nehmen

tragische geometrie ko-isolierte räume

mit binnenspannung ohne mittelpunktzelle

das 21. jhrdt ? century of the foam

entstehung des lebens spontane schaumbildung lebendige zellen

halboffene systeme selbst-umweltsensitive reaktionsräume

das geheimnis des lebens ein sphärengeheimnis

raum unterwegs zum selbst das gegen äußeres position

einnehmen kann eigensinn an unerwarteter stelle

führt der geheimnisvolle weg schon beim primitivsten leben

nach innen

humanschäume?

nach gott nach könige jetzt schaum?

die moderne ein humanschaum

die versammlung der zahllosen

kosmischen „seifenblasen“

kein monokosmos der metaphysik

unter einem alles-logos beisammen

keine philosophische über-seifenblase

sondern

semi-opaker Schaum aus weltbildenden raumkonstruktionen

sphärische nachbarschaften in selbstergänzenden „zellen“

aus dyadischen (zweier)

pluripolaren (mehrpoligen) resonanzen

im daraus gespannten sinn-raum

doch in seinen eigenen nur von ihm erlebbaren

animationen assoziationen

orte dieses typs

formen das aufeinander-hin-existieren

der nahe vereinigten

das eigentliche agens (gestaltende) der raumbildung

die klimatisierung des ko-existentiellen innenraums

durch reziproke (wechselseitige)

extraversion (aufeinander hin)

der simbioten (beteiligten)

die wie ein herd vor dem herd das gemeinsame interieur temperieren

hier wird zweimal gekocht:

in der gemeinsamen stimmung und auf dem feuer

im schaum das prinzip ko-isolation:

benachbart und unerreichbar

verbunden und entrückt

eine reziproke isolation

trennungen und immunisierungen

„gesellschaften“

unruhige asymmetrische assoziationen

räume-vielheiten prozeß-vielheiten

deren zellen:

weder wirklich vereint noch wirklich getrennt

wie im intra-systemischen einzel-gehirn

assoziationen sekündlich-minütlich

stündlich täglich purzelbäume schlagen

so im größeren und großen

familien gruppen gesellschaft

die im schaumigen verbund

lokaler und globaler assoziationsblasen

aufgehen und platzen

schaumzellen“gesellschaft“

ein trübes medium mit leitfähigkeit für informationen

durchlässigkeit für stoffe

ausgießungen unmittelbarer wahrheiten

werden nicht weitergeleitet

umfassende übersichten nicht zur verfügung

nachrichten selektiv übertragbar

ausgänge ins ganze gibt es nicht

super-visionen auf die eine welt

unmöglich – und recht verstanden auch nicht wünschbar

jede lage im schaum eine verschränkung von umsicht und blindheit

jedes in-der-welt-sein eine lichtung im undurchdringlichen

schäume in der zeit des wissens

zarte dinge werden spät objekt

auffälligkeit reifen wenn sie verloren sind

verloren durch selbstverständlichkeit

luft gedankenlos atmen

in stimmungen leben

atmosphären nutzen

sie alle bleiben lange stumm

hintergrundausstattung

die sorge die brüchigkeit verwüstung schickt sie

in theorie in respekt in kulturwissenschaft

jetzt lernt er vorauszusetzen

das nichts vorausgesetzt werden kann

jetzt wird vieles künstlich

der weg in die naivität wächst zu

der neue weg anatomenroute revolution rotation

schnitte invasion penetrationen in die gute alte lethe

explizitmachen nicht nur diskurs

keine lyrik und doch phänomenologische lyrik

inteligenz gründet wissenshaushalte

dringt ins verborgene

würdigen logisch

befeuern beschwören epistemische zeitgeister

unbeleuchtetes wird grell

verborgenes tritt aus dem schatten

die gute nachricht

es gbt kein außen ohne inneres

kein fremdes das nicht ein unseres würde

aber wehe wenn explizitwerden

eigensinniges andersartiges nie mitgemeintes

nie erwartetes nie zu assimilisierendes

ins denken eindringt

das subjekt im neuen nicht „zu sich“ käme?

fremdbleibendes ungeheures

das wissens kaum genießbar macht?

etwas nicht mehr „von selbst“ ins auge fällt

nur forschung messungen maschinen künstliche sensoren

sichtbarkeit beförderten

zellkerne atompilze rötgenaufnahmen

computertomographien galaktische photographien

alles keine natur der ersten tage

sie sind es nicht!

gräben trennen es von menschlichen umblicken

in vertraute umstände

woher all das

aus dem unbewußten dem schlaf dem unwissen der verborgenheit

oder aus irgendeinem noch-nicht

unser gehirn unser genom unser immunsysteme

stehen auf epedemischen bühnen

die „modernen“ außer atem gehalten gebracht

das 20.jhrdt. zahlt den preis für verfremdung

keine epoche zeigt eine solche expertise

in der kunst vitale existenzprämissen zu vernichten

die kehrseite macht sie sichbar:

die erhaltungsbedingungen kultureller Räume

technisch künstlich gestaltbar alles muss verhandelt werden

jeder kann und keiner will ein wörtchen mitreden

es gab kein revolution:

oben und unten tauschten nicht die Plätze

nichts wurde vom kopf auf die füße gestellt

nirgendwo wurden die letzten die ersten

nichts wurde umgewältzt nichts im kreis gedreht

nicht revolution eher routine in explikation

werden ist auch katastrophe

unser zeitalter walzt zustände aus

das monströse ins alltägliche

tasten bahnen leichten zugriff auf bisher unmögliches

das zeitalter sagt den seinen:

ohnmacht gibt es nicht

was du nicht kannst kannst du lernen

PROLOG Schaumgeborenheit

Schäume sind Träume: hier wurden zwei Arten von Nichtigkeit gleichgesetzt. Eine Unterwanderung des Soliden durch das Unhaltbare. So haben nicht nur die Akademiker in Platons Nachfolge gedacht. Ein populärer Biedersinn machte Front gegen Schaumiges, Leichtes, Allzu-leichtes.

 

Zwischen der klassischen Metaphysik alles habe im runden Welt-Kosmos seinen festen Platz und dem volksontologischen Alltag, in dem streng darüber gewacht wird, das alle ihren Platz einhalten, herrschte über tiefe Differenzen hinweg von alters her ein Einvernehmen, das man den ernsten Charakter an seiner Schaumverachtung erkenne. Alles um den Schaum herum war Verrat am festen, seriösen, bestehenden, vererbbarem. Am Schaum konnte kein Strick halten und wer auf Gott vertraut der hatte nicht auf flüchtigen Sand gebaut. Das konnte man nur auf Felsen, wenn man selber einer war.

Schaum, eine reale Gegebenheit, jedoch ein berührungsscheues Gebilde, das sich beim leisesten Zugriff aufgibt und zerplatzt. Durch Zuschlag von Luft verliert ein Flüssiges, ein Festes seine Dichte; was eigenständig, homogen, solide schien, verwandelt sich in aufgelockerte Strukturen. Er deutet an, dass unter ungeklärten Umständen das Dichte, Kontinuierliche, Massive einer Invasion durch das Hohle erläge.

Schaum ist also„Luft an unerwarteter Stelle“

Doch die Rache des Soliden lässt nicht lange auf sich warten. Sobald die mischende Agitation zu Stehen kommt, fällt die Schaumherrlichkeit schnell in sich zusammen.

Des Nachts geben die Menschen den Phantomen Kredit, in der Dämmerung den Utopien; doch kommt die Wachwelt und die Morgensonne, „zerfließt's wie eitel Schaum“. (Heinrich Heine)

Auch die Materie, die fruchtbare Matrone, die an der Seite des Logos ein ehrbares Leben führt, durchleidet eine hysterische Krise und wirft sich der erstbesten Illusion in die Arme. Enttäuschung ist also garantiert, wo Schaum aufquillt. Den Schäumen fehlt alles, was mit den achtunggebietenden Sphären des Dauerhaft-Gültigen in Verbindung gebracht werden durfte.

Heraklits Mahnung dem Gemeinsamen zu folgen, wurde ein Weltalter lang als Aufforderung wahrgenommen, sich fernzuhalten vom Nächtlichen und Nur-Privaten, dem Traumhaften und Schaumhaften, diesen Agenten des Un-Gemeinsamen, Unöffentlichen, Unweltlichen.

Und doch: mit Hegel kam eine neue Mehrwertigkeit in den Blick. Ist er, der Schaum, das Lufthaltige, nun der Dritte, der die binäre (zweiseitige) Idiotie überwinden konnte? Ein Mittleres zwischen Geist und Stoff? Etwas zwischen den Extremen?

Schaumdeutung

Im Weltbildwandel des 19. und 20. Jahrhunderts -der sogenannten „Moderne“- konnten Träume und Schäume nicht auf ihren hinteren Plätzen bleiben. Das gehört zur intimen Signatur dieser neuen Zeit.

Die Wiener Psychoanalyse entdeckte die Träume als Königsweg zum Unbewussten. Eine Subversion des Ernst-Systems und des Schwergewichtigen. Ein Vorgang von Kultur-umstürzender Tragweite. Nun werden kaum bemerkte Zeichen lesbar, die privatesten Einfälle, Tics, Ausschläge und Fehlleistungen in subversive Bedeutungsvermutungen gestellt. Das Unbedeutende konnte mit dem Bedeutenden alte Rechnungen begleichen. Jetzt sind Träume keine Schäume mehr.

In seinem Gefolge gelang eine umfassende Theorie der Moderne: von den Intentionen eines nichtverfälschten Nietzsche; den Entfaltungen der Husserlschen Impulses; vom Perspektivismus des 19'wie von der Chaostheorie des 20'Jhdt; von der Promotion des Surrealen wie von der Erhebung des Atmosphärischen zur Theoriewürde; von der Mathematisierung des Unscharfen, den gekerbten Strukturen, den unregelmäßigen Mengen; der Revolte des Unauffälligen und den unscheinbaren Indizien die Trendzeichen des Weltlaufes zeigen wie die Entdeckung des Unbestimmten und damit des Nicht-Nichts, das Beinahe-Nichts, das Zufällige und das Formlose Anschluss an die theoriefähigen Wirklichkeiten gefunden haben.

Insgesamt wurde somit der Ernst zwar neu verteilt. Dennoch liegt auf den modernen Theorien und den Theorien der Moderne der lange Schatten des (Materie-) Substanzdenkens, das dem "zufällig auftretenden" -dem Akzidentiellen- so wenig Geschmack abgewinnt.

Sowie Ernst Bloch dem Tagtraum seine Würde als utopische Potenz und wirklichkeit-setzende Projektmacht verlieh, so müsste sich die Schaumdeutung als politische Ontologie der animierten Binnen-Räume konstituieren. In ihr würde das Zerbrechlichste als das Herzstück des Wirklichen begriffen. Wenn der Nachweis gelänge, dass das Schaumartige das Zukunftsträchtige sein kann, zeugungsmächtig ist, wäre dem substanzialistischen Vorurteil die Grundlage entzogen. Eben dies wird im Band III unternommen.

Das weltalterlang Verächtlich-Gemachte, das scheinbar Frivole, das nur auf seine Implosion hin Existierende gewänne seinen Anteil an der Definition des Realen zurück. Man begreift dann: Das Schwebende ist Grundgebendes der besonderen Art; das Hohle eine Erfülltheit eigenen Rechts; das Fragile als Ort und Modus des Wirklichen zu bedenken; das Unwiederholbare gegenüber dem Seriellen das höhere Phänomen. Aber: ein „wesentlicher Schaum“? geht denn das?

Fruchtbare Schäume – Mythologisches Zwischenspiel

Sobald man vor die Epoche volksontologisch und substanzmetaphysisch motivierter Schaumverachtung zurückgeht, zeigt sich die Relevanz der Figur des „fruchtbaren Schaums“.

Hesiod hat um 700 vor Christus, in der Erzählung von der Schaumgeburt der Göttin Aphrodite, die Liaison von Schaumgeburt und generativer Potenz für die westliche Überlieferung unvergesslich gemacht. Dem Dichter gelingt das Denkbild eines Schaums, dem nicht nur Formkraft zukommt, sondern auch Geburtsfähigkeit und generative Wirksamkeit zu Schönem, Reizvollem, Vollendetem.

Auch im altindischen Mythos vom Beschluss der himmlischen den Ozean durch Verquirlung zum Schäumen zu bringen, um daraus den Nektar der Unsterblichkeit zu gewinnen. In den indischen Erzählungen wird deutlich, dass sie eine Handlung präsentieren der unter alchemistischen Zügen ein unverkennbarer Produktions -charakter zukommt: aus der Erzeugung aus Schaum tritt die Erzeugung von Schaum hervor. Die Analogie zur Butterzubereitung drängt sich hier auf – zumal in einer Kultur die Gussspenden aus Butter ins Opferfeuer zur Götterehrung einbrachte.

Das Lufteinschlagen in die Substanz dient der Ausfällung des Substanziellen aus der Substanz. In dieser ersten Theorie wird man den magischen Zugriff auf das Wesen des Wesens wagen, um die Macht aus der Macht herauszufiltern.

Auch der ägyptische Schöpfungsmythos kannte das Bild eines kosmischen Speichelschaums. Der Mund des Gottes Atum wird als erster Regungsherd oder Urgefäß bezeichnet in dem Feuchtigkeit und Luft erzeugt und ineinander verschränkt wurden, bis beides den Mund verließ, um alle weiteren Kreaturen hervorzubringen.

Nicht erste Unterscheidungen und „Es-werde-Befehle“ kamen aus dem Göttermund, sondern eine schaumige, bimaterielle prima materia.

Immerhin bereiten solche Ansätze von ferne her einen Begriff von Aphrogenie vor, der ermutigt, nicht nur nach Göttererzeugung zu fragen, sondern auch nach einer Mensch-entstehung aus Luftigem, Schwebendem, Gemischtem, Inspirierten. Es bleibt im folgenden zu zeigen, dass Schaum -in einem zu konsolidierendem Sinne des Wortes- die Matrix der humanen Tatsache insgesamt bildet. Wir sind der Stoff, aus dem die Schäume gemacht sind.

Naturschäume, Aphrosphären

Im physikalischen Kontext versteht man unter Schäume Vielkammersysteme von Gaseinschlüssen in feste und flüssige Materialien, deren Zellen durch filmartige Wände voneinander getrennt sind. Der belgische Physiker Joseph Antoine Ferdinand Plateau formulierte wichtige bis heute anerkannte Gesetze für die Geometrie der Schäume die ein Minimum an Ordnung in das scheinbare Chaos schaumartiger Blasenansammlungen trugen.

Die Ecken werden durch drei exakte Filmwände gebildet; je zwei davon bilden einen Winkel von 120 Grad; genau vier Ecken konvergieren in einem Punkt. Die Existenz von Seifenhäuten beruht auf eine Oberflächenspannung des Wassers die schon von da Vinci festgehalten wurde. Der Brite Ch.Vernun Boys stellte die optischen Eigenschaften von nassen und trockenen Schäumen in einer Farbenlehre dar. Dadurch zogen die Wunder des Regenbogens in viktorianische Kinderzimmer.

Im 20. Jhdt trat die Zeit in die Analyse des Schaums ein. Wir lernten, dass Schäume Prozesse sind und dass im Inneren des Vielzellenchaos unaufhörliche Sprünge, Umschichtungen und Reformatierungen geschehen. Diese Unruhe hat eine Richtung – sie führt zu höherer Stabilität und Inklusivität. In diesem aktiven Fachwerk aus labil-stabilen großen Polyedern kann potenziell keine einzige Zelle mehr platzen, ohne das Gesamtgebilde mit ins Nichts zu nehmen.

In dieser tragischen Geometrie ist zwischen den übriggebliebenen ko-isolierten Räumen eine so hohes Maß an Binnenspannung oder Tensigrität erreicht, das ihr gemeinsames Existenzrisiko durch eine Kofragilitätsformel ausgedrückt werden kann. In diesen Schäumen gibt es keine Mittelpunktzelle. In den Raumtheorien der Physik und für Prozesse von galaktischem, ja kosmischem Ausmaß hat das Vielkammern-System und die Schaum-Metapher Karriere gemacht.

Das 21. Jhdt kündigt sich als das century of the foam, als Jahrhundert des Schaums an. Das Thema kommt in immer mehr Wissenschaften zum tragen, aber keine billigt der morphologischen Potenz des Schaums eine größere Rolle zu als die Zell-Biologie. Für sie ist die Entstehung des Lebens aktuell eine „spontane Schaumbildung“. Nach ihr bildeten sich in der Frühzeit der noch unbelebten Erde blasenförmige Hohlräume und sorgten für eine Trennung von Innen und Außen. Sonnenenergie, die durch die Tröpfchen floß führte zu den Gebilden, die lebendige Zellen wurden.

Sie bilden nach der Sprechweise der systemischen Biologie „halboffene Systeme“, die selbst- und umweltsensitive Reaktionsräume prozessieren. Das Geheimnis des Lebens ist mit dem Raum-, dem Sphärengeheimnis eng verbunden. Die Geschichte des Organischen beginnt als Verdichtung und Verkapselung: Unter kugelförmigen Membranen sammelt sich das Mehr, das Leben heißen wird. Der Raum ist unterwegs zum Selbst, das gegen Äußeres Position einnehmen kann. Eigensinn an unerwarteter Stelle.

Sollte schon beim primitivsten Leben der geheimnisvolle Weg nach innen führen?

Humanschäume

Diese Seite des Schaumes beginnt für Sloterdijk mit dem Eintritt in anthropologische und kulturtheoretische Kontexte. Damit ist im Wesentlichen der Zeitabschnitt gemeint, in dem sich das alteuropäische Weltbild der einen Kugel, des einen Gottes, einem von ihm gewollten weltlichen Herrscher mit dem einen für alle und jeden „zugewiesenen“ unverrückbaren Platz abnutzt und aus vielerlei Entwicklungen in ein neues Zeitalter übergeht das man nun „die Moderne“ nennen wird und an dessen Ufern wir heute nach über 500 Jahren stehen. Bald schon spricht man nicht mehr vom Kosmos, vom König-Reich und einer gottgewollten Ordnung, sondern vom Staat, den Bürgern, den „Gesellschaften“.

Die Versammlung der zahllosen (eigen-) (endo)kosmischen „Seifenblasen“ (s. die Einstiegsgeschichte in Band I) ist also nicht mehr als der Monokosmos der Metaphysik zu denken, in dem die Fülle des Seienden unter einem allgemeinsamen Logos zusammengerufen wurden.

An die Stelle der philosophischen Über-Seifenblase, der All-Monade der Einen-Welt, dem zentrischen Delirium, tritt eine polykosmische Agglomeration, eine Versammlung von Versammlern als semi-opaker Schaum aus weltbildenden Raumkonstruktionen.

Also Systeme oder Aggregate von sphärischen Nachbarschaften, in denen jede einzelne „Zelle“ einen selbstergänzenden Kontext bildet, einen intimen, von dyadischen und pluripolaren Resonanzen gespannten Sinn-Raum oder einen „Haushalt“, der in seiner jeweiligen eigenen, nur von ihm und in ihm selbst erlebbaren Animationen schwingt.

Wo sich Orte dieses Typs formen, ist das Aufeinander-hin-Existieren der nahe Vereinigten jeweils als das eigentliche Agens (gestaltende) der Raumbildung wirksam; die Klimatisierung des koexistentiellen Innenraums erfolgt durch die reziproke (wechselseitige) Extraversion (aufeinander hin) der Symbioten (Beteiligten), die wie ein Herd vor dem Herd (es wird zweimal gekocht: in der gemeinsamen Stimmung und auf dem Feuer) das gemeinsame Interieur temperieren.

Im Schaum gilt das Prinzip der Ko-Isolation, nach dem ein und dieselbe Trennwand jeweils zwei oder mehr Sphären als Grenze dient und im menschlichen Feld ebenso eine reziproke Isolation, Trennungen und Immunisierungen bewirkt. Gerade hier gehört es zu den Besonderheiten, dass die Vielfach-Ko-Isolation der Blasenhaushalte in ihren multiplen Nachbarschaften ebenso gut als Abschließung wie als Weltoffenheit beschrieben werden kann: benachbart und unerreichbar, verbunden und entrückt.

 

„Gesellschaften“ sind nur als unruhige und asymmetrische Assoziationen aus Räume-Vielheiten und Prozess-Vielheiten verstehbar, deren Zellen weder wirklich vereint noch wirklich getrennt sein können.

Wie im intra-systemischen einzel-Gehirn die Assoziationen sekündlich-minütlich, stündlich, täglich ihre Purzelbäume schlagen, so im Größeren und Großen -Familien, Gruppen, Gesellschaften die in ihrem schaumigen Verbund zum Aufgehen und Platzen der lokalen und globalen Assoziationsblasen führt.

Nur solange „Gesellschaften“ sich als genetisch oder theologisch substanzielle Nationalvölker hypnotisieren, betrachten sie sich als Monosphäre: leben sie in verzauberten Räumen mit imaginärer Immunität und mit magischer Erwählungs-gemeinsamkeit. Der Anfang von Wissen liegt dann in der Entscheidung, diesen Zauberkreis zu verlassen. Denn wer über „Gesellschaft“ reden will, muss diesen Zauberkreis, diese Wir-Benommenheit, verlassen um zu „sehen“ das Völker flüssiger, hybrider, undichter, promiskuitiver verfasst sind, als ihr homogener Name suggeriert.

Sloterdijk versteht unter Gesellschaften: Aggregate aus Mikrosphären (Paare, Haushalte, Betriebe, Verbände) die wie einzelne Blasen in einem Schaumberg aneinander grenzen und sich über- und untereinander schichten, ohne füreinander wirklich erreichbar noch voneinander effektiv trennbar zu sein. Sie haben keine Türen, vielleicht nur Blindfenster die auf einer Außenszene gemalt sind. Die Blasen im Schaum sind selbstbezüglich verfasste Mikrokontinente. Scheinbare Gemeinsamkeiten sind gemeinsame Nachahmungswellen und analoge Medienausstattungen. Zwischen ihnen herrscht -hinter „Masken“- Isolation, denn

-„wahre“- Kommunikation würde Kollision bedeuten.

Ihre Abstimmung geschieht nicht im direkten Austausch zwischen den Zellen, sondern durch die mimetische Infiltration von ähnlichen Mustern, Erregungen, infektiösen Waren und Symbolen in jede einzelne Zelle.

Die Zelle besteht aber nicht aus einem abstrakten Individuum, sondern in einer dyadischen –in jedem stecken zwei (s. Band I) – oder multipolaren Struktur. Ihre Monaden (Einzeller) sind Dyaden (mindestens zwei) oder komplexere Seelen-räumliche, gemeindliche und mannschaftliche Gebilde. Die Schaumzellen- “gesellschaft“ ist ein trübes Medium, das eine gewisse Leitfähigkeit für Informationen und Durchlässigkeit für Stoffe besitzt. Ausgießungen unmittelbarer Wahrheiten werden von ihm nicht weitergeleitet.

Umfassende Übersichten stehen nicht zur Verfügung. Nachrichten sind selektiv übertragbar, Ausgänge ins Ganze gibt es nicht. Super-Visionen auf die Eine Welt unmöglich – und recht verstanden auch nicht wünschbar. Jede Lage im Schaum schafft eine Verschränkung von Umsicht und Blindheit. Jedes In-der-Welt-sein eröffnet eine Lichtung im Undurchdringlichen.

Die Wendung zur pluralistischen Ontologie wird vorbedacht von der modernen Biologie und Metabiologie.

„Jedes Lebewesen besitzt eine Spezialbühne, die genauso real ist wie die Spezialbühne des Menschen“…(Jakob von Uexküll)…eine polykosmische Agglomeration, eine Versammlung von Versammlern als semi-opaker Schaum aus weltbildenden Raumkonstruktionen.

„Ein jedes Tierchen hat sein Pläsierchen“ hieß eine 1888 erschienene Gedichtsammlung von Edwin Bormann.