Bosnische Blätter

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Bosnische Blätter
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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2020 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99064-942-8

ISBN e-book: 978-3-99064-943-5

Lektorat: Bianca Brenner

Umschlagfotos: Sonerbakir, Jlcst,

Leigh Prather | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

Innenabbildungen: Oskar Szabo (2)

www.novumverlag.com

Lohn der Insistenz
Bosnische Blätter I

Bosnische Blätter II
Die bosnischen Blätter waren zunächst nur kleine Notizen über Beobachtungen sowie Betrachtungen und Zusammenhänge, die sich anlässlich zahlreicher Bosnienreisen anstellen ließen, später kamen zunehmend auch Bemerkungen und Interpretationen dazu, welche sich aus Diskussionen mit Leuten vor Ort ergeben hatten, und schließlich sogar Äußerungen zu Themen, die allenfalls über Bosnien hinausgingen, etwa was die Arbeit von Hilfsorganisationen, insbesondere NGOs, im Allgemeinen betraf u. a. m. Es wurde mehr daraus, als anfänglich beabsichtigt war, sodass eine Sammlung von Essays entstand, welche sich auch mit Begleiterscheinungen des anscheinend unlösbaren Konflikts beschäftigten. Dabei stellte sich mehr und mehr heraus, dass die eigentliche Triebfeder der fatalen Ereignisse, welche das Land in die Katastrophe führten, weit mehr in spezifischen menschlichen Eigenschaften und Charakteristika zu suchen ist, als in bestimmten Vorfällen und Begebenheiten des Balkans an sich, einer bewegten Geschichte indes, deren Wurzeln bis weit in die Antike zurückreichen. Die heutigen Bewohner, egal welcher Ethnie, sind Europäer, Menschen wie wir alle, und verfügen über ebenso viele Qualitäten und Unarten wie Menschen anderer Regionen auch. Ja, es war davon auszugehen, dass wir satten und selbstgefälligen Mitteleuropäer, so wir mit einer ähnlichen Geschichte wie der Balkan konfrontiert gewesen wären, auch ähnlich reagiert hätten; und müssten wir bei uns denselben Scherbenhaufen entsorgen wie die Menschen dort, so hätten auch wir mit Schattenwirtschaft und Korruption zu kämpfen, dessen waren wir uns stets bewusst. Der Mensch ist ein beispielloser Überlebenskünstler, dessen Natur durch die Evolution so gestaltet wurde, dass er sich in jeder Situation schließlich zurechtfindet, wieder aufrappelt und sich nach der Decke streckt, das ist wohl sein Geheimrezept, das ihn zum Beherrscher der Welt machte. Was die Bosnier taten, war lediglich diesem Umstand zu verdanken, und die Machenschaften, die sich daraus ableiteten, nicht mehr und nicht weniger als Ausdruck des Selbsterhaltungstriebs, einem unverzichtbaren Instinkt also, der uns allen innewohnt. Diese grundlegende Erkenntnis war Anlass genug, einzelne Episoden und Begebnisse niederzuschreiben, um sie gleichsam zu archivieren sowie dem eigenen Erinnerungsvermögen wie demjenigen allfälliger Leser jederzeit zur Verfügung zu stellen, ja um sie jederzeit abrufbar zu machen und bei hitzigen Debatten – es gab in diesem Zusammenhang sehr viele zu bestehen – zur Hand zu haben.
Die Aufzeichnungen gaben im Laufe der Zeit auch zusehends Anlass zu kritischen Bemerkungen im Zusammenhang mit vielen Dingen, welche die Menschen und deren Gemeinschaften oder auch gewisse Organisationen und Regierungen tun, wenn sie ihre Hilflosigkeit angesichts von schwerwiegenden Katastrophen und Grausamkeiten, wie sie Bürgerkriege mit sich bringen, verbergen wollen, zumindest aber nicht aufzuarbeiten bereit sind. Sie dazu zu bewegen, zu ihren Taten zu stehen, ist kaum vorstellbar, nicht einmal angesichts einer Verurteilung durch ein autorisiertes Gericht, eine Erfahrung indes, welche bereits im Nachkriegs-Deutschland gemacht wurde und bis zum heutigen Tag ihre Unabdingbarkeit unter Beweis stellt. Bosnien ist ein Musterbeispiel für die Ohnmacht der Großmächte, die es einmal mehr nicht schafften, die Streithähne rechtzeitig zu trennen und zur Räson zu bringen … nein, sie zogen es offensichtlich vor, von weitem zuzusehen, wie sich die Kriegstreiber zerfleischten und ihre sozialen Strukturen zerstörten, und zwar in der Gewissheit, dass sie anschließend den Scherbenhaufen entsorgen oder Teile davon wieder zusammenzuflicken müssen, eine Aufgabe, welche die einstigen Kriegsparteien gnädigst der Völkergemeinschaft überließen, da es ihre Kapazitäten bei weitem überstieg. Dass dabei einige wertvolle Aspekte kultureller und sozialer Natur verloren gegangen sind, ist nicht erstaunlich, sie wiederherzustellen sollte indes Jahrzehnte dauern, so denn überhaupt möglich, ist doch davon auszugehen, dass sich die Nachkriegsgesellschaft neu orientiert und dabei versucht, die verübten Gräueltaten unter den Teppich zu kehren.
Das soll nicht etwa heißen, dass die Hilfe, die nach dem Krieg in Bosnien geleistet wurde, sinnlos oder gar unnütz gewesen sei. Nein, die Hilfe hat vielerorts Wesentliches dazu beigetragen, die Nachkriegs-Lethargie zu überwinden und die Lebensbedingungen wieder einigermaßen akzeptabel zu gestalten, ja den Geschädigten Mut zu machen, sich am Wiederaufbau zu beteiligen, um dem Land eine hoffnungsvolle Zukunft zu bescheren. Vielmehr soll damit zum Ausdruck gebracht werden, dass eine ganz andere Art von Hilfe, nämlich die Prävention, die ja in der Lage sein müsste, solches und Ähnliches zu verhindern und damit Material und vor allem Menschenleben zu schonen, offenbar undenkbar ist oder ganz einfach nicht ankommt und nicht greift, noch nicht zumindest. Nein, die Technik der Deeskalation ist noch nicht erfunden, sie lediglich zu beschwören, reicht nicht aus, und der internationale Waffenhandel hat kein Interesse an friedlichen Lösungen, wenngleich dieser hintergründige Aspekt kaum je Erwähnung findet.
Es liegt anscheinend in der Natur des Menschen, dass er zuerst einsehen muss, wer der Stärkere ist, und erst wenn dies feststeht, ja insbesondere dann, wenn der Unterlegene auch willens ist, oder zumindest nolens volens zustimmt, sich wieder kooperativ zu verhalten und sich irgendwie in die gängige Ordnung einzufügen sowie exorbitante Forderungen fallen zu lassen, wieder Vernunft annimmt und dem unsinnigen Töten entsagt. Es handelt sich hierbei wohl um ein Überbleibsel aus der Urzeit, als im Dschungel, oder wo auch immer, das Faustrecht galt und dem Stärkeren die größeren Überlebenschancen in Aussicht stellte als dem Schwächeren. Dieses Faustrecht ist offenbar noch immer nicht außer Kraft gesetzt und durch die weit schonungsvollere und konstruktivere Macht der Vernunft ersetzt worden, ein Prozess immerhin, der dem »Homo« zum Beinamen »Sapiens« verholfen hat, obwohl er sich der Sapientia nur selten bedient. Ob er, auch Krönung der Schöpfung benannt, Letzterer allemal gerecht wird? Kaum ein Tier tötet seinen Rivalen, selbst wenn es um das schönste Weibchen aller Zeiten geht! Weshalb der Mensch Blut sehen will, sobald es um die Demonstration seiner Überlegenheit geht, ist rätselhaft, widernatürlich, grausam … was mag er sich davon versprechen? Macht und Geld, die wohl wichtigsten Begehren! Und was er davon hat: Gräber und Scherbenhaufen soweit das Auge reicht, allesamt Zeugen menschlicher Überheblichkeit und verblendeter Zerstörungswut.
Es ist Ziel der Bosnischen Blätter, über solche und ähnliche Dinge nachzudenken, nicht zuletzt, um zu verstehen, was denn wirklich geschehen ist, und schließlich auch herauszufinden, was zu tun ist, ja wo allenfalls Abhilfe geschaffen werden kann, um die unübersehbaren Risse in der Gesellschaft wieder zu kitten. Daneben ist es auch sicher richtig, sich einzugestehen, dass viele eindrückliche und emotional belastende Dinge, die man auf der Reise durchs Land mitbekommen hat, auf diese Art und Weise verarbeitet worden sind, war doch der Anblick einstiger Kriegsschauplätze für einen zimperlichen Stubenhocker alles andere als bekömmlich.
Schließlich sei eingestanden, dass dabei oft der Versuch unternommen wird, Unfassbares in Worte zu fassen und Eindrücke, Gefühle sowie Befindlichkeiten in fotografischer Manier auf Papier zu bannen, etwa um die wichtigsten Erinnerungsbilder in Form von Standpunkten und Gesichtspunkten festzuhalten. Inwieweit diesem Anliegen Genüge getan wurde, sei dahingestellt. Dabei soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Reisen rund zwei Jahre nach dem Waffenstillstand erst begonnen haben und eigentlich allenthalben von Frieden gesprochen wurde, wiewohl von Frieden keine Rede sein konnte, denn die mittlerweile festgezurrten Grenzen sind für die einstigen Kriegsparteien im übertragenen Sinn weiterhin unüberwindlich, wenngleich optisch kaum ins Auge fallend. Die Restauration soll bereits begonnen haben und es ist umso erstaunlicher, dass man davon, abgesehen von einigen dürftig reparierten Häusern, nicht gerade viel sieht. Es habe noch viel schlimmer ausgesehen, versichert man uns … tröstliche Worte immerhin. Doch umso mehr waren wir beeindruckt vom Zustand des weitgehend zerstörten Landes so lange nach Eintreten der Waffenruhe; Trümmerlandschaften soweit das Auge reicht, Müllhalden in gigantischen Ausmaßen, zerstörte Kirchen und Moscheen, geschändete Friedhöfe und anderes mehr, insgesamt Spuren blindwütiger Verwüstung, hasserfüllten Tuns. Dass sie irgendwann wiederauferstehen würden wie Phönix aus der Asche, war schwer vorstellbar. Das betraf zunächst nur die materiellen Schäden, die zu beseitigen zwar kostspielig, aber dank großer Anstrengungen möglich sein dürfte. Doch nach zahlreichen Kontakten mit den dort ansässigen Menschen wurde klar, dass der soziale Schaden noch viel tiefreichender war, als erahnt, und dessen Behebung weit größere Anstrengungen erfordern sollte, als man ursprünglich annahm, ja vermutlich in der aktuellen Bevölkerung, die den Krieg miterlebte, kaum Aussicht auf Erfolg haben dürfte, so schwerwiegend waren die Verletzungen, so schmerzlich waren insbesondere auch die Demütigungen, die sie zu erleiden hatten … und Täter gab’s – wen wundert’s – auf beiden Seiten der Front, wie später bekannt wurde. Versöhnung, sofern erzielbar, könnte bestenfalls nach einigen Generationen stattfinden, dann, wenn die Kriegsereignisse wirklich vergessen sind; eindrücklich wurde dies von Ivo Andri´c geschildert1.

1 Ivo Andri´c: Die Brücke über die Drina: Zürich, 1953

 
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