Die Anatomie der Potency

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3. Die Reziproke Spannung der Dura mater

Die Dura mater, welche die Schädelschale umhüllt, die äußere Oberfläche des Cranium als Periost bedeckt, die intrakranialen Membranen bildet und das Rückenmark umgibt, bis sie auf Höhe S2 mit dem Periost des Sakralkanals verschmilzt, bildet eine kontinuierliche Membran, die Sutherland als Reziproke Spannungsmembran (RSM) bezeichnete. Die Dura mater wird als dicke, dichte unelastische Membran aus weißen fibrösen Kollagenfasern beschrieben, die dicht in einem Gitter tangential orientierter Platten angeordnet sind und welche durch elastische Fasern und Hohlräume getrennt werden25. Magoun betrachtet sie als ziemlich unelastisch26. Sie ist in der Tat relativ unelastisch, ermöglicht gleichwohl einen Grad an „Zugabe“, etwa wie dies bei einem Gartenzaun aus vertikalen und horizontalen Holzlatten der Fall ist, die sich verformen und sich parallelogrammförmig zu „dehnen“ scheinen.

Die Dura mater befindet sich in ständiger interner Balance wie die Fäden eines hängenden Mobiles, sodass eine Bewegung oder Störung in einem Teil überall Resonanz findet und ein Trauma eines Teils vom Ganzen kompensiert und angepasst wird. Wie ein Mobile steht sie unter reziprok balancierter Spannung. Daher bezeichnete Sutherland sie als „Reziproke Spannungsmembran“. Sie organisiert den PRM als eine Einheit und schützt ihn durch ihre Fähigkeit, Strains im Ganzen auszubreiten und zu zerstreuen. Sie übermittelt nicht die Bewegung vom Kopf bis zum Rumpfende. Es gibt in ihr keinen stärkeren Stoß oder Ruck als dies bei einem in Luftströmungen schaukelnden Mobile der Fall ist. Allerdings spiegelt sie im Ganzen Störungsmuster wie die Fäden eines Lenkdrachens wider, sodass beispielsweise ein Störungsmuster, das im Sakrum entstanden ist, im Os occipitale reflektiert wird – und umgekehrt.

Wie zuvor beschrieben ist die Dura mater des PRM aus der mesenchymen Umgebung des ursprünglichen Zentralen Nervensystems (ZNS) gebildet worden. Sie ist daher funktionell sehr eng mit dem Zentralen Nervensystem verbunden. Innerhalb der ersten vier Wochen des embryonalen Daseins wird das Zentrale Nervensystem durch eine hohle Röhre aus ektodermalen Zellen repräsentiert, die das zukünftige Gehirn und das Rückenmark bilden. Innerhalb von fünf Wochen hat sich das cephale Ende der Röhre geneigt und an beiden Seiten der Spitze erscheinen zwei Knospen. Es handelt sich um die telencephalischen Vesikel des Prosencephalon, dem ursprünglichen Vorderhirn, welche die erste Entwicklung des zerebralen Kortex repräsentieren. Die Zellen der telencephalischen Vesikel prolifieren und nehmen schließlich im Schädel eine Gestalt an, als ob sie auf jeder Seite des Hirnstamms einen Purzelbaum rückwärts um 360° geschlagen hätten – wie beim Horn eines Widders27. Entsprechend werden beim Erwachsenen die cephalischen Enden des ursprünglichen ZNS durch die anterioren Spitzen beider Temporallappen repräsentiert.

Denken Sie daran, dass diese ektodermalen Zellen eng von Mesenchym bedeckt werden, der ursprünglichen Dura mater. Wenn das Telencephalon einen Purzelbaum rückwärts schlägt, dehnt es sich aus und bläht das es bedeckende Mesenchym auf jeder Seite auf wie ein Paar Fallschirme. Das Mesenchym wird medial durch den sich ausdehnenden ursprünglichen Kortex auf jeder Seite zurückgelassen und komprimiert. Auf die gleiche Weise wird das Mesenchym zwischen dem sich entwickelnden Kortex und dem Zerebellum zurückgelassen und komprimiert, um das Tentorium cerebelli zu bilden. Folglich bestimmt das sich entwickelnde ZNS die Gestalt der intrakranialen Membranen und der inneren Topografie der kranialen Dura mater. Dadurch zeigt sich dasjenige, was Willard als „Fußabdruck“ des Gehirns auf der inneren Oberfläche des Schädelknochens bezeichnet hat28.

Wenn es sich bei Knochen um verfestigte Membranen handelt, dann sind wir wesentlich membranös und wenn die Membranen der Dura mater durch das Zentrale Nervensystem bestimmt wird, dann ist es erforderlich nun das ZNS zu betrachten.

4. Die Motilität des Zentralen Nervensystems

Die Aspekte der Entwicklung des Zentralen Nervensystems wurden schon skizziert. Das ZNS erhält seine röhrenförmige Struktur im gesamten Leben aufrecht. Beim erwachsenen Menschen wird das Lumen der ursprünglichen Neuralröhre im Rückenmark durch den Zentralkanal repräsentiert, obgleich dieser im Laufe der Lebenszeit obliterieren kann. Im Gehirn wird es durch den vierten Ventrikel, das zerebrale Aquädukt und den dritten Ventrikel repräsentiert. Die Lumina der telencephalischen Vesikel werden seitlich des dritten Ventrikel durch das Foramen monroi in den lateralen Ventrikeln und den Cornu inferiores der Temporallappen aufrechterhalten. Während der Primären Respiration verkürzt, verdickt, verlängert und verdünnt sich diese Röhre mit ihrem gabelförmigen Ende.

Um dies zu visualisieren erinnern Sie sich, dass sich die paarigen telencephalischen Vesikel ausdehnen und einen Purzelbaum rückwärts um 360° ausführen, damit die Gestalt eines Widderhorns entsteht. Es handelt sich um eine bemerkenswerte Vorgehensweise des Körpers, eine lange Geweberöhre ordentlich in eine kompakte sphärische Form zu packen. Um die Bewegung des ZNS zu verstehen, stellen Sie sich vor, das Gehirn sei ausgestreckt. Imaginieren Sie, dass die telencephalischen Vesikel ihre Spiralform verloren und die Form von zwei geraden Röhren angenommen hätten. Sie wachsen oben aus dem Kopf heraus und die Spitzen der Temporallappen sind aufrecht in die Luft gestreckt. (Wenn Sie im nächsten Science Fiction-Film eine bizarre Figur aus dem Weltraum sehen, vergessen Sie nicht, wie bizarr wir selbst aussehen könnten. Denken Sie nur, was das für die Hutmacher bedeuten könnte …) Das ZNS verkürzt und verdickt sich in der Inhalations-(Flexions-)Phase. Dann verlängert und verdünnt es sich in der Exhalations-(Extensions-)Phase. Das ist alles. Es ist genauso schlicht. Es verkürzt und verdickt bzw. verlängert und verdünnt sich. Bei jeder Inhalationsbewegung des ZNS sind die Spitzen der Temporallappen an den kranialen Enden und der Conus medullaris am kaudalen Ende ein wenig enger zusammen und das Ganze der ZNS-Röhre wird etwas dicker. In der Exhalations-Phase geschieht das Umgekehrte. Während der Inspiration verkürzt und verdickt sich das ZNS, während der Exspiration verlängert und verdünnt es sich. Die Lamina terminalis stellt den Balancepunkt bzw. den Stillpunkt dieser konvergierenden und divergierenden Bewegungen dar, die anteriore Wand des dritten Ventrikels an der Gabelung der telencephalischen Vesikel.

Rollen Sie nun das Gehirn mental in seine angemessene Gestalt als Widderhorn im Schädel auf und setzen Sie sich ruhig eine Zeitlang hin, um zu visualisieren, wie die Verkürzung und Verdickung, die Verlängerung und Verdünnung ausgeführt werden. Stellen Sie sich vor, wie die Spitzen der Temporallappen in der Inhalationsphase leicht zurückweichen, während sich das Ganze des Temporallappens verdickt und sich seitwärts ausdehnt, indem die Ossa temporalia auf beiden Seiten herausgedrängt werden, um seine Aufwölbung auszugleichen. Dann ist es ganz leicht zu verstehen, wie die kranialen Knochen und Membranen die Bewegung des ZNS innen genau ausgleichen. Die Knochen bewegen sich mithin nicht von selbst.

Man hat die Meinung geäußert, das ZNS sei während des Lebens kontraktil und dazu in der Lage, die Bewegung des PRM durch das Pumpen der Zerebrospinalen Flüssigkeit (ZSF) in die und aus den kranialen Ventrikeln hervorzurufen. Um diese Ansicht zu stützen, wurde behauptet, dass Oligodendrozyten kontraktil seien29.

Man weist ebenso darauf hin, dass im Gehirngewebe Actin und Myosin nachgewiesen worden sind. Gleichwohl wurde von anderen eingewandt, dass es zu wenige Oligodendrozyten mit der entsprechenden Kraft gibt, um das Gehirn so zu bewegen. Und die Frequenz der Kontraktion dieser Zellen zeigt sich in vitro als zu langsam. Es wurde ebenfalls behauptet, es sei unwahrscheinlich, dass Nervengewebe eine hinreichende Ausdehnungsfähigkeit besitze, um als hydraulische Pumpe diese Bewegung hervorzurufen30. Wenn ich den PRM ertaste, fühlt es sich für mich nicht so an, als ob die Kraft bzw. die Energie hinter dem Mechanismus vom ZNS käme. Aus meiner Sicht ist das ZNS passiv.

Das spezifische Gewicht des Gehirns beträgt 1,04, während das spezifische Gewicht der Zerebrospinalen Flüssigkeit 1,007 ausmacht. Daher wiegt das Gehirn in der ZSF nur 50 g, während es in der Luft 1,5 kg wiegt. Das Gehirn ist in der ZSF aufgehängt wie Pudding in der Milch. Mechanisch legt es sich nahe, das Gehirn als Teil der ZSF zu verstehen – im Sinne einer einzelnen Einheit. Jede Bewegung, die bezogen auf die ZSF geschieht, bezieht sich fast ebenso auch auf das ZNS – als ob es sich um ein und dasselbe handele. Wenn wir mithin den Ursprung der Bewegung des ZNS betrachten wollen, sollten wir die Bewegung der ZSF untersuchen.

5. Die Fluktuation der Zerebrospinalen Flüssigkeit

Die ZSF ist eine klare, leicht alkalische Flüssigkeit, die das Gehirn im subarachnoidalen Raum umgibt. Sie unterstützt und schützt das ZNS und dämpft physische Schocks ab. Über 70 % der Flüssigkeit werden von den Plexi choroidei im dritten, im viertem und den lateralen Ventrikeln produziert. Beim Erwachsenen sind dies 500 ml pro Tag. Dies ist erheblich mehr als das gesamte Volumen der ZSF von 140 ml umfasst. Die Geschwindigkeit der Produktion ist so hoch, dass die Flüssigkeit ungefähr alle sechs Stunden am Tag erneuert wird. Anders gesagt: Die Flüssigkeit wird ungefähr vier Mal am Tag ausgetauscht. Die ZSF ist kein Plasmafiltrat. Es handelt sich um eine aktive Sekretion. Der Körper verbraucht Energie, um sie zu produzieren. Ihr Gehalt an Elektrolyten entspricht nicht dem des Plasmas oder einer anderen Extrazellularflüssigkeit. Der Gehalt an Natriumionen ist relativ hoch. Dagegen finden sich weniger Kaliumionen. Sie enthält hohe Konzentrationen von Nährstoffen wie Ascorbinsäure und Folat, doch nur eine geringe Konzentration an Glukose. Mit Plasma verglichen ist der Gehalt an Proteinen und anderen großen Molekülen etwa 250 Mal geringer. Es stellt sich die interessante Frage, warum der Körper eine derartige Menge an ZSF produziert und warum er so stark bemüht ist, dass Proteine und andere große Moleküle nur schwach in ihr vertreten sind.

 

Die ZSF stellt eine lymphatische Funktion für das Gehirn zur Verfügung, um Makromoleküle, Ionen, Abfall und toxische Substanzen zu reduzieren und zu entsorgen. Das Gehirn fließt in der ZSF, wird von der ZSF umgeben und ist intrinsisch von ihr durchdrungen. Sutherland zitiert John Hilton, Rest and Pain, der den subarachnoidalen Raum als „Wasserbett, auf dem das Gehirn ruht“, bezeichnete31, weil er dies als hilfreiches Bild verstand. Ich finde ein anderes Bild hilfreicher. Danach wird das Gehirn nicht bloß von der ZSF gestützt, sondern umschlossen und durchdrungen wie eine Qualle im Ozean schwebt.

Die ZSF schwemmt aus dem subarachnoidalen Raum heraus durch das Filum terminale und die perineuralen Scheiden der Spinalnerven. McGabe und Lowe zufolge verhält sich jeder periphere Nerv am subarachnoidalen Winkel, also an der lateralen Grenze des subarachnoidalen Raums, wo die Nervenwurzeln eintreten und hinausgehen, kontinuierlich zur Dura mater. Das Endoneurium setzt sich zentral in den Nervenfasern fort. Das Perineurium verlässt die Oberfläche des peripheren Nervs und erstreckt sich zwischen der Dura mater und der Arachnoidea. Das Perineurium ist entsprechend bezogen auf den subarachnoidalen Raum offen.32 Es scheint daher, als könne die ZSF im subarachnoidalen Raum in die perineuralen Hülsen eindringen, welche die Nervenfasergruppen oder sogar einzelne Nervenfasern der Spinalnerven umgeben. Es legt sich daher nahe, dass eine weitere Funktion der ZSF darin bestehen könnte, das periphere Nervensystem und das Zentrale Nervensystem zu „bewässern“, indem sie die Faszikel der Länge nach durchschwemmt, um schließlich in die extrazelluläre Flüssigkeit am Nervenende abzulaufen und endlich vom Lymphsystem ausgewaschen zu werden.

Man darf spekulieren, ob eine der Eigenschaften der ZSF für die Aufrechterhaltung der mechanischen Eigenschaften des Nervensystems unerlässlich ist – wie dies bei Wasser für die Struktur einer Pflanze der Fall ist. Dann legte sich auch eine andere Funktion der Granulationes arachnoidales nahe. Die Granulationes arachnoidales bzw. die Arachnoidalzotten stellen die Divertikel der Arachnoidea dar, die sich in den Sinus sagittalis superior und auch in die Venen wölben. Diese sind mit den Wurzeln der Spinalnerven verbunden. Welch und Pollay stellten bei einem Mönch fest, dass eine Anzahl von Spinalnerven Arachnoidzotten besaßen33. Die Granulationes arachnoidales öffnen sich bei einem ZSF-Druck von nur 5 mm Wasser wie Ventile und erlauben in einer Richtung den Abfluss von ZSF-Substanz aus dem subarachnoidalen Raum, ohne dass die Größe der ZSF-Moleküle dabei von Belang wäre.

Dadurch wird nicht nur die Drainage von Abfall und großen Molekülen seitens der ZSF möglich. Darüber hinaus können sie auch einen empfindlichen Druckausgleichmechanismus bilden, der zu jeder Zeit und unter allen Umständen eine konstante und variationsfreie Versorgung mit ZSF für die Erfordernisse des Körpers sicherstellt. Genau wie die Nieren bei einem Prozess der Filtration von Substanz und selektiver Reabsorption funktionieren, kann der Körper wohl eine konstante und beständige Verfügbarkeit von ZSF für das gesamte Nervensystem in allen Situationen und unter allen Bedingungen durch einen konstanten Prozess der Überproduktion von Substanz und eine kontinuierliche ventilgesteuerte Reabsorption von Substanz sicherstellen.

Das erinnert an die Worte von A. T. Still, der schrieb: „Die Zerebrospinale Flüssigkeit ist eines der höchsten bekannten Elemente, welches der menschliche Körper enthält. Solange das Gehirn diese Flüssigkeit nicht in großer Menge liefert, bleibt die invalide Kondition des Körpers erhalten … Dieser große Fluss des Lebens ist anzuzapfen und die verdorrten Felder müssen auf der Stelle gewässert werden, sonst ist die Ernte der Gesundheit für immer verloren“34.

Wenn das ZNS sich zusammen mit der ZSF bewegt, wodurch wird dann die ZSF bewegt? Dazu gibt es eine beachtliche Kontroverse. Wir werden zunächst einige Ideen anderer Autoren betrachten, die sich mit dem Thema beschäftigt haben.

Sutherland beschrieb ursprünglich einen unwillkürlichen Rhythmus der Schädelknochen, der von rhythmischen Veränderungen der Form des Gehirns hervorgerufen werde. Später erkannte er die Fluktuation der ZSF als primär. Doch es dauerte lange, bevor er öffentlich darüber sprach35. Woods and Woods stellten 1961 bei einer Gruppe von 61 normalen Erwachsenen fest, dass die gewöhnliche Frequenz zwischen 10 - 14 Impulsen pro Minute lag, bei einem Durchschnitt von 12,47 pro Minute. Sie prägten dafür den Begriff „Rhythmischer kranialer Impuls“36. 1992 fanden dann Norton, Sibley und Broder-Oldach bei 24 offensichtlich gesunden Studenten und Fakultätsmitgliedern der New England School of Osteopathic Medicine heraus, dass die Frequenz des Impulses nur 3,7 Amplituden pro Minute aufwies (± 0,6). Aus meiner Perspektive hat die Frequenz der Bewegung nur geringe klinische Bedeutung. Sie repräsentiert die Interpretation des Behandlers vom Ausdruck der Energie, die sich im Patienten manifestiert – und diese kann mit Zeit und Umgebung variieren. Klinisch relevanter ist die Qualität der Bewegung, die wir entdecken: die Bequemlichkeit, mit welcher der Körper die Primäre Respiration ausführen kann. Rollin Becker versuchte dies mit der Begrifflichkeit von „Elektrischer Spannung“ zu erfassen, um damit die Kraft und Zuverlässigkeit deutlich zu machen37.

Upledger und Vedgewood entwarfen 1983 ein Druckregler-Modell, um die antreibende Kraft der kranialen Bewegung zu verstehen38. Das Modell ist auf die Überproduktion von ZSF an den Plexi choroidei fokussiert. Sie behaupteten, diese Produktion erhöhe den intrakranialen ZSF-Druck. Dieser werde durch einen negativen homöostatischen Feedback-Mechanismus reguliert, der die Produktion von ZSF abschaltet. Dem Modell zufolge muss der Körper in seiner normalen Funktion empfindlich genug sein, um auf eine Zunahme des ZSF-Drucks in der Größenordnung von 0,5 % zu reagieren. Die Wirkung auf eine unterstellte Druckänderung der Granulationes arachnoidales, die sich bei einem Druck von nur 5 mm öffnen, ist nicht bekannt.

Andere beschreiben die kraniale Bewegung in vasomotorischer Begrifflichkeit. Bering behauptete 1962, dass die Kraft, die den PRM antreibt, direkt von einer pulsierenden Expansion und Kontraktion der Plexi choroidei abgeleitet ist39. Cardoso, Rowan und Galbraith unterstellten, dass die pulsierende Welle der Zerebrospinalen Flüssigkeit teils von den pulsierenden Bewegungen der Plexi choroidei, teils von solchen leitender intrakranialer Blutgefäße herrühre40. Feinberg und Mark stellten ein Modell für die pumpende Aktion des Gehirns vor, demzufolge die arterielle Pulswelle durch Veränderungen des intrakranialen Blutvolumens und der Expansion der Arterien zu einer radial gerichteten, inneren Kraft im zerebralen Kortex transformiert wird41. Während einer Operation sah ich das Pulsieren der ZSF zwischen dem dritten und den lateralen Ventrikel durch das Foramen monroi. Gleichwohl war in allen diesen Fällen die Frequenz synchron mit der Herzschlagfrequenz. Es handelte sich nicht um die Fluktuation, die Sutherland beschrieb.

Andere Autoren beschreiben die kraniale Bewegung mit der Begrifflichkeit muskulärer Aktionen. Upledger42 berichtet, dass Frederick Becker, ein Anatom an der Universität des Staates Michigan, unterstellte, sie stamme von der tonischen Reaktion extraduraler Muskulatur auf die Schwerkraft. Ferguson schlug vor, sie müsse durch das Nervensystem und beteiligte Muskeln koordiniert werden, weil er durchschlagend darauf hinweist, dass „Muskeln die einzigen Strukturen darstellen, die Bewegung verursachen“43. Meine Erfahrung zeigt, dass muskuläre Aktivität die Ausführung der kranialen Bewegungsmusters beeinflussen kann – wie das Zusammenbeißen der Zähne die relative Position der Gesichts- und der Schädelknochen beeinflussen kann. Gleichwohl vermag dies nicht die zugrunde liegende Ausführung der Bewegung zu erklären. Beispielsweise führt die Einschränkung von einem oder mehreren Fäden eines aufgehängten Mobiles, das in einer Luftströmung schaukelt, zu einer veränderten Reflexion der Luftströmung durch das Mobile. Doch dies hat weder einen Bezug zur Luftströmung noch auf den Sachverhalt, dass Mobiles auf sie reagieren.

James Norton brach als erster mit dem Konzept, die Bewegung müsse innerhalb des Körpers des Patienten generiert werden. 1991 stellte er ein Gewebe-Druck-Modell vor, demzufolge die Bewegung in den Geweben von Patient und Behandler entsteht. Er behauptete, dass die Frequenz und Amplitude der Bewegung von einer komplexen Interaktion der Fluktuationen des Drucks der Gewebeflüssigkeit und der Eigenschaften der Mechanorezeptoren in den Händen des Behandlers abhängig sei. Das Konzept der Interaktion in diesem Modell stellt einen wertvollen Fortschritt dar. Allerdings kann man die kraniale Bewegung bei sich selbst spüren, ohne dass ein Behandler dabei wäre44.

Sutherland hatte geschlossen, dass „es innerhalb dieser cerebrospinalen Flüssigkeit ein unsichtbares Element gibt, das ich als den ‚ATEM DES LEBENS ’ bezeichne. Visualisieren Sie diesen ‚ATEM DES LEBENS’ als eine Flüssigkeit innerhalb der Flüssigkeit, etwas, das sich nicht vermischt, etwas, was diese Potency hat als die Kraft, die es sich bewegen lässt“45. Er betonte fortwährend, dass er seine Studenten dazu veranlassen wollte, die Potency inder Fluktuation der Zerebrospinalen Flüssigkeit wahrzunehmen (meine Kursivsetzung), eine Potency – wie er zu sagen pflegte – auf deren zuverlässige Arbeit für uns wir uns verlassen könnten.

Was meinte Sutherland damit? Eine Flüssigkeit in einer Flüssigkeit, etwas, das sich nicht vermischt, eine Potency in einer Potency, die alle Arbeit für uns erledigt? So lautet die Botschaft, die Rollin Becker, der langjährige Student, Freund und Vertraute Sutherlands nach seinem Tod fortwährend kommunizierte. Becker betonte den Flüssigkeitscharakter des PRM und dass er für die Physiologie und Gesundheit des Körpers primär sei. Oft mussten aus seiner Sicht lokale Dysfunktionen nicht behandelt werden, weil der Körper ein selbst-korrigierender, selbstanpassender, selbst-heilender Organismus sei. „Behandeln Sie den Mechanismus!“, würde er sagen, „und er leistet die Arbeit für Sie!“ „Behandeln Sie die Gesundheit, nicht die Krankheit!“ Becker betonte, jeder Patient besitze einen „inneren Behandler“, „einen stillen Partner“, der besser als alle anderen wisse, wie die Gesundheit des Patienten erlangt und aufrechterhalten werden könne.

Was ist damit gesagt? Nun, es gibt verschiedene Qualitäten in der Ausführung des Primären Respiratorischen Mechanismus. Zuerst gibt es eine expansive und kontraktile Qualität. Damit ist keine Zunahme des Volumens gemeint. Das Volumen bleibt konstant. Es fühlt sich ungefähr so an, also ob ein Ballon langsam innen pulsiere, etwa wenn ein Teil des Körpers sich auszudehnen und ein anderer gleichzeitig abzunehmen scheint. Beispielsweise ist dies der Fall, wenn der Kopf sich während der Flexions-Phase lateral ausdehnt und gleichzeitig anterior-posterior und superior-inferior abnimmt. Die Bewegung fühlt sich sehr schwach an, gleichzeitig aber sehr mächtig. Wenn wir sie in einem Bereich blockieren, verschwindet sie still und arbeitet an einer anderen Stelle weiter, bis wir verschwinden. Die Qualität besitzt eine innewohnende Kraft und kann überall vom Schädel bis zum Becken ertastet werden, wo die ZSF auftritt. Eine weitere synchrone Qualität zur Bewegung der ZSF kann in den Gliedern und im Gesicht festgestellt werden. In den Extremitäten geht es um eine membranöse Qualität, eine mit Flüssigkeit gefüllte Honigwabe, die auf Bewegung wie eine Marionette reagiert. Es handelt sich um eine flüssige, gelatinöse Bewegung, eine völlige Veränderung in der Form in der gesamten Struktur. Im Gesicht handelt es sich um eine eher mechanische Qualität, wie bei Zahnrädern und Hebeln, gleichwohl immer noch um einen flüssigen, membranösen Charakter. Diese beiden drücken eine andere Qualität aus als dies in den Regionen der Fall ist, welche die Ventrikel, Zisternen und den subarachnoidalen Raum enthalten.

 

Es gibt eine weitere Qualität. Sie existiert am deutlichsten in den Bereichen der ZSF. Sie ist tiefer, feiner und entspringt im wahren Kern des Individuums. Ich kann sie nur als Begehren bezeichnen, Bewegung auszuführen.

Die beiden anderen beschriebenen Qualitäten können durch Ereignisse gestört werden. Ein akuter Strain des Ellbogens blockiert beispielsweise die Ausführung von Bewegung in einem Teil des Arms. Die Gewebe arbeiten daran, die Schwellung zu entwässern und den Druck zu reduzieren. Die Verformung bei einer ernsten Beinverletzung, ob es sich nun um eine Fraktur handelt oder nicht, kann noch Jahre danach im Knochen selbst als Beugung oder Verdrehung empfunden werden, obgleich das Bein selbst vollkommen gerade aussieht. Schläge ins Gesicht können jahrzehntelang später als Invaginationen im Viscerocranium ertastet werden, während das Gesicht ganz normal erscheint.

Ähnlich kann sich die Qualität der ZSF als Reaktion auf Ereignisse im Leben verändern. Die Qualität der Bewegung der ZSF bei einem gesunden jungen Kind ist glatt, glücklich, gut geölt und kraftvoll. Diese ist sehr verschieden von der schwachen Qualität bei einem Erwachsenen mit einer entkräftenden Krankheit. Sie unterscheidet sich von der Qualität eines Mechanismus, der von Ereignissen des Lebens erschüttert ist. Derartige Ereignisse des Lebens umfassen eine breite Palette – von physischen Vorfällen wie einem Verkehrsunfall bis hin zu emotionalen Anspannungen wie sie bei einem Trauerfall auftreten. Sie unterscheidet sich von der trockenen und verdorrten Qualität bei chronischen Krankheiten oder der Qualität bei einem lokalen Trauma, die sich als vollkommen blockiert anfühlt.

Es ist schwierig zu beschreiben, was jemand fühlt. Es ist unmöglich, die Variationen der Qualität des Ausdrucks der Fluktuation der ZSF zu beschreiben – es gibt dafür keine Wörter oder Konzepte in der Sprache. Es ist schwer genug, die feinen Nuancen von Farben und Geschmack auszudrücken. Doch ich muss sagen, dass es mindestens ebenso viele Variationen in der Qualität der Fluktuation der ZSF gibt wie verschiedene Eigenschaften von Gesichtern existieren.

Bedeutungsvoll ist, dass ungeachtet des Krankheitsgrades oder der Verletzung, wie verschlossen, blockiert oder eingezwängt der Ausdruck der Bewegung der ZSF auch sein mag, das Begehren nach dem Ausdruck der Bewegung konstant bleibt, solange der Patient lebendig ist. Unterhalb des Konflikts, der Anspannung und der Krankheit ist das Bedürfnis die Bewegung auszudrücken noch immer da, es ist immer dasselbe. Es ist fein, es ist ruhig, es bewegt sich nicht selbst. Es ist still. Es befindet sich in der ZSF, es ist kein Teil von ihr und es vermischt sich nicht mit ihr. Das erinnert mich an Kahlil Gibrans poetische Zeile: „Das Leben sehnt sich nach sich selbst“46. Sutherland bezeichnete es als „Potency“, als „ATEM DES LEBENS“, als „Still Small Voice“. Becker nannte es „die Stille“47.

Das Begehren Bewegung auszudrücken, das Bedürfnis Bewegung auszudrücken, die Stille, die Potency – das sind alles Begriffe, die dasselbe Phänomen bezeichnen – ist eine Konstante im gesamten Leben, die sich dennoch nicht selbst bewegt. Es ist bezogen auf Individuen konstant. Es ist das Gleiche für jeden einzelnen und für alle von uns. Es ist für alle identisch im gesamten Leben. Es wird von uns nicht geformt oder gebildet. Und es wird nicht durch unsere Handlungen verändert. Aufgrund meiner Erfahrung bin ich davon überzeugt, dass die Quelle der Potency in uns nicht aus dem Körper stammt, sondern in Relation zu etwas anderem außerhalb steht.

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