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Sie erschrak über den unmittelbaren Unterschied, den das machte. Das Zimmer verwandelte sich von dunkel zu völlig von Licht überflutet. Es mussten hunderte Jahre Staub und Salz gewesen sein, die die Scheibe auf beiden Seiten überkrustet hatten. Tatsächlich war es eine Errungenschaft für sich, jedes Fenster überhaupt zu öffnen, und sie musste sie mit aller Kraft von Rost und Schutt freizerren.

Caitlin sah sie sich sorgfältig an und war beeindruckt von der Handwerkskunst in jedem einzelnen Fenster. Jede Fensterscheibe war mehrere Finger breit und wunderschön gestaltet. Manche der Scheiben waren gefärbt, manche waren klar, und manche hatten den zartesten Hauch von Farbe. Als sie eine nach der anderen abwischte, fühlte sie nahezu die Dankbarkeit des Hauses, das langsam, Zentimeter für Zentimeter, wieder zum Leben erwachte.

Schließlich war Caitlin fertig und begutachtete es erneut. Sie war schockiert. Was zuvor eine dunkle, wenig einladende Kammer gewesen war, war nun ein unglaubliches, sonnenüberflutetes Zimmer mit Meeresblick.

Caitlin wandte sich als Nächstes dem Fußboden zu, ging auf alle Viere und schrubbte einen Meter nach dem anderen. Sie sah zufrieden zu, wie fingerdick der Dreck herunterkam und die wunderschönen riesigen Steinplatten zum Vorschein kamen.

Danach machte sie sich an die enorme Umfassung des Marmorkamins und wusch den Staub der Jahre herunter. Dann kam der riesige, reich verzierte Spiegel darüber an die Reihe, den sie abwischte, bis er strahlte. Sie fand es schade, dass sie ihr Spiegelbild immer noch nicht sehen konnte—aber sie wusste, dass es nicht viel gab, was sie dagegen tun konnte.

Sie machte sich als Nächstes an den Kronleuchter, jeden seiner kristallbesetzten Kerzenhalter einzeln abwischend. Danach fasste sie das Himmelbett ins Auge. Sie wischte jeden Bettpfosten ab, dann den Rahmen, und brachte das uralte Holz langsam wieder zum Leben. Sie packte die alternden Decken und brachte sie zur Terrasse, um sie kräftig auszuschütteln. Der Staub flog in Wolken in alle Richtungen.

Caitlin kam zurück ins Zimmer, ihr künftiges Schlafzimmer, und begutachtete es: es war nun prachtvoll. Es strahlte so hell wie andere Zimmer in anderen Burgen. Es war immer noch mittelalterlich, doch zumindest war es nun frisch und einladend. Ihr Herz stieg höher bei dem Gedanken, hier zu leben.

Sie blickte hinunter und sah, dass das Wasser im Eimer komplett schwarz geworden war, und sprang die Treppen hinunter und zur Tür hinaus, um ihn im Fluss neu anzufüllen.

Caitlin lächelte beim Gedanken an Calebs Reaktion, wenn er zurückkommen würde. Er würde so überrascht sein, dachte sie. Sie würde das Speisezimmer als Nächstes putzen. Sie würde versuchen, einen vertraulichen Rahmen für ihre erste Mahlzeit zusammen in ihrem neuen Zuhause zu schaffen—die erste, hoffte sie, von vielen.

Als Caitlin am Flussufer ankam, im weichen Gras auf die Knie sank, den Eimer leerte und wieder auffüllte, spürte sie, wie ihre Sinne plötzlich in höchster Alarmbereitschaft waren. Sie hörte ein Rascheln in der Nähe und spürte ein Tier, das auf sie zukam.

Sie wirbelte herum und war davon überrascht, was sie vor sich sah.

Langsam auf sie zukommend, nur wenige Schritte entfernt, war ein Wolfsjunges. Sein Fell war weiß, bis auf einen einzelnen grauen Streifen, der ihm über Stirn und Rücken lief. Was Caitlin am meisten traf, waren die Augen: sie starrten Caitlin an, als würden sie sie kennen. Mehr noch: es waren dieselben Augen wie Rose.

Caitlin spürte ihr Herz pochen. Sie fühlte sich, als wäre Rose von den Toten zurückgekehrt, wäre in einem anderen Tier wiedergeboren worden. Dieser Ausdruck, dieses Gesicht. Die Farbe des Fells war anders, aber ansonsten hätte dies genauso gut eine wiedergeborene Rose sein können.

Das Wolfsjunge schien ebenso erschrocken darüber, Caitlin zu sehen. Es blieb stehen, starrte sie an und machte dann langsam, vorsichtig ein paar zögerliche Schritte auf sie zu. Caitlin durchsuchte den Wald, um festzustellen, ob noch andere Welpen in der Nähe waren, oder seine Mutter. Sie wollte nicht in einen Kampf verwickelt werden.

Doch es war kein anderes Tier weit und breit zu sehen.

Als Caitlin das Junge näher untersuchte, konnte sie sehen, warum. Es hinkte stark, und seine Pfote blutete. Es sah verwundet aus. Es war wohl von seiner Mutter verlassen worden, erkannte Caitlin, um zu sterben.

Das Wolfsjunge senkte den Kopf und ging langsam direkt auf Caitlin zu. Dann, zu Caitlins Überraschung, legte es ihr den Kopf in den Schoß und winselte leise, während es die Augen schloss.

Caitlins Herz machte einen Sprung. Sie hatte Rose so sehr vermisst, und nun fühlte es sich an, als wäre sie zu ihr zurückgekehrt.

Caitlin setzte den Eimer ab und nahm das Junge in die Arme. Sie drückte es sich fest an die Brust, weinend, und erinnerte sich an all die Zeit, die sie mit Rose verbracht hatte. Sie konnte die Tränen nicht zurückhalten, die ihr über die Wangen liefen. Als könnte es das spüren, blickte das Junge plötzlich hoch und leckte ihr die Tränen vom Gesicht.

Caitlin beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. Sie hielt es fest und kuschelte es an ihre Brust. Es war ihr unmöglich, es loszulassen. Sie würde alles tun, was nötig war, um ihm zu helfen, zu heilen und zum Leben zurückzukehren. Und, wenn der Wolf das wollte, würde sie ihn als Haustier behalten.

„Wie soll ich dich nennen?“, fragte Caitlin. „Wir können nicht wieder Rose nehmen…wie wär‘s mit…Ruth?“

Das Junge leckte Caitlin plötzlich über die Wange, als würde es auf den Namen hören. Die Antwort war so deutlich, wie Caitlin es nur erwarten konnte.

Und so blieb es bei Ruth.

*

Caitlin, Ruth neben ihr, war gerade damit fertig geworden, das Speisezimmer zu putzen, als sie etwas Interessantes an der Wand entdeckte. Neben dem Kamin standen zwei lange silberne Schwerter. Sie nahm eines davon hoch, staubte es ab und bewunderte den Griff, der mit Juwelen besetzt war. Es war eine wunderschöne Waffe. Sie setzte den Eimer und Putzlappen ab und konnte nicht widerstehen, es auszuprobieren. Sie schwang das Schwert wild hin und her, ließ es links und rechts kreisen, wechselte die Hände, quer durch das große Zimmer. Es fühlte sich großartig an.

Sie fragte sich, wie viele Waffen Caleb hier hatte. Sie würde viel Spaß daran haben, mit ihnen zu trainieren.

„Ich sehe, du hast die Waffen gefunden“, sagte Caleb, der plötzlich zur Tür hereinkam. Caitlin setzte sofort das Schwert ab, verlegen.

„Tut mir leid, ich wollte nicht in deinen Sachen stöbern.“

Caleb lachte. „Mein Haus gehört dir?“, sagte er, während er mit zwei riesigen Rehen über seiner Schulter ins Zimmer kam. „Was immer ich besitze, kannst du gerne verwenden. Außerdem mag ich genau das an dir. Ich hätte mich auch direkt auf die Schwerter gestürzt“, sagte er mit einem Zwinkern.

Er trug die Rehe weiter durch den Raum, dann hielt er plötzlich an und drehte sich um, und schaute zweimal.

„Wow“, sagte er geschockt. „Sieht ja aus wie neu hier!“

Er stand da und starrte mit weiten Augen. Caitlin konnte sehen, wie beeindruckt er war, und sie fühlte sich glücklich. Sie blickte sich selbst im Zimmer um und stellte fest, dass es wirklich wie verwandelt war. Sie hatten nun ein prächtiges Speisezimmer, komplett mit Tafel und Stühlen, für ihr erstes Mahl.

Plötzlich winselte Ruth, und Caleb blickte hinunter und sah sie zum ersten Mal. Er schaute sogar noch überraschter drein.

Caitlin hatte plötzlich Sorge, dass es ihm etwas ausmachen würde, sie hier zu haben.

Doch sie stellte erleichtert fest, dass seine Augen sich vor Entzücken weiteten.

„Ich kann’s nicht glauben“, sagte Caleb und starrte, „diese Augen…sie sieht genau wie Rose aus.“

„Können wir sie behalten?“, fragte Caitlin zögerlich.

„Sehr gerne sogar“, antwortete er. „Ich würde dich ja umarmen, aber meine Hände sind voll.“

Caleb ging mit den Rehen weiter, durch das Zimmer und auf den Korridor hinaus. Caitlin und Ruth folgten ihm und sahen ihm zu, wie er das Wild in einem kleinen Nebenraum auf eine riesige Steinplatte legte.

„Da wir nicht wirklich kochen“, sagte er, „dachte ich, ich würde das Blut für uns ablassen. Dann können wir zum Abendessen gemeinsam trinken. Ich dachte mir, ich sollte die Sauerei hier drin anrichten, damit wir einfach vor dem Kamin sitzen und stilvoll trinken können.“

„Das hört sich gut an“, sagte Caitlin.

Ruth saß zu Calebs Fersen und blickte hoch und winselte, als er aufschnitt. Er lachte, schnitt ein kleines Stück für sie ab und streckte es ihr nach unten, um es ihr zu füttern. Sie schnappte es auf und winselte nach mehr.

Caitlin machte sich zurück in den Essbereich und begann, die Kelche sauberzuwischen, die sie dort gesehen hatte. Vor dem Kamin lag ein Haufen Felle, und sie sammelte sie zusammen und brachte sie auf die Terrasse hinaus, um sie für später auszuschütteln.

Während Caitlin darauf wartete, dass Caleb fertig wurde, blickte sie auf den Sonnenuntergang hinaus, der sich über den Horizont breitete. Sie konnte die Wellen hören, atmete die salzige Luft und hatte sich noch nie so entspannt gefühlt. Sie stand da und schloss die Augen, und sie wusste nicht einmal, wie viel Zeit vergangen war.

Als Caitlin die Augen wieder öffnete, war es fast dunkel.

„Caitlin?“, ertönte die Stimme, die nach ihr rief.

Sie beeilte sich wieder nach drinnen. Caleb war bereits im Zimmer, zwei riesige Silberkelche mit dem Wildblut in den Händen. Er war gerade dabei, Kerzen anzuzünden, überall im düsteren Zimmer verteilt. Sie gesellte sich zu ihm, die Felle wieder ablegend.

In wenigen Momenten war das Zimmer komplett erleuchtet, in allen Richtungen mit Kerzenlicht erfüllt. Die beiden setzten sich zusammen auf die Felle vor dem Kamin, und Ruth kam gelaufen und setzte sich neben sie. Die Fenster standen offen und eine Brise wehte herein, und langsam wurde es recht kühl hier drin.

 

Die beiden saßen nebeneinander und blickten einander in die Augen, als sie anstießen.

Der Trunk fühlte sich so gut an. Sie trank und trank, wie er, und hatte sich noch nie so lebendig gefühlt. Es war ein unglaublicher Rausch.

Auch Caleb wirkte verjüngt, seine Augen und seine Haut strahlten. Sie blickten einander an.

Er streckte die Hand aus und berührte langsam ihre Wange mit seinem Handrücken.

Caitlins Herz fing zu pochen an, und sie erkannte, dass sie nervös war. Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, seit sie zuletzt mit ihm zusammen gewesen war. Sie hatte sich einen Moment wie diesen so lange ausgemalt, doch nun, da er gekommen war, fühlte es sich an, als wäre es wieder das erste Mal mit ihm. Sie konnte sehen, dass seine Hand zitterte, und erkannte, dass auch er nervös war.

Es gab noch so viele Dinge, die sie sagen wollte, so viele Fragen, die sie an ihn hatte, und sie konnte sehen, dass auch er vor Fragen fast überlief. Doch in diesem Moment traute sie sich nicht zu, zu sprechen. Und er anscheinend auch nicht.

Die beiden küssten sich leidenschaftlich. Als seine Lippen auf ihre trafen, fühlte sie sich von Gefühlen für ihn übermannt.

Sie schloss die Augen, als er näherkam und sie einander leidenschaftlich in die Arme fielen. Sie rollten sich auf die Felle, und sie spürte ihr Herz vor Emotionen wogen.

Endlich gehörte er ihr.

KAPITEL ACHT

Polly schritt rasch durch die Korridore von Versailles, mit auf dem Marmorboden hallenden Absätzen, einen endlosen Korridor mit hohen Decken, Stuckverzierungen, Marmorkaminen, gewaltigen Spiegeln und tief hängenden Kerzenleuchtern entlang. Alles glänzte.

Doch sie nahm es kaum wahr; für sie war es völlig natürlich. Nach Jahren, die sie hier gewohnt hatte, konnte sie sich kaum eine andere Form der Existenz vorstellen.

Was sie jedoch sehr wohl wahrnahm—und zwar sehr deutlich—war Sam. Ein Besucher wie er war überhaupt nicht Teil des Alltags—und war in Wahrheit äußerst ungewöhnlich. Sie hatten kaum jemals Vampire zu Besuch, besonders nicht aus einer anderen Zeit, und wenn sie welche hatten, war es Aiden üblicherweise egal. Sam musste sehr wichtig sein, erkannte sie. Er faszinierte sie. Er schien etwas jung, und er schien etwas unbeholfen zu sein.

Doch da war etwas an ihm, das sie nicht so richtig einordnen konnte. Sie fühlte sich, als hätte sie irgendwie eine besondere Verbindung zu ihm, dass sie einander schon einmal begegnet waren, oder dass er mit jemandem in Verbindung stand, der ihr wichtig war.

Was so seltsam war, denn gerade in der Nacht zuvor hatte sie einen äußerst lebhaften Traum gehabt. Über ein Vampirmädchen namens Caitlin. Sie konnte ihr Gesicht sehen, ihre Augen, ihr Haar, sogar jetzt noch. In ihrem Traum wurde ihr gesagt, dass dieses Mädchen ihre beste Freundin fürs Leben gewesen war, und über den ganzen Traum hinweg schien es, als wären sie Freunde für immer. Sie wachte mit dem Gefühl auf, dass es so echt gewesen war, dass es mehr ein Treffen war als ein Traum. Sie konnte es nicht verstehen, doch als sie aufwachte, konnte sie sich an alles über dieses Mädchen erinnern, all die Zeit, die sie miteinander verbracht hatten.

Es schien keinen Sinn zu ergeben, da Polly wusste, dass sie noch nie an einem dieser Orte gewesen war. Sie fragte sich, ob sie vielleicht irgendwie die Zukunft gesehen hatte? Sie wusste, dass Vampire einander in Träumen besuchten, und dass sie gelegentlich die Kraft hatten, in die Zukunft und in die Vergangenheit zu blicken. Doch diese Kräfte waren auch unberechenbar. Es konnte gut eine Welt der Illusionen sein. Man wusste nie: sah man die Zukunft, die Vergangenheit, oder träumte einfach nur?

Nach dem Traum war Polly aufgewacht und hatte nach Caitlin gesucht, als kannte sie sie wirklich. Sie ertappte sich dabei, dass sie sie vermisste, während sie den Flur hinunterlief. Es war verrückt. Ein Mädchen vermissen, dem sie noch nicht einmal begegnet war.

Und dann tauchte dieser Junge auf, Sam. Und aus irgendeinem verrückten Grund hatte Polly das Gefühl, dass seine Energie mit ihrer verbunden war. Wie, das konnte sie beim besten Willen nicht wissen. Bildete sie sich das auch nur ein?

Abgesehen von all dem fühlte sie, dass sie Gefühle für Sam entwickelt hatte. Sie würde nicht sagen, dass sie Hals über Kopf in ihn verliebt war. Doch sie fühlte sich schon zu ihm hingezogen. Er hatte etwas an sich. Es war nicht das Gefühl, verliebt zu sein. Eher das Gefühl…fasziniert zu sein. Mehr wissen zu wollen.

Und deswegen regte es sie nur umso mehr auf, dass Kendra jetzt schon ihr Auge auf ihn geworfen hatte. Nicht unbedingt, dass sie ihn für sich haben wollte. Es war noch viel zu früh, als dass sie das wissen konnte. Sondern vielmehr deshalb, weil er so unschuldig, naiv, beeinflussbar wirkte. Und Kendra war ein Aasgeier. Sie war ein Mitglied der königlichen Familie, jemand, der noch nie in seinem Leben ein Nein zu hören bekommen hatte, und sie hatte eine magische Art, zu bekommen, was sie wollte, von wem auch immer sie es wollte.

Polly hatte immer schon das Gefühl gehabt, dass Kendra irgendwelche finsteren Absichten hatte. Seit Jahren versuchte sie schon, jeden Vampir in ihrem Clan zu überreden, sie zu verwandeln. Natürlich war das verboten, und niemand war noch ihrer Bitte nachgekommen. Doch nun, das konnte sie sehen, hatte sie Sam ins Visier genommen. Frischblut war eingetroffen, und sie war fest entschlossen, es erneut zu versuchen. Polly schauderte; ihr gefiel der Gedanke daran gar nicht, was Sam passieren könnte, wenn Kendra es sich in den Sinn gesetzt hatte.

Ja, dieser Tag war für sie wahrlich außergewöhnlich. Ihr Verstand wimmelte vor Emotionen, während sie den Flur entlangging, und sie bemerkte, dass sie schon spät dran war. Der neue Sänger, über den alle redeten, gab Marie und ihrem Gefolge ein Privatkonzert. Der Sänger war schon seit Wochen hier, und all die anderen Mädchen sprachen nicht nur unentwegt von seiner Stimme, sondern auch von seinem Aussehen. Sie war schon gespannt darauf, selbst einen Blick auf ihn werfen zu können. Polly hatte sich schon lang darauf gefreut und war nun doppelt verärgert, dass sie erst am Ende dazustoßen würde.

Das war das Problem an diesem Ort, dachte sie, während sie einen weiteren Korridor hinuntermarschierte. Er war einfach zu groß. Es war unmöglich, rechtzeitig irgendwo hinzugelangen.

Polly beschleunigte ihre Schritte und erreichte endlich das Ende eines weiteren Korridors, und zwei Wachen öffneten die enormen Flügeltüren für sie. Sie schritt geradewegs hindurch, und als sie sich hinter ihr schlossen, schämte sie sich augenblicklich.

Der ganze Raum drehte sich zu ihr herum und sah sie an; während der Sänger seine Vorführung fortsetzte, erkannte sie, dass sie das Konzert unterbrochen hatte. Ihr Gesicht wurde rot, und sie schlüpfte in die hintere Ecke des Raumes und nahm zwischen ihren Freunden Platz.

Langsam drehte sich jeder wieder herum, während sie sich einfand und feststellte, dass das Konzert beinahe vorüber war.

Sie blickte hoch und sah zu, und als sie den ersten Blick auf das Gesicht des Sängers erhaschte, war sie schockiert. Er war sogar noch hinreißender, als alle gesagt hatten. Er hatte dunkle Gesichtszüge, mit dunklen Augen und dunklem, welligem Haar. Seine kantigen Züge waren perfekt geformt. Er war so königlich gekleidet, von Kopf bis Fuß, in einem schwarzen Samtmantel mit weißen Strümpfen und glänzenden schwarzen Schuhen. Er stand im Zentrum der kleinen Bühne und sah so selbstsicher aus, so als hätte er alles fest im Griff. Er sah aus, als könnte er…Russe sein.

Doch noch mehr als das: seine Stimme war hypnotisierend. Während er sang, war Polly wie gebannt. Sie war komplett gefesselt, unfähig, irgendetwas anderes zu tun als zuzuhören; unfähig, irgendwo anders hinzusehen.

Polly war in einer Trance versunken, als der Gesang endete, starrte immer noch, hörte immer noch seine letzten Töne, während alle anderen aufstanden, applaudierten und auf ihn zutraten. Der gesamte Raum scharte sich um ihn, und er stand lächelnd da und badete in der Aufmerksamkeit.

Langsam bahnte sich Polly einen Weg durch die Menge. Sie konnte die Anbetung all der anderen Mädchen sehen, und sie kam selbst näher, um zu sehen.

Er drehte sich zu ihr herum und richtete seinen Blick direkt auf sie. Er schien sie mit ein wenig Geringschätzung anzusehen, mit einem unverfroren arroganten Blick, als würde er suggerieren wollen, dass sie zu ihm aufblicken solle.

„Ich…habe Ihr Konzert genossen“, sagte Polly und stellte fest, dass sie nervös war.

„Natürlich hast du das“, sagte er. „Warum solltest du das auch nicht?“

Die anderen Mädchen kicherten, und Polly fand seine Bemerkung recht unhöflich. Und doch konnte sie sich nicht dazu bringen, wegzusehen.

„Nun, wenn du schon so viel starrst, kannst du mir genauso gut deinen Namen verraten“, sagte er.

Polly stammelte überrumpelt. Niemand hatte je so mit ihr gesprochen. Ein Teil von ihr sagte ihr, dass sie einfach davongehen sollte; doch ein anderer Teil konnte sich einfach nicht dazu bewegen.

„Polly“, sagte sie atemlos.

„Polly“, äffte er sie kichernd nach. „Wie ein Vogel.“

Polly wurde rot, als die anderen Mädchen kicherten. Sie wusste nicht, ob sie in diesen Mann verliebt war, oder ihn verabscheute. Wie konnte er nur so arrogant sein?

„Nun, Polly“, sagte er mit einem leichten Akzent, „ich werde dir meinen Namen verraten.“

Langsam streckte er die Hand aus, die blass und weich war wie die eines Mädchens.

„Sergei“, verkündete er stolz, als sollte sie begeistert sein, dies zu vernehmen.

Sie nahm seine Hand, starrte, nicht in der Lage, wegzusehen.

„Sergei“, wiederholte sie atemlos.

Und trotz allem, trotz der Tatsache, dass er sich unvermittelt abwandte und mit den anderen Mädchen redete, trotz jedes Warnsignals, das sie anschrie, davonzugehen, wusste sie, dass sie jetzt schon hoffnungslos verliebt war.

KAPITEL NEUN

Caitlin erwachte sanft, öffnete langsam die Augen, fühlte sich vollständig ausgeruht und entspannt. Es war die erste Nacht solange sie sich erinnern konnte, in der sie nicht von ihrem Vater geträumt hatte—in der sie in der Tat überhaupt nicht geträumt hatte. Es war auch die erste Nacht solange sie sich erinnern konnte, in der sie nicht abrupt aufgeweckt wurde und schlafen konnte, solange sie wollte.

Caitlin erwachte zu Sonnenlicht, das durch die Fenster überall um sie herum ins Zimmer strömte, und zum Meeresrauschen, das durch die offenen Fenster hereinkam. Sie konnte den frischen Ozean ins Zimmer wehen riechen.

Sie blickte zur Seite und sah, dass sie mit dem Kopf auf Calebs Brust ruhend geschlafen hatte. Sie beide waren nackt unter den Laken, und sie schlief in seinen Armen.

Sie blickte auf und sah, dass seine Augen geschlossen waren und er noch fest schlief.

Zum ersten Mal seit sie sich erinnern konnte, fühlte Caitlin sich restlos wohl und unbefangen. Hier, an diesem Ort und in dieser Zeit, in Calebs Armen, fühlte es sich an, als ob nie wieder etwas schief laufen könnte. Sie wollte den Moment einfrieren, ihn festhalten können. Endlich fühlte es sich an, als wäre keine Bedrohung am Horizont, nichts, das im Hinterhalt lauerte und das Leben ändern könnte.

Caitlin blickte sich im Zimmer um und sah den silbernen Behälter mit dem Brief ihres Vaters darin, immer noch ungeöffnet. Als sie ihn ansah, empfand sie einen Moment lang Sorge: sie fühlte, dass wenn sie ihn öffnete, ihn las, würde es sie irgendwohin führen, und die Dinge würden sich ändern. Sie blickte weg, mehr entschlossen als je zuvor, ihn nicht zu öffnen.

Sie stand vom Bett auf und durchquerte das Zimmer, ihre nackten Füße schön kühl auf dem Stein, nahm den juwelenbesetzten Behälter und versteckte ihn hinter einem Vorhang. Sie wollte ihn nicht ansehen. Sie wollte nicht, dass sich irgendetwas änderte. Sie war fest entschlossen, dass sich nichts ändern würde.

Caitlin zog sich langsam an, ihre neuen Kleider, die ihr die Nonne gegeben hatte. Sie hatte sie die Nacht davor im Fluss gewaschen und sie über den Rand eines Wasserspeiers vor ihrem Fenster zum Trocknen aufgehängt. Sie war überrascht, wie schnell sie getrocknet waren, wie frisch sie geworden waren, als sie sie anzog. Sie war bereit, dem Tag entgegenzutreten.

Caitlin musste sich etwas überlegen, wie sie ihre Garderobe ersetzen sollte. Nun, da sie sich endlich niedergelassen hatte—und zwar in einer Burg mit endlosem Platz für Kleidung—war sie sicher, ihr würde etwas einfallen. Wenn es sein musste, würde sie das Nähen lernen, oder Stricken—was immer notwendig war. Bei all den Schafen rundum war sie sich sicher, dass es einen örtlichen Bauern geben musste, der irgendeine Art Kleidung verkaufen würde. Es würde kaum die Mode des 21. Jahrhunderts sein, aber das war ja auch nicht, was sie wollte. Sie wollte sich anpassen, ein Teil dieser Zeit werden, dieses Ortes, dieses Volks. Mehr als alles andere wollte sie hier einfach nur leben, dies zu ihrem Zuhause machen. Was immer sie trugen, würde sie mit Freude auch tragen.

 

Caitlin öffnete die riesigen Flügeltüren aus Glas und stieg auf den Balkon hinaus. Der sonnengebrannte Stein fühlte sich gut auf ihren Füßen an, und sie hob das Kinn und fühlte sich von der Sonne erwärmt. Die Nonne hatte ihr frische Hautumschläge gegeben, und frische Augentropfen, und so machte ihr die Sonne überhaupt nichts aus. Im Gegenteil, es fühlte sich gut an.

Sie ging zum Rand des Geländers, legte ihre Hände darauf und blickte auf den Horizont hinaus. Sie wurde von der Meeresbrise umschmeichelt, als sie auf den endlosen blauen Himmel hinausblickte, vorbei an den sanften Hügeln, und in der Ferne das Spiel der Wellen sah. Der Strand war völlig leer. Dies schien ein so abgelegener Ort zu sein, dass sie sich fragte, ob je irgendjemand zum Strand kam.

„Da bist du“, ertönte die Stimme.

Caitlin drehte sich herum und sah mit Entzücken Caleb auf und angekleidet, der auf sie zukam.

Er kam direkt auf sie zu, mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht, und auch sie fing zu lächeln an. Sie machte zwei Schritte auf ihn zu und sie begegneten einander in einem langen Kuss, gefolgt von einer Umarmung.

Es fühlte sich so gut an, in seinen Armen zu sein, besonders gleich am Morgen.

Langsam lehnten sie sich zurück und sahen einander in die Augen.

„Ich habe von dir geträumt“, sagte er.

„Gute Träume, hoffe ich.“

Er lächelte breiter. „Natürlich.“

Sie war neugierig, was er geträumt hatte, doch er sagte von sich aus nicht mehr und sie wollte nicht nachbohren. So war Caleb eben: er konnte manchmal in ein rätselhaftes Schweigen verfallen, und manchmal war es schwierig, seine Gedanken zu lesen. Natürlich hatten sie beide die Fähigkeit, die Gedanken des anderen zu lesen, doch sie bemerkte auch, dass paradoxerweise dann, wenn sie einander am nächsten waren, es schwieriger wurde, zu hören, was der andere dachte. Es war fast so, als würde diese Kraft umso stärker verdeckt sein, je mehr sie ineinander verliebt waren. Als wären bestimmte Dinge dazu gedacht, verborgen zu bleiben.

Sie wollte unbedingt alles wissen, was er jetzt gerade dachte, doch wieder fand sie seine Gedanken verschleiert.

Sie nahm seine Hand, und sie gingen zusammen zum Balkon und blickten hinaus.

„Ich liebe es hier“, sagte sie. „Ich denke schon jetzt über alles nach, was wir zum Renovieren tun können.“

Während sie die Worte aussprach, fiel ihr auf, wie das Lächeln auf seinem Gesicht um die kleinste Spur sank. Es war eine subtile Veränderung im Ausdruck, doch sie war ihm nun nahe genug, dass sie es sehen konnte. Sie spürte auch, wie sein Griff um ihre Hand den kleinsten Hauch lockerer wurde. Sie konnte seine Gedanken nicht lesen, doch als Frau konnte sie den kleinsten Rückzug spüren.

Warum?, fragte sie sich.

„Das wäre toll“, sagte er.

Doch es lag etwas in seinem Tonfall, etwas Subtiles, das sie aufspürte, das ihr sagte, dass etwas ihn störte. Dass irgendetwas ihn beunruhigte.

Bildete sie es sich nur ein?

Was war schief gelaufen?, fragte sie sich. Hat er es sich über uns anders überlegt?

Sie starrte ihn an, blickte ihm in die Augen, die auf den Horizont hinausstarrten, und versuchte, herauszufinden, was er dachte.

„Bist du glücklich darüber, wieder hier zu sein?“, fragte sie mit sanftem Nachdruck.

„Ja, sehr sogar“, antwortete er.

Sie wollte sagen: Warum sehe ich dann Traurigkeit hinter deinen Augen? Liegt es an mir? Liebst du mich nicht so sehr, wie du gedacht hattest?

Doch sie hatte zu viel Angst, um es auszusprechen. Und sie wollte ihn nicht vergraulen.

Also verfiel Caitlin stattdessen in Schweigen. Doch sie spürte, wie ihr Herz langsam begann, zu brechen.

Sie dachte an ihre Beziehung zurück, all die Orte, an denen sie gewesen waren. New York City. Boston. Edgartown. Venedig. Rom. Sie waren immer auf der Flucht gewesen; es hatte nie eine Zeit für sie gegeben, um ruhig zu sein, zusammen zu sein. Einander als Paar zu genießen.

Nun war diese Zeit gekommen. Vielleicht gab es nun, da alle Hindernisse weg waren, nichts mehr zwischen ihnen, und es war nicht mehr so aufregend für ihn. Vielleicht machte es ihm Angst, so nahe zu sein. Vielleicht waren das Einzige, das er an ihr liebte, so sorgte sie sich, die Umstände gewesen, die Tatsache, dass sie nicht zusammensein konnten.

Vielleicht wusste er jetzt, da sie zusammen waren, nicht mehr, was er mit ihr anfangen sollte.

Und war Caleb wirklich der Typ Mann, der ein häusliches Leben führen könnte, nicht auf der Flucht, nicht auf dem Weg in den Kampf? Zufrieden damit, einfach dazusitzen und ein Zuhause aufzubauen, und darin zu leben?

Sie begann, sich Sorgen zu machen. Vielleicht war er das nicht. Immerhin brauchte man sich nur ansehen, wie er sein Leben in den letzten tausend Jahren verbracht hatte. Wie sollte er all das jetzt ändern können? Nur für sie?

Oder, fragte sich Caitlin, spielte ihr ihr Verstand bloß Streiche? Bildete sie sich das ganze nur ein? Machte sie aus einer Mücke einen Elefanten? War sie nur zu sensibel, sah Dinge, die gar nicht da waren? Immerhin hatte er gesagt, es wäre toll. Hatte er es wirklich so gemeint?

Caitlin wusste, sie musste der Sache auf den Grund gehen. Sie würde keine Lüge leben können. Falls er aus irgendeinem Grund nicht an ihr interessiert war, musste sie das wissen. Musste es einfach.

Sie spürte, wie sie leise zitterte, als sie sich aufraffte, ihn zu fragen.

„Caleb“, fing sie leise an; ihr Hals wurde trocken und ihre Stimme zitterte. „Ist alles in Ordnung?“

Er blickte sie an, als wäre er erstaunt.

„Du wirkst…traurig“, sagte sie. „Als wärst du nicht völlig glücklich.“

„Ich…“, setzte er an, dann verstummte er. Er hielt inne und seufzte tief. „Ich bin sehr glücklich darüber, mit dir zusammenzusein.“

Das war alles, was er sagen konnte. Und es klang für sie gezwungen.

„Würdest du mich für nur einen Moment entschuldigen?“, fragte er höflich.

Caitlin nickte zurück, zu verletzt, um zu sprechen.

Und mit diesen wenigen Worten wandte er sich ab und ging vom Balkon, und war schon bald außer Sicht.

Wohin war er gegangen? Warum war er so plötzlich davongegangen?

Caitlin hatte keine Ahnung, doch es bestätigte ihren Verdacht. Er konnte nicht einfach mit ihr dastehen und den Ausblick genießen. Etwas ging in ihm vor. Etwas, das stark genug war, ihn zum Weggehen zu bewegen.

Caitlin fühlte, wie ihre Welt langsam in Stücke brach.

Was konnte es nur sein?

Dann dämmerte es ihr. Sera. Das letzte Mal, dass Caitlin ihn gesehen hatte, war er mit ihr verheiratet gewesen. Vielleicht war das immer noch frisch in seiner Erinnerung. Hatte er immer noch Gefühle für sie? Dachte er gerade jetzt an sie? Hatte die gemeinsam verbrachte Nacht seine Gefühle für sie wiederbelebt?

Das musste es sein, erkannte Caitlin. Sie konnte sich keine andere Erklärung vorstellen. Caleb musste sie vermissen. Sie war wohl in seinen Gedanken. Vielleicht raffte er sich gerade dazu auf, ihr zu sagen, dass er weg musste, um Sera zu finden.

Caitlin konnte seine Gedanken nicht lesen, aber immerhin war sie eine Frau. Und wie jede andere Frau fühlte sie ihr Herz langsam in eine Million kleine Stücke zerspringen.

*

Caleb eilte vom Balkon und durch die Räume seiner Burg, von Emotionen überrannt. Er konnte nicht aufhören, an seinen Sohn Jade zu denken. Er konnte das Bild nicht aus dem Kopf bekommen, wie er seinen toten Körper in den Armen hielt.

Während er rasch ins andere Zimmer ging, brach er in Tränen aus. Er konnte nicht zulassen, dass Caitlin ihn so sah. Er hatte schnell von ihr weg gemusst.

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