Elisabeth Petznek

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Der Kronprinz und die Spiritisten

Einst war es der Politiker und Philosoph Lazar Baron von Hellenbach gewesen, der mit seinen Ideen über die Beschaffenheit der Seele den jungen Mediziner Albert von Schrenck-Notzing nachhaltig beeindruckt hatte. Hellenbach gehörte zu den bekanntesten Spiritisten und sogar Erzsis Vater Kronprinz Rudolf war Gast im Haus Hellenbachs gewesen. Andere Habsburger wie die Erzherzöge Rainer und Johann Salvator, der spätere „Aussteiger“ Johann Orth, folgten ebenso den Einladungen des Barons. Im „Neuen Wiener Tagblatt“ hatten der Chefredakteur Moritz Szeps und Rudolf (anonym) gemeinsam über Séancen bei Hellenbach berichtet. Dem kritischen Kronprinzen, der mehreren Darbietungen mit dem damals sehr berühmten Medium Harry Bastian beiwohnte, kamen die „Geister“ immer unglaubwürdiger vor. Am 21. Februar 1884 erschien die Zeitschrift „Das interessante Blatt“ mit dem Aufmacher, dass Rudolf das Medium als Betrüger entlarvt habe. Die Illustration zeigte, wie Bastian von Rudolf und Johann Salvator hinter einem Vorhang hervorgezogen wird. Von den beiden Habsburgern war eine „Geisterfalle“ konstruiert worden, indem sie die Flügeltür zwischen dem Publikum und dem Raum des Mediums mit einem Schnappmechanismus verschlossen hatten. Dadurch konnte das Medium beim Versuch, einen „Geist“ darzustellen, gefangen werden. Erzherzog Rainer, links vorne sitzend auf dem Zeitungsholzstich zu sehen, blickt als Zeuge des Geschehens verdutzt auf die Entlarvungsszene.

Kaiserin Elisabeth wurde von dieser Glanzleistung ihres Sohnes bestimmt in Kenntnis gesetzt, doch blieb sie davon unberührt. Sie glaubte, ihr totes Idol Heinrich Heine diktiere ihr aus dem Jenseits ihre Gedichte, und zwei Jahre nach der Enttarnung des Mediums Bastian hoffte sie auf spiritistische Verbindung mit ihrem ertrunkenen Großcousin Ludwig II. von Bayern. Hätte sie zu seinen Lebzeiten öfter den Austausch mit Rudolf gesucht, wäre es vielleicht nicht notwendig geworden, nach seinem Selbstmord in der Kapuzinergruft verzweifelt nach ihm zu rufen.

So gesehen wurden die spiritistischen Familientraditionen von Erzsi erfolgreich fortgeführt. Nach Schrenck-Notzings Tod sollte sie jedoch nie wieder über ihre diesbezüglichen Erfahrungen sprechen.

II Das Schweigen
Eine kaiserliche Kindheit


Als hätte es sie nie gegeben: Rudolfs letzte Freundin Mary Vetsera, um 1888

„Ich bin von Anfang an ein Irrtum des Schicksals.“

In einer Anwaltskanzlei im zweiten Wiener Gemeindebezirk tauchte 1988 das Testament von Erzsis Mutter Stephanie von Belgien (gestorben 1945) auf. Der Inhalt der maschingeschriebenen Abschrift war durchaus brisant, enthielt diese doch Bestimmungen, wonach Stephanie ihr einziges, offenbar in ihren Augen missratenes Kind enterbte: „Ich ordne an und erkläre, daß ich meine Tochter Elisabeth Marie, Erzherzogin von Österreich, enterbe und von meinem Nachlaß gänzlich ausschließe.“ Der wertvolle Schmuck und zahlreiche Pelze aus Stephanies Besitz, meist noch habsburgischer Herkunft, gingen an ihre drei überlebenden Enkelkinder Franzi, Erni und Fee über; ein vierter Enkel, Rudi, war bereits 1939 tödlich verunglückt.

Allein zur Geburt der kleinen Erzherzogin Erzsi hatte Stephanie im Jahr 1883 Smaragdschmuck im Wert von 40.000 Gulden (etwa 400.000 Euro) von Kaiser Franz Joseph erhalten. Sie hatte nichts zurückgeben müssen, weder nach Rudolfs Tod noch nach ihrer zweiten Eheschließung im März 1900. In solchen Fragen ließ Franz Joseph immer Großzügigkeit walten, sodass Stephanie zeitlebens eine reiche Frau gewesen war. Die Abneigung, die sie ihrer Tochter gegenüber hegte, hatte im Verlauf von Erzsis Pubertät begonnen, sich immer mehr gesteigert und artete nach 1918 schließlich in Hass aus. Doch Erzsi lehnte auch ihre reaktionäre und frömmlerische Mutter ab und alles, wofür diese stand. Ein Meilenstein der gegenseitigen Abneigung war Stephanies zweite Heirat mit einem ungarischen Grafen gewesen, den die damals 16-jährige Erzsi nicht ausstehen konnte. Die grenzenlose Verehrung ihres toten Vaters hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eingesetzt und Erzsi wollte nicht akzeptieren, dass es nun einen Stiefvater in ihrem Leben geben sollte. Später weigerte sich die bigotte Stephanie, ihre unglücklich verehelichte Tochter Erzsi in ihrem Scheidungswunsch von ihrem Mann Otto zu Windisch-Graetz zu unterstützen. Grundsätzlich lehnte die Ex-Kronprinzessin Scheidungen vollkommen ab und gab Erzsi die alleinige Schuld an der gescheiterten Ehe. Als sie in den 1920er-Jahren erfuhr, dass Erzsi mit den Sozialdemokraten sympathisiere und der SDAP hohe Summen an Geldspenden zukommen lasse, wollte sie ihre Tochter nicht mehr sehen. Noch dazu wusste sie bestimmt, dass Erzsi Liebhaber gehabt hatte und mit einem sozialdemokratischen Funktionär ohne Trauschein zusammenlebte.

Erzsi mit ihrer Mutter Stephanie, um 1890

Porträts der Kronprinzenfamilie, wie sie in hoher Auflage unter das Untertanenvolk gebracht wurden: Oben die kindliche Erzherzogin Erzsi, darunter ihre Mutter, die unglücklich nach Wien verheiratete belgische Prinzessin Stephanie, und der von Selbstmordgedanken und Krankheiten geplagte Vater, Kronprinz Rudolf.

Die Kronprinzessin-Witwe war eine Frau, die in ihrer ersten Ehe vielfach betrogen worden war. Den ihrer Ansicht nach frivolen Lebensstil der Tochter konnte sie daher auf keinen Fall akzeptieren, nicht zuletzt verwand sie es nie, dass der untreue Kronprinz Rudolf sie mit einer venerischen Krankheit angesteckt hatte, sodass sie nach Erzsi keine Kinder mehr bekommen konnte. Doch dem ehelichen Unglück zum Trotz hatte Rudolf seiner Frau, im Gegensatz etwa zu seinem Vater, immerhin einen Abschiedsbrief hinterlassen:

„Liebe Stephanie!“, stand da, „Du bist von meiner Gegenwart und Plage befreit; werde glücklich auf Deine Art. Sei gut für die arme Kleine, die das einzige ist, was von mir übrig bleibt. (…) Dich herzlichst umarmend, Dein Dich liebender Rudolf.“

Der kurze Weg zum langen Abschied

Nun standen die „liebe Stephanie“ und die „arme Kleine“ vor ihrem wahrscheinlich schwersten Gang. Mutter und Tochter mussten Abschied nehmen von Ehemann und Vater. Vor der tumultartigen öffentlichen Aufbahrung des Kronprinzen in der Hofburgkapelle, als 20.000 Menschen die Leiche sehen wollten, hatte es bereits zwei „interne“ Aufbahrungen gegeben. Zu seinen Lebzeiten war der junge Revoluzzer Rudolf eine Marionette der Staatspolitik gewesen. Ein Mann ohne Handlungsspielraum, von jeder Entscheidungsbefugnis ferngehalten. Nun, da er tot war, zeigte er sich als viel gehorsameres Objekt. Für die engsten Familienangehörigen war er am 31. Jänner 1889 in seinem Schlafzimmer in der Hofburg zu sehen. Erzsi wurde ein letzter, kurzer Blick auf den verstorbenen Vater erlaubt. Blumen bedeckten seinen Körper, der zerschossene Kopf war mit weißen Leinenbinden einbandagiert.

Am 1. Februar, nach der Autopsie, hatten die Ärzte ein kleines Wunder vollbracht. Die Schädelzertrümmerung war mit Wachs versiegelt worden, das Haar wurde darübergekämmt, so gut wie möglich. Man sah nichts als eine schmale Narbe. Der Tote war einbalsamiert und mit Weihrauch parfümiert worden und lag nun im Sterbezimmer des Kaisers Franz II./I. Heute gehen dort die Beamten des Bundesdenkmalamts ihrem Tagewerk nach. Rudolf trug seine weiße Generalsuniform. Das Elfenbeinkruzifix, das er in den Händen hielt, erbte später Erzsi. Ihr, der von Geburt an eine Hoftrauer zugestanden wäre und deren Sarg schließlich kaum 20 Leute folgen sollten, wurde auf ihrem Totenbett ebenfalls dieses Kreuz in die Hand gegeben. Zwei Tage war ihr Vater hier ausgestellt, der Blumenduft und der Kerzenschein verbreiteten eine unirdische Atmosphäre. Mitglieder des Kaiserhofs kamen zum Gebet, Priester waren Tag und Nacht anwesend. Immer mehr Trauerkränze wurden gebracht – von Hunderten Kaisern, Königen, Präsidenten, Potentaten, geistlichen Würdenträgern. Tausende Städte, Landkreise, Vereinigungen schickten ihre letzten Grüße, auch der Presseclub Concordia war vertreten mit der schlichten Kranzschleife: „Dem Schriftsteller Kronprinz Rudolf“. Es war vielleicht der einzige Kranz, der dem Verstorbenen wirklich Trost gespendet hätte …

Erzsi wurde von dieser Hofverabschiedung ferngehalten. Schon zu seinen Lebzeiten hatte sie ihren Vater nicht wirklich häufig zu Gesicht bekommen. Doch nun registrierte sie, wie sich alles um sie herum veränderte. An den Farben bemerkte sie es zuerst. Die Gouvernanten und Kindermädchen trugen Trauer, die Bediensteten schwarze Livreen. Gedämpfte Stimmen, überall traurige, verschlossene Gesichter.

Zusammen mit ihrer Lehrerin war Erzsi in die Lektüre eines ungarischen und eines französischen Buches vertieft gewesen, als ihre Mutter schwankend das Zimmer betreten und leicht verwirrt etwas von einem Jagdunfall des Vaters gestammelt hatte. Mit aller Kraft hatte sie das Wort „tot“ zu vermeiden versucht. Erzsi bekam ein weißes Kleid mit einfacher Stickerei, ein farbiges Band war schon entfernt worden. Ihre Mutter nahm sie an der Hand und ging mit dem verstörten Mädchen durch die endlosen Reihen schwarzer Gestalten, bis Rudolfs Schlafzimmer erreicht war. Beide sahen das erste Mal in ihrem Leben eine Leiche. Erzsi erblickte den Vater bleich in seinem Bett liegend, der seltsame Kopfverband irritierte sie. Der Verstorbene musste auf die Fünfjährige angsteinflößend und bedrohlich gewirkt haben. Die ununterbrochen weinende Stephanie legte einen kleinen Maiglöckchenkranz nieder, als die Großeltern Elisabeth und Franz Joseph den Raum betraten. Der tote Papa werde im Himmel für sie beten, sagten die Verwandten zu Erzsi. Das Kind stand da, voller Angst und voller Fragen. Antworten sollte es keine geben. Stephanie brachte Erzsi rasch zurück ins Kinderzimmer. Die Kleine hatte den Vater nicht mehr gesehen, bevor er nach Mayerling aufgebrochen war. Er wollte sich noch verabschieden, aber die Kinderfrau hatte ihn nicht vorgelassen, da Erzsi „auf dem Thron sitze“ – wie der Toilettengang der Erzherzogin genannt wurde. So war er zwar mit einem ärgerlichen „zu dumm“ abgerauscht, warten hatte er aber nicht wollen.

 

Fantasievolle Darstellung der Aufbahrung des Kronprinzen mit seinen Eltern, der Witwe und Tochter Erzsi

Erzsis Eltern Rudolf und Stephanie bei einer Winterausfahrt, um 1882

Erzsi wurde ab sofort von allem, was sich in ihrer Umgebung ereignete, egal ob am Hof oder außerhalb, abgeschirmt und ausgeschlossen. Sie wuchs in einer Art „Luxus-Isolationshaft“ auf. Von ihrem Vater sah und hörte sie nichts mehr. Man sprach nie wieder von ihm, nicht in ihrer Gegenwart und auch sonst nur hinter verschlossenen Türen. Der Tod des Kronprinzen war ein in der gesamten Monarchie tabuisiertes Thema, da Franz Joseph verfügt hatte, dass der Name seines Sohnes nicht mehr erwähnt werden dürfe. Von der Existenz einer zweiten Leiche und dass Rudolf nicht allein gestorben war, wussten nur Leser ausländischer Zeitungen. Erst 1918, als der Erste Weltkrieg verloren war und die alte Ordnung aufgehört hatte zu existieren, wurde der Name Mary Vetsera offiziell in Österreich bekannt.

Auch das einzige Kind des Kronprinzen wurde über die wahren Umstände nicht informiert. Ein undurchdringliches, für die Kleine wohl ohrenbetäubendes Schweigen begann ihr Aufwachsen am Hof zu belasten. Als sie älter wurde, getraute sie sich nicht mehr zu fragen. Mord und Selbstmord, Ereignisse, von denen sie nichts wusste, aber stets etwas ahnte, waren die tiefreichendsten Erlebnisse in Erzsis exklusiver, einsamer Kindheit.

Der neue Vormund

In der Hofburg packte Erzsis Personal die Koffer. Die Mutter hatte beschlossen, die Kleine nach Schönbrunn zu bringen, weg vom toten Vater. Keines ihrer vielen weißen Kleider hatte noch bunte Bänder. Das Mädchen wurde in seinen Zimmern eingeschlossen. Außer mit seinem Spielzeug und Lernpensum sollte es sich mit nichts beschäftigen dürfen. Indessen hörte Stephanie nicht auf zu weinen. Sie weinte hauptsächlich um ihre verlorene Stellung, denn die grandiose Aussicht, einmal Kaiserin von Österreich zu werden, war mit ihrem Mann gestorben. Und auch die Tochter hatte man ihr genommen. Wie sich nur allzu bald herausstellte, hatte Rudolf in seinem Testament vom März 1887 seinen Vater Franz Joseph gebeten, seinen letzten Willen nicht nur zu vollstrecken, sondern „auch die Vormundschaft über meine Tochter Elisabeth zu übernehmen“. Erzsi wurde außerdem zur Universalerbin seines „beweglichen und unbeweglichen Vermögens“ bestimmt. Der Witwe Stephanie wurde der lebenslängliche Nutzgenuss an Rudolfs Gütern eingeräumt, sollte sie sich jedoch wiederverheiraten, werde der Nutzgenuss ebenso auf Erzsi übergehen. Für die Zukunft des Mädchens war somit gesorgt. Erzsi war bereits als kleines Kind eine überaus wohlhabende Person und um sie noch weitergehend finanziell abzusichern, hatte sie zusätzlich zum Erbe des Vaters noch einen Zuschuss vom Großvater und Vormund Franz Joseph in der Höhe von zwei Millionen Gulden erhalten.

Als Rudolf diese für das Leben seiner Tochter weitreichenden testamentarischen Verfügungen traf, war er bereits ein sehr kranker, von Todesgedanken geplagter Mann. Trinkgelage, Drogenräusche, Sexabenteuer und vor allem Selbstmordwünsche beherrschten sein Dasein. Er kündigte wiederholt das Herannahen seines Todes an und fragte wahllos Unbekannte nach deren Jenseitsvorstellungen. Eine regelrechte Selbstmordmanie habe von ihm Besitz ergriffen, sagten enge Freunde später. Aufmerksam habe er sterbende Lebewesen beobachtet und dies auch begründet: „Man muss mit den letzten Notwendigkeiten des Lebens rechnen.“ Er versuchte auch, seine Frau an die letzten Dinge heranzuführen, was ihm nicht gelang. Rudolf wusste, dass Stephanie eine strenggläubige Katholikin war. Dass sie einmal einem religiösen Wahn verfallen würde, konnte er nicht vorausahnen, doch wollte er die Möglichkeit, dass Stephanie mit Erzsi Österreich verlassen und die Tochter in einem belgischen Kloster aufwachsen lassen könnte, von vornherein ausschließen. Es war durchaus üblich, „lästige“ Witwen an Königshöfen hinter Klostermauern abzuschieben. Überhaupt wollte Rudolf es Stephanie unmöglich machen, mit dem Kind nach Belgien zurückzukehren. Der Vater der Kronprinzessin-Witwe, König Leopold II. von Belgien, hatte jedoch keinerlei Interesse an seiner Tochter gezeigt und sich ihre Rückkehr sogleich nach Rudolfs Tod verbeten. Franz Joseph war ebenso dagegen, er wollte Erzsi nicht auch noch die Mutter nehmen. Seinen Einfluss als Vormund machte er jedoch in allen Belangen geltend. Stephanie ließ er sehr wohl merken, dass sie aufgrund des Testaments des Kronprinzen mehr oder weniger entmündigt war. Sie hatte jedenfalls nichts zu bestimmen und je älter ihre Tochter wurde, desto mehr wandte sie sich innerlich von ihr ab. Von ihrer Erscheinung und ihrem Charakter her wuchs Erzsi zum Ebenbild ihres Vaters heran und für Stephanie war es, als sähe sie der tote Rudolf in Gestalt der Tochter an.

Fünf Minuten für ein Leben

Der Ehe des Kronprinzenpaares war von allem Anfang an kein Glück beschieden gewesen. Fünf Minuten hatten gereicht, um mehrere Leben zu zerstören. Im Brüsseler Schloss Laeken, in dem Stephanie aufgewachsen war, wurden sie und Rudolf im März 1880 für wenige Augenblicke bei offenen Türen allein gelassen, damit der österreichische Thronfolger die Frage aller Fragen stellen konnte. Stephanie war 15 Jahre alt und wusste genau, worum es ging. Sie antwortete daher artig mit Ja. Zuvor hatte Rudolf mit Stephanie über ihre ältere Schwester Louise gesprochen, die er sehr verehre, wie er sagte. Louise lebte als Ehefrau des Prinzen Philipp von Coburg in Wien und dieser Philipp gehörte zu Rudolfs engsten Freunden. Seine Frau ebenso, er hatte sie längst erobern können. Später wird Louise von Coburg in viele Skandale verwickelt sein, sie kam in die Psychiatrie und wurde sogar entmündigt. Doch vorläufig war das noch Zukunftsmusik. Nach etwa fünf Minuten kehrten Stephanie und Rudolf als Paar zu Leopold II. und dessen Frau Marie Henriette zurück und erbaten den Verlobungssegen. Sie erhielten ihn und durften sich fortan duzen.

Die ungarische Gräfin Marie Festetics, eine Hofdame der Kaiserin Elisabeth, meinte später, der gerissene Brautvater Leopold II. habe den Kronprinzen „eingefangen“. Doch vielleicht hatte Rudolf einfach nur genug von den Brautfahrten, die ihm sein Vater aufoktroyierte. Franz Joseph wusste von den zahlreichen Techtelmechteln des Kronprinzen, wohl auch, dass er in Prag ein jüdisches Mädchen über Gebühr häufig traf, und beschloss daher, er sei reif für den Hafen der Ehe. Vor der Reise nach Brüssel, die als kurzer Stopp einer Besuchsfahrt zu Rudolfs Mutter Elisabeth nach Irland, wo Sisi Reitferien machte, getarnt war, hatte Rudolf schon mehrere Prinzessinnen in Spanien, Portugal und Sachsen in Augenschein nehmen müssen. Sie hatten sich allesamt als taube Nüsse erwiesen. Der österreichische Botschafter in Brüssel, Graf Chotek – der Vater der zukünftigen Ehefrau des zukünftigen Thronfolgers Franz Ferdinand, Sophie von Hohenberg („Sopherl“) –, hatte daraufhin beim König der Belgier vorgefühlt, was dieser zu einer Ehe seiner zweiten Tochter mit dem Erzherzog Rudolf sagen würde. Wie nicht anders zu erwarten war Leopold, Herrscher einer jungen, konstitutionellen Monarchie mit enden wollenden persönlichen Machtbefugnissen im eigenen Land, hocherfreut über die großartige Aussicht, dass „allerhöchstdieselben Majestäten“ des mächtigen Riesenreiches Österreich-Ungarn „den Blick auf meine Tochter“ zu werfen gedachten. Was nicht ganz stimmte, denn Ihre Majestät die Kaiserin gedachte dies keineswegs, was aber nichts nützte. Eine unerwachsene, weißblonde Riesin für ihren flatterhaften, nervösen Sohn, der bisher nur Gefallen am damals modernen „orientalischen“ Frauentyp der kleinen Dunkelhaarigen, oft Älteren, gefunden hatte? Dies konnte nur zu einer Katastrophe führen. Doch Elisabeth hätte die Hochzeit nicht verhindern können. Stephanie war jung, katholisch und standesgemäß, und das war in den Augen Seiner Majestät des Kaisers schon die halbe Miete. Dennoch hatten wohl sogar die belgischen Majestäten nicht mit einer so raschen „Erledigung“ dieses arrangierten Treffens gerechnet, denn es dauerte 14 Tage, bis endlich Fotos der neuen Kronprinzessin in Wien eintrudelten. Man war von den Ereignissen offenbar überrumpelt worden. Als Rudolf seine Braut zum ersten Mal sah, trug sie Maiglöckchen im Haar. Graf Chotek zumindest hatte vorgesorgt …

Franz Joseph, Leopold II., Elisabeth und Marie Henriette mit dem Brautpaar Stephanie und Rudolf, 1881

Auf seiner Verlobungsreise nach Brüssel hatte Rudolf zur „Unterhaltung“ die Schauspielerin Mina Pick mitgenommen, eine seiner damaligen Geliebten. Sie wurde in einem Hotel einquartiert, was verständlicherweise geheim bleiben sollte, aber in „gut informierten Kreisen“ rasch die Runde machte. Zumindest Stephanies Eltern bekamen Wind davon, doch Graf Chotek wusste diplomatisch zu kalmieren. Rudolf absolvierte die Verlobung wie eine Geschäftsreise. Er nahm einen Termin wahr, den andere für ihn vereinbart hatten. Wenigstens in den Nächten gedachte er sich zu amüsieren. Wie sich das gehörte, vermittelte er Mina Pick später einen Ehemann, der gut für sie zu sorgen hatte, und als dieser starb, noch einen zweiten. Vom diesem, dem Grafen August von Leiningen-Westerburg, erwarb er im Jahr 1886 den Gutshof in Mayerling.

Als Kaiserin Elisabeth pflichtschuldig aus Irland in Brüssel anreiste, um ihrem Sohn zur Verlobung zu gratulieren, stand sie sofort im Zentrum der Aufmerksamkeit. Das junge Mädchen Stephanie konnte es nicht annähernd mit dem Glamour der Älteren aufnehmen. Entrückt starrte die belgische Hofgesellschaft auf die elegante Erscheinung der österreichischen Monarchin im zobelbesetzten, dunkelblauen Reisekostüm. Sisi wird ihre hochgewachsene hellhaarige Schwiegertochter bald als „gelbes Trampeltier“ und „juwelenbehangenen wandelnden Turm“ verspotten. Die Hofdame Festetics teilte die Bedenken ihrer Dienstgeberin und fand schon in den Tagen der Verlobung, dass der Kronprinz „nicht sehr glücklich“ aussehe und Stephanie „einen ungünstigen Eindruck“ mache. „Sehr lang, mit großen Gliedern“, hielt sie ihre Beobachtung der Braut im Tagebuch fest, „wie ein Albino, kleine schlaue Augen, rot umrandet. Sehr banal (…) der Verstand fehlt vollkommen.“ Die „großen Glieder“ sollte Erzsi erben, sie hatte beachtliche Hände und Füße, der „fehlende Verstand“ blieb ihr erspart. Ihre äußerst wache Intelligenz kam vom Vater, zusätzlich noch vom „gerissenen“ Großvater mütterlicherseits.

Eine seltene Aufnahme der zukünftigen Kronprinzessin Stephanie als kleines Mädchen in Belgien, um 1870. Sie litt stark unter ihrer hohen Stirn, die sie in Wien durch nicht immer wohl gelungene Haarteile zu kaschieren trachtete. Die „böse“ Schwiegermutter Sisi spottete beißend über die Unzulänglichkeiten des „wandelnden Turms“, wie sie Stephanie zu nennen pflegte.

Fürst Khevenhüller konnte auch anlässlich der Hochzeit noch keine Veränderungen bei Stephanie feststellen: „An der Kronprinzessin ist nicht viel, fadblond, wenig Haare, Gesicht ohne Ausdruck, Nase lang.“

Dies mag alles in den Augen des Publikums wenig zu einer glanzvollen neuen Vertreterin des Habsburgerreiches beigetragen haben, von Bedeutung war aber etwas ganz anderes. Stephanie war nämlich bei ihrer Verlobung noch keine Frau, sie war „nicht formiert“, wie ihr körperlicher (Un-)Reifezustand damals in der offiziellen Korrespondenz genannt wurde. Und ein Mädchen, das noch keine Regel hatte, konnte nicht heiraten. Ihre Aufgabe war es, einen Erben zur Welt zu bringen, dazu mussten alle körperlichen Voraussetzungen erfüllt sein. Man fixierte also bewusst einen recht späten Hochzeitstermin: Am 15. Februar 1881 sollte der große Tag sein. Etwas weniger als ein Jahr war eine sehr lange Wartezeit, denn im Allgemeinen ließ man zwischen Verlobung und Hochzeit etwa sechs Monate verstreichen, um die notwendigen Vorbereitungen treffen zu können. Bei Stephanie und Rudolf wollte man sich länger gedulden in der Hoffnung, die Braut würde in der Zwischenzeit erwachsen werden. Ihr Trousseau, also die Auflistung ihrer Heiratsausstattung, stand bereits fest. Er umfasste viele Seiten und war über 600.000 Francs wert. Man wollte schließlich Eindruck machen. Bei Elisabeths Hochzeit mit Kaiser Franz Joseph hatten die vermögenden böhmischen Gräfinnen nur ein abfälliges Grinsen für die „bayerische Bettelprinzessin“ mit ihren vergleichsweise wenigen Habseligkeiten übrig gehabt. Zumindest eine solche Demütigung sollte der neuen Kronprinzessin erspart bleiben.

 

Otto Wagner saß an seinen Plänen für die Festbeleuchtung und Dekoration der Ringstraße, als die Hiobsbotschaft aus Belgien eintraf. Es wurde offiziell ersucht, die Hochzeitsfeierlichkeiten zu verschieben, da Stephanie für die Ehe noch immer „nicht körperlich reif“ sei. Rudolf schäumte; seine Mutter Elisabeth war verärgert. Was glaubte der in Afrika geldscheffelnde Emporkömmling aus dem Haus Sachsen-Coburg eigentlich? So ging man nicht um mit einer der ältesten Monarchien in Europa.

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