Pferdesoldaten 09 - Das Kanonenboot

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Z serii: Pferdesoldaten #9
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Pferdesoldaten 09 - Das Kanonenboot
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Michael Schenk

Pferdesoldaten 09 - Das Kanonenboot

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Kapitel 1 Ein einfacher Plan

Kapitel 2 Dillings

Kapitel 3 Kriegsrat

Kapitel 4 Coopers Landing

Kapitel 5 Patrick Seamus Finnegan

Kapitel 6 Vorbereitungen

Kapitel 7 Von Sorge und Hoffnung

Kapitel 8 Unter Dampf

Kapitel 9 Während der Nacht

Kapitel 10 Der Blockadebrecher

Kapitel 11 Nebel über dem Mississippi

Kapitel 12 Gefährlicher Landgang

Kapitel 13 Vor Vicksburg

Kapitel 14 Ein „konföderierter“ Baumstamm

Kapitel 15 Besorgniserregende Gerüchte

Kapitel 16 Entdeckt

Kapitel 17 Artillerie-Duell

Kapitel 18 Überraschungsangriff

Kapitel 19 Die Flotte von Dillings

Kapitel 20 Zwischen den Kanonen

Kapitel 21 Gefecht auf dem Mississippi

Kapitel 22 Längsseits

Kapitel 23 Unerwartetes Feuer

Kapitel 24 Katz und Maus

Kapitel 25 Zwischenbilanz

Kapitel 26Vormarsch

Kapitel 27Im Hafen von Dillings

Kapitel 28Das Duell der Kapitäne

Kapitel 29 Rasche Entscheidung

Kapitel 30 Ausklang mit Feuer

Kapitel 31 Karte zum Roman

Kapitel 32 Ankündigung

Kapitel 33 Hinweis zur Suche bei Amazon

Kapitel 34 Preiserhöhung und Erscheinungstermine

Kapitel 35 Historische Anmerkung

Kapitel 36 Bisher erschienen:

Kapitel 37 Hinweis: Für Freiheit, Lincoln und Lee

Impressum neobooks

Kapitel 1 Ein einfacher Plan

Pferdesoldaten 09

Das Kanonenboot

Military Western

von

Michael H. Schenk

© M. Schenk 2019

Die Nentucket war ein beeindruckendes Schiff. Sie war hundertzehn Meter lang und fast fünfzehn breit. Zwei Expansionsmaschinen erzeugten bis zu acht Bar Druck. Sie trieben das Schaufelrad am Heck mit bis zu zwölf Kilometern in der Stunde an. Das Rad wies eine Breite von knapp neun Metern und einem Durchmesser von acht auf, verfügte über zwölf Schaufeln, die man auch als „Paddel“ bezeichnete und wog fast vierundvierzig Tonnen. Trotz seiner Wasserverdrängung von immerhin 2.700 Tonnen, hatte die Nentucket nur 1,7 Meter Tiefgang und besaß einen flachen Boden, ohne Kiel. Somit war sie auch für die seichteren Stellen des Mississippi geeignet.

Das Dampfschiff gehörte zu den größten und luxuriösesten seiner Art, denn bis zum Beginn des Bürgerkrieges hatte es als schwimmendes Spielkasino gedient. Nun waren Spieltische und Bühne ausgebaut. Die Nentucket transportierte ein halbes Regiment Unionsinfanterie. Dennoch ging es nicht beengt zu, denn der gewaltige Raddampfer konnte bequem bis zu 450 Passagiere aufnehmen. Die achtzig Kabinen waren über vier Decks verteilt, die noch vom Ruderhaus mit dem großen Steuerrad überragt wurden. Berücksichtigte man die beiden großen Schornsteine, direkt hinter diesem, dann ragte das Schiff fast siebzehn Meter über das Wasser auf.

Die Nentucket hatte zahlungskräftige Passagiere anlocken sollen und so legte man Wert auf ihr Äußeres. Der Rumpf war in kräftigem Rot gehalten, die Decks hingegen in strahlendem Weiß, von blau gestrichenen Handläufen umgeben. Die Schornsteine glänzten Schwarz. Sogar das Heckrad war in Blau gehalten, obwohl die Farbe gerade dort immer wieder erneuert werden musste. Die Knäufe der Handläufe hatte man vergoldet, ebenso die Klinken der Kabinen. Die Polster in den beiden Salons waren mit rotem Samt bezogen, der nun, durch wenig rücksichtsvolle Soldaten, in Mitleidenschaft gezogen wurde.

Der Kapitän und die Besatzung des Schiffes zeigten sich nicht sehr glücklich darüber, dass ihr stolzes Schiff nun als Truppentransporter diente. Ihr Patriotismus hielt sich in überschaubaren Grenzen, wenn sie erlebten wie genagelte Brogans die teuren Teppiche malträtierten oder die Kolben von Gewehren immer wieder das teure Mobiliar beschädigten. Man hatte nicht genügend Zeit gehabt, alle diese Dinge in Sicherheit zu bringen. Zu überraschend waren Schiff und Besatzung in den Dienst der United States Navy gestellt worden.

Der gehobene Standard an Bord der Nentucket war wohl auch der Grund, warum sich Commodore Isaac Lumbers auf ihr einschiffte und sie als Flaggschiff nutzte, auch wenn der Marineoffizier betonte, dies geschähe ausschließlich, da ihm das hoch gelegene Führerhaus einen besseren Überblick über das Geschehen biete, als der eines Kanonenbootes.

Wahrscheinlich würde der Kapitän dies als akzeptables Übel hingenommen haben, wäre da nicht die Wahrscheinlichkeit gewesen, dass sein schönes Schiff unter Beschuss geraten würde. Die Konföderierten schätzten es nicht besonders, wenn ein Dampfer Versorgungsgüter oder Truppen der Union an Bord hatte, was umgekehrt ebenso der Fall war.

Die Nentucket fuhr im Verband mit drei anderen Schiffen. Flussabwärts. Sie fuhren mit der Strömung, was ihnen zu höherer Geschwindigkeit verhalf. Die schnelle Fahrt rief bei den Wenigsten an Bord Begeisterung hervor, denn sie bedeutete, dass man auch schneller am Feind sein würde. Einem Feind, für den die Nentucket und der ähnlich große Passagierdampfer hinter ihr, kaum zu übersehende und wehrlose Ziele darstellten.

Eigentlich sollten die beiden Truppentransporter durch zwei der neuen Kanonenboote geschützt werden, deren Waffen jeden Widerstand brechen konnten, doch die U.S.S. Calliope hatte Maschinenschaden. Die Reparatur würde zwar nur drei Tage in Anspruch nehmen, doch Commodore Lumbers wollte nicht so lange warten. Jede Verzögerung böte den Rebellen die Gelegenheit, die Unionsflottille zu entdecken und sich auf sie vorzubereiten.

So war die U.S.S. Mayhew das einzige bewaffnete und gepanzerte Schiff des kleinen Verbandes. Immerhin war das „ironclad gunboat“ der City-Klasse ein Achtung gebietendes Schiff. Die City-Klasse war die Konsequenz aus den Erfolgen gepanzerter Fregatten zur See und dem Umstand, dass man auf Flüssen einen deutlich geringeren Tiefgang benötigte. Besonders dann, wenn man auf dem Mississippi unterwegs war.

Die U.S.S. Mayhew verdrängte nur fünhundertzwölf Tonnen, war dreiundfünfzig Meter lang und fast sechzehn breit. Sie wurde ebenfalls durch zwei Expansionsmaschinen angetrieben und konnte mit dem 6,7 Meter durchmessenden Heckrad knapp fünfzehn Kilometer in der Stunde erreichen. Ihr Tiefgang betrug einhundertachtzig Zentimeter, was der Tatsache geschuldet war, dass sie schwere Waffen trug, allerdings nur teilweise gepanzert war. Den Spitznamen „Schildkröte“ verdankte sie der Schräge von rund sechzig bis fünfundvierzig Grad, in der die Panzerplatten auf die hölzerne Grundkonstruktion aufgeschraubt oder genietet waren. Das Schiff ragte, inklusive des Ruderhauses, kaum neun Meter aus dem Wasser und besaß nur ein einziges Deck. Die vorderen zwei Drittel gehörten der Kasematte, dem Batteriebereich, das hintere der Maschine und den Holzvorräten. Die Kasematte war vierundsechzig Millimeter dick gepanzert, das Ruderhaus achtunddreißig. Dieses bestand aus dem kegelförmigen Steuerstand, in dem sich das große Rad befand und einem tonnenförmigen Aufbau für Beobachtungszwecke und Artillerieleitung. Der Rest des Schiffes war ungeschützt, allerdings lag das Schaufelrad am Heck innerhalb der Panzerhülle.

 

Während ein großer Frachtdampfer auf dem Mississippi mit kaum fünfzehn Mann Besatzung auskam, befanden sich auf der Mayhew 251 Mannschaftsmitglieder. Dies war den schweren Geschützen geduldet, die bis zu zehn Mann Bedienung benötigten.

Das Kanonenboot verfügte am Bug über zwei 32-Pfünder, an den Seiten über je vier 20,3-Zentimeter-Hinterlader. Im Gegensatz zu den neueren Schiffen ihrer Klasse, besaßen die U.S.S. Mayhew und ihr Schwesterschiff U.S.S. Calliope noch keine Heckwaffen. Die Bewaffnung der Kanonenboote konnte sich in Zukunft erheblich unterschieden.

Commodore Lumbers war davon überzeugt, dass die Waffen der U.S.S. Mayhew vollkommen ausreichend waren, um jeden Widerstand der Rebellen zu brechen, auch wenn er auf das zweite Kanonenboot verzichtete.

Im Augenblick stand Isaac Lumbers im ungeschützten Ruderhaus der Nentucket, paffte gemütlich an seiner voluminösen Pfeife und sah durch die Frontscheibe auf den Fluss hinaus. Hinter dem großen Flussdampfer folgte der zweite Truppentransporter, die Missouri Lady. Vorne dampfte die U.S.S. Mayhew. Stolz wehte eine übergroße Fahne der Union über ihrem Heck, während mächtige Rauchwolken aus ihren beiden Schornsteinen stiegen.

Die verräterischen Rauchfahnen der Dampfboote waren schon auf größere Entfernung zu erkennen und würden den Feind vorwarnen. Damit umgekehrt auch die Unions-Flottille rechtzeitig gewarnt werden konnte, benutzte Lumbers ein kleines Dampfboot als Vorhut.

Die Louisville war ein Frachtboot. Sie besaß ungefähr die Abmessungen der Mayhew und zwei Decks, die gewöhnlich dem Transport von Holz, Baumwolle, Rindern und anderen Waren dienten. Ihr Kapitän befuhr den Mississippi seit vielen Jahren. Er kannte jede Stelle wo Untiefen drohten oder gefährliche Strömungen herrschten. Der Steuermann der Louisville behauptete felsenfest, sein Kapitän kenne sogar jeden der zahllosen Alligatoren beim Namen, die immer wieder zu beobachten waren.

Die Aufgabe der Louisville war einfach. Dem Verband ein gutes Stück vorausfahren und einen möglichst harmlosen Eindruck machen. Entdeckte man an Bord eine konföderierte Artilleriestellung, so sollte man durch Flaggensignale die nachfolgenden Schiffe alarmieren. Der Mayhew fiel dann die Aufgabe zu, die Batterie niederzukämpfen und die Durchfahrt zu erzwingen.

Commodore Lumbers rechnete mit keinem ernsten Widerstand. In diesem Bereich des Mississippi hielten sich keine gepanzerten Kriegsschiffe der Rebellen auf. Es gab auch keine Küstenbatterien, wie in den Forts an der Küste. Die Truppenverbände, welche die Konföderierten in diesem Gebiet unterhielten, konnten den Schiffen kaum gefährlich werden. Zudem hatten sie alle Hände voll damit zu tun, die Landtruppen der Union zu bekämpfen.

Es war der Juni im Jahr 1863 und die Union belagerte die konföderierte Stadt Vicksburg.

Die Stadt lag am Ostufer des Mississippi, entlang eines Höhenzuges, der sich bis zu sechzig Meter über den Fluss erhob. Diese erhöhte Lage begünstigte die Verteidigung der Stadt, die zudem durch vorgelagerte Palisaden, Forts und Gräben erweitert worden war. Die Union beabsichtigte, Vicksburg und Port Hudson, in Louisiana, einzunehmen und damit die Kontrolle über den Mississippi zu erlangen. Damit würde die Union die Konföderation geographisch in zwei Teile spalten und den Fluss als Versorgungsweg für den Süden ausschalten, während sie selbst ihn für den Transport von Truppen und Nachschub nutzen konnte.

Vicksburg war somit für beide Seiten von enormer Bedeutung.

Während auf Unionsseite General Ulysses Simpson Grant rund 97.000 Soldaten, bis zu 220 Geschütze verschiedener Typen und die Mississippi-Flottille in die Schlacht warf, standen dem konföderierten General John C. Pemberton nur 30.000 Soldaten und knapp 150 schwere Waffen zur Verfügung. Eine Reihe von nachträglich bewaffneten Dampfschiffen war von Pemberton in die Verteidigung eingegliedert worden.

Die Versorgungslage der Konföderierten war jedoch nicht besonders gut. Es mangelte an Waffen und an Munition.

Am Morgen des 17. Mai 1863 eröffnete Grant den Angriff auf die Verteidiger einer Brücke, die über den Fluss führte. Die meist unerfahrenen konföderierten Soldaten wurden vom Schwung der Unionstruppen dermaßen überwältigt, dass sie den Kampf bereits nach drei Minuten aufgaben und sich hastig, wenn auch überwiegend geordnet, nach Vicksburg zurückzogen.

Hier stießen die verfolgenden Unionssoldaten jedoch auf gut ausgebaute Stellungen, die aus Schützengräben, Palisaden und Forts bestanden. Wie in jedem Krieg und jedem Kampf, erlitten die Angreifer nun deutlich höhere Verluste, als die Verteidiger. Doch während Grant einigen Nachschub und Verstärkungen erhielt, waren die verfügbaren Kräfte der Südstaatler begrenzt. Der Druck der Unionstruppen wurde schließlich so groß, dass es Grant gelang, die Stadt von allen Seiten einzuschließen und von jeder Versorgung abzuschneiden.

Die Kanonenboote der Mississippi-Flottille begannen zudem, von der Flussseite mit dem Beschuss der Verteidigungsstellungen und der Stadt. Die wenigen Dampfschiffe der Konföderierten waren rasch ausgeschaltet, zumal die konföderierte Artillerie Munition sparen musste. Immerhin gelang es einer Batterie am 27. Mai, das Kanonenboot U.S.S. Cincinnati zu versenken.

Während Grant einen eisernen Ring um die Stadt Vicksburg legte, versuchte man im „Hinterland“ der Konföderation verzweifelt, der notleidenden Stadt mit Nachschub, Lebensmitteln und frischen Truppen zu Hilfe zu kommen. Der Union lagen Berichte vor, dass man in der kleinen Stadt Dillings, direkt am Ufer des Mississippi gelegen, ein Nachschublager anlegte und eine kleine Dampferflotte zusammenstellen wollte, um die Blockade zu durchstoßen und Vicksburg die dringend erforderliche Hilfe zu bringen.

Commodore Isaac Lumbers hatte den Befehl, dies zu unterbinden. Er war fest entschlossen, die Mission seines kleinen Verbandes zu einem vollen Erfolg werden zu lassen. Sein Auftrag lautete dahingehend, Dillings zu erreichen und die dortigen Vorräte und Dampfschiffe zu vernichten. Zwei Kanonenboote und ein Regiment Infanterie sollten hierzu mehr als ausreichend sein. Zwar verfügten die Rebellen über einige Truppen in der Nähe, doch wenn Lumbers schnell und entschlossen zuschlug, würden diese den Coup des Unions-Verbandes nicht verhindern können.

„Ein Plan muss einfach sein, damit er auch gelingen kann“, murmelte Lumbers und sog an seiner Pfeife. „Je komplizierter er ist, desto mehr Risiken entstehen, die ihn zum Scheitern bringen können. Daher werden wir schnell und hart zuschlagen, und wieder verschwinden, bevor die Rebellen reagieren können.“

Der Kapitän der Nentucket rauchte ebenfalls Pfeife und für einen Moment schien es, als qualmten beide Seemänner um die Wette mit den beiden Schornsteinen, die hinter ihnen aufragten. Der Flusskapitän warf Lumbers einen skeptischen Blick zu. „Hören Sie, Mister Commodore, das ist ja schön und gut, aber nur so lange, wie die Rebellen dabei mitspielen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die ein neues Nachschub-Depot ohne wirksamen Schutz lassen.“

„Oh, dafür haben sie gesorgt.“ Der Commodore grinste verächtlich. „Eine Menge Infanterie und Kavallerie sind in der Nähe. Nichts, was uns gefährlich werden könnte.“

„Hören Sie, Mister Lumbers, solche Truppen werden immer von Artillerie begleitet.“ Der Kapitän des Dampfers legte sichtlichen Wert darauf, zu betonen, dass er noch immer Zivilist sei. Er mied es tunlichst, den Commodore mit dessen Rang oder mit Sir anzusprechen. Er mochte sich dem Willen des Militärs fügen, doch als Flussschiffer sah er sich eher neutral und keiner Seite verbunden. Seine Treue galt dem mächtigen Strom, seiner Nentucket und deren Besatzung.

„Feldartillerie, Kapitän. Die haben nichts, was uns ernsthaft zusetzen könnte.“

„Das mag für Ihr gepanzertes Kanonenboot gelten, aber meine hübsche Lady hier, die besteht aus Holz. Da reichen auch schon leichte Feldgeschütze aus, um Späne aus ihr zu machen.“

Lumbers Blick verriet seine Missbilligung. „Und die Geschütze der gepanzerten Mayhew reichen aus, um aus jeder ungeschützten Feldbatterie Späne zu machen.“

„Ich bete zum Allmächtigen, dass Sie Recht behalten, Mister Commodore“, knurrte der Kapitän. „Wir sind übrigens nicht mehr weit von Dillings entfernt. Noch zwei Flussbiegungen und wir haben es in Sicht.“

Die kleine Louisville erreichte die Erste der Biegungen. Ihre qualmenden Schornsteine verschwanden allmählich hinter einer vorspringenden und dicht bewaldeten Landzunge.

Es ging auf den Mittag eines schönen Sommertages zu. Der Commodore nahm sein Fernglas und suchte die Seiten des Flusses ab. In der Nähe der Landzunge gab es eine kleine Sandbank. Lumbers beobachtete zwei Alligatoren, die dort faul in der Sonne lagen. Einer von ihnen schien nun zu gähnen und der Offizier registrierte durch sein gutes deutsches Glas, wie Respekteinflößend das Gebiss der Echse war. Mancher Flussschiffer oder Angler war solchen Zähnen schon zum Opfer gefallen und Passagiere machten sich gelegentlich einen Spaß daraus, ihre Treffsicherheit an den Panzertieren zu üben.

„Wenigstens ist die kleine Louis schnell und leicht zu manövrieren“, meinte der Steuermann. „Das wird ihr helfen, falls sie von den Rebellen unter Beschuss genommen wird.“

Im Gegensatz zu den anderen Raddampfern der Flottille, verfügte die Louisville nicht über ein großes Heckrad, sondern zwei seitliche Antriebsräder. Es gab immer wieder Debatten unter den Flussschiffern, welche Antriebsart wohl besser wäre, denn beide Varianten hatten ihre Vor- und Nachteile. Der Vorteil der seitlichen Räder war, dass sie separat gesteuert werden und sogar entgegengesetzt eingekuppelt werden konnten. Das machte ein Schiff so beweglich, dass es sich fast auf der Stelle drehen konnte. Es benötigte auch nicht unbedingt ein Ruderblatt zum Steuern, welches bei den Heckraddampfern stets ein Schwachpunkt war. Als Nachteil boten die ausladenden seitlichen Räder allerdings eine große Angriffsfläche für das viele Treibholz und die oft unsichtbaren Baumstämme, welche unter Wasser eine tödliche Gefahr bildeten. Das Rad eines Heckraddampfers war dagegen besser geschützt, half allerdings nicht bei der Steuerung. Diese gelang beim Heckantrieb nur mit Hilfe von einem oder (meist) zwei Ruderblättern, die unter dem flachen Rumpf und unmittelbar vor dem Heckrad angebracht waren. Da sie Strömungswiderstand bieten mussten, lagen sie in der Regel ungeschützt unter Wasser und konnten ebenfalls leicht durch Unterwasserhindernisse beschädigt oder sogar zerstört werden. Bei den neuen Kanonenbooten lagen diese Ruderblätter in einer Art Hohlkehle des Unterwasserschiffes. Dort waren sie relativ gut geschützt, ihre Wirksamkeit galt jedoch als reduziert.

„Signal von der Mayhew“, kommentierte der Steuermann.

Commodore Isaac Lumbers brauchte niemanden, der die Bedeutung der Signale interpretierte. Jeder gute Seemann kannte sie. „Meldung von der Louisville“, murmelte er. „Ziel in Sicht. Keine Rebellenaktivitäten.“ Er lächelte erleichtert. „Wie ich es mir bereits gedacht habe. Wir überraschen die Rebellen.“

„Oder sie halten sich versteckt und lauern darauf, dass wir ihnen vor die Kanonen fahren“, erwiderte der Kapitän bissig.

„Verdammt, Captain“, fuhr Lumbers auf, „fehlt es Ihnen an Mut?“

„Ich bin verantwortlich für mein Schiff und meine Besatzung“, kam die grimmige Erwiderung. „Und im Übrigen auch für die Passagiere an Bord.“

„Im Augenblick trage ich die Verantwortung, Captain, denn Ihre Nentucket ist nun ein, äh, Hilfsschiff der United States Navy und was Sie als Passagiere bezeichnen, das sind hartgesottene Infanteristen der Union. Bringen Sie uns nach Dillings, Captain, denn das ist Ihre Aufgabe. Für alles Andere bin ich zuständig.“

Es war Krieg und Lumbers hatte Recht: Die U.S.-Navy hatte die Nentucket beschlagnahmt und konnte sie nach Belieben einsetzen. Ihr Besitzer erhielt gute Unions-Dollars für ihre Benutzung und man würde ihm wohl auch ihren Verlust ersetzen. Aber für den Kapitän zählten, wenigstens in diesem Falle, nicht die Dollars. So sog er mit kaum verhohlenem Zorn an seiner Pfeife und starrte, neben dem Steuermann stehend und die Hände auf dem Rücken ineinander gelegt, in grimmigem Schweigen auf den Fluss hinaus.

 

Sie alle lauschten aufmerksam, ob hinter der Flussbiegung Kanonendonner ertönte, doch bis auf das Stampfen der Maschinen, das Rauschen der Schaufelräder und des Wassers sowie das Kreischen zahlreicher Vögel, blieb es ruhig.

An der U.S.S. Mayhew, die rund fünfhundert Meter voraus fuhr, war Bewegung zu sehen. Die Schutzblenden an den seitlichen Stückpforten wurden geöffnet. Aufgrund der Größe der Geschütze und der Breite des Schiffes ragten die Läufe konstant über dessen Seite hinaus. Sie wurden nicht, wie bei Seeschiffen üblich, vollständig in den Rumpf eingezogen. Es gab keine vollständige Abdeckung der Waffenöffnungen, wie sie auf See, zum Schutz gegen das Eindringen von Wasser bei hohem Wellengang, erforderlich waren. Bei der Mayhew bestand der Pfortendeckel aus zwei Teilen, die einen Ausschnitt aufweisen, durch welche der Lauf hinaus ragte. Zum Gefecht klappten die Lukenteile nach oben und unten oder zu den Seiten und gaben das Geschütz damit frei, damit man es seitlich leichter korrigieren konnte. Genau dies geschah nun. Der Kapitän des Kanonenbootes machte Gefechtsklar.

An Bord der Nentucket waren Befehle und das Getrappel von Füßen zu vernehmen. Auch die Infanteristen wurden nun kampfbereit gemacht. Dicht an dicht gedrängt, traten sie auf die umlaufenden Gänge der Decks. Jene, die das konföderierte Ufer im Blickfeld hatten, umklammerten ihre Waffen ein wenig fester. Man war zuversichtlich, auch wenn man bei den Konföderierten immer wieder mit Überraschungen rechnen musste.

Auf der nachfolgenden Missouri Lady wurden die gleichen Vorbereitungen getroffen.

Der kleine Seitenraddampfer Louisville umrundete nun die letzte Biegung des Flusses, die vor Dillings lag.

„Ruder Backbord“, befahl ihr Kapitän. „Wir müssen auf die Fahrrinne achten.“

„Aye“, bestätigte der Steuermann wortkarg.

Sie beide kannten diesen Teil des Mississippi und seine gefährlichen Untiefen. Vor Dillings lag eine große Sandbank, die den Fluss teilte. Die befahrbare Rinne lag, flussabwärts gesehen, links und nötigte das Schiff, näher an das dortige Ufer zu fahren. Aufgrund ihres niedrigen Tiefgangs hätte der kleine Dampfer auch die flachere westliche Fahrrinne nutzen können, doch sein Kapitän dachte an die größeren Schiffe, die ihm folgten.

Voraus, am östlichen Ufer, lagen wogende Getreidefelder, dahinter waren die Häuser der kleinen Stadt Dillings zu erkennen. Mit knapp dreitausend Einwohnern war sie weder besonders groß, noch bislang von besonderer Bedeutung. Sie lag in einem Bereich, in dem sich der Mississippi auf bis zu drei Kilometer erweiterte und wo einer der Nebenflüsse in den mächtigen Strom mündete. Eine solide Brücke überspannte den Nebenfluss und eine der Überlandstraßen führte am östlichen Ufer entlang. Dort war inzwischen der Bau einer Eisenbahnlinie geplant. Zum westlichen Ufer und der dortigen Straße existierte eine Fährverbindung, deren Ponton durch Muskelkraft betrieben wurde. Eine Schinderei, die durch zwei Dutzend Sklaven bewältigt wurde.

Die seenartige Erweiterung bei Dillings wurde abermals durch eine Sandbank eingeengt, die ungefähr in der Mitte lag.

Die Stadt bestand aus einigen hundert Häusern, überwiegend aus Holz erbaut. Nur im Bereich des kleinen Hafens existierten ein paar solide Steinbauten, die vornehmlich als Lager dienten. Die kleine Stadt war der Umschlagplatz für Waren in das Hinterland und für Holz, Melasse und Baumwolle, die von hier verschifft wurden.

„Ziemlicher Betrieb“, stellte der alte Kapitän lakonisch fest. „Ich zähle sieben Dampfer an den Anlegern. Drei davon Dreidecker.“

Der Steuermann warf nur einen kurzen Blick zum Land, da er sich auf Verwirbelungen im Wasser und treibendes Holz konzentrierte. „Aye.“

„Im Hafen ist eine Menge los“, fuhr der Kapitän fort. „Ich sehe etliche Frachtwagen an den Lagerhäusern. Scheint zu stimmen, dass die Rebellen dort Vorräte für Vicksburg sammeln. Die unerwartet große Zahl an Schiffen deutet ebenfalls darauf hin. Zu viele Schiffe für Dillings. Normal wären Zwei oder höchstens Drei. Ich zähle aber Sieben.“

„Sagten Sie schon, Käpt´n“, brummte der Mann am großen Steuerrad. „Bewaffnete?“

Der Kapitän seufzte erleichtert. „Ich kann keine Waffen auf den Schiffen sehen und auch keine Geschütze, die irgendwo an Land herumstehen.“

„Vielleicht haben sie die versteckt“, äußerte der Steuermann seine Sorge.

„Glaube ich nicht.“ Der Kapitän setzte sein kleines Teleskop an und musterte das Ufer um die Stadt. „Ich sehe auch keine Spuren, die auf neue Gräben, Aufschüttungen oder Befestigungen hinweisen. Dieser Commodore hat wohl recht, dass wir die Rebellen überraschen. Ich muss zugeben, dass mich das doch wundert. Die Leute sind nicht dumm und wissen doch, wie sehr die Union darauf aus ist, den Mississippi unter ihre Kontrolle zu bekommen.“ Er setzte das Glas kurz ab, wischte sich über die Augen und setzte es erneut an. „Hm, drei der Schiffe stehen unter Dampf. Einer der Großen und zwei der Kleinen. Die Kleinen machen jetzt los. Wohl unser Begrüßungskomitee. Pete, wir müssen die Dinger im Auge behalten. Das könnten Rammboote sein.“

Ein Schiff nachträglich mit Geschützen zu bewaffnen, war keineswegs einfach. Selbst ein leichtes Feldgeschütz auf Radlafette konnte Probleme bereiten. Sein tonnenschweres Gewicht belastete die Planken auf kleinem Raum und der mächtige Rückstoß beim Abfeuern ließ es auf seiner Lafette bocken. Auf Schiffen benutzte man üblicherweise keine Rad- sondern Blocklafetten und befestigte solide Brocktaue an den Waffen, damit sie nur wenig zurück rollten. Einen gewöhnlichen Mississippidampfer zu bewaffnen, das erforderte daher Einiges an Können und diverse Umbauten. Demgegenüber war es ein Kinderspiel, aus einem Dampfboot eine gefährliche Waffe zu machen, denn man konnte einen Feind, statt ihn durch Beschuss zu versenken, auch rammen und somit den gleichen tödlichen Schaden zufügen. Viel brauchte es dazu nicht. Es reichte aus, den Bug mit ein paar soliden Bohlen zu verstärken und einen Rammdorn anzubringen. Zu seiner Anfertigung genügte es, einen soliden Baumstamm zurechtzusägen, ihn anzuspitzen und im Feuer zu härten. Er würde jeden hölzernen Rumpf zertrümmern. Union und Konföderation besaßen in ihren Marinen einige Schiffe, die keine Bewaffnung, außer einer solchen Ramme, aufwiesen.

„Die Mayhew kommt.“ Der Kapitän blickte kurz über die Schulter. „Schön, Pete, wir dampfen flussabwärts. Soll sich das Kanonenboot mit den Rebellen herumärgern.“

Um die Biegung war das dunkle Kanonenboot aufgetaucht, nun gefolgt von den beiden großen Passagierdampfern. Welchen Eindruck dies auf die Südstaatler machte, war nicht zu erkennen, doch als erste Reaktion änderten die beiden kleinen Dampfboote aus Dillings den Kurs und fuhren nun flussaufwärts dem Feind entgegen. Ihre Maschinen arbeiteten emsig, um gegen die Strömung anzukämpfen.

An Bord der Mayhew konnte man sich nicht sicher sein, ob man es mit feindlichen Rammbooten zu tun hatte oder ob einfach nur ein paar Neugierige kamen, um sich den kleinen Verband der Unionsschiffe anzusehen. Ein paar harmlose Zivilisten und eventuell sogar Ladies zu versenken, war sicher nicht im Sinne der U.S.-Navy. Der Kapitän entschloss sich zu einer Warnung. Er feuerte eines der beiden Buggeschütze ab. Da er in flachem Winkel schoss, zog das Projektil eine beeindruckende Spur aus aufspritzendem Wasser über die Oberfläche, bis es im Fluss versank.

Als die beiden Dampfboote unbeeindruckt näher kamen, war deutlich, dass sie feindliche Absichten hegten. Die Weite des Mississippi bot hier, trotz der mittleren Sandbank, genügend Raum zum Manövrieren und die beiden kleinen Dampfer teilten sich jetzt.

Das zweite Buggeschütz feuerte. Der Richtschütze hatte den richtigen Moment abgepasst und die Gunst des Schicksals auf seiner Seite. Das dreiundzwanzig Pfund schwere und massive Geschoss schlug im Bug eines der Dampfer ein, raste durch den hölzernen Rumpf und verwandelte den Angreifer in ein verstümmeltes Wrack.

Der zweite Angreifer nutzte seinerseits den Umstand, dass die Mayhew nun beide Bugwaffen eingesetzt hatte. Zwar ließ deren Kapitän nun Ruder legen, damit sein Schiff dem Angreifer zunehmend die Breitseite mit den geladenen Geschützen zuwandte, doch es war zu spät.

Obwohl ein paar Gewehre und Revolver gegen die Konföderierten abgefeuert wurden, gelang es diesen, den Bug des Kanonenbootes mit der Ramme zu treffen. Es war kein idealer Rammstoß, da er nicht senkrecht, sondern schräg auf das hölzerne Unterwasserschiff traf, dennoch war der Schaden für die Mayhew verheerend.

Der Stoß warf die Männer auf beiden Schiffen von den Beinen, während das laute Bersten von Holz ertönte. Dass es ein tödlicher Treffer war, wurde den Unionisten sofort bewusst, denn der Bug begann sich innerhalb weniger Augenblicke zu neigen.

Die Konföderierten fanden keine Zeit, ihren Triumph auszukosten. Selbst angeschlagen, fuhren sie an der Seite des Kanonenbootes entlang, direkt vor den Mündungen der schussbereiten 20,3-Zentimeter. Einer der Kanoniere fand Halt und die Gelegenheit, die Reißleine zu ziehen. Das Geschoss zischte harmlos über den kleinen Dampfer hinweg, doch die Druckwelle des Abschusses zerschlug seine Aufbauten und brachte das kleine Wasserfahrzeug beinahe zum Kentern, wodurch seitlich Wasser eindrang. Somit waren nun beide Wasserfahrzeuge dem Untergang geweiht.

Der Kapitän der Mayhew begriff, dass er nur eine einzige Chance hatte, Schiff und Besatzung zu retten. Die meisten Männer an Bord konnten nicht schwimmen und würden hilflos ertrinken, wenn sie über Bord sprangen.

„Zur Sandbank!“, befahl er dem Steuermann und wandte sich mit dem Sprachrohr dem Heck zu. „Boote klarmachen! Wir verlassen das Schiff!“

An den beiden Rettungsbooten, die seitlich, an der Panzerung vor dem Heck, in ihren Aufhängungen schwangen, entstand fieberhafte Aktivität, während das sinkende Kanonenboot der Sandbank entgegen glitt. Die panischen Maschinisten räumten fluchtartig den größtenteils unter dem Wasserspiegel liegenden Maschinenraum. Über ihnen dachte keiner an die Sicherung der Geschütze. Alles drängte auf das Oberdeck und zum Heck. Strömung und Restgeschwindigkeit sorgten jedoch dafür, dass sich die Mayhew der Sandbank näherte.