Stil und Text

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2.5.2.4 RezipientenbeeinflussungRezipientenbeeinflussung: GestaltungsstrategienGestaltungsstrategie

In diesem Abschnitt werfen wir ein Streiflicht auf persuasives Gestalten bzw. auf Stile in der persuasiven Textkommunikation, bei der auf das Denken, Fühlen und Handeln von Menschen strategisch Einfluss genommen wird. Von der antiken Rhetorik sind Lehrsätze überliefert, wie man wirkungsvoll in der Öffentlichkeit redet, vor allem aber, wie man das Redepublikum so beeinflussen kann, dass das Redeziel erreicht wird. Aber auch in Schrifttexten lassen sich Merkmale persuasiver Kommunikation nachweisen, und längst finden auch Bilder, Farben und Töne als GestaltungsmittelGestaltungsmittel (Persuasorien) Berücksichtigung. PersuasivePersuasion Kommunikation ist strategiegeleitete Kommunikation, denn der Textproduzent befindet sich in einer Problemsituation. Er rechnet mit einer Kommunikationsbarriere dergestalt, dass es zwischen ihm und dem Kommunikationspartner eine Divergenz der Anschauungen (Meinungen), Überzeugungen, Einstellungen, Handlungsdispositionen gibt, die bis zur Kommunikationsverweigerung gehen kann. In diesem SituationskontextSituationskontext werden GestaltungsstrategienGestaltungsstrategie zur Überwindung von Kommunikationsbarrieren entwickelt, d.h. Problemlösungskonzepte erarbeitet, die Lösungsziele (strategische GestaltungsprinzipienGestaltungsprinzip bzw. -ideen) und Lösungswege (strategische GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren und -mittel) enthalten und aufeinander beziehen. Gestaltungsstrategisches wird in den Textstrukturen manifest. Einige unserer bisherigen Beispieltexte sind persuasiv gestaltet. Wir greifen sie nochmals auf, um ihre gestaltungsstrategischen, persuasionsstilistischen Merkmale zu beschreiben.

1. Kommerzielle Werbeanzeigen (Texte 2, 13 u. 15): In Texten der kommerziellen Werbung kommt es aus der Perspektive des Anbieters darauf an, Rezipienten zum Kauf eines Produkts zu bewegen oder zu verführen. Diesem primären Kommunikationsziel ist u.a. die IdealisierungsstrategieIdealisierungsstrategie verpflichtet. Das Produkt und sein Erwerb werden als absolut vollkommen angepriesen. Der Umsetzung dieser Strategie dient u.a. das Auflisten von Vorzügen (siehe Text 2). In anderen Texten wird die VerfremdungsstrategieVerfremdungsstrategie umgesetzt, z.B. durch das VerdeckenVerdecken des Themas, indem man einen kindlichen „Erpresserbrief“ erfindet (siehe Text 13), oder man greift auf die VerblüffungsstrategieVerblüffungsstrategie zurück, bei der an die Stelle des Auflistens von Vorzügen ein anderes Verfahren tritt, z.B. das Herausstellen von scheinbaren Mängeln (siehe Text 15).

2. Politischer Werbebrief (Text 14): In Texten der politischen Werbung wird den Rezipienten ein bestimmtes Wahl- bzw. Abstimmungsverhalten nahegelegt. In unserem Beispieltext wird dazu die EinhämmerungsstrategieEinhämmerungsstrategie verfolgt, die Strategie des massiven Einwirkens auf die Rezipienten, und zwar durch flächendeckendes WiederholenWiederholen des Themas (‚Länderfusion‘) sowie mehrmaliges, figuriertes Wiederholen von ‚Zustimmung‘ (ich bin dafür) und ‚Unstrittigkeit‘ (es ist einfach wahr), kombiniert mit dem Auflisten von positiven Folgen einer Abstimmung mit Ja.

3. Bekanntmachung (Text 24): In diesem zweiteiligen, zuerst an die Adresse von Bankräubern gerichteten Text wird eine andere Strategie verfolgt: die Strategie der Abschreckung. Ein wichtiges strategisches GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren ist dabei das HinzufügenHinzufügen von banktechnischen Piktogrammen und damit das Vor-Augen-Führen von installierter Sicherheitstechnik.

Der nächste Beispieltext (Text 28) offenbart, wie KontrasteKontrast/Kontrastieren zur Umsetzung der AbschreckungsstrategieAbschreckungsstrategie eingesetzt werden.


Beispieltext 28 : Autobahnplakat

http://www.dvr.de/presse/plakate/3737.htm (28.10.2016, 12.41 Uhr).

Die Botschaft des Textes richtet sich an alle, die auf Autobahnen am Lenkrad sitzen, und könnte auch folgenden Wortlaut haben: Fahren Sie rücksichtsvoll, denn es kann sonst zu einem Unfall kommen, bei dem Menschen sterben. Wäre die Botschaft so kommuniziert worden, bliebe der persuasive Charakter des Textes zwar erhalten, da ein argumentativer Passus (denn es kann sonst …) die Aufforderung (Fahren Sie rücksichtsvoll) stützt, gestaltungsstrategisch aber wäre der Text als unwirksam zu bewerten – aus zwei Gründen. Zum einen: Botschaften auf Autobahnplakaten müssen schnell rezipierbar sein – ein Satz mit 15 Wörtern erfüllt diese Anforderung nicht. Zum anderen: Autobahnplakate, die Unfallverhütungsmaßnahmen propagieren, sollten abschreckungsstrategisch gestaltet sein, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Auch in dieser Hinsicht müsste man dem Satz Unwirksamkeit anlasten, da der Zusammenhang zwischen rücksichtslosem Fahrverhalten und tödlichen Verkehrsunfällen allgemein bekannt ist.

Das Beispielplakat aber erfüllt die beiden genannten Gestaltungsmaximen voll und ganz. Durch das KombinierenKombinieren von großflächigem Bild und kurzem Satz in großer Schrift, der in das Bild hineingeschrieben und durch Balkenformatierung hervorgehoben ist, wird der Maxime schneller Rezipierbarkeit Rechnung getragen. Die sprachmediale Plakatkomponente ist zudem mittels ParallelismusParallelismus einprägsam formuliert: Einer drängelt, drei sterben. Die bildmediale Plakatkomponente gewährt Einblick in den Innenraum eines PKWs, in dem sich – in Übereinstimmung mit dem ZahlwortZahlwort drei – drei Personen befinden. Abschreckungsstrategisch relevant ist das Verfahren des KontrastierensKontrast/Kontrastieren. Sprachmedial kontrastieren erstens die Zahlwörter: das Zahlwort einer, das auf den Unfallverursacher referiert, und das Zahlwort drei, das auf die Unfallopfer referiert. Sprachmedial kontrastieren zweitens die Verben: das Verb drängeln, das auf die Unfallursache referiert, und das Verb sterben, das auf die tödlichen Unfallfolgen referiert. Die beiden sprachmedialen Kontraste kontrastieren ihrerseits mit dem Bild, das eine gutgelaunte Familie vor einem fiktiven tödlichen Verkehrsunfall zeigt. Auf diese Weise wird zwischen Sprache und Bild der Kontrast von ‚Tod‘ und ‚Fröhlichkeit‘ erzeugt. Das Plakat ist übrigens Teil einer Serie. Auf anderen Plakaten finden sich die Äußerungen Einer rast, zwei sterben und Einer ist abgelenkt, vier sterben. Die Serialität wird sowohl sprachmedial (gleiche Satzanfänge, -abschlüsse, weitestgehend paralleler Satzbau) als auch bildmedial (ähnliche Bildmotive) kenntlich gemacht und ist als Versuch zu werten, nachhaltig auf die Verkehrsteilnehmer einzuwirken, dabei aber auch auf AbwechslungAbwechslung zu achten.

Eine pervertierte Form von PersuasionPersuasion ist ManipulationManipulation. Manipulativem Gestalten liegen die Strategien der Täuschung, Verdummung oder Verhetzung von Rezipienten zugrunde.

2.5.2.5 HandlungsprofilierungHandlungsprofilierung: Spezifizierung und Situierung

a) HandlungsspezifizierungHandlungsspezifizierung

Es fand bereits Erwähnung (siehe 2.4.2.2), dass es Stilformen gibt, deren kommunikativer Zweck darin besteht anzuzeigen, von welcher spezifischen Art eine TexthandlungTexthandlung ist. Stilkennzeichnungen wie ‚berichtender Stil‘ oder ‚beschreibender Stil‘ sind Beispiele dafür. Wir können auf Grund dessen nun auch sagen, dass die stilistische Spezifizierung von Texthandlungen zu den GestaltungsmotivenGestaltungsmotiv gehört, und wir wollen dies an einem Beispieltext analysierend vertiefen.

Spectre

[...]

Nach einem mysteriösen Hinweis auf ein Geheimnis aus seiner Vergangenheit, das er bewahren will, begibt sich James Bond unerlaubt auf gefährliche Mission nach Mexico City und Rom. Dort trifft er die schöne Witwe eines einflussreichen Kriminellen und stößt auf eine zwielichtige Organisation, die international vernetzt ist und der Welt den Krieg erklärt hat: Spectre. Während M in London die Korruption innerhalb des MI6 bekämpft, spürt 007 die Tochter seines alten Erzfeinds Mr. White auf. Nur sie kann helfen, das undurchdringbare Netz um Spectre zu enttarnen. Dabei findet Bond heraus, dass es eine Verbindung gibt zwischen ihm und dem Feind, den er jagt.

Christoph Waltz in einer Reihe mit Fröbe, Pleasance und Jürgens

Drei Jahre nach Skyfall, dem erfolgreichsten Bond aller Zeiten, mischen Daniel Craig und Regisseur Sam Mendes die Action-Karten der Bond-Saga neu. In seinem vierten Einsatz als 007 macht Craig dabei erstmals Bekanntschaft mit seinem ultimativen Gegenspieler …

Spectre bietet dem Publikum schier atemberaubende Action en masse! Aber auch eine Fortsetzung der düsteren Story um 007, prominent besetzt mit Naomi Harris, Monica Bellucci und Léa Seydoux, neben Ben Whishaw als Q und Ralph Fiennes als M.

Oscarpreisträger Christoph Waltz wiederum reiht sich problemlos in die allererste Riege der legendären Bond-Bösewichte ein. Den Titelsong Writings on the Wall singt Soul-Pop-Star Sam Smith. Wie immer gilt bei Bond: Das Beste ist gerade gut genug. MABO

Beispieltext 29 : Filmempfehlung

Kino & Co, Nr. 11/2015, 20.

Für die TextsorteTextsorte Filmempfehlung sind zwei TexthandlungenTexthandlung konstitutiv: zum einen das ERZÄHLENERZÄHLEN/Erzählen des filmischen Plots, zum anderen das BEWERTENBEWERTEN seiner künstlerischen Umsetzung. Uns interessiert an dieser Stelle jedoch nicht die stilistische Variabilität von Texthandlungen, sondern ihre Spezifiziertheit. Uns interessiert die Frage: Mit welchen GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren und -mitteln wird die jeweilige Art der Texthandlung angezeigt? Was sind prozedurale und instrumentale Merkmale eines erzählenden bzw. bewertenden StilsStilbewertender?

 

Beginnen wir mit der TexthandlungTexthandlung ERZÄHLENERZÄHLEN/Erzählen. Textproduzenten, die eine Filmempfehlung verfassen, stehen vor der Aufgabe, eine intermediale Beziehung herzustellen, d.h. Einheiten des filmischen Plots (Aktionen und deren Begleitumstände, Akteure: Helden und ihre Gegenspieler, Schauplätze, Episoden, Konflikte usw.) in ein anderes Medium (z.B. Presse oder Internet) zu überführen. Erzählender StilStilerzählender als handlungsspezifizierender Stil wird im Beispieltext vor allem hergestellt durch

 das Akzentuieren von Aktionen mittels AktionsverbenAktionsverb/Aktionsverbgefüge und Aktionsverbgefügen (sich auf eine Mission begeben; auf etw. stoßen; bekämpfen; aufspüren; enttarnen; jagen);

 das Typisieren von Akteuren mittels sozial kategorisierender Substantive und/oder bewertender adjektivischer Beiwörter (die schöne Witwe; ein einflussreicher Krimineller; eine zwielichtige Organisation; sein alter Erzfeind);

 das Fixieren von Schauplätzen mittels RealienwörternRealienwort (Mexiko City; Rom; London);

 das Verknüpfen von Episoden mittels temporaler Präpositionen (nach), Konjunktionen (während) und Adverbien (dabei; dort);

 das Zuspitzen des Geschehens mittels PeripetiePeripetie-SätzenPeripetie-Satz, d.h. Sätzen, die einen dramatischen Wendepunkt des Geschehens zum Inhalt haben.

Der letzte Satz des erzählenden Teiltextes (Dabei findet Bond heraus, dass es eine Verbindung gibt zwischen ihm und dem Feind, den er jagt.) deutet einen solchen Wendepunkt an, erzeugt damit SpannungSpannung, die aber erst – Knackpunkt einer Filmempfehlung – durch einen Kinobesuch gelöst werden kann.

Am Beispieltext lässt sich auch der Unterschied zwischen einem handlungsspezifizierenden und einem handlungsvariierenden ERZÄHLENERZÄHLEN/Erzählen verdeutlichen, und zwar insofern, als wir Merkmale eines gestrafften (und nicht eines gedehnten) ERZÄHLENs registrieren, ohne dass die HandlungsspezifizierungHandlungsspezifizierung verloren geht. Gestrafftes und gedehntes ERZÄHLEN sind Beispiele für unterschiedliche Erzählstile.

Im zweiten Teiltext – graphisch vom ersten durch eine fettgedruckte Zwischenzeile abgesetzt – steht anderes im Vordergrund: das BEWERTENBEWERTEN künstlerischer Aspekte des Films. Bewertungsobjekte sind Darstellerattribute (z.B. deren Bekanntheitsgrad: prominent besetzt), Darstellerleistungen (z.B. deren Talent: sich problemlos in die allererste Riege einreihen), Rollenprofile (z.B. die Widersacherrolle: die legendären Bond-Bösewichte), filmästhetische Merkmale (z.B. der Unterhaltungswert: atemberaubende Action, die Atmosphäre: düstere Story, der Neuigkeitswert: die Action-Karten der Bond-Saga neu mischen). In einer Filmempfehlung ist die Dominanz positiven BEWERTENs erwartbar, was der Beispieltext auch bestätigt. Auf den ersten Blick treten zwei hauptsächliche Gestaltungsmerkmale des bewertenden StilsStilbewertender hervor:

 das HinzufügenHinzufügen von bewertenden Adjektiven zu nominalen und verbalen Wortgruppen sowie Partizipialkonstruktionen (die legendären Bond-Bösewichte; sich problemlos einreihen; prominent besetzt), auch von Adjektiven aus dem Erlebniswortschatz (atemberaubende Action; düstere Story);

 das Einflechten von verbalen und satzförmigen bewertenden PhraseologismenPhraseologismus (sich in die allererste Riege einreihen; Das Beste ist gerade gut genug.), auch in modifizierter, auf das Genre und die Reihe zugeschnittener Form (die Action-Karten der Bond-Saga neu mischen).

Bewertende Elemente können – wie wir gesehen haben – in das ERZÄHLENERZÄHLEN/Erzählen eines Ereignisses bzw. einer Ereigniskette integriert sein; vice versa können erzählende Elemente – wie wir feststellen – das BEWERTENBEWERTEN eines Objekts bzw. einzelner Aspekte unterbrechen (vgl. In seinem vierten Einsatz als 007 macht Craig dabei erstmals Bekanntschaft mit seinem ultimativen Gegenspieler …).

Die Stilform ‚bewertender StilStilbewertender‘ schließt die Verfahren des VerstärkensIntensivieren und AbschwächensAbschwächen von Bewertungen ein. Im Beispieltext sind es vor allem PhraseologismenPhraseologismus mit superlativischen Komponenten oder superlativischer BedeutungSemantik/semantisch, die positives BEWERTENBEWERTEN verstärkenVerstärkenIntensivieren (sich in die allererste Riege einreihen; Das Beste ist gerade gut genug.; en masse). Als besonders markant sticht der Satz mit der Wortgruppe schier atemberaubende Action en masse heraus. Die Steigerungspartikel schier verleiht dem Passus ein Höchstmaß an positiver Bewertung, sodass eine weitere Steigerung kaum möglich erscheint, und das Ausrufezeichen am Satzende sorgt für zusätzliche Intensivierung.

Aus dem letzten Satz des Textes (Wie immer gilt bei Bond: Das Beste ist gerade gut genug.) geht ein weiteres Verfahren des bewertenden StilsStilbewertender hervor: das GeneralisierenGeneralisieren von Werturteilen, hier bezogen auf den Vergleich des aktuellen Films mit seinen Vorgängern. GestaltungsmittelGestaltungsmittel ist das generelle PräsensPräsensatemporales/generelles im Verbund mit adverbialen Zusätzen, hier mit der Komparativbestimmung wie immer, einem SachvergleichSachvergleich.

b) HandlungssituierungHandlungssituierung

TexthandlungenTexthandlung können verschiedenen SituationskontextenSituationskontext angepasst werden. Wir haben das bereits gesehen am Beispiel der Texthandlung BERICHTENBERICHTEN im Textsortenrahmen Medienbericht (Text 11) und der Texthandlung BESCHREIBENBESCHREIBEN im Textsortenrahmen Lexikonartikel (Text 12). Die Stilkennzeichnungen ‚journalistischer Stil‘ und ‚juristischer StilStiljuristischer‘ (siehe 2.4.2.2) verweisen auf einen bestimmten Situationskontext: die KommunikationsbereicheKommunikationsbereich Journalismus und Rechtswesen. Auf die Texthandlung ERZÄHLENERZÄHLEN/Erzählen bezogen, hat die Anpassung an Situationskontexte zur Folge, dass verschiedene Erzählstile entstehen. Um es an Beispielen zu zeigen, vergleichen wir Text 30 mit Text 29.


Beispieltext 30 : Mündliche Alltagserzählung

Wortlaut und Mündlichkeitsmerkmale wurden dem Transkript FR--_E_00034_SE-01-T-01 der Datenbank für gesprochenes Deutsch, IDS Mannheim, entlehnt.

Im Unterschied zu Text 29 sind in Text 30 zahlreiche Mündlichkeitsmerkmale auffällig, die sich auf folgende GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren zurückführen lassen:

 ProkopierenProkope/Prokopieren (Abstoßen von Lauten und Silben am Wortanfang): s (Z. 3); nem (Z. 12); runtergekommen (Z. 4); rangekommen (Z. 9);

 ApokopierenApokope/Apokopieren (Abstoßen von Lauten am Wortende): wär (Z. 1); is (Z. 13); hab (Z. 13);

 ApokopierenApokope/Apokopieren und SynkopierenSynkope/Synkopieren (Abstoßen von Lauten im Wortinneren): grad (Z. 10);

 AuslassenAuslassen von Satzteilen (Produzieren von EllipsenEllipse): kann mich nicht erinnern (Z. 1);

 Brechen von Satzkonstruktionen (Produzieren von Anakoluthen): jedenfalls hat sich sind wir … (Z. 9);

 DuplizierenDuplizieren von Wörtern: im im (Z. 2); ja ja (Z. 2);

 Zusammenziehen von Wörtern (Produzieren von Enklisen): aufn (Z. 7); wars (Z. 11).

Mündlichkeitsmerkmale gelten als Varianten der VarietätVarietät SprechspracheSprechsprache, der legeren Form von gesprochener Sprache, Schriftlichkeitsmerkmale – wie sie Text 29 aufweist – als Varianten der Varietät SchreibspracheSchreibsprache, der literarisch-ausgefeilten geschriebenen Sprache. Beide Varietäten können sowohl mündlich als auch schriftlich verwendet werden. So kann man Sprechsprachlichkeit in Schrifttexten vorfinden, die vom Zwang der Wohlgeformtheit befreit sind – man denke an Notizzettel, Chats und Vorlesungsmitschriften –, und Schreibsprachlichkeit in Texten der mündlichen Kommunikation, bei denen es auf literarische Qualität ankommt (z.B. Predigt, Laudatio, Gedenkrede). Man unterscheidet deshalb zwischen medialer und konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit (vgl. Koch/Oesterreicher 1985) und somit auch zwischen schriftlich realisierter Sprechsprachlichkeit und mündlich realisierter Schreibsprachlichkeit. Varietäten spielen für das Herstellen von Stil eine herausgehobene Rolle, denn es handelt sich um sozial bzw. situativ differenzierte Teilsprachen innerhalb einer Sprache, die für die Realisierung von GestaltungsaktenGestaltungsakt zur Verfügung stehen. Außer Sprech- und Schreibsprache gehören zum Varietätengefüge des Deutschen viele andere solcher Teilsprachen, etwa Bairisch und Plattdeutsch als DialekteDialekt, JugendspracheJugendsprache und BildungsspracheBildungssprache als Soziolekte, die FachspracheFachsprache der Medizin oder die des Sports als Professiolekte. Das Verwenden von Varietäten (das AuswählenAuswählen und KombinierenKombinieren varietätengebundener GestaltungsmittelGestaltungsmittel) ist ein leistungsstarkes GestaltungsverfahrenGestaltungsverfahren zur Situierung von Texten und TexthandlungenTexthandlung.

Zu fragen ist nun, inwiefern im AuswählenAuswählen und KombinierenKombinieren sprech- bzw. schreibsprachlicher GestaltungsmittelGestaltungsmittel handlungssituierende Verfahren gesehen werden können. Dazu ist es nötig, den Begriff SituationskontextSituationskontext aufzufächern, denn die KommunikationssituationKommunikationssituation, in der Texte produziert und rezipiert werden, umfasst zahlreiche Aspekte. Um zu ermitteln, welche Aspekte für das Verwenden von Sprech- bzw. SchreibspracheSchreibsprache ausschlaggebend sind, stellen wir die Texte 29 und 30 im Hinblick auf ihre Situationsaspekte vergleichend gegenüber (siehe Tab. 11).


SituationsaspektFilmempfehlung(Text 29)Alltagserzählung(Text 30)
JournalismusAlltagskommunikation
Kommunikationskanalschriftlichmündlich
Planbarkeit derTextproduktionkonzipiertspontan
Kommunikationskontaktindirekt (vermittelt)direkt (face-to-face)
Sozialer Aktionsradiusöffentlichprivat

Tab. 11: Situationsaspekte im Textsortenvergleich

Der Situationsaspekt KommunikationsbereichKommunikationsbereich scheidet als ausschlaggebend für die Verwendung von Sprech- bzw. SchreibspracheSchreibsprache aus, denn es gibt Sprechsprachlichkeit auch im Journalismus (z.B. in Moderationstexten oder Live-Reportagen der Sportberichterstattung) und Schreibsprachlichkeit in der Alltagskommunikation (insbesondere in Privatbriefen). Der soziale Aktionsradius kann auch nicht ausschlaggebend sein, da er die Sozialstruktur von Kommunikationsbereichen mit bestimmt. Die Art des Kommunikationskontakts ist ebenfalls als irrelevant anzusehen, weil sowohl der direkte als auch der indirekte Kontakt das Verwenden beider Varietäten ermöglicht. Schreibsprachlichkeit in Face-to-face-Situationen der Alltagskommunikation ist zwar selten, aber nicht ausgeschlossen. So bescheinigt man Sprechern in privaten Alltagsgesprächen mitunter, dass sie reden können wie gedruckt. In die engere Auswahl relevanter Situationsaspekte kommen der Kommunikationskanal und die Planbarkeit der Textproduktion. Es leuchtet sicher ein, dass Sprechsprachlichkeit primär an den mündlichen, Schreibsprachlichkeit primär an den schriftlichen Kommunikationskanal gebunden ist. Und zweifellos begünstigt der mündliche Kanal die Verwendung von SprechspracheSprechsprache in hohem Maße, doch eine Eins-zu-Eins-Beziehung gibt es wie gesagt nicht. Somit verbleibt als wichtigster Situationsaspekt für das Verwenden von Sprech- oder Schreibsprache die Planbarkeit der Textproduktion: Spontaneität vs. Konzipiertheit.

 

Zusammenfassend wollen wir Folgendes festhalten: Mit der Verwendung von Sprech- bzw. SchreibspracheSchreibsprache wird die TexthandlungTexthandlung ERZÄHLENERZÄHLEN/Erzählen in einen je anderen SituationskontextSituationskontext eingebettet, wodurch zwei verschiedene Erzählstile entstehen. Sprechsprachlicher Erzählstil verweist auf die Spontaneität, schreibsprachlicher Erzählstil auf die Konzipiertheit des ERZÄHLENs.

Gesondert hinzuweisen ist auf TexthandlungenTexthandlung, deren Bezeichnung auf eine Situierung durch den KommunikationsbereichKommunikationsbereich verweist. Als Beispiele die Texthandlungen INTERVIEWENINTERVIEWEN (im Bereich Journalismus), BEURKUNDENBEURKUNDEN (im Behördenwesen), PREDIGENPREDIGEN (im Gottesdienst) und KLASSIFIZIERENKLASSIFIZIEREN (in der Wissenschaft).

DISKUSSION

1 . In der Literatur zur pragmatischenPragmatik/pragmatisch Stilistik wird häufig betont, dass der Sinn des Gestaltens auch im Bekunden von Einstellungen bestehen kann. Müsste man ‚EinstellungsbekundungEinstellungsbekundung ’ demnach nicht auch in die Reihe der GestaltungsmotiveGestaltungsmotiv aufnehmen?

Mit dem Begriff Einstellung sind Haltungen oder Positionen gemeint, die ein Textproduzent explizit oder implizit zum Ausdruck bringt gegenüber allen möglichen Aspekten kommunikativen Handelns. In Betracht zu ziehen sind Einstellungen zu thematischen Textinhalten (siehe 2.4.2.2), darüber hinaus zur Funktion der TexthandlungTexthandlung, zu den Adressaten, zur Sprache oder anderen Kommunikationsmedien usw. (vgl. Sandig 1986: 281ff.; dies. 2006: 15f.). Es heißt deshalb durchaus folgerichtig: „Mit der Art, wie wir uns äußern, positionieren wir uns jeweils im (d.h. relativ zum) gesamten Umfeld unserer Interaktion.“ (Sandig 2001: 31) Wenn dem so ist, dann darf man das Bekunden von Einstellungen nicht als eigenständigen Typ stilistischen Sinns, als eigenständiges GestaltungsmotivGestaltungsmotiv auffassen, denn dann ist jegliches Gestalten ein einstellungsbekundender Akt und EinstellungsbekundungEinstellungsbekundung ein Wesensmerkmal von Stil. Wie sich stilistische EinstellungEinstellungstilistischeen systematisieren lassen, wird in Abschnitt 3.2.2 dargestellt.

2. In der Literatur zur pragmatischenPragmatik/pragmatisch Stilistik wird auch betont, dass der Sinn des Gestaltens in der Berücksichtigung des Adressaten bestehen kann. Ist ‚AdressatenberücksichtigungAdressatenberücksichtigung’ demnach ebenfalls ein GestaltungsmotivGestaltungsmotiv?

Wir ersehen aus den Beispielanalysen zu GestaltungsmotivenGestaltungsmotiv in der pragmatischenPragmatik/pragmatisch Textkommunikation, dass die Berücksichtigung des Adressaten (vgl. dazu u.a. Sandig 1986: 227ff.) kein eigenständiges Gestaltungsmotiv ist, sondern ein Begleitmotiv. Es begleitet rezeptions- und erkenntniserleichternde Gestaltungsweisen ebenso wie rezipientenbeeinflussende. In Abhängigkeit von der Textart kommen bestimmte Zielgruppen als Adressaten in Betracht, z.B. Kinder (als Zielgruppe der Kinder-Seiten von Tageszeitungen), Studierende (als Zielgruppe von Hochschullehrbüchern), Heimwerker (als Zielgruppe in der Baumarkt-Werbung).

3. In der Literatur zur pragmatischenPragmatik/pragmatisch Stilistik wird der Sinn des Gestaltens auch in der Selbstdarstellung des Textproduzenten gesehen. Im vorliegenden Abschnitt 2.5.2.1 wird der Begriff SelbstpräsentationSelbstpräsentation verwendet. Gibt es zwischen ‚Selbstdarstellung‘ und ‚Selbstpräsentation‘ einen Bedeutungsunterschied?

Die Begriffe Selbstdarstellung (vgl. dazu Sandig 1986: 214ff.) und SelbstpräsentationSelbstpräsentation sollten nicht deckungsgleich verwendet werden. ‚Selbstdarstellung‘ ist n.u.A. eine textthematische Leistung; sie besteht in der Selbstbeschreibung des Textproduzenten, anzutreffen in Kontaktanzeigen oder Bewerbungsschreiben. Im Unterschied dazu ist ‚Selbstpräsentation‘ eine textstilistische Leistung; vermittelt werden Informationen über den Textproduzenten, die sich aus Gestaltungsweisen „herauslesen“ lassen.

4. In der Literatur zur pragmatischenPragmatik/pragmatisch Stilistik werden Typen stilistischen Sinns auch als die Art der AdressatenberücksichtigungAdressatenberücksichtigung, die Art der BeziehungsgestaltungBeziehungsgestaltung usw. bestimmt. Ist das sinntypologisch adäquat?

Hierzu muss kritisch angemerkt werden, dass sich, werden Typen stilistischen Sinns so bestimmt (vgl. u.a. Sandig 1986: 214ff., dies. 1995: 30), der Blickwinkel verschiebt: vom stilistischen Wozu zum stilistischen Wie. Oder anders formuliert: Das Wozu und das Wie verschmelzen unzulässigerweise zu einer Kategorie. Denn mit der Art der AdressatenberücksichtigungAdressatenberücksichtigung, der Art der BeziehungsgestaltungBeziehungsgestaltung usw. wird immer ein Wie erfasst. Dieses Wie kommt durch realisierte GestaltungsprinzipienGestaltungsprinzip bzw. -ideen zur Geltung, ist auf einen Typ stilistischen Sinns (als stilistisches Wozu) bezogen, repräsentiert aber nicht selbst stilistischen Sinn.