Stil und Text

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VerschweigenVerschweigen des Themas: Immer dann, wenn der Titel eines Textes keinerlei Hinweis auf das Thema gibt, liegt ein Verschweigen vor. So trägt eine Reisereportage über den Iran (Text 5) den Titel Niemand trägt ein Pokerface, dem man nicht den geringsten thematischen Fingerzeig entnehmen kann. Der Titel stellt sich als ein Zitat aus dem Haupttext heraus, als Wiedergabe einer Impression von den Menschen, die der Reporterin bei ihrer Reise durch den Iran begegnet sind.

Alle diese Gestaltungsweisen haben letztlich zum Ziel, das Thema (vorerst) nicht offenzulegen, sondern zu verrätseln, RätselhaftigkeitRätselhaftigkeit zu erzeugen. Das Gegenstück dazu ist die KlarheitKlarheit der Themenformulierung. Doch wodurch erscheint uns ein Thema als klar formuliert? Klarheit hat sicher nicht unbedingt etwas mit Ausführlichkeit zu tun. Dem Titel des Romans „Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969“ von Frank Witzel mangelt es gewiss nicht an Ausführlichkeit, doch klar ist er nicht. Klarheit hat mit Eindeutigkeit zu tun. Eine klare, d.h. eindeutige FormulierungFormulierung des Themas kristallisiert sich z.B. in den Titeln wissenschaftlicher Texte (wie „Propaganda und Film im ‚Dritten Reich‘“ von Wolf Donner), in den Bezeichnungen von Speisen, die zu ThemawörternThemawort in den Überschriften von Kochrezepten geworden sind (Text 10: Pasta in der Parmesankruste), in den Betreffzeilen privater E-Mails (Unser Treffen am Wochenende) oder amtlicher Schreiben (Mieterhöhung zum 1. Februar).

c) Arten hervorhebender Positionierung des Themas

Klar oder rätselhaft formulierte Themen können hervorgehoben werden. Beim GestaltungsaktGestaltungsakt des HervorhebensFokussieren können diverse Verfahren der Positionierung zum Einsatz kommen. Hervorgehoben werden kann ein Thema bspw., indem man es zum Titel auf den Einbänden von Büchern macht, indem man es in die Überschrift von Texten setzt (wie in Kochrezepten), indem man es in die Betreffzeilen privater E-Mails oder amtlicher Schreiben aufnimmt.

Die hervorhebenHervorhebenFokussierende Positionierung des Themas zeigt sich auch in folgenden Verfahren:

Lemmatisieren des Themas: Das Thema wird zu einem Stichwort (Lemma) in Nachschlagewerken gemacht (siehe Text 12: Brandstiftung).

Einbinden des Themas in eine Schlagzeile: Als Beispiel die Schlagzeile Brandstiftung in Berlin-Wilmersdorf (Text 11). Das Thema wird in Schlagzeilen häufig zusätzlich typographischTypographie/typographisch hervorgehoben (Fettdruck, größere Schrift).

Flächendeckendes WiederholenWiederholen des Themas: Als Beispiel ein politischer Werbebrief (Text 14), der eine fortlaufende Wiederholung des Themas ‚Fusion von Berlin und Brandenburg‘ über die gesamte Textfläche hinweg aufweist. Man beachte die relevanten Wortgruppen, von denen die meisten die Toponyme Brandenburg und Berlin enthalten:

Brandenburg und Berlin – das stärkere Land Berlin-Brandenburg – ein Land Berlin-Brandenburg – dieses größere, stärkere Land – für die ganze Region Berlin-Brandenburg – in einem gemeinsamen Land Berlin-Brandenburg – ein stärkeres Land Berlin-Brandenburg – mit der Bildung eines gemeinsamen Landes – für Berlin-Brandenburg – gemeinsam mit Berlin.


Beispieltext 14 : Politischer Werbebrief

Mit diesem Werbebrief waren die Abstimmungsberechtigten des Bundeslandes Brandenburg angesprochen, beim Volksentscheid über die Fusion von Berlin und Brandenburg im Jahre 1996 mit Ja zu stimmen. Das flächendeckende WiederholenWiederholen des Themas folgt dem GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip EinprägsamkeitEinprägsamkeit, steht aber noch in einem anderen Gestaltungszusammenhang, auf den unter d) eingegangen wird. Anders liegen die Dinge im Gedicht „markierung einer wende“ von Ernst Jandl (Text 8). Hier kann man zwar auch von einer flächendeckenden Wiederholung (hier des Substantivs krieg) sprechen, doch damit ist das Thema des Gedichts keinesfalls erfasst; es wird lediglich augenfällig angedeutetAndeuten.

d) Arten der Modalisierung von Thema, thematischen Einstellungen und ThemenentfaltungThemenentfaltung

Im Folgenden geht es um stilistische EinstellungEinstellungstilistischeen und ihr Verhältnis zu den thematischen Einstellungen. Man kann gegenüber thematischen Textinhalten eine positive oder negative Einstellung zum Ausdruck bringen, behauptete Textinhalte für ‚unbestreitbar‘, ‚wahrscheinlich‘ oder ‚falsch‘ halten, in die Zukunft weisende Textinhalte für ‚überflüssig‘, ‚wünschenswert‘ oder ‚notwendig‘ erklären usw. Es handelt sich um verschiedene Arten der Modalisierung thematischer Textinhalte, die Klaus Brinker (2010: 92) als „thematische EinstellungEinstellungthematischeen“ bezeichnet (in Analogie zu den propositionalen Einstellungen in der Sprechakttheorie). Sie verdienen auch in stilistischer Hinsicht Aufmerksamkeit, da ihr Vorkommen auf das GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip SubjektivitätSubjektivität verweist, ihr Fehlen demzufolge auf das Gestaltungsprinzip ObjektivitätObjektivität. Subjektivität und Objektivität repräsentieren einen anderen Einstellungstyp. Sie gelten als stilistische Einstellungen, als einstellungsbekundende Gestaltungsprinzipien. Um den Unterschied, aber auch den Zusammenhang zwischen thematischen und stilistischen Einstellungen deutlicher zu erkennen, werfen wir nochmals einen Blick auf den politischen Werbebrief von Manfred Stolpe (Text 14). In diesem Text nimmt der Textproduzent mit dem Hauptsatz Ich bin für ein Land Berlin-Brandenburg prononciert Stellung zur geplanten ‚Länderfusion von Berlin und Brandenburg‘ (als TextthemaTextthema). Er modalisiert das Thema mit dem Ausdrücken einer positiven Einstellung, indem er seine Zustimmung artikuliert. Zugleich fällt auf, dass dieser Satz dreimal hintereinander wiederholtWiederholen wird, insgesamt also viermal vorkommt, wobei jedes Mal ein weil-Satz folgt, mit dem die TexthandlungTexthandlung ARGUMENTIERENARGUMENTIEREN ausgeführt wird. Mit dieser auffälligen Wiederholung von Ich bin für ein Land Berlin-Brandenburg, die sich als Kombination der StilfigurenStilfigur AnapherAnapher und ParallelismusParallelismus beschreiben lässt, wird nicht das Thema, sondern die thematische Einstellung ‚Zustimmung‘ modalisiert. Der Textproduzent gestaltet seine Zustimmung eindringlich. Zustimmung ist eine thematische, EindringlichkeitEindringlichkeit eine stilistische Einstellung. Ähnliches kommt in der zweiten Texthälfte vor. Mit dem Hauptsatz Es ist einfach wahr modalisiert der Textproduzent den Inhalt des Nebensatzes daß ein stärkeres Land Berlin-Brandenburg sich […] besser behaupten kann dergestalt, dass er ihn für ‚unbestreitbar‘ hält. Der Textproduzent artikuliert Gewissheit. Und auch bei dieser Textpassage wird die thematische Einstellung mehrfach hintereinander ausgedrückt und somit eindringlich gemacht.

Halten wir fest: Es gibt Einstellungen verschiedenen Typs: thematische und stilistische EinstellungEinstellungstilistischeen. Vom Vorkommen oder Fehlen thematischer Einstellungen hängt ab, ob Texte, Teiltexte, Textpassagen von SubjektivitätSubjektivität oder ObjektivitätObjektivität als stilistischen Einstellungen geprägt sind.

Während es Arten thematischer Einstellungen in überschaubarer Zahl gibt, ist dies bei stilistischen Einstellungen mitnichten der Fall. Es gibt zu viele Nuancen, und eine immense Schwierigkeit besteht darin, sie voneinander abzugrenzen und systematisch zu erfassen. Eine Möglichkeit, zu einer gewissen Systematik zu gelangen, sehen wir darin, die Einstellungsbegriffe SubjektivitätSubjektivität und ObjektivitätObjektivität textsorten-/textgattungsbezogen zu differenzieren. Erscheinungsformen von Objektivität sind dann etwa die SachbetontheitSachbetontheit wissenschaftlicher und behördlicher Texte oder die TatsachenbetontheitTatsachenbetontheit journalistischer Texte (Meldung, Medienbericht, Sachinterview). Erscheinungsformen von Subjektivität sind demgegenüber die MeinungsbetontheitMeinungsbetontheit journalistischer Texte (Kommentar, Kritik, Meinungsinterview), die FeierlichkeitFeierlichkeit liturgischer Texte (Psalm, Hymne, Segensgebet) und die ErlebnisbetontheitErlebnisbetontheit schildernder, Eindrücke wiedergebender Texte. Eine Systematisierungsmöglichkeit sehen wir auch darin, stilistische EinstellungEinstellungstilistischeen nach dem Verhältnis von Sagen (Äußern) und Meinen zu differenzieren, denn sie können ernst oder unernst gemeint sein. Es sind folgende Fälle zu unterscheiden:

1 Was ernst formuliert ist, soll als ernst gemeint aufgefasst werden. Stilistischer ErnstErnst kann u.a. als EindringlichkeitEindringlichkeit oder Strenge in Erscheinung treten.

2 Was unernst formuliert ist, soll als unernst gemeint aufgefasst werden. Erscheinungsformen von stilistischem UnernstUnernst sind u.a. ScherzhaftigkeitScherzhaftigkeit, Spaßigkeit und SpottSpott.

3 Was ernst formuliert ist, soll als unernst gemeint aufgefasst werden, und umgekehrt. In diesen Fällen handelt es sich um IronieIronie/Ironisieren, die auch mit SpottSpott einhergehen kann.

Zahlreiche Erscheinungsformen von stilistischem UnernstUnernst sind besonders interessant, da sie auf gestalterischer Kreativität beruhen. Schauen wir uns einzelne Beispiele an.

Ein probates Mittel zum Erzeugen von UnernstUnernst trägt die terminologische Bezeichnung AprosdoketonAprosdoketon: der unvermittelte, unvorhersehbare, durchaus nicht immer unerwartete Wechsel (siehe Witze) hin zu einem inkongruenten Textelement, d.h. zu einem Textelement, das im Widerspruch steht zu kommunikativen Gepflogenheiten, kommunikativen Normen, auch alltagslogischem Wissen, indem es z.B. FrameFrame-Ordnungen stört. Solcherart Textelemente zum Erzeugen von stilistischem Unernst sind demnach kommunikative „Ordnungswidrigkeiten“ verschiedener Art. Es versteht sich, dass die PointenPointe von Witzen als Aprosdoketa beschreibbar sind. Aber auch AnspielungenAllusion (Allusionen) können aprosdoketisch gestaltet sein – wie der Titel eines Fernsehfilms beweist: „Einer für alle, alles im Eimer“ (Premiere im ZDF, 15.10.2015, 20.15 Uhr). An der Gestaltung dieses Titels waren zwei GestaltungsakteGestaltungsakt beteiligt: zum einen das Verdunkeln des Themas, zum anderen das Unernst-Machen des Titels. Der antimetabolischAntimetabole gestaltete Wahlspruch der „Drei Musketiere“ im Roman von Alexandre Dumas (Einer für alle, alle für einen!), der als Geflügeltes Wortgeflügeltes Wort zu den phraseologischen Zitaten gehört, wurde durch ein Aprosdoketon verballhornt: durch den inkongruenten, saloppsprachlichen PhraseologismusPhraseologismus im Eimer sein. Der TerminusTerminus „FormelbruchFormelbruch“, den Richard M. Meyer (1913: 39) verwendet, bringt diesen aprosdoketischen Fall auf den Punkt. Der zur Formel gewordene Spruch wird unernst gebrochen, und der Bruch ist unernst gemeint.

 

Andere Beispiele für eine aprosdoketische Gestaltung finden sich – wie sollte es anders sein – in der Werbekommunikation. Eine Anzeige, mit der die Satirezeitschrift „Eulenspiegel“ vor einigen Jahren Abonnenten werben wollte, hob sich durch das Herausstellen von scheinbaren Mängeln des Produkts aus der Fülle von Werbetexten heraus.

DAS SATIREMAGAZIN

wird dem Ernst des Lebens in keiner Weise gerecht,

unterstützt Politiker und andere geeignete Personen

in ihrem Bemühen, sich lächerlich zu machen,

verzerrt die Wirklichkeit bis zur Kenntlichkeit.

Beispieltext 15: Werbeanzeige (Abschrift des Fließtextes)

Wie man bemerkt, enthält jede einzelne Äußerung ein AprosdoketonAprosdoketon: in keiner Weise statt in jeder Weise; sich lächerlich machen statt sich für das Volk einsetzen; Kenntlichkeit statt Unkenntlichkeit. Eingeschliffene (automatisierte) FormulierungenFormulierung werden durch inkongruente Textelemente zu kommunikativ „ordnungswidrigen“ und somit entautomatisierten Formulierungen. Was unernst formuliert ist, ist hier aber – satiregemäß – ernst gemeint.

Im Unterschied zu Werbeanzeigen ist im Muster der journalistischen TextsorteTextsorte Glosse stilistischer UnernstUnernst angelegt. Das sei an einem Exemplar dieser Textsorte untersucht.

Matthies meint

Teile des BER in Betrieb

Berlin hat bekanntlich zwei ganz große Baustellen: den Flughafen und die Probleme mit der Unterbringung von Flüchtlingen. Beim Blick auf die jeweiligen Größenordnungen schwant auch dem Laien: Beides auf einmal geht schlecht. Aber wie wäre es, wenn wir uns auf die Suche nach den vielbeschworenen Synergien machen?

Ja klar, die einschlägigen Witze haben wir hinter uns, es wird keine Feldbetten am Gepäckband geben und keine Suppenküche im Empfangsgebäude. Aber umgekehrt geht was: Soeben wurden eingelagerte Flughafen-Sitzbänke geholt, um den Wartebereich im neuen Bearbeitungszentrum Bundesallee ein wenig wohnlicher zu gestalten.

Das ist zumindest gut gedacht, denn wer mal ein paar Nächte unfreiwillig auf diesen Spezialmöbeln zugebracht hat, der weiß, wie perfekt sie die Kombination von Anziehung und Abschreckung verkörpern: Man setzt sich ahnungslos rein, die Stunden vergehen, und plötzlich tut der Rücken weh wie Sau. Und wer drauf übernachtet, braucht Bandscheiben aus Stahl.

Aber was bedeutet das für den Flughafen? Wird er nun ausgeschlachtet wie ein rostiges Auto, bis es dann so um 2019 herum heißt, nun sei der Rest auch nix mehr wert? In der Bundesallee können sie zweifellos noch mehr von diesen Sachen gebrauchen, zum Beispiel die Empfangs-Counter, an denen sympathische Uniformierte beim Einchecken das Gepäck wiegen, einsammeln und gleich direkt zur nächsten Notunterkunft schicken könnten, Irrläufer in Richtung Sydney oder Kassel-Calden eingeschlossen.

Auch das Anzeigesystem mit den großen Bildschirmen ließe sich nutzen: Lageso drei Tage verspätet, Wohnheim in Hellersdorf gecancelt, Busse nach Brandenburg: Boarding hat jetzt begonnen. Wenn selbst ein lendenlahmer Flughafen wie Tegel jedes Jahr drölfzig Millionen Menschen korrekt durchschleust, sollte die ungenutzte BER-Infrastruktur ja allemal mit ein paar hunderttausend Flüchtlingen zurechtkommen.

Das Ganze wäre jedenfalls eine zivile Variante und viel anheimelnder als das Sozialamts-Outfit der vorhandenen Ämter – zumal, wenn wir pensioniertes Bodenpersonal für den Betrieb gewinnen können. Die Leute sind sprachgewandt und nervenstark, verströmen Autorität und Weltgewandtheit.

Das sollte für ein paar Jahre reichen. Falls dann doch noch jemand den BER in Betrieb nehmen möchte, schaffen wir einfach das Zeug aus Tegel in die Bundesallee.

Beispieltext 16 : Glosse

Potsdamer Neueste Nachrichten, 10.10.2015, 1.

Bereits die Schlagzeile Teile des BER in Betrieb entpuppt sich als thematische Irreführung, denn wir erfahren aus dem Haupttext, dass es nicht um den immer noch seiner Eröffnung harrenden Hauptstadtflughafen BER geht, sondern um die Umsetzung von Terminalmobiliar (eingelagerte Flughafensitzbänke) in den Wartebereich im neuen Bearbeitungszentrum Bundesallee, einer Behörde zur Registrierung von Flüchtlingen. Eine ernst formulierte Schlagzeile wird durch den Haupttext unernst gemacht, zwischen Schlagzeile und Haupttext konstituiert sich ein „textlicher WiderspruchWiderspruchtextlicher“, der als Indikator von IronieIronie/Ironisieren gilt (vgl. Plett 2001: 122). Zu seinem Thema ‚Zweckentfremdung von Terminalmobiliar‘ formuliert und begründet der Textproduzent zwei Thesen; er entfaltet das Thema also argumentativ. Schauen wir uns die beiden Thesen und ihre Begründung näher an.

These 1: Das Motiv der Aktion, den Wartebereich im Bearbeitungszentrum wohnlicher zu gestalten, ist zumindest gut gedacht.

Wir registrieren zwar zunächst eine positive Haltung (gegenüber der Aktion) als thematische EinstellungEinstellungthematische, die von ErnstErnst als stilistischer Einstellung geprägt zu sein scheint, doch die mit der Konjunktion denn angeschlossene Begründung (denn die Möbel verkörpern perfekt die Kombination von Anziehung und Abschreckung) offenbart das ganze Gegenteil. Was als Lob formuliert ist, stellt sich als Tadel heraus. Der Wechsel von Lob zu Tadel ist aprosdoketisch gestaltet: Während die Wörter perfekt und Anziehung noch Wörter mit positiver Wertung sind, folgt mit dem unvermittelt angeschlossenen Wort Abschreckung ein negativ wertendes Wort. Auch zwischen These 1 und ihrer Begründung konstituiert sich somit ein textlicher WiderspruchWiderspruchtextlicher.

These 2: In der Bundesallee können sie zweifellos noch mehr von diesen Sachen gebrauchen.

Wir registrieren die thematische EinstellungEinstellungthematische ‚Gewissheit‘ (Indikator: das Modalwort zweifellos), die ebenfalls stilistisch ernst formuliert ist. Der textliche Widerspruch zwischen These 2 und ihrer Begründung gibt sich aber hier auf eine andere Weise zu erkennen. Es wird der Vorschlag unterbreitet, pensioniertes Flughafenpersonal zu rekrutieren, weitere Ausstattungsgegenstände des Terminals (Empfangs-Counter; Anzeigensystem mit großen Bildschirmen) für die Bearbeitung von Flüchtlingsanliegen einzusetzen und dabei die Flughafensprache zu adaptieren (vgl. Wohnheim in Hellersdorf gecancelt u.a.). Das aber widerspricht dem gesunden Menschenverstand und kann deshalb nur unernst gemeint sein.

Stilistischer UnernstUnernst erfasst in diesem Text die gesamte argumentative ThemenentfaltungThemenentfaltung. Das Muster der journalistischen TextsorteTextsorte Glosse sieht ‚spöttische IronieIronie/Ironisieren‘ als stilistische EinstellungEinstellungstilistische vor, eine „distanziert-spöttische Modalität“ (Lüger 1995: 137). Glossen werden auch als eine Textsorte beschrieben, in deren Muster ParadoxieParadoxie/Paradox-Machen und Nonsens angelegt sind (vgl. Schalkowski 1998: 314). Auch das sind zweifellos Erscheinungsformen von stilistischem Unernst; sie sind aber im Textsortenrahmen Glosse dem GestaltungsprinzipGestaltungsprinzip Ironie untergeordnet.

Doch woran ist ‚SpottSpott‘ erkennbar, und wogegen richtet er sich eigentlich? Glossisten stehen vor einer ziemlich komplizierten Aufgabe. Sie müssen erstens in menschlichem Handeln und Verhalten einen „komischen WiderspruchWiderspruchkomischer“ (Pötschke 2010: 268f.) entdecken und zum Thema machen: eine Diskrepanz etwa zwischen postulierter Stärke und tatsächlicher Schwäche, zwischen erhobenem Anspruch und der Aussichtslosigkeit seiner Verwirklichung, zwischen erklärter Absicht und erzieltem Ergebnis oder – wie im Beispieltext – zwischen Handlungsziel und Handlungsmitteln. Glossisten müssen zweitens den thematisierten komischen WiderspruchWiderspruchkomischer zum Spottobjekt, zur Zielscheibe von Spott als stilistischer Einstellung machen. Dabei bewährt sich der GestaltungsaktGestaltungsakt des IronisierensIronie/Ironisieren und diesem Zusammenhang ein spezielles Ironiesignal: das Konstruieren textlicher Widersprüche (im Beispieltext zwischen Schlagzeile und Haupttext sowie zwischen den Thesen und ihrer Begründung). Durch den Gestaltungsakt des Ironisierens wird das Thema verdeckt und der Widerspruch der Lächerlichkeit preisgegeben. Glossen sind satirische Texte. Weiteres zu Ironie und SatireSatire in 3.1.2.

Wer sich im Beispieltext auf die Suche nach Indikatoren von stilistischem UnernstUnernst begibt, die nicht als Ironiesignale fungieren, findet u.a. auch noch dies:

 ein texteröffnendes ZeugmaZeugma: Berlin hat zwei Baustellen: den Flughafen und die Probleme mit der Unterbringung von Flüchtlingen;

 drastische Vergleiche und MetaphernMetapher/Metaphorisieren: wehtun wie Sau; den Flughafen ausschlachten wie ein rostiges Auto; ein lendenlahmer Flughafen;

 eine scherzhafte Wortschöpfung: die WortkreuzungKontamination (Kontamination) drölfzig (vgl. drölfzig Millionen), gebildet offenbar aus den ZahlwörternZahlwort drei, zwölf und zwanzig o.Ä., mit der BedeutungSemantik/semantisch ‚unbestimmter, größerer Zahlbegriff‘.

DISKUSSION

Um stilistische EinstellungEinstellungstilistische en terminologisch zu fixieren, werden in der Literatur auch die Begriffe InteraktionsmodalitätInteraktionsmodalität und KommunikationsmodalitätKommunikationsmodalität verwendet. Sind das alles SynonymeSynonym/synonymisch ?

Unter ‚InteraktionsmodalitätInteraktionsmodalität‘ wird „die Geltungsweise von Redeteilen“ verstanden, „mit der der Sprecher eine bestimmte Einstellung zum Gesagten ausdrückt, aber auch die Art der Interaktion definiert“ (Schwitalla 1997: 185). Während ‚Interaktionsmodalität‘ vor allem eine gesprächsstilistische Kategorie ist, erfasst der Begriff KommunikationsmodalitätKommunikationsmodalität Einstellungen, die textstilistisch relevant sind, die einen Text insgesamt prägen (vgl. Lüger 1995: 105). Bei beiden Bestimmungen bleibt offen, ob nicht auch thematische EinstellungEinstellungthematischeen unter die Begriffe subsumierbar sind. Beide Bestimmungen lassen dies aber zu. Insofern können die beiden TerminiTerminus als Oberbegriffe für thematische wie stilistische EinstellungEinstellungstilistischeen verwendet werden.