Die Anbetung der Könige

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EINE KULTURELLE ­KATASTROPHE ERSTEN GRADES

Auftritten römischer Politiker blickt man in der toskanischen Hauptstadt ungefähr so freudig entgegen wie dem Antreten von Juventus Turin im Stadio Artemio Franchi, der Heimstätte des AC Florenz. Als um 14.10 Uhr der italienische Kulturminister Guido Mancini mit seiner Entourage am Aeroporto Amerigo Vespucci landete, waren die Vorbereitungsarbeiten für die eilig einberufene Pressekonferenz im Museum des Opificio delle Pietre Dure im Zentrum von Florenz, rund zehn Autominuten vom OPD in der Fortezza da Basso entfernt, voll im Gange. Acht Kamera­teams waren bereits vor Ort. In dem repräsentativen Saal mit wunderschönen Intarsien hatten sich rund 35 Journalisten eingefunden. Am Rednerpult waren Dutzende Mikrofone platziert. Grüppchenweise standen die Journalisten beisammen und tuschelten über den möglichen Grund für die Pressekonferenz.

Dass es sich um eine Krise nationalen Ausmaßes handelte, war den Journalisten im Rahmen der Einladung erklärt worden, ebenso wie dass Kulturminister Mancini höchstpersönlich aus Rom anreisen werde. Beide Umstände sorgten für unterschiedlichste Spekulationen von Seiten der Medienvertreter: Die einen rechneten mit einem erneuten Wasserschaden und dem Verlust wertvoller Exponate im Keller des OPD-Museums, die anderen mutmaßten, dass man im Zuge der Restauration eines bekannten Gemäldes auf einen argen Kunstbetrug aufmerksam geworden war. Als unter lautem Quietschen eine Doppeltüre aufsprang, klemmten sich die Kameramänner hinter ihre Kameras, die Journalisten zückten ihre Schreibblöcke, die Tontechniker setzten ihre Kopfhörer auf. Es erschien, und nur als Erscheinung lässt sich der Auftritt des Ministers umschreiben, Guido ­Mancini, klein, dicklich und umweht von der Aura eines Intellektuellen. Flankiert wurde er von dem die ausgedruckte Rede in Händen haltenden Ministersekretär Michele Marchetti sowie OPD-Direktor Maurizio Collocini. Danach folgten, Sekundanten gleich, die ermittelnden Beamten Domenico Dal Fiesco von den Carabinieri und Luca Lezzerini vom Comando Carabinieri Tutela Patrimonio Culturale sowie, als oberster Repräsentant des Innenministeriums in Florenz, Colonello Andrea De Gennaro. Uffizien-Direktor Giuseppe Ferro betrat den Raum mit etwas Abstand, gesellte sich aber nicht zu den anderen, die sich rund um Minister Mancini gruppiert hatten, sondern stellte sich etwas abseits zu den Journalisten. Beachtet wurde Ferro dabei kaum. Alle Augen waren auf die fünf Herren gerichtet, die sich hinter den Mikrofonen aufgereiht hatten. Einzig Ministersekretär Marchetti stand etwas abseits und betätigte sich als Zeremonienmeister. Abrupt begrüßte er die Pressevertreter, dankte allen für ihr Erscheinen zur kurzfristig angesetzten Pressekonferenz und stellte, ohne auf Sinn und Zweck der Pressekonferenz einzugehen, der Form halber Kulturminister Mancini vor. Danach übergab er ohne weitere Erklärungen an seinen Chef, der mit ernster Miene und großem Gestus von einer »kulturellen Katastrophe ersten Grades« sprach und davon, dass »jetzt ganz Italien zusammenhalten« und man »alles unternehmen müsse, um ein beispielloses Verbrechen aufzuklären«. Als der Spannungsbogen dermaßen gestrafft war, dass selbst der abgebrühteste Journalist endlich wissen wollte, was denn nun überhaupt passiert sei, rückte der für seine melodramatischen Auftritte bekannte Minister mit der nackten Wahrheit heraus.

»Das bekannte Renaissancegemälde ›Die Anbetung der Könige‹ von Leonardo da Vinci wurde heute Nacht unter noch im Detail zu klärenden Umständen aus der Restaurationswerkstatt des Opificio delle Pietre Dure in der Fortezza da Basso in Florenz gestohlen. Der oder die Diebe haben sich anscheinend über Nacht in das OPD einschließen lassen und das Gemälde frühmorgens entwendet. Danach sind sie mit einem bereitstehenden Lieferwagen, wie es scheint, in Richtung Bologna geflohen.«

Dann ließ Mancini von seinem Sekretär einen Poster des berühmten Gemäldes ausrollen und hochhalten, und dieser versicherte den Journalisten auch gleich, dass in wenigen Minuten eine Presseinformation mit dem hochauflösenden Foto des Gemäldes per Mail an alle Anwesenden sowie alle relevanten Redaktionen in Italien verschickt werde. Bevor Minister Mancini an die anderen Redner übergab, nutzte er die ihm entgegengebrachte Aufmerksamkeit und wies noch einmal darauf hin, welch »dreistes Verbrechen« hier begangen wurde und dass man »kollektive Anstrengungen« unternehmen müsse, um des »einzigartigen Kunstschatzes aus der Hand des großen Meisters« wieder habhaft zu werden.

Nach dem groß inszenierten Auftritt des Ministers und während die Mikrofone für den nächsten Redner vorbereitet wurden, informierten einige Journalisten bereits hektisch ihre Redaktionen: Titelseiten mussten freigeschaufelt, die Nachrichtensendungen um 15 Uhr neu geplant werden. Minister Mancini stehe nach der Pressekonferenz selbstverständlich für kurze Einzelinterviews zur Verfügung, ließ Ministersekretär Marchetti noch wissen und betonte, dass die TV-Sender und Radiostationen dabei Vorrang haben würden.

In das Gemurmel der Printmedienvertreter mischte sich im nächsten Moment die Stimme von Colonello Andrea De Gennaro, dem obersten Exekutivbeamten der Stadt. De Gennaro beeindruckte mit mehr Sachlichkeit und weniger Pathos als sein Vorredner, erbat die Beteiligung der Bevölkerung bei der Aufklärung des Verbrechens und gab eine Hotline für Hinweise aller Art bekannt. Auch auf Anfrage waren ihm jedoch keine Details zum genauen Ablauf des Diebstahls zu entlocken. Dal Fiesco und Lezzerini wechselten während seiner Rede den Bruchteil einer Sekunde die Blicke: Auf De Gennaro war eben Verlass. Sein Hinweis auf »ermittlungstaktische Gründe« sollte primär den Druck von den Carabinieri und dem Comando Carabinieri Tutela Patrimonio Culturale nehmen, die nach ihm an die Reihe kamen. Niemandem war schließlich gedient, wenn Details rund um »Snakegate«, den Begriff hatte De Gennaro in der 25-minütigen Vorbesprechung geprägt, an die Öffentlichkeit gelangten. Wenn der Coup mit der Schlange zu früh nach draußen drang, bestand nämlich nicht zuletzt auch die Gefahr der Solidarisierung der Bevölkerung mit dem gewitzten Kunstdieb. Dal Fiesco war zwar bewusst, dass De ­Gennaro nicht der gewiefteste Polizeibeamte in der Geschichte von Florenz war, aber für delikate Angelegenheiten, wie das geschickte Aussteuern von Inhalten nach außen, war er eben eine absolute Top-Besetzung. Auch OPD-Direktor Collocini, der unmittelbar neben Dal Fiesco stand, war erleichtert. Wie mühelos De Gennaro die Formulierungen über die Lippen kamen, schoss es ihm durch den Kopf. Wenn man in derartigen Situationen mit Politikern zu tun hat, die nicht paktfähig sind oder ihre ganz eigene Agenda haben, können Karrieren und Unternehmen innerhalb weniger Sekunden vernichtet werden.

Direttore Collocini nutzte den ihm zugedachten Time­slot für eine kurze und präzise Vorstellung des Opificio delle Pietre Dure und einen Appell an die Öffentlichkeit, sich an der Suche nach der ›Anbetung der Könige‹ zu beteiligen und die kurz zuvor verlautbarte Hotline auch im leisesten Verdachtsfall zu nutzen. Auch Lezzerini und Dal Fiesco spulten ihre Auftritte souverän ab: Lezzerini berichtete vom Aufspüren des Mondo-Animali-Vans, ohne den Firmennamen zu erwähnen. Und Dal Fiesco betonte gegenüber den anwesenden Journalisten, dass im Fall von Kunstdiebstählen die Zeit eine ganz entscheidende Rolle spiele. Ein paar Fragen von Journalisten wurden noch zugelassen, dann wurde die Pressekonferenz für beendet erklärt.

WARTEN AUF EINE ­LÖSEGELD­FORDERUNG

Ich hoffe, dass sich die Medien mit den Fakten, die wir ihnen fürs Erste geliefert haben, zufriedengeben«, raunte Lezzerini seinem Kollegen Dal Fiesco zu, nachdem es sich die beiden nach der Pressekonferenz auf der Rückbank eines Polizeiwagens bequem gemacht hatten.

»Ich denke schon«, antwortete Dal Fiesco und schlug die Autotür zu.

Sowohl der Minister als auch der Polizeipräsident hatten ihre Sache aus Sicht der beiden Polizeibeamten gut gemacht.

»Aber ewig Zeit wird uns die Öffentlichkeit für die Suche auch nicht lassen: Außerdem gehe ich davon aus, dass einige Medien gezielt Redakteure auf den Fall ansetzen, wobei man da nur hoffen kann, dass sie dafür gute Leute abstellen und nicht solche, denen die Fantasie davongaloppiert.«

Dal Fiesco lächelte sauer.

»Das hoffe ich auch, und zwar für uns alle. Aber was ist eigentlich Ihre Einschätzung? Wie viel ist das Gemälde auf dem Markt wert? Und wen wird der Dieb aus Ihrer Sicht ansprechen? Ist die ›Anbetung der Könige‹ denn überhaupt verkäuflich?«

Lezzerini lehnte sich zurück und zog die Augenbrauen hoch.

»Tja, mein verehrter Capitano Dal Fiesco, das sind die großen Fragen in unserem Betätigungsfeld. Beginnen wir mal mit der Markttauglichkeit. Grundsätzlich gibt es für nahezu alles einen Markt. Werke von Leonardo da Vinci sind auf dem Kunstmarkt allerdings eigentlich nicht verfügbar, da sich sein gesamtes Œuvre seit Jahrhunderten in Museen und anderen institutionellen Sammlungen befindet. Natürlich tauchen ab und an Skizzen auf, die angeblich oder aber auch tatsächlich von Leonardo stammen. Und wenn diese Skizzen von anerkannten Experten renommierter Museen als echte Leonardos eingestuft werden, dann klettert deren Marktwert in schwindelerregende Höhen. Da wechseln dann – wie im Fall einer rund A5-großen Skizze von Leonardo da Vinci – schnell einmal 15 Millionen Euro den Besitzer.«

Wenige Häuserblöcke vom Museum des Opificio delle Pietre Dure entfernt, auf der Rückseite der Uffizien, blieb der Wagen im Innenhof der Carabinieri Comando Stazione Firenze Uffizi stehen, Dal Fiesco und Lezzerini stiegen aus, dankten dem Fahrer und begaben sich in Dal Fiescos Büro.

 

»Wenn für eine kleine Skizze 15 Millionen Euro bezahlt werden, dann müssten für ein weltberühmtes Gemälde wie die ›Anbetung der Könige‹ wohl hunderte Millionen Euro hingeblättert werden«, mutmaßte Dal Fiesco, während die beiden Polizeibeamten die Treppe in die erste Etage hinaufstiegen.

»Ist wohl anzunehmen«, erwiderte Lezzerini. »Vor einiger Zeit wechselte das Bild ›Salvator Mundi‹, von dem man nicht einmal zu 100 Prozent sagen kann, dass es von Leonardo da Vinci gemalt wurde, um sagenhafte 450 Millionen Euro den Besitzer. Im Grunde geht es immer um Angebot und Nachfrage. Die entscheidende Frage in diesem ganz speziellen Fall ist allerdings, was ein Kunstverrückter für ein weltberühmtes Gemälde zu zahlen bereit ist, wenn er es eigentlich weder ausstellen noch als in seinem Besitz befindlich präsentieren kann. Aber aus leidvoller Erfahrung wissen wir, dass die Welt der Kunst mitunter irrational ist und dass Verrückte Dinge tun, die man so nicht erwartet hätte. Wussten Sie eigentlich, dass der Kunsthandel weltweit jährlich 50 Milliarden US-Dollar umsetzt? 50 Milliarden US-Dollar! Es kommt nicht selten vor, dass Originale, die über dunkle Kanäle erworben wurden, in Privatsammlungen aufgehängt werden, ausschließlich zur persönlichen Erbauung des – unrechtmäßigen – Besitzers, der sie gegenüber Dritten eiskalt als Kopien ausgibt.«

Im ersten Stock angekommen, wurden die beiden bereits von Brigadiere Donati erwartet.

»Gibt es etwas Neues, Marcello?«

»Nein. Der Riesenschlangenexperte aus Rom macht es spannend und will uns gegen 17 Uhr im OPD treffen. Er meint, dass er keine voreiligen Schlüsse ziehen will und sich das Videomaterial noch einmal vergegenwärtigen möchte, bevor er uns seine Gedanken präsentiert«, erklärte Donati.

»Na gut, soll er seine ›15 minutes of fame‹ genießen. Hoffentlich hat er auch wirklich interessante Nachrichten.« Und mit einem Blick auf seine Armbahnduhr ergänzte Dal Fiesco: »Ich würde sagen, dass wir uns in einer Stunde auf den Weg zurück ins OPD machen.«

Lezzerini und Donati nickten. Der Arbeitstag der beiden war bis dahin schon ziemlich lang und aufregend gewesen. Und es war nicht davon auszugehen, dass er bald zu Ende sein würde. Schließlich wurden auch die Spurensicherer für 17 Uhr im OPD erwartet. Aber Hauptsache, es ging in dem Fall etwas weiter.

Lezzerini, Dal Fiesco und Donati machten es sich mit drei Espressi an dem kleinen Konferenztisch in Dal Fiescos Büro bequem.

»Wenn ich ehrlich bin, erwarte ich mir weder von dem Schlangenbeschwörer noch von der Spurensicherung bahnbrechende Erkenntnisse«, nahm Lezzerini den Gesprächsfaden wieder auf. »Erstens gehe ich davon aus, dass der Dieb sehr sauber gearbeitet und kaum Spuren hinterlassen hat. Zweitens – und das sagt mir meine Erfahrung – wird demnächst eine Lösegeldforderung eingehen. Ich weiß nicht, ob Sie sich an den Raub von 17 Renaissance- und Barockgemälden aus dem Castelvecchio in Verona erinnern? Die Diebe ließen damals aus dem spärlich gesicherten Museum unter anderem Gemälde von Caroto, Rubens und Tintoretto mitgehen. Diebe wie jene, die das Castelvecchio ausgeräumt haben, machen sich gar nicht erst die Arbeit, die heiße Ware auf dem Markt zu platzieren. Zu groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir davon Wind bekommen würden. Weder ein Tintoretto noch ein Rubens und schon gar kein Leonardo da Vinci werden auf dem Markt angepriesen, ohne dass man davon erfährt. Da ist die Forderung von Lösegeld für die millionenschweren Gemälde die viel effizientere Methode, um an einen Haufen Kohle ranzukommen.«

Brigadiere Donati blickte kurz zu Dal Fiesco hinüber, als ob er sich eine Sprecherlaubnis einholen wollte. »Und was dann? Dann kommt das TPC mit prall gefüllten Geldkoffern, und die Diebe geben Ihnen das Gemälde wieder zurück?«

»Na ja, ganz so einfach ist das nicht. Wir verhandeln da schon«, versicherte Lezzerini. »Aber im Prinzip läuft das so ab. Es kommt natürlich auch vor, dass wir den oder die Diebe bei der Lösegeldübergabe erwischen. Dabei handelt es sich aber im Normalfall um die kleinen Fische. Wen wir nicht erwischen, das sind die Hintermänner. Kunst ist längst ein genauso schmutziges Geschäft wie andere Wirtschaftszweige. Denn überall dort, wo viel Geld im Spiel ist, gibt es dunkle Kräfte, die ein großes Stück vom Kuchen haben wollen, und zwar ein möglichst großes.«

Donati schenkte Lezzerini und Dal Fiesco aus einer Karaffe Wasser in die bereitgestellten Gläser ein.

»Was, wenn keine Lösegeldforderung eingeht?«

Capitano Lezzerini lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Kunstdiebe sind im Normalfall Kriminelle, die zuvor in anderen Bereichen Karriere gemacht haben: Sie haben Autos geknackt, mit Drogen gedealt, Handtaschen geraubt, Handys gestohlen, gefälschte Luxusartikel unters Volk gebracht und sind in Wohnungen und Häuser eingebrochen. Dort kennen sie sich aus. Dort leben sie ihre kriminelle Ader aus. Das ist ihr Metier. Und dann lesen sie in der Zeitung, dass in diesem oder jenem Museum Gemälde hängen, die Millionen Euro wert sind. Diese Leute sind durchaus talentiert im Klauen von Dingen. Und sind wir mal ehrlich: Die Sicherheitsmaßnahmen in den Museen in unserem Land könnten besser sein. Da wird viel zu wenig investiert: sowohl in die Technik als auch ins Personal. Aber ich schweife ab. Worauf ich hinaus will: Der durchschnittliche Kunstdieb plant seinen Raubzug hochprofessionell. Was er selten plant, ist das Marketing und den Vertrieb. Er überlegt sich nicht im Detail, wie er die entwendeten Kunstobjekte zu Geld macht. Gestohlene Handys, Autos, Kameras, Laptops, Fernseher oder Schmuckstücke sind schnell verkauft und spülen innerhalb kürzester Zeit Bargeld in die Kassa. Auch weil die Käufer teilweise gar nicht genau wissen wollen, wo die Ware herkommt, da sie vom vergleichsweise guten Preis profitieren. Mit einem in der Kunstwelt weithin bekannten Gemälde sieht das etwas anders aus. Das verkauft man nicht einfach schnell am Schwarzmarkt. Im Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit, dass ein angeblicher Interessent ein Ermittler, ein Versicherungsdetektiv oder ein Informant der Behörden ist, ist einfach sehr groß. Mit einem Wort: Geschickte Kunstdiebe sind nicht unbedingt ausgefuchste Geschäftsleute.«

Gerade als sich Donati erkundigen wollte, ob Lezzerini und Dal Fiesco auf einen kleinen Imbiss Wert legen würden, läutete Lezzerinis Mobiltelefon. Brigadiere Vincenzo Corridori, Lezzerinis engster Mitarbeiter, war am anderen Ende der Leitung und teilte dem Capitano mit, dass das Gemälde Recherchen des TPC-Teams zufolge noch nicht auf dem Schwarzmarkt platziert worden sei.

Nach dieser Information verzehrten Dal Fiesco, Donati und Lezzerini je ein Tramezzino und versicherten einander, dass ihre Behörden bei den Ermittlungen eng kooperieren würden. Man ging von einer demnächst eintreffenden Lösegeld­forderung aus, wollte aber dennoch in alle möglichen Richtungen ermitteln. Und vor allem wollte man die Kompetenzen und das Wissen von Chiara Frattini anzapfen.

»Die gute Chiara«, wie es Dal Fiesco formulierte, »sollte man nicht aus den Augen lassen. Sie hat eine clevere Herangehensweise. Aber natürlich verfolgt sie die Interessen ihres Auftraggebers. Manchmal sind ihre Methoden unkonventionell, aber sie hat in der Vergangenheit bewiesen, dass sie damit Erfolg hat. Und deshalb sollten wir sie stets in den aktuellen Ermittlungsstand einweihen, am besten schon um 17 Uhr, wenn wir alle wieder im OPD zusammentreffen.«

MAUSETOT

Wenige Minuten nach 17 Uhr war die Schicksalsgemeinschaft wieder im Opificio delle Pietre Dure vereint. Die Polizeibeamten Domenico Dal Fiesco, Marcello Donati, Luca Lezzerini und Vincenzo Corridori saßen am Konferenztisch im Büro von OPD-Direktor Maurizio Collocini dem Schlangenexperten Alessio Bianchi, Davide Carbone von der Spurensicherung sowie Chiara Frattini von der Versicherungsgesellschaft AEIOU gegenüber. Ebenfalls mit von der Partie waren Collocinis ­Sekretär Cesare Rizzoli, Massimo Poletti, der kaufmännische Direktor des OPD und Chefportier Gianni Bruzzo.

»Hinter uns allen liegt ein langer Tag«, eröffnete Capitano Dal Fiesco. »Kommen wir also gleich zur Sache. Signore Bianchi wird uns jetzt zu Beginn erklären, ob nun eine angehende Riesenschlage durch das OPD kriecht oder nicht. Danach wird uns Signore Carbone, der den Bericht der Spurensicherung mitgebracht hat, auf den letzten Stand bringen. Und dann steht uns allen noch der Nachtportier – wie hieß der noch …«

»Giovanni Fiore«, ergänzte Donati.

»… richtig, Giovanni Fiore, dann steht uns also noch Signore Fiore Rede und Antwort. Er war schließlich am unmittelbarsten an den Ereignissen der vergangenen Nacht beteiligt. Wir wollen die Dinge also nicht künstlich in die Länge ziehen.« Dal Fiesco nickte in Richtung Alessio Bianchi, um dem Schlangenexperten das Wort zu erteilen.

»Um die Geschichte kurz zu machen: Wir haben die Transportkiste im Labor der Universität für Veterinärmedizin in Bologna untersuchen lassen, und obwohl wir alle einen langen Tag hinter uns haben, sei den Kollegen dort gedankt, dass sie derart schnell zu einem Ergebnis gekommen sind. Fakt ist: In der Transportkiste war seit der letzten gründlichen Reinigung unter keinen Umständen eine wie auch immer geartete Schlange.«

Ein Raunen ging durch die Runde. »Wie wir aus den Schilderungen von Chefportier Bruzzo wissen«, fuhr Bianchi fort, war aber in der Transportkiste, die auf der rechten Querseite einen Sprung von 40 Zentimetern aufweist, sehr wohl ein Lebewesen, das sich auch bemerkbar gemacht hat. Wie mir die Kollegen aus Bologna versichern, deuten die Spuren in der Transportkiste – Haare und Exkremente – auf eine Gelbhalsmaus hin. Mäuse sind zwar nicht mein Spezialgebiet, aber ich habe mir sagen lassen, dass die Gelbhalsmaus ohne Schwanz bis zu 13 Zentimeter misst und einen Schwanz hat, der ungefähr noch einmal so lang ist. Ich habe mir mit Ihren Kollegen das Video der Überwachungskamera oberhalb der Portiersloge genau angesehen, und man kann – wir haben da mehrmals vor- und zurückgespult – tatsächlich einen entsprechenden Schatten erkennen, der sich von der Transportkiste wegbewegt. Das ist sozusagen der visuelle Beweis. Was da in Richtung Treppenhaus huscht, kann einfach keine Schlange sein. Die vermeintliche Boa constrictor ist also eine Gelbhalsmaus, und meine Arbeit ist hiermit getan.«

Sekretär Rizzoli schnaubte verächtlich und blickte missbilligend zu Bruzzo, aber der Schlangenexperte nahm den Chefportier sofort in Schutz: »Signore Bruzzo ist kein Vorwurf zu machen, schließlich war die Situation eine komplett neue für ihn. Man hat es nicht jeden Tag mit einer Riesenschlange zu tun. Wenn ich zu einem Einsatzort gerufen werde, an dem eine Boa, ein Python oder eine Anakonda entkommen ist, bin ich selten jemandem begegnet, der kühlen Kopf bewahrt hat. Schlangen haben einfach seit dem Alten Testament ein ziemlich mieses Image, dabei sind sie aus meiner Sicht faszinierende Geschöpfe. Aber ich will Sie nicht mit meinen Ausführungen langweilen.«

Donati durchbrach als Erster das Schweigen. »Wir haben bereits ausführlich mit der Geschäftsführung von Mondo Animali konferiert. Zum Auftraggeber, der hinter der Lieferung der Transportkiste steht, erzähle ich Ihnen in ein paar Minuten mehr. Eines noch vorweg: Was wissen wir über die tote Maus, die in der Restaurationswerkstatt lag? War das diese Gelbhalsmaus? Oder eine andere? Und wie ist die Maus zu Tode gekommen? Nicht, dass ich hier in einem Mäusemord ermitteln will, aber ganz unerheblich ist es natürlich nicht.«

»Inwiefern?«, fragte OPD-Direktor Collocini.

»Weil es uns einiges über den Täter verrät«, antwortete Brigadiere Donati. »Durch eine Schlange kann die Maus in der Werkstatt ja nicht umgekommen sein. Und irgendwie hat mich von Anfang an gestört, dass die Schlange ihre Beute nicht mitgenommen hat. Die tote Maus diente einfach dazu, den Nachtportier seine Schlüsse ziehen zu lassen. Zuerst schrillt der Alarm los, dann zerbricht eine Scheibe, und schließlich liegt eine tote Maus in der Werkstatt. Nachtportier Fiore konnte also gar keinen anderen Schluss aus den Ereignissen ziehen. Deshalb ist ihm – und wir werden ja dann gleich hören, wie er alles erlebt hat – kein Vorwurf zu machen. Aber zurück zum Täter. Er hat das Ganze bis ins kleinste Detail geplant. An den früheren Kleinganoven, der den ganz großen Coup landen will, kann und will ich nicht ganz glauben.«

Während Capitano Dal Fiesco seinem Mitarbeiter einen anerkennenden Blick zuwarf, meldete sich David Carbone von der Spurensicherung zu Wort.

 

»Auch wenn ich Ihnen keinen konkreten Täter präsentieren kann, ich kann Ihnen zumindest sagen, welche ­Spezies für den Mord der Maus in der Werkstatt verantwortlich zeichnet: eine Katze. Der armen Maus wurde mit einem Biss das Genick gebrochen, und dann hat die Katze wohl auch noch ein wenig mit ihrer Beute gespielt. Danach hat man ihr die Maus offenbar weggenommen, um sie hier am Tatort zu platzieren.« Und in Richtung Alessio Bianchi: »Obwohl es der Bestätigung ihrer Expertise eigentlich nicht bedarf, haben auch wir keinerlei Spuren einer Schlange entdeckt, zumal das golfballgroße Loch in der Glasscheibe der Tür eindeutig von einem Stein stammt. Der Täter hat die Scheibe also mit einem Stein eingeschlagen. Den Gefallen, besagten Stein zu hinterlassen, hat er uns aber nicht getan. Und das ist für mich auch ein Indiz, dass es sich um einen insgesamt sehr konzentriert vorgehenden Täter handelt.«

»Ich danke Ihnen. Hiermit darf ich offiziell den Themenschwerpunkt Fauna und Flora für beendet erklären«, konnte sich Capitano Dal Fiesco ein Lächeln nicht verkneifen und erntete dafür das eine oder andere Schmunzeln: »Bevor wir uns den Aussagen der Geschäftsführung von Mondo Animal zuwenden: Welche Erkenntnisse habt ihr noch aus der Sicherung der Spuren am Tatort gewonnen, Davide?«

»Viel mehr haben wir, ehrlich gesagt, nicht. Das Gemälde wurde fachmännisch aus dem Rahmen genommen und der maßstabgetreue Farbdruck sorgfältig hineinmontiert. Auf dem Rahmen haben wir einige Fingerabdrücke sichergestellt, und morgen besorgen wir uns dann die Fingerabdrücke sämtlicher Mitarbeiter in der Werkstatt. Ich gehe zwar davon aus, dass die Fingerabdrücke auf dem Rahmen Mitarbeitern des OPD zuzuordnen sind, aber angesichts der Dimension dieses Verbrechens fühle ich mich zu dieser Fleißaufgabe verpflichtet. Wir sollten hier einfach nichts unversucht lassen, gerade weil wir so wenige Spuren haben. Auch auf dem Boden sind Spuren übrigens Mangelware. Der Täter hat anscheinend profillose Schuhe getragen«, schloss Carbone.

Nun mischte sich erstmals Chiara Frattini in das Gespräch.

»Der große Unbekannte muss sich also im Laufe des gestrigen Tages im Haus versteckt haben, um dann mitten in der Nacht wieselflink das Bild zu entwenden, sich erneut für ein paar Stunden zu verstecken und dann um sieben Uhr in der Früh mit dem Gemälde – Verzeihung, lieber Direttore – seelenruhig aus dem OPD hinauszuspazieren.«

»Signora Frattini, bitte!«, protestierte Direttore Collocini.

Capitano Dal Fiesco beruhigte die Gemüter: »Wenn Signora Frattini auch etwas blumig formuliert, so hat sie doch im Kern recht, Direttore. Aber hören wir uns nun an, was uns der Nachtportier, Giovanni Fiore, zu erzählen hat.«

Nachdem der Schlangenexperte Bianchi und der Spurensicherer Carbone das Büro des Direttore und das OPD verlassen hatten, ließ Chefportier Bruzzo den Nachtportier in Collocinis Büro rufen.

Schüchtern betrat Giovanni Fiore, der bereits seine dunkelblaue Uniform für den anstehenden Nachtdienst übergestreift hatte, den Raum. Dal Fiesco forderte ihn auf, die Ereignisse der vergangenen Nacht noch einmal im Detail zu schildern. »Konzentrieren Sie sich bei Ihren Ausführungen vor allem auf den ersten und den zweiten Alarm!«, ergänzte er.

Um seinen Mitarbeiter zu schützen und die Erwartungen im Zaum zu halten, warf Bruzzo ein: »Wir sollten bei Giovannis Ausführungen eines nicht vergessen: Er war gestern Nacht nicht darauf eingestellt, dass hier ein Gemäldedieb sein Unwesen treibt. Er fürchtete vielmehr, dass jeden Augenblick eine Würgeschlange aus dem Urwald um die Ecke kriechen würde. Sein Fokus war also ein ganz anderer.«

»Lass nur, Gianni, ich werde mich bemühen, kein Detail zu vergessen!«, beteuerte Fiore und begann mit seiner Schilderung der Ereignisse. Während seines Berichts taute er von Minute zu Minute mehr auf. Dem einstigen Philosophiestudenten an der hiesigen Universität wurde nicht oft eine derartige Bühne geboten.

»Verzeihen Sie, Signore Fiore. Zum Alarm habe ich noch eine Frage«, unterbrach Chiara Frattini seine Ausführungen. »Habe ich es richtig verstanden, dass Sie bei einem Alarm zuallererst die Alarmanlage abdrehen, damit der Alarm nicht an die Polizei und nicht an einen privaten Sicherheitsdienstleister weitergeleitet wird?«

Chefportier Bruzzo blickte verlegen zu Direttore Poletti, der widerwillig in die Bresche sprang. »Signora Frattini, wir bewegen uns hier innerhalb eines straffen budgetären Rahmens. Wir können nicht ziellos mit Geld um uns werfen. Wissen Sie eigentlich, was uns ein Einsatz von Polizei und Security kosten würde?« Ohne die beschwichtigende Geste von Direttore Collocini zu beachten, fuhr er fort. »Obwohl wir unsere Alarmanlage vorschriftsmäßig warten lassen, kommt immer wieder mal ein Fehlalarm vor: Ein unachtsamer Lieferant versucht, eine Sicherheitstür zu öffnen, ein Mitarbeiter raucht in der Nähe eines Brandmelders, ein Windstoß rüttelt an einem Fenster und so weiter. Und dann gilt es für unsere Portierstruppe als Erstes, die Alarmanlage abzudrehen, also zu entschärfen, sodann nachzusehen, worum es sich handelt, und danach die Alarmanlage für diesen oder jenen Gebäudeabschnitt wieder scharfzustellen. Wir vom OPD wollen nicht, dass dauernd Polizei und Security mit quietschenden Reifen bei uns vorfahren, um dann für jeden Einsatz die Hand aufzuhalten. Das können wir uns nicht leisten. Weder finanziell noch imagemäßig. Und deshalb hat Signore Fiore grundsätzlich vorschriftsmäßig gehandelt.«

Chiara Frattini hob kurz ihren Zeigefinger und erteilte sich darauf selbst das Wort. »Ob das clever und zielführend ist, will ich jetzt gar nicht beurteilen, aber wenn ich den Gedanken weiterspinne, dann ist das Verhalten Ihrer Portierstruppe im Alarmfall vorhersehbar. Wenn die Alarmanlage losschrillt, wird zumindest ein Portier – in der Nacht eben der einzige – zuallererst die in der Portiersloge gelegene Alarmanlage ausschalten, dann Nachschau an der Stelle halten, wo der Alarm ausgelöst wurde, und anschließend die Alarmanlage für diesen Bereich wieder scharfstellen. Was macht der Täter daher: Er schlägt eine Scheibe ein, der Nachtportier schaltet die Alarmanlage aus, begibt sich in den zweiten Stock in die Restaurationswerkstätte, sieht die eingeschlagene Scheibe, öffnet die Tür zur Restaurationswerkstätte und versichert sich gleich einmal, dass das aktuell wichtigste Stück, nämlich die ›Anbetung der Könige‹, in seinem Rahmen hängt. Plötzlich geht der nächste Alarm los: Der Nachtportier hat gar nicht die Zeit, die Tür zur Werkstatt wieder abzuschließen, hastet erneut zwei Etagen hinunter, hantiert an der Alarmanlage herum und läuft dann wieder zurück in die Werkstatt. Und die wenigen Minuten nutzt der Täter, um das Gemälde aus dem Rahmen zu nehmen und den täuschend echten Druck in den Rahmen zu montieren. Was ich damit sagen möchte: Der Täter hat die Reaktion von Nachtportier Fiore zu hundert Prozent vorhergesehen. Auch hier gilt es, ermittlungstechnisch anzusetzen.«

Brigadiere Donati wollte schon zu einer Protestnote ansetzen, da fasste ihn Dal Fiesco sanft, aber bestimmt am Handgelenk und ergriff selbst das Wort. »Danke, Signora Frattini, das werden wir beherzigen. Und bei allem nötigen Respekt: An dem Punkt, wo sie jetzt gedanklich angelangt sind, waren wir auch schon. Was für Sie alle aber wahrscheinlich noch von hohem Interesse ist, sind die Äußerungen von der Mondo-Animali-Geschäftsführung. Brigadiere Donati, ­bitte!«

»Danke, Capitano!«, der Brigadiere straffte sich: »Mondo Animali spielt in diesem ganzen Schauspiel eine ungewollt zentrale Rolle. Die zwei Mitarbeiter, die die Kiste angeliefert haben, handelten im Auftrag einer Firma namens DataTusc aus Scandicci, ganz in der Nähe der hiesigen Gucci-Fabrik gelegen. Das Interessante ist aber: Vereinbart war ursprünglich, dass die Transportkiste um 11.15 Uhr abgeholt wird. Tiere von A nach B zu bringen, ist übrigens nicht unbedingt die Kernkompetenz von Mondo Animali, aber da man eine Kiste mit einer Schlange nicht ohne Weiteres mit einem Taxi befördern kann, übernimmt Mondo Animali derartige Botenfahrten gegen Bezahlung. Um elf Uhr rief ein Signore Ventura von DataTusc bei Mondo Animali an und erklärte, dass sich die Abholadresse kurzfristig geändert habe: Die Transportkiste stehe aus terminlichen Gründen um 11.15 Uhr im ungefähr eineinhalb Kilometer von DataTusc entfernten Hilton Florence Metropole beim Concierge zur Abholung bereit. Und so war es dann auch: Der Concierge hielt nicht nur die Kiste, sondern auch die Unterlagen zur Lieferung und einen 100-Euro-Schein – die Kosten für die Fahrt und ein großzügiges Trinkgeld – bereit. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, dass man bei DataTusc nichts, aber auch gar nichts von der Transportkiste mit der angeblichen Schlange wusste. Der Firmenname war vom Täter einfach nur benutzt worden. Und da der Fahrer und der Beifahrer von Mondo Animali die Anweisung hatten, die Kiste mit der Schlange exakt um 12.45 Uhr im Opificio delle Pietre Dure abzuliefern, und der Auftraggeber nicht mit Trinkgeld gegeizt hatte, gönnten sie sich mal ein ausgiebiges Mittagessen.«

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