Der Zthronmische Krieg

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Der Zthronmische Krieg
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Matthias Falke

Der Zthronmische Krieg

© 2014 Begedia Verlag

© 2009 Matthias Falke

Umschlagbild – Alexander Preuss

Covergestaltung und Satz – Begedia Verlag

Lektorat – André Piotrowski

ebook-Bearbeitung – Begedia Verlag

ISBN-13 – 978-3-95777-031-8 (epub)

Besuchen Sie uns im Web:

http://verlag.begedia.de

Das ENTHYMESIS-Universum

Eine Science-Fiction-Saga in sieben Trilogien

1. Laertes

2. Exploration

3. Gaugamela

4. Zthronmic

- Torus der Tloxi

- Der Zthronmische Krieg

- Palisaden von S'Deró

5. Tloxi

6. Jin-Xing

7. Rongphu

Laertes I

Die Ordonnanz brachte die Getränke und stellte sie auf das zierliche gravimetrische Tischchen: einen Scotch in einem Tumbler aus echtem Kristall und einen alten spanischen Rotwein in einem Römer aus Elastalglas.

»Haben die Herren sonst noch einen Wunsch?«

Die beiden Männer verneinten wortlos. Dann sahen sie der jungen Offiziersanwärterin mit versonnenem Blick nach, wie sie mit elegantem Hüftschwung ihren Slalom zwischen den anderen Tischen und Sitzgruppen absolvierte und zu ihrer Bar zurückkehrte. Dort schmolz sie in die Silhouette einiger Palmen und genmanipulierter Ficusgewächse ein, die sich als filigrane Scherenschnitte von dem Hintergrund des Raumes abhoben. Die mächtige Kuppel aus polarisierendem Elastal war – wie immer zu dieser späten Stunde – vollkommen durchscheinend. Während man ihr tagsüber ein milchiges Aussehen zu geben pflegte, das einen hellen Erdhimmel imaginieren ließ, wurde die Polarisierung am Abend aufgehoben. Der Blick in den Kosmos wurde so zu einem »nächtlichen« Firmament – wenn auch zu einem, dessen Pracht die klarsten irdischen Winter- und Hochgebirgsnächte verblassen ließ. Millionen Sterne überstrahlten die Erinnerung an die paar Tausend, die man von der Erde aus hätte sehen können. Hinzu kamen die gewaltigen Artefakte, die scheinbar regungslos im Raum hingen: mächtige Schiffe, deren Parkraum eine Ebene von vielen Quadratkilometern bildete. Und in der Flucht stand die Hälfte des Torus als Regenbogen aus glitzerndem Titanstahl. Die Bewegung dieser Massen war vollständig synchronisiert. Sie teilte sich den Besuchern der Bar nur indirekt am gemächlichen Wandern des Sternenhintergrundes mit. Und daran, dass die roten und blauen Strahlen der Doppelsonne dieses Systems bisweilen zwischen den schweigenden Schiffskörpern durchbrachen und seltsame Halos auf ihre Flanken warfen.

Die beiden Männer hatten schweigend ihre Gläser gehoben, einander zugenickt und dann den ersten Schluck getrunken.

Die junge Ordonnanz hatte das Licht ein wenig weiter herabgedimmt und dezente klassische Musik angeschaltet. Es war die Stunde der Liebespaare, die nach Schichtende in die SkyLounge kamen, um sich Zärtlichkeiten ins Ohr zu flüstern.

»Seltsam«, sagte der eine der beiden alten Männer, die einander gegenübersaßen und ihre Gläser in den Händen drehten.

Der andere erwiderte nichts, sah aber auch nicht auf. Sein Schweigen ermöglichte es dem ersten, seinen Gedankengang ohne Eile darzulegen.

»Da sitzen wir am anderen Ende der Galaxis, die zu unserer Jugend noch der Inbegriff des Unerreichbaren war, und was machen wir? Wir trinken schottischen Whiskey und spanischen Rotwein, hören Mozart, und die Pracht von tausend Sonnen vermag nicht die Nostalgie zu überstrahlen, die der Anblick einer schlanken Mädchenhüfte in uns auslöst.«

Laertes ließ den Wein in dem Pokal aus synthetischem Glas kreisen und seine Blicke über die halbdunkle Feierabendlandschaft der SkyLounge schweifen. Er wirkte, als versuche er, Augenkontakt zu der Ordonnanz herzustellen. Aber sie hatte sich mit dem Oberkörper über ihre Theke gelehnt und spielte mit ihrem KomGerät. Vermutlich tauschte sie Nachrichten mit ihrem Liebhaber aus.

»Ich weiß, was jetzt kommt«, sagte General a. D. Dr. Randolph Valerian Rogers. Er ließ die Eiswürfel in seinem Tumbler aneinanderklacken und verfolgte ihre Bewegungen dabei, als handle es sich um ein besonders spannendes Baseballspiel. »Warum sind wir hier? Was machen wir hier eigentlich?«

Er sah auf und grinste Laertes spöttisch an. Der selbst ernannte Chefideologe zuckte nicht einmal die Schultern. Die feine Ironie seines alten Weggefährten nahm er schon lange nicht mehr wahr.

»Warum nicht?«, sagte er leise. »Was schadet es, hin und wieder das Ganze infrage zu stellen?«

Er lehnte sich zurück und sah zu der mächtigen, nahezu unsichtbaren Kuppel hinauf, jenseits der das Universum lohte wie ein blauer Brand. Dann schüttelte er die grüblerische Stimmung ab und fasste Rogers scharf ins Auge.

»Wir müssen reden«, sagte er mit verwandelter Stimme.

Rogers musterte wieder die komplizierten Manöver seiner Eiswürfel.

»Dazu sind wir da«, meinte er halblaut, ohne auf Laertes’ neu angeschlagenen Ton einzugehen.

Der weißhaarige Philosoph setzte sich noch eine Spur gerader auf.

»Wir müssen über das Imperium reden«, sagte er eindringlich.

Sein Gegenüber schien noch immer so von dem Inhalt seines Tumblers fasziniert, dass es fraglich blieb, ob er überhaupt zugehört hatte. Nach einer Weile kippte er den Rest seines Getränkes mit einer zackigen Bewegung hinunter und setzte das Glas abrupt auf die Tischplatte aus künstlicher Gravitation.

»Ich bin froh«, sagte er, »dass sie den Ordonnanzen neue Uniformen gegeben haben. Die alten waren zu zivil. Diese hier«, er nickte mit dem Kopf über die Schulter in Richtung Theke, »haben mehr Schneid. Sie sind den Ausgehuniformen der fliegenden Crew nachempfunden, das finde ich wesentlich angemessener.«

Laertes hatte Rogers’ Ausführungen geduldig angehört. Er kannte den alten Schlachtenlenker und bei Generationen von Akademieabgängern gefürchteten Schleifer viel zu gut, als dass er sich von einem solchen Capriccio aus dem Konzept hätte bringen lassen.

Als das Schweigen zwischen ihnen wuchs wie die Feindseligkeit zwischen zwei konkurrierenden Mafiapaten, begegnete der pensionierte General schließlich dem Blick des Philosophen.

»Das ist ja neuerdings ein Lieblingswort«, knurrte er. »Man hört es immer wieder.«

Laertes lächelte schmerzlich.

»Das spiegelt nur die Realität. Wir haben – neuerdings – eine veränderte Situation und ich weiß nicht, ob wir sie schon angemessen reflektiert, ob wir sie überhaupt begriffen haben!«

Dr. Rogers nahm die Schultern zurück und drückte das Kinn auf die Brust. »Jetzt lass aber mal die Kirche im Dorf!«, sagte diese Körperhaltung. Aber er sah, dass der unausgesprochene Vorwurf an Laertes abprallte.

»Das Imperium«, begann dieser, indem er jedes Wort betonte, als spreche er für die Protokollfunktion des StabsLogs, »das Imperium ist Realität. Dieser Tatsache müssen wir ins Auge sehen. Alles andere wäre Selbstbetrug.«

Er fixierte den texanischen Haudegen, bis dieser seinen Blick mürrisch erwiderte.

»Schlimmer: Selbstmord. Wir können es uns in unserer Lage nicht mehr leisten, an der Wirklichkeit vorbeizuschauen. Mit dem Sieg über Sina ist uns eine Macht in den Schoß gefallen, auf die wir nicht vorbereitet waren. Wir kamen dazu wie die Jungfrau zum Kind. Oder«, wieder setzte er das schmerzliche Lächeln auf, das ausdrückte, wie unwohl ihm selber bei der Sache war, »oder wie der Schlafwandler auf den First seines Daches …«

»Da soll man ihn nicht aufwecken«, knurrte Dr. Rogers.

»Doch«, rief Laertes augenblicklich. »Man muss! Denn schon beim nächsten Schritt kann er in den Abgrund stürzen.«

Rogers hatte die Ordonnanz herbeigewedelt und ihr aufgetragen, ihre Getränke zu erneuern. Nachdem das Mädchen der Bestellung nachgekommen war, sahen sie ihm wieder nach, wie es seine Kurven in der straffen weißen Uniformhose zwischen den Gravitischchen schwingen ließ.

»Ich würde ja auch lieber«, sagte Laertes halblaut, als sie zum zweiten Mal an diesem Abend ihre Gläser erhoben, »in einem Altenheim in Pensacola sitzen und meinen Lebensabend damit verbringen, jungen Dingern nachzuträumen. Aber das dürfen wir uns nicht gestatten.«

Rogers hatte die Augen geschlossen und einen Schluck Scotch die Kehle hinuntergleiten lassen.

»Worauf willst du hinaus?«, fragte er endlich, als er einsah, dass Laertes sein Steckenpferd für den Rest dieser Unterhaltung nicht mehr freigeben würde.

»Ich weiß es ja selbst nicht«, sagte der alte Philosoph entwaffnend. »Mir scheint nur, dass wir – seit jener Schlacht – noch nicht einen Tag zur Besinnung gekommen sind. Wir wurden angegriffen. Wir setzten uns zur Wehr. Wir errangen den Sieg. Aber sei doch ehrlich: Niemals hätten wir gedacht, dass wir eine solche Attacke nicht nur zurückschlagen, sondern die Macht, die hinter ihr stand, restlos würden vernichten können!«

Beinahe wäre dem General a. D. die Faust ausgerutscht und auf die Tischplatte gekracht. Der Veteran zweier Kriege war für sein aufbrausendes Temperament bekannt. Und seine Freunde wussten, dass er dieses unter Alkoholeinfluss noch wesentlich schlechter im Zaum halten konnte. Im letzten Augenblick beherrschte er sich aber und besann sich, wo er war und wem er gegenübersaß.

»Wir waren weder unvorbereitet noch unbewaffnet«, knurrte er lediglich. »Schon bei Persephone haben wir ihnen gezeigt, was eine Harke ist.« Er funkelte Laertes finster an. »Ich weiß, wovon ich spreche: Ich darf behaupten, dabei gewesen zu sein. Und Sina City …«

Der Chefideologe und Vorsitzende des verfassunggebenden Konvents wischte das weg.

»Darum geht es jetzt nicht«, sagte er bestimmt. »Nicht mehr. Sina ist zerschmettert. Wer wollte es leugnen? Aber das war gestern.«

 

Dr. Rogers schlürfte geräuschvoll seinen Whiskey.

»Ich dachte, wir wollten innehalten«, äffte er. »Uns besinnen …«

Er war sichtlich verstimmt. Seine beiden größten Triumphe, die beiden Siege über die Kaiserliche Sinesische Flotte, ließ er sich so schnell nicht madig machen.

»Wir haben das Sinesische Imperium ungespitzt in den Boden gestampft«, grinste Laertes. »So würdest du das doch sagen?!«

Er wartete ab, aber als Rogers nichts entgegnete, wurde er wieder ernst. »Und die Trümmer dieses Imperiums fliegen uns jetzt um die Ohren. Wir müssen das Erbe dieses Imperiums antreten – ob wir wollen oder nicht.«

Der alte General hatte schmollend die Unterlippe vorgeschoben. Sein schwerer Schädel war dunkelrot. Ob von Zorn oder von Whiskey – das würde sich nicht mehr auseinanderhalten lassen.

»Dazu sind wir doch hier«, brummte er und nickte zur Panoramakuppel hinaus, wo die obere Hälfte des gewaltigen Torus sichtbar war. Dort tagte seit Monaten der Galaktische Kongress, der einberufen war, die aus der Knechtschaft der Sineser befreiten Völker an die Union zu binden und das Miteinander in der Galaxis neu zu ordnen.

»Gewiss«, beeilte Laertes sich zu sagen. »Dennoch frage ich mich, ob wir dieser Aufgabe gewachsen sind. Nicht wir paar Politiker und Militärs, Diplomaten und Wissenschaftsastronauten, sondern wir: die ehemalige Union, die Menschheit.«

Das Wort verhallte in einem langen Schweigen. Die Rotation des Torus, der die geparkten Schiffe in unsichtbaren Nachführbewegungen folgten, brachte es mit sich, dass das Licht der beiden fernen Sonne – des blauen Sterns β-Horus und des roten γ-Horus –, komplexe Muster über die riesigen Gebilde wandern ließ. Die Sonnen, die selbst aus dieser Perspektive nicht zu sehen waren, mussten gerade nebeneinander stehen. Ihr Licht vermischte sich. Wo es gemeinsam auftraf, vereinigte es sich zu einem harten Weiß, das unerträglich gewesen wäre, wenn die polarisierenden Elastalglasfelder es nicht selbsttätig gemildert hätten. Wo es sich aber an den Kanten und Aufbauten der Schiffe brach, zersplitterte es zu smaragdblauen und magentafarbenen Höfen, die wie Elmsfeuer um Antennenbäume und Triebwerksdorne spielten.

»Diese Ambition«, setzte Laertes neu an, »haben wir doch in unseren kühnsten Träumen nicht gehabt. Wem könnte ich das eher begreiflich machen als dir, dem letzten noch in Dienst stehenden Angehörigen der goldenen Generation? Dem letzten, der sich noch an die Anfänge der interstellaren Exploration erinnern kann!«

Er fasste Rogers am Arm und zwang ihn, seinem aufrüttelnden Blick standzuhalten.

»Kannst du dich noch daran erinnern?«, fragte er provozierend. »Der Jungfernflug der MARQUIS DE LAPLACE! Zum Sirius! Zehn Lichtjahre!«

Die beiden sanken wieder in ihre Erinnerungen zurück. Viele Jahrzehnte war das her. Auf der Erde waren Jahrhunderte vergangen. Die hohen Geschwindigkeiten im konventionellen Flug mit Hawken-Antrieb und die damit verbundenen langen Flugzeiten hatten in der Anfangszeit zu einem enormen Timeshift geführt. Dann erst kam der Warp. – Und dann kamen die Schiffe der III. Generation mit oszillierendem Warpantrieb, der es ermöglichte, jeden Punkt des Universums innerhalb weniger Tage zu erreichen.

»Alles«, sagte Laertes versonnen, auch wenn diese Erinnerungen für ihn nicht frei von tiefem persönlichen Schmerz waren, »alles im Zeichen der Wissenschaft, der Forschung, der zweckfreien Erkundung des Kosmos, der menschlichen Neugierde auf die unfassbare Pracht der Schöpfung.«

Er wies mit ausgebreiteten Armen zu den großen Panoramafronten hinaus. Seine Augen glänzten feucht und ein feines Lächeln spielte um seine schmalen Lippen, das auszudrücken schien, dass ihm dieser Ausflug in Pathos und Nostalgie ein wenig peinlich sei.

»Von militärischen Belangen war gar nicht die Rede«, fuhr er nüchterner fort. »Wir waren ja die Einzigen und wir kamen in Frieden.«

Dr. Rogers hatte grimmig vor sich hin gelacht.

»Ja«, knurrte er, »und jetzt sind wir Herren über ein galaktisches Imperium.«

Laertes nickte.

»Wir haben es weit gebracht«, sagte der General und seine Stimme blieb vollkommen ausdruckslos.

»Wir sind zu schnell gewachsen«, rief der Philosoph. »Wir sind wie eine Larve, der über Nacht mächtige Flügel gewachsen sind. Aber sie hat keine Zeit, sich ihrer neuen Fertigkeiten zu vergewissern, denn schon stellen ihr die ersten Feinde nach!«

Rogers hob die Schultern und setzte sein breitestes texanisches Haifischgrinsen auf.

»Haben wir Feinde?«, fragte er scheinheilig.

Es war bekannt, dass Laertes in den bisherigen Konflikten immer auf den Verhandlungsweg gesetzt hatte. Auch als der Frachter ENCOURAGE II gekapert und seine Mannschaft massakriert worden war, hatte er daran festgehalten, die Krise auf diplomatischem Wege beilegen zu wollen. Jennifers aus dem Augenblick geborene Entscheidung, das zthronmische Shuttle abzuschießen, in das die Zthronmic mehrere Zehntausend Tonnen Plasma abgepumpt hatten, hatte er intern scharf kritisiert. Und jetzt sprach er von Feinden? In den vierundzwanzig Stunden, die seit dem Vorfall verstrichen waren, schien er seine Meinung modifiziert zu haben.

»Wir sind Herren über ein galaktisches Imperium«, nahm er Rogers’ Formulierung auf, weil er wusste, dass dieser sie in provozierender Absicht gewählt hatte. »Die Union hat mehrere Dutzend neue Mitglieder, friedliche Kulturen – und weniger friedliche. Hochtechnisierte Zivilisationen und Völker, die zur Meditation neigen. Rohstoffreiche Welten und Kulturen, die ihrem eigenen Ethos verpflichtet sind.«

Dr. Rogers saß mit angehobenen Schultern da und starrte ihn unverwandt an.

»Dass es in einer solchen Gemengelage Feinde gibt«, sagte Laertes, »ist so naturgegeben wie, dass es« – auf der Suche nach einem Bild fiel sein Blick auf das regenbogenförmige, in sämtlichen Astralfarben schillernde Tor der nur zur Hälfte sichtbaren Raumstation –, »wie, dass es zentrifugale und zentripetale Kräfte gibt. Wir müssen aufpassen, dass erstere nicht die Oberhand gewinnen.«

»Sonst fliegt uns der ganze Laden auseinander«, brummte Dr. Rogers.

Er nahm die Achseln wieder herunter. Seine Miene war von demonstrativer Gleichgültigkeit. »Sie sollen nur kommen!«, schien der Veteran zweier furchtbarer Schlachten seinen imaginären Feinden zurufen zu wollen.

»Meine Frage ist«, sagte Laertes abschließend, »ob wir darauf vorbereitet sind. Ob wir dieser Aufgabe gewachsen sind.«

Dr. Rogers leckte sich den Whiskey von den Lippen. Seine blauen Augen funkelten angriffslustig.

»Wir sind zweimal mit Sina fertiggeworden«, knurrte er drohend. »Mit diesen – Zthronmic«, er wirkte, als wolle er vor lauter Verachtung ausspucken, »werden wir schon auch noch ein Hühnchen rupfen.«

Laertes musterte ihn aufmerksam. Das verbale Säbelgerassel des alten Veteranen vermochte ihn nicht zu beeindrucken. Vielmehr schien er in dessen Miene lesen zu wollen, wie viel hinter den martialischen Sprüchen wirklich steckte.

»Das meine ich nicht«, sagte er nachdenklich. »Hier eine Polizeiaktion, dort ein kleiner Abschreckungsfeldzug – das traue ich unseren Truppen durchaus zu.«

Rogers hatte sein Glas zur Hand genommen und ließ das Eis darin klacken. Es klang wie das Laden und Präsentieren automatischer Waffen beim Exerzieren.

»Aber wollen wir das wirklich?«, fragte Laertes. »Diesen Belagerungszustand auf Dauer? Dieses Denken in militärischen und strategischen Szenarien? Diesen Kalender, in dem wir die Jahre nicht mehr nach entdeckten Welten und erforschten Planeten zählen, sondern nach Kriegen?«

Dr. Rogers hielt seinem herausfordernden Blick ungerührt stand. Für ihn schien es Schlimmeres zu geben. Ein ganzes ereignisreiches Leben hatte er so geführt. Im Rückblick waren die Jahrzehnte der interstellaren Exploration, in denen es eine zivile Erforschung des Weltraums gegeben hatte, kaum mehr als eine Episode.

»Sind wir dazu bereit?«, insistierte Laertes im Tonfall eines Plädoyers. »Zu dieser ständigen Härte? Zu der Erbarmungslosigkeit, die das notwendigerweise mit sich bringt? Sind wir bereit, immer und immer wieder Blut zu vergießen?«

Der General hatte einen Eiswürfel in den Mund genommen und ihn krachend zerbissen. Jetzt schluckte er die Splitter herunter und spülte mit dem Rest des Whiskeys nach.

»Blut muss fließen«, sagte er.

»Wollen wir das?«, fragte Laertes. Das verzweifelte Vibrieren seiner Stimme war gespielt. Die ganze Szene war ein Planspiel, ein inszeniertes Kreuzverhör von Staatsanwalt und Verteidigung. Und dennoch war es ernst. »Können wir das? Auch das Blut Unschuldiger und Unbeteiligter? Können wir es fließen sehen? Immer und immer wieder? Auch unser eigenes? Das unserer Soldaten, unserer jungen Piloten, unserer Zivilisten?«

Er nickte zu der Ordonnanz, die ihnen den Rücken wies und halblaut auf dem KomLog sprach, vermutlich mit einer Verabredung, die sie nach dem Ende ihrer Schicht am Elevatorschacht erwarten würde.

»Ihr Blut!«

Jetzt wurde es Dr. Rogers zu bunt. Er atmete vernehmlich durch.

»Jetzt mach mal halblang«, sagte er unwirsch. »Die Zthronmic sind nicht die Sineser.«

»Das meine ich auch nicht«, versetzte der Philosoph.

»Auf die eine oder andere Weise werden wir uns mit ihnen ins Benehmen setzen«, knurrte der General a. D. »Ihnen eine Lektion erteilen …« Er blinzelte Laertes pfiffig zu. »Und dann kann Norton endlich zu seiner Ringgalaxis aufbrechen, von der er jede freie Minute schwärmt.«

Laertes schüttelte den Kopf.

»Die ist auch noch in einem Jahr da«, sagte er. »Aber in einem Jahr wird es den nächsten Aufstand geben, den nächsten Übergriff, den nächsten lokalen Separatismus! Begreifst du? Das wird nun immer so weitergehen!«

Rogers schnalzte mit der Zunge, um die Ordonnanz herbeizurufen. Sie brachte die dritte Runde.

»Ihr Philosophen«, sagte er, der mit jedem Glas jovialer wurde, »macht ein Geschäft daraus, euch den Kopf zu zerbrechen. Aber was vielleicht im übernächsten Jahr sein könnte, lässt mir heute keine grauen Haare wachsen.«

Er grimassierte, denn tatsächlich hatte er fast überhaupt keine Haare mehr auf dem schweren, geröteten Schädel. Er hob sein Glas und ließ es brutal gegen Laertes’ zierlichen Weinkelch krachen.

»Wenn da ein Problem ist«, dozierte er im Stil seiner Taktikvorlesungen an der Akademie, »werden wir es lösen.« Er dachte eine Weile nach. »Du hast natürlich recht: Ein Aufstand kann den nächsten nach sich ziehen. Die Union ist ein volatiles Gebilde. Ruhe wird es vermutlich niemals geben. Umso mehr müssen wir darauf achten, dass wir nicht den Eindruck von Schwäche erwecken. Das eine Attentat, das wir aus Weichherzigkeit durchgehen lassen, wird augenblicklich Nachahmer finden.«

Laertes nickte zustimmend.

»Deshalb«, fuhr Dr. Rogers fort, indem er sich in seinem Sessel aufblies, »werden wir uns dieser seltsamen Amish-Zthronmic-Angelegenheit zu widmen haben.« Er zwinkerte seinem alten Weggefährten gut gelaunt zu. »Ich muss gestehen, dass ich die Sache nicht durchschaue. Sie interessiert mich auch nicht. Aber wir werden wohl oder übel ein Exempel statuieren müssen.«

Laertes blickte skeptisch in sein Glas. Auch seine asketischen Züge hatten ein wenig Farbe angenommen.

»Hier ist eine Bürde«, sagte er halblaut, »auf die wir nicht vorbereitet sind.«

Dr. Rogers stieß auf und blies eine saure Alkoholwolke vor sich hin.

»Klingt angelesen«, knurrte er.

Laertes lächelte.

»Der alte Ash«, sagte er. »Er hat das alles kommen sehen. Die Punischen Kriege waren für ihn der Präzedenzfall, den er sich immer und immer wieder wiederholen sah.«

Rogers nickte. Seine Augen verklärten sich und nahmen wieder den feuchten Glanz des Alters an.

»Du hast ihn gekannt …«, sagte er. Es war weder Frage noch Feststellung.

Laertes bejahte mit einem fast unmerklichen Niederschlagen der Lider.

»Auf der Höhe des ersten Sinesischen Krieges sah er die gesamte Entwicklung voraus, die uns nun bis hierher geführt hat. Das hatte für ihn etwas von naturgesetzlicher Notwendigkeit. Wir würden das Schicksal Roms teilen und wiederholen. Verurteilt dazu, ein Imperium zu errichten, ob wir nun wollten oder nicht. Verurteilt dazu, alle Feinde zu besiegen, so lange, bis keine mehr übrig wären. Verurteilt dazu, ein Weltreich zu sein, stehende Legionen zu halten und in jedem Frühjahr an einer anderen Grenze Krieg zu führen – tausend Jahre lang.«

 

Rogers presste die Lippen zu einer wurstigen Grimasse aufeinander.

»Nicht das schlechteste Beispiel, das man sich aus der Geschichte wählen kann.«

Laertes betrachtete den dunklen Wein, der langsam in seinem Pokal aus künstlichem Tloxi-Glas kreiste.

»Die kleine Ash hat einen Frachter angefordert«, sagte er nach einer Weile.

»Nachschub«, nickte Dr. Rogers. »Treibstoff, Munition, Lebensmittel, Mannschaften. Ich habe die Anforderung gelesen und ausdrücklich gutgeheißen, auch wenn ich nichts mehr zu entscheiden habe.«

»Norton hat zugestimmt«, erwiderte Laertes. »Aber er hat meine Meinung eingeholt.« Er zog süffisant die Lippen kraus. »Das ist der Grund, weshalb ich dich um diese Unterredung gebeten habe.«

»Wir müssen unsere Präsenz vor Ort verstärken«, sagte Rogers schlicht.

Laertes kniff die Augen zusammen und beobachtete den alten General einige Zeit durch die schießschartenschmalen Schlitze.

»Es ist eine Falle«, meinte er dann.

Dr. Rogers entblößte seine Zähne.

»Jetzt können die Zthronmic zeigen, wie tapfer sie sind – oder wie dumm«, brummte er streitlustig. »Diesmal sind wir vorbereitet!«

»Ihr wollt sie in flagranti stellen …«, riet Laertes.

»Wenn sie so dämlich sind.« Der Texaner zuckte die Achseln.

Laertes trank einen Schluck Wein. Dann legte er nachdenklich den Finger an die schmale Nase. Irgendwo hatte sich das blaue Licht der Sonne β Horus in dem Segment eines Schiffes gespiegelt und brach als kalte Flut über die SkyLounge herein. Die Polarisierung der Elastalglaskuppel hatte sich selbsttätig vertieft. Dennoch war der Raum für eine Weile in unwirkliches Gletscherlicht getaucht. Die Gesichtshaut des alten Philosophen wirkte mit einem Mal grau und leichenhaft.

»Die Kleine spielt mit dem Feuer«, sagte er.

Dr. Rogers unterdrückte ein verächtliches Lächeln nur unzureichend. Es sah aus, als sei ihm abermals der Whiskey aufgestoßen.

»Sie hat die Unbeugsamkeit ihres Vaters!«

Laertes schien nicht gewillt, auf den frivolen Tonfall einzuschwenken.

»Muss das wirklich sein?«, fragte er resigniert. »Müssen wir die Zwischenfälle auch noch provozieren?«

»Was willst du?«, brauste Dr. Rogers auf. »Du hast selbst gesagt, dass uns der ganze Laden um die Ohren fliegt, wenn wir einmal nachgeben. Wenn wir nicht einmal mehr Nachschub zu unseren Basen schaffen können, können wir die ganze Veranstaltung namens Imperium gleich abblasen!«

Laertes schüttelte den Kopf.

»Es ist zu offensichtlich«, sagte er. »Selbst wenn es zu einem Scharmützel kommt und selbst wenn wir es für uns entscheiden, gerade dann …«

»Das will ich doch schwer hoffen«, fuhr der pensionierte General ihm übers Wort. »Diesmal sind wir schließlich gewarnt.«

»Gerade dann«, fuhr der Philosoph unbeeindruckt fort, »wird man es uns als böses Kalkül auslegen.«

»Diese Art zu denken«, knurrte Dr. Rogers, »wird sich mir nie erschließen.«

»Man wird sagen«, hob Laertes die Stimme, »wir hätten es darauf angelegt!«

Rogers schlug mit der Faust auf den Tisch, dessen gravimetrisches Feld für einen Augenblick summte und knisterte.

»Dann darf ich mich überhaupt nicht mehr bewegen!«, tobte er. »Ich könnte ja überfallen werden. Und dann könnte man hinterher sagen, ich habe überfallen werden wollen, um einen Vorwand zu haben, nach der Polizei zu schreien.«

Laertes blickte ihn offen an. Sein Schweigen wirkte ernüchternd auf den alten Haudegen, der drauf und dran gewesen war, sich wieder einmal in seine geliebte Rage zu reden.

»Jennifer bekommt den Frachter«, sagte Rogers. »Und ein Geschwader schneller Jäger hält sich mit programmierten Sprungvektoren bereit. Reynolds’ ingeniöse Quantenbox macht es möglich, in Echtzeit Hilfe durch den Hyperraum zu schicken.«

»Ich sage ja nicht«, führte Laertes seinen Gedankengang zu Ende, »dass es logisch oder überzeugend ist. Aber ich fürchte, es wird dennoch so kommen!«

»Dann scheiß drauf!«, polterte der Texaner.

»Es wäre sogar denkbar«, spann Laertes den Faden aus reinem Widerspruchsgeist noch ein wenig fort, »dass sie auf Baisse spielen und sich von unserer Übermacht überrumpeln lassen. Ein paar ihrer Leute zu opfern, stellt für sie ja offensichtlich kein Problem dar. Und wir kämen einmal mehr als diejenigen an den Pranger, die überzogen reagieren und blindwütig um sich schlagen.«

»Wir verteidigen nur unser Eigentum und unsere Rechte«, sagte Dr. Rogers.

»In den Augen der Dritten, aller kleinen und militärisch schwachen Völker, werden wir als die eigentlichen Aggressoren dastehen.«

»Umso besser! Dann werden sie sich in Zukunft zweimal überlegen, mit wem sie anbandeln!«

Die beiden stemmten die Blicke ineinander. Dann entspannten sie sich wieder. Es war nur ein Schaukampf gewesen. Ein Strategiespiel. Ein möglicher Ablauf dessen, was sich vielleicht schon morgen oder übermorgen realiter auf dem Kongress ergeben könnte.

»Wir müssen aufpassen, dass wir nicht überreizen«, sagte Laertes, als sich die inszenierten Wogen wieder geglättet hatten.

»Wir sind rein defensiv«, gab Dr. Rogers zurück. »Wir verfahren nach der Strategie der flexible Response. Wenn der Gegner eskaliert, eskalieren wir auch. Dann wird man sehen, wer den längeren Atem hat.«

Laertes hatte den Zeigefinger ausgefahren. Jetzt stach er ihn seinem alten Weggefährten mitten in die Brust.

»Siehst du?«, versetzte er mit einem Beigeschmack von rhetorischem Triumph. »Darum ging es mir die ganze Zeit. Müssen wir wirklich mit den Zthronmic darum wetteifern, wer brutaler ist? Wer zu mehr Grausamkeiten fähig ist? Ein erstes Exempel ihrer – Fertigkeiten haben sie schon abgeliefert.«

Rogers schien der Debatte müde zu sein.

»Erstes strategisches Gesetz«, sagte er im leiernden Tonfall einer Vorlesung, die er schon hundertmal gehalten hatte, »den Krieg dorthin tragen, wo er herkommt. Und zweitens: so früh wie möglich klarmachen, dass man zur größtmöglichen Härte entschlossen ist.«

Er senkte einen tiefen Blick in Laertes.

»Alles Appeasement der Geschichte hat nicht einen Krieg verhindert – nur die, die kamen, noch schlimmer gemacht.«

»Dann bekommt Jenny ihren Frachter«, stellte Laertes fest.

»Sie bekommt ihn«, nickte Dr. Rogers. »Und vielleicht fallen uns ja noch ein paar Überraschungen ein.«

Die Gläser waren geleert. Die übrigen Gäste der SkyLounge waren längst gegangen. Nach Bordzeit der MARQUIS DE LAPLACE war Mitternacht vorüber. Die Ordonnanz hatte sich schon einige Male laut und vernehmlich geräuspert, geräuschvoll die Gläser weggeräumt und sich an ihrer Theke zu schaffen gemacht. Ihre via KomLog eingefädelte Verabredung wartete vermutlich schon, zwei oder drei Etagen tiefer im dreidimensionalen stählernen Labyrinth des riesigen Schiffes. Dennoch wagte sie natürlich nicht, die beiden Alten direkt zum Gehen zu drängen. Mit der Schwere von Männern, die zu müde sind, um aufzustehen und nach Hause zu gehen, hockten der pensionierte General und der selbst ernannte Chefideologe da und starrten vor sich hin.

»Wiszewsky liegt im Sterben«, sagte Laertes nach einer Weile.

In Rogers’ gerötetem Gesicht war keine Regung zu erkennen.

»Hab’s gehört«, brummte er.

»Die Komarowa ist bei ihm«, fügte Laertes noch an. Dann musste er schmunzeln, denn das war sie ja all die Jahrzehnte permanent gewesen. Von den Anfängen der interstellaren Exploration bis zur Schlacht um Sina war sie buchstäblich nicht von der Seite des Commodore gewichen. Jetzt begleitete sie ihn auf seinem letzten Gang.

Auch Rogers hatte unwillkürlich grinsen müssen, als er sich das ungleiche Paar vor Augen führte. Der stets zerstreut wirkende Wiszewsky, der die MARQUIS DE LAPLACE mehrere Dezennien lang wie ein Duodezfürst regiert hatte – und die püppchenhafte Weißrussin, die während der ganzen Zeit wie nur je eine Mätresse an ihm geklebt hatte.

»Die Goldene Generation stirbt aus«, sagte der Veteran der beiden größten Schlachten, die die raumfahrende Menschheit je geschlagen hatte.