Wünsch dich ins Märchen-Wunderland

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Die weise Königin

Es war einmal in einer Zeit, in der die Menschheit gierig und unersättlich war, da lebte einst eine Königin in einem weit entfernten Land. Sie war wunderschön, ausgesprochen klug und besaß alles, was man sich nur vorstellen konnte.

Eines Tages plagte sie das Gefühl, ihr würde irgendetwas in ihrem Leben fehlen. Doch sie wusste nicht, was es war. Drum schickte sie ihre Ritter los, um danach zu suchen, und als der Nordstern seinen höchsten Punkt am Himmelszelt erreichte, kamen ihre Ritter mit drei Königen zurück. Die drei Könige lebten in weit entfernten Ländern und wollten die schöne Königin zur Frau haben. Jeder einzelne brachte der Königin ein Geschenk aus seinem Land mit, um sie von sich zu überzeugen.

„Der König mit dem schönsten Geschenk soll mein Gatte werden“, verkündete die Königin. Ein Raunen ging durch ihr Volk und jeder war gespannt darauf, für wen sich die kluge Königin entscheiden würde.

So schritt der erste König hervor. Die Menge staunte, denn seine Kleidung war mit vergoldeten Fäden genäht, die im Licht des Nordsterns hell leuchteten. Der König berichtete, dass es in seinem Land Flüsse voller Gold gäbe. So öffnete er seine Schatulle und zum Vorschein kamen die schönsten und größten Goldnuggets, die die Menschheit je gesehen hatte. Das Volk war sich sicher, dass die Königin ihn auserwählen würde und auch die schlaue Königin war sehr beeindruckt. Sie war sich jedoch nicht sicher, das gefunden zu haben, wonach sie suchte.

Dann schritt der zweite König hervor. Erneut staunte die Menge, denn seine Kleidung war mit glitzernden Diamanten besetzt, die im Licht des Nordsterns hell funkelten. Der König berichtete, dass es in seinem Land vielen Bodenschätzen gäbe. So öffnete er seine Schatulle und zum Vorschein kamen die schönsten und größten Diamanten, die die Menschheit je gesehen hatte.

Das Volk war sich sicher, dass die Königin nun ihn auserwählen würde und auch die Königin war wieder sehr beeindruckt. Sie war sich jedoch immer noch nicht sicher, das gefunden zu haben, wonach sie suchte.

Zum Schluss schritt der letzte der drei Könige hervor. Seine Kleidung war weniger leuchtend und weniger funkelnd, denn in seinem Land gab es weder Gold noch Diamanten. Die Menge spottete über den armen König und war sich sicher, dass er nicht der König ihrer Königin werden würde. Doch auch er öffnete seine Schatulle und zum Vorschein kam nichts. Die Schatulle war vollkommen leer.

Der König ging auf die Königin zu und sagte: „Meine Schatulle ist leer, doch wenn du mich zum Manne nimmst, will ich dir mein Herz mit all meiner Liebe schenken.“

Die zwei anderen Könige lachten ihn höhnisch aus und auch das Volk der Königin machte sich über den letzten der drei Könige lustig.

Die weise Königin jedoch war sich sicher, dass sie nun gefunden hatte, wonach sie sich in all den Jahren der Einsamkeit gesehnt hatte. Drum brachte sie Menge zum Schweigen und sagte: „Ich habe mich entschieden. Ich werde den letzten der drei Könige heiraten. Denn lieber lebe ich ein Leben voller Liebe, als reich und lieblos zu sterben.“

Märchen enden mit den Worten: Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Doch dies ist kein gewöhnliches Märchen und so kam einst der Tag aller Tage, an dem die Königin im sehr hohen Alter umringt von all ihren Kindern und Enkelkindern starb. Während ein Lächeln ihre Lippen umspielte, schlief sie Hand in Hand mit der Liebe ihres Lebens ein und blickte zurück auf ein Leben voller Geborgenheit, Freude und Liebe.

Michéle Schröder, geboren 1991 in NRW, erfindet gerne Gutenachtgeschichten für ihre Töchter Hannah und Clara.

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Februar


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Mia und der Stern

Es war einmal ein kleines Mädchen, das hieß Mia. Mia lebte allein mit ihrer Großmutter mitten im Wald in einer kleinen Holzhütte. Sie war fünf Jahre alt und fühlte sich oft sehr einsam, denn die Großmutter duldete es nicht, wenn Kinder aus dem Dorf zum Spielen vorbeikamen. „Mia, die Menschen sind schlecht, du kannst ihnen nicht vertrauen!“, antwortete die Großmutter jedes Mal, wenn Mia darum bat, eine Freundin einladen zu dürfen.

Mia wünschte sich so sehr eine Freundin, mit der sie alles teilen konnte. Sie stellte sich vor, was sie alles mit der Freundin machen würde: Blumen pflücken, Geschichten erzählen, schöne Bilder malen, Stöcke in den Bach werfen und bis ganz weit in den Himmel schaukeln, sodass es sich im Bauch anfühlte wie Brausepulver.

Oft saß sie nachts am Fenster und schaute hinaus. Sie liebte das Rauschen der Tannen und den Geruch nach Fichtennadeln. Ab und zu hüpfte ein Eichhörnchen von Baum zu Baum oder ein Specht klopfte. Mia fühlte sich sehr mit den Tieren des Waldes verbunden und spürte, dass sie irgendwie eine besondere Gabe hatte.

An einem Abend war die Großmutter schon früh zu Bett gegangen und Mia stand wieder am Fenster und spähte hinaus. Es war kalter Abend im Februar und die Tannen waren mit einer Schneedecke zugedeckt, fast so, als wollten sie den kalten Winter einfach verschlafen, um sich dann im Frühling wieder mit neuer Kraft der Sonne zuzustrecken. Ein heller Mond leuchtete am Himmel und neben dem Mond strahlte ein ganz besonders heller Stern. Mia betrachtete den Stern und fühlte sich magisch zu ihm hingezogen. So etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt, es war wie Zauberei. Der Stern schien plötzlich ein Gesicht zu bekommen und lächelte Mia an.

„Du bist die kleine Mia, ich kenne dich gut!“, sagte er.

Mias Herz fing an zu klopfen. Das war doch alles gar nicht möglich, oder doch?

„Ich weiß, dass du sehr traurig bist, weil du niemanden zum Spielen hast!“, fuhr der Stern fort.

Mia nickte. Der Stern hatte genau recht. „Lieber Stern, wie kann ich das ändern? Meine Großmutter ist so menschenscheu, sie vertraut keinem!“, erklärte Mia.

„Ich weiß. Das ist eine lange Geschichte. Ich kenne deine Großmutter auch sehr gut. Sie wurde in ihrem Leben einmal sehr enttäuscht und ist nicht darüber hinweggekommen!“

Mia schluckte. Das hatte sie nicht gewusst.

„Ich verrate dir jetzt ein Geheimnis!“, flüsterte der Stern. „Dein Großvater ist damals aufgebrochen, um Geld zu verdienen und als reicher Mann zu deiner Großmutter zurückzukehren. Er fällte Bäume in einem entlegenen Wald und arbeitete bis spät in die Nacht. Als er sehr viel Geld zusammen hatte, machte er sich glücklich auf den Weg nach Hause. Doch am dritten Tag seiner Wanderung wurde er von Räubern überfallen, die ihm alles nahmen bis auf das Hemd, das er am Leibe trug. Dein Großvater hatte keine Kraft mehr und wollte nicht mit leeren Händen als Bettelmann nach Hause zurückkehren. Er schämte sich so sehr. Deshalb lief er weit fort und kam nie mehr zurück. Deine Großmutter weinte viele Tage lang, denn sie dachte, ihr Mann hätte sie verlassen und irgendwo mit einer anderen Frau ein neues Leben angefangen. Dann beschloss sie, deine Mutter alleine großzuziehen, und ihr Herz wurde zu Stein!“

Mia lauschte angestrengt. Das war also der Grund, warum die Großmutter keinem Menschen traute. „Lieber Stern, wie kann ich Großmutters Herz wieder erweichen?“, fragte Mia. Ein kalter Luftzug wehte durch das Fenster und Mia schlotterte. Doch sie spürte, dass sie eine Antwort bekommen würde, und rührte sich nicht vom Fleck.

„Du musst deinen Großvater finden und ihn nach Hause holen!“, antwortete der Stern.

Mia erschrak. Wie sollte sie das schaffen? Sie war doch ein kleines Mädchen.

„Folge mir in der nächsten Nacht. Komm zu diesem Fenster und ich führe dich zu deinem Großvater! Zieh dich warm an und hab Vertrauen!“ Mia nickte und schloss das Fenster. Eine kleine Wolke hatte sich vor den Stern geschoben. Schnell huschte Mia in ihr Bett. Einschlafen konnte sie noch lange nicht.

Am nächsten Abend, nachdem die Großmutter sich schlafen gelegt hatte, zog Mia ihren dicken Wintermantel an und lief hinaus. Der Stern leuchtete hell über ihr und plötzlich war wieder sein Gesicht zu sehen.

„Liebe Mia, bist du bereit für deine große Reise?“, fragte er freundlich. Mia nickte.

„Vertraust du mir?“, fragte er weiter.

Auch jetzt nickte das Mädchen.

Der liebe Stern strahlte auf Mia hinab und sie spürte eine angenehme Wärme. Zwei große leuchtende Hände nahmen sie behutsam auf und Mia fühlte sich sehr geborgen. Dann flog sie wie auf einem fliegenden Teppich durch die Nacht. Der Wald unter ihr schlief unter seiner Schneedecke und die Hütte wurde kleiner und kleiner. Mia spürte den kalten Wind auf ihrem Gesicht, doch sie wusste, dass sie in Sicherheit war und dass ihr nichts passieren konnte. Ihr Stern war bei ihr. Er brachte sie zu ihrem Großvater.

Der Flug dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Der Himmel färbte sich von Schwarz zu Blau und dann zu Rot Violett. Am Horizont leuchtete er gelb. Mia wusste, dass dort ihr Ziel lag.

Der Stern brachte sie behutsam zurück zur Erde und sie hüpfte aus den schützenden Händen heraus. Neugierig sah sie sich um. Wo war sie hier gelandet? Sie stand vor einem alten Haus. War das das Haus des Großvaters? Es wurde langsam hell und der Stern verabschiedete sich.

„Lieber Stern, geh nicht weg! Was soll ich jetzt tun?“, rief Mia mit zitternder Stimme.

 

„Tu das, was dein Herz dir sagt!“, antwortete der Stern und verschwand hinter einer Wolke. Es war inzwischen hell geworden.

Mia wusste sich keinen anderen Rat, als an die Tür zu klopfen. „Hoffentlich ist es nicht zu früh!“, dachte sie bei sich.

Niemand öffnete. Doch dann hörte Mia Schritte, die immer näher kamen. Kurze Zeit später ging die Tür auf und ein alter Mann sah sie neugierig an.

Jetzt wusste Mia nicht, was sie sagen sollte. Die Geschichte, die eben passiert war, würde ihr sowieso keiner glauben. Der alte Mann und Mia wussten nicht, was sie sagen sollten. Da dachte Mia an die letzten Worte des Sternes: „Tu das, was dein Herz dir sagt!“ Mia lächelte und dann umarmte sie den alten Mann. „Opa!“, flüsterte sie.

Der alte Mann wusste nicht, wie ihm geschah. Doch dann traten Tränen in seine Augen und sein Herz wurde schwer. Er dachte an das Schreckliche, was vor vielen, vielen Jahren passiert war. Dann flüsterte er: „Ich bin so froh, dass du gekommen bist! Es wird höchste Zeit, dass ich deine Großmutter wiedersehe!“

Mia nickte und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Dann spürte sie eine große Müdigkeit in sich aufsteigen.

„Ich muss mich kurz hinlegen!“, sagte sie und der Großvater holte eine warme Decke und trug die kleine Mia auf sein altes Sofa vor dem Kamin.

„Heute Nacht musst du dich warm anziehen. Dann warten wir auf den Stern. Er bringt uns nach Hause!“, flüsterte Mia, bevor sie einschlief.

Der alte Mann nickte und holte seinen warmen Mantel. Er wusste, jetzt war alles gut.

Dörte Müller: (geboren 1967) schreibt und illustriert Kinderbücher. Sie lebt mit ihrer Familie in Bonn und unterrichtet an einer Gesamtschule.

*

Die Sternenbeschwörerin

Es war einmal in einer Zeit, in der noch gar nichts war – außer ein paar Ideen und wenigen Personen. Es war eine Zeit, in der noch alles möglich war. In dieser Zeit lebte ein Mädchen namens Ada. Ada war von unglaublicher Schönheit, doch das spielte keine Rolle, denn in jener Zeit wurden die Menschen nicht nach ihrem Aussehen bewertet, sondern nach den Dingen, für die sie sich begeisterten. Ada begeisterte sich für Musik und Literatur. Jeden Morgen begann sie mit Gesang, sie trällerte, wonach sie sich fühlte, summte die Töne, die sie in ihrem Herzen fühlte. Danach setzte sie sich an ihren Lieblingsplatz und las. Sie las und las, bis es Abend wurde. Dann begrüßte sie die Nacht mit weiterem Gesang und legte sich anschließend zum Schlafen nieder.

So hätte Adas Leben harmonisch verlaufen können, doch leider gab es zu jener Zeit auch eine Fee. Die Fee war so fies, dass sie gar keinen Namen hatte, sondern von allen nur die fiese Fee genannt wurde. So namenlos, wie sie war, so groß war ihr Wille. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, sich das ganze Universum untertan zu machen. Vom Mond bis zu den Sternen und zurück. Jeden Tag übte sie fleißig neue Zaubersprüche und schrie Beschwörungen in den Himmel, damit die Sterne ihr gehorchten und ihren funkelnden Tanz nach den Wünschen der fiesen Fee ausrichteten.

Jedoch waren die Sterne nicht gewillt, sich beherrschen zu lassen. Sie zogen unbeirrt ihre Bahnen und strahlten gegen die Beschwörungen der fiesen Fee an, als wollten sie sagen: „Schrei doch so viel, wie du willst. Wir bleiben unbeeindruckt.“

Nur manchmal löste sich ein besonders schwacher Stern vom Himmel und fiel als Sternschnuppe ins schwarze Nichts des Universums hinab. Dann triumphierte die fiese Fee und veranstaltete ein Freudenfest, sie schwang ihren Zauberstab, hüpfte auf und ab und kreischte schaurige Melodien.

Grundsätzlich bot das Land in jenen Tag genug Platz, dass Ada und die Fee ohne Schwierigkeiten nebeneinander leben konnten. Allerdings gab es diese Tage, an denen Ada sich durch das Verhalten der Fee gestört fühlte. Sie konnte sich nicht auf ihre Bücher konzentrieren, wenn die Fee wilde Verwünschungen ausstieß, und sie konnte nicht schlafen, wenn die Fee Freudengesänge durch die Nacht kreischte. Deshalb klappte Ada eines Tages seufzend ihr Buch zu und ging zu der Fee hinüber. Mit spitzem Fingerknöchel klopfte sie an deren Haustür.

Die Fee öffnete überrascht.

„Hallo“, sagte Ada. „Ich wohne nebenan und fühle mich durch den Lärm, den du veranstaltest, gestört. Ehrlich gesagt“, schob sie hinterher, weil sie das Gefühl hatte, dass es dann höflicher wäre. Was es natürlich nicht war.

Jedenfalls fand die fiese Fee Adas Besuch extrem unhöflich. „Ich mache, was ich will“, kreischte sie schrill und warf die Tür zu.

Ada ging frustriert nach Hause, doch lesen konnte sie nicht mehr. Zu sehr drängte sich ihr eine Frage auf. Also erhob sie sich wieder von ihrem Lieblingsplatz und ging erneut zur Fee. Sie klopfte.

Die Fee riss umgehend die Tür auf. „Was willst du?“, blaffte sie.

„Genau diese Frage möchte ich dir stellen“, antwortete Ada freundlich. „Du hast gesagt, dass du tust, was du willst, und seitdem frage ich mich: Was will sie wohl machen?“

„Ich übe. Ich will mir das Universum untertan machen“, antwortete die Fee und wollte die Tür schon wieder schließen, doch Ada stellte einen Fuß dazwischen.

„Das geht?“, fragte sie. „Ich dachte immer, das wäre unmöglich.“

„Natürlich geht das“, erwiderte die Fee irritiert über so viel Interesse an ihren Plänen.

Es entstand eine unangenehme Pause.

„Ähm“, begann die Fee, „willst du vielleicht reinkommen? Ich könnte es dir erklären.“

„Das wäre wunderbar.“

Die Fee öffnete ihre Eingangstür weit und ließ Ada eintreten. Ada sah sich begeistert um. „Du hast ja viele Bücher!“

„Alle mit Zaubersprüchen.“ Die Fee nickte stolz. „Möchtest du einen Tee trinken?“

„Gern.“ Ada nahm vorsichtig am Tisch Platz, bemüht, keinen der zahlreichen Notizzettel, die darauf verstreut lagen, durcheinanderzubringen. „Entwickelst du eigene Zaubersprüche?“, fragte sie.

„Ja, natürlich“, entgegnete die Fee. „In den Büchern findet man keine Formel, um sich das Universum untertan zu machen. Das ist jahrelange Forschungsarbeit.“ Sie stellte einen Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit vor Ada hin. „Womit beschäftigst du dich den ganzen Tag?“

„Ich lese Märchen.“

„Was ist das?“

„Wunderbare Geschichten über die Ordnung des Universums, es gibt immer einen guten und einen bösen Charakter, die sich bekämpfen, das ist sehr lehrreich.“

„Ordnung des Universums, sagst du? Spannend …“ Die fiese Fee rieb sich nachdenklich das Kinn. „Vielleicht wären diese Bücher auch interessant für mich.“

„Ich kann dir gerne mal welche leihen“, lächelte Ada und legte die Hände um den Teebecher. „Aber vermutlich werden sie dir nicht gefallen.“

„Warum nicht?“

„Am Ende gewinnen immer die Guten. Das passt wohl nicht so zu deinen Plänen, dir das Universum untertan zu machen.“

„Woran erkennt man, wer der gute und wer der böse Charakter ist?“

„Oft schon am Aussehen“, erwiderte Ada, „die Guten sehen meist atemberaubend schön aus.“

„Ach …“ Die fiese Fee betrachtete Ada nachdenklich, wie sie einen Schluck Tee nahm. „Und die Guten gewinnen? Immer?“

„Ja. Aber selbst wenn man das vorher weiß, macht es Freude, die Märchen zu lesen. Die Sprache ist so anmutig.“ Ada nahm noch einen Schluck Tee, dann sprach sie aus, welcher Gedanke ihr gerade gekommen war. „Ich denke, wenn du Teil einer Geschichte wärst und würdest das Universum beherrschen wollen, dann müsstest du gut werden. ... Aber natürlich bist du nicht Teil einer Geschichte.“

„Nee, bin ich nicht.“ Die fiese Fee setzte sich Ada gegenüber an den Tisch. „Aber nur mal angenommen, du würdest wollen, dass die Sterne sich nach deinem Willen bewegen – was würdest du dann machen?“

„Ich würde ihnen vorsingen. Und dann mit ihnen gemeinsam tanzen.“

„Würdest du mir das mal zeigen?“

„Klar, warum nicht?“

Sie sahen beide aus dem Fenster. Die Zeit war vergangen, es dämmerte bereits und die ersten Sterne waren am Himmel zu sehen.

„Komm“, sagte Ada, stand auf und rannte leichtfüßig nach draußen. Dort sah sie zum Himmel auf und stimmte eine Melodie an. Einen Dank für den Tag und einen Gruß an die Nacht, einen Lobpreis auf alles, was war. Und tatsächlich. Vor den Augen der fiesen Fee begannen die Sterne zu tanzen, sie wiegten sich hin und her und stimmten ein in den Lobpreis auf die Schöpfung.

Die fiese Fee nickte. „Wenn das so ist“, sagte sie, „dann will ich auch gut werden. Würdest du mir Gesangsunterricht geben?“

Und schon nach wenigen Monaten sangen die beiden Freundinnen gemeinsam, sangen ihre Lieder, tanzten mit den Sternen oder lasen sich gegenseitig aus ihren zahlreichen Büchern vor.

Katharina Spengler (geboren 1983) lebt mit ihrer Familie im Taunus. Dort schreibt sie Geschichten für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. www.katharinaspengler.de.

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Der Duft der Sterne

Es war einmal im Februar … Lotte hatte ein Geheimnis. Ein Geheimnis aus ihrer Kindheit. Obwohl sie inzwischen längst erwachsen war.

Das Geheimnis war der Duft der Sterne. Die nur für sie leuchteten und sichtbar wurden. Manche behaupteten, Sterne seien nicht mehr als Helium und Wasserstoff. Lotte wusste es besser. Sie besaß ihre eigene Milchstraße und nannte sie Lotupia. Keinem einzigen Menschen hatte sie dies je anvertraut.

Die Sterne machten sie auf ihre spezielle Art zu einer anderen. Einer anderen Lotte, als ihre Familie sie kannte. Dieses Wissen behütete sie wie einen kostbaren Goldschatz. Eines Tages würde sie ihrem Mann und ihren Kindern davon erzählen. Vielleicht behielt sie es aber auch für sich und schrieb stattdessen eine ihrer Geschichten. Lotte sah und roch die Sterne nicht nur. Die Sterne kamen sie besuchen …

Lotte musste nur warten und nicht ungeduldig werden. Wenn der Sternenstaub am Abend sanft an dem knorrigen Fenster anklopfte, wusste sie es. Dass sie da sein würden. Heute Nacht.

Manchmal war Emma Polaris die Erste, manchmal Felix, das Faultier, oder auch der alte Dackel Buck. Und all die anderen, die aus ihrem Leben gegangen waren, aber zusammen am Himmel auf sie warteten. Emma war mal wieder im Polarexpress auf abenteuerliche Unternehmungen aus und teilte Lotte lautstark ihren Unmut darüber mit, dass Felix und der alte Joe einfach solche Spaßbremsen waren. Emma war auch auf der Erde eine lebhafte und zauberhafte Freundin gewesen. Die beste. Bis es sie viel zu früh zu den Sternen zog. Vielleicht war Emma aber den Sternen schon immer näher gewesen als andere …

Emma baute ihr jedes Mal eine Sternenleiter und so gingen die beiden auf ihre unzähligen Abenteuerreisen. Hüpften von Stern zu Stern und sprangen von Planet zu Planet. Nichts war vor ihnen sicher und ihre Freundschaft schuf ein über den Horizont entstehendes Band.

Lotte kuschelte sich an ihre Freunde, ging zuerst mit der ungezähmten Emma auf Reise. Flüsterte danach mit Felix, dem süßen Stofftier, der mal wieder ein Auge verloren hatte, was sie ihm zum gefühlt tausendsten Mal liebevoll annähte. Mit Joe ging sie Stöckchen werfen und fragte ihn, ob er sich an den Jungen ihrer Kindheit erinnerte. Der, welcher eine hübsche Pudelhündin hatte. Der alte Buck wurde bei den Gedanken plötzlich jung und wedelte wie verrückt.

Nun waren fast alle ihre Lieben – ihre Sterne – da. Nach und nach gekommen. Lotte nahm sich Zeit. Für jeden, der auf Besuch kam und ihr die besonderen Augenblicke schenkte. Für jeden, der Sehnsucht nach ihr hatte. Mit manchen saß sie am Lagerfeuer und schwelgte in alten Zeiten. Mit anderen schuf sie neue Erinnerungen. Mit manchen lachte sie, mit manchen weinte sie und mit manchen tanzte sie.

Später erschien ihre Oma und mit dieser hängte sie die Wäsche auf und strich diese so glatt, wie es Oma ihr immer gezeigt hatte, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war. Sie kochten zusammen und Lotte las Oma aus dem Märchenbuch vor, was einst die Oma ihr vorgelesen hatte. Deren ausgeglichene Art spiegelte sich in Lottes Charakter wider. Oma wurde nach dem Zuhören immer müde und fing an zu frieren. Dann legte Lotte Oma ihre Lieblingsdecke um, umarmte sie fest und schickte wie wieder hinauf zu den Sternen.

Lotte schrieb manchmal. Nachts im Dunklen auf der grünen Wiese. Mit Taschenlampe und – mittlerweile – einer Lesebrille auf der Nase. Sie schrieb, was die Sterne ihr erzählten. Der Duft der Sterne umhüllte Lotte wie die Glasur eines Kuchens. Lotte fühlte sich frei mit ihnen. Konnte sich ausprobieren und austesten. Das war schon immer so.

 

Als letzter Stern tauchte stets ihr Vater auf. Zärtlich strich er ihr über den Kopf: „Du weißt doch, dass ich bis in dein Bett leuchte. Immer.“

„Ich weiß, Papa, doch ich fühle mich dir nirgends näher als hier, barfuß im Kleid, den Sternenhimmel über uns … An keinem anderen Ort bin ich mehr Lotte.“ Sie wiegten sich im sanften Sternenwind. Ihr Vater küsste sie zärtlich auf beide Wangen und drehte seinen Blick hoch zu den Sternen.

„Warte, Papa! Manchmal weiß ich gar nicht, wer ich wirklich bin …“

Ihr Vater legte seinen warmen Zeigefinger kurz auf Lottes Nasenspitze: „Du bist Lotte. Lotte aus Lotupia …“

Am liebsten stand sie danach in ihrem langen roten Kleid barfuß auf der Wiese. Ihr braunes Haar flatterte in sanften Wellen. Tiefseelig atmete sie den Duft der Sterne ein und streckte ihre Arme hoch hinaus, konnte sie spüren.

Einen ganz großen Stern und lauter kleine sonnige Monde schimmerten um ihn herum. Alles floss durch sie hindurch. Ihre Seelen. Liebe, Freundschaft, Trauer und Glück.

Lotte behauptete, wer sich nicht Zeit für die Sterne nahm, der nahm sich für nichts Zeit. Und vielleicht hat sie ja recht …

Denn Sterne sind wie Träume. Du kannst sie zwar nicht immer sehen, doch hören sie nie auf, in deinem Herzen zu funkeln …

Ramona Wesselow-Krystosek lebt mit ihrer Familie in Zürich. Die gebürtige Berlinerin findet im Schreiben den ausgleichenden Kontrast zur beruflichen Finanzbranche. Bisher lag der Fokus auf Kurzgeschichten. Sie bezeichnet sich als genre-offen und interessiert – an allen Dimensionen des Schreibens bis hin zur Lyrik. 2021 wird ihr Schreibfederkleid mit dem Kinderbuch „Alex’ Reise nach Saphora“ erstmals sichtbar.