Wünsch dich ins große Wunder-Weihnachtsland Band 1

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Der Keksklau

Die Kinder der Klasse 2a schwatzten laut und aufgeregt durcheinander, während sie zusammen mit ihrer Lehrerin und Clemens’ Mutti in der Schulküche Plätzchen backten und sie anschließend dekorierten. Sie hatten großen Spaß dabei und freuten sich schon auf die gemeinsame Nikolausfeier, bei der sie endlich diese toll duftenden Kekse probieren dürften. Nachdem alle Plätzchen fertig waren, wurden sie in hübsche Blechdosen gefüllt und auf ein Regal im Klassenzimmer gestellt, wo sie bis zur Feier bleiben sollten.

Leon und Sebastian waren die ersten Kinder, die am nächsten Morgen das Klassenzimmer betraten: „Sollen wir mal einen Keks probieren?“, flüsterte Leon und kicherte.

Sebastian antwortete: „Wo sind die denn überhaupt?“

„Na dort … oh!“, rief Leon erstaunt, denn die Plätzchendosen waren nicht mehr auf dem Regal.

Inzwischen kamen auch die anderen Kinder. „Hat Frau Meyer die Kekse gestern noch weggeräumt?“, fragte Leon sie, aber keiner wusste etwas. Als die Lehrerin schließlich den Raum betrat, war auch sie ratlos und konnte sich nicht erklären, wo die Dosen hingekommen sein sollten. Die Kinder waren traurig. Woher sollten sie denn nun Plätzchen für die Nikolausfeier übermorgen bekommen? Die Schulküche war jeden Tag besetzt und sie konnten nicht noch einmal selbst welche backen.

Frau Meyer schlug vor: „Die 2b backt doch heute. Vielleicht sind eure Freunde so nett, uns von ihren Keksen einige abzugeben für die Feier.“

Die Schüler der 2b waren so nett. Auch sie beteiligten sich an den Überlegungen, wer die Dosen wohl an sich genommen haben könnte. Die Putzfrau war es jedenfalls nicht gewesen, die tat eher noch welche dazu, soviel wussten die Mädchen und Jungen. Und sie hatte hinter sich die Türe bestimmt abgeschlossen.

Am nächsten Morgen kam Lars, der Klassensprecher der 2b, aufgeregt in die Klasse 2a gerannt. „Unsere Kekse, habt ihr sie?“

„Nein!“, riefen die Kinder und wurden blass.

„Sie sind weg, alle!“, rief Lars ganz verzweifelt.

Es war unglaublich. Nun waren auch noch die Plätzchen der 2b weg. Der Schulleiter wurde informiert und jede Klasse wurde befragt, ob sie etwas zum Verbleib der Keksdosen sagen konnte. Aber es gab keine Spur, nicht einmal eine kalte.

„Da gibt es nur eins“, sagte Felix, Klassensprecher der 4b, die heute ihre Kekse backen wollte. „Wir müssen heute Nacht Wache halten.“

Gemeinsam mit den vollen Keksdosen ließen sich an diesem Abend Felix und sein Freund Julian in ihrem Klassenzimmer einschließen. Lange Zeit passierte nichts und die Jungs kämpften erst gegen die Versuchung, selbst von den leckeren Keksen zu kosten, und später gegen die zunehmende Müdigkeit.

Gegen Mitternacht fielen ihnen schließlich die Augen zu. Sie merkten nicht, wie sich ein kleines weißes waberndes Etwas von außen dem Fenster näherte, kurz zögerte und schließlich – als wäre da gar keine Scheibe – in den Raum hinein schwebte. Es bewegte sich zielsicher direkt auf die Keksdosen zu und schlang die Enden seines weißen Gewandes darum. Dann wollte es wieder davon schweben, aber es hing an irgendetwas fest und verlor das Gleichgewicht. Dabei purzelte eine der Blechdosen mit lautem Geschepper zu Boden und weckte die Jungs auf. Blitzschnell waren Felix und Julian auf den Beinen und griffen nach dem Eindringling.

„Nimm das Betttuch runter, du, du, du Keksdieb!“, brüllte Julian und versuchte, das weiße Tuch wegzuziehen, was ihm jedoch merkwürdigerweise nicht gelingen wollte. Er schien immer daneben zu greifen.

„Halt, nicht doch! Lasst mich, ich erkläre auch alles!“, jammerte eine ganz eingeschüchterte Stimme.

Die Jungs begriffen erst jetzt, dass das Laken scheinbar allein unterwegs war und nicht, wie sie gedacht hatten, ein anderer Schüler darunter steckte. Sie hatten es doch tatsächlich mit einem Gespenst zu tun! Ein Schauer überkam sie und fast rutschte ihnen das Herz in die Hose.

Ganz still standen sie da und sahen den kleinen Geist an. In die nun entstandene Stille hinein erklärte es: „Ich bin Piefke, ein Gespenst. Ich wohne jetzt im Himmel und habe dort mit den Engeln Memory um Kekse gespielt. Leider habe ich sehr viel verloren und sie haben gesagt, ich solle neue Kekse backen, bevor sie weiter mit mir spielen würden. Aber ich kann doch gar nicht backen und von hier zog so ein toller Duft zu uns hoch und deshalb …“

„… hast du mal eben bei uns die Kekse geklaut. Na toll, das war aber gar nicht nett. Weißt du, wie traurig die Kinder der zweiten Klassen waren, als ihre mit viel Mühe selbst gebackenen Kekse fort waren?“, sagte Felix.

Piefke senkte den Kopf und sah ganz zerknirscht drein: „Ehrlich? Darüber habe ich gar nicht nachgedacht. Es tut mir so leid!“

„Schon gut, sind denn von den Keksen noch welche da oder habt ihr die schon alle weggefuttert?“, fragte Julian.

„Alles futsch“, gestand Piefke und seufzte. „Und schon wieder verloren.“

„Oh je. Dann wird es aber Zeit, dass du aufhörst, um Kekse zu spielen, was meinst du?“, fand Felix und das Gespenst nickte.

„Pass auf, wir erklären den anderen Schülern, was passiert ist, und bitten sie, jedes Mal, wenn sie etwas backen, eine kleine Dose mit Keksen für dich abzuzweigen und ans Fenster zu stellen, einverstanden? Dann könnt ihr zusammen beim Memory ein paar Kekse essen, aber zu gewinnen oder verlieren gibt es nichts mehr, ja?“ Piefke war außer sich vor Freude und wirbelte verzückt um die Jungs herum.

„Schon gut!“, beruhigten sie den kleinen Geist.

Von diesem Tag an stand immer, wenn in der Schulküche gebacken worden war, eine kleine Dose mit Keksen am Fenster. Die Lehrer wunderten sich zwar über den Einfall ihrer Schüler, widersprachen aber nicht.

Als die Kinder am letzten Schultag vor Weihnachten in ihre Klassenzimmer kamen, lag auf jedem der Plätze ein kleines Päckchen. Verwundert sahen sie sich an.

„Woher kommt das?“

„Keine Ahnung. Von den Lehrern?“

„Nein, bestimmt nicht, wir haben noch nie etwas zu Weihnachten bekommen.“

„Ob wir es schon aufmachen dürfen?“

„Es geht nicht“, sagte Leon, der es schon versucht hatte.

„Wie, es geht nicht? Quatsch, das ist doch ganz normales Geschenkpapier“, entgegnete Felix ungläubig und versuchte, sein Päckchen zu öffnen. Aber tatsächlich wollte es ihm nicht gelingen. Keines der Kinder konnte das Geschenk öffnen.

„Vielleicht ist es von Piefke und er will nicht, dass wir es schon öffnen“, meinte Sebastian. Seine Klassenkameraden sahen ihn an. Konnte das sein? Warum eigentlich nicht. Wenn es schon Gespenster gab, konnten diese sicherlich auch nicht zu öffnende Päckchen auftreiben.

„Nehmt sie mit nach Hause und versucht es am Heiligen Abend noch einmal“, schlug Frau Meyer schließlich vor. Da hatte scheinbar jemand ein schlechtes Gewissen wegen der geklauten Kekse. Sei’s drum, ein kleines Geschenk für die Kinder war eine nette Geste. Und Gespenster, die gibt es schließlich nicht, befand die Lehrerin. Aber hier irrte sie sich!

Am Heiligen Abend fand jedes Mädchen und jeder Junge eine Möglichkeit, sein Päckchen unbeobachtet zu öffnen. Und wie staunten sie über das Quartett, das sie bekommen hatten! Auf den Karten waren Bilder von Piefke und den fünf Engeln, mit denen er immer im Himmel Memory spielte. Die Bilder auf den Piefke-Karten bewegten sich sogar! Das war ein tolles magisches Geschenk und soviel war klar: Die nächsten Kekse waren Piefke schon sicher.

Am nächsten Abend legte ihm jedes der Kinder einige Leckereien auf die Fensterbank seines Zimmers. Das kleine Gespenst aber saß auf einer Wolke, sah hinab in die Zimmer der Kinder, mümmelte Süßigkeiten, bis ihm fast schlecht wurde, und freute sich über die gelungene Überraschung.

Sue Hiegemann, geboren 1969 in Leverkusen, wohnt mit Ehemann, zwei Kindern und vielen Tieren auf einem Vierseiten-Bauernhof im schönen Leipziger Neuseenland. Ihre Hobbys: Lesen, Schreiben, Circus, Tiere und die Natur. Ihre Geschichte „Das Mädchen aus dem Wald“ wurde in einer Anthologie veröffentlicht.

*

Der Weihnachtsdieb und andere Pannen

Hans Müller war ein Taschendieb

Und hatte seine Arbeit lieb.

Mit ihr konnte er prahlen,

Denn keine Steuern musst’ er zahlen.

Mal stahl er in den Menschenmassen

Und auf Restaurantterrassen.

Bestahl die Armen und die Reichen,

Grub gar nach dem Besitz der Leichen.

Nicht mal vor Kindern macht’ er halt,

Beklaute Jung und sogar Alt.

Bei keiner Tat wurd’ Müller reich

Und plant deshalb ‘nen neuen Streich.

„Ladendiebstahl, warum nicht?

Ist das denn wirklich ‘was für mich?“

Als Kind fand er’s schon int’ressant,

Im Supermarkt beim Bonbonstand.

Doch leider wurde er gefasst,

Drei Wochen in den Kinderknast!

„Nein, nicht noch mal so ‘ne Blamage,

Ich brauche ‘was für mehr Courage!“

„Vielleicht verbot’ne Drogen brauen

Oder eine Bank beklauen?!

Das Zweite – einfach ideal,

Für mich reicht das doch allemal!“

Die Nummer des Tresors braucht’ er,

Doch für ‘nen Dieb war dies nicht schwer.

Durch Lügentricks und Korruption,

Fand er die richt’ge Nummer schon.

Bei Nacht und Nebel brach er auf,

So nahm das Schicksal seinen Lauf.

Er schlich sich in die Bank hinein,

Er horchte – ja er war allein!

Schnell noch die Nummer eingegeben:

„Gleich werde ich im Reichtum leben!“

Auf schwang das dicke Eisentor,

 

Vor Hans ragte das Geld empor.

Hinein sprang Müller in das Geld:

„Jetzt kauf’ ich mir die ganze Welt!“

Er steckte alles in den Sack,

Da macht’ es plötzlich ganz laut „Klack“.

Die Tür des Safes war zugegangen:

„Ich dummer Dieb bin hier gefangen!“

Ich kürze jetzt die Dichterei:

Am Morgen kam die Polizei!

Hans Müller wurde abgeführt

Und als der dümmste Dieb gekürt.

Doch im Gefängnis stahl der Hund,

Dem Wächter Geld und Schlüsselbund.

Sein Fehler machte ihn nicht lahm,

Schon hatte er ‘nen neuen Plan.

Den Weihnachtsmann wollt’ er bestehlen

Und mit all den Geschenken hehlen.

Heiligabend war’s soweit,

Ein Netz lag am Kamin bereit.

„Bald wird er durch den Schornstein klettern,

Und dabei „Ho, ho, ho“ froh schmettern.

Dann will er gleich zur Tanne flitzen,

Doch „Zack“ wird er im Netze sitzen.

Der Sack ist meiner, das ist klar,

Der Traum vom Reichtum, der wird wahr.“

So wartet Hans gespannt und wach:

„Da war doch etwas auf dem Dach?!“

Aus dem Kamin der Ruß jetzt rann:

„Jetzt kommt der fette Weihnachtsmann!“

Doch Hans wartet noch lange stur:

„Wo bleibt der Weihnachtsmann denn nur?

Mal seh’n was er dort oben macht.“

Hat sich der böse Dieb gedacht.

In den Kamin schlich er ganz bang,

Als ein „Ho, ho“ vom Schornstein klang.

Ein alter Mann – so schwer wie Stein –

Saust krachend in den Hans hinein.

Der Weihnachtsmann ist nicht sehr leicht,

Hat hohe Pfunde schon erreicht.

Dazu der Sack, ein schwerer Batzen,

Hans konnte man vom Boden kratzen.

Und die Moral dieser Geschicht’;

Ein Dieb zu sein, das lohnt sich nicht.

Willst Du etwa wie Müller enden?

Als roter Matsch an Schornsteinwänden?

Marco Ansing, 1981 geboren, studierte Geschichte und Politik. Seine große Leidenschaft gilt dem Verfassen von Gedichten und Kindermärchen. Neben Kriminalgeschichten und phantastischen Erzählungen schreibt der Kieler Theaterstücke und Hörspiele.

*

Weihnachtsengel

Peng! Mit einem lauten Klirren zerbarst das Schüsselchen Zuckerguss auf dem Boden. Der kleine Engel Florian fuhr zusammen und sah sich verstohlen in der großen, überhitzten Backstube um. Gott sei Dank war der Lärm so groß, dass niemand dem Missgeschick Beachtung schenkte. Der kleine Engel Willi, der Urheber der Misere, riss erschrocken die Augen auf und sah Florian an. Schnell bückte sich Florian und beseitigte die Sauerei, bevor Oberengel Manuel, der in ihrem Kleine-Engel-Backkurs die Aufsicht führte, in den Raum zurückkehrte. „Danke“, flüsterte Willi und beugte sich wieder über seine Plätzchen. Florian seufzte leise. Von allen kleinen Engeln hatten sie ihm ausgerechnet den dicken Willi als Teampartner zugeteilt. Jeder wusste doch, wie tollpatschig und dumm der war! Jetzt formte er mit Hingabe seine Plätzchen. Sein rundes Gesicht war knallrot von der Hitze, der Schweiß rann ihm übers Gesicht und sein dunkles Haar, das er passend zu seiner Kopfform in einem kurzen Rundhaarschnitt trug, klebte ihm auf der Stirn.

Florian machte die Backerei keinen Spaß. Er hatte sich ja eigentlich für den Kurs „Süßer die Glocken nie rocken“ angemeldet, aber der war nicht zustande gekommen. Wie blöd. Wahrscheinlich war der altehrwürdige Ratsengel Hieronymus dagegen gewesen. Und jetzt war er einfach für die Backstube eingeteilt worden, ausgerechnet auch noch mit dem dicken Willi als Partner. Florian strich sich das lange, blonde Haar aus dem Gesicht und seufzte noch einmal leise. Eines musste er allerdings zugeben. Der dicke Willi hatte ihm in dieser Woche auch manches Mal aus der Patsche geholfen, zum Beispiel als sein Stollenteig so hart geworden war, dass man ihn mit Hammer und Meißel hätte bearbeiten können, oder als seine Nussmakronen auseinandergelaufen waren wie Kuhfladen.

Die Tür öffnete sich und Oberengel Manuel stolzierte herein, wie Vertrauensschüler Percy Weasley in seinen besten Jahren. „Fehlen nur die roten Haare und der schwarze Umhang“, flüsterte der dicke Willi Florian zu. Der sah ihn verblüfft an. Er hatte gar nicht gewusst, dass Willi seine Vorliebe für die Bücher der Menschen teilte. In der Engels-Bibliothek standen nämlich eher Titel wie „Der kleine Engel Sebastian auf Internat Himmelsruh“, „Das Geheimnis der klingenden Harfe“ oder „Gustav, das Rentier mit dem blauen Auge“.

Willi zwinkerte ihm verschmitzt zu und Florian grinste. Oberengel Manuel ging von Tisch zu Tisch und begutachtete die Erzeugnisse der kleinen Engel. Dann stellte er sich mitten in den Raum, klatschte zweimal in die Hände und begann zu sprechen: „Ich bitte um eure geschätzte Aufmerksamkeit. Ich spreche euch meinen Dank aus für eure fleißige und gelungene Mitarbeit in diesem Kurs.“ Dabei strahlte er Willi an und bedachte Florian mit einem eisigen Blick. „Wie euch allen zur Kenntnis gelangt sein dürfte, begehen wir morgen den letzten Tag unseres interessanten Kurses mit Säubern der Backstube und Nachbesprechung der Kursinhalte in einer gemeinsamen Zusammenkunft.“ Der kleine Willi fuhr zusammen. Er sprach gar nicht gerne vor anderen Engeln. „Außerdem mussten wir noch eine Änderung unseres erlesenen Programmes vornehmen.“ Mein Gott, konnte der Typ nicht normal reden! Florian sah Willi an und verdrehte die Augen gen Himmel. „Euer für heute Abend geplanter Einsatz mit den Weihnachtsmännern auf der Erde musste leider aus unüberwindbaren organisatorischen Gründen entfallen. Statt dessen dürft ihr euch in Wolkensaal 7 den Vortrag mit dem Titel „Geschichte der Weihnacht – Gedanken aus neuerer Zeit“ anhören. Um vollständiges Erscheinen möchte ich dabei bitten.“ Er klatschte begeistert in die Hände, um seinen, wie er fand, gelungenen Vortrag abzuschließen, und eilte geschäftig aus dem Raum.

Lautes Murren war in den Reihen der kleinen Engel zu hören, als sie sich anschickten, nach und nach die Backstube zu verlassen. Willi stand da wie angewurzelt und sah Florian völlig verzweifelt mit weit aufgerissenen Augen an. „Aber das können die doch nicht machen! Ich habe mich doch so darauf gefreut, endlich einmal ein von den Menschen geschmücktes Weihnachtszimmer zu sehen.“ Ihm standen die Tränen in den Augen.

„Ja, das ist wirklich eine Gemeinheit“, antwortete Florian, als sie sich langsam in Bewegung setzten. Draußen schwebten sie auf einer Wolke etwas abseits und ließen sich den frischen Wind um die Nase blasen.

„Nein, das lassen wir uns nicht gefallen“, sagte Willi plötzlich mit entschiedener Stimme.“ Florian zuckte zusammen und sah Willi überrascht an. Der kaute angestrengt auf seiner Unterlippe, wie Justus Jonas beim Lösen seines schwierigsten Falls. „Ich hab’s“, sagte er dann und sah Florian verschwörerisch an. „Wir verstecken uns hinten auf einem der Schlitten zwischen den Geschenken. So groß sind wir ja nicht. Ich weiß, wo die Rentiergespanne geparkt sind, ich bringe den Tieren doch immer Leckerlies, wenn ich Zeit habe“, grinste er Florian plötzlich an.

„Das sieht dir ähnlich“, antwortete Florian lachend. Doch Willi überhörte den Einwurf. „Komm mit! Wir müssen vorsichtig sein, dass uns niemand sieht.“ Er zog Florian am Arm mit sich.

Das könnte sogar klappen, dachte Florian bei sich und musste zugeben, dass er dem dicken Willi gar nicht so viel Schneid zugetraut hätte. Langsam und vorsichtig schwebten die beiden kleinen Engel über die Wolkenstraße 7, überquerten dann unbemerkt den kleinen Himmelsplatz und folgten einer schmalen Wolkengasse in Richtung der großen Gebäude, die den Rentieren als Stallungen dienten. Sie warfen sich bäuchlings auf eine nahe gelegene Wolke und lugten vorsichtig über den Rand. Auf dem Hof herrschte reges Treiben. Da parkten zahlreiche Schlitten unterschiedlicher Größe mit Rentiergespannen. Die Weihnachtsmänner und ihre Gehilfen beluden die Schlitten gerade mit prall gefüllten Säcken und Kisten, die gut festgezurrt werden mussten.

„Sieh mal, da hinten“, der kleine Willi stieß Florian an. Am unteren Ende der Reihe parkte ein großer Schlitten mit einem geräumigen, nach oben geöffneten Kasten darauf. Florian verstand. Wenn sie es schafften, unbemerkt bis zu dem Schlitten zu kommen, könnten sie sich leicht in dem Kasten verstecken. Er nickte Willi zu und vorsichtig pirschten sie sich von Gebäude zu Gebäude schwebend heran. In einem günstigen Moment erreichten sie die Rückwand der Kiste, schnellten unbemerkt in die Höhe und ließen sich über den Rand gleiten. Florian stieß einen unterdrückten Schrei aus, als er spürte, wie er auf etwas Weichem landete, das sich bewegte.

„Oh, Schafe“, sagte der kleine Willi, dessen Augen sich schneller an das Halbdunkel gewöhnt hatten. Er und Florian fanden sich rittlings auf einem großen Schafbock sitzend wieder.

„Oh Gott, wer will denn schon Schafe zu Weihnachten?“, stöhnte Florian, rutschte vom Rücken des Tieres und ließ sich auf einem Heuballen in der Ecke nieder.

„Das sind bestimmt wertvolle Tiere“, antwortete Willi mit einem Stolz in der Stimme, als hätte er sie selbst ausgesucht.

„Deshalb riechen sie aber auch nicht besser“, rümpfte Florian die Nase. Willi setzte sich neben ihn, kraulte dem vor ihm stehenden Schaf die Ohren und sah ihm hingebungsvoll in die Augen. Da vernahmen sie plötzlich von draußen eine laute und polternde Stimme: „Ho ho ho. Jetzt wird es aber langsam Zeit, dass wir aufbrechen.“ Willis Schaf sprang ihm vor Schreck auf den Schoß und die beiden kleinen Engel sahen sich entsetzt an.

Jetzt hatten sie von allen Schlitten doch ausgerechnet den vom Weihnachtsmann Berchtold erwischt. Das durfte doch nicht wahr sein. Weihnachtsmann Berchtold war bekannt für seine Ruppigkeit und seine Strenge, und die kleinen Engel machten normalerweise einen weiten Bogen um ihn. Willi schob das Schaf beiseite und lugte durch einen Spalt in der Bretterwand. Florian folgte ihm.

Weihnachtsmann Berchtold kontrollierte gerade, ob die Säcke im vorderen Bereich des Schlittens richtig festgezurrt waren. Dann schickte er sich an, den Kutschbock zu besteigen. Willi und Florian war klar, dass sie keine Chance mehr hatten, den Holzkasten unbemerkt zu verlassen. „Ho ho ho. Los geht die Fahrt“, tönte es von draußen und ein lautes Schnalzen war zu hören. Als sich der Schlitten knirschend in Bewegung setzte, kehrten die beiden Engel schicksalsergeben zu ihrem Sitzplatz auf dem Heuballen zurück.

Sie spürten, wie der Schlitten immer schneller über die Wolken glitt und sich dann langsam in die Lüfte erhob. Lautlos schoss der Schlitten durch den Nachthimmel. Zu hören waren nur die vor Anstrengung schnaubenden Rentiere. Die beiden kleinen Engel betrachteten die über ihnen funkelnden Sterne. Es dauerte lange, bis der Schlitten an Höhe verlor und schließlich sanft im knirschenden Schnee aufsetzte.

„Ho ho ho, da wären wir“, hörte man Weihnachtsmann Berchtolds poltrige Stimme flüstern. Als der Schlitten zum Stillstand gekommen war, versuchten Willi und Florian durch die Bretter zu erkennen, wo sie sich befanden. Der Schlitten parkte im Schatten eines ausladenden, dunklen Waldes. In der Ferne sahen sie ein großes, hell leuchtendes Bauernhaus. Die beiden kleinen Engel beobachteten, wie Weihnachtsmann Berchtold vom Kutschbock glitt. Er löste einen der großen Säcke vom Schlitten, schulterte ihn und stapfte los in Richtung Wohnhaus. Florian stieß Willi mit dem Ellenbogen an. Das „Tschüss“, raunte Willi den Schafen zu. Florian grinste. Sie schwebten über den Rand der Kiste, versteckten sich im Schatten der Bäume und sahen noch, wie Weihnachtsmann Berchtold das Haus erreichte und um die Hausecke verschwand. Schnell folgten sie ihm bis zu einem Fenster an der Längsseite des Gebäudes. Vorsichtig spähten sie über den Fenstersims in das Innere des Gebäudes.

„Oooh“, entfuhr es dem kleinen Willi. Mit großen Augen bewunderte er das weihnachtlich geschmückte Zimmer. Die Nase fest an die Scheibe gepresst, nahm er jedes Detail auf. In der Ecke stand ein großer, mit roten Kugeln, roten Kerzen und viel silbrig glitzerndem Lametta geschmückter Tannenbaum. Unter dem Baum war eine große rote Spitzendecke ausgebreitet, auf der Weihnachtsmann Berchtold gerade einen Haufen Geschenke verteilte, auf deren Geschenkpapier in goldener Schrift „Merry Christmas“ und „Feliz Navidad“ zu lesen war. Neben dem Baum erstreckte sich eine weitläufige Krippenlandschaft mit einem hölzernen Stall und Stroh und bemalten Krippenfiguren. Die Fenster waren besprüht mit weißen Wolken und weißen Schneeflocken.

 

An der Decke waren Tannenzweige befestigt, von denen goldene Sterne und Glocken baumelten. Auf dem Tisch standen Schalen mit Plätzchen und zwei Karaffen mit einer dampfenden Flüssigkeit. Fast hatte man das Gefühl, man könnte den Zimt und die Nelken durch das Fenster riechen. Willi stieß einen andächtigen Seufzer aus und selbst Florian musste zugeben, dass es ein wundervoller Anblick war, ein Anblick, auf den sie so lange gewartet hatten! Plötzlich hörten sie hinter sich ein Geräusch und fuhren herum. Vor lauter andächtiger Bewunderung für das geschmückte Zimmer hatten sie gar nicht bemerkt, dass Weihnachtsmann Berchtold den Raum längst verlassen hatte. Jetzt sahen sie, dass er bereits wieder auf dem Kutschbock saß und sich der Schlitten bereits in Bewegung setzte.

„Gott sei Dank hat er uns nicht entdeckt!“, stieß Willi hervor und sah Florian erleichtert an.

„Jaaa“, antwortete dieser gedehnt. „Dafür sehen wir jetzt aber nur noch die Rücklichter“. Nachdenklich blickte er dem Schlitten nach.

„Oh!“ Willi klappte den Mund zu. „Was machen wir denn jetzt? Wie kommen wir wieder zurück?“ Verzweiflung war seiner Stimme anzuhören und er sah Florian so flehend an, als ob es dessen Aufgabe wäre, alle Probleme der Welt zu lösen.

Jetzt war es an Florian, kräftig auf seiner Unterlippe zu kauen. „Nun gut. Weihnachtsmann Berchtold ist da vorne am Waldrand abgebogen. Ich vermute, auf der anderen Seite des Waldes gibt es noch mehr Häuser oder Dörfer, zu denen er hin will. Ich schlage vor, wir durchqueren den Wald und versuchen den Schlitten wiederzufinden.“

„Ja, das machen wir.“ Aus Willis Stimme klang Erleichterung und die Überzeugung, dass dieser Plan bestimmt klappen würde.

„Wenn wir uns im Windschatten der Bäume halten, ist es auch nicht so windig“, fuhr Florian fort. „Also los“.

Langsam schwebten sie durch die Bäume und legten schweigend ein großes Stück des Wegs zurück. „Hör doch mal“, plötzlich stieß Willi Florian an und blieb stehen. Florian drehte sich erstaunt um und beide Engel lauschten in die Nacht. Da vernahmen sie deutlich ein leises Wimmern zwischen den Bäumen. Willi deutete mit dem Kopf auf die Richtung, aus der das Geräusch kam, und langsam schwebten sie näher. Zwischen den Bäumen lag ein kleiner Junge, der vor Kälte zitterte und leise wimmerte.

„Oh Gott, der Arme“, flüsterte Willi, „wir müssen ihm helfen!“ Florian nickte. Sie näherten sich dem Jungen und hoben ihn behutsam auf. Sehen konnte der Kleine sie zwar nicht, aber er spürte, dass er mit einem Mal die Kraft hatte, sich hochzurappeln. Auf beiden Seiten von den kleinen Engeln gestützt, stolperte er im fahlen Lichtschein des Mondes langsam vorwärts. Plötzlich war in der Ferne ein Ruf zu hören: „Toooommy!“

Der Junge blieb abrupt stehen, um zu antworten. „Paapaaa!“, schrie er mit einer Lautstärke, dass es den kleinen Willi vor Schreck auf den Hosenboden setzte. Der Junge torkelte und Florian hatte Mühe, ihn festzuhalten. Schnell rappelte sich der kleine Willi wieder auf und gestützt von den beiden Engeln lief Tommy auf die immer lauter werdenden Rufe zu. Bald waren Lichter durch die Bäume zu erkennen und nach zahllosen „Tommy“ und „Papa“ konnten die beiden kleinen Engel Tommy loslassen, der auf eine Gruppe von Leuten zustürzte und von einer schluchzenden Frau in die Arme genommen wurde.

„Mama!“

„Tommy, mein Junge“, antwortete die Frau, „Wo bist du denn gewesen?“

„Oh Gott“, stöhnte der kleine Willi und verdrehte die Augen gen Himmel. „Wo soll er denn gewesen sein? Hier im Wald natürlich!“ Florian grinste.

„Ich bin einem Eichhörnchen nachgelaufen und das lief immer weiter in den Wald hinein. Und dann ward ihr plötzlich alle weg und dann wurde es dunkel und es war kalt ...“, plapperte der Junge los.

Ein großer, schlanker Mann trat auf die beiden zu, wickelte den Jungen in eine Decke und gab ihm heißen Tee zu trinken. „Ich glaube, wir machen uns jetzt auf den Rückweg, das war wirklich viel Aufregung für einen Tag.“ Er nahm Tommy auf den Arm.

„Papa“, seufzte der Junge glücklich und sein Kopf sank auf die Schulter des Mannes. Der kleine Suchtrupp kehrte um. Erleichterung und Freude stand allen ins Gesicht geschrieben. Florian und Willi folgten ihnen in einigem Abstand bis zum Waldrand. Die Gruppe von Menschen setzte ihren Weg auf einer kleinen Straße in Richtung eines hell erleuchteten Ortes fort. In der Ferne begannen gerade die Kirchenglocken zu läuten.

Doch plötzlich fuhren Willi und Florian zusammen. Ein stahlharter Griff umschloss ihren Nacken und eine laute Stimme polterte: „Ho ho ho. Da haben wir ja die beiden Ausreißer!“ Die beiden kleinen Engel zogen unwillkürlich die Köpfe ein. So ein Mist! Auf dieses Donnerwetter hätten sie gerne noch verzichten können.

„Sich einfach auf meinem Schlitten zu verstecken!“, polterte Weihnachtsmann Berchtold weiter. Es blieb eine Weile still und plötzlich lockerte sich der schraubstockartige Griff an ihrem Hals. „Gott sei Dank habt ihr das Jungchen rechtzeitig gefunden! Nicht auszudenken“, fuhr die Stimme mit ganz normaler Lautstärke fort, „wenn er die ganze Nacht im Wald hätte zubringen müssen!“

Die beiden kleinen Engel warfen sich mit immer noch gesenkten Köpfen erstaunte Blicke zu. Florian wagte es sogar, noch halb zu schielen, und sah, dass Weihnachtsmann Berchtold der Gruppe vom Dorf versonnen nachblickte. Langsam entspannten sie sich. „Ho ho ho.“ Zwei große Hände klatschten ihnen so fest auf die Schultern, dass sie beide einen Satz nach vorne machen mussten, um nicht bäuchlings im Schnee zu landen.

Doch Weihnachtsmann Berchtolds Stimme klang richtig freundschaftlich: „Wir sollten uns auch langsam auf den Rückweg machen. Einen Besuch in einem Kinderheim habe ich noch zu machen. Da könnt ihr mir noch helfen. Kommt!“ Sie gingen ein Stück am Waldrand entlang und bald erreichten sie den Schlitten, der dort im Schatten der Bäume parkte. Für das Kinderheim waren viele große und kleine Päcken vorgesehen und die beiden kleinen Engel machten sich mit Feuereifer an das Verteilen unter dem Baum. Als sie sich umblickten, sahen sie, wie Weihnachtsmann Berchtold begeistert auf allen Vieren durchs Zimmer krabbelte und mit der Nase und mit seinen kurzsichtigen Augen fasziniert einer elektrischen Eisenbahn folgte, die er soeben aufgebaut hatte.

Florian und Willi hatten große Mühe, ihr Lachen zu unterdrücken. Bald darauf kehrten sie zum Schlitten zurück und Weihnachtsmann Berchtold hob sie auf den Kutschbock. Sie kuschelten sich in die Ecke und nach einem mäßig lauten „Ho ho ho! Jetzt geht es wieder nach Hause“, setzte sich der Schlitten in Bewegung und hob schließlich vom Boden ab. Willis Kopf sank immer wieder auf Florians Schulter, so müde war er, und sie waren beide froh, als der Schlitten endlich vor ihrem Schlafwohnheim „Himmelsruh“ hielt. „Also, gute Nacht ihr beiden“, wünschte Weihnachtsmann Berchtold flüsternd, „es war wirklich ein anstrengender Tag für euch. Schlaft euch morgen mal richtig aus. Ich werde euch bei eurem Kursleiter entschuldigen!“

„Oh, vielen Dank!“, stammelte Florian überrascht.

Die beiden Engel rutschten vom Kutschbock. „Gute Nacht!“, riefen sie und winkten kurz, als der Schlitten wieder anfuhr. Florian musste Willi stützen, als sie zu ihrer Schlafwolke schwebten, so müde war er. Er sank auch sofort auf sein Wolkenbett und begann zu schnarchen. Florian setzte sich neben ihn und betrachtete den Sternenhimmel. Was für ein Tag! Was für ein Abenteuer! Es war wirklich unglaublich. Er sah zu Willi hinüber und musste lächeln. Eines war ihm aber auch klar geworden: Er hatte heute einen Freund gefunden, auf den er sich verlassen konnte und der immer mit ihm durch dick und dünn gehen würde! Ja, ganz gewiss, und sie würden bestimmt noch viel Spaß zusammen haben!

Maria Wendlandt, Jahrgang 1966, verstarb im April 2008 kurz nach der Vollendung dieser Geschichte. Sie wohnte mit ihrem Mann und ihrer 15-jährigen Tochter seit August 2006 auf Teneriffa.