Regionalentwicklung

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1.5Akteure der Regionalentwicklung

Das Faszinierende und Herausfordernde an der Regionalentwicklung ist, dass in der Region unzählige Faktoren und Akteure aufeinander treffen, die potenziell wirksam sind. Insofern kann die Reflexion der Regionalentwicklung nicht auf die expliziten Maßnahmen der staatlich organisierten Regionalentwicklung beschränkt werden. Eine Erweiterung hat in zweifacher Weise zu erfolgen: Zum einen ist zu unterscheiden zwischen generellem politischen Handeln und expliziter Regionalentwicklung. Die regionalen Krisen im Großbritannien der 1980er-Jahre sind durch die Deindustrialisierungspolitik unter Margaret Thatcher erheblich verschärft worden. Bis heute ist umstritten, inwieweit die Privatisierungspolitik in den neuen Bundesländern in den 1990er-Jahren die regionale Entwicklung erschwert oder auf längere Sicht stabilisiert hat. Beide Beispiele haben ihren Ursprung in der Wirtschaftspolitik, haben aber massive regionale Auswirkungen – sicher größere Konsequenzen als einzelne Förderprogramme der Regionalentwicklung.

Zum zweiten sind weitere Akteure einzubeziehen – neben dem öffentlichen Sektor auch die Wirtschaft und die Zivilgesellschaft, d. h. die Bevölkerung (Habisch & Schwarz 2012, Knieling et al. 2012). Es ist offensichtlich, dass unternehmerisches Handeln – Investieren, Verlagern, Einstellen und Entlassen – generell sehr direkte Auswirkungen auf regionale Entwicklung hat. Darüber hinaus haben viele Unternehmen aber auch eine explizite regionale Dimension in ihrem Handeln. In größeren Konzernen hat es sich in den letzten Jahren verbreitet, eine Abteilung mit Fragen der corporate social responsibility oder corporate regional responsibility zu betrauen. In Form von Spenden, Patenschaften, Ausbildungsinitiativen usw. wird Verantwortung (auch) im regionalen Umfeld übernommen. Diese ist häufig auch Teil der Selbstvermarktung, aber nicht darauf zu reduzieren (s. Textbox, Knieling et al. 2012, Hartenstein & Preising 2014).

Beispiel: Corporate spatial responsibility

Seit 2013 verleiht die Bundesregierung den sogenannten CSR-Preis (Corporate Social Responsibility) an Unternehmen, die sich durch eine verantwortungsvolle Unternehmensführung auszeichnen, wie beispielsweise einem nachhaltigen Einsatz von Ressourcen, aber auch für Engagement vor Ort im Sinne der Corporate Spatial Responsibility. Dadurch sollen auch andere Unternehmen motiviert werden sich zu engagieren (BMAS o. J.).

Der Sonderpreis im Jahr 2013 ging an das Unternehmen Türenmann Stuttgart GmbH mit Hauptsitz in Stuttgart. Das Unternehmen mit ca. 45 Beschäftigten ist Dienstleister im Handwerk, insbesondere für Türen und Fenster. Ausgezeichnet wurde der Fachbetrieb, da soziale Projekte vor Ort fester Bestandteil des Ausbildungsplanes sind. Außerdem erhielt die Firma im Jahr 2012 auch den Mittelstandspreis für soziale Verantwortung von Caritas und dem Ministerium für Finanzen und Wirtschaft Baden-Württemberg.

Die Firma versteht sich als Unternehmen in der Verantwortung für ihre Region und ist daher der Meinung, dass „die sozialen und fachlichen Kompetenzen unserer Mitarbeiter in einem regionalen und intaktem Umfeld […] die Zukunft“ entscheiden (BMAS o. J.). Wichtig ist ihnen daher, den Mitarbeitern soziale Kompetenzen zu erlernen und an sozialen Projekten vor Ort aktiv umzusetzen. Sie arbeiten mit und für Non-Profit-Organisationen vor Ort. So errichtete die Firma beispielsweise ein Spielhaus für die örtliche Kindertagesstätte oder schenkte einer Tagesstätte Holzspielzeug. Zudem übernimmt die Firma auch Bildungspartnerschaften mit regionalen Schulen, um den Jugendlichen berufliche Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Dies geschieht in Form von Schulbesuchen und der Demonstration verschiedener Berufsfelder. Zudem übernahm die Firma in den letzten Jahren die Patenschaft für den „Babynotarztwagen Felix“ (Türenmann 2015). Diese Beispiele zeigen auf, welche Bandbreite hier möglich ist.

Beispiel: Chiemgauer – regionale Währung

Der Chiemgauer entstand 2003 aus einem Schülerprojekt an der Freien Waldorfschule in Prien am Chiemsee und ist heute die erfolgreichste Regionalwährung in Deutschland mit knapp 3900 registrierten Mitgliedern (Verbraucher, Unternehmen, Vereine) und einem Chiemgauer-Umsatz aller Unternehmen von fast 7,5 Mio. Euro im Jahr 2014. Seit Beginn des Projekts steigen die Umsätze jährlich, mittlerweile wird das Projekt durch den Verein Chiemgauer e. V. und die Genossenschaft Regios eG organisiert und abgewickelt. Die Grundidee von Regionalwährungen ist es, Geld oder Dienstleistungen in eine regionale Währung zu tauschen, um damit regionale Wertschöpfung zu stärken.

Der Chiemgauer ist eine Währung, mit der in den Landkreisen Rosenheim und Traunstein bezahlt werden kann (Tauschverhältnis 1 : 1). Um als Verbraucher teilzunehmen, kann man sich kostenlos registrieren und bekommt eine ‚Regiocard‘ für elektronische Zahlungen, man kann den Chiemgauer aber auch abheben und in bar bezahlen. Abgehobene Chiemgauer sind allerdings nur einige Monate gültig, dadurch soll ein stetiger und schneller Umlauf bewirkt werden. Die Chiemgauer sind in den registrierten regionalen Unternehmen einsetzbar.

Beim Umtausch in Euro werden 5 % des Betrages einbehalten, mit denen örtliche Vereine und die Organisation der Währung finanziert werden (Sport-, Musik-, Trachtenvereine etc.) (Wieg 2009, Chiemgauer Regiogeld UG o. J.).

Das Beispiel verdeutlicht anschaulich, wie private Akteure aktiv in der Regionalentwicklung agieren und diese beeinflussen können.

Weitere Informationen: www.chiemgauer.info


Abb. 12 Der Chiemgauer (Quelle: Chiemgauer Regiogeld UG)

Auf der Schnittstelle zwischen unternehmerischem und regionalem Handeln ist das Schaffen von Infrastrukturen zu sehen. Waren früher Werkssiedlungen fester Bestandteil vieler Industriestädte, so werden heute Städte und Stadtteile häufig im umfassenden Sinne von einzelnen Unternehmen geprägt. In Deutschland ist dies vor allem in den kleinen Großstädten mit wichtigen Arbeitgebern sichtbar: Wolfsburg hat mit seiner gläsernen Fabrik von Volkswagen de facto ein zweites Stadtzentrum bekommen, in Erlangen entsteht derzeit mit dem Siemens-Campus in unmittelbarer Nähe zur Altstadt ein neuer Stadtteil, und in Ingolstadt nimmt der Audi-Konzern aktiv Stellung in der lokalen Verkehrspolitik.

Auch die Bevölkerung ist mitnichten nur als Adressat von regionaler Entwicklung anzusehen, sondern als wesentlicher Akteur. Wohnstandortwahl, Mobilitäts- und Einkaufsverhalten, aber auch ehrenamtliches Engagement auf individueller Ebene sind ganz wesentliche Parameter für regionale Entwicklung. Und auch in diesem Bereich sind eine ganze Reihe Ansätze explizit aus der Regionalentwicklung zu erkennen: Dies umfasst zu einem erheblichen Anteil Gegen- und Protestbewegungen (gegen Atom- oder Windkraft, für oder gegen Umgehungsstraßen etc., s. Kap. 3.3). Hinzu kommen zahlreiche Initiativen der alternativen Regionalentwicklung – z. B. Genossenschaften der Windenergie zur regionalen Verankerung der Wertschöpfung oder Etablierung von regionalen Währungen.

Wenn von Akteuren der Regionalentwicklung die Rede ist, so meint dies letztlich individuelles Handeln durch Einzelpersonen, sei es der Beamte des Bauamtes, der eine Genehmigung erteilt, oder die Fachkraft, die eine Mobilitätsentscheidung trifft. In der Reflexion und in der Steuerung von Regionalentwicklung ist diese Mikroperspektive aber selten hilfreich, da es in aller Regel um Akteursgruppen und auch um Strukturen geht. So war soeben die Rede von staatlichen Akteuren, solchen der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft. Diese Dreiteilung ist weit verbreitet, darf aber nicht dahin gehend missverstanden werden, dass hier homogene Guppen bestünden. Die Auseinandersetzungen zu Themen der Regionalentwicklung können innerhalb dieser Kategorien höher sein als zwischen den Gruppen. Daher ist die Bildung von Akteursgruppen immer mit Vorsicht vorzunehmen und vor allem auch in Abhängigkeit von den zugrunde liegenden Fragestellungen. Beispielsweise kann es sinnvoll sein, nicht von den öffentlichen Akteuren zu sprechen, sondern eine Unterscheidung zwischen der Politik – also den gewählten Vertretern – und der Verwaltung – also den ausführenden Stellen – vorzunehmen. Häufig werden Akteure als Stakeholder (engl. für Interessenvertreter) bezeichnet. Dies sind Anspruchsgruppen, die – beispielsweise als Kammern, Nichtregierungsorganisation, Gewerkschaft etc. – versuchen, ihre jeweiligen Interessen durchzusetzen, ohne nur den Entscheidungen der politischen Vertreter zu vertrauen.

Im Folgenden wird primär im Hinblick auf den steuernden Staat argumentiert, der explizit Regionen entwickeln will. Die weiteren Akteure, deren Handeln und Interessen, sind aber immer mitgedacht und werden auch immer wieder angesprochen.

1.6Zur Forschungspraxis der Regionalentwicklung: Methoden und Operationalisierung
1.6.1Regional(entwicklungs)analyse ?

Die Forschungspraxis der Regionalentwicklung ist nicht weniger vielfältig als die Untersuchungsobjekte regionaler Entwicklung es sind. Das gesamte Repertoire von Sozial-, Raum- und Planungswissenschaften, aber durchaus auch Elemente der naturwissenschaftlichen Forschung können hier potenziell von Bedeutung sein. Eine eigene Methodik für die Analyse der Regionalentwicklung gibt es dabei nicht – auch wenn einige Aspekte bei Operationalisierung und Erhebung besonders häufig zu verzeichnen sind. Dazu kann wohl gezählt werden, dass Fallstudien ein besonders häufig gewähltes Format sind, und hiermit auch die Methoden-Kombination (bspw. in der Kombination von Experteninterviews und Dokumentenanalyse als qualitativen Elementen mit sekundärstatischen Analysen oder repräsentativen Befragungen als quantitativen Methoden).

 

Im Folgenden sei zumindest kurz auf einige Punkte verwiesen, die vor allem in der anwendungsnahen Analyse häufig Herausforderungen darstellen.

1.6.2Fallstudien

Es ist häufig zu beobachten, dass Untersuchungen sich auf lediglich eine Region stützen, also sogenannte one-case-studies durchgeführt werden. Dies kann bei kompakten, anwendungsnahen Fragestellungen völlig berechtigt sein (z. B. Wohnraumbedarfsanalyse), auch kann in hermeneutisch und stark konzeptionell orientierten Fragen die Konzentration auf eine Region sinnvoll sein. Schließlich sind gelegentlich auch spektakuläre Einzelprojekte für sich genommen sehr aufschlussreich (z. B. zum Konflikt um die Umsetzung des Kopfbahnhofs in Stuttgart). Häufig ist aber eine komparative Betrachtungsweise vorzuziehen: Ein Gegenüberstellen verschiedener Fälle hilft die Aussagekraft abzusichern. In jedem Fall ist die Auswahl der Fallstudien theoriebegleitet vorzunehmen und zu begründen.

Grundsätzlich gilt, dass wenigstens eine Dimension der Fälle möglichst gleich sein sollte, damit die Unterschiede in einer anderen Dimension interpretierbar sind. Will man beispielsweise die Bedeutung von internationaler Fachkräfte-Migration auf regionaler Ebene untersuchen, so kann es sinnvoll sein, den Grad an metropolitaner Bedeutung der betrachteten Regionen in etwa ähnlich zu halten, damit es keine willkürliche Zusammenstellung von Einzelfällen wird.

Häufig besteht auch eine Abwägung zwischen Tiefe und Breite der Untersuchung (s. Thomas 2011). Möchte man beispielsweise verstehen, wie Lernprozesse in INTERREG-Projekten ablaufen, so kann man entweder möglichst viele Projekte betrachten und anhand eines standardisierten Indikators die Lerneffekte ‚messen‘ – dies kann beispielsweise in standardisierten Befragungen erfolgen. Möchte man hingegen die Prozesse des Lernens tiefgründiger verstehen und auch Lerneffekte erfassen, die den Beteiligten nicht unmittelbar bewusst sind, so bietet sich eine eher verstehende, induktive Vorgehensweise an, die mit ausführlichen Interviews und teilnehmender Beobachtung arbeitet (so erfolgt bei Hachmann 2011).

Die Abb. 13 ordnet diese Überlegungen in einen größeren Kontext ein, indem hier auf zwei Achsen argumentiert wird. Auf der horizontalen Achse sind im linken Teil die theoriegeleiteten Verfahren dargestellt, wo also eine Fragestellung und deren Operationalisierung aus übergeordneten Diskussionen abgeleitet werden. Auf der rechten Seite dieser Achse sind die induktiven Herangehensweisen abgebildet, wo also stark datengestützte Operationalisierungen im Vordergrund stehen. Hier kommen wir auf den Positivismus zurück, der im Eingangskapitel ausführlicher beschrieben wurde, und der in der Regionalanalyse häufig mit den Daten-Layern verbunden ist.


Abb. 13 Fallstudien im Methodenkontext (verändert nach Borchardt & Göthlich 2007)

Auf der vertikalen Achse sind im unteren Bereich die Herangehensweisen abgebildet, die auf eine Objektivität von Methoden abzielen und wo folglich auch quantitative Methoden klar dominieren. Im oberen Bereich hingegen sind die eher interpretierenden Verfahren abgebildet. Wenn hier das Wort „subjektiv“ verwendet wird, so stellt dies auf die Interpretationsleistung des Betrachters ab, die aber nicht mit einer Beliebigkeit zu verwechseln ist. Das Gebot der intersubjektiven Nachvollziehbarkeit von wissenschaftlichen Aussagen gilt in jedem Fall.

1.7Der Blick zurück

Bereits der Begriff Regionalentwicklung verweist auf die prozessuale Dimension von Regionen, auf ihre Historie. Bei dieser Entwicklung zeigt sich die Tendenz eines über die Jahrtausende steigenden Einflusses des Menschen (s. Abb. 14, Blackbourn 2007, Küster 2009, Schenk 2011). Parallel verändern sich die Anteile der Ökosystemtypen.


Abb. 14 Geschätzte Veränderungen der Flächenanteile der fünf Haupt-Ökosystemtypen der mitteleuropäischen physischen Räume seit dem Ende der letzten Eiszeit (eigene Darstellung nach Haber 1991, Job 1999, Kühne 2008)

Die Entwicklung der Gesellschaft wird in der Wissenschaft als ein Prozess verstanden, der sich in Phasen und Perioden (z. B. Antike, Mittelalter und Neuzeit; Vormoderne, Moderne und Postmoderne) einteilen lässt (Ipsen 2006). In jeder dieser Phasen oder Perioden richtet die Gesellschaft Ansprüche an den Raum, die mit unterschiedlichen Technologien durchgesetzt werden. Im Folgenden wird auf die in den Sozialwissenschaften weit verbreitete Einteilung von Vormoderne, Moderne und Postmoderne zurückgegriffen. Aufgrund der herausragenden Bedeutung der Energiegewinnung (z. B. in Form von Nahrungsmitteln, Heizmaterial, als Grundlage für technische Prozesse) für die Entwicklung von Regionen, erfolgt eine Konzentration auf dieses Thema. Eine vertiefte Darstellung zu den Paradigmen der Regionalentwicklung folgt zum Ende des zweiten Kapitels.

1.7.1Vormoderne: Die Entwicklung bis zum
18. Jahrhundert

In der Vormoderne wurde der Grundstein gelegt für die Entwicklung des heutigen Siedlungssystems. Historische Handelswege oder Lagen an Flüssen (z. B. auch an Furten) begünstigten die Entstehung von Siedlungen und beförderten Handel. So ist die Entstehung fast aller Städte in Deutschland auf das Mittelalter zu datieren, nur wenige Städte reichen bis in die Römerzeit zurück, wie z. B. Köln oder Augsburg. Auch moderne Stadtgründungen sind selten, wie z. B. die Industriestädte Wolfsburg oder Eisenhüttenstadt. Mittelalterliche Städte waren nicht allein durch ihre hohe Bedeutung für Handel und Handwerk geprägt, im Hochmittelalter entwickelte sich eine rechtliche Trennung von Stadt und Land. Der Städter – als Bürger – verfügte über weitergehende Selbstverwaltungs- und Freiheitsrechte (Ennen 1987), wohingegen weite Teile der ländlichen Bevölkerung weitgehend einer fremden Verfügungsgewalt unterlagen. Zum Symbol für diese Trennung der Rechtsräume wurde die Stadtmauer (‚Bürger und Bauer trennt die Mauer‘). Von zentraler Bedeutung für das mittelalterliche Stadtrecht sind das Zollrecht, das Marktrecht und das Münzrecht sowie das Stapelrecht, das die Pflicht von Händlern begründet, seine Waren in der Stadt anbieten zu müssen. Die Ausrichtung auf Handel und Handwerk bedeutete eine gesteigerte Bedeutung von überörtlichen Erfahrungen und eher abstrakten Kompetenzen, wodurch u. a. die Gründung von Universitäten ihren Anfang nahm (Simmel 2000 [1901], s. auch Ennen 1996).

Mit den gesellschaftlichen Veränderungen ging eine Veränderung von räumlich-materiellen Mustern einher. In der Vormoderne kam der Verfügbarkeit von Holz eine zentrale Bedeutung für die Gesellschaft zu. Die Nutzung von Holz war nicht auf seinen Brennstoffgehalt – z. B. zum Heizen von Gebäuden und zur Herstellung von Glas und Metallen – beschränkt, Holz wurde zum Gebäudebau, den Schiffsbau und den Bau von Maschinen eingesetzt. Holz wurde über große Entfernungen transportiert – aufgrund seines hohen Gewichtes bevorzugt mithilfe von Wasser (in Triften oder als Floß auf großen Gewässern). Infolge dieser großen Bedeutung von Holz lässt sich diese Zeit mit Radkau & Schäfer (1987) als „hölzernes Zeitalter“ beschreiben. Die Folge der starken Holzzentrierung der Wirtschaft waren regionale Übernutzungen und Degradierungen des Waldes. Diese erfolgten insbesondere in Regionen mit hohem Nutzungsdruck, z. B. durch die Erzverhüttung. Nach dem Spätmittelalter, das sich insbesondere für ländliche Siedlungen als ein „Zeitalter der Krisen“ (Schreg & Schenk 2008: 198) beschreiben lässt, wurden zwischen der Mitte des 14. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts zahlreiche Siedlungen teilweise oder sogar gänzlich aufgegeben, wuchs die Zahl der Bevölkerung (von dem Einschnitt infolge des Dreißigjährigen Krieges abgesehen) bis zum 18. Jahrhundert. Damit „sank der Waldanteil in den meisten deutschen Landschaften auf einen Tiefststand ab“ (Küster 1999: 233). Der zunehmende Nutzungsdruck auf die landwirtschaftlichen Flächen zur Nahrungsmittelerzeugung wirkte sich zudem auf die verbliebenen Wälder aus: Waldweiden und die Entnahme von Streu und Plaggen schränkten die Regenerationsfähigkeit der Wälder ein (Radkau & Schäfer 1987, Urmersbach 2009). Im Zuge der Landgewinnung seit dem 17. Jahrhundert wurden auch unwirtschaftliche Flächen in Wert gesetzt: Moore, Heiden und Wälder wurden urbar gemacht und die entstandenen Flächen landwirtschaftlich genutzt.

Die Vormoderne wies nur eine geringe technische, politische und soziale Innovationsfähigkeit auf: Ländliche Räume unterlagen Feudalordnungen, die Bauern nur wenig Spielraum für eigene Initiativen ließen. In den Städten galten für Händler und Handwerker Gilde- und Zunftordnungen, die u. a. die Zahl der Meister reglementierte, sodass auch ohne den Zwang zur Innovation das Auskommen gesichert war. Auch der seinerzeit starke Fokus der Kirche auf das Jenseits schränkte den Wunsch nach Veränderungen im Diesseits tendenziell ein. Die sich aus einem solchen Regime ergebende Landnutzung war kleinteilig und vielfältig, da auch die Transportmöglichkeiten im Vergleich zu heute stark eingeschränkt waren. Nahezu alle Konsumgüter stammten aus regionaler Produktion. Die Regionalentwicklung war geprägt durch starke Anpassungen an die regionalen Gegebenheiten, z. B. in der Energiegewinnung, aber auch – sobald sich die Bevölkerungszahl der regionalen Tragfähigkeit näherte – durch Übernutzung der ökologischen Ressourcen und ein starkes Beharrungsvermögen (aufgrund der geringen Innovationsfähigkeit). Der weit verbreiteten Idealisierung vormoderner Landschaften hält Radkau (1994: 28) entgegen: „Der erste umwelthistorische Lernschritt besteht darin, dass man sich die romantische Vorstellung einer noch bis in die Moderne ziemlich unberührten, erst durch die Industrialisierung beschädigten Natur aus dem Kopf schlägt“.

1.7.2Modernisierung als Rationalisierung und Industrialisierung

Mit dem allmählichen Durchsetzen der Ideen der Aufklärung im 18. Jahrhundert veränderte sich auch das Verhältnis zum Raum. Der Umgang mit dem Raum war zunehmend von dem Ziel der Rationalisierung geprägt: So erfolgte im 18. und frühen 19. Jahrhundert die Entwicklung von Städten – getragen von den Ideen der Aufklärung – nach den Schönheitskriterien „Regelmäßigkeit, Proportion, Ordnung“ (Hauser & Kamleithner 2006: 105). Diese Rationalisierung betraf sowohl die Erweiterung wie auch Umgestaltung mittelalterlicher Städte. Die rationalistische Planung sollte „der europäischen Stadt […] das Dschungelhafte, Labyrinthische, das Mythische und Bedrohliche austreiben“ (Siebel 2004: 20).

Die Agrarliberalisierungen der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert bedeutete die Freisetzung billiger und eigentumsloser Arbeitskraft (Rodenstein 1974), schließlich fiel mit der Leibeigenschaft auch die Verpflichtung des Lehensherrn, Sicherheit für die Bauern zu schaffen. Im Zusammenhang mit einer steigenden Bevölkerungszahl infolge einer verbesserten Hygiene und der Liberalisierung der Heiratsvorschriften entstand so ein wesentlicher Grund für stadtwärtige Wanderungen, die dort einen starken Bevölkerungsanstieg bedeuteten (Bernhardt 2001). Seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert stieg entsprechend der Raumbedarf für Wohnen, für Industrieanlagen sowie für die Infrastrukturen (zunächst insbesondere Straßen, Krankenhäuser, Schulen usw., später dann Eisenbahnlinien, Kraftwerke, Schlachthöfe, Rieselfelder u. a.). Damit wuchsen die Zahl und der Umfang der Städte (Verstädterung) und es breiteten sich städtische Lebensweisen (Urbanisierung) aus. Die Zuwanderung spitzte soziale, politische und ökologische Probleme der Städte zu. Die Städte der frühen Industrialisierung hatten weder eine professionelle Verwaltung (was auch die Polizei betraf), noch eine systematische Frischwasserver- und Abwasserentsorgung: „Die europaweiten Choleraepidemien sind in diesem Zusammenhang zu sehen, genauso wie Konflikte um konkurrierende innerstädtische Raumnutzungsinteressen (Wohnsiedlungen contra Ansiedlung der aufstrebenden, aber oft emissionsintensiven Industriebetriebe)“ (Winiwarter & Knoll 2007: 191). Erst spät begannen die Städte Mitteleuropas mit dem Bau von Abwasserkanälen, von Straßenbeleuchtungssystemen (zunächst noch mit Gaslampen), mit der Etablierung von Polizeibehörden, und später auch mit der Institutionalisierung von räumlicher Planung als einer systematischen Befassung mit diesen Herausforderungen.

 

Die Modernisierung vollzog sich auch auf politischer Ebene: Raumvermessung, der Aufbau einer schlagkräftigen Armee, der Bau von Eisenbahnen, modernen Häfen usw. erforderte den Aufbau einer effizienten Verwaltung, hier wiederum waren größere Staaten bevorteilt (Weber 2008: 220–221): „Mit der bürokratischen Durchdringung ihrer Gebiete waren die kleinen Herrschaften oft ebenso überfordert wie mit dem Aufbau militärischer Macht oder höfischer bzw. adeliger Repräsentation“.

Die rationalisierte Raumentwicklung im Zuge der gesellschaftlichen Modernisierung beschränkte sich nicht auf städtische Räume. In ländlichen Räumen wurde die traditionelle Dreifelderwirtschaft erst intensiviert, später aufgelöst (Kühbauch 1993). Diese zweite agrarische Revolution war mit Maßnahmen der Bodenverbesserung verbunden, wie der Trockenlegung von Feuchtgebieten. Diese Entwicklungen führten zu einer Vereinheitlichung der Landnutzung: Vormalige Standortunterschiede wurden durch systematisierte Auswahl von Saatgut nivelliert (Häcker 1998, Job 1999, Gudermann 2005).

Infolge der zunehmenden Bedeutung fossiler Energieträger seit Ende des 18. Jahrhunderts veränderte sich der Umgang mit Energie fundamental: Die scheinbar unbegrenzte Verfügbarkeit des billigen Brennstoffs Kohle, der zunächst für Heizung, später auch Transport (Eisenbahn, Dampfschiff) und Güterproduktion (Roheisenherstellung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts mit Holzkohle statt Kohlekoks; Uekötter 2007) verringerte den Nutzungsdruck auf den Wald. Mit dem Übergang der Nutzung regenerativer zu fossiler Energie veränderten sich auch die räumlichen Folgen der Energiegewinnung und -verteilung. Die Förderung von Kohle erfolgte in großer lokaler Konzentration (z. B. im Ruhrgebiet, im Saarrevier, in Oberschlesien) und musste – sofern sie nicht lokal weiterverarbeitet wurde (z. B. in der Roheisenerzeugung) – zu den Nutzern transportiert werden. So entstanden, insbesondere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Eisenbahnlinien zwischen bedeutsamen Förderstandorten und bedeutsamen Abnahmestandorten (Winiwarter & Knoll 2007). Der Bau der Eisenbahn förderte wiederum die Nachfrage nach Eisen, was wiederum dessen Produktion beförderte. In dieser Zeit wuchsen viele Industriestädte in wenigen Jahren auf ein Vielfaches ihrer vorindustriellen Größe (wie Kattowitz, Gleiwitz, Bochum, Essen). Verbunden mit dem Auf- und Ausbau emissionsstarker industrieller Anlagen war jedoch auch eine bislang unbekannte Form der Umweltbelastung mit chemischen Substanzen (Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Stickoxide, Kohlenwasserstoffe), während die ökologische Belastung der vormodernen Städte eher mikrobieller Natur war (Radkau 2000).


Tab. 4 Landwirtschaft in wirtschaftlichen Kennziffern in Deutschland 1900, 1950 und 2013 (die Angaben für 1950 beziehen sich auf das frühere Bundesgebiet; nach: Deutscher Bauernverband 2014)
KennzifferEinheit190019502013
Nutzflächeje Einwohnerha/Einwohner0,630,290,21
ErwerbstätigenanteilProzent38,224,31,5
Anteil an der BruttowertschöpfungProzent29,011,30,9
ArbeitskräftebesatzArbeitskraft/100 ha30,629,23,3

Die Modernisierung der Gesellschaft, insbesondere seit den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, bedeutete einen regelrechten Bruch. Industrieanlagen wurden immer größer, um Waren billiger herstellen zu können. Zwischen Stadt und Land entwickelte sich (in Westdeutschland seit den 1950er-Jahren, in den USA schon früher) ein suburbaner Raum, der weder als eindeutig städtisch noch als eindeutig ländlich zu charakterisieren ist. Die Wirtschaftsweise in ländlichen Räumen wurde entsprechend wirtschaftlicher Effizienzmuster umgestaltet. Architektur und Städtebau folgten dem Prinzip „Form follows Function“, gemäß dem das „zu bauen ist […], was funktional ist; Schmuck ohne Funktion ist Kitsch“ (Welsch 1993: 13). Mit dem Funktionalismus entsteht in den 1920er-Jahren ein global weitgehend einheitlicher Baustil, der lokal- oder regionaltypische architektonische oder städtebauliche Aspekte ignoriert (Imbert 2007, Löw 2010, Kühne & Franke 2010). Das Wohngebäude dient allein dem Wohnen und steht in einem reinen Wohngebiet, in dem nur Wohnen zulässig ist, nicht etwa das Betreiben eines Gewerbes. Diese sind von den Räumen der Arbeit (Gewerbe- oder Industriegebiete), den Räumen der Versorgung (Innenstädte) wie auch jenen der Freizeit (z. B. Sportanlagen) getrennt errichtet. Die Trennung dieser sogenannten Daseinsgrundfunktionen bedeutet eine Zunahme von Verkehr, denn Menschen müssen schließlich zu den einzelnen Orten gelangen.

Mit der Massenmotorisierung und dem Streben nach der Trennung von Wohnen und Arbeit verstärkt sich die Suburbanisierung, also die Verlagerung von Nutzungen aus der Kernstadt an den Rand oder darüber hinaus. Die Urbanisierung findet nicht allein in der Umgestaltung städtischer und der Entwicklung suburbaner Räume ihren Niederschlag, sie verändert auch ländliche Räume fundamental (siehe z. B. Ipsen 2006, Kühne 2013). In der Landwirtschaft werden zudem Rationalisierungen, weitere Intensivierungen und Spezialisierungen vorgenommen, dennoch kann sie mit dem raschen Wachstum der anderen Wirtschaftssektoren nicht mithalten und verliert im Laufe des 20. Jahrhunderts an ökonomischer Bedeutung (Tab. 4, Job 1999, Ipsen 2006, Dreibrodt & Bork 2006, Streifeneder 2010).