Und dann kommst Du dahin an einem schönen Sommertag

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»Da hab ich Heimweh nach dem KZ gehabt«

Am 9. November 1939 wurde Maria Zeh aus Ravensbrück entlassen. »Insgesamt war ich ohne Unterbrechung vier Jahre und vier Monate in Haft, davon achtunddreißig Monate in Einzelhaft. Ich bin später sehr viel zum Psychiater geschickt worden, und als das untersucht wurde, war ich die einzige Frau in der Bundesrepublik, die so eine lange Einzelhaft gehabt hatte. Manchmal spüre ich so eine Schwere in mir drin. Dann schlafe ich kaum. Und wenn doch, dann träume ich von allen, die gestorben sind, die man zur Vergasung geschickt hat. An anderen Tagen, obwohl ich’s doch gut habe hier, bringt mich keiner aus dem Haus, da bin ich mein eigener Gefangener. Aber gegen die Träume vom Lager, da kann ich nichts machen. Das hab ich mir schon oft vorgenommen: Du träumst nie mehr davon! Trotzdem träum ich dann davon

Nach ihrer Entlassung kehrte Maria Zeh nach Stuttgart zurück. »Ich habe keinen Mantel und nichts gehabt. Keine Handtasche, gar nichts. Die Bluse hat mir die Lina Haag aus einem alten Fetzen von einer Vergasten gemacht. Ich kam ja im Krieg heim, das war ganz schlimm. Ich musste mich immer bei der Gestapo melden. Ich hatte keine Wohnung. Ich war fünfzehn Kilo schwerer vor lauter Wasser. Die Genossen, das kann ich ruhig sagen, sind aufs andere Trottoir, wenn sie einen gesehen haben. Die, die man geschützt hat! Das war eine Einsamkeit! Die wollten einen nicht sehen, weil sie Angst hatten, sie kommen dann ins KZ. Ich hatte auch Angst, weil man uns gesagt hat, wer wieder ins Lager kommt, der kriegt gleich fünfundzwanzig auf den nackten Po. Man durfte ja mit keinem Menschen reden. Man war wahnsinnig einsam und verlassen. Elend war mir. Und da hab ich so richtig Heimweh nach dem KZ gehabt, nach meinen Kameradinnen und Genossinnen

Nach drei Tagen bekam Maria Zeh eine Arbeit beim Buchgroßhandel Koch, Neff & Oettinger, doch erst eine Woche später ihr erstes Gehalt. Bis dahin musste sie mit trockenem Brot und Wasser auskommen. Diese ersten Tage in der Freiheit waren für sie schwerer als die Zeit im Lager. »Das Zurückkommen war ganz furchtbar, weil ich aus dem Schoß einer warmen Familie komme. Wenn ich heute zurückdenke, wir waren sehr reich, kein Wohlstand, aber wir haben das nicht gespürt durch die Wärme meiner Mutter. Das ist so traurig gewesen, dass meine Mutter wegen mir starb. Wir hatten ein ganz inniges Verhältnis. Und dann bin ich weggekommen. Meine Mutter war doch eine bürgerliche Frau und ist aus Sehnsucht nach mir sehr, sehr erkrankt. Sie hat sich furchtbar geschämt, dass in unserer Familie so was vorkommt. Einmal ist die Gestapo mit mir zu ihr gefahren. Da lag sie im Bett und sagte, sie hätte immer gebetet, dass sie mich wiedersieht. Da hat der Gestapo gesagt, der Mistkerl, der sich selber nachher aufgehängt hat, der hat gesagt, ich darf dableiben, wenn ich sage, was sie wollen. Meine schwer kranke Mutter hat sich aufgesetzt und gesagt, einen Verräter hätte sie nicht erzogen! Das wollte sie nicht, dass ich Leute verrate. Man hat mir erzählt, dass sie im Krankenhaus immer nach der Türe geschaut hätte und hoffte, dass ich käme. Dann ist sie gestorben. Ich hab in meiner Zelle gesessen, und man hat mir gesagt, meine Mutter sei gestorben. Immer wenn ich Glockenschläge höre, dann fällt mir das ein

Als Maria Zeh von ihrer großen Einsamkeit erzählte und wie sie sich ohne Arbeit, ohne Geld ein neues Leben aufbauen musste, schien mir das vollkommen unverständlich. Warum konnte sie, die so vielen geholfen hatte und die deswegen viereinhalb Jahre eingesperrt war, nirgendwo Unterstützung finden?

Nicht ohne Enttäuschung und verbitterten Unterton erklärte sie mir, dass es für die früheren Genossinnen und Genossen gefährlich war, mit einer Kontakt aufzunehmen, die aus den Fängen der Gestapo kam. Stand sie im Verdacht, eine Verräterin geworden zu sein? Dachte man, sie würde diejenigen, die sie kannte, ausliefern? Die Genossen mussten doch wissen, dass sie niemanden verraten hatte, sonst wären sie doch selbst verhaftet worden. »Ach Kind«, sagte sie, »was weißt du über die Menschen?« Als ich weiterbohrte und fragte, wo denn ihr Mann gewesen sei, der wäre doch, wie sie, zwangsweise geschieden worden, fand sie mich vollkommen naiv: »Russland ist groß, und der Zar ist weit!« Viereinhalb Jahre seien eine zu lange Zeit. Ihr Mann habe eine neue Frau gefunden, zu ihr selbst blieb ein freundschaftlicher Kontakt.

Obwohl sie dies sehr bedauere, sei ihr vollkommen bewusst gewesen, dass sie niemals nahtlos an das Leben würde anknüpfen können, aus dem die Verhaftung sie gerissen habe.

Maria Zeh fand schließlich eine Wohnung im Stuttgarter Süden, in der sie noch wohnte, als wir uns kennen lernten. Anfangs habe sie zur Untermiete gewohnt und später die ganze Wohnung in dem schwäbischen Bürgerhaus übernommen. »Zum Beispiel haben sie mir ein Plakat an die Türe gemacht: ›Wer nicht mit »Heil Hitler« grüßt, ist ein Staatsfeind.‹ Gleichzeitig ist der Staub so hoch gewachsen, dass man hätte Kresse darauf säen können. Das waren die Leute unter mir. Es gab viele Schikanen. Aber wie das Leben so spielt: Letztes Jahr war niemand im Haus, die Frau war sterbenskrank, da hat sie mich gebraucht. Da hab ich nicht gesagt: ›Sie waren so und so‹, sondern da hab ich als Mensch gehandelt und habe sie versorgt. Ich bin so erzogen, für mich gibt es kein ›Auge um Auge, Zahn um Zahn‹, das ist eine angeborene und anerzogene Haltung, dass man Mensch bleibt. Ich bin nicht religiös, aber denk nur, gerade die Frau, die mir das Leben so schwer gemacht hat, hatte niemanden als mich, der für sie gesorgt hat

Die Zeit bis zum Kriegsende erlebte Maria Zeh in großer Einsamkeit: geschieden, die Mutter gestorben, kein Kontakt zu Genossen, und nur ein Bruder kehrte aus dem Krieg zurück. »Da hab ich das Leben erst kennen gelernt, in jeder Hinsicht. Ich durfte ja auch Stuttgart nicht verlassen, musste mich regelmäßig bei der Gestapo melden. Ich wollte nichts, außer wieder eine Existenz und mein eigenes Geld verdienen

»Sich rühren ist besser als gerührt sein«

Maria Zeh blieb allein, den Männern ihrer Generation misstraute sie. Zu viele Nationalsozialisten oder wankelmütige Sympathisanten waren unter ihnen. »Das hat etwas mit meinen Erfahrungen zu tun. Ich bin nicht kleinlich oder spießig, aber ich habe auch festgestellt, dass Frauen immer die Rechnungen bezahlen in einem Zusammenleben. Ich habe Frauen getroffen, die mit solchen Enttäuschungen lebten, doch der Mann kann immer ausziehen. Obwohl ich kein gesellschaftliches Ansehen wollte, habe ich gemerkt, dass man überhaupt kein gesellschaftliches Ansehen hat, wenn man älter ist und mit einem jüngeren Mann lebt. Ich bin auch keine Hausfrau mehr, die für einen Mann die Hemden wäscht, das wollte ich nicht mehr

Sie arbeitete ab 1945 in der Betreuungsstelle für die Opfer des Faschismus, engagierte sich in der Gewerkschaft ÖTV und gleich nach der Gründung in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – VVN. Die größte Erfüllung brachte ihr dann die Arbeit beim Stiftungsamt der Stadt Stuttgart, wo sie bis zur Pensionierung blieb. Ihr Engagement war unermüdlich, ihre Lebenssehnsucht und Lebensfreude außergewöhnlich. Einer solch aktiven Frau dieser Generation war ich nie zuvor begegnet.

Was sie ihr Leben lang nicht verlor, war die Angst vor der ›schwarzen Macht‹. Sie hatte eine große Angst vor den Faschisten und Neofaschisten. »Weil wir es gespürt haben! Glaubst du, dass man das vergisst? Ich weiß, dass die Reaktion immer zusammenhalten wird, dass wir für die stets Feinde sind

Als Beispiel führte sie an, dass die CDU-Regierung den politisch Verfolgten die Kuren abgelehnt habe. Alle seien krank aus dem Lager gekommen und auf staatliche Unterstützung angewiesen gewesen. Aus diesem Grund wollte Maria Zeh auch nie über Einzelheiten ihrer Widerstandsarbeit sprechen. Sie habe erlebt, dass antifaschistische Widerstandskämpfer, die im Verdacht standen, sich damals mit ›kriminellen‹ Mitteln zur Wehr gesetzt zu haben, nie eine Entschädigung erhalten haben. »Was mich mein Leben jetzt im Alter leben lässt, ist, dass ich – bei allen Androhungen von Verrecken und alledem – meine achtunddreißig Monate Einzelhaft durchgehalten habe, ohne jemanden belastet, verraten oder jemandem geschadet zu haben. Das hilft mir zu leben. Du kannst auch ›Stolz‹ dazu sagen. Ich werde niemals jemanden verurteilen, der sich die Pulsadern geöffnet, sich aufgehängt oder andere verraten hat. Es war eine solche Tortur, die kann man nicht beschreiben. Deshalb darf man über diese Menschen nicht urteilen. Aber dass ich die Kraft hatte, das durchzustehen, das hilft mir heute leben. Es ist ja nicht leicht, alleine zu leben im Alter, aber es ist noch schwerer, wie ich die Frauen erlebt habe, die ein paarmal verlassen wurden von einem Mann – das könnte ich nicht ertragen. Schlimm ist, dass die besten Freunde, die zehn, fünfzehn Jahre jünger sind, dass die sterben. Wie ich zum Beispiel leide über den Tod von Doris Maase und anderen, mit denen man die Enge erlebt und vieles auf Leben und Tod gewagt hat. Wenn die dann wegsterben, das ist schlimm. Es hat ja keiner gedacht, dass man so alt wird. Ich hab jetzt noch ein Leben voller Sehnsucht. Zum Beispiel hab ich mir Möbel angeschafft, da sagen die Leute: ›Ach, in deinem Alter!‹ Ich bin nicht für Luther, aber das sag ich wie Luther: ›Wenn ich wüsste, ich müsste morgen sterben, dann pflanze ich trotzdem noch ein Apfelbäumchen.‹ Das heißt, das Leben geht weiter. Ich will das. Ich leb auch noch sehr gerne. Mit allen Gebrechen und mit allem, was nicht angenehm ist. Aber ich reiß mich auch schwer zusammen. Für die Zeiten, in denen ich mich einsam fühle, hab ich mir einen Spruch von Bert Brecht angewöhnt: ›Sich rühren ist besser als gerührt sein.‹ Dann mach ich irgendwas. Ich hab immer irgendwo etwas, was man machen muss

 

Im Juni 1987 erkrankte Maria Zeh sehr schwer und starb im Dezember 1989 in einem Krankenhaus. Sie kennen gelernt zu haben war ein Einschnitt in meinem Leben. Die Begegnung mit ihr führte letztendlich dazu, dass ich in den folgenden fünfundzwanzig Jahren nahezu 200 Ravensbrückerinnen interviewt habe.

BEGINN DER SAMMLUNG

1979 nahm Maria Zeh mich mit zu einem Treffen mit ihren »Kameradinnen«, wie sie sagte. Und dort, im Stuttgarter Waldheim1, begegnete ich dreißig weiteren Frauen. In ihren geblümten Sommerkleidern sahen sie wie typische Großmütter aus. Doch etwas stimmte nicht an dem Bild, das sich mir bot: Die Frauen redeten nicht über Krankheiten, Enkelkinder und Königshäuser. Sie diskutierten eine Resolution an die Gewerkschaftsführung, in der sie forderten, für Senioren politische Veranstaltungen statt Kaffeekränzchen anzubieten. Sie tauschten sich über ihre Aktivitäten aus, und ich erfuhr, dass jede in ihrem Umfeld an Veranstaltungen, Demonstrationen und politischen Aktionen beteiligt war. Sie gingen in Schulen, erzählten von ihren Erfahrungen während des Faschismus, von Widerstand und Verfolgung.

So war ich in einen Kreis von politisch aktiven Seniorinnen geraten, die sich einmal im Jahr zu einer mehrtägigen Tagung trafen. Ihre Treffen wurden für mich in den folgenden Jahren ein fester Termin in meinem Kalender. Während der Tagungen wurde diskutiert und abgestimmt, wurden immer wieder neue Forderungen formuliert. Damals waren es: Keine Lagerung von Giftstoffen! Keine Atomkraft! Anstelle der Stationierung von neuen der Abbau vorhandener Vernichtungswaffen! Jeder Satz, jedes einzelne Wort wurden besprochen und genau formuliert.

Und doch war ihr ›Kampf‹ ein sehr spezieller: Sie hatten Krieg und Nationalsozialismus erlebt, sie waren wegen ihres politischen Engagements verfolgt worden und hatten Folter und Haft erlitten. Der kommunistische Widerstand gegen das »Dritte Reich« hatte eine große Zahl an Opfern gefordert; sie hatten überlebt. Die politische Überzeugung war Grundlage ihres Zusammenhalts – zugleich machte sie sie im Nachkriegsdeutschland zu Außenseitern, wie schon in den Jahren der NS-Diktatur. Die Stimmung im Land war eher antikommunistisch, geprägt vom Kalten Krieg. In den frühen 80er Jahren hatten die politisch Verfolgten keine Lobby. Dieser Stimmung wollte auch die »Lagergemeinschaft Ravensbrück« entgegenwirken. Die KPD war 1956 wieder verboten worden. In der DKP hatten sie nach deren Gründung 1968 wieder ein politisches Zuhause gefunden. Ihre Ehemänner hatten viele Berichte über eigene Erlebnisse in der KZ-Haft verfasst. Die Frauen blieben im Hintergrund, redigierten die Texte, in denen sie selbst meist nicht vorkamen. Oftmals hatten sie auch noch nach der Verhaftung ihrer Männer weiter im Untergrund gearbeitet.

»Zur Sprache kommen«

Als Gertrud Müller2, die Vorsitzende der Lagergemeinschaft, im Rahmen einer Tagung die anwesenden Frauen energisch aufforderte, doch endlich ihre Erinnerungen aufzuschreiben, und dann die Diskussion darüber begann, wie schwierig es wäre, sich ganz alleine und ohne Gegenüber den Erinnerungen zu stellen, war die Idee schon geboren: In derselben Nacht beschlossen meine Kollegin Helma Fehrmann und ich, die Erinnerungen dieser Frauen auf Video aufzunehmen. Als wir unsere Absicht am nächsten Tag vorstellten, erklärten sich viele spontan zu einem Interview bereit. Schnell war klar, dass die Älteste in der Runde den Anfang machen sollte. So wurde Aenne Meier3, die 1896 geborene Kreisfürsorgerin aus dem Saarland, meine zweite Interviewpartnerin. Im Dezember 1980 besuchte ich mit dem Kameramann Rolf Schnieders die Vierundachtzigjährige in ihrer Wohnung im Saarland. Sie war auf unser Gespräch gründlich vorbereitet und hatte all ihre Aufzeichnungen herausgesucht.

Durch Aenne Meier habe ich erste grundlegende Informationen über das Frauen-KZ erhalten. Akribisch, handgeschrieben in zahllosen kleinen Heften, sammelte sie seit vielen Jahren Namen und Fakten über das Frauen-KZ und fügte sie zu einem umfassenden Bericht über das Lager zusammen. Erst sehr viel später – aber da war Aenne Meier bereits gestorben4 – wurde mir bewusst, wie wenig ich über ihre Person und ihre persönlichen Erlebnisse aus dem Lager erfahren hatte und wie viele Fragen ich ihr gerne noch gestellt hätte.

In Erinnerung ist sie mir als eine ausgesprochen herzliche, wache und aufmerksame Person geblieben, die mir, der damals unerfahrenen Interviewerin, voller Verständnis und Einfühlungsvermögen alle Fragen geduldig beantwortete. Gleichzeitig achtete sie sorgsam darauf, dass ich den von ihr empfohlenen Kräutertee warm trinke und nicht vergesse, etwas zu essen. Ich fühlte mich wie in der Geborgenheit einer umsorgenden Oma.

Danach begannen unsere Reisen durch die Republik und die ersten Videointerviews mit den ehemaligen politischen Häftlingen. Der Kreis der »alten deutschen Widerstandskämpferinnen« bildete den Schwerpunkt der ersten Gruppe von Interviewpartnerinnen in den Jahren 1980 bis 1985. »Uns hat nie jemand gefragt« und »Ich bin es nicht gewohnt, von mir zu sprechen« waren Sätze, die ich oft hörte. Dazu kam die Angst: Der Wechsel von der SPD- zur CDU-Regierung im Jahr 1983 ließ die Hoffnung auf eine späte Anerkennung sinken. Furcht vor erneuter Überwachung, Bespitzelung und der Kampf um karge Entschädigungsrenten prägten die Stimmung.

Ein Übriges hatte die westdeutsche Entschädigungspolitik getan, sodass in den ersten Gesprächen vieles über die konkreten politischen Aktivitäten verschwiegen wurde: wenn beispielsweise Waffen, Sprengstoffe oder gefälschte Papiere im Spiel waren oder was die konspirative Arbeit im Untergrund anging. Meist geschah es aus Angst, dafür im Nachhinein belangt oder als ›kriminell‹ definiert zu werden, den Anspruch auf Entschädigung zu verlieren. Nicht wenige Überlebende der Konzentrationslager waren nach dem KPD-Verbot in den 50er Jahren erneut inhaftiert gewesen; ihre Kinder erlebten das Berufsverbot (z.B., weil sie in der DKP oder in der VVN engagiert waren), sie selbst erlebten Überwachung durch den Staatsschutz.

HERMINE SCHMIDT


Hermine Schmidt hatte noch nie öffentlich über ihre Erlebnisse in Ravensbrück gesprochen. Bei den Versammlungen der Lagergemeinschaft hielt sie sich im Hintergrund. Sie hörte aufmerksam zu, und wenn sie sich zu Wort meldete – was selten geschah –, sprach sie mit entrüsteter Stimme, in ihrem bergischen Dialekt Worte suchend. Sie war es nicht gewohnt zu sprechen.

Nach dem Ende ihrer mehr als zweijährigen Haft war Hermine Schmidt bei Kriegsende nach Hause zurückgekehrt. Ihr Vater hatte den Krieg nicht überlebt, er war in der Haft ermordet worden. Hermine war eng mit ihrem Vater verbunden gewesen, war ihm auch politisch gefolgt und gemeinsam mit ihm verhaftet worden. Über das, was sie während der Haftzeit erlebt hat, habe sie auch deshalb nie gesprochen, weil niemand ihr geglaubt hätte. Es sei direkt nach dem Krieg auch keine Zeit gewesen, denn im Vordergrund stand das Überleben. Mit ihren älteren Geschwistern nahm sie die kleine Weberei der Familie wieder in Betrieb, doch der Ertrag reichte kaum zum Leben. Obst und Gemüse wurden im Garten angebaut, auf dem großen Grundstück Schafe, Hühner und Ziegen gehalten.

Als wir Hermine Schmidt 1982 das erste Mal besuchten, lebte die 79-Jährige mit ihrem älteren Bruder und ihrer verwitweten Schwester noch immer in dem kleinen bergischen Haus. Hermine versorgte den Obst- und Gemüsegarten und die Haustiere. Die Bandweberei, in der glitzernde Geschenkbänder hergestellt wurden, war noch immer in Betrieb. Hermines Leben bestand aus schwerer Arbeit, ihre abgearbeiteten Hände zeugten davon. Die jährlichen Reisen zu den Treffen der Lagergemeinschaft – das Zusammensein mit den Kameradinnen – waren ihr einziger Luxus und der einzige Ort, wo sie die schweren Erinnerungen an die Haft zulassen konnte.

Geschichten aus Ravensbrück kamen in Bruchstücken aus ihr heraus, oftmals von Tränen begleitet. Insgesamt habe ich Hermine Schmidt in den Jahren 1982 bis 1987 dreimal besucht und befragt.

»Da habe ich mich ganz blöde gestellt«

Hermine Schmidt kam am 28. Juli 1905 in Wuppertal-Beyenburg zur Welt. Ihr Vater, Hermann Schmidt, war vor dem Ersten Weltkrieg SPD-Mitglied, anschließend in der USPD und später in der KPD. Bis 1929 war er Stadtverordneter der KPD in Remscheid-Lüttringhausen. Er war Bandwirker und hatte einen kleinen Betrieb im eigenen Haus. Dort erlernte auch Hermine Schmidt den Beruf der Bandwirkerin. Sie hatte zwei Brüder und eine Schwester. Die ganze Familie beteiligte sich am Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Hermine Schmidt: »Ich bin nicht in der Partei gewesen, aber ich habe so ziemlich alles mitgemacht

Bereits im Frühjahr 1933 wurde die Werkstatt mehrfach durchsucht; ihr Vater und die beiden Brüder wurden verhört und misshandelt. Doch die Familie engagierte sich weiterhin mit der Unterbringung von Flüchtlingen und Emigranten – unter anderem KPD- Funktionäre –, die ins Ausland, hauptsächlich nach Holland, geschleust werden sollten. Im Haus gab es einen Vervielfältigungsapparat zur Herstellung von Flugblättern, und es gab – wie Hermine Schmidt zwar zaghaft, aber schmunzelnd zugab – auch Waffen. »Am Anfang haben wir noch Flugblätter gedruckt. Dann wurde es hier zu gefährlich, und wir haben nur noch Unterkunft gewährt. Wir haben immer Emigranten untergebracht. Da war zum Beispiel eine Grete Müller, ich hab ihr eine Brille und einen großen Strohhut gekauft, und sie hat sich noch einen Blumenstrauß gekauft. Damit ist sie dann einfach an die Grenze gegangen, das war das schwerste Stück, sie über die Grenze nach Holland zu kriegen. Das hat aber geklappt. Das waren wieder andere, die das machten. Einer, der Kurt, mehr wussten wir nicht über ihn, der ist öfter hier gewesen, und der ist verraten worden. In Berlin müssen sie ihn wohl geschnappt haben. Da sind Hunderte verhaftet worden. Da hat es auch viele Todesurteile gegeben. Und dann waren da noch die, die sie hier unten im Wuppertaler Polizeipräsidium totgeschlagen haben

Am 1. Februar 1943 wurde Hermine Schmidt zusammen mit ihrem Vater verhaftet. Im Polizeigefängnis Wuppertal wurde sie zehn Monate in Einzelhaft gehalten. »Am Anfang bin ich oft raufgeholt worden zum Verhör, da habe ich mich ganz blöde gestellt. Ich dachte, der Kurt – der gemeine Kerl – hätte mich heiraten wollen, habe ich gesagt. Die haben das scheinbar geglaubt. Aber weil ich mich so naiv angestellt habe, konnte ich dann gar nichts mehr sagen. Die haben doch haufenweise Sachen bei uns gefunden, Vervielfältigungsapparat und Flugblätter, Papiere zum Drucken