Polikei

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LUNATA

Polikei

Polikei

© 1861 Lew Tolstoi

Originaltitel Polikuschka

Aus dem Russischen von Karl Nötzel

Umschlagbild: Charlotte_Nasmyth-Kincardine

© Lunata Berlin 2020

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Nachwort des Übersetzers

1

Wie Sie zu befehlen geruhen, Herrin! Nur ist es um die Dutloffs leid. Alle ohne Ausnahme sind das prächtige Kerle; wenn man aber schon keinen Hofdiener abgibt, so kommen sie nicht darum, einen Soldaten zu stellen« – sprach der Verwalter – »auch jetzt schon weisen alle auf sie hin. Übrigens – ist das Ihr Wille!«

Und er legte die rechte Hand auf die linke, und indem er beide vor seinen Bauch hielt, beugte er den Kopf auf die andere Seite, zog, fast schmatzend, seine schmalen Lippen ein, wandte die Augen weg und verstummte in der offenbaren Absicht, lange zu schweigen und ohne Widerspruch den ganzen Unsinn anzuhören, den ihm die Gnädige hierauf entgegnen mußte.

Das war ein Verwalter aus den Hofleibeigenen, rasiert, in langem Rock (von einem ganz besonderen »Verwalterzuschnitt«), der an einem Herbstabend vor seiner Herrin stand, um Bericht zu erstatten. Dieser Bericht bestand nach den Begriffen der Gnädigen darin, Abrechnungen über erledigte Wirtschaftsangelegenheiten anzuhören und Verfügungen zu treffen über zukünftige. Nach den Begriffen des Verwalters Jegor Michailowitsch war die Berichterstattung eine Zeremonie, die darin bestand, die Fußspitzen nach auswärts, in gerader Haltung in der Ecke zu stehen, mit dem Gesicht zum Diwan gewendet, allerlei nicht zur Sache gehörendes Geschwätz anzuhören und die Gnädige durch verschiedentliche Mittel dahin zu bringen, daß sie endlich auf alle Vorschläge des Jegor Michailowitsch rasch und ungeduldig »Gut, gut!« sage.

Jetzt war die Rede von der Rekrutenaushebung. Von Pokrowskoje mußte man drei stellen. Zwei waren zweifellos durch das Schicksal selber dazu ausersehen: durch Zusammenfallen von häuslichen, moralischen und wirtschaftlichen Gründen. Hinsichtlich ihrer konnte kein Schwanken und kein Streit sein, weder von Seiten der Bauernversammlung, noch von Seiten der Gnädigen, noch von Seiten der öffentlichen Meinung. Der dritte zu Stellende war dagegen anfechtbar. Der Verwalter wollte den »dreisöhnigen« Dutloff davor bewahren und den verheirateten Hofleibeigenen Polikuschka zur Aushebung schicken, der einen sehr schlechten Ruf besaß und mehrmals ertappt worden war beim Stehlen von Säcken, Zügeln und Heu; die Gnädige aber, die häufig die abgerissenen Kinder Polikuschkas liebkost und vermittelst Ermahnungen nach dem Evangelium seine Sittlichkeit gebessert hatte, wollte ihn nicht abgeben. Dabei wollte sie aber auch den Dutloffs nichts Übles, die sie gar nicht kannte und niemals gesehen hatte. Aus irgendeinem Grunde konnte sie aber durchaus nicht begreifen, und der Verwalter entschloss sich nicht, es ihr geradeheraus zu erklären, daß, wenn nicht Polikuschka, so Dutloff gehen müsse. »Ja, aber ich wünsche doch gar nicht das Unglück der Dutloffs,« sprach sie mit Gefühl. »Wenn Sie das nicht wollen, so zahlen Sie doch dreihundert Rubel für einen Rekruten!« Das ist es, was man ihr hierauf hätte antworten müssen. Die Politik ließ das aber nicht zu.

So nahm Jegor Michailowitsch ruhig eine bequeme Stellung ein, unbemerkt lehnte er sich sogar an den Türrahmen an, und den Gesichtsausdruck völliger Ergebenheit bewahrend, begann er zu betrachten, wie sich bei der Gnädigen die Lippen bewegten, und wie die Rüsche an ihrem Häubchen zugleich mit ihrem Schatten an der Wand unter dem Bildchen, das da hing, hin und her hüpfte. Er hielt es aber überhaupt nicht für nötig, auf den Sinn ihrer Reden einzugehen. Die Gnädige sprach lang und viel. Diese Töne waren ihm sogar angenehm, und er bekam einen Gähnkrampf hinter den Ohren; er verwandelte indes geschickt dieses Zucken in einen Husten, indem er mit der Hand seinen Mund bedeckte und sich anstellte, als ob er sich räusperte. Unlängst sah ich, wie Lord Palmerston dasaß, den Hut auf dem Kopfe, während ein Mitglied der Opposition das Ministerium niederdonnerte, und er sich plötzlich erhob und in einer dreistündigen Rede auf alle Punkte des Gegners Antwort gab; ich sah dies und staunte gar nicht, weil ich etwas Ähnliches tausendmal gesehen hatte bei Jegor Michailowitsch und seiner Herrin. Fürchtete er nun einzuschlafen, oder schien es ihm, daß sie sich schon allzu sehr Hinreißen lasse – er verlegte das Schwergewicht seines Körpers vom linken Fuß auf den rechten und begann mit der sakramentalen Anfangsphrase, mit der er stets anfing:

»Das ist Ihr Wille, Herrin, nur ... nur die Bauernversammlung steht jetzt bei mir vor dem Kontore, und man muß ein Ende machen. In dem Befehle ist gesagt, bis zum Pokrowtage müsse man die Rekruten in die Stadt bringen. Von den Bauern weisen aber alle auf die Dutloffs hin, ja, und sonst auf niemanden. Die Bauernversammlung beobachtet aber nicht Ihr Interesse: ihr ist es gleichgültig, daß wir Dutloffs zugrunde richten. Ich weiß ja aber sehr wohl, wie sie sich durchschlugen. Von der Zeit an, daß ich Verwalter bin, haben sie ja immer in Armut gelebt. Eben, eben erst ist dem Greis sein jüngster Neffe herangewachsen, und jetzt soll man sie wieder ruinieren! Ich aber, Sie geruhen es zu wissen, bin um Ihr Eigentum besorgt wie um das meinige. Schade, Herrin; wie es Ihnen aber gefällig sein wird. Jene sind mir weder verschwägert noch blutsverwandt, und ich habe von ihnen nichts genommen ...«

»Ja, das habe ich ja gar nicht gedacht, Jegor ...« unterbrach ihn die Herrin und glaubte auch sogleich schon, daß er von den Dutloffs gekauft sei.

»... Es ist nur ihr Hof im ganzen Pokrowskoje der beste. Gottesfürchtige, arbeitsame Bauern sind das. Der Greis ist schon dreißig Jahre Kirchenältester, er trinkt weder Schnaps, noch nimmt er ein schlechtes Wort in den Mund; in die Kirche geht er immer.« (Es wußte der Verwalter, womit seine Herrin zu bestechen.) »Und die Hauptsache, ich sage es Ihnen, er hat nur zwei Söhne, der dritte ist nur sein Neffe. Die Bauernversammlung weist auf ihn hin; in Wirklichkeit müßte er ein ›Zweisöhnelos‹ werfen. Andere haben auch bei drei Söhnen sich ihr Land austeilen lassen, weil sie unfähig waren, gemeinsam zu wirtschaften; jetzt sind sie aber im Recht, und die sollen leiden wegen ihrer Tugend!«

Hier verstand die Herrin schon gar nichts mehr – sie verstand nicht, was hier »Zweisöhnelos« und »Tugend« zu bedeuten hätte, sie vernahm nur Töne und betrachtete die Nankingknöpfe an dem Rock des Verwalters: den oberen hatte er wahrscheinlich seltener zugeknöpft, so saß er denn auch fest, der mittlere war aber schon völlig losgerissen und hing eben noch, so daß es längst schon nötig wäre, ihn anzunähen. Wie aber allgemein bekannt, braucht man bei einer Unterhaltung, besonders einer geschäftlichen, durchaus nicht das zu verstehen, was zu einem gesprochen wird; man muß nur das im Gedächtnis behalten, was man selber sagen will. So verfuhr auch die Gnädige.

»Wie willst du denn gar nicht begreifen, Jegor Michailowitsch?« sprach sie. – »Ich will durchaus nicht, daß Dutloff zu den Soldaten kommt. Es scheint, soweit kennst du mich schon, um zu urteilen, daß ich alles tue, was ich kann, um meinen Bauern zu helfen, und ich will nicht ihr Unglück. Du weißt, daß ich bereit wäre, alles zu opfern, um mich von dieser kummervollen Notwendigkeit zu befreien und weder den Dutloff noch den Chorjuschkin abzugeben.« (Ich weiß nicht, ob es dem Verwalter in den Kopf kam, daß, um sich von dieser kummervollen Notwendigkeit zu befreien, man durchaus nicht alles zu opfern brauchte, vielmehr dreihundert Rubel genügten; dieser Gedanke hätte ihm aber leicht kommen können.) »Eines will ich dir nur sagen, daß ich den Polikei um keinen Preis abgeben werde. Als er nach jener Sache mit der Uhr mir selber alles eingestand und weinte und schwor, er werde sich bessern, sprach ich lange mit ihm und sah, daß er gerührt war und aufrichtig bereute.« (»Nun hat sie angefangen!« – dachte Jegor Michailowitsch und begann das Eingemachte zu betrachten, das sie in ein Glas Wasser hineingelegt hatte: »Ist es aus Apfelsinen oder Zitronen? Es muß wohl von bitterem Geschmack sein,« dachte er.) »Seitdem sind sieben Monate vergangen, und er war kein einziges Mal betrunken und führt sich ausgezeichnet auf. Mir sagte seine Frau, er sei ein anderer Mensch geworden. Und wie willst du denn da, daß ich ihn jetzt strafen soll, nachdem er sich gebessert hat? Ja, und ist es denn nicht unmenschlich, einen Menschen zu den Soldaten zu geben, der fünf Kinder hat und allein ist? Nein, sprich mir lieber gar nicht davon, Jegor ...«

 

Und die Gnädige trank aus dem Glas mit Eingemachtem.

Jegor Michailowitsch sah zu, wie das Wasser die Kehle durchlief, und entgegnete dann sanft und trocken:

»So befehlen Sie also, den Dutloff zu bestimmen?«

Die Gnädige rang die Hände.

»Wie kannst du mich denn gar nicht verstehen? Wünsche ich denn das Unglück Dutloffs, habe ich denn irgend etwas gegen ihn? Gott ist mein Zeuge, daß ich bereit bin, alles für ihn zu tun.« (Sie schaute auf das Bild in der Ecke, entsann sich aber, daß das nicht Gott sei: »Nun ja, einerlei, nicht darum handelt es sich«, dachte sie. Wiederum ist es seltsam, daß sie nicht auf den Gedanken kam an die dreihundert Rubel.) »Was soll ich dann aber tun? Weiß ich denn, was und wie? Ich kann das gar nicht wissen! Nun, ich verlasse mich auf dich; du weißt, was ich will. Mache es so, daß alle zufrieden sind und dem Gesetze nach. Was soll man denn machen? Nicht für sie allein – für alle gibt es schwere Augenblicke. Nur den Polikei darf man nicht abgeben. Du verstehst, daß dies furchtbar wäre von meiner Seite ...«

Sie hätte noch lange gesprochen – so sehr hatte sie sich belebt, da trat aber das Dienstmädchen ins Zimmer.

»Was willst du, Dunjascha?«

»Ein Bauer ist gekommen, er läßt Jegor Michailowitsch fragen, ob er der Bauernversammlung zu warten befiehlt!« – sprach Dunjascha und blickte zornig auf den Jegor Michailowitsch. (»Ach, dieser Verwalter!« – dachte sie – »er hat die Herrin aufgeregt; jetzt wird sie mich wiederum nicht vor ein Uhr in der Nacht einschlafen lassen.«)

»So gehe denn, Jegor« – sprach die Herrin – »mach' es möglichst gut!«

»Ich gehorche.« (Er sprach schon nichts mehr über Dutloffs.) »Wen befehlen Sie aber wegen des Geldes zum Gärtner zu schicken?«

»Ist denn Petruscha noch nicht aus der Stadt zurückgekehrt?«

»Nein.«

»Kann dann aber nicht Nikolai fahren?«

»Sein Väterchen liegt an Kreuzschmerzen,« sprach Dunjascha.

»Werden Sie nicht mir selber morgen zu fahren befehlen?« fragte der Verwalter.

»Nein, du bist hier nötig, Jegor.« (Die Gnädige dachte nach.) »Wieviel Geld?«

»1617 Rubel.«

»Schicke den Polikei« – sprach die Herrin, indem sie dem Jegor Michailowitsch entschlossen ins Gesicht schaute.

Jegor Michailowitsch verzog, ohne die Zähne zu zeigen, die Lippen, als ob er lächle; er veränderte sich aber nicht im Gesicht.

»Ich gehorche!«

»Schicke ihn zu mir!«

»Ich gehorche!« – und Jegor Michailowitsch ging ins Kontor.

2

Polikei, als ein unbedeutender und anrüchiger Mensch, ja und dazu noch aus einem andern Dorf, erfreute sich weder der Protektion der Schließerin, noch des Büfettdieners, noch des Verwalters oder des Dienstmädchens der Herrin, und sein »Winkel« war der allerschlechteste, ungeachtet dessen, daß seine Familie, er selber eingeschlossen, sieben Köpfe zählte. Die »Winkel« waren noch von dem verstorbenen gnädigen Herrn so gebaut worden: in der Steinhütte stand in der Mitte ein russischer Ofen, ringsherum lief ein »Kolidor« (wie die Hofleibeigenen sagten), und in jeder Ecke war mit Brettern ein »Winkel« abgezäunt. Es gab also wenig Platz, besonders in dem Winkel des Polikei, der der Türe zunächst lag. Das Ehebett mit Steppdecke und Sitzkissen, eine Wiege mit einem Kindchen, ein Tischchen auf drei Füßen, auf dem gekocht und gewaschen ward, aller Hausrat gelegt zu werden pflegte, und an dem Polikei selber zu arbeiten pflegte (er war Kurschmied), Zuber, Kleider, Hühner, ein Kälbchen und die Sieben selber erfüllten den ganzen Winkel und hätten sich nicht rühren können, wenn nicht der gemeinsame Ofen durch seinen vierten Teil einen Raum gewährt hätte, auf dem Sachen abgelegt wurden und Menschen sich legten, ja, und wenn es nicht möglich gewesen wäre, auf die Eingangstreppe hinauszutreten. Das war freilich kaum möglich: im Oktober war es kalt, als warmes Kleidungsstück war aber nur ein Schafpelz vorhanden; dafür konnte man sich aber erwärmen: die Kinder, indem sie liefen, die Erwachsenen durch die Arbeit, und diese und jene, wenn sie auf den Ofen krochen, wo es bis 40 Grad warm war. Es scheint, es sei unter solchen Bedingungen furchtbar zu leben; ihnen aber machte das nichts aus: leben konnte man. Akulina wusch und nähte für die Kinder und den Mann, sie spann und webte und bleichte ihr Linnen, sie kochte und buk im gemeinsamen Ofen, sie zankte sich und klatschte mit den Nachbarn. Was sie an Lebensmitteln erhielten, reichte nicht nur für die Kinder, vielmehr auch noch, um die Kuh zu füttern. Holz war frei, Viehfutter gleichfalls, auch Heuchen fiel aus dem Pferdestall ab. Es war ein Streifchen Gemüsegarten vorhanden; das Kuhchen bekam ein Kälbchen; man hielt eigene Hühner. Polikei war am Pferdestall angestellt, er versorgte zwei Hengste; er ließ den Pferden und dem Vieh zur Ader, schnitt ihnen Schwellungen auf, reinigte die Hufe und gab eine Salbe von eigener Erfindung. Und dafür erhielt er bisweilen Gelderchen und Lebensmittel. Hafer von der Herrschaft blieb gleichfalls übrig. Im Dorfe war ein Bäuerlein, das gab regelmäßig im Monat für zwei Maß davon zwanzig Pfund Hammelfleisch. Leben hätte man also können, wenn kein Seelenleid gewesen wäre. Das gab es aber, und ein schweres für die ganze Familie. Polikei war von klein auf in einem anderen Dorfe auf einem Gestüt gewesen. Der Pferdeknecht, dem er gerade in die Hände fiel, war der erste Dieb in der ganzen Umgegend: man schickte ihn denn auch zur Ansiedlung nach Sibirien. Bei diesem Pferdeknecht ging Polikei in die Lehre, und weil er eben noch zu jung war, hatte er sich derart an diese »Kleinigkeiten« gewöhnt, daß, ob er auch später froh gewesen wäre, davon zu lassen, – er das gar nicht mehr vermochte. Er war ein junges Menschenkind, noch schwach; Vater und Mutter hatte er nicht, und es war niemand dagewesen, ihn zu unterweisen. Polikei liebte zu trinken und liebte nicht, daß irgendwo etwas »schlecht lag«. Ob es ein Lederriemen oder ein Sättelchen war, ein Schloss, Kupferbolzen oder etwas Wertvolleres – alles fand bei Polikei einen Platz für sich. Überall gab es Leute, welche diese Sächelchen annahmen und dafür in Schnaps oder Geld bezahlten, je nach Übereinkunft. Dieser Verdienst ist der allerleichteste, wie das Volk sagt: es ist dafür weder eine Lehre nötig, noch eine besondere Anstrengung, noch irgend etwas sonst; wenn man aber einmal den Versuch machte, so wünscht man keine andere Arbeit mehr. Eines nur ist nicht schön bei diesem Gelderwerb: Wenn man auch alles billig und mühelos erlangt, und zu leben angenehm ist, so geht es plötzlich schlechter Menschen wegen nicht mehr gut mit diesem Gewerbe, und dann muß man für alles auf einmal bezahlen und wird seines Lebens nicht froh.

So hatte es sich denn auch mit Polikei zugetragen. Er heiratete, und Gott hatte ihm Glück gegeben: zur Gattin – sie war die Tochter eines Viehhüters – war ihm ein gesundes, gescheites, arbeitsfrohes Weib zugefallen; Kinder gebar sie ihm, eines besser als das andere. Plötzlich überkam ihn aber Unglück, und er fiel herein. Und um Nichtigkeiten: bei einem Bauern hatte er Lederzügel beiseite gebracht. Man fand sie, prügelte ihn durch, führte ihn vor die Gnädige und begann auf ihn acht zu geben. Ein zweites und ein drittes Mal ward er ertappt. Das Volk fing an, von ihm schlecht zu sprechen, der Verwalter drohte, ihn unter die Soldaten zu stecken, die Gnädige gab ihm einen Verweis, seine Frau begann zu weinen und sich zu grämen, alles ging drüber und drunter. Er war dabei ein guter, keineswegs ein schlechter Mensch, nur schwach war er; er liebte zu trinken, und er hatte eine so heftige Gewohnheit dazu gefaßt, daß er auf keine Weise davon lassen konnte. Es kam vor, es beginnt ihn seine Frau zu schimpfen, sogar zu schlagen, wenn er betrunken nach Hause kommt, er aber weint: »Ich unglücklicher Mensch« – spricht er – »was soll ich denn machen? Mögen meine Augen zerplatzen, ich werde es werfen, ich werde nicht mehr!« Warte ab! Einen Monat darauf wird er wiederum aus dem Hause gehen, sich betrinken, zwei Tage verschwunden sein. »Von irgendwoher nimmt er doch wohl das Geld, um zu bummeln,« meinten die Leute. Seine letzte Affäre war mit der Kontoruhr. Es war da im Kontor eine alte Wanduhr, längst schon ging sie nicht mehr. Einst kam es so, daß er allein ins unverschlossene Kontor eintrat; die Uhr verführte ihn, er trug sie fort und verkaufte sie in der Stadt. Wie absichtlich ereignete es sich, daß jener Budeninhaber, dem er die Uhr verkauft hatte, zufällig Schwiegersohn einer Hofleibeigenen ward und zum Feiertag ins Dorf kam und von der Uhr erzählte. Man begann nachzuforschen, ganz so, als ob das irgendwem nötig gewesen wäre. Besonders der Verwalter liebte nicht den Polikei. Und man fand den Täter. Man hinterbrachte es der Gnädigen. Sie ließ den Polikei rufen. Der fiel sogleich auf die Knie und gestand mit Gefühl, so, daß es rührend war, alles, wie es ihm seine Frau beigebracht hatte. Er führte alles sehr gut aus. Es begann ihm die Gnädige zur Vernunft zu reden; sie sprach und sprach, predigte und predigte von Gott, von der Tugend, vom zukünftigen Leben, von seiner Frau und von seinen Kindern, und sie brachte ihn zu Tränen.

»Ich verzeihe dir, versprich mir nur, dies niemals mehr zu tun!«

»Niemals werde ich! Möge ich in den Boden versinken, möge mein Leib zerreißen!« sprach Polikei und weinte, daß es einen Stein erbarmen konnte!

Polikei kam nach Hause und heulte wie ein Kalb den ganzen Tag über und lag dabei auf dem Ofen. Von da an ward niemals mehr irgend etwas an Polikei bemerkt. Nur war sein Leben unfroh geworden: das Volk schaute auf ihn wie auf einen Dieb, und als die Zeit der Rekrutenaushebung nahte, begannen alle auf ihn hinzuweisen.

Polikei war Kurschmied, wie bereits gesagt ward. Wie er plötzlich dazu geworden war, wußte niemand, und er selber am allerwenigsten. Auf dem Gestüt bei dem Pferdeknecht, der dann zur Ansiedlung verschickt ward, leistete er keine anderen Dienste, als die Pferdekasten auszumisten, bisweilen die Pferde selber zu reinigen und Wasser zu fahren. Dort hätte er also nicht auslernen können. Darauf war er Weber, dann arbeitete er im Garten, reinigte er die Fußwege; dann zerschlug er zur Strafe Ziegelsteine; dann, gegen Jahresabgabe auf eigenen Verdienst ausgehend, verdingte er sich bei einem Kaufmann als Hausknecht. Demnach hatte er auch dort keine Praxis. Während seines letzten Aufenthaltes zu Hause begann sich allmählich der Ruf seiner ungewöhnlichen, sogar ein wenig übernatürlichen Pferdeheilkunst zu verbreiten. Er ließ einmal und wieder einmal zur Ader, dann warf er ein Pferd um und bohrte ihm im Schenkel herum, dann verlangte er, man solle ein Pferd in den Notstall führen, und begann ihm den Strahl bis aufs Blut zu schneiden, ungeachtet dessen, daß das Pferd um sich schlug und sogar wimmerte, und er sagte, daß dies bedeute, »das unter dem Huf befindliche Blut auszulassen«. Darauf erklärte er den Bauern, es sei unerläßlich, das Blut aus beiden Adern zu lassen, »zur größeren Leichtigkeit«, und begann mit einem Klopfholz auf die stumpfe Lanzette zu schlagen; alsdann zog er unter den Bauch des Verwalterpferdes einen Verband aus dem Kopftuch seiner Frau; endlich begann er mit Vitriol jede Art Schorf zu bestreuen, aus einem Gläschen zu benetzen und bisweilen innerlich zu geben, was ihm gerade einfiel. Und je mehr er Pferde marterte und mordete, um so mehr glaubte man ihm, und um so mehr Pferde führte man zu ihm.

Ich fühle, daß es für uns, die Herrschaften, nicht ganz anständig ist, über den Polikei zu lachen. Die Methoden, die er anwandte, um Vertrauen zu erwecken, sind ganz dieselben, die auf unsere Väter wirkten, auf uns selber, und die auch auf unsere Kinder wirken werden. Der Bauer, der sich mit dem Bauch auf den Kopf seiner einzigen Stute legt, die nicht nur seinen Reichtum ausmacht, vielmehr fast einen Teil seiner Familie, und der mit Glauben und Schrecken auf das beträchtlich verzogene Gesicht des Polikei schaut und seine dünnen, vertrockneten Hände, mit denen er absichtlich die Stelle preßt, die schmerzt, und kühn den lebendigen Körper schneidet mit dem geheimen Gedanken: »Es wird schon etwas dabei herauskommen«, und sich den Anschein gibt, als ob er wisse, wo Blut, wo Materie, wo trockene, wo nasse Adern sind, und dabei in seinen Zähnen den heilbringenden Lappen oder das Fläschchen mit Vitriol hielt – dieser Bauer kann sich gar nicht vorstellen, daß sich bei Polikei die Hand erheben würde, wenn er nicht zu schneiden verstünde. Er selber hätte das nicht tun können. Sobald aber rasch geschnitten ist, wird er sich auch keinen Vorwurf daraus machen, daß er vergeblich zu schneiden gab. Ich weiß nicht, wie es mit Ihnen steht; ich aber empfand vor dem Doktor, der auf meine Bitte Menschen, die meinem Herzen nahestanden, gequält hatte, ganz genau dasselbe. Die Lanzette und das geheimnisvolle weißliche Fläschchen mit Sublimat und die Worte: »Beulenkrankheit, Hämorrhoiden, zur Ader lassen, Eiter usw.«, sind das denn nicht dieselben wie Nerven, Rheumatismus, Organismen usw.? »Wage du zu irren und zu träumen« – dies bezieht sich nicht nur auf die Dichter, auch auf die Doktoren und Kurschmiede.

 
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