Gelassene Eltern - zufriedene Kinder

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Selbstregulation

Eines der Puzzleteile, die Sie beigesteuert haben und die anscheinend vorher gefehlt hatten, war, dass ich mir selbst ebenso beistehen und Vergebung und Geduld schenken muss, wie ich es bei meiner Tochter versuchte. Und ich musste lernen, wirklich zu verinnerlichen, dass ihr Verrückt-Spielen nicht ein Spiegelbild meiner Person oder meines Erziehungsstils war (jedenfalls meistens nicht), sondern Ausdruck dessen, wie sie sich gerade fühlte und was sie in diesem Moment brauchte.

ALENE,

Mutter zweier Kinder unter vier Jahren

1

Bei gelassenen Eltern wachsen zufriedene Kinder heran

Es gibt ein altes Sprichwort: Kinder ins Leben zu begleiten ist die schwerste Arbeit überhaupt. Aber weshalb ist das so? Stelle ich diese Frage vor Publikum, schlagen die Eltern meistens zwei Gründe vor. Erstens stehe so viel auf dem Spiel. Und zweitens gäbe es keine klaren Antworten, wie man zu »guten« Eltern wird.

Eine Antwort stimmt und eine stimmt nicht so ganz. Natürlich steht viel auf dem Spiel. Aber wir wissen tatsächlich eine ganze Menge darüber, wie man ein zufriedenes, rücksichtsvolles, emotional gesundes und ausgeglichenes Kind ins Leben begleitet. Es gibt zu diesem allerwichtigsten Thema ziemlich viel wertvolle Forschung, und die Eltern werden erfreut sein, zu erfahren, wie praktikabel sie ist. Studien zeigen immer wieder, dass Eltern, die sich auf die spezifischen Bedürfnisse ihres Kindes warm und respektvoll einstimmen, wunderbare Kinder ins Leben begleiten. Wie alle Eltern wissen, besteht der schwierigste Teil darin, unsere eigenen emotionalen Trigger zu regulieren, damit dieses Ideal zumindest manchmal Wirklichkeit wird.

Unabhängig von den besonderen Herausforderungen deines Kindes kannst du also auch an dir selbst arbeiten, wenn du als Elternteil gute Arbeit leisten willst. Ein Kind verursacht nicht den Ärger oder die Angst, die dazu führt, dass wir uns in Machtkämpfe verstricken; diese entstehen aus unseren eigenen Ängsten und Zweifeln. Unsere eigenen Kindheitserfahrungen, unsere frühen Traumata – größere und kleinere – sind ein Teil von uns. Überdies sind sie derjenige Teil, der die Führung übernimmt, sobald wir emotional erregt sind; Kinder haben ein Talent dafür, unglückliche Gefühle aus unserer eigenen Kindheit auszulösen. Daher können wir nur dann zu gelassenen Eltern werden, wenn wir achtsam verhindern, dass alte Gefühle neue Probleme verursachen.

Genau genommen hängt das, was wir für unsere Kinder am meisten wollen, von unserer eigenen inneren Arbeit ab. Wir alle wollen zufriedene Menschen heranwachsen lassen, die von anderen geliebt werden und glückliche Beziehungen haben. Wenn wir unsere eigenen frühen Kindheitsbeziehungen reflektieren und lernen, für uns selbst gut zu sorgen, können wir – du kannst das! – unserem Kind die sichere Verbindung geben, die ihm lebenslang die Basis für liebevolle Beziehungen bietet. Wir haben es nicht in der Hand, was im Leben unseres Kindes geschieht. Aber wir können es wahrscheinlicher machen, dass er oder sie sich mit Menschen umgibt, die ihn oder sie gut behandeln und dabei unterstützen, dem eigenen Leben einen tieferen Sinn zu verleihen.

Auch wollen wir Kinder so ins Leben begleiten, dass sie ihr Verhalten steuern können; einmal, weil es dann einfacher ist, mit ihnen zusammenzuleben, und zum Zweiten, weil das unsere elterliche Aufgabe ist. Wir wissen auch, wie das geht. Wenn wir die eigenen Emotionen regulieren, lernen auch unsere Kinder ihre Emotionen zu regulieren. Das wiederum erlaubt es ihnen, ihr Verhalten zu regulieren, vorausgesetzt, sie sind gut genug mit uns verbunden, um das auch zu wollen.

Letztlich wollen wir, dass unsere Kinder ihren Weg im Leben finden. Nicht unbedingt in dem Sinne, dass sie sich die Belohnungen verdienen, die die Gesellschaft für Leistungen anbietet, sondern in dem Sinn, dass sie lebenslang ihre einzigartigen Gaben entdecken, verfeinern und teilen. Auch hier wissen wir, was wir für unsere Kinder tun können. Es hat viel damit zu tun, wie gut wir unsere eigenen Ängste bewältigen, was wiederum unsere Kinder dazu befreit, selbst auf Entdeckungsreise zu gehen und Selbstvertrauen und Resilienz zu entwickeln.

Einige Kinder kommen mit einem etwas schwierigeren Temperament auf die Welt und für jene Kinder ist unsere innere Arbeit als Eltern sogar noch wichtiger. Aber unabhängig davon, was dein Kind mitbringt, wie du auf seine Persönlichkeit eingehst, wird seine Fähigkeit prägen, aus seinem Leben das Beste zu machen.

Dein Kind wird dich erfreuen und zur Verzweiflung bringen, dich begeistern und wütend machen. So wird es dich auch unabsichtlich zum Wachsen auffordern. Wenn du das Triggern merkst und noch bevor du handelst, dein Gleichgewicht wiedergewinnst, wenn du deine eigene Angst beruhigen kannst, über deine eigene Erfahrung nachdenken und dich damit versöhnen kannst, dann kannst du zufriedene, emotional gesunde Kinder ins Leben begleiten, die in jeder Hinsicht ihren Weg finden. Du kannst zu einem gelassenen Elternteil werden, der mit zufriedenen Kindern wächst.

Deine erste Elternpflicht

Achtsamkeit: Es einer Emotion erlauben zu kommen und wieder zu gehen, ohne darauf zu reagieren.

BENEDICT CAREY1

Achtsamkeit: Jemandem keins auf die Schnauze hauen.

Ein Elfjähriger,

zitiert nach Sharon Salzberg2

Dein Kind wird sich ziemlich sicher wie ein Kind benehmen, was heißt, dass jemand, der noch lernt, andere Prioritäten hat als du und nicht immer seine Gefühle oder Handlungen steuern kann. Garantiert wird dich sein kindliches Verhalten manchmal in Rage bringen, deine Knöpfe aktivieren. Das wird dann zum Problem, wenn wir selbst anfangen, wie Kinder zu handeln. Wenn wir unserem Kind Erwachsensein vermitteln wollen, muss auch jemand erwachsen handeln! Wenn wir stattdessen achtsam bleiben können – das heißt, unsere Emotionen wahrnehmen und sie vorüberziehen lassen, ohne darauf zu reagieren, dann zeigen wir den Kindern, wie emotionale Regulation geht, und sie lernen von uns durch Beobachtung.

Nicht ohne Grund werden wir im Flugzeug dazu angehalten, zuerst unsere eigene Sauerstoffmaske aufzusetzen. Kinder können diese Masken nicht erreichen oder verlässlich anwenden. Wenn wir nicht mehr zurechnungsfähig sind, können die Kinder weder uns noch sich selbst retten. Selbst wenn wir uns für unsere Kinder opfern würden, ist es unsere Verantwortung, zuerst die eigene Sauerstoffmaske anzulegen.

Ebenso wenig können Kinder allein mit ihrer Wut zurechtkommen. Sie finden nicht allein aus dem Gewirr der Eifersucht, das sie dazu drängt, die kleine Schwester zu schlagen. Da benötigen sie unsere Hilfe, um mit der Befürchtung umzugehen, wir liebten sie vielleicht nicht, weil sie irgendwie nicht so ganz genügen. Sie wissen, wären sie wirklich gut genug, dann würden sie die Schwester nicht hauen wollen, oder die Süßigkeit mopsen, oder sich nicht schreiend auf den Boden werfen. Aber sie können nicht anders, so sehr sie sich auch darum bemühen (vergleichbar damit, wenn wir das bewusste eine Stück Kuchen zu viel essen).

Genauso wie bei der Sauerstoffmaske ist es unsere Aufgabe, unserem Kind im Umgang mit seinen Emotionen zu helfen, was ihm wiederum hilft, sein Verhalten zu steuern. Wenn du stressgeplagt bist, völlig am Ende deiner Kraft, kannst du leider ebenso wenig konstruktiv für dein Kind da sein, wie wenn du im Flugzeug ohnmächtig wirst.

Deshalb besteht deine erste Elternpflicht darin, achtsam auf deinen inneren Zustand einzugehen. Achtsamkeit ist das Gegenteil davon, die Beherrschung zu verlieren. Versteh mich nicht falsch – Achtsamkeit bedeutet nicht, dass du den Ärger nicht fühlst oder verdrängst. Achtsam zu sein, bedeutet, dass du zwar aufmerksam auf deine Gefühle achtest, aber nicht ihrem Handlungsimpuls nachgibst. Ärger gibt es in allen Beziehungen. Darauf gedankenlos in Worten oder Taten zu reagieren ist es, was unseren elterlichen Bemühungen schadet.

Emotionen sind nützlich, so wie Hinweisleuchten am Armaturenbrett. Wenn in deinem Auto ein rotes Licht blinkt, würdest du es doch nicht zudecken oder die Verkabelung herausreißen, die es verursacht hat? Du würdest die Information beachten und darauf reagieren, etwa indem du das Auto zu einem Öl-Check in die Werkstatt fährst. Bei menschlichen Gefühlen besteht die Herausforderung darin, dass wir oft nicht wissen, was wir tun sollen, während wir sie fühlen. Wir sind so verdrahtet, dass wir für alle »schwierigen« Gefühle (diese roten Blinklichter in unserer Psyche, die im Laufe des Tages aufleuchten) nur drei Reaktionsweisen haben: Kampf, Flucht oder Erstarren.

Diese Strategien funktionieren in den meisten Notfallsituationen. Aber das Elterndasein ist – all unseren Ängsten zum Trotz – normalerweise kein Notfall. Normalerweise ist die beste Antwort auf aufwühlende Emotionen, ob als Eltern wie auch im übrigen Leben, die, erst einmal inne zu halten anstatt spontan zu reagieren. In anderen Worten: Tu erst einmal nichts, wenn du getriggert wirst.

Du kannst dich darauf verlassen, dass du manchmal von Kampf- oder Fluchthormonen vereinnahmt wirst. Wenn du aber lernst, darauf zu achten, wann du allmählich die Beherrschung verlierst, kannst du die Wahl treffen, wieder in den Gleichgewichtszustand zurückzukehren. Dieser friedvolle, innere Ort sorgt dafür, dass wir gemäß unseren wahren Werten weise und liebevoll handeln.

Aber was geschieht, wenn wir einfach nicht dorthin gelangen? Wenn unser Kind etwas tut, das uns verrückt macht, und all unsere Versuche, uns selbst zu beruhigen, nicht funktionieren?

Den Kreislauf durchbrechen: Unsere eigenen Wunden heilen

 

Ohne Reflexion wiederholt sich Geschichte oft … die Forschung hat deutlich gezeigt, dass die Verbundenheit unserer Kinder mit uns davon beeinflusst wird, was wir selbst als Kinder erlebt haben; sofern wir diese Erfahrungen nicht verarbeitet und verstanden haben.

DAN SIEGEL3

Von dem berühmten Psychologen Donald Winnicott stammen viele weise Beobachtungen zu Eltern und Kindern. Meine liebste lautet, dass Kinder keine perfekten Eltern brauchen. Wir müssen nur darauf achten, ihnen möglichst keinen Schaden zuzufügen und ihnen das Maß an »gewöhnlicher Hingabe« zu gewähren, das von den Eltern schon immer gefordert wird.

Leider ist das nicht so einfach, wie es sich anhört. Zuerst einmal hat Hingabe nichts »gewöhnliches« an sich. Wie Eltern wissen, bedeutet Hingabe, mit einem schreienden Baby, das eine Mittelohrentzündung hat, um zwei Uhr nachts in der Wohnung auf und ab zu gehen. Hingabe bedeutet, sich nach einem langen Tag dazu zu zwingen, seinen Kindern ein Essen zuzubereiten, wenn man eigentlich nur abschalten und es sich auf dem Sofa gemütlich machen will. Hingabe bedeutet, während einer Autofahrt in einer kalten Nacht, die Jacke auszuziehen und sie über das auf dem Rücksitz schlafende Kind auszubreiten. Diese gewöhnliche Hingabe ist dieselbe intensive Liebe, die Eltern im Lauf der Menschheitsgeschichte immer wieder dazu veranlasst hat, sich zwischen ihr Kind und eine Gefahr zu werfen, ob es sich dabei um fliegende Glasscherben oder feindliche Soldaten handelt.

Aber selbst wenn wir unsere Hingabe so ausdrücken, dass wir unsere Kinder bereitwillig an die erste Stelle setzen, ist es noch immer nicht leicht »hinreichend gute Eltern« zu sein. Sogar eine hingebungsvolle Mutter oder ein hingebungsvoller Vater verletzt unabsichtlich das eigene Kind oder hinterlässt bei ihm Narben. Das schließt auch diejenigen Eltern mit ein, denen ihre Kinder über alles gehen, die sich, wenn nötig, völlig selbstlos verhalten würden. Weshalb diese Kluft zwischen unseren Absichten und unseren Handlungen? Der Grund dafür ist, dass sich, während wir unserem Kind niemals absichtlich wehtun würden, in unserm Elterndasein wie auch in jeder anderen Beziehung, so vieles außerhalb unseres bewussten Gewahrseins abspielt.

Tatsächlich wurden wir praktisch alle in der Kindheit verwundet und wenn wir diese Wunden nicht heilen, hindern sie uns daran, die Eltern für unsere Kinder zu sein, die wir wirklich sein wollen. Wenn es einen Bereich gibt, in dem du als Kind Narben davongetragen hast, dann kannst du damit rechnen, dass dir dieser Bereich als Eltern Kummer bereitet – und du wiederum dein Kind verletzt.

Uns allen fallen dafür Beispiele ein: der Vater, der bei seinem Sohn unabsichtlich das verurteilende Erziehungsverhalten des eigenen Vaters wiederholt. Die Mutter, die dem Verhalten ihrer Kinder keine Grenzen setzen kann, weil sie deren Ärger auf sie nicht ertragen kann und schließlich selbstbezogene, ängstliche Kinder heranzieht. Die Eltern, die beruflich extra Überstunden machen, weil sie die eigene Fähigkeit, sich für ihr Baby zu interessieren (sprich: es zu lieben) anzweifeln. Uns allen gilt die Aufgabe, unsere eigenen Narben – einige eher unbedeutend, andere schmerzhafter – bewusst zu untersuchen, damit wir unseren Kindern keine neuen zufügen.

Die wunderbare Nachricht ist, dass uns das Elternsein eine Landkarte dafür liefert, wo sich diese Narben befinden, und die Chance, in die Tiefe zu gehen und uns zu heilen. Unsere Kinder besitzen ein untrügliches Gespür, uns diese wunden Stellen zu zeigen und Ängste und Ärger herauszulocken. Besser als der beste Zen-Meister oder Therapeut bieten uns unsere Kinder die perfekte Gelegenheit, zu wachsen und zu heilen. Die meisten Eltern sagen, dass sie durch die Liebe zu ihren Kindern verwandelt wurden: Sie wurden geduldiger, mitfühlender, selbstloser. Dicht an den Themen, die unsere frühe Psyche geformt haben, werden wir immer eine erhöhte Sensibilität spüren, aber sobald wir die verbleibenden Verletzungen heilen, wird unser Verhalten nicht länger davon gesteuert, und wir merken, dass uns diese Narben informieren, motivieren und zu besseren Eltern machen.

Wie kannst du also deine eigenen Kindheitsprobleme heilen und zu dem Elternteil werden, den du dir für deine Kinder wünschst?

Lebe dein Elternsein bewusst. Wenn wir aufmerksam sind, merken wir es, wenn das Kind unsere inneren Knöpfe aktiviert. Natürlich handeln Kinder wie Kinder, und zwar immer. Das ist altersgemäß. Aber was manche Eltern nervt, wird von anderen mit einer ruhigen, warmen und humorvollen Haltung aufgenommen, die Kinder dabei unterstützt, sich benehmen zu wollen. Jedes Mal, wenn uns etwas »triggert«, sind wir über etwas gestolpert, das der Heilung bedarf. Wann immer dein Kind bei dir die inneren Knöpfe drückt, zeigt es dir eine unerledigte Thematik aus deiner Vergangenheit.

Unterbreche den Kreislauf. Verwende die innere Pausentaste. Du musst mit deinen Kindern nicht die Vergangenheit wiederholen. Selbst wenn du den falschen Weg bereits ein großes Stück gegangen bist: Stopp. Atme tief ein und drücke die Pausentaste. Schließe den Mund, selbst wenn es mitten im Satz ist. Sei deswegen nicht peinlich berührt; du bist ein Vorbild für gute Aggressionsbewältigung. Spare dir die Verlegenheit für deinen nächsten Tobsuchtsanfall auf.

Begreife, wie Emotionen funktionieren. Ärger ist eine Botschaft, dass etwas in unserem Leben nicht funktioniert. Dabei ist das Problem, dass er auch ein biologischer Zustand ist, der uns nicht dabei hilft, die beste Lösung zu finden. Wenn uns die hormonellen Reaktionen im Griff haben, die uns »ärgerlich« machen, tun und sagen wir Dinge, die wir sonst niemals sagen oder tun würden. Sind Körper und Emotionen im Kampf-oder-Flucht-Modus, erscheint dir dein Kind immer wie der Feind. Atme tief ein und warte, bis du dich beruhigt hast, bevor du etwas beschließt oder handelst.

Drücke die Rückstelltaste deiner eigenen »Geschichte«. Wenn deine Kindheit leiderfüllt war, kannst du das nicht ändern. Was du jedoch verändern kannst, ist das, was du aus deiner Kindheit mitnimmst: deine »Geschichte«. Das tust du, indem du darüber nachdenkst, die schmerzhaften Gefühle fühlst, aber auch neue Blickwinkel berücksichtigst. Wenn dein Vater die Familie verlassen hat und du daraus gefolgert hast, dass du nicht gut genug warst, ist es an der Zeit, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und von deinem Standpunkt als Erwachsene zu verstehen, dass du mehr als gut genug warst und sein Weggehen nichts mit dir zu tun hatte. Wenn du von deiner Mutter geschlagen wurdest und daraus gefolgert hast, dass du ein böses Kind warst, wäre eine zutreffendere Erklärung, dass deine Mutter vermutlich voller Angst war und sogar das engelhafteste Kind der Welt geschlagen hätte. Du warst einfach wie jedes Kind: Du hast dich auf die einzige Weise nach Liebe und Zuwendung ausgestreckt, die du kanntest. Deine Geschichte zu bewältigen und neu zu schreiben kann ein schmerzvoller und zugleich befreiender Prozess sein. Außerdem ist es der einzige Weg, um zu dem gelassenen Vater, der gelassenen Mutter zu werden, die du für dein Kind sein willst.

Baue Stress ab. Uns fällt es schwerer, die Eltern zu sein, die wir gerne wären, wenn wir völlig gestresst sind. Bau dir ein Repertoire an Gewohnheiten auf, die dir beim Entspannen helfen: regelmäßig Sport treiben, Yoga, ein warmes Bad, Meditation. Fehlt dir die Zeit dazu? Dann beziehe die ganze Familie mit ein. Lege Musik auf und tanzt gemeinsam dazu, geht Spazieren, bringe freitagabends alle mit Büchern versorgt früh ins Bett, damit du einen ruhigen, entspannten Abend hast und Schlaf nachholen kannst. Mache dir Entschleunigung zur Priorität und du wirst dafür auch Wege finden.

Hole dir beim Betrachten alter Probleme Unterstützung. Alle Eltern brauchen Unterstützung und Gelegenheiten, über ihre schwierige Aufgabe zu sprechen. Manchmal können wir das ganz ungezwungen mit Freunden oder Verwandten tun. Manchmal kann eine eher förmlichere »Zuhör-Partnerschaft« mit einem anderen Elternteil, wie sie Patty Wipfler von der Organisation Hand-in-Hand-Parenting empfiehlt, die letzte Rettung sein. Vielleicht willst du in eine Elternselbsthilfegruppe gehen. Wenn du das Gefühl hast, auf der Stelle zu treten, suche dir eine Beraterin oder einen Berater, die dir dabei helfen, in deinem Leben zufriedener weiterzugehen. Es ist keine Schande, um Hilfe zu bitten; eher wäre das der Fall, wenn du deine elterliche Verantwortung nicht einhältst, indem du dein Kind körperlich oder seelisch verletzt. Wenn du denkst, dass du Hilfe brauchst, warte bitte nicht. Ergreife jetzt die Initiative.

Es gibt keine vollkommenen Eltern, weil Menschen laut Definition unvollkommen sind. Doch jedes Mal, wenn du aufmerksam bist, die innere Pausentaste drückst und deinen Stress bewältigst, wirst du ein wenig gelassener. Genau das gibt deinem Kind eine größere Chance, glücklich zu werden. Winnicott hatte recht. Unsere Kinder brauchen von uns keine Vollkommenheit. Dagegen brauchen sie Eltern, die ihr eigenes Wachstum begrüßen, bereit zur Wiedergutmachung sind und ihr Herz öffnen, wenn es sich verhärten will.

Wie du deinen Ärger bewältigst

Dieser Ansatz ist unglaublich wirkungsvoll und hat mein Leben verändert. Das Beste daran ist, dass man nicht perfekt sein muss. Man muss einfach echt sein, ehrlich und dazu fähig, Fehler zuzugeben. Anstatt im Alltag Donnerwetter heraufzubeschwören, schafft man Verbindungen, liebevolle Momente und teilt mit den Kindern seine echten Emotionen. Diese realen Augenblicke lehren unsere Kinder, wie sie selbst ihr bestes Ich sein können, nicht perfekt, einfach echt.

CARRIE,

Mutter von zwei Jungen unter vier Jahren

Da du eben ein Mensch bist, wirst du dich immer noch manchmal im Kampf-oder-Flucht-Modus wiederfinden, und dann erscheint dir dein Kind wie der Feind. Wenn dich die Wut überschwemmt, ist dein Körper kampfbereit. Er wird von Hormonen und Neurotransmittern überflutet. Sie sorgen dafür, dass sich die Muskeln anspannen, der Puls rast und die Atmung schneller wird. In solchen Momenten kann man unmöglich ruhig bleiben, aber wir wissen alle, dass körperliche Angriffe auf unsere Kinder – während es vielleicht momentane Erleichterung schafft – nicht dem entspricht, was wir wirklich tun wollen.

Also verpflichtest du dich jetzt, dein Kind nicht zu schlagen, nicht anzuschreien, dein Kind nicht zu beschimpfen und keine Drohungen auszusprechen. Wenn du unbedingt schreien musst, setz dich ins Auto, halte die Fenster geschlossen und schreie da, wo dich niemand hören kann – aber ohne Worte, denn sonst wirst du noch wütender.

Auch deine Kinder werden wütend; wenn du dich also der konstruktiven Aggressionsbewältigung verschreibst, profitieren sie davon doppelt. Du vermeidest nicht nur die Kinder zu verletzen, sondern bist ihnen sogar Vorbild. Sie werden dich ab und zu sicher ärgerlich erleben und wie du mit diesen Situationen umgehst, wird für sie sehr lehrreich sein. Wirst du ihnen vielleicht vermitteln, dass das Recht des Stärkeren gilt? Oder, dass auch Eltern Wutanfälle haben? Oder, dass Wut einfach menschlich ist und der verantwortungsvolle Umgang damit zum Erwachsenwerden gehört? Hier folgt, wie das geht:

Mach eine 5-Minuten-Pause. Erkenne an, dass du generell im ärgerlichen Zustand nicht gut reagieren kannst. Erlaube dir stattdessen eine Auszeit und komm erst dann wieder zurück, wenn du Ruhe bewahren kannst. Ist dein Kind alt genug, um einen Augenblick allein zu bleiben, geh ins Bad, spritze dir Wasser ins Gesicht und nimm tiefe Atemzüge. Sag dir einfach so ruhig wie möglich: »Gerade bin ich zu wütend, um darüber zu reden. Ich werde mir eine Auszeit nehmen und mich beruhigen.« Dieses Aussteigen macht dein Kind nicht zum Sieger. Es schärft ihm nur ein, wie ernst sein Verstoß ist und ist ein Vorbild für Selbstbeherrschung. Falls dein Kind so jung ist, dass es sich verlassen fühlt, wenn du es allein lässt, dann gehe stattdessen an die Küchenspüle. Setz dich anschließend ein paar Minuten aufs Sofa. Ob du in der Nähe deines Kindes bist oder hinter einer verschlossenen Tür, verwende diese Zeit auf jeden Fall, um dich zu beruhigen und nicht, um dich in eine weitere Raserei hineinzusteigern, wie sehr du recht hast. Atme tief und leise und sage dir ein kurzes Mantra vor, das deine Gelassenheit wiederherstellt. Dein Kind wird zuschauen. Sorge dich nicht darum, dass du deinem Kind eigentlich verdeutlichen müsstest, was es angestellt hat. Es lernt gerade eine der wichtigsten Lektionen überhaupt: wie es starke Emotionen verantwortungsvoll reguliert.

 

Hilf deinem Körper, Ärger zu entladen. Wenn du dich so sehr wütend fühlst, brauchst du eine Beruhigungsmethode. Halte inne, atme, erinnere dich daran, dass dies kein Notfall ist. Schüttle die Anspannung aus den Händen. Atme zehn Mal tief durch. Wenn du das Bedürfnis hast, ein Geräusch von dir zu geben, dann summe. Vielleicht möchtest du versuchen zu lachen, wodurch Spannung abgebaut und die Laune verändert wird. Sogar wenn du dir ein Lächeln abringst, sendet das die Botschaft an das Nervensystem, dass kein Notfall besteht und beruhigt dich allmählich. Klopfe beim Atmen auf den Akupunkturpunkt an der Seite jeder Hand (die Stelle, an der du einen Karateschlag ansetzen würdest) und bringe die Absicht zum Ausdruck, dass du dich beruhigen willst. Wenn du das Gefühl hast, deine Wut körperlich entladen zu müssen, lege Musik auf und tanze dazu.

Verändere deine Gedanken, damit du deine Gefühle verändern kannst. Wenn du denkst, dein Kind sei ein verzogener Bengel, aus dem einmal ein Grobian wird, dann kannst du dich nicht beruhigen. Tatsächlich ist dein Kind ein sehr junger Mensch im Schmerz und das zeigt es dir durch sein Verhalten. Erinnere dich daran: »Es verhält sich wie ein Kind, weil es eben ein Kind ist. Mein Kind braucht meine Liebe am nötigsten, wenn es sie am wenigsten ›verdient‹. Es bittet mich, ihm bei seinen rechtmäßigen Bedürfnissen und Gefühlen zu helfen.«

Höre deinem Ärger zu, anstatt darauf zu reagieren. Wie auch andere Gefühle gehört Ärger zu uns wie Arme und Beine. Jedoch sind wir dafür verantwortlich, wie wir damit umgehen. Zorn hält oft eine wertvolle Lektion für uns bereit, aber aus dem Ärger heraus zu handeln, ist abgesehen von den seltenen Situationen, in denen Selbstverteidigung vonnöten ist, selten konstruktiv, da wir dann in einer Weise handeln, wie wir es im vernunftgeleiteten Zustand niemals tun würden. Der konstruktive Weg im Umgang mit der Wut bedeutet, sich bei ihrem Ausleben zurückzuhalten, und, sobald wir uns beruhigt haben, damit diagnostisch umzugehen: Was läuft in unserem Leben so verkehrt, dass wir diese Wut fühlen, und was müssen wir tun, um die Situation zu verändern? Manchmal hängt die Antwort ganz klar mit unserem Elternverhalten zusammen: Wir müssen schon, bevor die Dinge aus dem Ruder laufen, anders vorgehen, die Kinder eine halbe Stunde früher ins Bett bringen, oder die Beziehung zu unserer Neunjährigen reparieren, damit sie uns nicht weiterhin so unhöflich behandelt. Ab und zu finden wir überrascht heraus, dass unsere Wut eigentlich mit unserem Ehepartner zusammenhängt, der sich in seiner Elternrolle nicht voll einbringt oder sogar mit unserer Chefin. Gelegentlich ist Wut eine Ermahnung, dass wir mehr Schlaf brauchen oder regelmäßig bei einem Freund oder einer Freundin Dampf ablassen sollten. Und manchmal lautet die Antwort, dass wir Wut mit uns herumtragen, die wir selbst nicht verstehen und an unseren Kindern auslassen. Dann müssen wir uns bei einem Therapeuten, einer Therapeutin oder in einer Eltern-Selbsthilfegruppe Hilfe suchen.

Denke daran, dass es deine Wut verstärken und zum Eskalieren bringen kann, wenn du sie an einem anderen Menschen »abreagierst«. Entgegen der gängigen Vorstellung, dass wir unseren Ärger »abreagieren« müssen, damit er uns nicht auffrisst, zeigt die Forschung, dass uns das akute Abreagieren von Wut sogar noch wütender macht. Das wiederum verletzt die Andere, sie wird ängstlich oder ärgerlich und die Beziehung bekommt einen Riss. Kauen wir die Situation wiederholt im Geiste durch, beweist uns das immer nur, dass wir recht haben und der Andere unrecht, was uns, während wir so vor uns hin schmoren, umso wütender macht. Dagegen funktioniert es wirklich, wenn wir uns zunächst beruhigen und anschließend versuchen, die Ursache der Wut auf konstruktive Weise anzugehen.

Warte ab, bevor du dein Kind disziplinierst. Da gibt es nichts, was Sofortmaßnahmen erfordert. Diese werden für die langfristige Entwicklung deines Kindes nie das Beste sein oder noch nicht einmal die beste Lösung zur zukünftigen Vermeidung des Problems. Rede so wenig wie möglich, bis du dich wieder beruhigt hast. Sag nur so etwas wie: »Ich muss mich erst beruhigen, bevor ich darüber reden kann.« Wenn du dir eine zehnminütige Auszeit nimmst und dich hinterher noch immer nicht fähig fühlst, ruhig und konstruktiv auf die Situation einzugehen, kannst du sagen: »Ich will darüber nachdenken, was passiert ist, und wir reden später darüber.«

Vermeide unter allen Umständen körperliche Gewalt. Wenn du dein Kind schlägst, fühlst du dich vielleicht vorübergehend besser, weil du deine Wut entladen hast. Aber deinem Kind fügst du so dauerhaften Schaden zu und sabotierst schließlich das Positive, das du als Elternteil tust. Prügel und sogar ein Klaps führen sehr schnell zur Eskalation in schädliche und manchmal sogar tödliche Gewalt. Tu, was nötig ist, um dich zu beherrschen und wenn es bedeutet, dass du das Zimmer verlassen musst. Kannst du dich wirklich nicht beherrschen und greifst zu körperlicher Gewalt, dann entschuldige dich bei deinem Kind, sag ihm, dass Schlagen niemals in Ordnung ist und suche dir Hilfe.

Vermeide Drohungen. Was du im wütenden Zustand androhst, wird nie vernünftig sein. Da Drohungen nur dann wirksam sind, wenn du auch dazu bereit bist, diese in die Tat umzusetzen, untergräbst du deine Autorität und wahrscheinlich wird dein Kind die Regeln auch das nächste Mal nicht befolgen.

Achte auf Wortwahl und Tonfall. Die Forschung zeigt, dass wir uns umso ruhiger fühlen, je ruhiger wir sprechen, und uns dann auch die anderen umso ruhiger antworten. Umgekehrt werden wir und unsere Zuhörer durch Schimpfwörter oder andere emotional stark aufgeladenen Ausdrücke noch aufgeregter und die Situation eskaliert. Über Wortwahl und Tonfall haben wir die Macht, uns selbst und den Menschen mit dem wir reden, aufzuregen oder zu besänftigen (Erinnere dich, du bist das Vorbild.).

Bedenke, dass du ein Teil des Problems bist. Wenn du für emotionale Arbeit offen bist, wird dir dein Kind immer zeigen, wo du an dir arbeiten musst. Bist du es nicht, dann wirst du mit deinem Kind immer wieder im selben Gefühlsstrudel stecken bleiben. Dein Kind handelt vielleicht in einer Art und Weise, die dich noch mehr reizt, aber du bist kein hilfloses Opfer. Übernimm die Verantwortung dafür, zuerst mit deinen eigenen Emotionen fertig zu werden. Zwar verwandelt sich dein Kind vielleicht nicht über Nacht in einen Engel, aber es wird merklich viel seltener ausflippen, sobald du selbst gelernt hast, Ruhe zu bewahren.

Immer noch wütend? Forsche nach den darunterliegenden Gefühlen. Bleib nicht an deinem Ärger hängen. Sobald du ihm zugehört und angemessene Veränderungen vorgenommen hast, lass ihn los. Wenn das nicht klappt, erinnere dich daran, dass Ärger immer eine Form der Verteidigung ist. Er schützt uns vor dem Gefühl der Verletzlichkeit. Spüre die Verletzung oder Angst unter der Wut auf, um sie aufzulösen. Wenn dir die »Trotzanfälle« deiner Tochter Angst einjagen oder du darüber wütend bist, dass dein Sohn seine kleine Schwester schlägt, weil du selbst einmal als kleine Schwester geschlagen wurdest, dann denke über diese Gefühle nach und heile sie. Sobald du dazu bereit bist, die darunterliegenden Gefühle zu fühlen, brauchst du den Ärger nicht mehr als Verteidigung, und er wird sich auflösen.

Wähle deine Kämpfe sorgfältig aus. Jede negative Interaktion mit deinem Kind verbraucht wertvolles Beziehungskapital. Konzentriere dich darauf, was wirklich wichtig ist, zum Beispiel, wie dein Kind andere Menschen behandelt. In einem größeren Zusammenhang betrachtet, nervt dich zwar die Jacke deines Kindes am Boden, aber sie ist es nicht wert, dein Beziehungskonto in die roten Zahlen zu bringen.