Gelassene Eltern – glückliche Geschwister

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Disziplin überdenken

Und wie ist es mit Disziplin? Wie kann sie in Beziehung zu unserer Diskussion über Bestrafung gebracht werden? Das Wort »Disziplin« bedeutet im eigentlichen Sinne »anleiten« und leitet sich vom lateinischen Wort discere – »lernen« ab. Bestrafung hat mehr mit Gewalt zu tun als mit Anleitung. Die Definition des Wortes Bestrafung lautet: einer anderen Person emotionalen oder physischen Schaden zufügen, um diese dazu zu bringen, das zu tun, was man ihr sagt. Aber in unserer Kultur ist meistens das, was wir für Disziplin halten, tatsächlich darauf ausgerichtet, dem Kind emotional (und manchmal physisch) wehzutun, damit es das tut, was wir wollen. Insofern ist Disziplin, wie wir sie verstehen und über sie denken, eine Form der Bestrafung.

Da das Wort »Disziplin« so oft und hartnäckig missverstanden wird, schlage ich vor, dass wir das Wort nicht verwenden. Stattdessen wollen wir bewusst die »Disziplin hinter uns« lassen und uns als Eltern verstehen, die mit liebevoller Führung ihre Kinder coachen. Was würde das ändern? Nun, es würde zunächst unser Verständnis über unsere Kinder verändern. Anstatt zu glauben, unsere Kinder bräuchten »Disziplin«, damit sie sich nach unseren Vorstellungen benehmen, würden wir sie mit komplett anderen Augen sehen.

1 Kinder werden geboren und müssen sich mit einem Erwachsenen verbunden fühlen, der sie leiten wird. Kinder werden unserer Führung folgen und diese Eltern-Kind-Verbindung beschützen, solange diese nicht ihre Integrität gefährdet. Wenn Sie mit Ihrem Kind verbunden bleiben, dann wird es kooperieren wollen. Wenn es dies nicht will, dann weil es nicht kann und es Ihre Hilfe bei den Emotionen braucht, die sein unangemessenes Verhalten steuern.

2 Fragen Sie sich, ob so manches Fehlverhalten daher rührt, dass das Kind einfach das tut, was es will? Aber selbstverständlich! Doch in diesem Fall ist es ein Anzeichen dafür, dass die Verbindung zu Ihnen für das Kind weniger wichtig ist als das zu tun, was es möchte. Somit muss die Beziehung gestärkt werden oder aber das Kind braucht Hilfe mit den Gefühlen, die es davon abhalten, mit Ihnen verbunden zu sein. Wenn ein Kind darauf vertraut, dass wir wirklich auf seiner Seite sind, wird es bereit sein, das aufzugeben, was es gerade will, um etwas zu tun, was es mehr will – nämlich mit uns hundertprozentig verbunden zu bleiben. Wenn Sie darüber nachdenken ist das die Definition von Selbstdisziplin – etwas aufzugeben, was man will (das Stück Kuchen), für etwas, das man mehr will (Gesundheit und Fitness). Sprich, jedes Mal wenn Ihr Kind sich entscheidet, die Schwester nicht zu schlagen, weil es Ihren warmherzigen Respekt mehr will, baut es die Nervenbahnen auf, um selbstdisziplinierter zu werden. Und diese Selbstdisziplin wird den Rest seines Lebens Bestand haben.

3 Kinder lernen, was sie erleben, durch wiederholte Erfahrung. Jede Interaktion mit Ihrem Kind ist Vorbild dafür, wie man sich selbst auskommt und sich anderen gegenüber verhält.

4 Jedes Fehlverhalten ist ein Schrei nach Hilfe oder Verbindung. Gehen Sie auf das Bedürfnis ein, und das Verhalten ändert sich. Wenn ein Kind sich nicht unseren Vorstellungen entsprechend verhält, dann benötigt es Unterstützung, um dies zu tun. Dies kann bedeuten, dass es Anleitung braucht, Verbindung zu uns oder Hilfe bei der Bewältigung der Emotionen, die ihm im Weg stehen. Vieles von dem, was wir als »Fehlverhalten« bezeichnen, ist normale Kindlichkeit und kann einfach mithilfe von liebevoller Führung »korrigiert« werden.

5 Sobald Kinder in der Lage sind, ihre Emotionen zu regulieren, können sie ihr Verhalten regulieren. Wenn sich Ihr Kind mit Ihnen verbunden fühlt, will es Ihrem Beispiel folgen. Aber manchmal kann es dies nicht, da seine großen Gefühle seinen sich immer noch entwickelnden präfrontalen Cortex überwältigen. Wie wir bereits erörtert haben, können Sie ihm mit dem wirksamen Mittel der Empathie helfen zu lernen, seine Emotionen zu regulieren. In manchen Fällen wird das nicht genügen, und heftige Emotionen werden Ihr Kind dazu bringen, um sich zu schlagen. In diesen Momenten braucht Ihr Kind Ihre Hilfe, um sich durch diese Gefühle durchzuarbeiten, damit es diese nicht anders ausleben muss. Mit zunehmendem Alter sind sie immer besser in der Lage, ihre Emotionen in Worten auszudrücken und sie so hinter sich zu lassen. Doch jüngere Kinder brauchen für gewöhnlich eine Möglichkeit, zu weinen. Dies wird später in diesem Kapitel näher beschrieben.

6 Der Schlüssel, um effektive Grenzen setzen zu können, liegt in der Fähigkeit, empathisch zu sein. Hierbei handelt es sich nicht um permissive Elternschaft. Sie sind die Person, die führt, und Sie sind verantwortlich dafür, das Verhalten Ihres Kindes zu lenken. Folglich bedeutet Coachen nicht, dass Sie Ihrem Kind einfach alles geben, was es will. Es darf nicht an die Wände malen, die ganze Nacht wach bleiben oder das Baby hauen. Aber gerade wenn wir darauf ­bestehen, dass es sich in Übereinstimmung mit unseren Regeln verhält, können wir ihm zeigen – indem wir zuhören, empathisch sind und gewillt sind, Win-win-Lösungen zu finden –, dass es uns interessiert, was ihm wichtig ist. Empathische Grenzen entschärfen Widerstand, denn das Kind fühlt sich zumindest verstanden, auch wenn es nicht das bekommt, was es will.

Wenn wir also unser Kind gelassen führen, beinhaltet dies, dass wir daran arbeiten, entspannt zu bleiben und mit Ruhe statt mit Gewalt anzuleiten. Wir leben vor, wie man Bedürfnisse ausdrückt und dem Verhalten einer anderen Person respektvoll Grenzen setzt. Gelassene Eltern wissen, dass sie das Verhalten ihrer Kinder nicht kontrollieren können. Dies kann nur das Kind selbst. Somit gestalten wir mit unserem Kind eine Beziehung basierend auf Vertrauen, damit es für unsere Führung offen ist. Seine gesunden Entscheidungen ergeben vorteilhafte Resultate in seinem Leben: Es beginnt die Vorteile zu erkennen und fängt an, diese erstrebenswerten Verhaltensweisen »in Besitz zu nehmen«. Aus diesem Grund entscheiden sich gecoachte Kinder eher dafür, das zu tun, was »richtig« ist: wenn sie älter werden, auch dann, wenn Sie nicht dabei sind.

Empathische Grenzen setzen

Die ideale Linie zwischen strengem und nachgiebigem Handeln verläuft da, wo wir das Kind so unterstützen, dass es unsere Erwartungen erfüllt. Wie können wir unterstützen, wenn wir gleichzeitig Grenzen setzen müssen? Setzen Sie die Grenze mithilfe von Empathie, sprich, Sie verbinden sich mit dem Kind und erkennen seine Sicht der Dinge an. Hier ein paar Beispiele dazu.

Atmen Sie zunächst immer einmal tief ein, um sich zu zentrieren. Führen Sie dann das Kind zu dem gewünschten Verhalten, während Sie sich mit ihm wieder verbinden.

Die Grenze setzen und gleichzeitig die Gefühle des Kindes anerkennen

 Statt zu sagen: »Schrei das Baby nicht an! Dadurch weint es nur noch mehr!«

 Versuchen Sie: »Ich verstehe, dass das Weinen des Babys so laut ist, dass dir die Ohren wehtun. Meine Ohren tun auch weh. Aber es anzuschreien ist nicht in Ordnung … Es macht ihm Angst und es weint dadurch nur noch mehr.«

Die Grenze empathisch setzen und dem Kind seinen Wunsch in der Fantasie erfüllen

 Statt zu sagen: »Sei nicht egoistisch. Ich spiele mit dir seit einer Stunde Kaffeekränzchen und das Baby hat Hunger!«

 Versuchen Sie: »Du wünschtest, wir könnten weiter Kaffeekränzchen spielen. Ich muss das Baby holen, wenn es weint, damit es sich nicht allein fühlt und verängstigt ist, genauso, wenn ich zu dir komme, wenn du weinst … Ich wette, du wünscht dir manchmal, dass es wieder nur uns beide gäbe, wie vorher, richtig? Es hört sich so an, als würdest du gerne mit mir hier den ganzen Morgen sitzen und Kaffeekränzchen spielen und müsstest mich mit niemandem teilen…«

Die Grenze empathisch setzen und dem Kind die Wahl lassen

 Statt zu sagen: »Das ist gefährlich! Gib mir den Stock!«

 Versuchen Sie: »Andreas, hörst du Lukas? Er sagt, dass er den Stock nicht so nah an seinem Gesicht haben möchte … Du kannst entweder den Stock runternehmen oder mit mir hier rübergehen, um ihn durch die Luft zu wirbeln, denn so ist er weit genug von deinem Bruder entfernt.«

Die Grenze empathisch setzen und das Kind spielerisch dazu auffordern, zu kooperieren

 Statt zu sagen: »Wenn ihr nicht aufhört, euch wegen der Couch zu streiten, müsst ihr beide von ihr runter!«

 Versuchen Sie: »Wir werden den Streit über die Couch lösen! Ich habe die Couch nie für mich alleine!«, während Sie sich auf die Kinder plumpsen lassen.

Die Grenze empathisch setzen und Ihre Grenzen durch Handeln wahren

 Statt zu sagen: »Ich habe dir drei Mal gesagt, du sollst aufhören, deine Schwester nass zu spritzen! Los, aus der Wanne raus! Hör auf zu heulen, es ist deine eigene Schuld.«

 Versuchen Sie: »Paul, sieh dir das Gesicht deiner Schwester an … Das ist zu viel Nassspritzen für sie. Und für mich auch, ich werde auch ganz nass. Kannst du bitte damit aufhören? Nein? Okay, dann ist das Baden für heute Abend beendet … Komm raus. Du weinst, du wolltest noch nicht aus der Wanne … Du liebst es, mit dem Wasser zu spritzen, nicht wahr? Wenn das Baby in der Wanne ist, ist es nicht in Ordnung, so mit dem Wasser zu spritzen. Wie wäre es, wenn wir morgen das Planschbecken im Garten aufstellen und du so viel wie du willst im Wasser planschen kannst?«

 

Die Grenze empathisch setzen und das Kind dazu auffordern, mit Ihnen eine Win-win-Lösung zu finden

 Statt zu sagen: »Nein, du kannst die Musik nicht anmachen, während das Baby schläft. Such dir eine andere Beschäftigung.«

 Versuchen Sie: »Du möchtest gerne laut Musik anmachen, damit wir Spaß haben und tanzen können … Ich möchte, dass es still ist, damit das Baby weiterschlafen kann und wir beide zusammen spielen können … hmm … Wie können wir alle nun zufrieden sein? Wie wäre es, wenn wir jetzt zusammen mit den Legos spielen, und wenn das Baby aufwacht, setze ich es in mein Tragetuch und wir können alle zusammen zu deiner Musik tanzen?«

Auszeiten überdenken

Ich habe Auszeiten mit meiner vierjährigen Tochter probiert. Genau wie Sie mich vorgewarnt haben, ging sie gleich über in »Ich bin so schlecht, ich kann nicht aufhören, meinen Bruder zu hauen, und du liebst mich nicht mehr.« Dies hat sie direkt beim ersten Mal gesagt, als ich sie, nachdem sie ihren zweijährigen Bruder gehauen hatte, in ihr Zimmer schickte.

Valerie

Wir haben untersucht, warum das Setzen von Grenzen ohne Bestrafung die Beziehung Ihrer Kinder untereinander verändern wird. Doch wie sieht es mit Auszeiten (Time-Outs) aus? Viele Eltern, die mehr als ein Kind haben, benutzen Auszeiten, wenn ihre Kinder sich streiten, um so ihre Kinder zu trennen, um ihnen so hoffentlich beizubringen, netter zueinander zu sein.

Doch Auszeiten sind eine Form der Bestrafung. In Wirklichkeit bringen sie den Kinder nicht bei, netter zueinander zu sein. Tatsächlich sieht es so aus, dass sie das Verhalten der Kinder eher verschlimmern, so, wie andere Arten der Bestrafung auch. Woran liegt das?

 Auszeiten verursachen Scham. Kinder glauben, dass wenn sie »gut« wären, könnten sie die schlechten Gefühle, die ihr schlechtes Verhalten verursachen, unterbinden. Leider verhalten wir uns schlecht, wenn wir uns schlecht fühlen. Somit erzeugt Scham einen negativen Kreislauf, der das Gefühl des Kindes, ein schlechter Mensch zu sein, verstärkt.

 Auszeiten helfen den Kindern nicht, zu lernen, ihre Emotionen zu regulieren. Wenn Sie das Kind alleine auf sein Zimmer schicken, wird es sich irgendwann beruhigen. Doch da es diese Gefühle in Wirklichkeit nicht äußern konnte, tauchen diese ab ins Unterbewusstsein und können nicht mehr bewusst reguliert werden. Aus diesem Grund werden Kinder durch Auszeiten eher wütender und emotional weniger reguliert. So kann es vorkommen, dass das Kind dann an der Schwester vorbeigeht und sie grundlos schubst.19

 Auszeiten lösen tatsächlich nicht das Problem zwischen den Kindern, das dazu geführt hat, dass einer oder beide aufeinander losgehen. Eltern sind oft der Meinung, dass sie sich um das Problem gekümmert haben, wenn sie das Kind zu einer Auszeit oder Standpauke verdonnern. Doch es lernt nicht, wie es mit dem nächsten Konflikt besser umgehen kann.

 Wie alle Bestrafungen schwächen Auszeiten die Verbindung mit unserem Kind. Unglücklicherweise ist diese Verbindung der einzige Grund, warum Kinder sich vor allem benehmen. Somit sorgen Eltern dafür, die Auszeiten wiederholt benutzen, dass ihr Kind in einen Kreislauf steigenden Fehlverhaltens gerät.

 Auszeiten heizen Machtkämpfe zwischen Eltern und Kindern an. Je machtloser sich Kinder fühlen, desto mehr lassen sie es an schwächeren aus – meistens dann am Bruder oder der Schwester.

 Auszeiten »funktionieren«, weil sie auf Angst basieren und ein symbolisches Verlassen darstellen. Alfie Kohn weist darauf hin, dass sie eine Form des »Liebesentzuges« sind.20 Da Geschwisterrivalität aus der Angst Ihres Kindes herrührt, Ihre Liebe an das Geschwisterchen zu verlieren, wird jegliche Form der Maßregelung, die Liebesentzug beinhaltet, die Geschwisterrivalität zwangsläufig verschlimmern.

Vielleicht haben Sie gelesen, dass es eine »richtige« Anwendung von Auszeiten gibt, die laut Studien »erfolgreich« ist. Aber wobei erfolgreich? Ich habe viele Studien gelesen, die belegen, dass Auszeiten Fehlverhalten für den Moment unterbinden. Aber das Gleiche gilt auch für das Hinternversohlen, und wir wissen, dass dies ein Risikofaktor für die emotionale Gesundheit des Kindes darstellt.21 Mir ist bisher keine Studie bekannt, die über einen langen Zeitraum die emotionale Gesundheit von Kindern untersucht hat, die in ihrer Zeit des Heranwachsens mit Auszeiten diszipliniert wurden, und diese Kinder dann mit solchen verglichen hat, die zu keiner Zeit Auszeiten oder andere Formen der Bestrafung erleben mussten. Und ja, es gibt mittlerweile Hunderttausende Kinder, die unter liebevoller Führung statt mit Bestrafung aufwachsen konnten dank Haim Ginott (dem Vater der Positiven-Disziplin-Bewegung), Jane Nelson (Gründerin der Positiven-Disziplin-Bewegung) sowie vielen anderen Menschen, die sich für Kinder einsetzen.

Wir haben allerdings eine Menge Belege dafür, dass Auszeiten dahingehend nicht funktionieren, dass sie ein wiederholtes Fehlverhalten verhindern, was die Frage aufwirft, ob es nicht sogar die Auszeit ist, die dieses wiederholte Fehlverhalten verursacht. Eine vom National Institute of Mental Health durchgeführte Studie kam zu dem Ergebnis, dass Auszeiten in der Weise wirksam sind, dass sie Kleinkinder zum Kooperieren bringen, dieser Effekt aber nur vorübergehend ist.22 Die Kinder zeigten öfter Fehlverhalten als solche Kinder, die nicht mit Auszeiten diszipliniert wurden, auch wenn ihre Mütter sich die Zeit nahmen, nach der Auszeit mit ihnen spazieren zu gehen. Die Autoren der Studie, Michael Chapman und Carolyn Zahn-Wexler, schlussfolgerten, dass die Kinder auf den empfundenen »Liebesentzug« in der Art reagierten, dass sie sich noch öfter nicht korrekt verhielten. Das steht im Einklang mit den Studien über Liebesentzug als Bestrafungsmethode, aus denen hervorgeht, dass Kinder, die dem ausgesetzt sind, dazu neigen, mehr Fehlverhalten, schlechtere emotionale Gesundheit und eine weniger entwickelte Moral zu zeigen.23 Diese Ergebnisse überraschen nicht angesichts der Tatsache, wie sehr sich Kinder mit uns verbunden fühlen müssen, um sich sicher zu fühlen, und wie wahrscheinlich es ist, dass sie sich aufführen, wenn sie sich nicht sicher fühlen.

Ich kann verstehen, wenn Sie jetzt ein wenig beunruhigt sind. Wenn Sie keine Auszeiten anwenden können, wie bringen Sie Ihre Kinder dazu, nicht völlig aus dem Ruder zu laufen? Die Antwort lautet, dass Auszeiten Ihrem Kind nicht helfen, sich besser zu verhalten. Stattdessen schwächen sie seine Verbindung zu Ihnen und bewirken weiteres Ausflippen. Ich habe Tausende von Familien erlebt, die zum Gelassene-Elternschaft-Ansatz übergehen, bei dem sie sich darauf konzentrieren, ihre Gefühle zu regulieren, sich mit ihren Kindern zu verbinden und empathisch Grenzen setzen – und die Kinder flippen weniger aus. Gelassene Elternschaft bringt Kinder hervor, die die Familienregeln befolgen wollen, sodass es für Sie immer seltener notwendig ist, zu bestrafen wie auch Auszeiten anzuwenden, und diese allmählich der Vergangenheit angehören werden.

Belohnungen überdenken

Mit Sicherheit ist es eine gute Sache, einen positiven Weg einzuschlagen. Warum also nicht Belohnungen statt Bestrafung einsetzen? Machen Belohnungen schließlich nicht das gewünschte Verhalten wahrscheinlicher?

Nun, ja – die Belohnung bringt das Kind dazu, mehr Belohnungen zu wollen. Sobald Sie von außen wirkende Belohnungen wie Sticker einsetzen, hört das Kind auf, die inneren Belohnungen wertzuschätzen wie zum Beispiel den glücklichen Gesichtsausdruck des Bruders, wenn es mit ihm teilt.24 Somit funktioniert die Belohnung nur solange, wie das Kind Sticker haben möchte. Unterdessen lernt es nicht, das warme Gefühl innen drin wertzuschätzen, das sich einstellt, wenn man sich umsichtig verhält. Tatsächlich haben Studien gezeigt, dass Belohnungen bei einem Kind eher dazu führen, weniger zu teilen, es sei denn, Sie schauen zu.25

Das andere Problem, das entsteht, wenn man das Verhalten von Kindern mittels Belohnungen steuern will, ist, dass wenn sich Menschen von außen kontrolliert fühlen, ganz gleich ob durch Belohnung oder Bestrafung, sie von Natur aus rebellieren. Geht es Ihnen nicht auch so? Eine Mutter erzählte mir, dass ihre willensstarke Tochter sich endlich gut genug »benahm«, um sich im Laden eine Barbie aussuchen zu dürfen. Als sie aus dem Laden kam, riss sie der Barbie den Kopf ab und warf sie auf den Boden. Wenn sich Menschen manipuliert fühlen, entwickeln sie Widerstand.

Bitte beachten Sie, dass ich nicht damit meine, dass Sie Ihr Kind nicht ermutigen sollen. Kinder blühen, wie wir alle, bei Anerkennung und ermutigenden Worten auf. Aber Belohnungen geben ihnen nicht die Chance, zu entdecken, dass das Verhalten, das wir befürworten, Sinn für sie ergiebt, nicht nur wegen der Belohnung, sondern aufgrund von tieferen, erfreulicheren Gründen – diese beginnen bei dem begeisterten Gesicht der Mutter, entwickeln sich dann aber dahingehend, dass das Kind mehr Spaß mit der Schwester hat und sich gut fühlt, so wie es ist.

Der Unterschied zwischen Konsequenzen und Grenzen

Viele Eltern verwirrt der Unterschied zwischen Grenzen und Konsequenzen.

»Natürliche« Konsequenzen sind das Ergebnis des Verhaltens des Kindes und Sie haben mit ihrer Entstehung nichts zu tun. Wenn das Kind zum Beispiel seine Brüder immer im Gesicht nass spritzt, wenn sie sich im Garten Wasserschlachten liefern, wollen die Brüder vielleicht keine Wasserschlachten mehr mit dem Kind veranstalten. Oftmals lernen die Kinder viel effektiver aus diesen natürlichen Konsequenzen, als Sie es je leisten könnten – wenn Sie es schaffen, nicht einzuschreiten, um Ihr Kind vor der Konsequenz »retten« zu wollen.

»Grenzen« sind eine Form von Rahmen, die Sie festlegen, in Bezug auf welches Verhalten in Ihrer Familie erlaubt ist. Wenn Ihr Kind diesen Rahmen nicht einhält, lenken Sie es liebevoll in die richtige Richtung. Wenn es die Grenze nicht einhalten kann, nehmen Sie es aus der Situation heraus. Das ist keine Bestrafung, Sie halten lediglich an Ihrer Grenze fest. Wenn also eine Ihrer Regeln lautet, dass Wasserschlachten in Ordnung sind, aber nicht »Wasser ins Gesicht spritzen«, und Ihr Kind zum wiederholten Mal die Regel bricht, obwohl Ihre anderen Kinder dies auch nicht wünschen, dann ist es Ihre Aufgabe, diese Grenze zu wahren.

»Daniel, die Regel lautet, dass wir kein Wasser ins Gesicht spritzen. Deine Brüder sagen NEIN! Kannst du damit aufhören, Wasser in ihr Gesicht zu spritzen oder brauchst du meine Hilfe?«

Wenn Daniel sagt: »Okay, ich höre auf«, wird er dies vermutlich auch tun. Warum? Weil er sich dazu bewusst entscheidet. Doch was ist, wenn er das nicht tut? Dann braucht er Ihre Hilfe.

»Daniel, deine Brüder sagen ‚›Hör auf, uns Wasser ins Gesicht zu spritzen!‹ und du machst trotzdem weiter. Komm rüber zu mir und lass uns zusammen etwas atmen und uns etwas beruhigen, damit du dich bremsen kannst, wenn dich etwas mitreißt.«

Grenzen setzen bedeutet, dass Sie konsequent bleiben müssen, und manchmal werden Sie Ihre physische Überlegenheit zum Einsatz bringen und Ihr Kind aus einer Situation wegbewegen. Beachten Sie jedoch, dass dies weder einer Strafe gleichkommt noch sind Sie gemein. Ja, Sie wahren die Grenze, aber anstatt dies zu »erzwingen«, coachen Sie eher Ihr Kind und unterstützen es, damit es Ihren Erwartungen gerecht werden kann.

Bevor Daniel wieder am Spiel teilnehmen darf, müssen Sie ihn fragen, ob er meint, sich regulieren zu können, helfen ihm dabei, einen Plan zu machen und fordern von ihm eine Zusage. »Daniel, warum gibt es die Regel, dass wir kein Wasser ins Gesicht spritzen? Wie wirst du dich daran erinnern? Was ist, wenn du dich nicht bremsen kannst? Super, somit lautet der Plan … Hand drauf!«

Sie sollten auch die natürliche Konsequenz seines vorangegangenen Verhaltens deutlich machen und ihm helfen, es wieder gutzumachen. »Deine Brüder befürchten, dass du ihnen wieder Wasser ins Gesicht spritzt. Wie kannst du ihnen dabei helfen, sich sicher zu fühlen, wenn sie mit dir jetzt spielen? … Super, du sagst ihnen also, dass du ihnen kein Wasser ins Gesicht spritzen wirst und dass du dich regulieren kannst?«

 

Was, wenn Daniel dies in fünf Minuten »vergisst« und einfach nicht widerstehen kann, seinem Bruder ins Gesicht zu spritzen? Dann nehmen Sie ihn aus dem Spiel. »Es war für dich heute einfach zu schwer … Wir versuchen es morgen noch einmal … Du wächst jeden Tag und kannst dich immer besser selbst regulieren, damit du ein verantwortungsvoller Spielgefährte sein kannst.« Was, wenn er weint? Es gibt schlimmere Dinge als zu weinen, und diese Trauer ist Teil dessen, was ihm helfen wird, sich beim nächsten Mal zu regulieren.

Haben Sie bemerkt, dass ich »Konsequenzen«, die vom Vater für das Verfehlen des Kindes durchgesetzt werden, nicht erwähnt habe, wie z. B. Auszeiten oder Verlust von Privilegien? Diese Methoden sind aus den gleichen Gründen wie andere Formen der Bestrafung nicht sehr effektiv, wenn es darum geht, das Verhalten junger Kinder zu ändern: wenn ein Kind bestraft wird, das eh gerade Schwierigkeiten hat, wird es noch weniger Lust haben, zu kooperieren. Vor allem hilft die Bestrafung dem Kind nicht bei der Verarbeitung der Emotionen, die sein Ausflippen verursacht haben.

Wenn das Kind zum Beispiel seinen Brüdern immer Wasser ins Gesicht spritzt, wenn sie eine Wasserschlacht machen, dann geht irgendetwas vor sich, bei dem es Hilfe braucht, um es zu bewältigen. Vielleicht sieht es nicht den Schmerz und das Unbehagen in ihren Gesichtern und es braucht Ihre Unterstützung, um Empathie zu lernen. Oder aber es sieht das Unbehagen und den Schmerz und sie machen ihm Freude. Dieses Verhalten deutet darauf hin, dass es Hilfe im Umgang mit seiner Eifersucht braucht oder dass es sich mächtiger in seinem Leben fühlen muss. Oder aber das Kind fühlt sich schrecklich, gleich nachdem es so etwas getan hat, aber kann sich nicht davon abhalten, es zu tun. In diesem Fall benötigt es Ihre Hilfe, seine Impulse zu steuern. Sie können erkennen, dass das Verhalten des Kindes während der Wasserschlachten nur ein Symptom eines größeren Problems ist und es Ihr Coaching braucht, damit es heilen kann.

Sie fragen sich vielleicht, ob dies nicht unnötiges Verhätscheln ist. Unabhängig davon, warum das Kind dies tut, würde es nicht aufhören, wenn sein Verhalten eine unangenehme Konsequenz zur Folge hätte? Anders gesagt: »Daniel! Du tust deinen Brüdern weh! Auszeit! Du setzt dich da drüben hin, bis du dich benehmen kannst!« Aber was genau lernt es? Ganz gleich, was Sie ihm sagen, bevor er wieder mitspielen darf:

 Anstatt zu denken, dass er einfach nur jemand ist, der ein wenig Hilfe braucht, da er immer noch lernt, sich zu regulieren, wird er schlussfolgern, dass er jemand ist, der anderen wehtut. Er muss ein schlechter Mensch sein; schließlich konnte er sich nicht davon abhalten und muss jetzt eine Auszeit nehmen.

 Anstatt Ihre Hilfe beim »Atmen und sich beruhigen« zu bekommen, soll er sich alleine beruhigen, was meistens bedeutet, dass er seine Gefühle herunterschluckt und sie jenseits der bewussten Kontrolle landen. Dadurch werden sie eher später wieder an die Oberfläche kommen, sprich, in zehn Minuten wird er seinen Brüdern wieder Wasser ins Gesicht spritzen. Aus diesem Grund landen Kinder an manchen Tagen immer wieder und wieder in Auszeiten.

 Anstatt zu sehen, dass Sie an seiner Seite sind, auch wenn Sie eine Grenze setzen müssen, beschließt er, dass Sie immer Partei für seine Brüder ergreifen – Sie müssen sie lieber mögen. Warten Sie nur ab, bis er wieder diesen Schlauch in die Hände bekommt!

Aber sollte es nicht eine »Konsequenz« geben? Natürlich! Schauen Sie sich all’ die Konsequenzen an, die hier eingetreten sind. Was hat Ihr Kind bewusst und unbewusst gelernt?

  »Wenn Mama sagt, dass ich was machen soll, dann meint sie es auch so. Es hat keinen Sinn zu versuchen, sie zu ignorieren.«

  »Wenn ich anderen wehtue, dann darf ich nicht mehr mitspielen, bis ich wieder mit mir klarkomme.«

  »Ich mache Fehler, aber Mama versteht das immer. Sie hilft mir, herauszufinden, wie ich es besser machen kann.«

  »Wenn ich jemandem wehgetan habe, kann ich die Situation retten.«

  »Jeder in unserer Familie nimmt unsere Familienregeln ernst. Die wichtigste Regel ist, dass wir uns respekt- und liebevoll behandeln.«

Er ist sich dessen nicht bewusst, aber aufgrund seiner Entscheidung, sich selbst zu regulieren, bilden sich neue Nervenbahnen im Gehirn, die in der Zukunft für eine erhöhte Selbstdisziplin und emotionale Regulierung verantwortlich sind.

Die Wahrheit ist, dass wir keinen Menschen dazu bringen können, das zu tun, was wir wollen. Wir können ihnen nur dabei helfen, es zu wollen. Empathische Grenzen helfen Ihrem Kind dabei, Ihrer Führung folgen zu wollen. So werden diese guten Angewohnheiten ein Teil von ihm, egal ob Sie da sind oder nicht.