Geisel des Piraten

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Kapitel Vier

Die Bootsmannspfeife durchschnitt die Luft, rief die Mannschaft an Deck und die Männer gehorchten und versammelten sich. Am Steuerrad stehend, Snell an seiner Seite, beobachtete Hawk sie schweigend und wartete darauf, dass das Schieben und das Gedränge aufhörten. Er wartete, bis er ihre ungeteilte Aufmerksamkeit hatte.

Er trug immer noch alle seine Waffen, einschließlich des Dolches, den er von dem Gefangenen konfisziert hatte. Sein unterer Rücken protestierte gegen das zusätzliche Gewicht an seinem Gürtel, und er verfluchte sich dafür, dass er ihn nicht sicher weggeschlossen hatte, bevor er wieder nach oben gegangen war.

Darauf achtend, dass seine Stimme laut und deutlich zu hören war, rief er: »Inzwischen wisst ihr alle von dem unerwarteten Schatz, den wir erbeutet haben. Meine Brüder, dieser Glücksfall wird uns eine viel größere Ernte einbringen, als wir uns hätten träumen lassen, als wir dieses Handelsschiff erspäht haben. Unsere neue Mission ist es, Lösegeld für Walter Bainbridges Sohn zu fordern.«

»Wieviel?«, rief eine Stimme.

»Einhundert…«, Hawk machte eine kleine Pause zugunsten des dramatischen Effekts, »…tausend Pfund.«

Die Männer sahen sich an, murmelten und lächelten, Visionen von ihrem Anteil des Lösegeldes tanzten in ihren Köpfen. Einer jedoch, Deeks, fragte: »Hätten wir nicht abstimmen sollen?«

Hawk seufzte innerlich. Ja, das hätten sie tun sollen, und er hatte nicht mal innegehalten, um das in Betracht zu ziehen. Sein Augenmerk war auf die Aussicht des doppelten Gewinns der Rache an Bainbridge und der Möglichkeit eines friedlichen Rückzugs von der See gerichtet gewesen. Aber er wollte auch, dass das Geld den Männern zugutekam, sodass sie gut leben konnten, sofern sie es nicht verschleuderten, was einige bestimmt tun würden. Doch das lag nicht in seinen Händen. Er nickte.

»Ja. Vergebt mir, meine Brüder. Ich habe mich in meiner Aufregung über unseren zukünftigen Reichtum hinreißen lassen. Wie dem auch sei, selbstverständlich werden wir abstimmen. Ihr habt die Wahl: Weitersegeln ohne einen konkreten Plan in der Hoffnung darauf, dass wir über Beute stolpern. Vielleicht ein bisschen Tabak oder Zucker, die wir in Nassau gegen genug Münzen eintauschen können, um ein paar Tage mit Trinken und Hurerei verbringen zu können, bevor wir wieder die Segel setzen und alles von Neuem beginnt. Und wieder. Und wieder.« Er wartete und ließ diese Vorstellung einsickern.

»Oder wir erpressen vom lügenden, betrügenden Walter Bainbridge Lösegeld für seinen Sohn von einhunderttausend Pfund.« Oder wie viel auch immer Bainbridge aufbringen konnte, aber das mussten die Männer ja nicht wissen. Hawk hatte die Summe auch den Männern zuliebe so hoch angesetzt, und hoffentlich würde sie annähernd so hoch ausfallen, damit sie sich ein großzügiges Kopfgeld teilen konnten. Mehr als sie jemals erreichen würden, es sei denn, sie stolperten irgendwann auf wundersame Weise über ein Schiff mit einem Schatz im Laderaum.

»Nächsten Monat entspannen wir uns. Wir kämpfen nicht um Brotkrumen gegen andere, die auch unter der schwarzen Flagge segeln. Wir riskieren nicht den Tod im Kampf gegen besagte Schiffe. Wir halten uns aus den Handelskanälen heraus. Dann liefern wir einfach dieses eine besondere Stück Fracht ab und werden mit einem Schlag reicher sein, als wir es jemals für möglich hielten.« Auch das ließ er einen Moment wirken. Dann sagte er: »Mr. Snell, die Abstimmung, wenn Sie so freundlich wären?«

Snell räusperte sich und bemühte sich redlich, nicht zu grinsen. »Wir alle wissen, dass der Captain ein Mann von Wort ist. Während sich die meisten Freibeuterkapitäne bis zu vierzehn Anteile an einer Beute nehmen, hat Captain Hawk immer nur zwei beansprucht, genauso wie er es jetzt tut. Einen fairen Anteil für die Arbeit, die er leistet, um uns anzuführen. Und um uns zu beschützen. Mr. Walker, wie viel verdienten Sie mit Ihrer Schufterei auf dem Anwesen des reichen Mannes in Boston?«

Walker antwortete: »Zwölf lausige Pfund im Jahr.«

Snell ließ den Blick über die Männer schweifen. »Zwölf Pfund. Ein Jahr. Wir sind sechsundvierzig Mann auf diesem Schiff. Der Captain bekommt zwei Anteile, eineinhalb für mich. Ein Teil geht in den Fonds für die Verletzten und so weiter. Aber am Ende sind es zweitausend Pfund für jeden von euch. Ich weiß, wir alle träumen davon, mit dem nächsten Schiff am Horizont auf spanisches Gold zu stoßen. Das hier mögen zwar keine Millionen sein, aber es ist ein nicht zu unterschätzender Betrag. Sind alle einstimmig dafür?«

Mit wildem Jubel warfen die Männer die Hände in die Höhe.

Hawk grinste. »Das ist der wahre Geist der Damned Manta!« Er wartete ein paar Augenblicke, bevor er die Hände hob und die Männer um Ruhe bat. »Der Junge wird in meiner Kabine bleiben. Unberührt. Unverletzt. Einige von euch werden sich um ihn kümmern müssen, wenn es nötig ist, ihm Essen und Wasser bringen oder den Eimer leeren, wenn ich anderweitig beschäftigt bin. Sprecht nicht mit ihm und erlaubt ihm nicht, euch zu vereinnahmen. Einige von euch werden sich an seinen Vater erinnern oder kennen die Geschichte seines Verrats. Walter Bainbridge ist wie die Schlange im Gras, und sein Sohn ist sicher mindestens genauso raffiniert und hinterlistig.«

Die Männer nickten und murmelten zustimmend.

»Lasst euch nicht von seinem unschuldigen Gesichtsausdruck täuschen. Er ist ein verwöhnter, fauler Balg, dem alles in den Schoß gefallen ist, ohne auch nur eine Minute gearbeitet zu haben, ohne auch nur eine Minute echte Not gelitten zu haben.«

Noch mehr gemurmelte Zustimmung. Dann: »Was is', wenn der alte Mann nich' zahlt?«

Hawk entdeckte den Mann, der sprach. Rote Haare, dürr, mit einem permanent finsteren Blick und einem raubtierhaften Hunger in den langen Gliedern. Es war der Seemann, der sich ihnen gerade erst von der Proud William angeschlossen hatte. Dass er schon jetzt so kühn sprach, könnte Ärger bedeuten, aber Hawk würde ihm den Zweifel zugestehen. Er wusste, wie erbärmlich die Zustände auf diesen Handelsschiffen sein konnten, genau wie in der Marine: Man schuftete bis zu Umfallen für so gut wie nichts. »Ah, unser neuer Bruder. Dein Name?«, fragte Hawk.

»Tully.« Er schaute sich um, als ob jemand wagen würde, ihm zu widersprechen.

»Eine berechtigte Frage. Ich bin aber zuversichtlich, dass Bainbridge das Lösegeld zahlen wird.«

Ein weiterer Mann meldete sich zu Wort. »Ich habe gehört, dass Primrose Isle zugrunde geht. Angeblich gibt es dort kein Geld, nicht genug Essen, immer mehr Leute brechen ihre Zelte ab und ziehen auf die Karolinen oder nach Jamaika. Ich dachte, das sei der Grund, warum wir uns nie damit aufgehalten haben.«

»Absolut richtig. Aber Bainbridge ist ein käuflicher, gieriger Mann. Wir haben auch mitbekommen, dass er in einem großen Haus in der Kolonie lebt; dass er gedeiht, während seine Leute leiden. Er giert nach Macht. Und welches Signal würde es an den Rest der Neuen Welt senden, wenn er Piraten erlaubt, seinen einzigen Sohn zu ermorden? Wenn er eine solche Schwäche, eine solche Verwundbarkeit zeigen würde?«

Die Männer tuschelten und nickten sich zu.

Hawk fuhr fort. »Er kann es nicht erlauben. Sein Stolz wird es nicht zulassen. Wenn er die Mittel nicht besitzt, wird er sie so oder so beschaffen, ansonsten wird sein Ruf irreparablen Schaden erleiden. Egal, wie die Wahrheit aussieht: Er darf nicht schwach erscheinen. Dessen bin ich gewiss. Ich bin mir auch sicher, dass es zum Kampf kommen wird, wenn der Austausch erst stattgefunden hat.« Hawk grinste wölfisch. »Aber die Damned Manta geht keinem Kampf aus dem Weg, wenn der Preis so wertvoll ist. Wer stimmt mir zu?«

Die Männer jubelten und hoben die Fäuste. Einer schrie: »Die Rache wird verdammt süß schmecken!«

Hawk stimmte ihm aus vollem Herzen zu. »Jetzt segeln wir nach Nassau, um den Rest der Ladung einzutauschen.«

Noch mehr Jubel. Hawk verschwieg ihnen, dass der Aufenthalt in Nassau sehr viel kürzer ausfallen würde, als ihnen lieb wäre. Aber wenn sie länger dortblieben, würde das Risiko zu groß werden. Wenn sich die Nachricht über ihre Geisel verbreitete, würden sie andere Piraten abwehren müssen. Nein, es war besser, in Bewegung zu bleiben, sich von den Schifffahrtsrouten fernzuhalten und nahe genug an Primrose Isle heranzusegeln. Aber nicht zu nahe.

Die Männer machten sich wieder an die Arbeit. Die Aufregung beflügelte sie.

Hawk drehte sich um, um auf das Meer hinter sich und auf das rauschende Kielwasser zu schauen. Nach einer Weile gesellte sich Snell wieder zu ihm und fragte: »Seht Ihr etwas, das ich nicht sehe?«

Hawk lachte leise. »Ich fürchte, mein Augenlicht ist nicht mehr das, was es einmal war.«

»Alles an mir ist nicht mehr das, was es einmal war.« Snell fuhr sich mit der Hand über sein schütteres blondes Haar und tätschelte seinen dicken Bauch.

Sie standen nebeneinander in kameradschaftlichem Schweigen, und Hawk beobachtete den Horizont. Es stimmte, dass seine Sicht nicht mehr ganz so scharf war wie Jahrzehnte zuvor, als er seinen Spitznamen bekommen hatte, aber er hatte immer noch ein scharfes Auge. Als Junge war er schnell zum besten Ausguck auf dem Schiff geworden, auf dem er zuerst gedient hatte. »Du hast Augen wie ein Adler da oben!«, hatte man ihm gesagt. Er dachte an seine Kindheit auf Cornwalls Klippen zurück, als er die See beobachtet und sich nach ihrer Umarmung gesehnt hatte.

Pass auf, was du dir wünschst.

Manchmal vermisste Hawk den Frieden des Ausgucks, hoch oben über der Betriebsamkeit und dem Geschnatter. Es waren gute Männer, wenn sie doch nur manchmal die Klappe halten würden … Er schüttelte den Kopf. »Ich werde zu alt hierfür.«

Snell schnaubte. »Wenn Ihr zu alt seid, bin ich verdammt nochmal antik.«

 

»Nun ja, ganz so würde ich es nicht ausdrücken, aber …«

»Schon gut, schon gut.« Dann verblasste Snells Lächeln. »Walter Scheiß-Bainbridge. Dieses dämliche Stück Scheiße. Ich schätze, es war unvermeidbar, dass sich unsere Wege eines Tages wieder kreuzen würden.« Einen Moment lang schwieg er, aber Hawk wusste, dass Snell noch mehr zu sagen hatte, also wartete er ab. Schließlich fuhr Snell, den Blick auf den Horizont gerichtet, fort: »Ich habe mich gefragt, warum wir Bainbridge nach dem, was er getan hat, aus dem Weg gegangen sind. Wegen ihm hätten wir fast gebaumelt. Viele Männer hätten ihm schon längst einen Besuch abgestattet, um mit ihm abzurechnen. Aber Ihr nicht.«

»Am Anfang war es das Risiko nicht wert. Wir mussten unseren Lebensunterhalt sichern. Uns unter der schwarzen Flagge etablieren.«

»Aye. Den Ruf des Sea Hawks aufbauen.«

»Mhm. Als Bainbridge dann zum Gouverneur dieser neuen Kolonie ernannt wurde, habe ich überlegt, ihn zu besuchen. Fantasiert.« Er umklammerte die Reling und beschwor die Vision seiner Hände um Walter Bainbridges Hals herauf … die Haut des Hurensohns war schon blau angelaufen, seine Augen quollen hervor und die Zunge hing ihm aus dem Maul, während Hawk das Leben aus ihm herauswürgte. Oder vielleicht würde er ihn auch mit seinem Schwert durchbohren oder ihn fesseln und …

»Dennoch haben wir uns ferngehalten. Warum?«

Er atmete tief ein und verbannte die Fantasien von Bainbridges blutigem Ableben. »Ich hatte schon viel eher mit Ihrer Frage gerechnet.«

Snell warf ihm einen schnellen Blick zu und grinste. »Ihr glaubt, dass ich nicht gelernt habe, dass Ihr erst handelt, wenn Ihr wirklich bereit dazu sind, und nicht einen Moment eher?«

Hawk musste lächeln. »Gutes Argument. Das Letzte, was ich wollte, war, aus dem Mann einen Märtyrer zu machen. Und das wäre passiert, wenn wir direkt in die neue Kolonie gestürmt wären und ihn aufgeknüpft hätten. Es wäre ein weiteres Zeichen der bösen Piraten gewesen, und er unser unschuldiges Opfer. Sie hätten wahrscheinlich eine verdammte Statue für ihn aufgestellt. Nein. Das hätte ich nicht ertragen. Ich wusste, dass die Zeit für Rache kommen und dass ich sie erkennen würde. Ganz gewiss. Und hier sind wir nun.«

»Und mittlerweile haben wir gehört, dass Bainbridge durch seine Misswirtschaft auf Primrose Isle das Vertrauen der Krone verloren hat. Dass wir seinen Sohn jetzt mitgenommen haben, wird ein weiterer Schlag für ihn sein.«

»Ja. Es gibt Gerüchte, dass seine Zeit der Macht bald enden wird. Ich vermute, die Zukunft der Kolonie selbst steht infrage. England will sein gutes Geld nicht dem Falschen schicken.«

»Warum zum Teufel sollte die Krone das auch tun? Nicht, solange überall in der Neuen Welt dieser Wohlstand herrscht.«

Hawks Blut kochte bei der Aussicht darauf, endlich seine Rache zu bekommen. »Bainbridge wird verzweifelt versuchen, so viel wie möglich von seinem Ruf zu retten und nicht geschwächt zu erscheinen. Das Geld ist das Mindeste, was er uns schuldet, nachdem er unseren Lebensunterhalt mit einem Federstrich vernichtet hat. Und wenn ich ihn jetzt töte, werden nur wenige um ihn trauern und niemand wird ihn mehr heiligsprechen.«

»Der Hurensohn hat uns schon einmal unterschätzt. Wahrscheinlich tut er das nicht noch einmal. Bin nicht sicher, ob das gut ist oder schlecht.«

»Ich auch nicht. Wir müssen vorsichtig sein.«

»Wird der Sohn Ärger machen?«

Hawk schüttelte verächtlich den Kopf. »Er ist ein Nichts, ein kleiner Mann. Ein wehleidiger Feigling wie sein Vater.« Der Gerechtigkeit halber hätte er hinzufügen können, dass Bainbridge bereit zu sein schien, alles zu tun, um seine Schwester zu beschützen. Wollte man den Wert eines Mannes beurteilen, war das aber nur ein kleiner Pluspunkt zu seinen Gunsten. »Er wird keine Probleme machen.«

Snell pfiff leise vor sich hin. »Stellt Euch nur vor, wir würden das schaffen.«

Hawk breitete die Hände über die Reling aus und beobachtete das Sonnenlicht, das auf den Wellen glitzerte. Ungeahnte Hoffnung durchströmte ihn. »Vielleicht wird es der letzte Einsatz des Sea Hawk sein.«

»Pardon?« Halb lachend starrte Snell ihn mit gerunzelter Stirn an. »Was für ein Unsinn soll das sein?«

Hawk widerstand dem Drang, unter dem prüfenden Blick von einem Fuß auf den anderen zu treten, und hielt seinen Blick auf das Meer gerichtet. »Mit diesem Lösegeld wüsste ich Sie und die Männer in guten Verhältnissen. Sie könnten der Captain sein, wenn ich weg bin.«

Snell schnaubte. »Ich bin ein verdammt guter Quartiermeister, weil ich weiß, wie ich die Männer so bei Laune halten kann, dass sie bei der Stange bleiben. Kapitäne müssen Schlachten und dergleichen planen, geheimnisvoll und unnahbar sein. Nicht mein Fachgebiet. Außerdem werdet Ihr nirgendwo hingehen.«

Sein Magen drehte sich. »Werde ich nicht?«

»Ich habe das schon mal an Euch gesehen. Diese Unruhe. Das geht vorbei. Ihr werdet nicht gehen können, wenn es darauf ankommt. Ich meine, was zum Teufel würdet Ihr allein anfangen?«

Er zuckte mit den Schultern und spürte, wie seine Wangen heiß wurden. »Angeln. Ein bisschen Landwirtschaft. Kein Kämpfen mehr.«

Snell lachte herzlich. »Innerhalb eines Tages würdet Ihr Euch zu Tode langweilen! Ich weiß schon, das Gras ist grüner und so weiter, aber könnt Ihr Euch so ein Leben wirklich vorstellen?« Er klopfte Hawk auf die Schulter. Dann verblasste sein Lächeln. »Außerdem gibt das Meer die Seinen nicht so leicht auf. Ihr wisst, dass es für uns nur einen Ausweg gibt. Also sollten wir uns in der Zwischenzeit amüsieren.«

Ein mulmiges Gefühl durchfuhr Hawk und seine Glieder wurden schwer. Er hatte plötzlich das Gefühl, eine Kanonenkugel im Bauch zu haben. Heiser krächzte er: »Aye.«

Snell seufzte. »Jedenfalls, wenn diese Holzköpfe alles auf die Reihe gekriegt haben.« Er rief über Hawks Schulter hinweg: »Peters, bist du eigentlich stocktaub? Was habe ich dir heute Morgen gesagt?«

Hawk lächelte zustimmend, als Snell ihm noch einmal auf die Schulter klopfte und sich dann seiner Arbeit widmete. Während er auf das weite Meer hinausblickte, kam er nicht umhin, sich vorzustellen, was dahinter liegen mochte. Ein kleines Haus, ein Herd und warmer Tee am Morgen und ein ehrliches Tagwerk vor ihm. Eine ganze Nacht lang in einem ordentlichen Bett durchschlafen und Boden unter seinen Füßen, der nicht unablässig schwankte. Vielleicht sogar ein Mann, der dieses Bett anwärmte und mit ihm an seiner Seite lebte. Er lachte bitter auf. Völliger Blödsinn. Männern, die sich dem Schwert verschrieben hatten, war kein friedlicher Ruhestand vergönnt. Er verdiente ihn auch nicht, und außerdem hatte Snell mit Sicherheit recht: Am Ende würde es auch gar nicht zu ihm passen. Nach einem Leben auf See hatte er sich gesehnt, seit er denken konnte, also warum sollte er es aufgeben wollen? Besonders jetzt, da er ein Piratenkapitän war mit mehr Macht, als er sich jemals hatte vorstellen können. Und dennoch konnte Hawk den Gedanken daran nicht ganz verbannen und verstaute ihn in eine Ecke seines Geistes, da er sich anscheinend wider besseres Wissen dann und wann selbst quälen wollte.

Eine Zeit lang übernahm er das Steuerrad. Der Tag verging langsam, und er musste sich mehrfach davon abhalten, in seine Kabine zurückzukehren, um zu sehen, wie es seinem Gefangenen ging. Je länger er den Kleinen allein ließ, desto schneller würde der Junge völlig eingeschüchtert sein. Als die Sonne unterging, aß Hawk sein Abendbrot mit den Männern der zweiten Wache.

Der junge Mann, der vor Hawks Kajüte stationiert war, schrak auf, als er sich näherte. Hawk fragte: »Hat er versucht, Sie zu bestechen?«

»Nein, Sir. Er hat kaum vom Boden aufgeschaut.«

Hawk streckte seine Hand nach dem Schlüssel aus. »Sehr gut, Mr. Porter. Seien Sie auch zukünftig vorsichtig in seiner Nähe. Wegtreten.«

Seinem eigenen Rat folgend, drehte Hawk den Schlüssel schnell um und betrat seine Kabine, innerlich auf einen Angriff gefasst. Es kam keiner. Die Arme um die Knie gelegt, kauerte der Junge in seiner Ecke, dort, wo die Steuerbordseite des Schiffsrumpfes auf das Heck traf. Hawk konnte gerade noch seinen Kopf über dem Schreibtisch erahnen.

Hawk bewegte sich vollkommen unbeschwert. Dennoch blieb er wachsam, die Hand lässig auf seinem Dolchgriff ruhend. Der Junge hielt den Blick weiter auf seine Füße gerichtet, die jetzt nackt waren. Wenigstens besaß er genügend gesunden Menschenverstand, um auf Schuhe und Strümpfe zu verzichten. Nach einem Tag in der prallen Sonne sehnte sich Hawk danach, ebenfalls seine drückenden Stiefel auszuziehen. Aber noch nicht. Er betrachtete die Schüssel auf dem Boden, das Essen darin schien unberührt zu sein. So viel zum Thema gesunder Menschenverstand. »Iss.«

Keine Antwort.

Hawk knurrte: »Bist du taub geworden?« Der Junge murmelte etwas und Hawk verlangte: »Schau mich an.«

Der Kopf des Jungen fuhr hoch. »Ich habe gesagt, ich bin nicht hungrig.«

»Ist das so? Und wieso denkst du, dass mich das einen Scheißdreck interessiert? Du wirst essen, wenn ich es dir sage. Ich kann dir gern auch die Nase zuhalten und dir den Eintopf in die Kehle stopfen.« Der Junge redete vollkommenen Schwachsinn. Natürlich war er hungrig. Wenigstens hatte er seinen Becher mit Wasser fast leer getrunken. Aber diese hirnlose Rebellion musste trotzdem niedergeschlagen werden. Also baute Hawk sich mit leicht gespreizten Beinen vor seinem Gefangenen auf und drohte: »Muss ich dich jetzt doch nackt ans Bett ketten?«

Der Blick des Jungen glitt zu der Ausbuchtung in Hawks Hose, hinter der sich sein Schwanz verbarg. Sein Adamsapfel hüpfte und er schien die Luft anzuhalten. War das einfach nur Angst oder auch noch etwas anderes?

Plötzlich war es, als flöge ein Funke durch die Luft, als schlüge Stein auf Feuerstein. Hawks Hoden zogen sich zusammen. Hm … Könnte es sein, dass es Bainbridge vielleicht auch einfach gefallen würde, so geschändet zu werden?

Aber nein, seine Lippen verzogen sich angeekelt. »Ihr seid abstoßend. Ein schmutziges Tier.«

»Wenn du weiter gegen mich kämpfst, wirst du feststellen, wie schmutzig ich wirklich bin.«

Sein kleiner Goldesel schauderte. »Ihr wisst, dass Vater nicht zahlen wird, wenn Ihr mich verletzt. Ihr Monster.«

Hawk ließ sich Zeit, musterte ihn ausführlich, als wäre er ein Stück Fleisch. Dann verzog er die Lippen zu einem anzüglichen Lächeln. »Es gibt viele Dinge, die ich mit dir machen kann, die keine Spuren hinterlassen.«

»Ihr macht meinen Vater dafür verantwortlich, dass er Euch als Pirat gebrandmarkt hat, aber Ihr wart eindeutig schon vorher verdorben.«

Hawk senkte seine Stimme um eine Oktave. »Ich werde dafür sorgen, dass es dir gefällt. Stell dir nur mal vor, wie sehr du dich danach hassen wirst.«

Bainbridges Antwort bestand darin, nach seiner Schüssel zu greifen und sich einen Löffel voll Eintopf in den Mund zu schieben. Er kaute wütend und Hawk überließ ihn seinem ohnmächtigen Zorn.

Dieser Bursche war nur eine Marionette der englischen Gesellschaft, daher war er natürlich entsetzt über die Vorstellung, dass Männer miteinander fickten. Er lebte ein spießiges, erbärmliches kleines Leben absoluten Gehorsams gegenüber seinem Vater. Dieser Exkurs auf einem Piratenschiff würde wahrscheinlich der einzige aufregende Höhepunkt seiner gesamten Existenz bleiben.

Kann ihm dann ebenso gut eine Show bieten.

Gleichmütig, fast nachlässig schlenderte Hawk in der Kabine umher und zog sich dabei Stück für Stück aus. Er nahm seinen Gürtel ab und verstaute seine Waffen, einschließlich des Dolches des Jungen, in seinem Schrank und schloss ab. Dann überlegte er, ob er dem Burschen befehlen sollte, ihm die Stiefel auszuziehen. Hawk würde sich mit aufgeknöpfter Hose und ohne Hemd auf sein Bett setzen, die Beine so weit wie möglich spreizen und seinen Gefangenen vor sich knien lassen. Die Vorstellung ließ pochendes Verlangen in seinem Bauch aufsteigen, einen tiefen, heißen Puls. Es musste der anhaltende Kitzel der Jagd und der Gefangennahme sein, der ihn so erregte.

Aber Bainbridges Sohn zu piesacken, war eine Sache. Hawk musste seine Lust im Zaum halten. Normalerweise war das kein Problem. Er konnte monatelang nur mit sich und seiner rechten Hand auskommen, und das mit Freuden. Doch dieser junge Mann und seine kleinen Trotzanfälle hatten etwas Betörendes an sich. Viele andere Männer an seiner Stelle hätten sich eingenässt und geheult. Hawk hatte das im Laufe der Jahre oft genug gesehen. Dennoch hatte er diesem Jungen schon zu viel Zeit gewidmet. Obwohl es Spaß machte, mit ihm zu spielen …

 

Hawk zog sich sein Hemd über den Kopf und öffnete die Bänder seiner Hose, dann schob er sie und seine Unterhose die Beine hinab, obwohl er noch immer seine Stiefel trug. Er war sich ziemlich sicher, dass er Bainbridges volle Aufmerksamkeit hatte, als er sich mit nacktem Hintern vorbeugte und seine Füße befreite. Er widerstand dem Drang, vor Erleichterung laut zu seufzen, als er endlich seine Zehen strecken konnte und seine Hose wegkickte.

Nackt ging er langsam um den Schreibtisch herum und bis auf wenige Meter an den Gefangenen heran. Bainbridges Blick folgte ihm zweifellos, heiß auf seiner Haut. Hawk öffnete die oberste Schublade und zog seine Ringe nacheinander ab. Er verbarg seine Verärgerung, als einer von ihnen hartnäckig an seinem vernarbten Knöchel hängen blieb. Seinen goldenen Ohrring mochte er. Meistens vergaß er ihn und wurde dann gelegentlich im Handspiegel überrascht, wenn er sich rasierte und seinen kurzen Bart stutzte. Aber die Ringe fand er lästig, und sie kamen nur aus der Schublade, wenn Captain Hawk in ganzer Pracht auftrat.

Nachdem er die Lampe gelöscht hatte, streckte Hawk sich nackt auf seiner Matratze aus und zuckte zusammen, als er die Steifheit in seinem Rücken spürte. Er befahl: »Benimm dich. Denk daran, wie deine Schwester sonst leiden wird. Verstanden?«

»Ja«, war die Antwort, die vor Unmut schier überquoll.

Trotz seines Vorsatzes, seinen Gefangenen zu ignorieren, lächelte Hawk vor sich hin.