Za darmo

In den Schluchten des Balkan

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»Halt!« rief er. »Ihr wollt uns entfliehen. Herab mit dir! Laßt die Andern nicht aufsteigen!«

Seine Leute wollten sich der Pferde bemächtigen, und er selbst packte mich bei einem Bein, um mich herab zu ziehen.

Da nahm ich den Rappen vorn hoch empor und ließ ihn auf den Hinterhufen einen Kreis beschreiben. Der Sergeant mußte loslassen.

»Seht euch vor, ihr Leute!« warnte ich laut. »Mein Pferd wird leicht scheu.«

Ich zwang es zu einigen Lançaden, so daß es unter die Kawassen fuhr, welche schreiend auseinander stoben. Dadurch gewannen meine Leute Zeit, aufzusteigen, und nun ritten wir im Galopp zum Tor hinaus.

»Odschurola – lebe wohl! Auf Wiedersehen!« rief ich dem Sergeanten zurück.

»Dur, dur – halt, halt!« brüllte er, indem er mit seinen Untergebenen hinter uns hersprang.

»Laßt sie nicht fort! Haltet sie auf, die Diebe, die Räuber, die Halunken!«

Leute, uns aufzuhalten, wären genug dagewesen. Die Kunde, daß wir arretiert werden sollten, hatte sich schnell in dem Ort verbreitet und eine ansehnliche Menschenmenge herbeigelockt.

Aber diesen braven Untertanen des Beherrschers der Gläubigen fiel es gar nicht ein, Hand an uns zu legen und dadurch vielleicht unter die Hufe unserer Pferde zu geraten. Sie rissen vielmehr schreiend vor uns aus.

Welchen Weg ich einzuschlagen hatte, um an den Ort zu gelangen, den wir hier in Deutschland mit dem Worte »Amtsgericht« bezeichnen würden, das sah ich deutlich, da sich diese Richtung mit Leuten belebt hatte, welche der für sie jedenfalls hochinteressanten Kriminalverhandlung beiwohnen wollten. Dennoch fragte ich im Vorbeireiten einen alten Mann, der sich scheu vor uns zur Seite drängte:

»Wo wohnt der Kasi von Ostromdscha?«

Er zeigte nach einer Gasse, welche auf den freien Platz mündete, und antwortete:

»Reite dahinein, Herr. Du wirst rechts den Halbmond mit Stern über dem Tore sehen.«

Wir folgten seiner Weisung und gelangten an den Leuten, welche dieselbe Richtung einschlugen, vorüber zu einer langen hohen Mauer, in deren Mitte sich das bezeichnete Tor öffnete.

Durch dasselbe kamen wir in einen großen, viereckigen Hof, in welchem wir von einer ansehnlichen Schar Neugieriger empfangen wurden.

Dem Tor gegenüber stand das Amts- und Wohngebäude, aus Fachwerk errichtet. Die Balken waren grün, und die Füllung war blau angestrichen, was einen wunderlichen Eindruck machte.

Der Hof war außerordentlich schmutzig. Nur der Teil längs des Hauses war einige Meter breit mit einer Vorrichtung versehen, welche jedenfalls ein Pflaster vorstellen sollte. Doch sah dieses Trottoir grad so aus, als ob es aufgerissen worden sei, um als Material zu einem Barrikadenbau zu dienen.

Vor der Türe stand ein alter Lehnstuhl, welchen ein vorweltliches Polsterkissen zierte. In der Nähe lag eine umgekehrte Holzbank, welche ihre vier Beine nach oben reckte. Einige Stricke und ein Bündel daumenstarker Stöcke ließen vermuten, daß wir diejenige Anstalt der hiesigen Gerechtigkeitspflege vor uns hatten, welche der Erteilung der Bastonnade gewidmet ist. Einige Kawassen standen dabei, und ganz in der Nähe saß ein alter Bekannter von uns, nämlich der Krüppel, an welchem wir draußen vor dem Ort vorübergeritten waren.

Das Gesicht, welches er uns zeigte, war ein sehr interessantes. Er war wohl überzeugt gewesen, daß wir hier als Gefangene unsern Einzug halten würden. Daß wir hoch und stolz zu Roß und ohne alle polizeiliche Begleitung kamen, gab seinem Antlitz den Ausdruck einer so dummen Verwunderung, daß ich vielleicht darüber gelacht hätte, wenn nicht in seinen haßglühenden Augen etwas zu bemerken gewesen wäre, was mit der zur Schau getragenen Stupidität gar nicht im Einklang stand.

Wir stiegen ab. Ich warf Osko die Zügel zu und trat zu den Kawassen.

»Wo ist der Kodscha Bascha?«

Ich sprach diese Frage in dem Ton eines gebietenden Herrn aus. Der Gefragte machte ein militärisches Zeichen der Ehrerbietung und antwortete:

»Drin in seiner Wohnung. Willst du mit ihm sprechen?«

»Ja.«

»So werde ich dich melden. Sage mir deinen Namen und dein Anliegen.«

»Das werde ich ihm selbst sagen.«

Ich schob ihn zur Seite und wendete mich nach der Türe. Da wurde dieselbe von innen geöffnet, und es trat ein langer dürrer Mensch heraus, der wohl noch hagerer als der Bettler und der alte Mübarek war.

Seine Gestalt war in einen Kaftan gehüllt, welcher am Boden schleifte, so daß man die Füße nicht sehen konnte. Auf dem Kopf trug er einen Turban, dessen Tuch vor fünfzig oder noch mehr Jahren einmal weiß gewesen war. Sein Hals war so dünn und so lang, daß er den Kopf kaum zu tragen vermochte. Dieser Kopf wackelte und schwankte hin und her, auf und nieder, so daß es den Anschein hatte, als ob die lange, scharfe Riesennase eine ganz besondere Zuneigung zu dem wie ein Kropf hervortretenden Kehlkopf hege.

Er blinzelte mich erstaunt mit den kleinen, wimpernlosen und rotumränderten Triefaugen an und fragte:

»Zu wem willst du?«

»Zu dem Kodscha Bascha.«

»Der bin ich. Wer bist du?«

»Ich bin ein Fremder, welcher Veranlassung hat, dir eine Beschwerde vorzutragen.«

Er wollte antworten, kam aber nicht dazu, denn in diesem Augenblick lief der Sergeant, von seinen Leuten gefolgt, zum Tore herein, hielt bei unserem Anblick erstaunt an und rief keuchend:

»Allah w‘ Allah! Da sind sie ja!«

Mit und hinter ihm drängten sich noch immer mehr Menschen herein; aber keiner sprach ein Wort. Es ging so ruhig und lautlos zu, als ob wir uns in einer Moschee befunden hätten. Der Ort, an welchem eine hölzerne Bank ihre vier Beine gen Himmel reckte, war den guten Leuten heilig. Vielleicht war mancher von ihnen auf diese Bank geschnallt worden, mit den nackten Fußsohlen an die hölzernen Beine gefesselt. Solche Erinnerungen pflegen überwältigend zu sein.

Der Beamte wendete sich, anstatt mir zu antworten, an den Sergeanten:

»Nun, ihr bringt ihn noch immer nicht? Wollt etwa ihr die Bastonnade haben an seiner Stelle?«

Da deutete der vom schnellen Laufen ganz atemlose Kawaß auf mich und antwortete:

»Da ist er ja, Herr!«

»Was? Dieser ist es?«

»Ja.«

Der Kodscha Bascha wendete sich schnell wieder zu mir und betrachtete mich vom Scheitel bis zu den Sohlen. Dabei wackelte sein Kopf, wie wenn es seine Lebensaufgabe gewesen wäre, durch diese unaufhörlichen Pendelbewegungen die Kugelgestalt der Erde zu beweisen. Sein Gesicht nahm einen strengen, finstern Ausdruck an, und er sagte barsch:

»Du, also du bist der Arrestant!«

»Ich? Nein, der bin ich nicht,« antwortete ich ruhig.

»Dieser mein Sergeant der Kawassen sagt es mir doch!«

»Er sagt die Unwahrheit.«

»Nein, ich sage die Wahrheit. Er ist es,« behauptete das Organ der Sicherheit.

»Hörst du es?« donnerte mich der Kodscha Bascha an. »Du nennst ihn einen Lügner; ich aber weiß, daß er stets die Wahrheit spricht.«

»Und ich sage dir, daß er lügt! Hast du uns vielleicht gesehen, als wir in den Hof kamen?«

»Ja, ich stand am Fenster.«

»So wirst du bemerkt haben, daß wir zu Pferde saßen. Ich komme freiwillig zu dir. Deine Kawassen sind uns später gefolgt. Nennst du das eine Verhaftung?«

»Ja. Du bist zwar ein wenig eher gekommen, aber die Polizei hat euch geholt, und so seid ihr arretiert worden. Ihr seid meine Gefangenen.«

»Da befindest du dich in einem gewaltigen Irrtum.«

»Ich bin der Kodscha Bascha und irre mich nie. Merke dir das!«

Indem er dies laut und im strengsten Ton rief, wackelte er mit dem Kopf so bedenklich, daß ich fürchtete, er wolle ihn mir zuschleudern. Er sah wirklich beängstigend aus.

»Nun, so werde ich dir beweisen, daß du dich dennoch irrest. Es gibt keinen einzigen Kodscha Bascha in der Welt, dem ich erlauben würde, mich seinen Gefangenen zu nennen.«

Einige rasche Schritte zu meinem Pferd und ein Sprung in den Sattel. Meine Gefährten saßen ebenso schnell auf.

»Sihdi, zum Tore hinaus?« fragte Halef.

»Nein, wir bleiben. Ich will nur Bahn machen bis an das Tor.«

Es war, als ob der Rappe meine Absicht genau verstände. Er kurbettierte, den prächtigen Leib immer quer haltend, zu dem Tore hin und wieder zurück, schlug vorn und hinten aus und schnaubte aus den Nüstern, daß die anwesende Volksmenge eiligst Raum gab und sich furchtsam an die Mauer drückte.

»Macht das Tor zu!« gebot der Richter seinen Kawassen.

»Wer das Tor anrührt, den reite ich über den Haufen!« drohte ich.

Keiner der Kawassen rührte sich von der Stelle. Der Kodscha Bascha wiederholte seinen Befehl, aber ohne Gehorsam zu finden. Ich hatte die Nilpeitsche in die Hand genommen, und das sah den guten Leuten doch zu gefährlich aus.

Ich ritt so nahe an den richterlichen Beamten heran, daß der Rappe ihm in das Gesicht schnaubte. Er prallte zurück, streckte die langen, dürren Arme abwehrend aus und rief:

»Was erkühnst du dich! Weißt du nicht, wo du dich befindest und wer ich bin?«

»Das weiß ich ganz genau. Du aber hast keine Ahnung, wen du vor dir hast. Ich werde mich bei deinem Vorgesetzten beschweren, bei dem Makredsch von Saloniki. Der mag dir sagen, wie du einen vornehmen Tebdili kyjafet iledschi[36] zu behandeln hast!«

Diese in drohendem Ton ausgesprochenen Worte enthielten eine Aufschneiderei, die ich mir in Anbetracht der Umstände erlauben zu dürfen glaubte. Sie machte die beabsichtigte Wirkung, denn der alte Bascha sagte jetzt viel höflicher als vorher:

»Du bist tebdilen auf der Reise? Das habe ich nicht gewußt. Warum hast du es mir nicht gesagt?«

 

»Weil du dich noch gar nicht nach meinem Namen und nach meinen Verhältnissen erkundigt hast.«

»So sage mir, wer du bist!«

»Später. Erst will ich wissen, ob du mich wirklich als deinen Gefangenen betrachtest. Ich würde mein Verhalten nach deiner Antwort einrichten.«

Diese Aufforderung brachte ihn in Verlegenheit. Er, der Gebieter von Ostromdscha und Umgegend, sollte seine eigenen Worte widerrufen! Er blickte mich scheu an und zögerte mit der Antwort. Sein Kopf geriet in eine höchst bedenkliche Bewegung. Es sah aus, als ob der Hals zerbrechen würde.

»Nun, eine Antwort! Sonst reiten wir fort.«

»Herr,« sagte er, »ihr seid freilich nicht gebunden und gefesselt gewesen, darum will ich einmal annehmen, daß ihr nicht arretiert worden seid.«

»Gut, das genügt mir einstweilen. Aber laß es dir ja nicht mehr in den Sinn kommen, von dieser deiner Meinung abzuweichen. Ich würde mich beim Makredsch beschweren.«

»Kennst du ihn?«

»Ob ich ihn kenne, das geht dich nichts an. Wenn er und ich es weiß, so ist‘s genug. Also du hast zu mir gesandt. Daraus schließe ich, daß du mir eine Mitteilung machen willst. Ich bin bereit, sie zu hören.«

Es war spaßhaft das Gesicht zu sehen, welches er schnitt. Wir schienen die Rollen gewechselt zu haben. Ich sprach von oben herab zu ihm und zwar nicht etwa nur bildlich, sondern auch wirklich, denn ich saß im Sattel. In seinem Gesicht stritten sich die Ausdrücke des Zornes und der Verlegenheit um die Oberhand. Er blickte ratlos hin und her und antwortete endlich:

»Du irrst. Ich habe dir nicht sagen lassen, daß ich mit dir sprechen will, sondern ich habe wirklich befohlen, euch zu arretieren.«

»Das hast du wirklich getan? Fast kann ich es nicht glauben. Ihr seid doch vom obersten Gerichtshof angewiesen, gerecht und vorsichtig zu handeln. Was war denn der Grund dieses Befehles?«

»Ihr habt einen meiner Kawassen mißhandelt, und sodann hast du einen Einwohner dieser Stadt in Lebensgefahr gebracht.«

»Hm! Ich höre, daß man dir die Sache nicht der Wahrheit gemäß berichtet hat. Wir haben einen Kawassen gezüchtigt, weil er es verdiente, und ich habe einem Einwohner dieser Stadt das Leben gerettet, indem ich ihn zu mir empor in den Sattel riß. Mein Pferd hätte ihn niedergestampft, wenn ich nicht so geistesgegenwärtig gewesen wäre.«

»Das klingt allerdings ganz anders, als es mir berichtet worden ist. Ich werde also untersuchen müssen, auf wessen Seite die Wahrheit liegt.«

»Diese Untersuchung ist ganz überflüssig. Siehst du denn nicht ein, daß deine Worte eine Beleidigung für mich enthalten? Meine Worte dürfen nicht den geringsten Zweifel in dir erwecken, und doch willst du untersuchen! Ich weiß nicht, was ich von deiner Höflichkeit und Umsicht denken soll.«

Er fühlte sich in die Enge getrieben und antwortete ziemlich kleinlaut:

»Selbst wenn du recht hast, muß die Untersuchung stattfinden, eben um den Anklägern zu beweisen, daß du recht hast.«

»Das lasse ich allerdings gelten.«

»So steige ab! Ich werde das Verhör sogleich beginnen.«

Das war alles so laut gesprochen worden, daß jeder Anwesende jedes Wort hatte verstehen können. Jetzt drängten sich die Leute herbei, um noch besser hören und sehen zu können. Sie flüsterten sich ihre Bemerkungen zu, und die Blicke, welche sie auf uns richteten, sagten deutlich, daß sie einen gehörigen Respekt vor uns hegten. So, wie ich, hatte wohl noch niemand mit ihrem Kodscha Bascha gesprochen.

Dieser würdige Beamte setzte sich auf den Stuhl. Er nahm eine möglichst Ehrfurcht gebietende Haltung an und wiederholte seine vorige Weisung:

»Steig ab, und laß auch deine Leute absteigen. Die Achtung, welche man der Obrigkeit schuldet, erfordert es.«

»Ich bin ganz deiner Meinung, aber ich sehe von der Obrigkeit gar nichts.«

»Wie? Verstehe ich dich richtig? – Die Obrigkeit bin ich!«

»Wirklich? So befinde ich mich in einem großen Irrtum. Wer ist der Friedensrichter von Ostromdscha?«

»Ich bin es. Ich bekleide beide Aemter.«

»Gehört denn unsere Angelegenheit vor den Friedensrichter?«

»Nein, sondern vor das Kasa.«

»So habe ich also doch recht. Der Naïb kann ganz allein und ohne Beisitzer entscheiden. Zu einem Kasa aber gehören ein Kodscha Bascha, ein Staatsanwalt, ein Stellvertreter, ein Zivilleutnant und ein Gerichtsschreiber. Nun sage mir, wo diese Herren sind. Ich sehe nur dich allein.«

Sein Kopf begann wieder hin und her zu pendeln. Er sagte:

»Ich pflege auch solche Sachen allein zu verhandeln.«

»Wenn die Bewohner von Ostromdscha sich dies gefallen lassen, so ist das ihre Sache. Ich aber kenne die Gesetze des Padischah und verlange, daß sie erfüllt werden. Du forderst von mir Achtung vor einer Obrigkeit, welche gar nicht vorhanden ist.«

»Ich werde die Männer holen lassen.«

»So beeile dich! Ich habe nicht viel Zeit.«

»Du wirst dennoch warten müssen, denn ich weiß nicht, ob der Basch Kiatib gleich zu finden sein wird, und der Stellvertreter ist nach Ufadilla gegangen. Er kommt wohl erst nach einigen Stunden zurück.«

»Das ist mir unangenehm. Die Obrigkeit darf sich nicht suchen lassen. Was wird der Makredsch sagen, wenn ich ihm das erzähle?«

»Du brauchst es ihm nicht zu erzählen. Du wirst mit der Behandlung, die euch zu teil werden wird, gewiß zufrieden sein.«

»Wie so? Welche Behandlung meinst du da?«

»Das weißt du nicht?«

»Nein.«

»Ich muß euch natürlich hier behalten, bis das Kasa zusammengetreten ist. Aber ihr sollt es so gut haben, wie die Umstände es erlauben.«

»Höre! Wir werden es so gut haben, wie es uns selbst beliebt. Du willst uns hier behalten, das heißt, wir sind arretiert. Du weißt aber, daß ich mir das nicht gefallen lasse.«

»Aber das Gesetz erfordert es.«

»Du scheinst dir ganz eigene Gesetze gemacht zu haben, die ich natürlich nicht anerkenne. Ich bin bei dir angezeigt worden und erkläre mich ganz damit einverstanden, daß das Gericht die Sache untersuchen soll. Ich bin also bereit, mich diesem Gericht zu stellen; aber meiner Freiheit lasse ich mich nicht berauben. Ich kehre jetzt nach dem Konak zurück und werde dort die Benachrichtigung erwarten.«

»Das darf ich nicht zugeben.«

Er stand von seinem Stuhl auf.

»Was willst du dagegen tun?«

»Wenn du mich zwingst, so muß ich dich mit Gewalt zurückhalten.«

»Pah! Du hast mir ja bereits deine Kawassen gesandt. Was haben sie ausgerichtet? Nichts! Und denselben Erfolg würdest du wieder sehen. Wenn du klug bist, so unterlässest du es, dich vor deinen Leuten lächerlich zu machen. Ich gebe dir mein Wort, daß ich nicht daran denke, zu fliehen. Ich werde auf deine Vorladung warten und derselben Folge leisten.«

Er mochte einsehen, daß es besser sei, weitere Szenen, die seinem Ansehen schaden konnten, zu vermeiden. Er antwortete mir nach einer Pause des Ueberlegens:

»Ich will aus Rücksicht darauf, daß du ein vornehmer Fremder bist, auf deinen Vorschlag eingehen; aber ich muß dir das feierliche Versprechen abverlangen, daß du nicht entfliehen willst.«

»Ich gebe es dir.«

»Du mußt deine Hand in die meinige legen. Das ist so Vorschrift.«

»Hier!«

Ich reichte ihm die Hand vom Pferde herab. Es war mir, als ob ich laut auflachen sollte; aber ich bewahrte mir den nötigen Ernst und wurde von dem Bascha mit einigen feierlichen Worten entlassen.

Als wir uns anschickten, fortzureiten, machten uns die Leute in ehrerbietiger Weise Platz. Der osmanische Richter pflegt sich einer tyrannischen Unfehlbarkeit zu befleißigen. Der alte Kodscha Bascha machte wohl keine Ausnahme von dieser Regel. Heute aber hatte sein Ansehen einen gewaltigen Stoß erlitten. Daß er das gar wohl fühlte, sah ich an dem finstern Blick, den er uns noch zuwarf, bevor er hinter der Türe verschwand.

Und noch einen gab es, der mit diesem Ausgang nicht zufrieden war – der Bettler.

Es war ganz zufällig, daß ich auf ihn sah, und da hätte ich erschrecken mögen vor dem Blitz, den er aus seinen dunklen Augen auf mich schleuderte. Ein Mensch, der solche Blicke hatte, konnte unmöglich stupid sein. Ich begann die Ueberzeugung zu hegen, daß der zur Schau getragene Blödsinn nur eine Maske sei.

Der Haß dieses Menschen war kein instinktiver, sondern ein selbstbewußter und wohl begründeter; das sah man seinem Blick an. Was hatte er mit mir? Wo war ich ihm begegnet? Was hatte ich ihm getan? —

Ich war überzeugt, daß ich ihn hier nicht zum erstenmal sah. Wir waren uns schon früher einmal begegnet. Aber wann, wo und unter welchen Umständen? Das wollte mir nicht einfallen, so sehr ich auch, als wir jetzt heimritten, darüber nachsann.

Es stieg die Ahnung oder vielmehr die immer stärker werdende Ueberzeugung in mir auf, daß ich mit dem Bettler auf irgend eine Weise zusammen geraten würde. Es dämmerte in mir die Vermutung, daß er mit dem Zweck unserer Anwesenheit in irgend einer Beziehung stehe, und ich nahm mir vor, ein scharfes Auge auf ihn zu haben.

Natürlich war sowohl Ibarek wie auch sein Verwandter über den bisher glücklichen Ausgang unseres Kriminalfalles sehr erfreut. Sie fragten, ob ich mich vor der späteren Verhandlung fürchte, und ich versicherte ihnen, daß mir dies gar nicht einfalle. Als ich dann den Wirt fragte, ob er nicht vielleicht einen verschwiegenen, zuverlässigen Knecht habe, brachte er mir einen Mann, dem ich den Auftrag erteilte, sich schnell in den Hof des Bascha zu begeben und heimlich den Bettler zu beobachten. Es lag mir daran, zu erfahren, ob er dort bleibe oder sich entferne.

Halef hörte das. Er benützte die nächste Gelegenheit, als ich mit ihm allein war, und fragte:

»Sihdi, warum lässest du den Bettler beobachten? Hast du etwas mit ihm vor?«

»Nein, sondern ich glaube vielmehr, daß er etwas mit uns vor hat.«

»Wie so?«

»Hast du nicht bemerkt, daß er uns so ganz eigentümliche Blicke zuwirft?«

»Nein; ich habe ihn nicht beobachtet.«

»So beobachte ihn, wenn wir ihn wieder treffen. Es ist mir ganz so, als ob wir ihm schon einmal begegnet seien.«

»Wo denn?«

»Das weiß ich leider nicht. Ich habe bereits darüber nachgesonnen, aber es fällt mir nicht ein. Es muß weit von hier gewesen sein.«

»Da wirst du dich irren.«

»Schwerlich.«

»Wie sollte der Krüppel von so weit hierher gekommen sein? Er kann ja kaum laufen.«

»Hm! Vielleicht verstellt er sich nur.«

»O nein. Es ist ihm anzusehen, wie elend er ist. Man glaubt oft, einem Menschen begegnet zu sein, und das hat nur den einen Grund, daß Menschen einander ähnlich sind. Als der Mübarek an uns vorüberging, hatte ich ein ganz ähnliches Gefühl. Es war mir, als ob ich ihn schon gesehen hätte.«

»Wirklich? Das ist interessant.«

»Warum?«

»Weil ich ganz dasselbe denke.«

»So haben wir einmal irgend jemand gesehen, der ihm sehr ähnlich sieht.«

»Nein. Wir müssen ihn selbst gesehen haben. Hast du nicht bemerkt, welchen Blick er mir zuwarf?«

»Ja. Es war, als ob er sich das nicht merken lassen wollte.«

»Es war wohl auch gar nicht seine Absicht, mich anzusehen; aber er konnte sich doch nicht beherrschen. Er hat sich verraten.«

»Und dennoch wirst du dich irren. Ich weiß, daß auch ich mich irre. Der Mann, den ich mit dem Mübarek verwechsle, hat einen langen, vollen Bart gehabt.«

»Das weißt du?«

»Ja. Wenn der Alte einen solchen Bart hätte, würde er ihm ganz ähnlich sein.«

»Und wo sahst du diesen bärtigen Mann?«

»Das weiß ich eben nicht.«

»Sonderbar! Mag es sein, wie es will; wir haben uns vor dem Mübarek und vor dem Bettler in acht zu nehmen. Vielleicht müssen wir uns da nur vor einem Menschen hüten.«

»Wie meinst du das?«

»Ich meine, daß der Mübarek und der Bettler nicht zwei verschiedene Personen sind.«

»Sihdi! Was denkst du?«

»Es ist einer und derselbe.«

»Unmöglich!«

»Ich weiß freilich kaum, wie mir dieser Gedanke gekommen ist; aber ich habe ihn nun einmal und kann ihn nicht wieder los werden.«

Wir wurden unterbrochen. Der Wirt kam und meldete, daß der Kodscha Bascha in der Stadt umherschicke, um die zur Kasa gehörigen Beamten zusammen zu bringen.

»Da wirst du auch den Mübarek zu sehen bekommen,« fügte er hinzu.

»Was hat der damit zu tun?«

»Er ist ja der Basch Kiatib.«

»Der Gerichtsschreiber? Wer hat ihm denn dieses Amt gegeben?«

»Der Kodscha Bascha. Diese beiden sind sehr gute Freunde.«

»O weh! Wenn Fuchs und Wolf sich zusammentun, dann ist das Lamm verloren.«

»Hältst du diese beiden für böse Menschen?«

»Für gute nicht.«

»Effendi, da irrst du dich sehr.«

»So? Hast du eine bessere Meinung von eurem Kodscha Bascha?«

 

»Von diesem nicht. Er ist gewalttätig und ungerecht. Aber er hat die Macht, und wir können nichts gegen ihn tun. Was jedoch den Mübarek betrifft, so ist er der Wohltäter der ganzen Gegend. Wenn du dir nicht Feinde machen willst, darfst du nichts gegen ihn sagen.«

»Mir kommt es ganz im Gegenteile so vor, als ob er der Fluch dieser Gegend sei.«

»Bedenke, er ist ein Heiliger!«

»Ein Marabut etwa? – Nein!«

»Er heilt alle Krankheiten. Wenn er wollte, könnte er sogar Tote erwecken.«

»Hat er das selbst gesagt?«

»Er selbst hat es versichert.«

»So ist er ein schändlicher Lügner.«

»Herr, laß das niemand hören!«

»Ich würde es ihm grad ins Gesicht sagen, wenn er diese Behauptung gegen mich machte.«

»So wärest du verloren. Ich warne dich.«

»Wie so verloren?«

»Wie er vom Tode erretten kann, so vermag er auch das Leben zu nehmen.«

»Also zu morden?«

»Nein. Er berührt dich gar nicht. Er sagt einen Spruch, und dann mußt du sterben.«

»Also er zaubert?«

»Ja, so ist es.«

»Ein Heiliger und Zauberer! Wie paßt denn das zusammen? Ihr widersprecht euch selbst. Doch da kommt dein Knecht.«

Der Mann kam herbei und meldete, der Bettler habe soeben den Hof verlassen.

»Hast du aufgepaßt, wohin er geht?«

»Ja. Er steigt den Berg empor. Wahrscheinlich will er zu dem Mübarek.«

»Geht er zuweilen zu diesem?«

»Sehr oft.«

»Warum heilt ihn der Heilige nicht?«

»Weiß ich es? Er wird seine Gründe haben, daß er es nicht tut.«

»Hast du diese beiden schon einmal miteinander sprechen sehen?«

Der Mann sann einen Augenblick lang nach und antwortete dann:

»Nein, noch nie.«

»Wenn der Bettler so oft zu ihm geht, werden sie doch miteinander sprechen?«

»Natürlich. Aber es ist eigentümlich, daß ich beide nicht beisammen gesehen habe.«

»Ja, auch mir kommt es sonderbar vor. Vielleicht gelingt es mir, eine Erklärung dafür zu finden. Ich möchte gern sehen, was der Bettler droben auf dem Berg tut. Ist das möglich?«

»Darf er dich sehen?«

»Nein.«

»So müßte ich dich führen, denn du kennst die Gegend nicht.«

»Gut, führe uns.«

Halef sollte nämlich auch dabei sein. Ich nahm mein Fernrohr aus der Satteltasche, und dann folgten wir dem Knecht.

Er führte uns aus dem Hof in den Garten, von welchem man dann gleich ins Freie gelangte. Da zeigte er nach links hinüber.

»Seht, da drüben steigt er empor. Der Arme kommt nur langsam fort. Es wird wohl eine halbe Stunde dauern, ehe er hinaufkommt. Bis dahin sind wir längst schon oben.«

Er führte uns nach rechts, wo sich ein ziemlich dichtes Strauchwerk an dem Berg empor zog. Ich überschaute das Terrain. Wir konnten, durch die Büsche gedeckt, ganz unbemerkt zur Höhe gelangen. Da drüben aber, wo der Bettler ging, waren Melonenfelder. Man konnte ihn also von weitem ganz gut beobachten. Aus diesem Grund schickte ich den Knecht zurück. Ich konnte auf seine Führung verzichten. Eher ließ sich erwarten, daß seine Gegenwart uns hinderlich werden könne.

Wir schritten ziemlich schnell aufwärts, hielten uns aber ganz nahe bei dem Rand der Büsche, um den Bettler nicht aus den Augen zu lassen.

Er wußte, daß er von der Stadt aus gesehen werden könne, und verhielt sich danach. Ganz langsam humpelte er vorwärts und ruhte sehr oft aus.

Bald hatten wir den Wald erreicht, welcher die Spitze des Berges umkränzte. Im Schutz desselben bog ich nun nach links hinüber, bis wir uns grad in der Richtung befanden, welche der Krüppel einhielt. Wenn er in derselben verharrte, mußte er an uns vorüber kommen.

Ich setzte mich in das weiche Moos, und Halef nahm an meiner Seite Platz.

»Gibt es etwas Bestimmtes, was du jetzt erfahren willst, Sihdi?« fragte er.

»Ohne Zweifel.«

»Was denn?«

»Ich will wissen, wie sich der Bettler in den Mübarek verwandelt.«

»So hältst du an deiner Ansicht fest?«

»Steif und fest.«

»Du wirst sehen, daß du dich täuschest.«

»Das ist möglich, aber ich glaube es nicht. Er wird ganz gewiß hier vorüberkommen. Sobald er nahe ist, verstecken wir uns hinter die Bäume und folgen ihm von weitem.«

Wir hatten noch einige Minuten zu warten, dann mußten wir uns zurückziehen.

Er kam.

Sobald er den Waldesrand erreicht hatte und sich im Schutz der Bäume befand, so daß er von der Stadt aus nicht mehr gesehen werden konnte, blieb er stehen und blickte um sich.

Diese Umschau hielt er in der Weise eines Menschen, welcher alle Veranlassung hat, vorsichtig zu sein. Er schien sich überzeugt zu haben, daß sich niemand in der Nähe befinde; denn er richtete sich hoch auf und dehnte und reckte sich. Dann drang er noch eine kleine Strecke tiefer in den Wald ein und kroch hinter ein kleines Dickicht.

Wir hatten das sehr genau beobachtet. Er konnte ganz gut ohne die Krücken stehen und gehen.

»Sihdi, du hast vielleicht doch recht,« sagte Halef. »Wollen wir hin?«

»Nein, wir bleiben hier.«

»Aber ich denke, du willst ihn beobachten. Er wird weiter gehen.«

»Nein, er wird in dem Dickicht seine Umwandlung vornehmen und dann als Mübarek in die Stadt zurückkehren.«

»Und ich denke, er wird vollends emporsteigen bis zur Höhe, wo sich ja seine Wohnung befinden soll.«

»Das wird er nicht tun, weil er sich nicht die Zeit nehmen kann. Er hat es jedenfalls sehr eilig, daß das Gericht zusammentritt. Paß nur auf!«

Ich zog mein Fernrohr aus und richtete es auf die Stelle, an welcher ich den Kerl vermutete. Richtig! Ich konnte ihn zwar nicht sehen, aber die Zweige bewegten sich. Er stak dahinter.

Nach ungefähr fünf Minuten trat er hervor – — als Mübarek.

»Allah akbar!« sagte Halef. »Wer hätte gedacht, daß du recht habest, Sihdi!«

»Ich habe es gedacht. Es gibt Ahnungen, denen man es anmerkt, daß sie sich erfüllen müssen. Dieser Heilige ist ein großer Sünder. Vielleicht gelingt es uns, ihm das zu beweisen.«

»Er geht wirklich in die Stadt zurück. Wollen wir ihm wieder nach?«

»Das fällt mir nicht ein. Es gibt ja gar keine bessere Gelegenheit, seine Wohnung und die Ruine zu untersuchen.«

»Da hast du recht. Also komm! Wir wollen uns beeilen.«

»Nicht so schnell! Erst gehen wir hin zu der Stelle, an welcher er die Umwandlung vorgenommen hat. Vielleicht können wir da erfahren, wie er das zu bewerkstelligen pflegt.«

Der Alte war ein Stück am Waldrand hingegangen und trat dann ins Freie hinaus, um zwischen zwei Melonenfeldern nach der Stadt zu gehen.

Wir begaben uns zu dem Dickicht, fanden jedoch gar nichts. Das Gras und Moos war niedergetreten, aber weiter war nichts mehr zu sehen. Wo hatte er die Krücken?

»Er kann sie doch nicht verschwinden lassen,« meinte Halef.

»Er hat sie wohl bei sich.«

»Da müßte man sie doch sehen.«

»Hm! Das ist nicht unumgänglich notwendig. Vielleicht sind sie mit Charnieren versehen, so daß er sie zusammenlegen und unter dem Kaftan tragen kann.«

»Wäre das nicht beschwerlich für ihn?«

»Allerdings.«

»Er könnte sie ja verstecken.«

»Das ist noch unbequemer. Er müßte allemal, wenn er sich wieder in den Bettler verwandeln wollte, zu dem Versteck zurückkehren. Wenn er sie aber bei sich trägt, kann er die Verwandlung an jedem Ort und zu jeder Zeit vornehmen.«

»Sihdi, das alles kommt mir so fremd, so unbegreiflich vor, fast wie ein Märchen.«

»Das glaube ich dir gern. In den großen Städten des Abendlandes kommen noch ganz andere Sachen vor. Da denke ich daran, daß seine Knochen aneinander klappern sollen. Das hast du doch gehört?«

»Ja, Sihdi. Ibarek, der Wirt, sagte es. Und dann, als der Mübarek an uns vorüberging, habe ich es klappern hören.«

»Das waren nicht die Knochen, sondern die Krücken.«

»Allah! Das leuchtet mir ein.«

»Es fiel mir damals schon auf, daß der Bettler ganz und gar verschwunden war, und daß der Mübarek aus derselben Gegend kam und doch vorher nicht zu sehen gewesen war. Jetzt habe ich die Lösung dieses Rätsels. Nun wollen wir hinauf zu seiner Hütte.«

»Gehen wir gleich gradaus durch den Wald?«

»Nein. Wir suchen den offenen Weg auf. Ich habe von unten gesehen, wo er empor führt, und es mir gemerkt.«

»Warum willst du zu dem Pfad, auf welchem wir doch gesehen werden können?«

»Von der Richtung aus, welche der Alte eingeschlagen hat, kann er uns nicht sehen. Und wenn Andere es bemerken, daß wir zur Höhe gehen, so hat das nichts zu bedeuten. Ich suche Pferdespuren.«

»Hier oben?«

»Natürlich! Oder meinst du, daß Barud el Amasat, Manach el Barscha und der entflohene Kerkerschließer ihre Pferde irgendwo in der Stadt eingestellt haben?«

»Nein, gewiß nicht. Sie haben sich jedenfalls dort gar nicht sehen lassen.«

»Das ist auch meine Meinung. Sie sind auf den Berg geritten und haben die Pferde und sich selbst auch dort versteckt.«

»Wenn sie nicht schon wieder fort sind.«

»Sie sind noch da. Sie wollen ja die beiden Brüder hier erwarten. Der alte Mübarek wird schon ein Versteck für sie gehabt haben. Das ist freilich schwer zu finden. Die besten und sichersten Führer werden da die Pferdespuren sein.«

36Einer der inkognito reist.