Ego-State-Therapie bei Traumafolgestörungen

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

3.6SARI – Das Behandlungsmodell der Ego-State-Therapie

Auf das von Phillips und Frederick entwickelte vierphasige Behandlungsmodell der Ego-State-Therapie wurde im Abschnitt 2.5.1 bereits eingegangen (Fritzsche 2018a, S. 182 ff.; Phillips u. Frederick 2003, S. 65 ff.). In Tab. 8 sind die entsprechenden Phasen dargestellt.


Das SARI-Modell als Behandlungsgrundlage
1 S Safety and Stabilisation (Sicherheit und Stabilisierung)
2 A Accessing (Schaffung eines sicheren Zugangs zum Trauma und den entsprechenden Ego-States)
3 R Resolving and Restabilisation (Auflösen der traumatischen Erfahrung und Restabilisierung)
4 I Integration and Identity (Integration der Persönlichkeit, Neuorientierung und Schaffung einer neuen Identität)

Tab. 8: Das SARI-Modell (Phillips u. Frederick 2003, S. 65 ff.; vgl. Fritzsche u. Hartman 2019, S. 76 ff.)

Das SARI-Modell bietet neben den prozessorientierten Zielen der Ego-State-Therapie eine weitere Grundlage für die Entwicklung und Gestaltung des Behandlungsplanes. Es wird ebenfalls zirkulär durchlaufen und an die jeweilige therapeutische Situation angepasst. Die vier Phasen des SARI-Modells lassen sich auf verschiedene Zeitperspektiven anwenden. Sie können für eine einzige Sitzung konzipiert werden, in der alle Phasen enthalten sind und die mit den Aspekten der Integration des erlebten Veränderungsschrittes endet. Das Modell kann gleichfalls auf eine konkrete Behandlungsphase angewendet werden, die in einen Gesamtbehandlungsplan eingebettet ist, beispielsweise hinsichtlich einer auf mehrere Sitzungen verteilten traumakonfrontierenden Arbeit. Die vier Phasen lassen sich ebenso auf die gesamte Behandlung anwenden, in der sämtliche Sitzungen den Phasen zirkulär zugeordnet werden. Im Teil 2 des Buches werden alle Behandlungsschritte entsprechend den vier Phasen erläutert.

3.7Vor dem Start – die Grundlagen des Konzepts

Bevor im zweiten Teil des Buches das Grundkonzept der Behandlung von Traumafolgestörungen mit Ego-State-Therapie erläutert wird, werden an dieser Stelle die wichtigsten Prinzipien zusammengefasst, auf denen dieses Grundkonzept aufbaut. Auf die meisten Prinzipien wurde in den bisherigen Kapiteln bereits eingegangen, sodass sie hier nur überblickhaft zusammengestellt sind:

3.7.1Nutzung der Ego-State-Therapie als Teile-Modell für die Behandlung von Traumafolgestörungen

Das gesamte Behandlungsmodell einschließlich sämtlicher Behandlungsschritte wird aus der Perspektive eines Teile-Modells der Persönlichkeit heraus entwickelt und realisiert. Die Entstehung von Ego-States auf der Grundlage der Befriedigung und des Schutzes von Grundbedürfnissen kann mit prä-, peri- und posttraumatischen Prozessen in Zusammenhang gebracht werden. Die Behandlung beinhaltet die Arbeit mit den traumaassoziierten Ego-States. Deren Integration erfolgt über mehrere Schritte:

a)sie werden kontaktiert

b)es wird eine Beziehung mit ihnen aufgebaut

c)es wird Akzeptanz für sie entwickelt

d)es wird Verständnis für ihre Funktion entwickelt

e)sie werden unterstützt

f)sie werden für den Heilungs- und Veränderungsprozess genutzt

g)sie werden in ein inneres System der Persönlichkeit integriert.

3.7.2Unterscheidung von Ego-States und traumatischem Material

In der Behandlungskonzeption findet eine Unterscheidung von Ego-States und traumatischem Material statt. Erstere stellen Persönlichkeitsanteile dar. Letztere repräsentieren Erinnerungen, Eindrücke und Empfindungen der traumatischen Situation sowie von deren Folgen. Wir unterscheiden Anteile und »Filme« (Traumaszenen, traumatisches Erinnerungsmaterial), wobei nach diesem Verständnis Filme nicht nur visuelle und auditive Reize bereitstellen, sondern ebenfalls körperliche Empfindungen beinhalten. Filme könnten auch mit Intrusionen gleichgesetzt werden, also dem Erleben einer Erinnerung. Die psychotherapeutische Arbeit mit Ego-States unterscheidet sich deutlich von der Arbeit mit traumatischem Erinnerungsmaterial. Das hat große Vorteile. Beispielsweise kann ein Therapeut Kontakt zu einem traumatisierten Ego-State aufnehmen und beginnen, diesen zu unterstützen, oder den Patienten anleiten, dies zu tun, ohne dass der Ego-State die komplette traumatische Szene berichten muss, also ohne dass gleichzeitig eine komplette Konfrontation mit dem traumatischen Material stattfindet. Auf der einen Seite geht es um den Beziehungsaufbau und die Beziehungsgestaltung. Auf der anderen geht es um die Konfrontation mit traumatischem Material. Beides kann aufeinander abgestimmt werden. Es besteht die Möglichkeit, beides miteinander zu verweben, womit eine Gleichzeitigkeit der Prozesse realisiert wird. Nach Bedarf, das heißt entsprechend der Belastbarkeit des Patienten, können diese Prozesse auch getrennt voneinander umgesetzt werden. Beispielsweise geht das Kennenlernen des inneren Systems bei Patienten mit komplexen dissoziativen Symptomen der konfrontativen Bearbeitung von traumatischem Material meistens voraus. Die Konfrontation wird unter Einbeziehung der zur Verfügung stehenden Ego-States vorbereitet, was die Stabilität deutlich erhöht und den Erfolg der Konfrontation fördert.

3.7.3Phasenorientierte Behandlung

Das Behandlungskonzept folgt einem in der Traumabehandlung üblichen phasenorientierten Modell. Die einzelnen Phasen kommen zirkulär zur Anwendung und werden in ihrem Ausmaß an die Bedürfnisse der Patientin oder des Patienten angepasst. Die Phasen werden in die Behandlung integriert.

3.7.4Ego-State-Therapie als multimodales Modell

Zum Erreichen der verschiedenen Behandlungsschritte der Ego-State-Therapie werden unterschiedliche Techniken in den Behandlungsplan integriert. Diese sind häufig im Rahmen weiterer Therapieverfahren entwickelt worden, wie zum Beispiel der sokratische Dialog, der aus der Verhaltenstherapie stammt, oder das Titrieren aus dem Somatic Experiencing®. Teilweise handelt es sich um parallele Entwicklungen von Konzepten und Interventionen, für die eine Urheberschaft nur noch schwierig auszumachen ist.

Die Techniken dienen der Umsetzung konkreter therapeutischer Aufgaben. Sie werden in die Grundkonzeption der Ego-State-Therapie integriert. Maßgeblich ist die Behandlungsstrategie, die aus der theoretischen Konzeption der Ego-State-Therapie heraus abgeleitet und mittels verschiedener Techniken umgesetzt wird. Die Anwendung einer Technik aus einem anderen Therapieverfahren bedeutet nicht das Verlassen des zugrunde liegenden konzeptuellen Rahmens. Sie stellt die jeweils beste Möglichkeit für das Erreichen eines Teilziels in der Behandlung dar und wird in den Gesamtbehandlungsplan eingebettet.

3.7.5Integration von Wirkmechanismen

In die vorliegende Grundkonzeption werden die von Grawe (2005, S. 311 ff.) beschriebenen empirisch belegten Wirkfaktoren von Psychotherapie integriert. Die Gewichtung der Faktoren variiert von Fall zu Fall. Der Behandlungsplan umfasst die Arbeit auf den Ebenen:

1)der therapeutischen Beziehung – als Grundvoraussetzung für das Gelingen der therapeutischen Bemühungen

2)der Ressourcenaktivierung – für die Stabilisierung und Restabilisierung sowie für die Aktivierung und Nutzung des Ressourcenpotenzials der Patienten

3)der Problemaktualisierung – in Form der Fokussierung auf die Traumafolgesymptomatik sowie der Konfrontation mit traumatischem Material

4)der motivationalen Klärung – vor allem hinsichtlich erschwerender und aufrechterhaltender Faktoren der Persönlichkeit

5)der Problembewältigung – als Meisterung des traumatischen Materials, Überwindung der Traumafolgesymptome, Förderung von Selbstwirksamkeit sowie Integration der assoziierten Ego-States.

 

3.7.6Integration von verschiedenen Wahrnehmungsebenen und Verarbeitungswegen

Die Behandlung zeichnet sich durch die Einbeziehung möglichst vieler Wahrnehmungsebenen und der beiden Verarbeitungswege top-down und bottom-up aus. Die Techniken werden entsprechend ausgewählt und individuell gewichtet eingesetzt. Der Behandlungsplan sieht keine festgeschriebene Auswahl von Techniken vor, sondern folgt dem Prinzip der Arbeit auf mehreren Ebenen.

3.7.7Einbeziehung von mehreren spezifischen Strategieebenen

Die für die Behandlung von (komplexen) Traumafolgestörungen ausgewiesenen Strategien werden in das Grundkonzept integriert. Demnach stellt der derzeit am besten überprüfte Wirkfaktor Konfrontation/Exposition nur eine von mehreren Strategien dar. Die traumazentrierte Behandlung beinhaltet ebenfalls:

•die Förderung des Gegenwartbezuges einschließlich der Fertigkeiten der Stabilisierung und Affektregulation

•die Förderung des Selbstmanagements und der inneren Kommunikation

•die Bearbeitung emotionaler, somatischer und handlungsbezogener Reaktionen sowie dysfunktionaler Kognitionen

•das Versprachlichen von Erlebtem und dessen Integration in die Biografie

3.7.8Unterscheidung von Trauma und Traumamaterial

Wir bearbeiten in unserer Behandlung nicht Traumata, sondern Traumamaterial (Sack 2013, S. 2). Die Unterscheidung mag trivial erscheinen. Sie erinnert uns jedoch daran, dass wir mit dem Material bzw. den Symptomen arbeiten, die sich infolge einer (komplexen) Traumatisierung entwickelt haben. Das Trauma und seine Folgen sind nicht identisch. Menschen, die von einem Flashback überflutet werden, können identische Zustände erleben, also die gleichen, die sie auch in der traumatischen Situation erlebt haben. Sie erleben das Flashback als traumatisch oder traumatisierend. Trotzdem ist das Flashback eine Folge des Traumas. Die Betroffenen können natürlich in einen Kreislauf der Angst vor erneuten traumatischen Erfahrungen geraten, die beispielsweise durch unkontrollierbare Flashbacks ausgelöst werden. Sie können zudem real retraumatisiert oder erneut traumatisiert werden. Auch in diesen Fällen ist die Unterscheidung von Trauma und Traumafolge für die Behandlung wichtig. Der erste Schritt und eine Grundvoraussetzung für die Bearbeitung von Traumafolgen besteht demnach aus der Schaffung und Aufrechterhaltung von Sicherheit. Erst dann ist die weitere Bearbeitung möglich.

3.7.9Demut

Demut bedeutet für mich unter anderem die Akzeptanz des Nichtwissens, die Unvermeidbarkeit von Fehlern und die Begrenztheit des Verstehens und Begreifens. Damit sind keine Alibis für Behandlungsfehler gemeint, sondern die Tatsache, dass es mir unmöglich erscheint, alle mir theoretisch zugänglichen Aspekte, Fakten, Daten und Empfehlungen einer fundierten traumatherapeutischen Behandlung jederzeit zur Verfügung zu haben und einbeziehen zu können. Die irrige Überzeugung, nun endlich zu wissen, wie Psychotherapie wirklich funktioniert, ist mir aus meiner eigenen Laufbahn bekannt. Glücklicherweise haben mir meine Patientinnen und Patienten diese etwas riskante Haltung verziehen. Mit der Zeit lernte ich vor allem, wie viel ich nicht weiß. Ich lernte, dass es unmöglich ist, die Hilflosigkeit, den Selbstzweifel und die eigenen Begrenzungen für immer zu überwinden. Besonders eindrücklich sind für mich die Therapiestunden, die an Arbeitstagen jeweils im Anschluss an Seminare oder Tagungen stattfanden, auf denen ich »siegessicher« mein Konzept vorstellte, das mir dann in der Praxis von manchen Patienten förmlich um die Ohren gehauen wurde oder zumindest die klare Botschaft nach sich zog, dass es so einfach nicht geht. Ich lernte, dass ich am meisten von meinen Patientinnen und Patienten lerne. (Dabei helfen mir meine theoretischen Kenntnisse und konzeptionellen Ableitungen allerdings sehr.)

Die Demut bezieht sich auch auf das unbeschreibliche Leid der Patientinnen und Patienten. Wir versuchen, das Unbeschreibliche, Unaussprechliche, Unfassbare in Worte zu fassen und dem Körper die Möglichkeit zu geben, sich davon zu erholen. Ebenso unfassbar erscheinen häufig auch die Kraft, die Kreativität und die Hoffnung vieler Patientinnen und Patienten, die angesichts des nur schwer zu begreifenden Leids nicht aufgeben, sondern nach Wegen zurück ins Leben suchen. Ihnen gilt meine Hochachtung.

3.7.10Humanistisches Menschenbild

Die Grundlage meiner therapeutischen Arbeit bildet ein humanistisches Menschenbild. Ich kann dies für mich selbst festlegen, möchte es jedoch nicht propagieren, sondern Sie dazu einladen, sich über Ihr eigenes Menschenbild Gedanken zu machen, das Ihre therapeutische Arbeit prägt. Es hat starke Auswirkungen auf die Art und Weise wie ich mit anderen Menschen in Kontakt trete und therapeutische Beziehungen gestalte. Es lohnt sich sehr, sich damit zu beschäftigen.

3.7.11Wissenschafts-Praxis-Problem

An dieser Stelle soll auf eine Problematik aufmerksam gemacht werden, die sich durch die hiesige therapeutische Landschaft zieht und nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Behandlungspraxis hat. Wir finden zumindest im deutschsprachigen Raum zwei parallele Welten: die Welt der wissenschaftlichen, evidenzbasierten Psychotherapie sowie die Welt der Praxis. Die Beziehungen dieser beiden Welten zueinander sind alles andere als glücklich. Die Wissenschaft genießt hohes Ansehen und stellt Studienergebnisse zur Verfügung, die dem hohen akademischen Standard genügen und sich damit selbstbewusst ausweisen. Dagegen wäre dann also nichts mehr einzuwenden. Die Praktikerinnen und Praktiker versuchen nun, die gut abgesicherten Ergebnisse und Behandlungsempfehlungen in ihre Arbeit einfließen zu lassen. Sie staunen häufig darüber, wie schwierig diese Umsetzung ausfällt und zweifeln teilweise an ihrer Kompetenz. Leider erleben wir hier eine Art Einbahnstraßensystem. Aus den Universitäten strömen immer neue Ergebnisse und Empfehlungen in Richtung Praxis. Das ist auch gut so. Andererseits werden offensichtlich kaum Rückmeldungen aus der Praxis in die Forschungsprojekte aufgenommen, d.h., es fließt kaum etwas zurück. Die Schwierigkeiten in den Praxen scheinen weit entfernt zu sein von den selektiven Bedingungen der Forschung. Wenn beispielsweise die S3-Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung (Flatten et al. 2011, S. 206) die relativen Kontraindikationen für traumabearbeitende Verfahren auflistet (mangelnde Affekttoleranz, anhaltende schwere Dissoziationsneigung, unkontrolliert autoaggressives Verhalten, mangelnde Distanzierungsfähigkeit zum traumatischen Ereignis sowie akute psychosoziale und körperliche Belastung), dann könnten sich viele Praktikerinnen und Praktiker fragen, woher sie denn die Patientinnen und Patienten nehmen sollen, bei denen diese Faktoren ausgeschlossen werden können, und was sie mit den anderen tun sollen, die einen oder mehrere der Faktoren erfüllen. Häufig sprechen wir über unterschiedliche Betroffene. Besonders im Hinblick auf Menschen mit komplexen Traumafolgestörungen fallen die Ergebnisse und die Empfehlungen von akademischer Seite uneinheitlich aus (Hecker u. Maercker 2015, S. 557). Praktikerinnen und Praktiker realisieren Behandlungen, in denen diese unterschiedlichen Empfehlungen Berücksichtigung finden. Sie realisieren integrative Behandlungen.

Neben dem aus meiner Sicht unzureichenden Austausch zwischen Wissenschaftlern und Praktikern zeigt sich das Problem der unterschiedlichen Patientengruppen. Betrachtet man die Leistung, die Traumatherapeutinnen und Traumatherapeuten in ihren Praxen in der Behandlung von teilweise schwer belasteten Patientinnen und Patienten täglich erbringen und die mittels integrativen Ansätzen häufig Erfolg zu haben scheint, könnte man neben die akademische evidenzbasierte Perspektive eine gleichberechtigte und ernst zu nehmende praxisbasierte Perspektive stellen. Für ein umfassendes Modell der Behandlung von Traumafolgestörungen braucht es einen echten Austausch, der das Einfließenlassen von Impulsen und Vorschlägen von beiden Seiten erlaubt. Integrative Behandlungen mit instabilen Patientinnen und Patienten lassen sich nur schwer quantitativ untersuchen. Doch genau diese finden häufig in den Praxen statt. Es fehlen hier unter anderem qualitative Forschungsansätze, die leider derzeit anachronistisch erscheinen, die jedoch einen hohen Wert für die Verbesserung von Behandlungen von Traumafolgestörungen besitzen.

Teil 2 – Behandlung

4Grundkonzeption der Ego-State-Therapie zur Behandlung von Traumafolgestörungen

Im zweiten Teil des Buches wird die Behandlung von Traumafolgestörungen mithilfe der Ego-State-Therapie vorgestellt und erläutert. Die Basis bildet eine Grundkonzeption, in der Behandlungsschritte und Interventionen unterschieden werden. Die Behandlungsschritte werden in Tab. 11 aufgeführt.

Die therapeutische Umsetzung dieser Behandlungsschritte wird anschließend anhand der Vermittlung von fünf verschiedenen Interventionen vertieft. Diese bilden eine Auswahl an Interventionen der Ego-State-Therapie, die sich für die Behandlung von Traumafolgestörungen besonders eignen. Sie sind nicht als starre Behandlungsmanuale zu verstehen, sondern werden an die Besonderheiten eines jeden Behandlungsfalls angepasst.

Die Grundkonzeption stellt den strategischen Rahmen für die Anwendung der Interventionen dar.

Sie bildet die Gesamtheit bzw. ein Repertoire der infrage kommenden Behandlungsschritte, ähnlich einem Pool, aus dem einzelne Bausteine ausgewählt und zu einem individuellen Behandlungsplan zusammengefügt werden. Die Behandlungsschritte sind abhängig von der Indikation sowie den ausgewählten Interventionen.

Im Rahmen der Behandlung von Traumafolgestörungen mit Ego-State-Therapie lassen sich folgende traumafokussierte Interventionen einsetzen:

a)Arbeit mit einer inneren Reise

b)Arbeit mit der Metapher der inneren Bibliothek

c)Arbeit mit der Affektbrücke bzw. der somatischen Brücke

d)Arbeit an einem inneren Treffpunkt / alternativ: Stühle-Arbeit

e)Assoziative körperfokussierte Arbeit

Die Grundkonzeption der Behandlung von Traumafolgestörungen mit Ego-State-Therapie wird dann in Kap. 8 ausführlich anhand der Intervention Arbeit mit der inneren Reise erläutert und durch ein Fallbeispiel illustriert. Anschließend werden Alternativen in Form weiterer Interventionen vorgestellt, die sich ebenso als Kombinationen eignen (Kapitel 9–12).

Jede Intervention kann in zwei Varianten durchgeführt werden. Für diese sind zum einen das Bewusstsein sowie die Möglichkeit der Versprachlichung des zu bearbeitenden traumatischen Materials und zum anderen die vorliegende Traumafolgesymptomatik relevant. Bei manchen komplextraumatisierten Patienten schließt die Traumafolgesymptomatik ein, dass zunächst keine oder nicht alle Traumata bewusst erinnert bzw. versprachlicht werden können. In diesen Fällen wird nicht primär mit der Konfrontation mit traumatischem Material gearbeitet, sondern mit dem Beschwerdebild der Patienten wie beispielsweise Ängsten, Bedrohungserleben, körperlichen Symptomen, Fluchtimpulsen oder Erstarrungszuständen sowie mit traumaassoziierten Ego-States.

Die beiden Varianten sind in Tab. 9 und Tab. 10 aufgeführt.


Variante A
Das zu bearbeitende traumatische Material ist bekannt, also der Patientin bewusst und zugänglich und es kann versprachlicht werden. Die Intervention fokussiert auf dieses Material sowie auf die damit assoziierten Ego-States. In diesen Fällen wird vorrangig mit folgenden Interventionen gearbeitet:
•Innere Reise (Kapitel 8) •Metapher der inneren Bibliothek (Kapitel 9) •Arbeit mit einem inneren Treffpunkt / alternativ: Stühle-Arbeit (Kapitel 11) •Assoziativ-körperfokussierte Arbeit (Kapitel 12)

Tab. 9: Traumafokussiertes Vorgehen bei Traumatisierungen, die bekannt sind und versprachlicht werden können

 

Variante B
Das zu bearbeitende traumatische Material ist nicht bekannt, erscheint diffus oder nur sehr eingeschränkt zugänglich oder kann nicht versprachlicht werden. Die Intervention nimmt die Traumafolgesymptomatik sowie assoziierte Ego-States als Ausgangspunkt und bewegt sich in Richtung des traumatischen Erinnerungsmaterials, das erst durch die Intervention bewusst wird. In diesen Fällen wird vorrangig mit folgenden Interventionen gearbeitet:
•Affekt- und somatische Brücke (Kapitel 10) •Arbeit mit einem inneren Treffpunkt / alternativ: Stühle-Arbeit (Kapitel 11) •Assoziativ-körperfokussierte Arbeit (Kapitel 12)

Tab. 10: Traumafokussiertes Vorgehen bei Traumatisierungen, die nicht bekannt sind bzw. nicht versprachlicht werden können

Für die Behandlungsschritte und Interventionen sind folgende Grundannahmen definiert:

•Die Behandlungsschritte variieren je nach Auswahl einer Intervention. Sie werden je nach Indikation eingesetzt und unterschiedlich gewichtet.

•Der gegenwärtige Zustand sowie die Belastbarkeit der Patientin oder des Patienten sind ausschlaggebend für jeden Behandlungsschritt.

•Die Behandlungsschritte folgen dem konzeptuellen Ansatz eines umfassenden Behandlungsplanes. Sie werden zirkulär durchlaufen, das heißt, dass keine feste Reihenfolge besteht. Je nach Störungsbild und Einzelfall wird eine veränderte Reihenfolge realisiert.

•Die Behandlungsschritte können jeweils einmal oder mehrfach durchgeführt werden. Teilweise kann auf sie verzichtet werden.

•Die therapeutische Beziehung und die therapeutische Haltung werden nicht als einzelne Behandlungsschritte konzipiert. Dies betrifft ihren Stellenwert innerhalb der traumafokussierten Arbeit mit der Ego-State-Therapie sowie ihre Wirksamkeit bei der Heilung von Traumafolgestörungen. Sie prägen die gesamte Therapie und spielen in sämtlichen Behandlungsschritten eine tragende Rolle.

Die Grundkonzeption der Behandlung von Traumafolgestörungen mit Ego-State-Therapie sieht elf Behandlungsschritte vor, die in Tab. 11 dargestellt werden.

Die therapeutische Beziehung und therapeutische Haltung sind in die Behandlungsschritte integriert und aus diesem Grund hier mit aufgeführt. Sie werden in Kapitel 5 gesondert vorgestellt.


Grundkonzeption der Behandlung von Traumafolgestörungen mit Ego-State-Therapie
Therapeutische Beziehung und therapeutische Haltung
Therapeutische Beziehung und therapeutische Haltung als wichtiger therapiebegleitender Wirkfaktor (siehe Kap. 5)
Behandlungsschritte zu Beginn der traumafokussierten Arbeit
1.Vorbereitung und Stabilisierung 2.Zugang zu traumatischem Erinnerungsmaterial sowie zu traumaassoziierten Ego-States
Behandlungsschritte der Konfrontation mit und Bearbeitung von traumatischem Material
3.Konfrontation mit sowie Durcharbeiten von traumatischem Erinnerungsmaterial 4.Kreative Bearbeitung von traumatischem Erinnerungsmaterial zum Nachholen von Ausgebliebenem 5.Imaginative Täterkonfrontation
Behandlungsschritte der Arbeit mit traumaassoziierten Ego-States
6.Einbeziehung von grundsätzlich ressourcenreichen Ego-States 7.Beziehungsbildung mit traumatisierten Ego-States sowie deren Unterstützung 8.Beziehungsbildung und Arbeit mit destruktiv wirkenden bewältigenden (traumakompensatorischen) Ego-States 9.Entwickeln von neuen Beziehungen, neuem Ko-Bewusstsein, neuer Kooperation, neuen Strategien und neuen Fertigkeiten
Begleitende zusätzliche Behandlungsschritte sowie integrierende Behandlungsschritte
10.Arbeit mit: Würdigung, Trauer, Schuld, Scham, Selbstbild, Werten, Identität 11.Verankerung, Nachhaltigkeit, Integration und posttraumatisches Wachstum

Tab. 11: Grundkonzeption der Behandlung von Traumafolgestörungen mit Ego-State-Therapie

Die Behandlungsschritte lassen sich den im ersten Teil des Buches diskutierten Wirkfaktoren psychotraumatologischer Behandlungen zuordnen (vgl. Abschnitt 2.5):

•Die Schritte 1 und 2 stellen Interventionen dar, die den Behandlungsbeginn charakterisieren und die der Stabilisierung, Restabilisierung und dem Zugang zu Ego-States sowie zu traumatischem Material dienen.

•Die Schritte 3 bis 5 fokussieren auf die Konfrontation mit traumatischem Material sowie dessen Bearbeitung. Für die Konfrontation werden Ego-States genutzt.

•Die Schritte 6 bis 9 fokussieren auf die Arbeit mit traumaassoziierten Ego-States. Dazu gehören traumatisierte Ego-States, destruktiv wirkende bewältigende Ego-States sowie grundsätzlich ressourcenreiche Ego-States.

•In den Schritten 10 und 11 werden verschiedene Aspekte zusammengefasst, wie die Thematik der Würdigung, spezielle Themen wie Schuld, Scham und Trauer, Fragen der Fähigkeit, einzelne Fortschritte zu integrieren, und Fragen der Nachhaltigkeit sowie des posttraumatischen Wachstums. Sie begleiten teilweise die gesamte Behandlung und lassen sich nicht immer nur auf einen einzelnen Behandlungsschritt reduzieren. Andererseits werden sie konkret bearbeitet und finden somit einen festen Platz im Behandlungsplan.

To koniec darmowego fragmentu. Czy chcesz czytać dalej?