Das perfekte Wirtshaus

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132 Dreier

Breiter könnte das Grinsen kaum sein, das M. A. Numminen, hinter einem Billardtisch stehend, zur Schau trägt. Ehrlicher könnte es auch nicht sein. Der »Helge Schneider von Finnland« (SWR), studierter Philosoph und Soziologe, Musiker, Entertainer und Autor, ist, davon durfte ich mich mal einen ganzen Tag lang persönlich überzeugen, ein grundsympathischer, sanftmütiger und an praktisch allen Dingen der Menschenwelt interessierter Komiker. Jede Bosheit, jeder Anflug von Misanthropie scheint ihm fern.

Hier, auf dem Umschlagphoto des endlich auf deutsch erschienenen Buches Der Kneipenmann (Frankfurt/Main 2003), sehen wir jenen Schelm, der nicht nur in Finnland durch eine gnadenlos virtuose Wittgenstein-Suite (jetzt unter dem Titel Numminen sings Wittgenstein ebenfalls bei Zweitausendeins erhältlich) oder den Roman Tango ist meine Leidenschaft zu Ruhm gelangte. Und wir sehen ihn dort, wo er sich offenbar am liebsten rumtreibt: in einer typischen finnischen Bierbar, in der seit 1969, anders als in Norwegen und Schweden, das sogenannte Dreierbier ausgeschenkt werden darf.

Das Dreier hat einen Alkoholgehalt von 4,5%, und es wird von all jenen verschmäht, die meinen, etwas Besseres zu sein, und daher Wein und Starkbier saufen. Numminen hingegen schätzt die kleinen Leute, die Arbeiter, Arbeitslosen und Rentner, die die Dreierbars bevölkern. Deshalb unternahm er eine 20.000 Kilometer lange Exkursion durchs ganze Land und machte sämtlichen 350 finnischen Bierschenken seine Aufwartung.

132 von ihnen widmet sich sein von zärtlicher Anteilnahme und humanem Wohlgefühl durchwehter Bericht. So knapp die Texte gehalten sind, so erwärmend wahrhaftig wirken die Protokolle der teils konfusen, teils anheimelnden Gespräche zwischen Menschen, die in Tankstellenbars und Lokalitäten von fürchterlichem finnischen Aussehen und mit Namen wie Jungrentierbulle oder Himmel-Wald-Einöde einfach schön trinken und sich etwas erzählen.

Numminens soziologische Aufmerksamkeit und sein unermüdlicher Drang auf der Jagd nach der »eisernen Reserve« – Kaffee, Krapfen und Bier – lassen ihn hier nicht so sehr als »anarcho-dadaistisches Gesamtkunstwerk« (Berliner Zeitung) auflaufen, sondern als Parteigänger der staatsfernen Schwadroneure, Kommunisten und Gescheiterten. Und obschon es zu slapstickartigen Situationen kommt (Numminen hobelt trotz schier berstender Blase zunächst ein weiteres Dreier runter, weil er die Schwemmentoilette nicht aufsuchen will, ohne dem Wirt vorher einen anständigen Obolus entrichtet zu haben), enden viele der Geschichten ohne falschen Pointenhackerhabitus, nämlich zum Beispiel vorbildlich so: »Numminen trinkt seinen Krug aus und schiebt eine Pastille hinterher.« Respektive »ein paar Flaschen Dreierbier als Sedativ«. Denn »Numminen trinkt Bier und überläßt sich seinen Gedanken.«

Das genügt.

Blond und blau

Wenn die Schönheit nach der aristotelischen Einheitslehre eine Handlung, einen Ort und eine Zeit braucht, um als solche wirklich zu werden und wahrlich eine wahre Schönheit zu sein, die unser Gemüt läutert und gegebenenfalls, was noch besser wäre, aufreizt und anheizt – dann muß sie, die Schönheit, sich eigentlich nur in den Odenwald begeben oder, das stimmt vielleicht eher, ebenda gewissermaßen ereignen.

Ein ordentlicher, plausibler sommerlicher Landregen näßt Wiesen, Buschgruppen und Laubwälder, und dort, wo der Odenwald am einleuchtendsten ist, mittendrin und rund um den in seiner bayerischen Variante abscheulichen, hier aber durchaus begrüßenswerten Ort Fürth, dehnt sich danach auch der Himmel besonders weich und wolkenverspielt und läßt sein gelbes Licht gutmütig über die Gräser streichen.

Eine Zeit hätten wir also, den Frühsommer mit seinen angenehm frotzeligen Wetterverhältnissen. Wie halten wir es mit dem Ort im engeren »Sinn« (G. Schröder)? Da greifen wir nicht ganz zufällig das Gasthaus Eselsmühle am Ortseingang von Fürth-Ellenbach heraus. Die Wiese hinter der 1998 eröffneten Gaststätte weitet sich schon unglaubhaft herrlich in den Odenwälder Naturraum hinein, der Schlierbach mit quasi direktem Meeranschluß via Rhein und sonstige Gewässer gluckert durch die Gegend, und auf der Terrasse imponiert eine synästhetisch hochkorrekte Ansammlung wasserblauer Stühle und Sonnenschirme (inklusive Regenabweiserfunktion).

Wer handelt nun da – und wie? Es sind dies Gine und Hajo Becke, die die ehemalige Ölmühle, die vor geraumer Zeit durch einen seitens des Müllers inständig und ganztägig praktizierten Verzehr alkoholischer Waren »die Bachgass’ runtergegangen« war, zum makroregionalen In- und Outdoor-Place und Meeting-Point Nummer eins um- und ausgebaut haben. Der Zappa-Plattenhorter und -hörer bäckt selber Sauerteigbrot, und zusammen mit seiner Frau verantwortet er einen mörderischen Kochkäse (den man übers Schnitzel gieße!) sowie eine schwerlich überschaubare Palette zum Teil balinesisch veredelter HiFi-Gerichte, etwa eine Hühnerbrust in »Kokosnußcurryzitronengrascurcumatamarindensauce«. Im übrigen, Hajo Becke besteht darauf, das kurz zu erwähnen, führe man auch »eine Tasse Kaffee« – nebst, ergänzen wir gern, über hundert Single Malts, einem pfälzischen Vizeweltmeisterwein halbtrocken, Grappas von Nonine und Ludwigshafener Mayer-Bier, das der alte Esel Dr. Kohl weder in seiner behämmerten Geburts- und Wohnstadt noch, Gott sei gepriesen, im indonesisch-modern eingerichteten Gastraum der Eselsmühle verdrückt.

Draußen quaken und hantieren rund um eine gravitätische Linde diverse Senioren- und Familientrupps, gemischte Zusammenkünftler und anderweitige Einzelgestalten herum; und eine blonde Bedienung, die unzweifelhaft schönste Frau im Odenwälder Verzahnungsgebiet Bayern/Baden-Württemberg/Hessen.

»Hier ist es immer so ekelhaft entspannt«, meint ein Stammgast. »Blau, blau, blau ist der Sonnenschirm«, rumpelt derweil das unter Zugabe eines Haselnußgeistes oder eines Zitronenbirnenbrandes gentil wegrutschende Hirn, ja, »blau, blau, blau blüht die Bierblume, holdiglich hell, olé!«

Terrassiertes Terrain

Für den automobil Herumreisenden in Sachen Wirtshauswesen dürfte es sich prinzipiell schicken, südwestlich von Würzburg über die Siegfriedstraße einen neuerlichen und hartnäckigen, ja verbohrt erfolgsverliebten Auffindungsversuch zu unternehmen, einen weniger strategisch angelegten als eher der sommerlichen Free-Mind-Gesinnung und also Aleatorik gehorchenden Erkundungsversuch, der zwar nicht Großrinderfeld oder Tauberbischofsheim, aber dann bereits Königheim, Schweinberg oder – in harter Annäherung an den Odenwald vom Bayerischen her, das hier mit seinen weiten Weizen- und Gerstenfeldern fast ein bißchen amerikanisch anmutet – schließlich das einstige Limes-Städtchen Walldürn zum Ziel hat; respektive Schneeberg vor Amorbach, der bloßen namensmagischen Erfrischungsversprechen in jederlei Beziehung wegen.

Und weil die Sätze, insbesondere nach langer Fahrt, auch mal kürzer sein können, kommt jetzt ein ziemlich kurzer: Realiter fündig wird man wirtshausspezifisch in Boxbrunn. Erst. Das mag an der Abschottung der in Bayern gewöhnlich von Umgehungsstraßen großzügig umgürtelten Landortschaften liegen, was dem Fremden das Vordringen in Gasträume welcher Art auch immer nicht unbedingt erleichtert, beziehungsweise und folglich daran, daß der Bayerische Hof in Boxbrunn direkt an der B 47, der Nibelungenstraße, herumsteht, im Grenzgebiet des Bayerischen Odenwaldes, vermutlich sogar exakt zwischen Amorbach und Michelstadt, aber das müssen andere ausmessen.

Da liegt er halt, der Bayerische Hof. Man bremst, man parkt vor dem Haus, und man sitzt im Biergarten, allein, in einem Straßengarten an einem Samstagspätnachmittag, auf einem schlicht terrassierten Terrain. Sechs Tische, Gartenstühle, Sonnenschirme. Feierabend. Das reicht. Mehr braucht der Mensch »eigentlich« (K. Rehse) nicht.

Das Landstraßenlokal ist eine unterschätzte Variante des Wirtshauswesens. Früher diente es allen möglichen Hand- und Fuhrwerkern, die dahergewalzt kamen, heute dient es, wie im Bayerischen Hof, ein paar Mittagstischgästen, den Wanderern, den sonstwie motivierten Umherziehenden und Genossen unserer Sorte, die eine durch und durch altmodische Rast einlegen wollen.

Ich schätze diesen unterschätzten Typus des Gasthauses sehr. Das Landstraßenlokal entfaltet als Mischkonzept für eine Gesinnung zwischen Modernität, vulgo Mobilität, und Ausharrungsvermögen, als Mixtur aus Komplettruhe und intermediärem Zivilisationsstraßensound, als Agora der vita contemplativa und vita activa vital pur eine eigensinnig spröde Idyllik. Oft genügt da ein eher schäbiger Verschlag im Hunsrück oder ein Snackpoint in der Eifel.

Ideal getroffen hat man es allerdings im Bayerischen Hof, der seit 1880 von der Familie Hilbert geführt wird und neben dem – leider nicht bekiesten – Biergarten ein Gästehaus, eine souveräne Küche, einen grandiosen alten Wirtssaal und personalseits eine geradezu fundamentale Freundlichkeit in die Gunstschale wirft. Meine Zeugen sind, das Gästebuch verrät es, u. a. Rudolf Schock, Marie-Luise Marjan, Piet Krüger (zweimal), Miss Germany Anke S. und eine Abordnung der World Disco Queen Corporation.

Unterdessen rutscht die Sonne wieder durch Faser- und gestreifte Lappenwolken. Apfel-, Birn- und Nußbäume säumen die Wiesen. Am Horizont steht der Wald. Meine Bachstelze, eben noch durch einen kecken Hüpfer vor dem nahen Unfalltod bewahrt, wippt nun interessiert über den Mittelstreifen der kerzengeraden Straße. Im Kopf macht sich längst ein angenehm sachter Schwurbel und Schwabbel breit. Aha, ein Auto! denkt man, und schon fliegt die Fliege in die Fränkische Grünkernsuppe.

 

Es grillt, es zirpt. Ein tastender Wind haucht über die Anhöhe, ungezwungen zeigt sich das nächste Getränk, gelb wie der Geruch des Sommers. Nach Mockmühl will ich aber auch mal.

Faßbrause und Kühlungsbräu

Daß peu à peu immer mehr Bierführer erscheinen, ist das schlechteste nicht. Die Erweiterung des Gesichtskreises und der Abbau von Ignoranz können gerade den zu unsinniger Treue zum Supermarktbier neigenden Biertrinkern nicht schaden. Gose, Schwarzes, Kombinate – Die Biere des Ostens (Hamburg 2004) erschließt dem Neugierigen jenes Terrain, das nach 1990 von diversen westdeutschen Bierriesen zwangsflurbereinigt worden war und auf dem seit einigen Jahren eine stetig wachsende Zahl wiederbelebter oder neugegründeter Kleinbrauereien den geschmacklichen Verheerungen der Premiumbierseuche zu wehren versucht.

Exakt hundert Brauereien stellt das – und hier deutet sich das Unheil aber leider schon wieder an – vom Deutschen Brauer-Bund gesponserte Buch vor. Zwei ungenießbare Lobbyistenvorworte überschütten einen sogleich mit Phrasen aus dem Reich der Schönfärberei. Die Anfahrtsbeschreibungen jedoch sind übersichtlich, das Register ist brauchbar, die Karte auf den Innenklappen bietet einen guten Überblick, auch wenn man das brandenburgische Warnitz, wo im Gasthof Deutsche Eiche eigenständig gebraut wird, vergeblich sucht. Die Schilderungen umliegender Sehenswürdigkeiten laden zu bierunabhängigen Exkursionen ein, obschon die »Straße der Romantik« eher die »Straße der Romanik« ist, wie der auf den Osten spezialisierte Bierkundler Stefan Rehse zu Recht anmerkt. Zudem darf man sich fragen, weshalb die Ausflugstips in einem eklatanten Mißverhältnis zu den Biercharakterisierungen stehen.

Für viele der im Osten beheimateten Biere, darunter die weizenbierähnliche Gose und die traditionellen Schwarzbiere, fehlen schlicht die Worte. Man erfährt nichts über sie. Im Gegenzug wird der Leser seitenlang mit einer Brauerlyrik eingeseift, in der sich die »urige Gaststube« auf den »rustikalen Biergarten« reimt, garniert mit einem Werbeslang, der eine »Eventlocation« anzupreisen weiß, obwohl es sich um die Stralsunder Brauerei handelt.

Mögen auch die Ausführungen zur Geschichte der Brauhäuser durch ihre Genauigkeit überzeugen, sobald es doch mal um den Geschmack der Produkte geht, ergreifen Hopfen und Malz die Flucht. Da ist dann zuverlässig nichtssagend von »herb-spritzig«, »süffig-herzhaft«, »kräftig-würzig« oder »vollmundig-aromatisch« die Rede, und reicht es gelegentlich zu mehr als zum lästigen PR-Deutsch des Brauer-Bundes, dreht es einem spätestens bei der »Faßbrause« oder beim »leckeren Kühlungsbräu«, was immer das sein soll, die Zunge um – respektive bei einem solchen Satz: »Der cremige Schaum ist genau das Richtige für liebliche Zungen.«

Daß sich die zweifelhaften Biermixer der Klosterbrauerei Neuzelle eines vom Geschäftsführer verfaßten Gastbeitrages über sein ureigenes »Anti-Aging-Bier« erfreuen dürfen, erklärt der Werbeeinsatz des Hauses auf der Rückseite des Buches. Stefan Rehse gesteht anläßlich dieses unschätzbaren Elaborats: »Ich hätte mich entleiben können.« Zum Glück hat er’s nicht getan und kann deshalb darauf hinweisen, daß in Die Biere des Ostens diverse Brauereien schmerzlich vermißt werden: das Altstadtbrauhaus zu Bautzen zum Beispiel, der Stadtkrug in Schwerin, die Hausbrauerei Am Anger und Schwanenbräu in Erfurt oder die Demmert Brauerei aus Neuendorf bei Klötze, der pferdefreundlichsten Stadt Deutschlands.

Allein, der Kardinalfehler ist die klägliche Erwähnung der Museumsbrauerei Schmitt in Singen. Wer deren sagenhaftes Export nicht feiert, darf nicht mitreden. Im übrigen schreibt er gewissermaßen selbstentlarvend ins Vorwort hinein, es gebe »auch Brauereien, die nicht in dieser Form an die Öffentlichkeit treten wollten«. Verstehen kann man das. Gewünscht hätte man es sich vor allem im Fall der Berliner Bruchbuden und der Hasseröder Brauerei. Zu denen sollte niemand hinwollen, es sei denn, er ist suizidentschlossen.

Krug und Kruzifix

So geht das. Mit der Karre hochbrettern. Im BMW, 353 PS. Und einen Fahrer haben. Der dann ein Cola trinkt. Vielleicht. Und jetzt aber erst mal die Mannschaft hochbringt. Damit sie bloß nicht laufen muß. Auf den Kreuzberg in der Bayerischen Rhön, nicht weit von Fulda (Dyba sel.), östlich von Wildflecken.

928 Meter hoch. Das packt ohne Pkw (BMW) keiner. Es sei denn, er ist Wanderer. Am Tisch wird das bestätigt. Man fährt. Der Hochrhönbus fährt, und irgendein Fred fährt auch. Ein Fred, der einen hochbringt, zum Bier bringt und wieder wegbringt. »So wird das gemacht, das ist schön«, sagt die Dame und hebt die Maß.

Der Kreuzberg, zusammen mit der ebenso hohen Dammersfeldkuppe (ein Name, den man sich unbedingt merken sollte) der zweithöchste Berg der Rhön, liegt auf der Rhein-Weser-Wasserscheide. Deshalb regnet es hier immer. Meistens. Manchmal. Zumindest, wenn die Mannschaft kommt. Die Mannschaft: Herr L., Herr T. und Herr R. Herr L. ist der Fahrer – L. wie Loser.

Spätsommer und Dauerregen, das ist Deutschland. Das ist der Kreuzberg. Unbeeindruckt walzen Millionen den Berg hinauf. Fluten die Parkplätze, überschwemmen den Vorplatz, drängen zur Würstlbude, entern den Klosterhof, belagern nasse Bierbänke, umstellt von grauschwarzen, groben Basaltmauern. Feucht pappen die Kleider. Das Bier fließt. Ein Geschrei findet statt. Kalt ist der Arsch.

Die Wallfahrts- und Klosterkirche, hoch droben über Buchenwäldern, Basaltkuppen, Mooren und Bergmatten thront sie treulich, beherbergt seit dem 17. Jahrhundert Mönche des Bettelordens der Franziskaner. Seit 1731 betreiben sie eine eigene, gerühmte Brauerei. Das ist ein Argument. »Ein endloser Zug« nach dem anderen, so Kardinal Faulhaber (1901), schiebt sich vorwärts und hinzu zur Tränke, zum Ausschank, dem heiligen, hin »zum Krug« (Faulhaber), o Kruzifix.

Vier, fünf, sieben Wirtsräume. Alle brechend voll. Im Zentrum der reihum angeordneten Stuben die Schank. Stimmung in den Gängen wie im Stehimbiß um halb neun. Tonkrüge, tonales Mischmasch, Rucksäcke, manch ein Sackgesicht. Blechern tönt durch Lautsprecher: »Eine Damenuhr wurde gefunden. Sie kann an der Pforte abgeholt werden.«

Es gibt eine Nichtraucherstube. Im »Fürstensaal«, einem Raucherparadies ohne geöffnetes Fenster, findet die Mannschaft endlich Platz. Direkt am Eingang. Denn am Nebentisch will man nicht, daß geraucht wird. Also darf man nicht Platz nehmen. Man darf aber drei Nichtraucherstühle mitnehmen und sich in den Durchzug setzen. Das ist erlaubt. Seitens der Nichtraucher.

Sekündlich geht die Tür. Auf und zu. »Was hier weggesoffen wird«, sagt Herr L. und verlacht sein Cola. Tabletts fliegen durch die Luft, Tabletts aus der Kantine, in der ein höllisches Geschiebe herrscht, als gäbe es was umsonst. Außer dem Glauben.

»Wenn der Islamist hier tätig würde, er würde den Nerv des Abendlandes treffen«, sinniert Herr L. Herr R. betreibt Studien über die Möglichkeiten, verschiedene Arten von Durchzug zu beschreiben. Herr T. hat seine dunkle Maßpremiere. Die Brezeln sind kroß und gut wie nirgendwo sonst. Bald wird jemand von einem Tablett erschlagen. Schnaps und mitgebrachte Speisen sind verboten.

Dicke Frauen, mitteldicke Männer, dünne Damen, Schweinsbratenbäuche, Fräuleinwunder. Die Räume sind karg, die Tischdecken gemustert, die Pegel steigend. Draußen versinkt die Welt im Nebel, es ist Ende August.

Herr T. kommt sich vor »wie in einem Hörspiel von Eugen Egner«. Herr L. erzählt, zurückgekehrt von draußen, die Pilger seien da. Am Bus spiele man Kirchenlieder. Mit der Blaskapelle. Zutritt zum Antonius-Bau »nur für Pilger«. Eine Nonne trinkt unter den Weltlichen. Durchsage: »Sehr verehrte Wallfahrer, um 21.15 Uhr findet in der Kapelle ein Couplet statt.« Das hört man doch gern.

Um 20 Uhr soll Schluß sein, Pfandrückgabe (3 €) ist bis 21 Uhr möglich. Um 22 Uhr sind alle voll. »Singen und Gegröle«, per Anschlag untersagt, »da wir kein Festzelt oder eine derartige Einrichtung sind«, hie und da und überall. So langsam, so sicher sitzt man jetzt endlich im nahezu perfekten Wirtshaus. So geht das. Im Grunde. Vielleicht. O doch. Wir denken weiter drüber nach.

Frikadellengrünfrüchteensemble

Weil einem in der bahnhofsnahen Frankfurter Totallokalität Gleis 25, die jedem Reisenden eingeschränkt empfohlen sei, auf die Frage nach etwas Eßbarem Bescheid gestoßen wird: »Das hier ist eine Absturzkneipe, klar?! Nix zu mampfen!«, fahre ich gerne mal ein paar Ecken weiter, nämlich ziemlich präzise zweihundertvierunddreißig Kilometer über den namenlos schönen Hunsrück und scharf an den Rand der Schneifel, nach Prüm.

Sollte ich mir eine Gaststätte zur sogenannten Kultkneipe erwählen, es wäre die ebendort am Hahnplatz gelegene Stiftsklause. Ach, welch wundersam klirrender, betörend tönender Name! Ende August etwa, wenn flaumige Winde durch die Wipfel des samtgrünen Eifeltanns streichen, fallen wir, eine Bagage von Autosportnarren auf Pilgertour gen Spa-Francorchamps, hier ein, in einem der anmutig-gemütlichsten Etablissements der stark westlichen Republik.

Freilich und annäherungsweise gewißlich, manchem Leser mag die Stiftsklause bekannt sein als Stammbölkbude des Prümer Motorradclubs »Wäffuh«, auch als Refektorium, in dem der Kreisbauernverband Bitburg-Prüm seine Sprechstunden runterleiert. Aber wer jemals auf der gut achtzig Durstigen Rast und Speisung gewährenden Terrasse einen Nachmittag unter saftig gelben oder weiß-unschuldigen Bitbiersonnenschirmen verdöselt hat, der versteht, was ich meine, da ich anbetend jauchze: Stiftsklause, du Oase des Labsals und Prümer Hanswurstes (i. e. Kartoffelpuffer plus Grillhacksteak)! Beziehungsweise des Spätsommersalats als gemischtes Grünfruchtensemble mit Frikadellenstücken und Früchten zu 6,90 €.

Nebenan, im selben weiß-rosa getünchten Schmuckbau, im seit 1803 betriebenen Hotel zum Goldenen Stern, residierten der Trierer Bischof Wehr, Erich Ollenhauer, Kanzler Kohl a. D., Georg »Prost!« Leber und mein alter Talkshowkonkurrent Roberto Blanco. Ob diese schwerwürdigen Vollkräfte die edle Eifeler Kartoffelsuppe und anderweitig stärkende, »bierbezogene Gerichte« der Stiftsklause inklusive der die belgische Lebensaura löblich zitierenden Sauce Bernaise verdrückten, weiß ich nicht. Ist ja wurscht. Denn das rasant kellnernde Stiftsklausen-Damenteam legt ohnehin preis- und preisenswert das »Hauptaugenmerk auf den Bierausschank«, und da summe ich jedesmal wieder feierlich gestimmt mit: wenn einer der fabelhaften Profanhumpen daherrumpelt, blitzend, funkelnd, gralsgülden, und gehoben sein möcht’ im Antlitz der rostbraunen Basilika und der glückselig glucksenden Spa-Wanderer, die bei Parkscheinpflicht eine gebührenfreie Stunde lang womöglich wegen frühherbstlicher Wolkenwallungen auch schon mal am aus Messingplatten, Gußeisenwirbeln und unsortierten Sperrholzphantasien gezwirbelten Rundtresen vor Postkartenwänden und angesichts einer hochgradigen Digitaluhr irgendwelche Plastikpokale anstieren, aus Lautsprechern vernehmen, das RTL-Radio sei »Urlaub für die Ohren« und die Uhren, und dabei die Krankengeschichte einer vierundsiebzigjährigen Kettenraucherin belauschen – oder die tiefzufriedenen, mützenbeschirmten Feierabendleergespräche der Aufzwei-Biergäste.

Erwähnt sei notabene und nebenbei, daß der Himmel gerade aufreißt, daß es in der Stiftsklause kein Weizenbier gibt, daß »Wahrheit und Wirklichkeit in Prüm« laut Ror Wolf eventuell derart »stark und so allgemein« seien, »daß man sofort mit dem Schlimmsten zu rechnen« habe oder nicht, und daß um die Ecke die Buchhandlung Hildesheim zu finden ist. Was kaum was zur Sache tut. Weshalb trotz aller »Keilkräfte des Kruges« (Achim Wrba) »das muntere Gurgeln der Bierbrause im Ranzen« weiterhin »die Fulminanz des Lebens« »fulminierend« auf Vordermann bringt. Hier und nunc und rundherum.