Das perfekte Wirtshaus

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Wenn Tresen Trauer tragen oder: Zampano der Zunge

Unlängst ließ der Präsident des Deutschen Brauer-Bundes, Richard Weber, verbreiten, daß auf Grund des in der »Cola-Generation« manifest gewordenen Trends zum »süßen Geschmack« Bier »in Zukunft« wahrscheinlich kein bißchen besser, aber »süßer« werde. »Bier wird in Zukunft süßer und weniger hopfig«, sagte Weber, und man lasse sich das gesagt sein und auf der Zunge zergehen.

Mitte der siebziger Jahre oder etwas später, man wird sich des fraglichen Jahrhunderts noch blaß durch den letzten gauloisesschwarzen Filmriß hindurch erinnern, löste das als »herb« bezeichnete Pilsener das damals marktführende Export als Marktführer auf dem Biermarkt ab. An diesen epochalen Einschnitt müssen wir denken, wenn Weber heute sagt: »Das Schicksal von Export droht nun dem Pils, das sich vor drei Jahrzehnten zur beliebtesten Biersorte in Deutschland aufschwang.« – »Abgelöst«, so Weber weiter, »wird Pils vom Spitzenplatz voraussichtlich von Biermischgetränken oder Biersorten, die weniger herb schmecken.«

»Ein herber Schlag«, raunt es an Deutschlands Tresen vermutlich, ja, »ein harter Schlag, der uns da bevorsteht.« So tragen die Tresen Trauer. Doch so sehr es einem auch die Sprache verschlägt, so sehr wären klare Köpfe zu wünschen, um Einsicht in die Wahrheit der Wirklichkeit zu gewinnen.

Schuld an diesem epochal-ordinären Umwälzungsvorgang ist weder die »Cola-Generation« noch die Generation der »puren Lust am Leben ohne Pils« (Gesundheitszeitschrift Jolie), sondern ein unauffällig am Pestalozziplatz in Frankfurt-Bornheim lebender Mann, seines Zeichens promovierter Schopenhauerianer.

»Ich hab’s doch gesagt, ich hab’s doch schon immer gesagt, ich hab’ doch den Trend erkannt, ja vorausgedacht!« schreit der zwischen Zeitungshaufen, Weinflaschenhalden und Schallplattenstapeln hockende ehemalige Zehnkämpfer und »ausgebildete Humanist«, wie er betont, und justiert die Dieter-Hildebrandt-Brille.

Dr. Heinrich Prömm ist kein Mann des unklaren Wortes. Er liebt die Wahrheit und die Unumwundbarkeit und köpft eine Champagnerflasche Jg. 1943 Südwest-Nigeria per Handkantenschlag. »Ich fackel’ nicht lange, das müssen Sie wissen!« brüllt er wie von sich selbst begeistert, und ein Strahl des goldgelben Saftes ergießt sich fontänengleich in den weit geöffneten Schlund, in dem es gefährlich brodelt.

»Das war doch abzusehen«, Prömm gluckst kurz, »das hab’ ich doch gesagt, tausendmal, ich hab’ doch den Trend schon vor Jahren gesehen!« Prömms Opernbaß schwillt grummelnd an, der bärige Mann greift rasch zu einem Burgunder und rückt den grünen Wodka zurecht. »Seit Jahren hab’ ich im Spitzen Eck, da vorne«, seine rechte Pranke zeigt Richtung Norden, »die Wende propagiert, ja eingeleitet!«

Was er damit meine, fragen wir in einer Atempause. »Das Pils wird abgeschafft! Das Pils wird abgeschafft, weil das Pils ein Scheißgetränk ist! Das ist doch klar!« Was sei klar? »Daß Männer, echte Männer, Export trinken! Männer brauchen Nahrung, Kraft, Prozente! Seit Jahren sage ich das! Und seit Jahr und Tag beweise ich im Spitzen Eck, daß das Pils weg muß!«

Dr. Heinrich Prömm habe im Dienste der Abschaffung des Pilsbiers etliche tausend Hektoliter Export der Brauerei Binding getrunken, beteuert er. Nun sieht er sich bestätigt. Das Pils breche endlich elendig ein, die Süße komme zurück. »Kinder wollen Süßes, weil sie Kopfnahrung brauchen, weil sie denken wollen«, erläutert Dr. Prömm grölend, er wirft die Arme in die Höhe, sein Bauch bebt, »und das bestätigt sich jetzt auf höherem Menschheitsniveau, auf Männerniveau!«

Der Zampano der Zunge kratzt mit dem kleinen Finger den letzten Tropfen Burgunder aus der Flasche. »Wahrscheinlich greifen jetzt die Frauen, schwach, wie sie sind, zum Pils. Zum ›schlanken‹ Pils. Aus Solidarität. Aber ich trinke weiter. Im Auftrag der Welt, wie ich sie mir vorstelle. Die Zeit und das Volk sind auf meiner Seite!«

Der Volkserzieher vom Pestalozziplatz lächelt. »Alles für andere, für sich nichts, oder? Ich bin froh, daß ich jetzt die Früchte meiner Überzeugungsarbeit ernte. Süß wird die Zukunft sein. Ich würde fast von einer Generation Prömm sprechen wollen. Ja, ich spreche von einer Generation Prömm! Komme es, wie ich’s wollte!«

Wir gehen, durstig und sprachlos.

Goldener Grüner Baum

Wenn man es satt hat – und man hat es oft genug satt –: dieses ubiquitäre neumoderne Interieur samt aprikosenfarbenem Feinputz, diese betonte Kühle und genormte pseudomondäne Sachlichkeit und Eleganz, dieses so offenkundig angestrengt Durchdachte und doch nur Abgekupferte all dieser sogenannten Bars und Restaurants und Chill-out-Lokalitäten – dann muß man weg, weg, raus aus der törichten Stadt, raus aufs Land, aufs Kaff, unter Leute, die sich nicht scheuen, anders zu reden, als es ihnen das Fernsehen und das Feuilleton vorplappern. Und dann findet man in der Regel doch nur wieder verhobelte Läden, stilistisch nochmals unbedarftere Adaptionen dieses gähnend öden Kollektivstils, und in denen hocken Leute, die genauso reden, wie es ihnen das Fernsehen und der Sportteil vorschreiben.

Es gibt keine Wirtshäuser mehr, zumindest an den Peripherien der größeren Städte nicht. Wer etwa rund um Stuttgart oder Frankfurt ein normales, einfaches, einladendes Wirtshaus sucht, ist verloren und verratzt. Es ist verflucht, es ist eine Blamage, und insbesondere rund um Frankfurt ist es eine einzige Katastrophe. Im Taunus und im Vordertaunus ein halbwegs anständiges Wirtshaus zu finden ist unmöglich. Der Taunus ist verloren, ein für allemal.

Fast. Oder noch nicht ganz. Denn in Bad Soden-Altenhain steht unweit der Kirche ein Fachwerkhaus, das Gasthaus Zum Grünen Baum. Der Grüne Baum verdient, im Rahmen der immer dringlicher gebotenen hessischen Initiative zur Rettung des Wirtshauses als leuchtendes Beispiel auserkoren zu werden – als zeitloses Vorbild des einladenden, einfachen, normalen Wirtshauses ohne deutsch-romantische Verkleisterung, Verklärung und Verkitschung.

Ein langgezogener Raum; lobenswert lieblose Wanddekorationen, Kinderzeichnungen und Eisenlampen; Resopaltische mit Deckchen; keine Lichteffekte, keine Musik, keine Special Drinks oder Happy Hours. Am Schanktresen lagern die Stammgäste in unsortierten Hosen und kosten mit dem Wirt den neusten Brand. Die Bierbedienung ist zauberhaft zügig, die Beratung bei der Speisenwahl unaufdringlich. Der Grüne Baum ist nichts weiter als: ein Gast-, ein Wirtshaus, und das macht ihn nahezu einzigartig.

Selten zuvor wurden aber auch Steaks gesichtet so groß, daß man mit ihnen Gäule erschlagen könnte – zu Preisen, bei denen der städtische Hip-, Hü- und Hottwirt hysterische Anfälle erlitte. »Das Steak ist Weltklasse«, strahlt der Frankfurter Koch Hans-Dieter K., »das ist eine Sünde wert. Und die Bratkartoffeln sind schon jetzt legendär.«

Der Äppler rinnt aus der eigenen Kälterei, und Rippchen, Markklößchensuppe, Metzelsuppe, Dosenwurst und eine Schinkensülze aus eigener Schlachtung, die, versichert die fränkische Co-Verkosterin, durch ihre säuerlich-fleischkräftige Balance freudentränentreibend wirkt, werden um täglich wechselnde Spezialitäten wie frischgekochte Leiterchen oder Haspeln ergänzt.

Weil jetzt schon alles paßt, spendiert der Wirt einen Calvados oben drauf. Ich spendiere dem Grünen Baum die Goldmedaille der Inkognitovereinigung zur Förderung des Wirtshauswesens und der Gastronomie ohne Gewese.

Das ideale Wirtshaus

Das Zeichnerduo Achim Greser und Heribert Lenz, u. a. tätig für die FAZ, die Titanic und den stern, mietete 1996 in Aschaffenburg das erste gemeinsame Atelier an. Seither verkehren beide mehr oder weniger regelmäßig in der zentral gelegenen Gaststätte Schlappeseppel, die 1631 auf Geheiß von Gustav Adolf von Schweden errichtet wurde und bis heute ein Juwel geblieben ist. Greser & Lenz recherchieren hier und trinken das eine oder andere Bier. Und sie schätzen das Lokal so sehr, daß sie mehrere Schlappeseppel-Bierdeckelserien gezeichnet haben.

Mit der Wirtshauskultur geht es bundesweit bergab, oder?

Achim Greser: Das ist eine Behauptung. Ist die gesichert durch die erfahrenen Hintergrundrecherchen, die wir dir zutrauen, oder ist das nur mal eine provokative Behauptung, um uns herauszufordern?

Es werden ja immer mehr Lokale zu Bistros umgebaut.

Heribert Lenz: Die Leute haben schon vor zwanzig Jahren aus ihren wunderschönen Gasthäusern Bistros gemacht.

Greser: Und ich glaub’ auch nicht, daß man selbst als sentimentaler Anhänger einer uralten Kneipenkultur heute noch zufrieden wär’ mit einem Ausstattungszustand, der einen übern Hof aufs Plumpsklo zwingt. Von daher ist Erneuerung sicher auch notwendig.

Du plädierst für eine Erneuerung in bezug auf die Klos?

Greser: Ja.

Die Kneipenräume selbst haben sich aber auch sehr verändert.

Lenz: Richtig. Es gibt immer weniger Großkneipen – so wie den Schlappeseppel. Statt dessen gibt es immer mehr Eßgaststätten, in denen man zu bestimmten Zeiten nicht mehr Karten klopfen darf.

Greser: Das ist auch ein Phänomen des Regionalkonglomerats Rhein-Main, das sich gerne als dynamisches, international konkurrenzfähiges Wirtschaftszentrum ausweist. Wenn man Geschäfte mit dem Chineserer machen will und dem wie vor hundert Jahren Handkäs’ und sauren Äppler vorführt, ist das vielleicht nicht unbedingt förderlich. Also, man muß es zulassen, daß der Chineserer ein Lokal kriegt, das nach seiner Façon zugeschnitten ist.

 

Lenz: Der will halt auch hier seinen Schweinsbraten.

Greser: Und das heißt, die Globalisierung schlägt auch hier zurück.

Ist der Schlappeseppel eine Nische?

Lenz: Nee. Das ist einfach ein Gasthaus, das seit Jahrzehnten vernünftig geführt wird, und es marschieren immer noch genug Leute rein.

Greser: Die Wucht der Tradition ist hier natürlich auch gewaltig. Und Gott sei Dank ist das Potential dieses Lokals stark genug, um Kräfte zu mobilisieren gegen diejenigen, die den Schlappeseppel in ein zeitgeistgeprägtes Jugendlokal verwandeln könnten. Es ist ein gutes Zeichen, daß man sich hier nicht vom stringenten Erwerbsgedanken leiten läßt.

Lenz: Die Gästeschar ist so groß und zäh, daß ein Wirtswechsel oder eine Umwandlung nie zur Diskussion stand. Wie wär’ denn das, ein Bistro Schlapp zum Beispiel?

Es gibt einen starken Beharrungswillen …

Greser: Die Menschen sind darauf trainiert, auch schon am Nachmittag in das Lokal reinzuschreiten und die ersten Biere zu trinken. Das Beeindruckende ist tatsächlich, daß bereits am Mittag keine kahle Wirtshausödnis herrscht und dieser wunderbare Rumor aus Gebabbel, exaltierten Kartenspielreaktionssignalen, verfrühtem Suff und Extremäußerungen entsteht.

Lenz: Man sitzt einfach generationenübergreifend zusammen, der eine ist Straßenkehrer, der andere Jurist, und man kann über jedes Thema reden und sich gegenseitig beschimpfen. Vor ein paar Jahren hat übrigens Warsteiner eine Werbung mit weißgekleideten Menschen auf einem Gutshof gemacht – da hat’s angefangen, daß die Bierkultur auf den Hund kam und die alten Lokale verschwanden.

Im Schlappeseppel gibt es keinen Dresscode …

Greser: Hier sind alle gleich. Hier gelten andere Wettbewerbskriterien als draußen.

Welche?

Lenz: Du mußt über jedes Thema reden können.

Greser: Und die Verträglichkeit von Bier muß hoch sein. Die entscheidet über glaubwürdig und unglaubwürdig.

Würdet ihr den Schlappeseppel als das ideale Wirtshaus bezeichnen?

Lenz: Ja.

Greser: Ja. Das beste Wirtshaus im Umkreis von hundert Kilometern. Der Schlappeseppel strahlt eine so einnehmend sympathische Atmosphäre aus, daß man sich ihr nicht widersetzen kann. Und will. Man wär’ ja blöd.

Lenz: Denn es ist einigermaßen schlicht eingerichtet. Wenn man mal ein Vorurteil gegenüber Frauen vorbringen darf: Es ist immer problematisch, wenn eine Wirtsfrau gestalterisch tätig wird – wenn dann Hexen in den Fenstern stehen oder Getreidegarben an der Wand pappen oder das mit den Deckchen anfängt. Das ist der Tod.

Greser: Dieser Keramikkrempel und kunsthandwerkliche Schrott, dieses Überdeckungsgewese … Die Wucht der Patina ist wichtig. Die Bänke müssen alt sein. Das ist ein Wohlfühlfaktor, den man spürt. Außerdem darf keine Musik laufen, genauso, wie in einer guten Kneipe die Möbelhausfarbkombination Pink und Türkis nicht vorkommt.

Lenz: Hut ab, Achim! Hervorragende Beobachtung! Darüber hinaus muß es mittags losgehen, es muß sich langsam steigern. Wenn man eine Kneipe erst um siebzehn Uhr aufmacht, ist alles zu spät.

Greser: Kneipen, die zwischen halb drei und halb sechs schließen, sind Kneipen, die außerhalb der Kategorie des Wohlfühlfaktors liegen.

Der Schlappeseppel ist auch eine lichte Kneipe, keine Kaschemme.

Greser: Weil, wie es sich gehört, beim Bau am richtigen Ort der Sonnenverlauf mitbedacht wurde. Es ist ja auch ein Merkmal des Verschwindens der Kneipenkultur, daß man meint, Kneipe könnte überall sein. Man kann zum Beispiel in die Garage Bierbänke stellen. Aber das ist viel zu kurz gedacht. Das is’ nix. Das ist dumm. Das ist Bezirksliga. Das hier ist Champions League.

Lenz: Wenn das Licht wie hier auf mein Bier fällt, dann geht mir das Herz auf.

Greser: Das ist der theologische Aspekt der Kneipe – einen Platz zu finden, an dem man mit sich völlig im reinen ist und seinen Gedanken freien Lauf lassen kann. Das ist noch Abendland!

Lenz: Ich bin dem Herrgott dankbar, daß ich nicht im Islam aufgewachsen bin und in Teestuben rumhocken muß.

Hinter den Steinen

Es ist nicht leicht in Miltenberg am Main. Wo soll man hin? Die kleine, alte Stadt, für deren wie aus einem Baukasten für überzeitliche Fachwerkharmonie zusammengefügten Marktplatz mit dem berühmten Steinbogendurchgang hinauf zur Burg, dem Schnatterloch, sogar Adorno ein paar lobende Worte übrig hatte, dieses im Fremdenverkehrsjargon zur »Perle« ernannte Städtlein hält einen auf Trab, trotz der allerkürzesten Wege im überwiegend beschatteten Altstadtbereich.

Wo soll man hin? In den Riesen? Jene ehemalige Fürstenherberge, die als ältestes Wirtshaus Deutschlands firmiert und in deren hoher Schwemmenhalle man auf der dunklen, umlaufenden Holzbank das geschätzte Faust-Bier trinkt? Oder in westlicher Richtung die Hauptstraße, die Achsengasse, hinunter, um in der unerbittlich gemütlichen Créperie des politischen Universaldenkers Karl-Heinz Jalufka Seit’ an Seit’ mit den Herren Ramazan, Neubert und Scherer-Wolfgang zu Pfannkuchen mit hausgemachtem Zwetschgenmus das eine oder andere Faust- oder Kalt-Loch-Bräu umzuochsen? Oder vorher erst rasch noch in den wunderbar anheimelnden Hof des Museums am besagten und besungenen Marktplatz, wo die »Stadt aus Holz« Gebäudlichkeiten aus dem 14. Jahrhundert, das grandiose Weinhaus am Markt inklusive polygonem Erker und eine höchst geheimnisvoll erbaute Sandsteinkirche herzeigt? Oder, vierzig Meter retour, doch gleich und den ganzen Tag lang in die Brauerei Kalt-Loch, das Traumpendant zum Jalufkaschen Hammeretablissement?

Ohne irgend jemandem Unrecht zu tun – das darf wohl vorderhand am nachdrücklichsten angeraten sein. Drei bis vier fränkische Mahlzeiten wären da, startend, sagen wir, um 11.37 Uhr, im ein wenig zu putzig benamsten Bräustüble mit der nötigen, heutzutage so verachteten Langsamkeit zu verräumen. Zum Auftakt böte sich der Spessarträuberspieß an, gegen 15 Uhr käme die Schweinshaxe mit Semmelknödeln dran, und um den frühen Abend herum würden die mit Bergkäse überbackenen Lendchen aufgefahren, im Herbst wahlweise mehrere Gänse. Für den Nachtisch, gebongt, alright, d’accord, steht Nachbar Jalufka gerade.

Daß »der Tourismus die Gaststätten versaut«, weiß Kalt-Loch-Brauer Axel Schohe nur zu genau. Die Braustube ist von den Umbauunheiltendenzen der letzten Jahre verschont geblieben. Die Decke zieren Sandsteinbögen, die Tische sind Tische, die Tische sind: groß, schmucklos, blank.

Vernunft heute bemißt sich bisweilen daran, den grunddummen Geist der Zeit einfach nicht mal zu ignorieren. Dieselbe Ratio prägt die hier verfertigten Biere. Die Sudpfanne wird noch mit Holz befeuert, es wird offen vergoren, und die intermahlzeitliche Getränkezufuhrerörterung schwankt alsdann inflammiert zwischen dem Hopfengeniestreich Schloß-Pils, dem zierlich gemalzten und perfekt komponierten, vereinzelt bis in den Frankfurter Raum vorgedrungenen dunklen Landbier oder dem ganzjährig in die Runde spendierten Doppelbock. Hinter diesen Steinen können sie brauen, im emphatischen Sinn – leider lediglich 4.000 hl pro Jahr.

Hinter den Innenhofmauern des verschachtelten Kalt-Loch-Gebäudes verbirgt sich auch die älteste, um 1290, keine sechzig Jahre nach der ersten urkundlichen Erwähnung der Stadt entstandene Synagoge Deutschlands. Im Zentrum der damaligen »Judenstadt«, des heutigen Schwarzviertels, gelegen, diente sie bis 1429, bis zur ersten Vertreibung der Juden aus Miltenberg, als religiöses und soziales Zentrum. Zu besichtigen sind noch das Deckenrippengewölbe und die Spitzfenster. 1877 kaufte die seit 1580 bestehende Brauerei das Gebäude, man zog eine Zwischendecke ein und lagerte hier fortan Hopfen und Malz, während die Kultusgemeinde eine neue Synagoge hinter dem Riesen errichtete. Der dritte Synagogenbau wurde 1938 geschändet und zerstört, 1942 wurden die letzten beiden jüdischen Mitbürgerinnen nach Theresienstadt deportiert.

Hier und jetzt wandeln die Miltenberger übers Kopfsteinpflaster der Hauptstraße. »Sonne in dieser Straße, und wir sind in Italien«, murmelt ein Mann, und das wäre wirklich zu schön, um wirklich und wahr zu sein.

Gottesgegenbeweise

Co-Autor: Michael Tetzlaff

Ein Gott, der zuläßt, daß Männer so sitzen, daß man die hinter ihnen sitzenden blonden, brünetten und schwatten Frauen nicht sieht; der zuläßt, daß dann, wenn die Männer aufstehen, die Frauen, die man nicht hatte sehen können, nicht mehr dasitzen, weil sie inzwischen gegangen sind, und statt dessen dort nur noch Männer, andere, sitzen; ein Gott, der zuläßt, daß der Tisch, der Marmortisch, an dem man sitzt, so dunkelbraun, rot und ocker gemustert ist, daß man glaubt, man sitze an einer Platte Blutwurst, Preßsack und gekochten Schinkens; ein Gott, der zuläßt, daß man anstelle von »Frische Muscheln« »Falsche Muscheln« liest, diese bestellt und dann auch noch falsche Muscheln bekommt; ein Gott, der zuläßt, daß ein Kalender, auf dem die göttlichste Helena aller Zeitalter abgebildet ist, dreißig Euro kostet, man sich ihn beziehungsweise sie daher nicht leisten kann und deshalb nichts mehr hofft, als daß der Preis des Kalenders reduziert werde; der zuläßt, daß ebendieser höllische Kalender nach Monaten dann plötzlich elf Euro kostet und man aber jetzt komplett pleite ist und sich Helena noch weniger leisten kann als je zuvor; ein Gott, der dies und das alles zuläßt, kann nicht sein, darf nicht sein und hat vor allem so oder so von seinem blödesten Geschöpf keine Ahnung.

Denn so glaubt doch kein Mensch.

Kein Ruhetag, keine Ferien

Auf dem Staffelberg, dem heiligen Berg der Franken, zu stehen und hinab ins Maintal zu schauen, auf Lichtenfels und Staffelstein, auf das Kloster Banz auf der anderen Flußseite und, in nordöstlicher Richtung, auf die Basilika Vierzehnheiligen – das stimmt heiter. Noch beflügelter fühlt man sich nach einer kurzen Wanderung hinüber nach Vierzehnheiligen, wo nicht nur ein enervierender touristischer Auftrieb rund um einen kirmesartigen Wallfahrtsnippeshandel herrscht, sondern in der Schankstube der Alten Klosterbrauerei ein segensreicher Rettich und der glorios malzige Nothelfer Trunk serviert werden.

Den Weg dorthin und zu anderen Kleinoden der Kultur und Natur zwischen Fichtelgebirge und Altmühltal weist Helmut Herrmanns Buch Biergartenwanderungen in Franken (Bamberg 2003). Herrmann beschreibt detailliert zwanzig Routen mit Gehzeiten von drei bis fünf Stunden. Jeder Abzweig ist verzeichnet, und erfreulicherweise umschifft Herrmann geschmackssicher dräuende Tücken wie Schäffbräu in Treuchtlingen oder die Nürnberg-Fürther Tucher-Dynastie.

Herrmann macht aus seiner Begeisterung für die stillen, baumbeschatteten Biergärten genausowenig einen Hehl wie aus seinem Abscheu vor »Allerweltsküche und Großbrauereibier«. »Als ideal anzusehen ist es, wenn der Wirt selbst schlachtet und wurstet, braut, Brot bäckt, Schnaps brennt und Butter sowie Frischkäse herstellt«, hängt er die Ansprüche zu Recht hoch, denn es gibt solche vorbildlichen Wirte tatsächlich noch, zumal in Oberfranken, etwa in der einzigartigen Bierkellergegend zwischen Buttenheim und Hirschaid, rund um den Kreuzberg im Aischgrund nahe Forchheim oder auch in dem verlockenden mittelfränkischen Örtchen Suffersheim im Schambachtal, wo man im Gasthaus Zur Sonne »die ganze Palette an Schweinernem« reicht, zu Landbier der Brauerei Wurm.

»Vegetarier werden hier kaum glücklich werden«, weiß der weise Bier- und Landschaftskundschafter, und er weiß obendrein: »Für den Wanderer mit Auto ergeben sich schnell Promilleprobleme.« Deshalb bleibt er, wandern hin, wandern her, vielleicht doch besser und lieber in einem jener Wirtshäuser hocken, über die Herrmann die herrliche Information preisgibt: »Täglich von früh bis abends geöffnet. Kein Ruhetag, keine Ferien.«