Zehn Jahre später

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Er war es nicht anders gewöhnt, als daß ein General, wenn er mit seiner Truppe auszieht, eine Ansprache hält, und daher hielt er nun auch eine, als er seine kleine Schar vollzählig beisammen hatte. »Leute,« sprach er, »ihr seid vom Schicksal dazu bestimmt, miteinander zu leben, vertragt euch also und brecht euch nicht gegenseitig den Hals! Ich habe euch angeworben, weil ihr mir mutig und standfest erscheint. Ihr sollt nun an einem ruhmvollen Wagestück teilnehmen. Indem ihr für mich arbeitet, leistet ihr dem König einen großen Dienst. Aber vergeßt nicht, daß ihr keinem Menschen eine Silbe davon verraten dürft. Gegen alle andern Menschen seid ihr Fischer, und damit gut. Staatsgeheimnisse, das laßt euch sagen, sind ein tödliches Gift; solange das Gift in einer Büchse fest verschlossen ist, schadet es nichts; kommt es unter die Leute, so ist es von vernichtender Wirkung. Und so würde auch jeder von euch, der etwas verrät, von meiner Hand ohne Gnade sterben. Tretet dicht um mich herum, damit weder der Vogel, der über uns hinfliegt, noch der Fisch, der aus dem Wasser schnellt, etwas hören kann. Wir haben auszukundschaften, wieviel Schaden der englische Schleichhandel den französischen Finanzen bereitet. Wir sind arme Fischer aus der Picardie, der Sturm hat uns an die englische Küste verschlagen. Nur im äußersten Notfall greifen wir zu den Waffen. Im übrigen haben wir einen mächtigen Beschützer im Rücken. Und somit: Glück auf!«

Vierzehn Tage später befand sich d'Artagnan mit seinen Leuten im Haag, und von hier aus machte er allein einen Ausflug nach dem kleinen Dorf Scheveningen. Dort lag am Meeresstrande das Häuschen, das Wilhelm von Nassau, der Statthalter von Holland, Karl II. als Wohnung eingeräumt hatte. D'Artagnan hatte davon gehört und überzeugte sich nun von der Wahrheit dieses Gerüchts, um zu wissen, wo er im Falle einer glücklichen Rückkehr den König fände. Er sah Karl II. aus seinem Häuschen herauskommen und an den Strand treten. Dort blickte der unglückliche Monarch lange und unbeweglich über das weite Meer hin, als suchten seine Augen den fernen Strand seiner Heimat. D'Artagnan in seiner Schiffertracht blieb unerkannt.

8. Kapitel. General Monk

Es ist bisher noch stets der Verlauf einer jeden Revolution gewesen, daß die bis zur Erreichung des hauptsächlichen Zwecks einigen bürgerlichen Parteien sich später entzweien. So war es bei der großen französischen Revolution, so war es auch schon bei jener englischen, durch die König Karl erst seinen Thron und dann den Kopf verlor. Nachdem der gewaltige Oliver Cromwell gestorben war, nachdem sein Sohn das Protektorat niedergelegt hatte, tat sich eine Menge von Mißvergnügten zusammen, denen die Beschlüsse des Parlaments nicht mehr behagten und die eine andere Regierungsform verlangten. An die Spitze dieser Elemente trat der General Lambert, während die Parlamentspartei den General Monk, einen geborenen Schotten, zum Oberhaupt erkor. Von vornherein war dessen Partei im Uebergewicht; man redete Lambert nach, er trachte danach, eine Militärrepublik zu gründen, mit sich selbst am Ruder; dagegen war man fest überzeugt, daß Monk, ohne jedes persönliche Nebeninteresse, nur auf die Stärkung des bürgerlichen Parlaments bedacht sei. Die Sympathien der Mehrzahl der Bevölkerung lagen daher auf Monks Seite. Die Verhältnisse hatten sich bis zur Feindseligkeit zwischen beiden Lagern zugespitzt, und Lambert und Monk standen ein jeder an der Spitze einer Armee bereit, sich in offenem Kampfe zu messen. Das war in der Gegend von Newcastle, und die alte Abtei dieses Namens lag gerade zwischen den Quartieren der feindlichen Heere.

In Monks Lager herrschte Hungersnot. Der General saß eines Abends, gegen zehn Uhr, in seinem Zelt und kaute Tabak, um den knurrenden Magen zu beruhigen, da eilten mit Freudengeschrei mehrere Soldaten herbei, und ein Offizier trat, ohne sich melden zu lassen, ein und rief: »General! Sie werden heute zu Abend speisen.« – »Das habe ich bereits getan,« antwortete Monk gelassen. »Eben hielt ich mein Verdauungsstündchen. Was führt Euch her?« – »Wir haben eine Fischerbarke abgefangen, die mit einer Ladung Fische an den Strand geworfen wurde.« – »Daran tatet ihr nicht wohl, Kinder,« versetzte der General. »Ihr hättet den Fang Lamberts Leuten lassen sollen. Wenn sie heute abend nichts zu essen haben, werden sie keine Lust verspüren, sich morgen mit uns zu schlagen, wozu sie nach einem guten Abendessen sicher Mut gehabt hätten. Doch was sind das für Fischer?«

»Sie kommen aus der Picardie.« – »Sprechen sie Englisch?« – »Der Kapitän versteht ein paar Brocken davon.« – »Führt sie her! Und – wie viele sind es? Was für ein Schiff haben sie?« – »Es sind ihrer elf. Ihr Fahrzeug ist eine Barke holländischen Typs.« – »Gut, ich will sie sehen.«

Der Offizier führte den Kapitän der Fischer herein, einen Mann von etwa 55 Jahren, aber noch sehr rüstig und jugendlich. Unter der tief in die Stirn gezogenen Mütze blitzten ein paar pfiffige Augen. Er hatte den eigentümlich unsichern Gang der Seeleute an sich, die nur auf den schwankenden Brettern eines Schiffes fest aufzutreten vermögen. Monk musterte den Mann mit durchdringendem Blick. Der Fischer antwortete darauf mit einem dummdreisten Lächeln, wie es den französischen Bauern eigen ist.

»Du sprichst Englisch?« fragte Monk. – »Sehr schlecht,« antwortete jener in südfranzösischem Akzent. »Wir Seeleute schnappen ja von allen Sprachen etwas auf.« – »Du scheinst mehr um Gascogne herum als in der Picardie zu Hause zu sein,« meinte Monk lächelnd. – »Von Geburt bin ich aus Südfrankreich,« war die Antwort, »aber seit langen Jahren fische ich in den nördlichen Gegenden. Habe heute einen guten Fang gemacht. Einen Stör von 30 Pfund, an die 100 Schleien und zahllose Weißfische.« – »Schön, den Fang kaufe ich dir ab. Aber warum bietest du ihn hier aus?« – »Herr, der Fischer stößt das Boot ins Meer, aber Himmel und Wind tun das Uebrige. Ich wollte nicht hier landen.«

»Wenn du von dort drüben kommst,« fuhr Monk fort, mit einer Handbewegung nach der Richtung, wo jenseits der See die holländische Küste lag, »hast du da vielleicht etwas von Karl II. gehört, dem verstoßenen König von England?« – »Ei freilich, Mylord,« antwortete der Fischer mit täppischer Offenherzigkeit, »als wir nämlich bei Ostende nach Makrelen fischten, sahen wir aus einem am Strande gelegenen Häuschen einen Mann kommen, der zum Gestade schritt. Im Näherkommen erkannten wir in ihm Karl II. Er sah sehr traurig aus. Ich glaube, die Luft in Holland ist ihm nicht dienlich. Er guckte starr nach hier hinüber. Ich denke mir, er hat Heimweh – möchte halt gern wieder hier sein. Sie wissen ja, Wilhelm II. von Nassau, der Statthalter von Holland, wäre ihn auch am liebsten los. Er darf ihm wegen der Freundschaft mit England und Frankreich kaum noch Hilfe leisten.« – »Du scheinst in der Politik gut Bescheid zu wissen,« sagte Monk. – »Wir Seeleute beobachten doch täglich Wasser und Luft, die beiden veränderlichsten Dinge auf der Welt, und seitdem wir gelernt haben, in beidem trotz aller Unbeständigkeit mit Sicherheit zu lesen, irren wir uns auch in andern Dingen nur selten.«

»Du hast also eine gute Ladung an Bord?« fragte der General. »Wie teuer verkaufst du sie?« – »Ich kann doch keinen Preis machen, Mylord, kraft dem Faustrecht gehören die Fische Ihnen.« – »Ich will kaufen und nicht rauben,« antwortete der Feldherr. »Ich zahle den üblichen Preis. Geh mit dem Offizier dort, er wird dir das Geld geben. Und höre noch eins! Wenn du zu deinem Schiffe zurückkehrst, so geh nicht durch das Moor. Dort stehen ein paar Posten von mir, die Euch anhalten würden. Wenn sie Euch nun das Geld nähmen, so würdest du bei dir zu Hause erzählen, General Monk hätte zwei Hände, eine schottische und eine englische, und mit der schottischen nähme er wieder zurück, was er mit der englischen gegeben.« – »Können Mylord mir einen Zimmermann mitgeben?« fragte der Fischer. »Ihre Soldaten haben mein Boot demoliert und wir haben nun zwei Schuh Wasser drin.« – »Das soll geschehen,« sprach Monk und wendete sich an seinen Adjutanten. »Digby, sorgen Sie dafür, daß der Mann mit seinen Leuten in der Nähe seines Boots in einem Zelte schlafen kann, damit sie nicht des Nachts im Wasser zu liegen brauchen. Schicken Sie ihnen ein paar Arbeiter. Was gibt es, Spithead?« fragte er einen Sergeanten, der eintrat.

»Ein französischer Edelmann bittet um Einlaß,« war die Antwort. – »Wer ist das?« fragte Monk, während der Fischer die Ohren spitzte. – »Er hat mir seinen Namen genannt, aber diese französischen Worte sind nichts für meine englische Kehle,« antwortete der Sergeant.

»Hm, du kannst ihn hereinlassen.« – »Sollen ihm die Augen verbunden werden?« – »Warum? Er kann getrost sehen, daß ich hier 11 000 tapfere Soldaten um mich habe.« Dann wendete er sich an den Fischer. »Auf Wiedersehen, braver Kerl. Mein Adjutant wird dich führen.« – »Schönen Dank, Mylord,« antwortete der Mann und ging hinaus.

Draußen begegnete er der Wache, die den französischen Edelmann herbeiführte. Der fremde Kavalier saß zu Pferde und blickte schnurstracks vor sich hin. Er beachtete infolgedessen den Fischer gar nicht, während dieser sich dicht an das Pferd herandrängte und beim Scheine eines Wachtfeuers einen raschen Blick auf das Gesicht des Reiters warf. Er stutzte und blieb vor Verblüffung stehen, dann aber faßte er sich rasch, denn er durfte sich nichts merken lassen. »Ich muß mich wohl auch verguckt haben,« brummte er vor sich hin. »Es ist ja ganz unmöglich. Es ist ja undenkbar.«

Der französische Edelmann trat in das Zelt und fand eine freundlichere Aufnahme, als er von Seiten eines so argwöhnischen Mannes wie Monk erwartet hatte. Ruhig, wenn auch scharf, musterte der General seinen Besuch und gab ihm dann einen Wink, sein Anliegen vorzutragen. – »Ich bin Graf de la Fère,« begann Athos mit einer Verbeugung. – »Entschuldigen Sie,« sagte Monk, nachsinnend, »ich höre diesen Namen zum erstenmale. Sind Sie vom Hofe?« – »Nein, ich lebe als Privatmann, bin aber durch Karl I. Ritter des Hosenbandordens und durch Anna von Oesterreich Ritter des Heiligen-Geist-Ordens.« – »Bei welchem Anlaß wurden Sie dekoriert?« – »Für Dienste, die ich den Majestäten leistete.« – »Und was wünschen Sie jetzt von mir?«

 

Das Gespräch wurde in englischer Sprache geführt, die ja Athos noch von den vielen in England verlebten Jahren her vollständig beherrschte.

»Mylord,« antwortete er aufs Monks letzte Frage, »ich habe im Jahre 1648 in Newcastle gewohnt, und zwar gerade in den Gärten, die jetzt von den Soldaten Eurer Herrlichkeit besetzt sind. Damals stand ich im Dienste Karls I. und mußte, nachdem er gefallen war, flüchten. Ich besaß eine große Summe Geldes, die ich in der damaligen Zeit nicht mit auf die Reise nehmen wollte. Deshalb vergrub ich es im Keller jenes Turmes, den Sie dort hinten im Mondschein emporragen sehen. Jetzt bin ich gekommen, es mir zu holen, und bitte Eure Herrlichkeit um Erlaubnis, mein Eigentum in Sicherheit zu bringen, ehe es vielleicht durch die bevorstehende Schlacht zwischen Ihnen und General Lambert gefährdet wird oder gar in die Hände der Soldaten fällt.«

Monk war ein feiner Menschenkenner; dennoch wußte er jetzt nicht, ob er diese Mitteilung des Fremden einer edeln Offenherzigkeit zuschreiben oder eine ihm gestellte Falle darin vermuten solle. »Ist denn die Summe so bedeutend, Herr Graf,« fragte er, »daß es sich der Mühe lohnt? Und glauben Sie wirklich, das Geld sei noch vorhanden? Nach so langer Zeit?« – »Es handelt sich um eine Million.« – Monk stutzte und sah Athos scharf an. Das erschien ihm denn doch ganz unglaublich. – »Hm,« sagte er, »und Sie wollen das Geld heute noch haben? Warum wendeten Sie sich nicht an General Lambert? Er steht ebenso nahe bei der Abtei, wie ich selbst.« – »Ich folge in derlei Dingen stets meinem Gefühl,« antwortete der Franzose. »Zu General Lambert habe ich nicht so großes Vertrauen, wie zu Ihnen. Was die Frage anbetrifft, ob das Geld auch noch da sei, so unterliegt das für mich gar keinem Zweifel. Der Versteck war gut gewählt, war niemand als mir bekannt, und ich werde die Stelle ohne Schwierigkeit wiederfinden.«

»Ich werde Ihnen sehr gern behilflich sein,« antwortete Monk, »ja, ich will Sie sogar begleiten. Das ist ja auch notwendig, weil die Posten Sie sonst nicht so weit vorlassen würden. Wir können gleich gehen. Sollen wir Leute mitnehmen?« – »Das ist nicht nötig. Zwei Männer und ein Pferd genügen, die beiden Fässer mit Gold auf das Schiff zu bringen, das am Strande auf mich wartet.« – »Er sieht nicht aus wie ein Meuchelmörder,« dachte Monk bei sich, »und dennoch hat er es drauf abgesehen, mit mir an einem einsamen Fleck allein zu sein. Nun, ich will's drauf ankommen lassen.« Und laut setzte er hinzu: »Es muß doch aber jedenfalls gegraben werden, wollen Sie das selbst machen?« – »Es braucht nicht gegraben zu werden,« antwortete Athos. »Der Schatz liegt in einer Gruft, die mittels eines Steins verschlossen ist. Der Stein ist an einem eisernen Ringe in die Höhe zu heben. Eine kleine Treppe von vier Stufen befindet sich darunter, und an ihrem Grunde liegen, von einer Schicht Gips bedeckt, die beiden Fässer. Sie sehen, ich mache in dieser Angelegenheit gar kein Geheimnis vor Ihnen.«

Monk antwortete nicht. Er war im höchsten Maße erstaunt. Entweder besaß der Fremde eine außergewöhnlich vollendete Verstellungskunst und spielte seine Rolle als Kundschafter meisterhaft, oder aber er war von größter Vertrauensseligkeit, daß er sich als Besitzer von einer Million mitten in ein Kriegslager hineinwagte, wo Raub und Faustrecht galten. – »Ich begleite Sie,« sagte der General, »das Abenteuer erscheint mir so seltsam, daß ich selbst die Fackel halten will.« – Als er dies sagte, schnallte Athos sein Schwert ab und legte es auf den Tisch. Er öffnete sein Wams, wie um sein Schnupftuch herauszunehmen, und zeigte dabei dem scharf beobachtenden General, daß er auch auf der Brust keinerlei Waffen trug. – »Sonderbar,« dachte dieser bei sich. »Er ist tatsächlich ganz unbewaffnet. Also muß er in der Abtei einen Hinterhalt gelegt haben.« – Darauf drehte er sich zu seinem Adjutanten herum und sagte: »Es soll mich niemand begleiten. Ich gehe allein.«

9. Kapitel. Der Schatz

Monk und Athos verließen das Lager und wendeten sich dem Tweedfluß zu. Der Franzose zweifelte nicht einen Augenblick, welchen Weg er einschlagen sollte, und der englische General erkannte bald, daß dieser Mann die Gegend ganz genau kenne. Zehn Minuten ging es zwischen Zelten und Schildwachen hindurch, dann betraten sie eine Landstraße, die sich nach wenigen Schritten teilte. Die mittlere der drei Abzweigungen führte zur Abtei Newcastle. Jenseits dieser Straße, gar nicht mehr weit von ihnen, lagen die äußersten Posten Monks. Man war hier also schon verhältnismäßig nahe beim feindlichen Lager. Gleichfalls ganz in der Nähe befand sich am Flußufer das Quartier, das den vermeintlichen Fischern aus der Picardie angewiesen worden war.

Der Mond schien und warf ein gespenstisches Licht auf das Wasser, auf die Baumgruppen, auf die Zelte und die einzelnen hin und her wandelnden Wachtposten. Monk und Athos schritten schweigend durch dieses Zwielicht von Mondschein und Wachtfeuern. Ehe der General die finstere Straße betrat, die geradeswegs zur Abtei führte, warf er einen Blick um sich. Er sah eine Gestalt im Schatten dahinhuschen. – »Ah,« dachte er, »Digby traut der Sache nicht und ist uns doch gefolgt. Digby!« rief er laut, »hierher!« – Aber es konnte doch wohl nicht Digby, der Adjutant, gewesen sein; denn statt zu gehorchen, duckte sich die Gestalt und verschwand hinter einem Damme. Da das nun in einem Kriegslager keine sonderlich auffallende Erscheinung war, so machte Monk sich keine Gedanken weiter darüber, sondern ging mit Athos weiter.

»Es ist aber doch wohl besser, General,« sagte dieser, »wir lassen uns von einem der Soldaten eine Laterne geben.« – »Nein, nicht von einem Soldaten,« antwortete Monk. »Ich will von keinem meiner Leute hier gesehen sein. Gehen wir zu den französischen Fischern, die auch ganz in der Nähe liegen. Die Leute fahren morgen wieder ab, so kann man ihnen das Geheimnis eher anvertrauen. Wüßten meine Soldaten, daß in der Abtei dort eine Million versteckt liegt, sie würden morgen dort das unterste zu oberst kehren und keinen Stein auf dem andern lassen, um nach weiteren Schätzen zu suchen.« – Nach diesen Worten schritt Monk auf das Feld jenseits des Weges, bis er vor einem kleinen Zelt stand. »Hollah!« rief er. »Aufgewacht!« – Der Kapitän der Fischer war sofort auf den Füßen. Als er den General erkannte, fragte er mit gut erkünstelter Schläfrigkeit nach seinen Befehlen. – »Ich brauche einen Mann mit einer Laterne,« war die Antwort. – »Soll ich selbst mitkommen, Mylord?« fragte der Kapitän. – »Du oder ein anderer, das ist mir gleich,« versetzte Monk. »Nur schnell!«

»Sonderbar,« dachte Athos bei sich. »Die Sprache dieses Fischers kommt mir bekannt vor.« – Der Mann hielt sich jedoch im tiefen Schatten der Zeltwand, so daß der Graf nicht sein Gesicht sehen konnte. – »Ich will doch lieber einen andern schicken,« dachte d'Artagnan. »Das ist meiner Treu Athos. Er könnte mich erkennen und meinem Unternehmen Schwierigkeiten bereiten. Sicherlich verfolgt er hier seinen eignen Plan.« – Diese Erwägungen vollzogen sich in seinem Kopfe mit der Geschwindigkeit eines Blitzes, und Monk hatte nicht nötig, noch einmal zur Eile zu drängen. Im nächsten Augenblick stand einer der Fischer bereit, den beiden mit der Laterne voranzugehen.

»Leuchte uns nach der Abtei Newcastle,« befahl Monk, »und mach lange Beine, Kerl!« – Sie schritten weiter durch die Nacht, stumm und rasch, ein jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Die des Grafen weilten bei dem Fischer, dessen Erscheinung und Stimme ihm bekannt erschienen waren. »Aber es ist ja ganz unmöglich,« sagte er sich. »Wie kann ich auf solch eine alberne Vermutung kommen?«

Nach wenigen Minuten traten sie in die Abtei. Im Innern lag ein Posten von vier Mann, die beim Geräusch von Schritten aufsprangen und ihr »Wer da?« ertönen ließen. Monk gab das Losungswort, und sie schritten unangefochten tiefer hinein in die Trümmer der verfallenen Stätte. Festen Fußes ging Athos, seines Zieles ganz sicher, durch die öden Hallen. Es gab hier keine Tür und kein Fenster mehr. Aus den leeren Löchern und Höhlen flüchteten aufgescheuchte Nachtvögel, vom Licht der Laterne erschreckt. Fledermäuse umflatterten die Eindringlinge, deren Schatten in riesiger Größe an den nackten Flächen der verwitterten Mauern tanzten. Als Monk diese Tiere jetzt erst auffliegen sah, wußte er, daß sich dort drinnen niemand versteckt, daß vor ihnen kein Mensch diese Oedenei betreten hätte. – »Ich werde also mit diesem Manne ganz allein sein,« dachte er bei sich. »Nun, dann will ich es schon mit ihm aufnehmen.« – Athos schritt über Schutthaufen hinweg und stand nun vor der Gruft. – »Wir sind zur Stelle,« sprach er. »Hier ist der Stein.« – »Der Ring daran ist in den Stein eingegossen,« sagte Monk. »Wir müssen einen Hebebaum haben. Hast du ein Messer bei der Hand?« fragte er den Fischer. »Dann schneide die junge Esche dort ab.« Dies geschah. »Bleib dort hinten stehen,« sagte Monk darauf zu dem Manne. »Du darfst mit deinem Licht nicht so nahe heran, wir haben Schießpulver zu Tage zu fördern.«

Der Matrose wich erschrocken zurück. Athos und Monk traten hinter eine Säule. Der Franzose ergriff den Hebebaum, setzte ihn in den Ring und wuchtete mit einem kraftvollen Ruck die Platte in die Höhe. – »Ich danke, Mylord,« sprach er, als Monk ihm helfen wollte. »Ich wünsche nicht, daß Sie mit Hand anlegen an ein Werk, von dem Sie gewiß die Finger lassen würden, wenn Ihnen die Folgen, die es haben wird, bekannt wären.«

Der General stutzte und sah den Grafen an. – »Was meinen Sie damit?« fragte er. – Athos warf einen Blick auf den Fischer und sagte: »Wir sind nicht allein.« – »Ha!« dachte Monk. »Nun, ich will es drauf ankommen lassen, Mann gegen Mann mit ihm zu bleiben.« Darauf rief er dem Matrosen zu, er solle in den Außenhof zurückkehren und seine Laterne da lassen. Der Mann gehorchte. Monk war mit Athos allein.

»In dieser Gruft also soll soviel Geld stecken?« fragte der General, nahm die Laterne und stellte sie hart an den Rand der Oeffnung. – »Ja, General, in fünf Minuten werden Sie nicht mehr daran zweifeln.« – Zugleich schlug Athos mit solcher Kraft auf die Gipsbekleidung, daß sie in Stücke ging. Er faßte die Steine und riß sie los. – »Das ist das Mauerwerk, von dem ich sprach.« – »Ja, aber ich sehe die Fässer noch nicht,« gab Monk zur Antwort. – »Wenn ich einen Dolch hätte,« sagte Athos, »dann würden die Fässer bald zum Vorschein kommen. Leider habe ich alle Waffen in Ihrem Zelte gelassen.« – »Ich würde Ihnen den meinigen geben,« erwiderte Monk, »aber die Klinge ist zu dünn und würde nur abbrechen. Lassen Sie sich den Dolch des Fischers herüberwerfen.« – Athos trat ein paar Schritte vor, bis er in Rufweite des Matrosen war. Gleich darauf klirrte die Waffe auf dem Gestein, und der Graf kehrte zurück. – »Der ist stärker als meiner,« sprach Monk ruhig.

Athos schien nicht zu hören, sondern arbeitete alsbald wieder an den Steinen herum. In wenigen Minuten war aller Gips entfernt, und Monk erblickte zwei Fäßchen. – »Sie sehen, General,« rief Athos, »meine Ahnungen haben mich nicht betrogen. Gott beschützt jede gerechte Sache, und daher war ich der Zuversicht, daß dieser Schatz nicht in unrechte Hände gefallen sei.« – »Sie sind ebenso geheimnisvoll in Worten wie in Taten, Graf,« entgegnete Monk. »Soeben sprachen Sie von den Folgen Ihrer Tat, und jetzt reden Sie von einer gerechten Sache. Was ist das für eine Sache?«

Athos sah General Monk an, als wollte er in der Tiefe seiner Seele lesen. Dann nahm er seinen Hut ab und begann in feierlichem Tone, dem die düstere Umgebung der Ruine noch eine ganz besondere Eindringlichkeit verlieh: »Herr General, als Edelmann spreche ich zum Edelmanne. Ich sagte, dieses Geld gehöre mir. Das war die erste Lüge meines Lebens. Ich eile, sie wieder gutzumachen. Dieses Geld gehört vielmehr Karl II., dem vertriebenen König von England.« – Monk erblaßte und zitterte unwillkürlich. – »Ich bin der Letzte,« fuhr der Graf de la Fère fort, »der dem unglücklichen Herrscher die Treue gewahrt hat, und um ihm zu helfen, habe ich den Mann aufgesucht, von dessen Entschluß das Schicksal Englands und seines Königs abhängt, habe mich ihm wehrlos in die Hände gegeben und spreche also zu ihm: Mylord, diese Million ist der letzte Rettungsanker eines Mannes, der Ihr Fürst und König ist. Sie allein haben über sein Schicksal, über seine Zukunft zu entscheiden. Hier vor Ihnen liegt das, was den König retten kann, was Sie aber auch zu seiner völligen Vernichtung benützen können. Wenn Sie verhindern wollen, daß ich mit diesem Gelde zu Karl II. zurückkehre, daß ich ihm die Heimfahrt damit ermögliche, dann stoßen Sie mich nieder, hier ist ein fertiges Grab. Zu jedem andern als Ihnen, Mylord, würde ich sagen: Nehmen Sie dieses Geld als Bezahlung für Ihre Mithilfe. Treten Sie gegen diese Million auf die Seite Karls, werfen Sie Ihre gewichtige Stimme zu seinen Gunsten in die Wage, Ihnen wird das Volk beistimmen. Allein so darf ich zu General Monk nicht sprechen. An einen so ausgezeichneten Charakter muß ich andere Worte richten. Herr General, eine hervorragende Stelle in der Geschichte Ihres Volkes ist Ihnen eingeräumt worden. Wenn Sie nur das Wohl Ihres Vaterlandes im Auge haben, dann müssen Sie dem König helfen, dem einzigen rechtmäßigen König. Dann wird Ihnen der Ruhm zuteil werden, der redlichste, tugendhafteste Mann Ihrer Zeit gewesen zu sein. Sie haben eine Krone in der Hand gehalten und, statt sie auf das eigene Haupt zu setzen, dem rechtmäßigen Besitzer zurückgegeben. Handeln Sie so, Mylord, und Ihr Ruhm bei der Nachwelt wird nicht enden.«

 

Der Graf schwieg. Monk hatte weder Beistimmung noch Widerspruch erkennen lassen. Sein kaltes, gefühlloses Gesicht veränderte sich nicht. Nach kurzem Schweigen antwortete er: »Herr Graf, Sie sind einer von denen, die Karl I. helfen wollten. Als ich sagte, ich hätte noch nie von Ihnen gehört, sprach auch ich die Unwahrheit. Ich habe vielmehr schon viel von Ihnen gehört, aber ich freue mich, daß ich Sie nach meinem Gefühl, nicht nach meinen Erinnerungen beurteilt habe, daß ich Ihnen Gehör schenkte, statt Sie auf der Stelle gefangenzusetzen. Bisher habe ich noch keine der von Karl II. an mich abgeschickten Personen vorgelassen. Was kümmert mich dieses Phantom von einem König? Er hat hier gekämpft und ist besiegt worden, also ist er ein schlechter Heerführer; er hat Unterhandlungen versucht und keine erfolgreich durchführen können, also ist er auch ein schlechter Diplomat. Er ist in seinem Elend an allen europäischen Höfen hausieren gegangen, also ist er auch kleinmütig und schwach. Er hat sich noch nicht königlich gezeigt, keine edle große Tat hat der Geist gezeitigt, der eines der größten Länder der Erde regieren soll. Ich kenne Karl Stuart also nur von einer sehr unvorteilhaften Seite. Soll ich ihm deshalb huldigen, weil er der Sohn Karls I. ist? Den hat das Volk vom Thron gestoßen, weil ihm die Tugenden eines Königs fehlten. Nun wohl, dieser Sohn möge mir zeigen, daß er eben jene Tugenden besitzt; er offenbare mir sein Genie, seinen Mut. Von ihm als dem Sproß eines solchen Geschlechts muß man mehr fordern als von andern Sterblichen. Bringen Sie ihm diese Million. Sie soll für mich ein Prüfstein sein, und ich werde sehen, wie er das Geld anwendet. Bis jetzt will ich ihn ja schließlich nicht ganz verdammen. Nein, gewiß nicht! Sie haben sehr Recht, wenn Sie sagen, ich verfolge nur das Wohl meines Vaterlandes. Ja ich erkläre Ihnen sogar, wenn das Parlament mir heute Befehl erteilte, Karl II. als König zu empfangen, so würde ich –«

»So würden Sie gehorchen?« rief Athos freudig. – »Entschuldigen Sie,« versetzte Monk lächelnd. »Wo hatte ich alter Graukopf nur meinen Verstand? Hätte ich doch beinahe eine jugendliche Torheit gesagt!« – »Sie würden also nicht gehorchen?« fragte Athos. – »Das sagte ich auch nicht, Graf. Das Wohl des Vaterlands über alles! Wenn das Parlament mir einen solchen Befehl erteilte, so würde ich mich bedanken. Doch gestatten Sie nun auch mir eine Frage. Wenn Sie Karl Stuart diese Million bringen, welchen Rat werden Sie ihm dabei geben?« – »Ich werde ihm nicht raten, Unterhandlungen anzuknüpfen, was mancher an meiner Stelle vielleicht täte. Ich werde ihm Folgendes raten: Werben Sie, so werde ich zu ihm sprechen, zwei Regimenter an, rücken Sie in Schottland ein, führen Sie persönlich das kleine Heer an und fallen Sie mit der Fahne in der Hand. Rufen Sie sterbend noch Ihren Gegnern zu: Briten, dies ist der dritte König meines Geschlechts, den ihr mordet, fürchtet die Rache Gottes!« – »Leider werden gerade die guten Ratschläge von den Königen selten befolgt,« versetzte Monk mit ironischem Lächeln. »Graf, unsere Unterredung ist beendet. Ich werde Befehl erteilen, diese Fässer an den Ort zu schaffen, den Sie mir nennen wollen. Wo wohnen Sie?« – »In einem kleinen Dorfe an der Mündung des Flusses. Eine Viertelmeile von der Küste liegt auch mein Schiff.«

»Wollen Sie sogleich absegeln?« fragte Monk. »Ich rate Ihnen, dies nicht zu tun. Zwischen mir und Lambert steht eine Schlacht bevor oder ein Vergleich. Jedenfalls aber eine Entscheidung. Warten Sie acht Tage. Dann muß diese Entscheidung gefallen sein. Wenn ich dann noch am Leben bin, so werde ich Sie aufsuchen. Vielleicht haben die Dinge dann ein ganz anderes Gesicht als heute. Sicherlich aber werden Sie Karl Stuart eine wichtige Neuigkeit gleich als Augenzeuge übermitteln können. Sie werden von mir Nachricht erhalten. Doch nicht vor acht Tagen.« – In den Augen des Grafen blitzte ein Strahl von Freude auf. »O, wie stolz würde es mich machen,« rief er fast unwillkürlich, »das edle Herz, das unter diesem Mantel schlägt, früher als andere entdeckt zu haben!«

Monk antwortete nicht, sondern befahl dem Fischer, den Wachtposten herbeizurufen. Die vier Soldaten kamen. Der General hieß den Sergeanten, der die Aufsicht über die drei Gemeinen führte, hertreten. »In diesen zwei Fässern sind Pulver und Kugeln,« sagte er. »Schaffe sie mit deinen Leuten in das kleine Dorf an der Flußmündung, das wir morgen mit 200 Mann besetzen. Sorge dafür, daß es geheim bleibt. Der Sieg kann dadurch entschieden werden. Dieser Edelmann hier wird dich hinführen und dir zeigen, wo die Fässer niederzulegen sind. Laß also sofort ein Pferd holen, das die Last tragen kann. Herr Graf,« wendete er sich an Athos, »ich lasse Sie mit diesen Leuten allein und kehre ins Lager zurück. Auf Wiedersehen!«

Er verließ die Gruft. Als er etwa zwanzig Schritte von der Abtei entfernt war, ertönte ein leiser Pfiff in der Dunkelheit. Monk sah sich nach dem Fischer um, der sie hergeführt hatte. Der Mann war nirgends mehr zu sehen. Monk glaubte sich in der Mitte seines Lagers frei von aller Gefahr und schritt weiter. Hätte er sorgsamer hingeschaut, so würde er entdeckt haben, daß ein Mann ein Stück von ihm entfernt zwischen den Steinen dahinkroch, und daß das Fischerboot nicht mehr in der Mitte des Flusses, sondern hart am Ufer lag. Die nächsten Wachtposten waren ein beträchtliches Stück von ihm entfernt; den einzigen, der ihm hätte helfen können, hatte er unter den Befehl des Grafen de la Fère gestellt. Der Nebel wurde rasch so dicht, daß man bald keine zehn Schritte weit sehen konnte. Plötzlich glaubte Monk ein Geräusch zu hören, das wie Ruderschläge klang. Er blieb stehen und zog seine Pistole. Einen Hilferuf auszustoßen, solange es nicht dringend nötig war, hielt er seiner unwürdig.

*

Am nächsten Morgen wurde Athos durch den Lärm von Soldaten geweckt, die in seine Wohnung drangen. Sie hatten Befehl, ihn ins Lager zu führen. Verwundert darüber, daß Monk so rasch gegen die Verabredung verstieß, folgte er den Leuten. Als er im Hauptquartier anlangte, sah er im Zelte des Generals außer dem ihm schon bekannten Adjutanten Digby zwei Obersten. Sein Schwert lag noch auf dem Tische, wohin er es am verflossenen Abend gelegt hatte.