Die Eissphinx

Tekst
0
Recenzje
Przeczytaj fragment
Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

Eine Insel war es, die zu einer ganzen, im Westen verstreuten Gruppe solcher gehörte.

Die Goëlette segelte auf sie zu und ging bei sechs Faden Wasser vor Anker. Die Boote wurden bemannt. Arthur Pym und Dirk Peters nahmen in dem einen Platz, das erst vor vier, mit bewaffneten Männern besetzten Canots Halt machte – vor »neuen Menschen« sagt der Bericht.

Neuartig erschienen sie allerdings, diese pechschwarzen Eingebornen, die in ein ich schwarzes Thierfell gehüllt waren und einen instinctiven Abscheu vor der »weißen Farbe« haben mochten. Doch wie weit mochte dieser Abscheu wohl im Winter gehen?... Fiel hier etwa auch schwarzer Schnee und sahen die Eischollen, wenn sich solche bildeten, ebenfalls schwarz aus?... Ein reines Phantasiegebilde!

Ohne irgendwelche feindselige Absichten zu zeigen, riefen die Eingebornen fortwährend »anamoo-moo« und »lama-lama«. Als ihre Canots an der Goulette angekommen waren, erhielt der Häuptling Too-Wit Erlaubniß, mit zwanzig seiner Begleiter an Bord zu kommen. Hier verriethen alle das ungeheucheltste Erstaunen, denn sie hielten das Schiff für ein lebendes Wesen und streichelten und liebkosten dessen Tauwerk, Masten und Schanzkleidung. Von ihnen zwischen die Uferklippen hin und durch eine Bucht mit schwarzsandigem Grunde geleitet, ging die Goulette eine Seemeile vom Ufer vor Anker und der Kapitän Guy, der aus Vorsicht einige Geiseln zurückbehalten hatte, betrat das felsige Ufer.

Diese Insel Tsalal war, wenn man Arthur Pym Glauben schenkt, ein höchst merkwürdiges Stückchen Erde. Die Bäume glichen keiner der vielen Arten, die in den verschiedenen Zonen des Erdballs sonst vorkommen; ebenso zeigten die Felsen eine den neueren Mineralogen gewiß unbekannte Schichtung. Im Bette der Rios glitt eine undurchsichtige Flüssigkeit hin, auf der sich andersartige Adern zeigten, die, mit der Messerklinge getheilt, sich nicht wieder zusammen schlossen.

Bis nach Klock-Klock, dem Hauptorte der Insel, war ein Weg von drei Meilen zurückzulegen. Hier sah man nur elende, einzig von schwarzen Fellen umschlossene Wohnstätten, Hausthiere, die dem gewöhnlichen Schwein ähnelten, eine Art Schafe mit schwarzem Vließ, etwa zwanzig Arten Vögel, darunter zahme Albatrosse, Taucherenten, und Galapagos-Schildkröten in überraschender Menge.

In Klock-Klock angelangt, fanden der Kapitän Guy und seine Gefährten eine von Arthur Pym auf zehntausend Seelen geschätzte, aus Männern, Frauen und Kindern bestehende Bevölkerung. Zu fürchten waren die Leute zwar nicht, doch hielt man sie sich, mit Rücksicht auf ihr lärmendes, demonstratives Auftreten, wohl besser drei Schritte vom Leibe. Nach längerem Verweilen im Hause Too-Wit's begab man sich wieder nach dem Ufer, wo es die von den Chinesen so geschätzten Seekühe in solcher Masse gab, daß davon leicht eine tüchtige Ladung zu erbeuten gewesen wäre.

Hierüber suchte man sich auch mit Too-Wit zu verständigen. Der Kapitän Guy ersuchte ihn um die Erlaubniß, Schuppen bauen zu dürfen, worin einige der Leute der »Jane« die Seekühe zurichten sollten, während die Goëlette ihre Fahrt nach dem Pole fortsetzte. Too-Wit ging gern darauf ein, und es wurde noch ab gemacht, daß eine Anzahl Eingeborner bei der Jagd auf die kostbaren Meerbewohner helfen sollte.

Nach Verlauf eines Monats waren die einfachen Einrichtungen vollendet und drei Mann von der Besatzung wurden ausgewählt, auf Tsalal zurückzubleiben. Bisher hatte man nicht die geringste Ursache gehabt, gegen die Eingebornen irgendwelchen Verdacht zu hegen. Vor der letzten Verabschiedung wollte sich der Kapitän Guy noch einmal nach dem Dorfe Klock-Klock begeben, ließ aber aus Vorsicht sechs Mann auf dem Schiffe zurück, dessen Kanonen geladen waren und dessen Anker zum Lichten schon emporgehoben war. Diese Leute sollten sich unbedingt jeder Annäherung von Eingebornen widersetzen.

Von hundert Kriegern begleitet, zog Too-Wit seinen Gästen entgegen. Der Weg führte durch ein schmales Thal zwischen Hügeln und einem fettigen Gestein, einer Art Steatit, hin, wie es Arthur Pym noch niemals gesehen hatte. Weiter folgten einander tausend Windungen zwischen sechzig und achtzig Fuß hohen Abhängen, die einen kaum vierzig Fuß breiten Raum zwischen sich ließen.

Ohne besonderes Mißtrauen, obwohl die Oertlichkeit für einen Ueberfall wie geschaffen schien, marschierten der Kapitän Guy und seine Begleiter eng aneinandergeschlossen dahin.

Rechts und etwas voraus hielten sich Arthur Pym, Dirk Peters und ein Matrose, namens Allen.

An einem Spalt angelangt, der sich an der Seite eines Hügels öffnete, fiel es Arthur Pym ein, dahin einzudringen, um einige Haselnüsse zu pflücken, die von verkrüppelten Büschen in Träubchen herabhingen. Gleich darauf wollte er umkehren, als er sah, daß der Mestize und Allen ihm gefolgt waren. Eben gedachten nun alle drei, den Ausgang aus dem Spalt wieder zu gewinnen, als ein heftiger, plötzlicher Stoß sie zu Boden warf. Gleichzeitig barsten die seifigfetten Massen des Hügels und sie erkannten, daß sie hier lebendig begraben würden....

Lebendig?... Alle drei?... Nein, nur Allen war unter den Schuttmassen schon so tief begraben, daß er nicht mehr athmete.

Sich auf den Knieen hinschleppend und mit dem Messer einen Weg ausbrechend, wobei sie ihr großes Bowiemesser benützten, gelang es Arthur Pym und Dirk Peters, einige Vorsprünge aus etwas widerstandsfähigerem, schiefrigem Thon und von hier eine Art natürlicher Plattform am Ende einer bewaldeten Schlucht zu erreichen, über der ein Streifen blauen Himmels leuchtete.

Von hier aus konnten sie die ganze Umgebung weithin überblicken.

Es war ein ausgedehnter Bergsturz, was sich eben ereignet hatte..... doch ein künstlicher Bergsturz, den die Eingebornen hervorgerufen hatten. Der Kapitän Guy nebst seinen achtundzwanzig Begleitern war, von Millionen Tonnen Erde und Gestein verschüttet, für immer verschwunden....

Das Land umher wimmelte von Eingebornen, die wohl auch von den Nachbarinseln mit dem Verlangen gekommen waren, die »Jane« zu plündern. Siebzig Boote mit Auslegern drangen gegen die Goëlette vor. Die sechs an Bord zurückgebliebenen Leute sandten ihnen eine schlecht gezielte Salve entgegen, darauf eine zweite von Kartätschen und Kettenkugeln, die eine schreckliche Wirkung hatte. Nichtsdestoweniger wurde die »Jane« gestürmt, angezündet und ihre Besatzung umgebracht. Zuletzt entstand eine entsetzliche Explosion, als die Pulverkammer Feuer fing – eine Explosion, die wohl tausend Eingeborne zerriß und ebenso viele verstümmelte, während die übrigen unter dem Rufe »tekeli-li!... tekeli-li!« flüchteten.

Die ganze folgende Woche lebten Arthur Pym und Dirk Peters von Haselnüssen, Rohrdommelnfleisch und Weichthieren, und entgingen auch den Eingebornen, die ihre Gegenwart gewiß nicht mehr vermutheten. Sie hielten sich dabei fast immer in der Tiefe eines ausgangslosen Abgrunds auf, der sich in den Steatit und eine Art Mergel mit eingesprengten Metallkörnern einsenkte.

Er hing nur nach einer Seite mit einer Reihe weiterer Schlünde zusammen, von deren geometrischen Anordnung Arthur Pym eine Skizze entwarf, die in ihrer Gestalt ein Wort arabischen Stammes mit der Bedeutung »Weißes Wesen« und eines ägyptischen Ursprungs, ?FUG??C, mit der Bedeutung »Südgebiet«, wiedergiebt. Man erkennt, daß der amerikanische Verfasser die Unwahrscheinlichkeiten schon auf die Spitze treibt. Ich hatte übrigens nicht nur den Roman »Arthur Gordon Pym, wiederholt gelesen, sondern kannte auch die andern Werke Edgar Poe's. Ich wußte, was man von diesem mehr sensitiven als intellectuellen Geiste zu halten hatte. Einer seiner Kritiker sagt gewiß mit vollem Rechte: Die Phantasie überwiegt bei ihm alle andern Anlagen... eine sozusagen göttliche Anlage, die die tiefsten und geheimsten Beziehungen der Dinge durchdringt, ihre übereinstimmenden und analogen Seiten erkennt....

Unzweifelhaft ist es, daß in diesen Arbeiten bisher niemand etwas anders gesehen hatte, als Schöpfungen der Phantasie. Wie konnte nun, ohne geistesgestört zu sein, ein Mann gleich dem Kapitän Len Guy diese Schöpfungen lebendigster Einbildungskraft für thatsächlich wahr hinnehmen?

Ich fahre weiter fort:

Arthur Pym und Dirk Peters konnten natürlich nicht für immer in ihrem tiefen Schlupfwinkel bleiben, doch erst nach vielen Versuchen gelang es ihnen, an einem Abhange des Hügels hinabzugleiten. Sofort stürzten fünf Eingeborne auf sie zu. Dank ihren Pistolen und der außergewöhnlichen Körperkraft des Mestizen wurden vier davon getödtet, der fünfte aber von den Flüchtlingen mit fortgeschleppt, die am Ufer ein mit drei großen Schildkröten beladenes Boot fanden. Zwanzig Insulaner, die ihnen nacheilten, versuchten vergeblich, sie anzuhalten. Sie wurden zurückgetrieben und das mit den nöthigen Pagaien versehene Boot glitt aufs Meer hinaus und wandte sich nach Süden.

Arthur Pym befand sich jetzt jenseits des vierundachtzigsten Grades südlicher Breite. Es war zu Anfang des März, also kurz vor Eintritt des antarktischen Winters. Im Westen tauchten fünf oder sechs Inseln auf, an denen man aber aus Vorsicht vorüberfuhr. Arthur Pym vertrat immer die Ansicht, daß die Temperatur je näher dem Pole desto milder sein werde. Am Ende der vorn am Boote aufgerichteten zwei Pagaien wurde ein Segel angebracht, das aus den mit einander verbundnen Hemden Arthur Pym's und Dirk Peters' bestand – weißen Hemden, vor deren Farbe der gefangene Eingeborne, der den Namen Nu-Nu führte, einen grenzenlosen Abscheu zu erkennen gab. Begünstigt von einem mäßigen Nordwinde und bei noch fortwährender Tageshelle ging die seltsame Fahrt acht Tage lang fort, über ein Meer ohne jede Eisscholle, denn bei der höheren, auch im Wasser vorhandenen Temperatur hatte sich schon von der Insel Bennet an keine einzige solche gezeigt.

Jetzt drangen nun Arthur Pym und Dirk Peters in ein neues und wunderbares Gebiet ein. Am Horizont lagerte eine breite Schicht grauen, leichten Dampfes mit weit hervorschießenden Ausstrahlungen, wie man solche an Nordlichtern beobachtet. Eine ziemlich rasche Strömung unterstützte noch die Wirkung des Windes. Das Boot glitt über eine außerordentlich flüssige Masse von milchigem Aussehen hin, die von unten her bewegt zu werden schien. Da begann eine weiße Asche niederzufallen, was den Schrecken Nu-Nu's, dessen Lippen sich bis über seine schwarzen Zahnreihen zurückzogen, nur vermehrte.

 

Am 9. März verdoppelte sich der Aschenregen und nahm die Temperatur des Wassers so sehr zu, daß man die Hand nicht mehr hineinhalten konnte. Die ungeheure Dampfschicht, die den fernen Halbkreis des Horizonts einnahm, glich einem unbegrenzten Wasserfalle, der still von irgend einem hohen, in der Höhe des Himmels verlorenen Walle herniedersank....

Zwölf Tage später breitet sich über die Umgebung die Finsterniß, nur unterbrochen durch leuchtende Ausströmungen, die sich aus der milchigen Tiefe des antarktischen Oceans erheben, in den der nie nachlassende Aschenregen niederrieselt.

Das Boot näherte sich dem Katarakte mit unheimlicher Schnelligkeit, über deren Ursachen Arthur Pym keinen Aufschluß giebt. Zuweilen spaltete sich die Dunstmasse, und dann erblickte man hinter ihr ein Chaos schwankender, unbestimmter Bilder, die von mächtigen Luftströmungen bewegt zu werden schienen....

Mitten durch die entsetzliche Dunkelheit flatterten Schaaren riesiger Vögel von fahlweißer Farbe, die ihr ewiges »tekeli-li« kreischten, und dabei hauchte der von Schaudern ergriffene Wilde seinen letzten Seufzer aus.

Plötzlich stürzt das Boot, von rasender Schnelligkeit gepackt, sozusagen in die Arme des Katarakts, indem sich ein Abgrund öffnet, wie um es zu verschlingen.... Doch gleichzeitig erhebt sich dem Boote gegenüber eine verschleierte menschliche Gestalt von einer Größe, wie man auf Erden wohl noch keine gesehen hat... und die Hautfarbe der Erscheinung war ganz schneeweiß....

Das ist der merkwürdige Roman, den das übermenschliche Genie des größten Dichters der Neuen Welt hervorgebracht hat. Und so endigt er auch... oder endigt er vielmehr nicht. Meiner Ansicht nach hat Edgar Poe, außer Stande, für diese außerordentliche Sachlage eine Lösung zu geben, den Bericht mit »dem plötzlichen und beklagenswerthen Tode seines Helden« abgebrochen, wobei er die Hoffnung durchschimmern ließ, daß auch die fehlenden letzten zwei oder drei Capitel nach ihrer etwaigen Auffindung veröffentlicht werden würden.

Sechstes Capitel
»Wie ein sich aufschlagendes Bahrtuch«

Die »Halbrane« fuhr mit Hilfe der Strömungen und des Windes immer weiter. Hielt das auch ferner so an, so mußte die Entfernung, die die Prinz Eduard Insel von Tristan d'Acunha trennt – ungefähr dreitausendzweihundert Seemeilen – binnen vierzehn Tagen zurückgelegt werden und das, wie der Hochbootsmann prophezeit hatte, ohne die Segelstellung ein einziges Mal zu wechseln. Unveränderlich stand der Wind aus Südosten, manchmal so frisch, daß die höchsten Segel eingezogen werden mußten.

Der Kapitän Len Guy überließ übrigens die Führung des Schiffes gänzlich dem Jem West, und dieser tollkühne Leinenhändler – man verzeihe den Ausdruck – ließ nicht eher reefen, als bis die Masten zu brechen drohten. Ich fürchtete jedoch nichts, denn mit einem solchen Seemann war keine Havarie zu gewärtigen. Dafür hatte er die Augen überall und für alles zu weit offen.

»Unser Lieutenant hat doch nicht seines Gleichen, versicherte mir eines Tages Hurliguerly, er verdiente wahrlich ein Admiralschiff zu führen!

– Ja, antwortete ich zustimmend, Ihr Herr Jem West scheint mir der geborene Seemann zu sein.

– Unsere »Halbrane« ist aber auch eine Goëlette, die sich sehen lassen kann! Wünschen Sie sich Glück, Herr Jeorling, und mir auch, daß ich den Kapitän zur Aenderung seines ersten Entschlusses zu bringen vermochte.

– Wenn Sie es waren, der das durchgesetzt hat, so danke ich Ihnen herzlich!

– Und die Sache war nicht so leicht, denn er zögerte verteufelt lange, unser Kapitän, trotz des dringenden Zuredens des Vater Atkins! Mir gelang es endlich, ihm Vernunft beizubringen....

– Das vergesse ich auch nicht, Hochbootsmann, das vergesse ich Ihnen nicht, denn statt mich auf den Kerguelen zu Tode zu langweilen, werd' ich nun, Dank Ihrem Eintreten für mich, bald in Sicht von Tristan d'Acunha sein....

– Schon nach wenigen Tagen, Herr Jeorling. Wie ich verlauten gehört habe, beschäftigt man sich in Amerika und in England jetzt mit Schiffen, die eine Maschine im Leibe und Räder haben, deren sie sich wie Enten der Pfoten bedienen! Na, meinetwegen, man wird ja sehen, was dabei herauskommt. Ich bin überzeugt, daß solche Schiffe es niemals mit einer guten Fregatte mit sechzig Kanonen, die bei frischer Brise noch dicht am Winde segelt, werden aufnehmen können. Der Wind, Herr Jeorling, der Wind, selbst wenn man ihn in ganz spitzem Winkel abfangen muß, genügt schon allein, und eine Theerjacke braucht keine Räder am Rumpfe!«

Ich hatte gegen die Anschauungen des Hochbootsmanns über die Verwendung des Dampfes in der Schifffahrt nichts zu erwidern. Damals war man noch im Stadium der Versuche, und die Schraube hatte die Schaufelräder noch nicht ersetzt. Wer konnte wohl deutlich in die Zukunft blicken?...

Da erinnerte ich mich, daß die »Jane« – jene »Jane«, von der der Kapitän Len Guy sprach, als ob sie wirklich existiert und fast als ob er sie mit eigenen Augen gesehen hätte – genau in vierzehn Tagen von der Prinz Eduard-Insel nach Tristan d'Acunha gesegelt war. Edgar Poe verfügte über Winde und Meeresströmungen freilich ganz nach Belieben.

Im Laufe der folgenden vierzehn Tage unterhielt mich der Kapitän Len Guy nicht weiter von Arthur Pym; es schien sogar, als habe er mir von den Abenteuern dieses Helden des südlichen Eismeeres überhaupt noch nicht gesprochen. Hatte er übrigens gehofft, mich von deren Thatsächlichkeit zu überzeugen, so wäre das von ihm ein Beweis sehr mittelmäßiger Intelligenz gewesen. Wie konnte auch ein Mann mit gesunder Vernunft ernsthaft über diese Sache sprechen! Wenn er nicht Sinn und Verstand eingebüßt hatte, nicht bezüglich dieses besondern Falles ebenso Monomane wie der Kapitän Len Guy war, konnte – ich wiederhole es zum zehnten Male – in dem Berichte Edgar Poe's niemand etwas anderes als eine Schöpfung der Phantasie erblicken.

Man bedenke nur: Nach genanntem Bericht wäre eine englische Goëlette bis zum vierundachtzigsten Grade südlicher Breite vorgedrungen, und diese Fahrt wäre nicht zu einem geographischen Ereigniß erster Classe geworden?... Arthur Pym hätte man, nach seiner Rückkehr aus den Tiefen des Antarktischen Oceans, nicht über einen Cook, Wedell oder Biscoe gestellt? Man sollte ihm und Dirk Peters, den beiden Passagieren der »Jane«, die noch über den genannten Breitengrad hinausgekommen waren, keine öffentlichen Ehrenbezeugungen erwiesen haben?... Und was soll man von dem von ihnen entdeckten freien Meere halten... von der außerordentlichen Geschwindigkeit der Strömungen, die sie nach dem Pole zu führten... von der abnormen Temperatur des Wassers, das von unten her so stark erwärmt wurde, daß man die Hand nicht darin leiden konnte.. was von jenem Dunstwall längs des Horizonts... von dem Gaskatarakt, der sich zuweilen spaltet und hinter dem Gestalten von übermenschlicher Größe auftauchen?

Von allen diesen Unwahrscheinlichkeiten aber abgesehen, wär' ich doch begierig zu erfahren, wie Arthur Pym und der Mestize von so weit her zurückgekommen seien, wie ihr tsalalisches Boot sie bis über den Polarkreis hinaus getragen haben möchte, wie sie endlich aufgefunden und nach der Heimat befördert worden seien. Wäre Arthur Pym in einem gebrechlichen Boote mit Pagaien über zwanzig Breitengrade weit gefahren, hätte er darin wieder das Packeis durchbrochen und eines der nächstgelegenen Länder erreicht, so würde er die Vorfälle unterwegs gewiß erzählt haben.... O, wird man einwerfen, Arthur Pym starb, ehe er den letzten Theil seines Berichts niederschreibe konnte. Zugegeben; doch ist es wahrscheinlich, daß er dem Herausgeber des Southern Literary Messenger davon keine mündlichen Mittheilungen gemacht hätte?... Und warum sollte Dirk Peters, der angeblich noch einige Jahre in Illinois wohnte, über den endlichen Ausgang ihrer Abenteuer geschwiegen haben? Hätte er ein Interesse daran gehabt, nicht davon zu sprechen?...

Den Worten des Kapitän Len Guy nach hatte sich dieser allerdings nach Vandalia begeben, wo Dirk Peters – dem Romane nach – sich aufhielt, hatte ihn aber nicht angetroffen. Das glaub ich gern. Gleich wie Arthur Pym hatte er, ich wiederhole es, nur in der erregten Einbildung des amerikanischen Dichters gelebt. Zeugt es aber nicht gerade für die außerordentliche Macht dieses Genius, daß das, was er nur erfunden hatte, von einigen Personen für thatsächliche Wahrheit hingenommen wurde?

Ich begriff wohl, daß es übel angebracht gewesen wäre, mit dem nun einmal von seiner fixen Idee besessenen Kapitän Len Guy noch weiter über dasselbe Thema zu verhandeln und eine Beweisführung wieder aufzunehmen, die ihn doch nicht überzeugt hätte. Düsterer und verschlossener als vorher, erschien er nur noch auf Deck, wenn es dringend nöthig war. Dann schweiften seine Blicke unablässig über den südlichen Horizont, den sie zu durchdringen suchten....

Vielleicht glaubte er da schon die von großen Spalten gestreifte Dunstschicht zu sehen, die von der Finsterniß verhüllten Tiefen des Himmels, die aufsteigenden Flammengarben aus dem milchigtrüben Meere wahrzunehmen und den weißen Riesen zu erkennen, der ihm den Weg durch die Schluchten des Kataraktes zeigte...

Ein sonderbarer Schwärmer, unser Kapitän! Zum Glück blieb seine Intelligenz nach jeder andern Seite hin ungetrübt, seine Fähigkeiten als Seemann unbeeinflußt, und die Befürchtungen, die mir anfänglich aufstiegen, schienen sich nicht bewahrheiten zu sollen.

Von größtem Interesse erschien es mir jedoch, zu ergründen, warum der Kapitän Len Guy eine so rege Theilnahme für die angeblichen Schiffbrüchigen von der »Jane« bewahrte. Selbst Arthur Pym's Bericht als wahr angenommen und zugegeben, daß die englische Goëlette jene undurchdringlichen Gebiete dennoch durchschifft hätte – wozu konnte seine warme Theilnahme am Schicksale der betreffenden Leute dienen? Hatten auch einzelne Matrosen der »Jane«, ihr Führer oder seine Officiere, die Explosion und den von den Eingebornen der Insel Tsalal herbeigeführten Bergsturz überlebt, konnte man deshalb vernünftigerweise annehmen, daß sie auch jetzt noch am Leben wären? Seit jenen Ereignissen waren nach den Zeitangaben Arthur Pym's elf Jahre verflossen, und wie hätten die Unglücklichen, wenn sie den Insulanern damals wirklich entkamen, unter den gegebenen Verhältnissen ihre Bedürfnisse befriedigen können, oder sollten sie nicht vielmehr bis zum letzten Mann umgekommen sein?

Doch da ertappe ich mich ja bei der ernsten Betrachtung von Hypothesen denen es an jeder Unterlage gebricht. Noch etwas mehr, und ich fing vielleicht an, an die Existenz Arthur Pym's und Dirk Peters', an deren Gefährten und an die im südlichen Packeise verlorne »Jane« zu glauben!... Hatte mich die Verwirrung des Kapitän Len Guy bereits angesteckt? In der That hatte ich mich ja dabei überrascht, einen Vergleich zwischen dem Wege der »Jane«, als sie nach Westen steuerte, und dem anzustellen, dem die »Halbrane« auf ihrer Fahrt nach Tristan d'Acunha folgte.

Wir schrieben jetzt den 3. September. Kam es zu keiner Verzögerung – und die hätte nur ein Seeunfall herbeiführen können – so mußte unsere Goëlette binnen drei Tagen in Sicht des Hafens sein. Die Inselgruppe steigt übrigens so hoch empor, daß man sie bei günstiger Witterung schon aus großer Ferne sieht.

An diesem Tage spazierte ich zwischen zehn und elf Uhr vormittags an der Windseite zwischen Vorder-und Hintertheil des Schiffes hin und her. Wir glitten leicht über das schwach bewegte, kaum plätschernde Meer. Die »Halbrane« glich mehr einem ungeheuern Vogel, einem der von Arthur Pym erwähnten riesenhaften Albatrosse, der, sein mächtiges Gefieder entfaltend, eine ganze Mannschaft durch den Luftraum mit forttrug. Ja, für einen etwas phantastisch angelegten Kopf war das keine Seefahrt mehr, sondern ein Flug, und das Schlagen der Segel war das Schlagen von Fittichen.

Am Spill, vom Gaffelsegel geschützt und das Fernrohr vor den Augen, stand Jem West und schaute an der Leeseite an Backbord nach einem in ein bis zwei Seemeilen Entfernung schwimmenden Gegenstande hin, nach dem mehrere, über die Schanzkleidung gebeugte Matrosen mit dem Finger zeigten.

 

Es war das eine Masse von zehn bis zwölf Quadratyard Oberfläche, von unregelmäßiger Gestalt und mit einer lebhaft glänzenden Erhebung in der Mitte. Diese Masse hob und senkte sich mit den Wellen, die sie in der Richtung nach Nordwesten weitertrugen.

Ich begab mich nach dem Vorderdecke und faßte jenen Gegenstand scharf ins Auge.

Dabei vernahm ich die Bemerkungen der Mannschaften, die für die geringsten Seetriften allemal besonderes Interesse haben.

»Ein Walfisch ist das nicht, erklärte der Segelmaat Martin Holt. Er würde, seit wir ihn beobachten, mindestens schon zehnmal ausgeathmet und also eine Wassersäule mit Luft vermengt emporgetrieben haben.

– Nein, von einem Wal kann keine Rede sein, bestätigte Hardie, der Kalfatermeister. Vielleicht ist es der Rumpf eines verlassenen Schiffes...

– Das der Teufel vollends versenken möge! rief Rogers. Daran sollten wir in der Nacht nur einmal anstoßen! Da käme keiner mehr dazu, sich hinter den Ohren zu kratzen, und wir gingen unter, ohne zu wissen, wie und warum!

– Hast Recht, stimmte Drap ihm bei. Diese Wracks sind schlimmer als Felsen, denn sie treiben heute hier und morgen da... wer könnte sich ihrer erwehren?«

Eben trat Hurliguerly zu den Leuten heran.

»Was denken Sie davon, Hochbootsmann?« fragte ich ihn, als er sich neben mir auf die Reling gelehnt hatte.

Hurliguerly blickte scharf hinaus, und da die von frischer Brise getriebene Goëlette sich der Masse rasch näherte, war jetzt ein Urtheil schon leichter abzugeben.

»Was wir da draußen sehen, Herr Jeorling, antwortete der Hochbootsmann, ist meiner Ansicht nach weder ein Wal, noch eine Seetrift, sondern ganz einfach eine Eisscholle....

– Eine Eisscholle? rief ich verwundert.

– Hurliguerly täuscht sich nicht, fiel jetzt Jem West ein. Es handelt sich ganz einfach um eine Eisscholle, um ein Stück eines Eisbergs, das die Strömung weggeführt hat....

– Wie, versetzte ich, bis herab zum fünfundvierzigsten Breitengrade?

– Das kommt zuweilen vor, erwiderte der Lieutenant. Manchmal verirren sich Eisschollen bis in die Nähe des Caps, wenn man einem französischen Seefahrer, dem Kapitän Blosseville, glauben darf, der 1828 solche in dieser Höhe getroffen zu haben behauptet.

– Dann wird diese hier aber wohl bald zerschmelzen? bemerkte ich, erstaunt, daß mich der Lieutenant West einer so langen Antwort gewürdigt hatte.

– Sie wird schon zum größten Theil aufgelöst sein, versicherte der Lieutenant, und was wir hier sehen, ist gewiß nur der Rest eines Eisberges, der vielleicht mehrere Millionen Tonnen Gewicht gehabt hat.«

Inzwischen war der Kapitän Len Guy aus seiner Cabine herausgekommen. Als er die Gruppe von Matrosen um Jem West stehen sah, ging er auch selbst nach vorn.

Nach einigen, mit leiser Stimme gewechselten Worten übergab der Lieutenant ihm das Fernrohr.

Len Guy richtete es auf den schwimmenden Gegenstand, dem sich die Goëlette jetzt bis auf eine Seemeile genähert hatte, und nachdem er jenen eine Minute lang beobachtet hatte, sagte er:

»Es ist eine Eisscholle und für uns ein Glück, daß sie im Schmelzen ist! Die »Halbrane« hätte eine ernste Havarie davontragen können, wenn sie in der Nacht mit ihr collidierie....

Mir fiel die Sorgfalt auf, womit der Kapitän seine Beobachtung fortsetzte. Es schien, als ob seine Augen von dem Ocular des Fernrohrs, das sozusagen seine Pupille geworden war, gar nicht weichen könnten. Er blieb, wie an den Boden gebannt, regungslos stehen. Unempfänglich für das Rollen und Schlingern, die beiden Arme seiner Gewohnheit gemäß straff ausgestreckt, hielt er die Eisscholle unverrückbar im Gesichtsfelde des Objectivs. Sein ernsthaftes Gesicht zeigte hier und da hektische Flecken, bleiche Stellen und über seine Lippen kamen unverständliche Worte.

So verstrichen einige Minuten. Die »Halbrane« war schon nahe dabei, an der Scholle vorüberzusegeln.

»Um ein Quart abfallen!« befahl der Kapitän, ohne das Fernrohr abzusetzen.

Ich errieth, was im Gehirn des von einer fixen Idee befallenen Mannes vorging.

Diese vom südlichen Packeis abgesprengte Scholle kam ja aus den Gebieten, wohin ihn sein Gedanke unablässig zog. Er wollte sie näher sehen... vielleicht sie anlaufen... vielleicht irgend etwas davon mitnehmen....

Infolge des von Jem West übermittelten Befehls, hatte der Hochbootsmann die Schooten langsam nachschießen lassen, und um ein Quart beigedreht lief die Goëlette nun auf die Eisscholle zu. Bald waren wir nur noch zwei Kabellängen davon entfernt und ich konnte sie jetzt besser erkennen.

Wie schon erwähnt, schmolz die Erhebung der Mitte von allen Seiten ab. Wasserfäden schlängelten sich an ihren Wänden hinunter. Im September dieses schon frühzeitig warmen Jahres hatte die Sonne bereits die Kraft, die Auflösung alles Eises hervorzurufen und sogar zu beschleunigen.

Am Ende des Tages war sicherlich nichts mehr von der Scholle übrig, die die Strömungen bis zum fünfundvierzigsten Breitengrade getragen hatten.

Der Kapitän Len Guy behielt sie noch immer im Auge, ohne jetzt das Fernrohr nöthig zu haben. Allmählich unterschied man auf dem Eise einen fremdartigen Körper, der beim weitern Schmelzen immer mehr zum Vorschein kam – eine Gestalt von dunkler Farbe, die auf dem weißen Untergrunde lag.

Wie erstaunten, wie erschraken wir aber, als wir erst einen Arm, dann ein Bein, endlich einen Rumpf nebst Kopf hervortreten sahen, kurz eine Menschengestalt, die nicht nackt, sondern noch mit dunkler Kleidung verhüllt war....

Einen Augenblick glaubte ich gar, daß diese Glieder sich bewegten... daß diese Hände sich gegen uns ausstreckten....

Die Mannschaft konnte einen Aufschrei nicht unterdrücken.

Nein, der Körper bewegte sich zwar nicht, er glitt aber langsam aus seinem eisigen Bette herab.

Ich sah den Kapitän Len Guy an. Sein Gesicht war so bleich wie das des Leichnams, der aus den hohen Breiten des südlichen Polarmeers hierher verschlagen war.

Was möglich war, um den Unglücklichen aufzunehmen, geschah ohne Zögern... wer wußte, ob er nicht vielleicht noch ins Leben zurückgerufen werden konnte. Jedenfalls enthielten seine Taschen irgend ein Schriftstück, das seine Persönlichkeit festzustellen erlaubte. Dann würde ein letztes Gebet gesprochen und dieser Ueberrest eines menschlichen Wesens in die Tiefe des Oceans, den Friedhof der auf dem Meere verstorbenen Seeleute, versenkt werden.

Sofort wurde ein Boot flott gemacht. Der Hochbootsmann nahm darin mit den Matrosen Gratian und Francis Platz und letztere ergriffen die Riemen. Durch Gegenbrassen hemmte Jem West den Lauf der Goëlette, die jetzt fast still lag und sich mit den langen Wellen hob und senkte.

Mit den Blicken folgte ich dem Boote, das an dem vom Wasser angenagten Rande der Scholle anlegte.

Hurliguerly betrat sie an einer Stelle, die noch mehr Zusammenhang und Festigkeit zu bieten schien. Gratian stieg mit ihm aus, während Francis das Boot mittelst der Kette eines kleinen Dreggankers festhielt.

Beide krochen dann mehr nach dem Cadaver hin, zogen ihn, der eine an den Armen, der andre an den Beinen, vollends herab und brachten ihn ins Boot.

Mit einigen Ruderschlägen gelangten die Leute wieder nach der Goëlette. Der vom Kopf bis zu den Füßen steinhart gefrorene Leichnam wurde nahe dem Fockmast niedergelegt.

Sofort ging der Kapitän Len Guy auf ihn zu und betrachtete ihn aufmerksam, als ob er den Mann zu erkennen suchte.