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Kurz nach 22 Uhr fällt die letzte wichtige Entscheidung: Hitler erhält beruhigende Nachrichten von seinem Kurier in Italien, Prinz Philipp von Hessen: Der Duce habe die „ganze Sache“ sehr freundlich aufgenommen, Österreich sei für ihn eine „abgetane Angelegenheit“. Hitler ist erleichtert und verspricht: „Wenn die österreichische Sache jetzt aus dem Weg geräumt ist, bin ich bereit, mit ihm durch dick und dünn zu gehen (…) ich werde ihm das nie, nie vergessen.“ Prinz Philipp von Hessen bestätigt: „Jawohl, mein Führer!“

Globocnik, der die „Telefonwache“ hält und sich ungeniert als „Beauftragter“ der Regierung ausgibt, sammelt und genießt weiterhin die „Siegesmeldungen“ der Parteiführer in den Bundesländern – und aus der Bundeshauptstadt: Nazitrupps sind inzwischen im Wiener Rathaus eingedrungen, Vizebürgermeister Fritz Lahr, ein ehemaliger Heimwehrführer, hat die „kommissarische Führung“ der Stadt übernommen, über den Rathausplatz dröhnen Deutschland- und Horst-Wessel-Lied. Rainer kommt mit Klausner, Jury und Edmund Veesenmayer, dem Adjutanten Kepplers, zurück ins Bundeskanzleramt; umgeben von seinen Freunden tippt er auf einem Sofa in der Säulenhalle eine erste Ministerliste, die sich an Görings Vorschlägen orientiert.

Um 22 Uhr stehen 40 mit Pistolen bewaffnete SS-Leute in weißen Hemden und schwarzen Hosen vom Sturm 89 unter Führung des ehemaligen Spitzenläufers Felix Rinner beim Hintereingang des Bundeskanzleramts, sie seien auf Befehl Seyß-Inquarts gekommen, um den „Schutz der Verhandlungspartner“ zu übernehmen – eine von Friedrich Rainer geschickt inszenierte Aktion, die Erfolg hat: Seyß-Inquart will zwar keine Bewachung, willigt dann aber doch ein; die SS-Männer beziehen Posten vor den wichtigsten Räumen. Ausgerechnet jene SS-Einheit, die beim Putsch am 25. Juli 1934 gescheitert ist, macht sich nun kampflos im Bundeskanzleramt breit.

Unter dem „Druck der bereits vollzogenen Machtübernahme in ganz Österreich durch die NSDAP“ ist schließlich auch Bundespräsident Wilhelm Miklas zum Einlenken bereit. Um 23 Uhr betraut er Seyß-Inquart mit der „Fortführung der Geschäfte der Bundesführung“, eine Möglichkeit, die der Paragraf 84 der Maiverfassung von 1934 definiert und mit der Auflage verbindet, dass alle Entscheidungen der Regierung durch den Bundespräsidenten gegengezeichnet werden müssen – für die Nazis eine halbe Lösung, die sie nicht akzeptieren wollen, sie schicken Seyß-Inquart wieder zu Miklas. Immerhin: Ein Status der Legalität ist damit erreicht; die Meldung von diesem ersten Teilerfolg geht um 23.14 Uhr über die Ravag an die Öffentlichkeit.

Es geht gegen Mitternacht, als Miklas, bedrängt von Seyß-Inquart, der immer wieder darauf verweist, dass er doch kein „Revolutionär“ sei und auf legalem Wege Bundeskanzler werden wolle, von Schuschnigg und Ex-Außenminister Guido Schmidt, seinen Widerstand endgültig aufgibt und bereit ist, Seyß-Inquart zum Bundeskanzler zu ernennen. Er knüpft an die Ernennung drei Bedingungen:

„1. Vermeiden Sie Blutvergießen! 2. Stellen Sie Ruhe und Ordnung wieder her! 3. Sichern Sie dem Land den Frieden!“ – Bedingungen, die Österreichs Unabhängigkeit sichern und einen deutschen Einmarsch verhindern sollen, doch dazu ist es bereits zu spät.

Seyß-Inquart marschiert zu den Parteigenossen im Säulensaal, jetzt endlich bringt er die Botschaft mit, die sie seit langen Stunden hören wollen: „Ich bin zum Bundeskanzler ernannt.“ Die Freunde gratulieren, nur Globocnik kann es nicht lassen, einen kritischen Ton anzubringen, er meint etwas süffisant zum neuen Kanzler: „Wissen Sie, ich habe für Sie die Macht ergriffen und Regierung gespielt, aber ich habe Ihnen nichts gesagt, denn Sie wären dagegen gewesen.“ Es ist Mitternacht, als sich „Friedl“ Rainer wieder an die Schreibmaschine setzt und eine neue Ministerliste tippt: Vizekanzler soll Glaise-Horstenau werden, Außenminister der katholisch-nationale Ministerialrat im Bundespressedienst Dr. Wilhelm Wolff, Justizminister wie mit Göring abgesprochen Franz Hueber, Minister für Soziale Verwaltung Hugo Jury und Anton Reinthaller soll für seine treuen Dienste mit dem Landwirtschaftsministerium betraut werden. Um Mitternacht sendet die Ravag eine neue Bekanntmachung, Seyß-Inquart sei, so der Kernsatz, „noch in Besprechungen über die Durchführung der Betrauung mit dem Bundespräsidenten befasst“. Dieser ist nun auch bereit, die ihm vorgelegte Ministerliste zu akzeptieren – er unterschreibt sie ohne Einwände; die Vereidigung des neuen Kabinetts wird für den Vormittag festgesetzt. Seyß-Inquart hat noch immer die Illusion, dass ein Einmarsch der Deutschen verhindert werden könne, und will mit Berlin verhandeln; seine Parteigenossen wollen davon eigentlich nichts mehr hören, auch sie befinden sich bereits im „Anschluss“-Rausch. Landesleiter Hubert Klausner bleibt es vorbehalten, den „Sieg“ zu verkünden. Um 1.08 Uhr ruft er vom Balkon des Bundeskanzleramts: „In tiefer Bewegung verkünde ich in dieser feierlichen Stunde: Österreich ist frei geworden! Österreich ist nationalsozialistisch! Durch das Vertrauen des ganzen Volkes emporgetragen, ist eine neue Regierung gebildet worden, die nach den Grundsätzen unserer herrlichen nationalsozialistischen Bewegung ihre ganze Kraft für das Glück und den Frieden dieses Landes einsetzen wird. Arbeit und Brot für alle Volksgenossen zu schaffen, wird ihre erste Aufgabe sein. (…) An Euch, deutsche Volksgenossen und Volksgenossinnen, aber ergeht mein Ruf: An die Arbeit! Unser Ziel ist erreicht: Ein Volk, ein Reich, ein Führer! Heil unserm Führer! Heil Hitler!“ Alle wollen auf den Balkon und sich als Sieger feiern lassen; Globocnik holt auch seinen Freund Rainer: „Friedl, du musst auch auf den Balkon!“ Dann geht’s für die neuen Regierungsmitglieder zum Fotografieren, man hat auch schon einen Platz ausgewählt: das Zimmer des Kanzlersekretärs Franz Krisch, in dem 1934 Engelbert Dollfuß verblutet ist …


Zwei Sieger und doch keine großen Freunde: Arthur Seyß-Inquart, bis zum 30. April 1939 Reichsstatthalter in der „Ostmark“, und Odilo Globocnik im Sommer 1938.

In Wien und in den Landeshauptstädten macht der triumphierende NS-Mob die Nacht zum Tag. Zum Schlafen bleibt auch für die führenden Nazi-Funktionäre in der Nacht vom 11. zum 12. März 1938 keine Zeit. Als man erfährt, dass Himmler mit seinem Gefolge von München-Oberwiesenfeld Richtung Wien abgeflogen ist, beschließt man, den Reichsführer-SS gebührend zu empfangen. In der Stunde des Triumphes erwarten sie von ihm Lob und Anerkennung. In drei „Regierungsautos“ fährt man hinaus zum Flugplatz Aspern: Landesleiter Hubert Klausner, Friedrich Rainer und Odilo Globocnik, Ernst Kaltenbrunner, Sicherheitsstaatssekretär Michael Skubl und Edmund Veesenmayer, der Mitarbeiter Wilhelm Kepplers; begleitet werden sie von „wild kostümierten“ SA- und SS-Leuten (Tomkowitz/​Wagner). Da man zu früh am Flugplatz ist, macht man es sich im Restaurant des Flugplatzes gemütlich und beschließt, endlich etwas zu essen – Veesenmayer gelingt es, einen Kranz Zervelat zu organisieren, das gute Stück Wurst wird mit Heißhunger verschlungen, die Stimmung ist bestens.

Um 4.30 Uhr kommt von der Flugleitung die Meldung, dass die beiden Maschinen aus München in Kürze landen würden; der Leiter des Flugplatzes, Polizeioberstleutnant Oscar von Schmoczer, begleitet Klausner und Co hinaus auf das Flugfeld. Und dann sind die Chefs aus dem „Reich“ auch schon da: Zwei Junkers 52 rollen aus, deutsche SS-Männer, bewaffnet mit Maschinenpistolen, stürzen aus der einen Maschine, sichern zackig das Erscheinen ihres Herrn: Reichsführer-SS Heinrich Himmler wird begleitet von Reinhard Heydrich, dem Chef der Sicherheitspolizei, und Kurt Daluege, SS-Oberführer der Ordnungspolizei.

Als Führer der SS in Österreich übernimmt es Ernst Kaltenbrunner, er trägt Knickerbocker, Sportjackett und Fliege, Himmler Meldung zu erstatten. Markig tönt er: „Melde Reichsführer vollen Sieg der Bewegung! Die SS zur weiteren Befehlsausgabe angetreten!“ – Himmler zeigt sich von den stramm stehenden Österreichern wenig beeindruckt und eilt zu den wartenden Autos; gemeinsam mit Klausner und Kaltenrunner fährt er mit seinem Gefolge ins Hotel Regina.

Globocnik und Rainer haben großzügig auf ihre Plätze im Auto verzichtet und stehen an diesem kühlen Märzmorgen allein auf dem Fluplatz im Nordosten Wiens – erst nach stundenlangem Telefonieren gelingt es ihnen, ein Taxi in die Stadt zu bekommen. Sie ahnen, dass die Plätze an der Macht hart umkämpft sein werden. Beide haben an diesem langen Tag und in dieser langen Nacht entscheidend zur „Machtübernahme“ beigetragen, beide sind jedoch vorerst leer ausgegangen. Auf die ihnen ihrer Meinung nach gebührende Belohnung für die großen Verdienste werden sie aber nicht verzichten wollen …

Deutsche Truppen besetzen in diesen Minuten bereits die Grenzübergänge nach Österreich, sie stoßen nirgends auf Widerstand; um 8 Uhr überschreiten Soldaten der 8. Armee die Grenze, jubelnd begrüßt von der Bevölkerung; die Erste Republik ist Geschichte.


Die Sieger des 11. März haben am 12. nur einen Wunsch: Sie wollen das Erscheinen ihres „Führers“ nicht untätig abwarten, sondern ihm auf halbem Weg entgegeneilen. So chartern der neue Bundeskanzler Arthur Seyß-Inquart und seine Freunde eine Maschine, die sie nach Linz bringt, mit an Bord natürlich auch Odilo Globocnik und Friedrich Rainer. Zunächst wartet man auf dem Hauptplatz in Linz auf die Ankunft des „Führers“; um 17.50 Uhr beschließt man ihm entgegenzufahren, nach 15 Kilometern hält man an, um sich der Triumphfahrt Hitlers anzuschließen. Gegen 19.30 Uhr trifft die Wagenkolonne des „Führers“ in Linz ein, gemeinsam mit Seyß-Inquart, Himmler, Eigruber und anderen prominenten Nazis betritt Hitler unter dem frenetischen Jubel der hier seit Stunden wartenden Menge den Balkon des Linzer Rathauses. Bundeskanzler Seyß-Inquart spricht die Begrüßungsworte und nützt die Gelegenheit, um „in feierlicher Weise“ den Artikel 88 des Staatsvertrags von St. Germain 1919 als „unwirksam“ zu erklären. Die „Unabhängigkeit Österreichs ist unabänderlich, es sei denn, daß der Rat des Völkerbundes einer Abänderung zustimmt“, hatte der Artikel gelautet, das ist vergessen, jetzt sei das Ziel „das volksdeutsche Reich der Ordnung, des Friedens und der Freiheit der Völker“. Hitler greift in seiner Replik das Wort vom „volksdeutschen Reich“ auf, das der „Wunsch und Wille des deutschen Volkes“ sei; dann spricht er von seinem historischen Auftrag, seine „teure Heimat dem Deutschen Reich“ wiederzugeben, für den er „gelebt und gekämpft“ und den er nun erfüllt habe. Die Menge am Hauptplatz tobt, überhört, dass Hitler auch von einem „Beitrag“ spricht, den sie für die Zukunft Deutschlands, für „seine Größe und seine Herrlichkeit“ zu leisten haben werde.

 

Nach diesem ersten öffentlichen Auftritt in Österreich zieht sich Hitler ins Hotel Weinzinger an der Linzer Donaulände zurück und jetzt dürfen auch seine Kärntner Getreuen mit ihm sprechen – er empfängt NS-Landesleiter Klausner, Rainer und Globocnik. Die Aussprache dauert nicht allzu lange, Hitler weiß, was er den drei Kärntner „Musketieren“ zu verdanken hat; jetzt gilt es, für sie entsprechende Ämter zu finden. Dann sind Österreich-Beauftragter Wilhelm Keppler und Bundeskanzler Seyß-Inquart beim „Führer“, die anderen warten inzwischen in der Halle des Hotels, sie hoffen, dass Hitler noch zu ihnen herunterkommt – werden jedoch enttäuscht. Seyß-Inquart schweigt sich über die mit dem „Führer“ besprochenen Details aus; noch in der Nacht fährt er mit seiner Entourage nach Wien zurück.

Sonntag, 13. März 1938. Während Hitler im Hotel Weinzinger mit seinen Beamten den Entwurf zum „Wiedervereinigungsgesetz“ bespricht und zu Mittag zum Grab seiner Eltern nach Leonding fährt, baut Seyß-Inquart seine Regierung um – jetzt gibt es auch für Hubert Klausner ein Amt: Er wird Minister für die „politische Willensbildung“; SS-Führer Ernst Kaltenbrunner übernimmt nach dem Rücktritt von Michael Skubl das Staatssekretariat für Angelegenheiten der Sicherheit. Am Nachmittag tagt dann die NS-Landesleitung im Haus der ehemaligen Vaterländischen Front am Platz Am Hof, die neuen Funktionen für Odilo Globocnik und Friedrich Rainer werden festgelegt: Globus wird Leiter des Stabs im Amt von Landesleiter Hubert Klausner, Rainer erhält die Leitung des politischen Amts der Landesleitung – ehrenwerte Ämter, die jedoch bei den beiden Kärntner Aktivisten einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen: Sollte das alles gewesen sein? Denn ins Rampenlicht treten andere: Da ist vor allem Josef Bürckel, der Gauleiter der Saarpfalz, der von Hitler den Auftrag erhält, als kommissarischer Leiter die Volksabstimmung am 10. April 1938 über den „Anschluss an das Deutsche Reich“ vorzubereiten und die österreichische NSDAP zu reorganisieren. Hitler vertraut dem ehemaligen Volksschullehrer, der sich schon 1935 als „Abstimmungskommissar“ im Saarland bewährt hat, und erhofft sich von ihm vor allem, dass er die österreichischen Parteigenossen im Zaum hält. Hitler hat seine Lektion gelernt.

Inzwischen wird der „Anschluss“ auch legistisch vollzogen: Im Ministerratszimmer des Bundeskanzleramts ist an diesem Sonntagnachmittag eine Kabinettsitzung anberaumt. Bundeskanzler Seyß-Inquart, der am Vormittag noch neue Minister nominiert hat, muss nun darangehen, sich selbst und die Regierung zu eliminieren. Als einziger Punkt auf der Tagesordnung steht die Verabschiedung des „Gesetzes über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“, den Text haben deutsche Beamte aus Linz gebracht, Wilhelm Keppler und Staatssekretär Dr. Friedrich Wimmer besprechen vor der Sitzung noch letzte Modifikationen. Die Sitzung verläuft ruhig, keiner der anwesenden Minister wagt ein Wort des Widerspruchs – das Gesetz wird einstimmig angenommen. Da damit eine Verfassungsänderung vorliegt, ist es notwendig, dass der Bundespräsident gegenzeichnet, doch Miklas lehnt ab. Er tritt als Bundespräsident zurück und überträgt seine Funktionen gemäß Artikel 77, Punkt 1, der Verfassung an Seyß-Inquart – dieser kann nun, Bundespräsident und Bundeskanzler in einer Person, gegenzeichnen; mit der Unterschrift sind beide Ämter obsolet, es gibt keinen selbstständigen österreichischen Staat mehr. Keppler übernimmt es, den „Führer“ in Linz über den erfolgreichen Coup zu informieren.


Zwei Tage später, am 15 März 1938, zelebriert Hitler am Wiener Heldenplatz die „Heimkehr“ Österreichs ins Reich. Im Trubel des Tages geht eine letzte anerkennende Geste für die österreichischen Parteigenossen beinahe unter: Globocnik und Rainer werden noch zu Staatssekretären ohne Geschäftsbereich in der Landesregierung von Reichsstatthalter Seyß-Inquart ernannt. Eine Auszeichnung für die beiden Kärntner, auf die sie mächtig stolz sind, auch wenn die Funktion ihnen keine besonderen politischen Möglichkeiten eröffnet. Globocnik überlegt offenbar sogar, Wien zu verlassen und nach Kärnten zurückzugehen, ein Nachdenkprozess, der wohl einige Wochen andauert – wie aus einem Brief von Emil Michner an das Büro Hitlers hervorgeht (siehe unten), borgt er sich bei seinem Schwiegervater in spe sogar Geld aus, um eine Wohnung und ein Büro in Klagenfurt zu mieten. Doch dann, rechtzeitig vor der Volksabstimmung am 10. April, ist er zurück in Wien, um sich wieder ins Rennen um eine Führungsposition zu bringen. Es geht – und daraus macht er kein Geheimnis – um den Posten des Wiener Gauleiters. Offiziell ist er wegen der Volksabstimmung in Wien, ist er doch „Inspekteur“ im Stab von Josef Bürckel, dem „Beauftragten des Führers für die Volksabstimmung“. Das Hotel Kaiserhof in der Frankenberggasse 10 unweit vom Karlsplatz wird für einige Tage zu seinem Hauptquartier. Am 8. April meldet sich der Herr Staatssekretär Globocnik unter dieser Adresse an; in der Spalte „Familienstand“ vermerkt er als mitgemeldete Gattin „Margarete, geboren 19. 10. 1906“ – Indiz dafür, dass zu diesem Zeitpunkt die Hochzeit mit Grete, die ihn offenbar nach Wien begleitet, fix ist. Der junge Nazi-Karrierist will seiner Verlobten etwas bieten, eigentlich hätte man ja auch in seiner nicht allzu weit entfernten Wohnung in der Köstlergasse absteigen können. Der gemeinsame Aufenthalt im „Kaiserhof“ wird jedenfalls rasch vorbei sein, am 12. April, zwei Tage nach der Volksabstimmung, die zum glorreichen Sieg der Nazis stilisiert wird, melden sich Globocnik und „Gattin“ wieder nach Klagenfurt ab. Seine Karriere steht in den folgenden Wochen auf des Messers Schneide; für alle Fälle baut Globocnik vor und besorgt sich wie geplant Wohnung und Büro in Klagenfurt: Am 6. Mai meldet er sich laut Klagenfurter Melderegister in der Bahnhofstraße 65/​2/​12 an – eine Zukunft als biederer Baumeister steht im Raum.

Doch Globocnik ist nicht der Mann, der kampflos resigniert: Das Paar ist an diesem 8. April 1938 aus Linz nach Wien gekommen, wo sich Globus mit Helmut Friedrichs, dem Hauptamtsleiter im Stab von Rudolf Heß, dem Stellvertreter des „Führers“, getroffen hat. Friedrichs unterstützt Christian Opdenhoff, den stellvertretenden Leiter der Abteilung VIII (Personalfragen) in der Wiener Dienststelle Bürckels, der mit Planstudien und der Ausarbeitung von Lösungsvorschlägen für die „Neuorganisation Österreichs“ betraut ist. In einer für Opdenhoff bestimmten Notiz vom 9. April 1938 berichtet Friedrichs über das Treffen: „Lieber Pg. Opdenhoff! Gestern hatte ich in Linz eine Besprechung mit Pg. Globotschnigg (sic!), der mit Genehmigung von Pg. Heydrich beim (sic!) dem R.F.S.S. gewesen war, nachher den Stabsleiter (= Martin Bormann – J. S.) sprechen (wollte), aber an mich verwiesen wurde. Meine Frage, ob die beiliegenden Vorschläge Gauleiter Bürckel übergeben seien, bejahte er. Er wies im übrigen darauf hin, daß er sich nicht selbst auf die Liste gesetzt hätte, die ‚Anderen‘ hätten das getan.“ (BA, Sammlung Schumacher 304/​zitiert nach Botz, Eingliederung)

Friedrichs dokumentiert mit seiner Notiz, wie hartnäckig und zielgerichtet Globocnik versucht, den ersehnten Gauleiterposten zu bekommen. Taktisch geschickt wählt er – protegiert von Reinhard Heydrich – den Reichsführer-SS Heinrich Himmler zu seinem Verbündeten und schafft damit ein bedeutendes Gegengewicht zur Heß-Bormann-Bürckel-Fraktion, die Globocnik in ihren Überlegungen für die neu zu bestellenden Gauleiter ursprünglich gar nicht miteinbezieht. Die Liste, die Globocnik am 8. April Friedrichs vorlegt und die er mit nach Wien bringt, sieht ihn jedoch bereits als Gauleiter von Wien vor, für den Posten des Bürgermeisters ist Hermann Neubacher nominiert. Der Kommentar zu diesem Vorschlag spiegelt die Perspektive Globocniks: „Die Gauleiter können nur ausgewählt werden nach ihren tatsächlichen Leistungen besonders in der Verbotszeit nach dem 25. Juli 1934. Die Gauleiter, die den künftigen Neuaufbau der Partei in Österreich durchführen werden, müssen gewachsen sein aus der Zeit, die entscheidend war für die Vorbereitung der Machtergreifung. Es wäre eine Gefahr, Gauleiter zu wählen, die aus der Zeit vor dem 25. Juli 1934 stammen und aus dieser Zeit belastet sind mit der damaligen Fehlentwicklung der Partei in Österreich und die in der Zeit nach dem 11. Juli 1936 entweder nicht an der Front des Kampfes gestanden haben oder diesen Kampf selbst an der Front nicht verstanden und falsch geführt und beeinflusst haben“ – eine deutliche Spitze gegen Männer wie Alfred Eduard Frauenfeld, den Gauleiter Wiens von 1930 bis 1933, oder den Erzfeind Hauptmann Leopold, der nun kaltblütig von den Parteigenossen völlig ausgebootet wird. Alfred Persche, der Stabschef Leopolds, notiert in seinem unveröffentlichten Manuskript über die Ereignisse nach dem „Anschluss“: „Die SS hat auf allen Linien gesiegt. (…) Gauleiter Bürckel schlug vor, Major Klausner nickte zustimmend mit dem Kopfe und der Führer sagte ja. Interesselosigkeit? Gleichgültigkeit des Großen für das, was da unter ihm quirlt? Vergesslichkeit? Wer weiß das!“

Globocnik weiß, dass er auch bei Bürckel selbst nicht locker lassen darf. Sein Stellvertreter als NSDAP-Inspekteur für Österreich, ein gewisser Hupfauer, hat daher schon am 1. April an Karl Barth, den persönlichen Referenten Bürckels, einen Brief geschrieben, der nur allzu deutlich die Handschrift Globocniks trägt: „Für die schwierige Aufgabe, den Gau Wien zu leiten und sich insbesondere gegenüber den Stellen des Staates und der Stadt durchzusetzen, bedarf es eines Mannes, der diese Fragen restlos versteht und der in entscheidendem Maße den Umschwung Österreichs mit herbeigeführt hat und auch dem Führer bekannt ist … Ich habe die Überzeugung gewonnen, daß der Parteigenosse Globocnig (sic!) der richtige Mann für diese Stelle wäre, er strebt nicht nach Posten, ist dabei aber unermüdlich tätig, um seinen Einfluß bei der Ordnung der Dinge geltend zu machen und versteht auch die Fragen, die es hier zu lösen gibt. Ich bin der Überzeugung, daß für die Aufgaben, die der Gauleiter Bürckel im Auftrage des Führers zu lösen hat, der Parteigenosse Globocnig gerade in dem schwierigen Gau Wien ein hervorragender Helfer wäre. Ich mache diesen Vorschlag deswegen, weil die bisherige Erfahrung mir gezeigt hat, daß Wien eine stärkere, eine restlos auf die Partei eingestellte Person eingesetzt erhalten muß. Außerdem kann ich feststellen, daß Parteigenosse Globocnig sich restlos den Weisungen des Gauleiters (= Bürckel – J.S.) fügt und fügen wird.“ (Bundesarchiv, zitiert nach Botz, Wien vom „Anschluß“ zum Krieg)

So umsichtig Globus auch vorgeht – Opdenhoff und dessen Chef Bürckel zeigen sich wenig beeindruckt. In einem Schreiben an Friedrichs vom 29. April 1938 sieht Opdenhoff Hubert Klausner als Gauleiter von Wien vor; für den Parteigenossen Globocnik sei allenfalls die Leitung eines Wiener „Treuhand-Bezirks“ möglich. Da Klausner Wien nicht übernehmen und nach Kärnten will, schlägt Opdenhoff am 10. Mai August Eigruber als Kandidaten für den Wiener Gauleiterposten vor; Globocnik möchte er am liebsten als stellvertretenden Gauleiter nach Ostpreußen abschieben, was darauf hinweist, dass Opdenhoff und wohl auch Bürckel mit dem Kärntner ein grundsätzliches Problem haben und ihn für diesen Posten nicht geeignet halten. Ein anderer Vorschlag zur Lösung des Globocnik-Problems, der von Opdenhoff vorgelegt wird: In der Dienststelle Bürckels solle man ein Referat „Österreich“ einrichten und mit dem Unruhegeist aus Kärnten besetzen – deutlich ist das Bestreben spürbar, ihm nicht allzu viel Befehlsgewalt zukommen zu lassen. Bereits am 2. April hatte Opdenhoff diesbezüglich in einer Aktennotiz für seinen Chef vermerkt: „Für Pg. Globotschnigg (sic!) ist es unbedingt gut, wenn er einige Zeit in der Zentralstelle der Partei arbeiten kann. Seine Tätigkeit würde sich für das alte Österreich sicher ungeheuer segensreich auswirken, denn er ist einer der besten Kenner der österreichischen Verhältnisse und energisch und klar genug, alles Notwendige durchzuziehen (…) Pg. Globotschnigg könnte umfassender und trotzdem in seiner Aufgabenstellung eingeschränkter für Österreich wirken (…)“ (BA, Sammlung Schumacher/​304, zitiert nach Botz, Wien vom „Anschluß“ zum Krieg)

 

Knapp zwei Wochen später, trotz aller Bedenken und aller Anfeindungen, entscheidet sich Hitler für Globocnik. Am 23. Mai 1938 ernennt er ihn im Beisein von Bürckel und Heß zum Gauleiter von Wien – Bürckel akzeptiert die Ernennung offenbar, weil er weiß, dass Globocnik im Hintergrund mit Heydrich und Himmler einen mächtigen SS-Rückhalt hat.

In seiner Antrittsrede am 27. Mai lässt er keinen Zweifel an seinem Ziel: „In sechs Monaten gibt es in Wien nur eine einzige Macht – die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei.“ Und der neue Gauleiter meint es ernst mit der braunen „Revolution“: „Die politische, geistige, wirtschaftliche, kulturelle Durchdringung des gesamten öffentlichen Lebens muß durchgeführt werden auf dem Boden wahrer Volksgemeinschaft unter Ausschaltung aller Hemmungen und Schwierigkeiten, die entweder aus der vergangenen Zeit stammen, oder aber der Entwicklung durch Disziplinlosigkeit vorgreifen wollen.“

Globocnik stürzt sich mit Feuereifer in die Aufgabe, jetzt will er es, so hat man den Eindruck, allen Kritikern zeigen. Zeigen, dass er es ernst meint mit den Phrasen, die man von ihm und seinen Parteigenossen alltäglich zu hören bekommt. Ja, es ist eine Art „Revolution“, die er anstrebt. In den ersten Wochen und Monaten nach seinem Amtsantritt steht deshalb ein ungeheurer Aktionismus am Programm, der von ihm auch konsequent umgesetzt wird – Gauleiter Globocnik, der Mann des Volkes, wie er glaubt, ist in der Stadt allgegenwärtig. Am Vormittag des 11. Juni steht er, die Sammelbüchse in der Hand, zusammen mit Reichsstatthalter Seyß-Inquart bei der Staatsoper und sammelt für den Deutschen Schulverein Südmark; nachdem die Fotografen ihre Bilder geschossen haben, geht es zurück in die Gauleitung; am Nachmittag trifft Reichsminister Goebbels in Wien ein, da muss auch er am Asperner Flugplatz sein. Anlass für den Goebbels-Besuch sind der Beginn der ersten „Reichstheater-Festwoche des Großdeutschen Reiches“ und der Kongress des kontinentalen Reklameverbandes in der Wiener Hofburg. In der feierlichen Schlusssitzung erklärt der Reichsminister den Teilnehmern die Bedeutung des Begriffs „Propaganda“ im nationalsozialistischen Staat: Propaganda habe nichts mehr mit der „Wühlarbeit“ politischer Hasardeure zu tun, sondern sei die „Verkündung vollbrachter Taten und erlebter Leistungen“, durch sie lasse die nationalsozialistische Staatsführung „das Volk teilnehmen am politischen Geschehen“, es gehe um die „Wahrheit der Argumentation und Klarheit der vorgetragenen Gedankengänge“.


Triumphale Inszenierung am Heldenplatz: Rede zum 5. Jahrestag des Parteiverbots, 19. Juni 1938. Foto: Fritz Zvacek.

Im Rathaus wird ein „Generalappell des Gaues Wien“ abgehalten, bei dem Globocnik vor über 2.200 politischen Leitern die Rolle Wiens neu definiert: „Es gibt nur eine zentrale politische Führung des deutschen Volkes und daher ist es lebensnotwendig, die zweite politische Zentrale, die einst Wien verkörperte, restlos und für alle Zeiten zu zerschlagen“ – Formulierungen, die den Wien-Hasser verraten. Die „wahre Mission Wiens“ sei es dagegen, „Kulturmittelpunkt des deutschen Volkes“ und „wieder der große Wirtschaftsplatz“ zu sein.

Am nächsten Tag, Sonntag, dem 12. Juni, gilt es Goebbels und die Reichstheater-Festwoche weiterzufeiern. Am Abend begleitet Globocnik den Reichsminister gemeinsam mit Bürckel, Seyß-Inquart und Bürgermeister Neubacher zur Festvorstellung in die Staatsoper, am Programm steht der „Rosenkavalier“. Von der Oper versteht er wenig, aber es geht ja auch nicht um Musik und nicht um Theater, die Aufgabe lautet vielmehr: Nur keinen Fehler machen, man weiß um den Einfluss des Humpelstilzchens auf Hitler. An die Vorstellung schließt sich ein Empfang im Rathaus; Neubacher bedankt sich bei Goebbels für die Verlegung der Reichstheater-Festwoche nach Wien; man ist gespannt auf die „richtunggebende Rede“ des NS-Propagandachefs bei der Kundgebung der Reichstheaterkammer am 13. Juni in der Staatsoper.

In dem mit den Flaggen des Reiches geschmückten Gebäude nimmt diese Veranstaltung dann auch, wie das Kleine Blatt in seiner Ausgabe vom 14. Juni berichtet, einen glanzvollen Verlauf: „Zahlreiche Vertreter von Staat, Partei und Wehrmacht“ sind gekommen; das Erscheinen des Reichsministers wird „vom stürmischen Jubel umbrandet“; die Wiener Philharmoniker spielen unter der Leitung von Generalmusikdirektor Karl Böhm das Concerto grosso Op. 3 Nr. 5. in D-Moll von Händel. Ludwig Körner, der Präsident der Reichstheaterkammer, eröffnet die „historische Kundgebung“, dann folgt die Rede des Ministers: Die Reichstheater-Festwoche sei eine „kulturelle Demonstration“ vor der Welt, das Ziel sei eine „klare und verständliche Kunst“ für das Volk, die „artfremden“ jüdischen Künstler und das „dazugehörige Publikum“, eine ebenfalls jüdische „überfütterte, blasierte Intelligenz“, seien ja von den Wiener Bühnen bereits verschwunden. „Größtes Ziel“, so schließt Dr. Goebbels, sei die Schaffung eines „deutschen Volks- und Nationaltheaters“.

Die Begeisterung des Publikums über diese Ausführungen ist groß – die Jubelstürme sind „nicht endenwollend“, die Wiener Philharmoniker spielen den „majestätisch-prunkvollen“ Schlusssatz von Franz Schuberts 7. Symphonie, dann dankt man dem „Führer“, dem „ersten Künstler des Landes“, mit einem kräftigen „Sieg Heil!“.

Das Goebbels-Zwischenspiel ist damit gut überstanden, jetzt widmet man sich in der Gauleitung wieder dem „sozialrevolutionären“ Aktionismus, etwa dem Kampf gegen „Preiswucher“. Man glaubt zu wissen, was beim „kleinen Mann“ gut ankommt, und hat auch schon wieder eine Idee, die unverzüglich in die Tat umgesetzt wird: Am 15. Juni 1938 taucht Globocnik um 4 Uhr früh plötzlich am Naschmarkt auf, begleitet wird er von den Parteigenossen Karl Schneeberger, dem „Sachbearbeiter“ der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF), der ihm in diesen Tagen wie ein Schatten folgt, und Wolf, dem Leiter des Landesarbeitsamtes Wien. Beinahe drei Stunden lang sind der Gauleiter und seine beiden Begleiter zwischen den Marktständen unterwegs, die Aktion findet durchaus Anklang: „Jeder drängte heran, um persönlich von seinen Verhältnissen zu berichten, und oft schwirrten zahllose Stimmen durcheinander, die alle gleichzeitig erzählen wollten. Auf seinem Rundgang ließ sich der Gauleiter von den Standbesitzern ihre Nöte schildern, sprach mit vielen Marktarbeitern über ihre Lage, ebenso mit den auf dem Markt beschäftigten Frauen und mit den mit ihren Waren auf dem Markt stehenden Bauern. Der Gauleiter erhielt so einen umfassenden und oft bis ins einzelne gehenden Einblick in die gesamte Lage des Marktes, seine Arbeitsweise und seine wirtschaftlichen Voraussetzungen“, schreibt tags darauf das Kleine Blatt. Schuld an so manchen Missständen, da ist man sich einig, sei die „Systemzeit“, nun verspricht Globocnik jedoch Abhilfe durch das „Eingreifen der zuständigen Parteistellen“; er lädt den Vertrauensmann des Marktes zu einer Unterredung ein. Zum Abschied gibt es für Globocnik sogar Blumen – eine Blumenfrau bedankt sich „unter dem Beifall der Umstehenden“ mit einem Strauß Nelken und Kornblumen: Es sollte dies, so das Kleine Blatt, „schlichter Ausdruck der Freude der Menschen des Wiener Naschmarktes sein, daß Gauleiter Globocnik sich um ihre Not kümmert und durch einen persönlichen Augenschein sich über ihre Lage unterrichtet“.