365 Schicksalstage

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Am 21. März unterschreibt Innitzer auf Drängen Bürckels schließlich auch die Präambel und einen ebenfalls vorgefertigten Begleitbrief an den „Herrn Gauleiter“, wobei er handschriftlich hinzufügt: „und Heil Hitler!“ Am 27. März, zwei Wochen vor der Volksabstimmung, wird die Erklärung der Bischöfe von den Kanzeln verkündet, Zeitungen und Zeitschriften bringen sie in Faksimile, dann werden auch noch Plakate damit gedruckt – die „Feierliche Erklärung“ wird in den Händen der Nazis zu einem wirksamen Propagandainstrument.


Erster Internationaler Frauentag

Für die reaktionäre antisemitische Reichspost ist es nur eine „sozialdemokratische Suffragetts-Demonstration“, bei der sich einmal mehr die „Allianz zwischen Judenliberalismus und den Sozialdemokraten“ erweise: der Erste Internationale Frauentag am 19. März 191, ausgerufen von der Zweiten Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz. Die Neue Freie Presse und andere Wiener Blätter berichten dagegen unter dem Stichwort „Frauenwahlrechtstag“ und verschweigen nicht, dass dieser neue Aktionstag, der auch in Deutschland, Dänemark und der Schweiz begangen wird, in Österreich gewaltigen Anklang findet und Tausende Frauen in zahlreichen Städten des Landes auf die Straße führt. Gefordert wird von den Demonstrantinnen vor allem die Einführung des allgemeinen und geheimen Wahlrechts, wichtige Themen sind aber auch Mutterschutz, 8-Stunden-Tag, gleicher Lohn für gleiche Arbeit und Straffreiheit für Abtreibungen.

Die Wiener Festveranstaltung findet unter dem Vorsitz von Frauenrechtlerin Therese Schlesinger (1863 – 1940) im großen „Blumensaal“ der k. k. Wiener Gartenbaugesellschaft (heute Parkring 12) statt; der Andrang ist gewaltig, schon vor Beginn sind alle Plätze besetzt, die Frauen stehen bis auf die Ringstraße hinaus. Eröffnet wird die Versammlung mit dem eigens für diesen Anlass komponierten „Frauenstimmrechtslied“; nach Viktor Adler, der den Frauen wortreich versichert, dass er immer für ihre Rechte kämpfen werde, kommt Adelheid Popp, die „Führerin der sozialdemokratischen Frauenbewegung“ (Neue Freie Presse), zu Wort. Ohne lange Umschweife präsentiert die resolute Kämpferin ihr Anliegen: „An einem Tage wie dem heutigen ist es nicht mehr nötig, zu sagen, dass für die Frauen das Wahlrecht eine Notwendigkeit ist. Sie wissen es, und die anderen, die noch immer lächeln, die werden es sich bald abgewöhnen müssen. […] Wir wollen ins Parlament einziehen, um dort zu sagen, dass unsere Kinder zu wenig Brot und Licht zum Leben haben, und um dort zu sagen, dass, wenn Frau und Mann zusammen Tag und Tag ehrlich arbeiten, ihre Kinder noch immer nicht leben können. Wir fordern also deshalb unser Stimmrecht, weil wir Fauen und Mütter sind! Wir wollen unsere Stimme erheben für unser Wohl und das Wohl unserer Kinder!“

Eine Resolution im Sinne dieser Forderungen wird angenommen, dann formiert sich ein Demonstrationszug, etwa 15.000 Frauen marschieren auf der Ringstraße vom Schwarzenbergplatz Richtung Dr.-Karl-Lueger-Platz“ (heute Rathausplatz), unter ihnen, wie die Neue Freie Presse bemerkt, auch viele Teilnehmerinnen aus dem bürgerlichen Lager. Wieder spricht Adelheid Popp, die den Frauentag in einer längeren Rede „als geschichtliches Wahrzeichen der Monarchie“ würdigt; ihre Parteifreunde Wilhelm Ellenbogen, Jakob Reumann und Therese Schlesinger betonen in kurzen Stellungnahmen, dass dieser Tag im Kampf um das Frauenwahlrecht „wohl der erste, doch lange nicht der letzte“ gewesen sei.


Das erste Automobil in Österreich

Es beginnt schon zu dunkeln, als sich von Rorschach kommend ein seltsames Gefährt der Vorarlberger Hauptstadt nähert: eine Kutsche ohne Pferde, mit drei Rädern, knatternd und ratternd, eine Wolke aus Benzingestank hinter sich lassend. Um neun Uhr morgens sind die beiden Männer am „Kutschbock“, der Marinemaler Eugen Zardetti (1849 – 1926) und der Monteur Matthias Bender, ein enger Mitarbeiter des Mannheimer Automobilpioniers Carl Benz, vom Hotel Helvetia in Kreuzlingen abgefahren, bestaunt von einer Masse Volk; nach häufigem Zünder wechseln und einigen Schnellfahrtpartien erreichen sie endlich ihr Ziel, die elegante Villa Mirador am Ölrain in Bregenz. Übernommen hat Zardetti den dreirädrigen Benz-Patent-Motorwagen mit der Fabrikationsnummer 24 am Vortag in Konstanz, vor allem auf den Steigungen haben er und Bender ihre liebe Not – das Gefährt bleibt, wie Zardetti in seinem 2003 aufgefundenen „Motorwagen-Tagebuch“ notiert, oft stecken.


Eugen Zardetti mit Frau und Sohn auf seinem 4 PS starken Benz-Motorwagen.

Der Benz-Motorwagen Zardettis ist das erste industriell gefertigte Automobil in Österreich; seine motorische Stärke beläuft sich, wie Zardetti 191 in einem Bericht an das Neue Wiener Tagblatt schreiben wird, auf immerhin vier Pferdekräfte, eine Geschwindigkeit von 30 bis 35 Kilometer(n) per Stunde könne damit erreicht werden. Matthias Bender bleibt noch acht Tage in Bregenz und bringt Zardetti das Fahren bei; täglich zwei bis drei Stunden wird geübt, die Bevölkerung ganzer Dörfer ist auf den Beinen, wenn der „Motorwagen“ vorbeiknattert. Und die Vorarlberger Landeszeitung druckt einen ersten „fachmännischen“ Kommentar zu dieser Sensation ab: „Eine Droschke mit Benzinbetrieb ist seit einigen Tagen hier und befindet sich im Privatbesitz des Herrn Eugen v. Zardetti. Das Gefährt ist in der Konstruktion der eleganten Chaise gleich; der Wagen ruht jedoch vorn nur auf einem Rad, welches wie beim Veloziped behufs Direktion des Fahrzeuges nach links und rechts drehbar ist. Die Zündung des Benzinmotors wird durch Elektrizität bewirkt. Die Fortbewegung des Wagens ist eine gleichmäßige, ruhige und kann zu sehr großer Schnelligkeit gesteigert werden. Diese Neuheit übt einen eigentümlichen Reiz aus: Pferde unnötig, kein Scheuwerden der Rosse, kein Geschirr etc., Vorteile, die noch sehr ins Gewicht fallen werden, wenn solche Fahrzeuge erst billiger sind.“

1898 lässt Zardetti sein dreirädriges Fahrzeug in ein vierrädriges umbauen, nach seinem Tod 1926 wird es dem Technischen Museum in Wien übergeben.


Radetzky siegt bei Mortara

Zu seinem Namenstag am 19. März 1849 hat der 82-jährige Feldmarschall Josef Wenzel Radetzky von Radetz von Erherzogin Sophie ein sehr persönliches Geschenk erhalten: einen Doppeladler aus Silber, der in seinen Fängen ein Miniaturbild Kaiser Franz Josephs hält, und ein von Sophie selbst verfasstes Gedicht:

Der Du gedeckt den Kaiseraar,

Du Gottes starker Heldenschild, O wird der Mutter Dank gewahr, In ihres Herrn und Sohnes Bild.

Wenige Tage zuvor, am 12. März 1849, hat König Karl Albert von Sardinien den Waffenstillstand von Vigevano gekündigt; Radetzky, dem nach seinen Siegen im Jahr zuvor Franz Grillparzer begeistert zugerufen hatte: „In Deinem Lager ist Österreich“, muss für seinen Kaiser noch einmal in den Krieg ziehen. Einem Korrespondenten der Augsburger Allgemeinen Zeitung diktiert er selbstbewusst in die Feder: „Gelobt wollen wir nicht sein, wo wir’s nicht verdienen. Aber meine braven Offiziere und Soldaten werden Ihnen schon was Schönes zeigen.“


Der Platz Am Hof mit dem Radetzky-Denkmal, das sich heute am Stubenring befindet.

Der alte Radetzky hält nichts von Zaudern und Taktieren und zieht sich nicht, wie die Piemontesen vermuten, auf das Festungsviereck Mantua – Peschiera del Garda – Verona–Legnago zurück, sondern überschreitet bei Pavia den Grenzfluss Ticino und greift die Hauptmacht Karl Alberts in der Flanke an. Am Nachmittag des 21. März stößt die Vorhut des 2. österreichischen Korps bei Mortara auf die Stellungen der 1. piemontesischen Division; um sechs Uhr abends beginnt der „denkwürdige“ Angriff der Division Erzherzog Albrecht: Die Truppen gehen in vier Kolonnen vor, um sieben Uhr gelingt es der Kolonne von Oberst Benedek, in Mortara einzudringen, um halb acht Uhr stürmen die Männer von General Kolowrat das Kloster San Albino. Ein Gegenangriff der Piemontesen wird durch die Verwegenheit Benedeks abgewiesen: Er rückt in der anbrechenden Dunkelheit dem überlegenen Feind auf fünfzig Schritt entgegen und fordert die Waffenstreckung – die überraschten Piemontesen ergeben sich tatsächlich, 2.000 Mann gehen in Gefangenschaft.

Zwei Tage später kann Radetzky bei Novara die zahlenmäßig deutlich überlegene piemontesische Hauptarmee unter ihrem polnischen Oberbefehlshaber Wojciech Chrzanowski entscheidend schlagen – nach fünf Tagen ist der Feldzug entschieden, noch am selben Tag dankt König Karl Albert ab und geht ins Exil nach Portugal; der „einzig dastehende Erfolg der kaiserlichen Waffen“ wird von den reaktionären Kräften in ganz Europa gefeiert.


Die Kapitulation der Festung Przemysl

 

Der gewaltige Festungskomplex von Przemysl ist der ganze Stolz der k. u. k. Heeresleitung: ein 45 Kilometer langer Festungsgürtel rund um die Stadt am San mit insgesamt 38 Forts, die untereinander mit Wällen verbunden sind, bestückt mit knapp 1.000 Geschützen. Seit dem Zusammenbruch der österreichischen Front in Galizien in der Schlacht von Lemberg im September 1914 liegt Przemysl im Rücken der russischen Linien; ein erster Belagerungsversuch durch die Dritte Russische Armee unter General Radko Dmitrijew kann noch einmal abgewiesen werden, doch Anfang November 1914 wird die Festung neuerlich eingeschlossen, diesmal von der Elften Russischen Armee, befehligt von General Andrej Seliwanow. Etwa 130.000 k. u. k. Soldaten verteidigen diese letzte Bastion der österreichischen Verteidigungslinie in Galizien; ihr Kommandeur ist Feldmarschalleutnant Hermann Kusmanek von Burgneustädten (1860 – 1934).


Die Festungsanlagen von Przemysl nach der Kapitulation der k. u. k. Truppen.

Die Russen verzichten auf verlustreiche Frontalangriffe und setzen auf das „Aushungern“ der Festung, in der sich auch noch etwa 30.000 Zivilisten aufhalten. Kusmaneks Taktik ist es, die Belagerer immer wieder durch lokale „Aktionen“ zu „beschäftigen“, um möglichst viele Feindkräfte zu binden. Anfang Dezember wird das Fleisch knapp, man beginnt die ersten Pferde zu schlachten, bis Ende des Jahres sind es rund 10.000 Tiere, die der Versorgung geopfert werden. Die zunächst noch berechtigte Hoffnung, dass Przemysl entsetzt werden könne, schwindet allmählich – die 3. k. u. k. Armee bleibt 50 Kilometer vor der Zitadelle am San liegen.

Ein Ausbruchsversuch der Österreicher am 18. Dezember 1914 scheitert, im Süden werden die k. u. k. Truppen durch eine neuerliche russische Offensive Ende Dezember 1914 in die Karpaten zurückgedrängt; der Gegenschlag der Mittelmächte wird trotz verzweifelter Anstrengungen zu einem Misserfolg – Przemysl kann nicht mehr erreicht werden. Die Versorgungslage in der Festung wird immer dramatischer: Dem Brot wird 20 Prozent Birkenmehl beigemengt, Pferdefett zum Kochen herangezogen. Ein letzter Ausbruchsversuch am 17. März muss abgebrochen werden, am Morgen des 22. März 1915 sendet Kusmanek seinen letzten Funkspruch: „Przemysl heute 7 vorm. ohne Verhandlungen mit dem Feind nach Sprengung sämtlicher Objekte und Materialien preisgegeben.“ Kusmanek und 120.000 k. u. k. Soldaten gehen in russische Gefangenschaft.


Kaiser Karl verlässt Österreich

Am 15. März 1919 erhält Oberst Sir Thomas Cunninghame, der britische Militärrepräsentant bei der gemeinsamen Entente-Mission in Wien, ein Telegramm aus London: „Höchst wünschenswert, den Kaiser aus Österreich ohne Verzögerung herauszuschaffen. Alle notwendigen Schritte sind zu unternehmen, um Abreise zu beschleunigen.“ Zwei Tage später geht ein ähnliches Telegramm des britischen Kriegsministers auch an Lieutenant-Colonel Edward Lisle Strutt (1874 – 1948), den mit Sondervollmachten ausgestatteten Verbindungsoffizier, der sich seit 27. Februar bei der kaiserlichen Familie in Schloss Eckartsau im Marchfeld aufhält. Strutt, der in Innsbruck studiert hat und auch Deutsch spricht, hat Lebensmittel und dringend benötigte Medikamente mitgebracht, zwischen Kaiser Karl und dem katholischen Offizier von den Royal Scots Guards entwickelt sich rasch ein enges Vertrauensverhältnis. Karl stimmt dem Vorschlag Strutts, in die Schweiz auszureisen, zu, will Österreich allerdings nur gemeinsam mit seiner Familie verlassen. Staatskanzler Karl Renner wiederum will die Erlaubnis zur Ausreise an die formelle Abdankung des Kaisers knüpfen, zieht diese Forderung aber zurück, als Strutt mit der Einstellung der Lebensmittelzüge nach Österreich droht – der letzte Habsburgerherrscher verlässt das Land als Kaiser. Um 10 Uhr wird in der Kapelle des Schlosses Eckartsau von Bischof Ernst Seydl, dem letzten Hof- und Burgpfarrer, noch die Messe gelesen, Karls siebenjähriger Sohn Otto ministriert; nach dem Segen wird die Kaiserhymne „Gott erhalte“ angestimmt. „Alle weinten“, notiert Strutt in seinem Tagebuch.


Eine letzte Fahrt mit dem Hofzug: Kaiser Karl auf dem Weg ins Schweizer Exil.

Um 18.55 Uhr trifft die kaiserliche Wagenkolonne am Bahnhof in Kopfstetten ein; etwa 2.000 Menschen haben sich versammelt. „Alle waren vollkommen still und viele, wie ich sehen konnte, hatten Tränen in den Augen“, so Strutts Schilderungen. Kaiser Karl trägt die Uniform eines k. u. k. Feldmarschalls; zusammen mit Kaiserin Zita schüttelt er verwundeten österreichischen Soldaten, die zu seiner Abreise gekommen sind, die Hände, dann besteigt das Kaiserpaar den Salonwagen, Karl lehnt sich aus dem Fenster und sagt: „Meine Freunde, auf Wiedersehen!“

Um 19.05 Uhr setzt sich der Hofzug langsam in Bewegung. Oberstleutnant Strutt vermerkt in seinem Tagebuch: „Während der Abfahrt war in der Menge ein leises Stöhnen zu hören. Ich begab mich zu den Majestäten und führte sie in den mittleren Salonwagen., Nach siebenhundert Jahren‘, sagte der Kaiser traurig zu mir.“


Die Waldheim-Affäre

Es ist ein Tag, der die Emotionen in der österreichischen Bevölkerung hochgehen lässt. Am Jüdischen Weltkongress (JWC), der seit dem 23. März tagt, wird der österreichische Präsidentschaftskandidat Kurt Waldheim als „Kriegsverbrecher“ bezeichnet.

Kurt Waldheim, von 1972 bis 1981 als Generalsekretär der UNO ein weltweit angesehener Diplomat, hat in seinem autobiografischen Buch Im Glaspalast der Weltpolitik seine Tätigkeit in der Wehrmacht verschwiegen, nun sieht er sich mit Vorwürfen konfrontiert, denen er anfangs hilflos gegenübersteht – er habe, so seine Verantwortung, nur seine „Pflicht“ getan.

Die „Enthüllungen“ beginnen am 3. März 1986 in der Zeitschrift profil mit der Veröffentlichung seiner Wehrstammkarte; in den folgenden Wochen werden von profil weitere Details publiziert; vor allem seine Tätigkeit als Ordonnanzoffizier in der Abteilung für Feindaufklärung des Oberkommandos der Heeresgruppe E wird bekannt. Dazu mengen sich bald spekulative Behauptungen: Er soll, so die Anschuldigung, zwischen 1942 und 1945 an Kriegsverbrechen auf dem Balkan, bei Säuberungsaktionen gegen Partisanen und bei Deportationen griechischer Juden beteiligt gewesen sein. Sollte Waldheim zum Präsidenten gewählt werden, so droht der Jüdische Weltkongress, müssten „alle Österreicher weltweit die Konsequenzen“ tragen. Außerdem beantragt der JWC erfolgreich, dass man Waldheim auf die „US-Watchlist“ setzt, was einem Einreiseverbot in die USA gleichkommt.

Die Österreicher solidarisieren sich mit Kurt Waldheim und so kann er trotz der schweren Anschuldigungen am 8. Juni 1986 die Stichwahl zum Amt des Bundespräsidenten gegen den SPÖ-Kandidaten Kurt Steyrer für sich entscheiden. Nach seinem Amtsantritt als Bundespräsident setzt die österreichische Regierung im Juni 1987 eine internationale Historiker-Kommission ein, um Waldheims Kriegsvergangenheit endgültig zu klären. Die Experten kommen im Februar 1988 schließlich zu folgendem Ergebnis:

„5. (…) Auch wenn sein persönlicher Einfluss auf den Entscheidungsprozess der obersten Führung (im Südosten) einerseits von seinen Widersachern etwas überbewertet worden ist und andererseits von seinen Verteidigern allzu sehr herabgemindert wurde, war Waldheim doch (…) einer der besonders gut orientierten Stabsangehörigen. (…)

6. b) Waldheim ist zugute zu halten, dass ihm für einen Widerstand gegen das Unrecht nur äußerst bescheidene Möglichkeiten offenstanden. (…) Für einen jungen Stabsangehörigen (…) waren die praktischen Möglichkeiten des Gegenhandelns sehr gering und hätten mit aller Wahrscheinlichkeit kaum zu einem greifbaren Ergebnis geführt. (…)“

Trotz dieses entlastenden „Urteils“ bleibt Bundespräsident Kurt Waldheim in den nächsten Jahren außenpolitisch weitgehend isoliert und wird während seiner Amtszeit nur zu wenigen Staatsbesuchen eingeladen.

Die Waldheim-Affäre hinterlässt in Österreich deutliche Spuren: In ihrem Gefolge beginnt eine verstärkte, längst notwendige Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in Österreich.


Das Massaker von Rechnitz

Es ist die Nacht zum Palmsonntag 1945. Auf Schloss Rechnitz hat die Besitzerin des Anwesens, Gräfin Margit Batthyány-Thyssen, zur Party geladen, ein fröhliches „Kameradschaftsfest“ steht auf dem Programm. Eine Musikkapelle spielt auf, man tanzt und lacht; der Alkohol fließt in Strömen, man unterhält sich bestens. Unter den Gästen ist der 191 in Wien geborene Gestapobeamte Franz Podezin, der Ortsgruppenleiter von Rechnitz, der den Unterabschnitt Rechnitz I beim Bau des „Südostwalls“ leitet und auch die örtliche Nazi-Elite ist fast vollzählig vertreten. Gegen 23 Uhr wartet Franz Podezin mit einer Idee auf, wie man sich noch besser amüsieren könnte: „Geh’n ma Jud’n erschießen!“ – ein Vorschlag, der bei fünfzehn Gästen auf lautstarke Zustimmung stößt. Man versorgt sich in der Waffenkammer des Schlosses mit Gewehren und Munition, die Opfer hat Podezin bereits „organisiert“: 180 völlig erschöpfte, teils kranke und an Erfrierungen an Armen und Beinen leidende ungarische Juden, die für den Arbeitseinsatz am „Südostwall“ zu schwach und deshalb zum Bahnhof Rechnitz zurückgeschickt worden sind. Podezin hat einen Lkw bestellt, der die fast verhungerten Menschen etappenweise abholen und zum sogenannten „Kreuzstadel“ bringen soll, einer Scheune, die etwa 15 Gehminuten vom Schloss entfernt ist und auf halbem Weg zwischen Bahnhof und Ort liegt.

Als man beim Kreuzstadel eintrifft, wartet hier schon der mit den ersten 25 Juden „beladene“ Lkw. Man befiehlt den Todgeweihten von der Ladefläche zu steigen. Sie sind bereits so entkräftet, dass sie sich gegenseitig beim Aufstehen helfen müssen. Während der Lkw sofort zum Bahnhof Rechnitz zurückfährt, um die nächsten 25 Opfer heranzukarren, müssen sich die Juden „in der Nacht und der noch immerhin winterlichen Kälte auf einer Wiese nackt ausziehen, zu einem Graben gehen und sich dortselbst niederknien“. Dann beginnen die Partygäste mit dem Töten – sie schießen den Opfern in den Kopf. Insgesamt sind es sieben „Ladungen“, die antransportiert werden; etwa drei Stunden dauert das Blutvergießen; nach Aussagen von Zeugen wird anschließend im Schloss bis in die Morgenstunden weiterfeiert.


Gehörte zum ehemaligen Meierhof des Gutes Batthyány: der „Kreuzstadl“ in Rechnitz.


Gedenkstätte für alle Opfer des Südostwallbaus: der Kreuzstadl. Foto: Robert Bouchal.

Achtzehn Juden hat man verschont; sie müssen am Morgen ihre toten Landsleute begraben; ihre Kleidungsstücke, Mäntel, Schuhe, Röcke, Hemden und sogar die Unterhosen werden mit dem Lkw ins Schloss gebracht. Die „Totengräber“ treibt man in den Kreuzstadel, wo sie unter strenger Bewachung den Tag verbringen; zwei Juden sterben während des Tages an Entkräftung; in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945, den Palmsonntag, werden auch die letzten Überlebenden ermordet.

Der Kronzeuge des Massakers, Karl Muhr, der Waffenmeister des Schlosses, wird ein Jahr später durch Genickschuss getötet, weitere Morde der „Nazifeme“ folgen. Die Ermittlungen der österreichischen Behörden verlaufen schleppend und so kann Franz Podezin, gegen den von der Gendarmerie Oberwart im September 1945 Anzeige erstattet wird, seinen Vorsprung nützen: Unterstützt von der Gräfin Batthyány gelingt ihm die Flucht in die Schweiz, später taucht er in Kiel unter. Vermutlich im Mai 1963 verlässt er Kiel; über Kopenhagen oder auch die Schweiz flüchtet er nach Spanien und von dort nach Südafrika. Hier verliert sich seine Spur …

 

Der Kreuzstadel in Rechnitz, betreut von der Rechnitzer Flüchtlings- und Gedenkinitiative (RE.F.U.G.I.U.S.), ist zu einem beeindruckenden Symbol des Gedenkens an den Holocaust geworden. Alljährlich am Palmsonntag findet beim Kreuzstadel eine Gedenkveranstaltung statt.


Strafgericht gegen die „Bauernrebellen“

Am 19. November 1626 ist bei Wolfsegg der letzte Widerstand der aufständischen Bauern durch die Truppen Pappenheims gebrochen worden; jene Bauernführer, die überlebt haben, werden nun zur Exekution geführt. Es sind acht „Hauptleute“, auf die am Linzer Hauptplatz der Henker wartet: „Oberhauptmann“ Achaz Wiellinger von der Au, der Herr von Schloss Hinterndobl in Dorf an der Pram und Besitzer des Wasserschlosses Aistersheim, stammt aus niederem Adel, ihm wird daher die „Gnade“ zuteil, als Erster enthauptet zu werden. Ihm folgt der Steyrer Stadtrichter Wolf Madlseder, ein überzeugter Protestant, der die Aufständischen in Rechtsfragen beraten hat. Madlseder wird zunächst – als Sühne für das Verfassen eines Beschwerdebriefs – die rechte Hand abgehauen, dann wird er enthauptet und gevierteilt; den Kopf bringt man nach Steyr und stellt ihn hier vor dem Rathaus zur Schau, die vier Körperteile werden auf Spieße gesetckt und an den Landstraßen um Linz aufgestellt. Regina Madlseder, die Witwe des Hingerichteten, die verzweifelt um ihren Besitz kämpft, erhält erst am 22. September 1628 die kaiserliche Erlaubnis, den Kopf und die „Viertel“ ihres Mannes einzusammeln.

Der Nächste auf dem Blutgerüst ist Hans Hausleitner, der Pfleger von Parz und Landgerichtsverwalter von Grieskirchen, ihm folgen Hans Vischer, Balthasar Mayr, Tobias Angerholzer, der Obristleutnant der Bauern im Hausruckviertel, und Kilian Haizenauer von Losenstein; als Letzter wird der Stadtschreiber Georg Hoffmann aus Steyregg enthauptet. Der Steyrer Advokat Dr. Lazarus Holzmüller ist bereits zuvor – wohl an den Folgen der Folter – im Kerker verstorben.

Damit ist jedoch der Gerechtigkeit aus Sicht Kaiser Ferdinands II. nicht Genüge getan: Am 23. April 1627 steht am Linzer Hauptplatz der nächste Hinrichtungstermin an: Zehn weitere „Bauernrebellen“ werden exekutiert, und am 12. August müssen noch zwei Männer ihren Nacken vor dem Schwert des Freimanns beugen: der Bürger Hofmann aus Steyr und der Bauer Sandperger aus Eferding. Zahlreiche gefangene Aufständische werden zur Zwangsarbeit in den Wiener Stadtgräben verurteilt, ihre Frauen und Kinder des Landes verwiesen.

Am 13. Juni 1627 erlässt Ferdinand II. zwar einen „Generalpardon“, nimmt davon aber die „Rädelsführer“ ausdrücklich aus. So kommt es, dass am 7. Juli 1628 in Gmunden noch zwei weitere Bauernführer „gnadenhalber“ enthauptet werden: der „Hauptmann“ Sebastian Fux und der Corporal Georg Seidl vulgo „Paurn-Ösel“. Zum Exempel, Abscheu und Vermeidung solcher Laster werden auch ihre Köpfe auf Spieße gesteckt und öffentlich zur Schau gestellt: der Kopf des Fux nächst dem Gmundner Rathaus, jener des Paurn-Ösel in der „Bauernschanze auf dem Kogl“.


Napoleons erste Begegnung mit Marie-Louise

Als Kind und heranwachsendes Mädchen verabscheut Marie-Louise Napoleon; „Antichrist“ nennt sie den Emporkömmling, dem es gelingt, ihren Vater Kaiser Franz I. und dessen Generäle immer wieder aufs Neue militärisch zu demütigen. Doch als das große „Heiratsprojekt“ Außenminister Metternichs an Sie herangetragen wird, das den Zwist zwischen Habsburg und dem Korsen für immer beenden soll, sagt sie nicht nein – da ist der Kitzel, mit 19 Jahren die Frau des mächtigsten Mannes der Welt zu werden, und da ist die Staatsräson, der sie sich als habsburgische Prinzessin verpflichtet fühlt: Sie ist bereit sich zu „opfern“.


Am 9. März 1810 unterzeichnen Marschall Berthier und die Minister Trautmannsdorff und Metternich in Wien den Ehevertrag; die stolze Mitgift Marie-Louises: vierhunderttausend Francs in bar und weitere vierhunderttausend Francs in Schmuckstücken; der künftige Herr Gemahl revanchiert sich mit zweihunderttausend Talern in Geschenken und Juwelen sowie mit einem Leibgedinge von fünfhunderttausend Francs. Bei der „Fernhochzeit“ am 1. März ist es Onkel Erzherzog Carl, der Sieger von Aspern, der Napoleon vertritt, zwei Tage später reist Marie-Louise mit einem Gefolge von etwa 300 Personen, verteilt auf 83 Wägen, aus Wien ab. Am 15. März wird sie an der Grenze in Braunau von Caroline Murat, der Königin von Neapel, begrüßt; für den 28. März ist die erste Begegnung mit Napoleon in der Nähe von Compiègne vorgesehen, doch der Kaiser ist ungeduldig und fährt ihr am 27. in Begleitung von König Murat bis Courcelles entgegen. Es regnet in Strömen; Napoleon ist zu früh dran und sucht Schutz unter dem Kirchenportal; als die Kutsche Marie-Louises in Sichtweite kommt, läuft er auf sie zu, reißt den Schlag auf und umarmt seine Frau. Die 19-Jährige, etwas überrascht von diesem stürmischen Empfang, findet dennoch zu einer schlagfertigen Antwort: „Sire, Sie sehen sehr viel besser aus als Ihr Porträt!“

Um zehn Uhr am Abend treffen die beiden in Compiègne ein, wo Napoleon die zukünftige neue Kaiserin seiner Familie und den hohen Würdenträgern Frankreichs vorstellt, dann zieht er sich mit Marie-Louise in seine Räumlichkeiten zurück. Hier soll es zu folgendem Dialog gekommen sein: Napoleon fragt Marie-Louise: „Welche Instruktionen haben Sie von Ihren Eltern erhalten?“ Marie-Louise antwortet: „Sobald Sie mit Kaiser Napoleon alleine sind, hat man mir gesagt, gehorchen Sie ihm in allem, was er verlangen könnte, Sie gehören dann voll und ganz ihm.“ Napoleon, so die Überlieferung, nimmt sie beim Wort und folgt ihr in ihr Schlafzimmer; am nächsten Morgen lässt er sich das Frühstück ans Bett seiner Frau servieren.


Die Eröffnung des Lünerseewerks

Noch liegt der Schnee auf den Bergen rund um den Lünersee, doch das hält niemand auf. Alle kommen, an der Spitze Landeshauptmann Ulrich Ilg, um das große Ereignis für das Bundesland Vorarlberg zu feiern: Nach vierjähriger Bauzeit kann das beeindruckende Lünerseewerk der Illwerke AG eröffnet werden. Es ist nicht nur die Gewinnung von lebenswichtiger Energie, um die es hier geht: Der Bau des Kraftwerks ist für die Menschen Vorarlbergs zum Symbol des Wiederaufbaus geworden, ein Prestigeprojekt, das die Schäden und Beschädigungen durch die NS-Herrschaft vergessen lassen soll, das in eine friedliche und wirtschaftlich stabile Zukunft weist.


Blick über die Werksanlagen und Staubecken des Lünerseewerks.

Die technischen Daten können sich sehen lassen: Zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme ist das Pumpspeicherwerk am Ufer des 2 km langen und 1970 m hoch gelegenen Lünersees das größte Österreichs sowie das leistungsstärkste der Welt und nützt die Kraft der Wassermengen am Fuße der Schesaplana. Seit 1958 steht es dauerhaft mit fünf Maschinengruppen in Betrieb und ist wegen des großen Speichervolumens des Lünersees das ganze Jahr über ein verlässlicher Lieferant von Elektrizität. Bis heute hat das Kraftwerk am Lünersee mit einer maximalen Dauerleistung von 232 Megawatt nichts von seiner Bedeutung verloren. An dieser Stelle darf nicht vergessen werden, dass die Illwerke AG bei ihren Kraftwerksbauten in der NS-Zeit auch Zwangsarbeiter einsetzte. Eine Gedenktafel auf der Bielerhöhe, einst von den Nazis als „Deutschlands höchste Baustelle“ gepriesen, erinnert daran: „Die Würde des Menschen ist unteilbar. Wir gedenken aller Männer und Frauen, die auf den Baustellen der Vorarlberger Illwerke AG ums Leben gekommen sind. Unter ihnen waren von 1939 an auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus vielen Ländern Europas.“


Der Fall Leopold Hilsner

Anezka Hruzová ist 19 Jahre alt und lebt im zum Bezirk Deutschbrod gehörenden Dorf Klein Wiesnitz (Malá Veznice) in Ostböhmen; das aus einer katholischen Familie stammende Mädchen ist bereits verlobt, in Kürze soll die Hochzeit stattfinden. Ihren Unterhalt verdient Anezka als Lehrmädchen in einer Schneiderei im knapp vier Kilometer entfernten Nachbarort Polná. Wie immer verlässt sie am späten Nachmittag ihren Arbeitsplatz, um in ihr Elternhaus zurückzukehren – dort kommt sie jedoch nicht an, das ganze Dorf ist über ihr spurloses Verschwinden in Aufregung. Drei Tage später, am Karsamstag 1899, wird in einem Waldstück zwischen Klein Wiesnitz und Polná von Blumen pflückenden Kindern ihre Leiche gefunden, jemand hat dem Mädchen die Kehle durchgeschnitten, die Kleidung ist zerrissen, neben der Toten liegen ein blutbefleckter Stein und die Schnur, mit der der Täter die Leiche vom Tatort in das Waldversteck gezogen hat. Anzeichen auf ein Sexualdelikt fehlen, auffallend jedoch sind die geringen Blutspuren – ein Indiz, das zusammen mit der Tatsache, dass der Mord in der Karwoche geschehen ist, in der Bevölkerung das Gerücht aufkommen lässt, es handle sich um einen Ritualmord, der Täter müsse daher Jude sein, er habe dem „jungfräulichen Christenmädchen“ das Blut im Hinblick auf das Pessach-Fest „abgezapft“.

Der Dorfgendarm glaubt zunächst an einen Konflikt in der Familie Hruza und verdächtigt den Bruder der Toten, doch dann gerät plötzlich der 23-jährige jüdische Herumtreiber und Gelegenheitsarbeiter Leopold Hilsner, den zwei Zeugen in der Nähe des Tatortes in Gesellschaft zweier weiterer Männer gesehen haben wollen, ins Visier der Ermittlungen. Da Hilsner, der eine Schusterlehre absolviert hat, kein hieb- und stichfestes Alibi vorweisen kann, wird er verhaftet und wegen Mordes angeklagt; für die Öffentlichkeit und auch für den Staatsanwalt steht er von vornherein als „Ritualmörder“ fest; in Polná kommt es zu schweren Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte. Genährt wird der Judenhass nicht zuletzt von zwei antisemitischen Wiener Tageszeitungen, der Deutschen Zeitung und dem Deutschen Volksblatt, das seinen Redakteur Hans Arnold Schwer (1856 – 1931) als Berichterstatter nach Polná entsandt hat. Schwer, ein berüchtigter Antisemit, der nichtsdestotrotz 1919 als „Bürger der Stadt Wien“ ausgezeichnet wird, sorgt in Zusammenarbeit mit Kollegen aus Prag, Berlin, München und Wien dafür, dass der Fall zu einem Medienthema in ganz Europa wird; er und seine Journalistenkollegen stellen im Rahmen eines „Untersuchungsausschusses“ sogar eigene Ermittlungen an; die Ergebnisse werden konsequent in Richtung Ritualmordthese „gebürstet“.

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