365 Schicksalstage

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März


Die Nationalratswahl 1970

Zu Jahresbeginn 1970 herrscht in der SPÖ Aufbruchsstimmung. Ihr Spitzenkandidat Bruno Kreisky hat die Partei bereits 1968 auf die Devise „Leistung – Aufstieg – Sicherheit“ eingeschworen und dieser „moderne“ Kurs, der Fortschrittsoptimismus und Wirtschaftskompetenz ausstrahlt, trifft den Nerv der österreichischen Gesellschaft. Für die bevorstehende Nationalratswahl am 1. März 1970 fühlt man sich gut gerüstet; man will endlich aus der Opposition heraus, der Alleinregierung der ÖVP ein Ende setzen. Kreisky selbst hat den passenden Schlager als Wahlkampfmelodie ausgesucht: When the Lights Go On Again von Big-Band-Veteran Vaughn Monroe aus dem Jahre 1942. Auch sonst überlässt Kreisky nichts dem Zufall, er zieht Marketing- und Medienexperten zur Unterstützung heran: Das Wahlprogramm wird auf fünf griffige Slogans komprimiert: „Besser wohnen, Besser leben, Bessere Bildung, Besseres Gesundheitswesen, Bessere Justiz“; Kreiskys Vorgabe für die Gestaltung der Wahlplakate: „Wer da vorbeifährt, muss gleich wissen, dass nicht ein Kopfwaschmittel gemeint ist, sondern dass es um Politik geht. Dafür brauchen wir ganz kurze Texte, sonst nichts.“ Der Leitgedanke: „Eine gute Partei, auch für gute Zeiten.“


Eine neue politische Ära beginnt: Bruno Kreisky am Abend seines Wahlsieges.

Frühzeitig drängt Kreisky auch darauf, den Wählern ein detailliertes Regierungsprogramm vorzulegen, die Menschen, so seine Überlegung, sollen erkennen, dass „wir über fähige und fortschrittliche Leute“ verfügen. Zu diesem Team gehört etwa Hertha Firnberg, die später die erste Wissenschaftsministerin Österreichs wird – sie leitet eine Gruppe, die ein umfassendes „Humanprogramm“ mit neuen Strategien zur „Gesundheitspolitik und Umwelthygiene“ erarbeitet. Zu diesem Team gehören aber auch junge Fachleute wie Hannes Androsch, der mit 32 Jahren das Amt des Finanzministers übernehmen wird, oder der erfahrene Justizexperte Christian Broda. Und erstmals in der österreichischen Wahlkampfgeschichte kommt es zu einem „Fernsehduell“ der Spitzenkandidaten der Großparteien: Bruno Kreisky und Bundeskanzler Josef Klaus sitzen sich ohne Moderator gegenüber; es gibt noch keine festen Spielregeln. Kreisky, der geschickt immer wieder treffende Bonmots platzieren kann, geht aus dieser Konfrontation als klarer Sieger hervor. Überhaupt versteht es Kreisky ausgezeichnet, Journalisten in seine politische Arbeit einzubinden.

Einen Monat vor der Wahl, am 3. Februar 1970, reüssiert auch noch der von Kreisky bereits zur Seite gedrängte SPÖ-Klubobmann Bruno Pittermann mit einer Aussage zum Präsenzdienst: Im Falle einer SPÖ-Alleinregierung werde die Dienstzeit beim Bundesheer nur mehr sechs Monate betragen – der Wahlslogan lautet: „Sechs Monate sind genug!“, und trifft bei der jungen Generation, die mit der langen Präsenzdienstzeit längst unzufrieden ist, auf offene Ohren. Insgesamt zeichnet sich schon vor der Wahl ab, dass die SPÖ mit diesem Programm verstärkt Wähler aus der oberen Bildungsschicht und aus dem gehobenen Mittelstand für sich gewinnen kann.

Die Wahl am 1. März 1970 bringt den Sozialdemokraten, wie Kreisky später in seinen Erinnerungen festhält, „einen bis dahin nicht vorstellbaren Erfolg und hat das Selbstbewusstsein der Partei in einem solchen Maße gestärkt, dass auch die vorsichtigsten Parteiführer fast ausnahmslos von Hochstimmung erfasst wurden“. Der Wahlabend selbst wird für Bruno Kreisky zu einem unvergesslichen Triumphzug – der Mann, der einst für seine politische Überzeugung im Gefängnis gesessen hat und aus Österreich flüchten musste, der lange Jahre hindurch im zweiten Glied diente, sieht sich nun an der Spitze: Das Kanzleramt winkt. Das Wahlergebnis spiegelt die Leistung im Wahlkampf wider: Nicht weniger als 158.000 Stimmen sind von der ÖVP direkt zur SPÖ gewandert, die nun mit 81 Mandaten und 48,2 % der Stimmen die Mehrheit hat; die ÖVP ist von 85 auf 78 Mandate und 44,69 % der Stimmen zurückgefallen; die FPÖ erreicht nach einer Nachwahl in Wiener Bezirken sechs Mandate. Josef Klaus schließt noch am Wahlabend eine Zusammenarbeit mit der FPÖ aus und macht mit diesem Vorpreschen alle Optionen für die ÖVP zunichte.

Am 3. März 1970 demissioniert die Regierung Klaus, Bruno Kreisky wird von Bundespräsident Franz Jonas mit der Regierungsbildung beauftragt – der Beginn einer neuen politischen Ära in Österreich. Gegen den Rat vieler trifft Kreisky eine unpopuläre Entscheidung: Er setzt auf eine Minderheitsregierung, da er meint, dass die Wähler „einen eindeutigen Trend“ zum Ausdruck gebracht hätten: Die Sozialdemokraten müssen regieren. Sollte dies vom Parlament verhindert werden, so müsse man eben eine „Nachentscheidung des Volkes“ anstreben. 17 Monate später, bei der Wahl am 10. Oktober 1971, wird diese Einschätzung bestätigt: Die SPÖ erreicht mit 50,04 % der Stimmen die absolute Mehrheit; Bruno Kreisky wird bis 1983 Kanzler bleiben – der längstdienende der Zweiten Republik.


Der Abschluss der EU-Beitrittverhandlungen

Es ist die Nacht vom 1. zum 2. März 1994. Außenminister Alois Mock, erschöpft von einem 80-stündigen Verhandlungsmarathon, fliegt von Brüssel zurück nach Wien; für 10 Uhr ist im Parlament eine Sitzung des Nationalrats anberaumt; hier will er die Abgeordneten persönlich über die Verhandlungsergebnisse informieren. In den Redaktionen der österreichischen Tageszeitungen sind die Schlagzeilen für den kommenden Tag bereits formuliert – Alois Mock ist der „Held“ des Tages (Kurier), der „Mr. Europe“ und „Verhandlungslöwe“ (Kronen Zeitung).


Applaus für Alois Mock nach den erfolgreichen EU-Beitrittsverhandlungen.

Noch einmal lässt der Außenminister die turbulenten Stunden und Tage Revue passieren: Die Schlussrunde der EU-Beitritts­verhandlungen beginnt am 25. Februar 1994 im Rahmen eines Ministertreffens; alles läuft für die große österreichische Delegation – auch Finanzminister Ferdinand Lacina, Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel und Landwirtschaftsminister Franz Fischler sind in Brüssel – zunächst planmäßig, in der Nacht vom zweiten auf den dritten Verhandlungstag kommt es jedoch zu einer Krise, sogar die Abreise steht plötzlich zur Diskussion. Der kritische Punkt: Die Verhandler der EU verlangen, dass die Binnenmarktregeln für die österreichische Landwirtschaft sofort und ohne Übergangsregeln in Kraft treten sollen – eine Forderung, die so nie ausgesprochen worden war und auf die man auf österreichischer Seite nicht vorbereitet ist.

Alois Mock verlässt die Verhandlungen und holt sich neue Kraft bei einem Gebet in der Kirche Notre-Dame du Sablon im Zentrum Brüssels; den Ausweg aus der Sackgasse findet Landwirtschaftsminister Franz Fischler, der ein „Alternativkonzept“ (Eichtinger/​Wohnout) vorschlägt: Die österreichischen Bauern sollen für ihre Umweltleistungen Ausgleichszahlungen aus dem EU-Budget erhalten. Wie zu erwarten gewesen, wird das Thema „Transit“ zum zweiten kniffligen Problem. Die Österreicher wollen den bestehenden Transitvertrag zwischen der EG und Österreich in die EU „mitnehmen“, dagegen stemmt sich der französische Europaminister Alain Lamassoure – schließlich einigt man sich in den Abendstunden des 1. März auf eine Transitregelung, die vorsieht, dass der alte Vertrag noch maximal neun Jahre gültig bleibt. Kurz nach 22 Uhr ist es endgültig geschafft; Alois Mock kann im Sitzungssaal unter dem Jubel der Delegierten verkünden: „Österreichs Weg nach Europa ist frei!“


Der Frieden von Brest-Litowsk

Der Mann ist reines 17. Jahrhundert; er versteht die Zeit nicht, in der er lebt“, notiert Josef Redlich in seinem Tagebuch über Ottokar Graf Czernin, den Mann, der für Österreich-Ungarn die Friedensverhandlungen in Brest-Litowsk führt. Czernin, der die Demokratie für „Blödsinn“ hält und den Parlamentarismus ablehnt, sieht sich mit Männern konfrontiert, die von der Vision einer neuen Welt beseelt sind: den Bolschewiki Adolf Abramowitsch Joffe und Leo Trotzki. Der Aristokrat Czernin hält sie für Lügner: „Sie sprechen von Freiheit und Völkerversöhnung, von Friede und Eintracht, und dabei sollen sie die grausamsten Tyrannen sein, welche die Geschichte gekannt hat – sie rotten das Bürgertum einfach aus, und ihre Argumente sind Maschinengewehre und der Galgen.“ Die Delegation des Deutschen Reiches führt der Staatssekretär für Äußeres Richard von Kühlmann an, jene der Türkei Großwesir Talât Pascha. Obwohl selbst am Rande des Abgrunds, kennen die Mittelmächte kein Maß in ihren Forderungen, die Bedingungen, die den Vertretern der Sowjetregierung präsentiert werden, sind äußerst hart: Man müsse die Unabhängigkeit der Ukraine, Finnlands, Litauens und Polens anerkennen und die Selbständigkeit aller nichtrussischen Provinzen wie Kurlands, Livlands und Estlands akzeptieren. Als diese Forderungen in der Heimat bekannt werden, treten die Belegschaften zahlreicher Betriebe in den Streik, die Sowjets hoffen auf den Ausbruch der Revolution in deutschen und österreichischen Städten.

 

Deutsche Offiziere begrüßen Leo Trotzki am Bahnhof von Brest-Litowsk.

Die Vertreter der beiden kaiserlichen Mächte können sich jedoch noch einmal durchsetzen: Am 9. Februar 1918 wird der bitter benötigte Sonderfriede mit der Ukraine geschlossen, dieser „Brotfriede“ soll vor allem die Getreidelieferungen aus der Ukraine sicherstellen. Als sich die Sowjetvertreter weiter bockig zeigen, stellen ihnen von Kühlmann und Czernin ein Ultimatum: Unterzeichnung des Friedensvertrages oder eine neue Offensive der Mittelmächte am allen Fronten – Leo Trotzki verlässt daraufhin Brest-Litowsk, sein wütender Kommentar: „Weder Krieg noch Frieden!“; neuerliche Protestkundgebungen in Österreich und Deutschland sind die Folge. Das k. u. Armeeoberkommando und die deutsche Oberste Heeresleitung zeigen sich wenig beeindruckt, der Vormarsch wird befohlen, am 1. März 1918 stehen deutsche Truppen in Kiew, k. u. k. Verbände erreichen den Kaukasus. Gegen die Mehrheit seiner Parteifreunde im Zentralkomitee der bolschewistischen Partei kann sich Lenin mit seinem Plädoyer für die Annahme des „Schandfriedens“ schließlich durchsetzen: Am 3. März 1918 wird in Brest-Litowsk der Friedensvertrag unterzeichnet; der Krieg im Osten ist zu Ende.


„Selbstausschaltung“ des Parlaments

Schon 1932 wird in der Bundesregierung offen über die Beseitigung der Demokratie diskutiert. So wird Schuschnigg im Protokoll des Ministerrats vom 17. Juni 1932 unter dem Vorsitz von Engelbert Dollfuß mit der Wortmeldung erwähnt, „die Regierung stehe […] vor der Entscheidung, ob sie es weiter verantworten könne, mit dem Parlament zu arbeiten, und ob der nächste Kabinettswechsel nicht gleichbedeutend mit der Ausschaltung des Parlaments sein müsste“. Man wartet also auf eine günstige Gelegenheit – sie bietet sich am 4. März 1933: Ein Streit um die Auszahlung von Eisenbahnergehältern führt an diesem Tag zu einer folgenschweren Sitzung des Parlaments, in deren Verlauf alle drei Präsidenten des Nationalrats – Karl Renner (Sozialdemokraten), Rudolf Ramek (Christlichsoziale) und Sepp Straffner (Großdeutsche) – ihr Amt niederlegen; laut Geschäftsordnung ist das Parlament damit handlungsunfähig geworden. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß, tiefgläubiger Katholik und überzeugter Antisemit, seit Mai 1932 als Regierungschef im Amt, hat freie Bahn und ist sofort entschlossen, diese unerwartete Chance mit allen Mitteln zu nützen. Erste Notverordnungen nach dem Ermächtigungsgesetz verraten seine Ambitionen zum Diktator: Die Versammlungs- und Pressefreiheit wird aufgehoben; einen Versuch der SDAP und der Großdeutschen, den Nationalrat wiederum einzuberufen, verhindert Dollfuß am 15. März 1933 durch den skrupellosen Einsatz von Kriminalpolizei, die den Sitzungssaal im Parlament räumt.


Die Sitze der sozialdemokratischen Abgeordneten bleiben leer, da man ihnen bereits das Mandat aberkannt hat: Die erste Sitzung des Parlaments nach der „Selbstausschaltung“ am 30. April 1933 wird zur Farce.

Ohnmächtig musste die Opposition zusehen, wie Dollfuß Schritt für Schritt demokratische Strukturen und die Machtpositionen seiner politischen Gegner zerstört: Am 31. März 1933 erklärt die Regierung den Republikanischen Schutzbund für aufgelöst, die traditionelle Maifeier der SDAP wird durch Militär verhindert, und am 26. Mai 1933 erfolgt das Verbot der Kommunistischen Partei. Am 20. Mai 1933 gründet das Regime die „Vaterländische Front“, in der alle „regierungstreuen“ Kräfte eine überparteiliche Heimstatt finden sollen. Nicht mehr Parteien sollten die Träger politischer Willensbildung sein, sondern diese „Front“ der Patrioten.


Schicksalsort Theresienstadt

Der „Führer“ und Reichskanzler Adolf Hitler liebt Operettenmusik. Besonders heiß verehrt er Franz Lehárs Welterfolg Die Lustige Witwe, uraufgeführt am 30. Dezember 1905 im Theater an der Wien mit dem Juden Louis Treumann in der Rolle des Grafen Danilo und mit Mizzi Günther als Hanna Glawari – die beiden Darsteller werden über Nacht zu den neuen Stars der Wiener Operettenszene, die Kritik überschlägt sich vor Lob für Louis Treumann, vor allem seine Tanzeinlagen begeistern: „Er schleudert sich in den Tanz, wie einer, der von Gluthitze versengt ist“, schreibt einer der Beobachter der Premiere, und Alfred Polgar wird ihm später „ein schönes Tremolo in der Leistengegend“ bescheinigen, „das ihm besonders bei Liebeserklärungen zustatten kommt“.


Mizzi Günther und Louis Treumann sind die Stars der Uraufführung 1905.

Jahrzehnte später wird Franz Lehár, der seinem ersten Danilo in Freundschaft verbunden bleibt, dem „Führer“ eine Taschenpartitur der Lustigen Witwe mit persönlicher Widmung schenken, auf dem Titelbild: Treumann als Danilo. Für den erfolgreichen Sänger und Schauspieler Louis Treumann, der 1872 in Wien als Sohn jüdischer Kaufleute geboren worden ist und eigentlich Alois Pollitzer heißt, verdüstert sich mit Hitlers Machtübernahme der Himmel, 1935 tritt er ein letztes Mal auf, dann gibt es für den alternden Star keine Rollen mehr. Er bleibt nach dem „Anschluss“ in Wien und gerät in die Fänge von Eichmanns „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“: Eichmanns Helfer Alois Brunner lässt den inzwischen verarmten Schauspieler verhaften und in das Sammellager Sperlgasse bringen; auf Intervention seines Bühnenkollegen Theo Lingen hin wird Treumann, der schwer krank ist, enthaftet, dann aber prompt wieder festgenommen. Einige Male kann Franz Lehár, der bestens über die geplanten „Transporte“ informiert wird, die Deportation seines alten Freundes noch verhindern, doch dann geht Lehár im Juli 1942 auf Tournee und es gibt keinen Fürsprecher mehr: Louis Treumann wird zusammen mit seiner Frau Stefanie am 28. Juli 1942 mit dem „34. Transport“ aus Wien in das „Altersghetto“ Theresienstadt deportiert. Einige Postkarten, gerichtet an seinen Freund Max Brod und „alle meine Lieben“, sind das letzte Lebenszeichen des Schauspielers. „An euch denken ist mein täglich Sein. Bleibt nur treu“, schreibt er nach dem Tod seiner „Steffi“, zwei Monate nach der Ankunft in Theresienstadt. Er selbst stirbt an „Entzehrung“, so die offizielle Todesursache, am 5. März 1943.


Das Restitutionsedikt

Der Dreißigjährige Krieg geht in sein zwölftes Jahr und am Hof in Wien nimmt er eine neue Wendung. Die Schreiber der kaiserlichen Kanzlei haben alle Hände voll zu tun: Nicht weniger als 500 Kopien des neuen Gesetzes sollen heimlich angefertigt und an alle Kreisobristen sowie wichtige Fürsten verschickt und dann gleichzeitig veröffentlicht werden – es ist ein wahrer Paukenschlag, mit dem Kaiser Ferdinand II. die Evangelischen weiter in die Enge treiben will. Gestützt auf die Kriegsmacht seines Generalissimus Albrecht von Wallenstein, sieht er sich nun stark genug, die seit dem Passauer Vertrag vom 2. August 1552 eingezogenen Güter der katholischen Kirche von den Protestanten zurückfordern zu können. Bestärkt in seinem Vorhaben wird der fromme Habsburger von seinem Beichtvater, dem Jesuitenpater Wilhelm Lamormaini (1570 – 1648), einem Bauernsohn aus den Ardennen, der Ferdinand geschickt auf einen gegenreformatorischen Kurs einschwört. Für Lamormaini ist Ferdinand „das besondere Werkzeug des Himmels zur Wiedereinsetzung der katholischen Kirche als Staatsreligion“ (C. V. Wedgwood), ein gelehriger, lenkbarer Schüler, der nun glaubt, hart durchgreifen und den Augsburger Religionsfrieden nach seinem Gutdünken interpretieren zu können: Dessen Schutzbestimmungen, so die spitzfindige Auslegung durch das Edikt, sollen plötzlich nur mehr für die Augsburger Konfession gelten, nicht aber für alle anderen „Sekten“, so etwa auch nicht für die Calvinisten; den katholischen Fürsten wird das Recht eingeräumt, ihre Untertanen zur katholischen Religion anzuhalten, wer sich weigert, kann ausgewiesen werden.

Tatsächlich geht es um Macht und Besitz: so um die Erzbistümer Bremen und das strategisch wichtige Magdeburg sowie über 500 Klöster, vor allem in Württemberg, Franken und Niedersachsen, die an die katholische Seite zurückfallen sollen; zahlreichen protestantischen Fürsten, die durch die Säkularisierungen des 16. Jahrhunderts reich geworden sind, drohen schwere Einbußen. Über die Durchsetzung des Edikts hat man sich jedoch in Wien schon eingehend Gedanken gemacht: Kaiserliche Kommissäre sollen die betroffenen Güter inspizieren, dann durch kaiserliches Militär besetzen lassen, anschließend werden katholische Administratoren eingesetzt – am Beispiel Magdeburg exerzieren dies Wallensteins Truppen vor; in der freien Reichsstadt Augsburg müssen 8.000 Bürger die Stadt verlassen.

So groß die Gier des Habsburgers, so verbittert die Stimmung auf protestantischer Seite, die vielfach das Vorgehen der Kommissäre machtlos akzeptieren muss. Und es schwindet die Aussicht auf Frieden: Das Restitutionsedikt bewirkt, dass der Schwedenkönig Gustav II. Adolf, der 1630 mit seiner Soldateska ins Reichsgebiet einfällt, von der protestantischen Bevölkerung als „Messias“ begrüßt wird und der Krieg gegen den habsburgischkatholischen Absolutismus eine neue, furchtbare Intensität gewinnt.

Das Restitutionsedikt wird schließlich 1648 im Westfälischen Frieden aufgehoben, als Norm der „Konfessionsstand“ von 1624 verankert.


Der Friede von Rastatt

Prinz Eugen, der Mann, auf dessen Schultern nicht nur die Kriege des Habsburgerreiches, sondern in zunehmendem Maße auch dessen Diplomatie ruhen, will es sich nicht nehmen lassen, den Erfolg dieses Tages persönlich dem Kaiser mitzuteilen: Er schreibt einen Brief an Karl VI., den dritten Herrscher, dem er nun dient:


Länderschacher: Marschall Villars und Prinz Eugen ringen in Rastatt um die Friedensbestimmungen.

Durchlauchtigster Fürst etc

EW. Lbd. gebe hiermit die erfreuliche Nachricht, daß in der gestrigen Nacht oder vielmehr heut früh zwischen 2 und 4 Uhr der Friede zwischen Ihrer Kayserl. Majest., den Ständen des Reichs und der Cron Frankreich von mir und dem Marschall de Villars vorläuffig gezeichnet und durch Überbringern dieses den Grafen von Lamberg an Ihro Kayserl. Majest. geschicket worden. (…) So habe allein Ew. Lbd. hierzu wohlmeynend Glück wünschen und mit derselben mich darüber erfreuen sollen.

Ja, es besteht Grund zur Freude bei Eugen und seinem Kaiser: 13 Jahre Krieg sind endlich Vergangenheit, ein Krieg, in dem es zuletzt keine Erfolge mehr für die habsburgischen Fahnen gibt. Im Stich gelassen von den Verbündeten, die in Utrecht ihren Frieden mit dem „Sonnenkönig“ bereits geschlossen haben, kann der Prinz den Truppen Ludwigs XIV. nur mehr hinhaltenden Widerstand leisten, die Festungen Landau und Freiburg im Breisgau gehen noch verloren. Seit dem 26. November 1713 verhandelt man daher in der badischen Festung Rastatt; das Ergebnis, von Eugen hartnäckig erkämpft, kann sich sehen lassen: Österreich erhält die Spanischen Niederlande, den festländischen Teil des Königreichs Neapel, das Herzogtum Mailand, die Insel Sardinien, das Herzogtum Mantua sowie die Festungen Breisach am Rhein und Freiburg im Breisgau. Der Wermutstropfen für Kaiser Karl VI.: Spanien und seine Kolonien sind de facto verloren, auch wenn ihm erspart bleibt, den Bourbonen Philipp V. ausdrücklich anerkennen zu müssen. Nicht akzeptiert wird von den französischen Unterhändlern ein Vorschlag Eugens, der später in der habsburgischen Politik noch einige Male auftauchen wird: der Tausch der Spanischen Niederlande gegen Bayern – Kurfürst Max Emanuel erhält sein Land zurück.

 


Der Internationale Frauentag

Sankt Petersburg, der 23. Februar 1917, nach gregorianischer Zeitrechnung der 8. März. Arbeiterinnen und Arbeiter der Putilow-Werke legen die Arbeit nieder und gehen auf die Straße, um gegen die katastrophale Versorgung mit Lebensmitteln zu demonstrieren. Verzweifelte Frauen schließen sich mit ihren Männern und Kindern zusammen und rufen: „Gebt uns Brot, wir verhungern, wir brauchen Brot!“ Um 14 Uhr sind es Frauen, die auch in der Fabrik „Ayvas“ nach heftigen Diskussionen den Ausstand durchsetzen – der Auftakt zur Russischen Februarrevolution und zum Zusammenbruch der Zarenherrschaft.


Der 100. Internationale Frauentag wird 2011 mit einem Aktionstag in Wien gefeiert.

1921, auf der „Zweiten Internationalen Frauenkonferenz“ in Moskau, wird man sich an diese herausragende Rolle der Frauen in der Revolution erinnern – auf Vorschlag der bulgarischen Delegation wird der 8. März zum „Internationalen Frauentag“ erklärt. In Deutschland und Österreich hat dieser jedoch bereits eine längere Vorgeschichte: Die deutschen Sozialistinnen Clara Zetkin und Käte Duncker sind die Ersten in Europa, die sich für einen Frauentag einsetzen; am 27. August 1910 wird auf der „Zweiten Internationalen Frauenkonferenz“ in Kopenhagen darüber verhandelt; 100 Frauen aus 17 Nationen beschließen schließlich, diese Idee zu verwirklichen, und setzen den „Ersten Internationalen Frauentag für den 19. März 191 fest. In Dänemark, Österreich-Ungarn, Deutschland und der Schweiz wird er mit Erfolg gefeiert (siehe 19. März). Das vorrangige Ziel der Frauen: das allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlrecht.

Nach dem Ersten Weltkrieg kommen neue moderne Themen wie die politische Gleichberechtigung und der Kampf um faire Löhne dazu.

„Wer kämpft, kann verlieren! Wer nicht kämpft, hat schon verloren!“ – das ist das Motto der Frauen, wenn sie Jahr für Jahr am 8. März auf die Straße gehen, um für ihre Rechte einzutreten.

Einen Rückschlag erlebt der Weltfrauentag unter dem NS-Regime, das mit einem von revolutionärer Rhetorik geprägten Frauenbild nichts anfangen kann. Der Frauentag wird verboten, an seiner Stelle der „Muttertag“ gefeiert, der sich dem NS-Weltbild harmonisch einfügen lässt. Das Feiern des Weltfrauentages gilt in dieser Zeit als Zeichen des Widerstandes. Nach dem Zweiten Weltkrieg dauert es wieder einige Zeit, bis der Frauentag seine alte Bedeutung erreichen kann; mit der neuen Frauenbewegung der 1960er Jahre rückt er jedoch wieder verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit – an Zielen, für die es zu kämpfen gilt, mangelt es auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht …


Schuschnigg kündigt eine Volksabstimmung an

Im Stadtsaal von Innsbruck warten die Funktionäre der „Vaterländischen Front“ auf den Bundeskanzler und „Frontführer“. Tosender Beifall bricht aus, als Kurt Schuschnigg von der Hofburg kommend den Saal betritt. Nach der Begrüßung durch Tirols Landeshauptmann Josef Schuhmacher setzt Marschmusik ein, die „Amtswalter“ der Vaterländischen Front singen das Lied „Das ist mein Vaterland, das ist mein Österreich!“


Bundeskanzler, Schuschnigg und Landeshauptmann Schuhmacher auf dem Weg zum Stadtsaal.

Dann tritt der Bundeskanzler ans Rednerpult. „Treuehuldigungen und Beifallsstürme“ halten minutenlang an. Schließlich ergreift Schuschnigg das Wort, beginnt seine Rede mit „Liebe Landsleute! Kameraden der Front!“ und erklärt, dass er heute keine Programmrede halten wolle, es gehe vielmehr darum; Klarheit über den zukünftigen Weg zu gewinnen. Bevor Schuschnigg zum entscheidenden Punkt kommt, fasst er seine Politik in den Grundzügen noch einmal zusammen: „Wir wollen ein freies und deutsches Österreich. Wir wollen ein unabhängiges und soziales Österreich. Wir wollen ein christliches und einiges Österreich! Wir wollen Brot und Frieden im Lande! Und wir wollen die Gleichberechtigung aller, die zu Volk und Heimat stehen!“ Im Sinne dieser Politik habe er das Juliabkommen mit Hitlerdeutschland unterzeichnet, nun aber müsse er wissen, ob „die Sorge um Brot und Frieden das Volk in einer unüberwindlichen Front“ zusammenführe. „Darum“, so setzt er fort, „Landsleute und Österreicher, Männer und Frauen, rufe ich euch in dieser Stunde auf: Am nächsten Sonntag, den 13. März 1938, machen wir eine Volksabstimmung!“

Die versammelten VF-Männer antworten auf diese Ankündigung mit donnerndem Applaus, wieder setzt Musik ein, man stimmt „in ergreifender Weise“, wie das Tagblatt berichtet, das Andreas-Hofer-Lied an; dann erst kommt der Bundeskanzler wieder zu Wort, er beschwört die Einigkeit des Landes über Parteigrenzen hinweg, um dann zum großen Schlussappell auszuholen: „ Bekennt Euch, wo immer ihr gestanden seid, zur Einigkeit! Männer und Frauen, von Tirol und Österreich, sagt Ja zu Tirol, sagt ja zu Österreich!“

Die Antwort ist ein Beifallssturm ohnegleichen, die „Wände des Stadtsaales zitterten“ unter den Klängen der Bundeshymne … und in der Osttiroler Gemeinde Innervillgraten, wo man vom „Anschluss“ noch nichts weiß, findet am 13. März 1938 die Volksabstimmung tatsächlich statt: 95 % stimmen für Schuschnigg!


Der Wiedertäufer Balthasar Hubmaier

Erzherzog Ferdinand, König von Böhmen, Kroatien und Ungarn, nennt ihn nur „Doctor Balthasar“: den Mann, der „durch seine Predigt und verführerische Lehre viel Unrath, Widerwillen, Aufruhr und Empörung“ in den habsburgischen Landen verbreitet und gleichsam zu seinem Intimfeind geworden ist – den Wiedertäufer Balthasar Hubmaier. Als der aus Friedberg bei Augsburg stammende „Ketzer“ in der mährischen Täuferhochburg Nikolsburg (Mikulov) immer mehr Anhänger um sich scharen kann, lässt ihn Ferdinand unter der Anschuldigung aufrührerischer Tätigkeit gemeinsam mit seiner Frau gefangen nehmen, nach Wien und anschließend auf die Burg Kreuzenstein bringen. Hier verfasst Hubmaier eine an Ferdinand gerichtete Rechenschaft des Glaubens, in der er in 27 Artikeln seine Überzeugung darlegt. Er zeigt sich dabei konziliant, in den wichtigen Punkten „Abendmahl“ und „Taufe“ findet er jedoch zu keiner klaren Distanzierung von seiner bisher verkündeten Lehre; auch eine zweite Schrift, die er am 29. Februar 1528 beendet und direkt an den König sendet, enthält diese geforderte Revocation nicht – nur ein klarer Widerruf könnte ihm noch das Leben retten.

Ferdinand, der angesichts der wachsenden Zahl an Wiedertäufern in seinen Landen höchst beunruhigt ist, drängt seine Beamten auf rasches Brennen und Strafen, auf theologische Diskussionen und Spitzfindigkeiten will er sich gar nicht erst einlassen. Balthasar Hubmaier wird deshalb wieder nach Wien gebracht und von einem „Ketzergericht“ unter Zuhilfename der Folter verhört; seine Frau spricht ihm dabei Mut zu. Da er das Sacrament des Altars und die Kindertauff weiterhin ablehnt, wird er umb dies Missethat und verdammte Ketzereien zum Tode am Scheiterhaufen verurteilt. Wie der Augenzeuge Stephan Sprügel, zu diesem Zeitpunkt Dekan der philosophischen Fakultät der Universität Wien, später berichten wird, spricht sich Balthasar Hubmaier auf dem Weg zum Richtplatz beim Stubentor selbst Trost zu, indem er immer wieder einzelne Bibelstellen vor sich hersagt. Vor dem Scheiterhaufen richtet er noch einmal das Wort an die zahlreichen Menschen, die gekommen sind, um ihn sterben zu sehen: „O, liebe Brüder, wenn ich jemanden beleidigt hätte, in Worten oder in Werken, so möge er mir um meines barmherzigen Gottes Willen verzeihen. Ich verzeihe auch all denen, die mir je ein Leid zugefügt.“ Die Schergen ziehen ihm die Kleider aus, binden ihm die Hände und Füße, heben ihn dann auf den Scheiterhaufen und fesseln ihn an den Pfahl. Als einer der Henkersknechte seinen langen Bart mit Schwefel und Pulver einreibt, meint er zu ihm: „O, salz’ mich gut, salz’ mich gut.“ Dann erhebt er sein Haupt und ruft: „O, liebe Brüder, bittet Gott, auf dass er mir Geduld verleihe in diesen meinen Leiden. Ich will im christlichen Glauben sterben.“ Dann zünden die Schergen den Holzstoß an.

Ferdinands „Kreuzzug“ geht weiter: Drei Tage später wird Hubmaiers Frau ertränkt, indem man sie mit einem Stein um den Hals von der großen Donaubrücke stürzt.


Das Unternehmen Otto

In den österreichischen Morgenzeitungen wirbt man noch für die von Bundeskanzler Schuschnigg am 9. März in Innsbruck angekündigte Volksbefragung, die am 13. März stattfinden soll – Bekenntnisse zur Freiheit Österreichs, die nun bereits zu spät kommen. Denn Hitler, durch das geplante Plebiszit Schuschniggs unter Zugzwang gekommen, will nicht länger zuwarten. Es ist knapp nach Mitternacht, als er die „Weisung Nr. 1“ für das „Unternehmen Otto“ – so der Deckname für den Einmarsch in Österreich – herausgibt; der Mobilmachungsbefehl für die 8. Armee ist bereits am Vorabend ergangen. Auch die deutschen Generäle werden vom Tempo der Ereignisse überrascht; noch rechnet man mit Gegenwehr der Österreicher, auch wenn der „Führer“ einen „friedlichen Einmarsch“ erwartet. Um sechs Uhr morgens beginnt in den bayerischen Bahnhöfen das Verladen der 1. Welle der deutschen Okkupationstruppen.