365 Schicksalstage

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Ausgangspunkt der Revolte: der Panzerkreuzer „SMS St. Georg“.

Vor den vier Männern nimmt das Erschießungskommando Aufstellung; Franz Rasch lehnt die ihm angebotene Augenbinde ab, seine letzten Worte sind: „O, dass so viel Blut fließen muss!“ – dann krachen die Schüsse …

Eine Gedenktafel in der Festung Kotor, heute Montenegro, erinnert an die Hingerichteten.


Die Februarkämpfe

Das traditionsreiche Café Central im Palais Ferstel in der Wiener Herrengasse. General a. D. Theodor Körner, der Vorsitzende des Bundesrates, genießt an diesem Montagmorgen wie jeden Tag seinen Kaffee, als plötzlich ein Schutzbündler ins Lokal stürzt und meldet: „In Linz wird geschossen. Die Polizei lässt eine Waffenbeschlagnahme durchführen und der Schutzbund wehrt sich dagegen.“ Körner, der 1930 aus dem Schutzbund ausgetreten und ein scharfer Kritiker des „Pseudomilitärs“ ist, eilt daraufhin ins Parlament und bespricht sich mit seinem Parteifreund Adol Schärf; dann sucht er Bundespräsident Wilhelm Miklas in der Hofburg auf. Der Bundespräsident zeigt sich besorgt über die Lage, meint aber: „Ich kann gar nichts machen. Dollfuß sagt mir nichts, selbst wenn ich um Auskunft oder Orientierung ersuche. Er weist mich direkt ab.“ Miklas verweist Körner an den niederösterreichischen Landeshauptmann Alfred Reither, vor dem Dollfuß noch „einigen Respekt“ habe. Inzwischen hat jedoch der sozialdemokratische Landeshauptmann-Stellvertreter Oskar Helmer bereits vergeblich versucht, Reither zu konkreten Taten zu überreden.

Der „Aufmarschplan“ des Schutzbundes sieht für Wien einen „Sturmangriff“ aus den Gemeindebauten auf die Innenstadt vor, wobei auch die Regierungsgebäude besetzt werden sollen. Der sozialdemokratische Parteivorstand zögert jedoch und wartet zu, Parteichef Otto Bauer will erst losschlagen, nachdem die Regierung das Feuer eröffnet hat. Als man sich um 1.30 Uhr endlich entschließt, den Generalstreik zu proklamieren, ist es zu spät, denn nun haben Dollfuß und Major Fey, der am Vortag bei einer Heimwehr-Übung mit dem Ausspruch „Wir werden morgen an die Arbeit gehen und … ganze Arbeit leisten!“ provoziert hat, die Initiative bereits an sich gerissen. Der Generalstreik wird kaum befolgt und entfaltet keine Wirkung, einzig der Strom kann abgeschaltet werden. Die Initiative bleibt auf Seiten der Regierung, der Schutzbund sieht sich von Beginn an in der Defensive. Die Innenstadt wird von Polizei und Bundesheer abgeriegelt; unterstützt von Heimwehreinheiten geht die Exekutive gegen die Schutzbund-Stellungen in den Gemeindebauten vor; auch leichte Artillerie wird mit ausdrücklicher Zustimmung des Kanzlers zum Einsatz gebracht. In den Bundesländern sind inzwischen Kämpfe ausgebrochen, in Steyr, St. Pölten, Weiz, Eggenberg bei Graz, Kapfenberg, Bruck an der Mur, Wörgl und anderen Orten kommt es zu blutigen Auseinandersetzungen.

Die Kämpfer des Schutzbundes wehren sich mit dem Mut der Verzweiflung, stehen jedoch auf verlorenem Posten, da die Verbindung zwischen den einzelnen Gruppen bald unterbrochen ist. Bereits in der Nacht zum 13. Februar wird von den Regierungseinheiten der Ahornhof am Wienerberg in Favoriten umstellt, in dem die „Kampfleitung“ des Schutzbundes ihren Sitz hat; die Arbeiter im Goethehof in Kaisermühlen, im Karl-Marx-Hof in Heiligenstadt oder im Reumannhof in Margareten müssen nach zähem Widerstand der Übermacht weichen. Zu schweren Kämpfen kommt es noch am 13. Februar beim Schlingerhof in Floridsdorf, wo das Bundesheer zwei Panzer einsetzt, um die Barrikade der Arbeiter auf der Brünner Straße zu durchbrechen. Nach Artilleriebeschuss fällt der Schlingerhof am Nachmittag in die Hände des Heeres, das nicht verhindern kann oder will, dass ein LKW mit gefangenen Schutzbündlern von Angehörigen der Heimwehr unter Feuer genommen wird – mehrere Arbeiter werden erschossen.

Im Morgengrauen des 13. November flieht Otto Bauer in die Tschechoslowakei; die letzten Schutzbündler ergeben sich am 15. Februar; an diesem Tag verlässt auch der durch Granatsplitter verletzte Schutzbundobmann Julius Deutsch das Land. Nach offiziellen Angaben haben die „Februarkämpfe“ 314 Tote, davon 196 Schutzbündler, und über 800 Verletzte gefordert, tatsächlich liegen die Opferzahlen wohl bei über 1.000 Toten.


Die Innenstadt ist abgeriegelt: Soldaten des Bundesheeres auf der Ringstraße gegenüber dem Café Heinrichshof, Höhe Wiener Staatsoper.

Engelbert Dollfuß sieht die Stunde gekommen, um mit den verhassten „Roten“ ein für allemal abzurechnen: Neun Schutzbündler werden von Standgerichten zum Tode verurteilt und hingerichtet, unter ihnen Koloman Wallisch (siehe 19. Februar), Georg Weissel, der Wachkommandant der Wiener Berufsfeuerwehr, und Karl Münichreiter, der Schutzbundkommandant von Wien. Die Sozialdemokratische Partei und die Gewerkschaften sowie alle sozialdmokratischen Arbeiterorganisationen werden verboten; alles, was an die Verdienste der Sozialdemokratie erinnern könnte, wird getilgt: Kruckenkreuzfahnen verhüllen das Republikdenkmal an der Wiener Ringstraße, später ersetzt man die Büsten von Hanusch, Adler und Reumann durch Bilder von Fey, Dollfuß und Starhemberg. In Wien werden die Schulreformen von Otto Glöckel zurückgenommen, ebenso die von Hugo Breitner eingeführten Steuern und Abgaben, das bahnbrechende soziale Wohnbauprogramm wird eingestellt; die Bibliotheken werden von „gefährlichem Schrifttum“ gesäubert. Und nicht zuletzt nimmt nun auch die Diskriminierung jüdischer Mitbürger im „Ständestaat“ immer drastischere Formen an: Jüdische Ärztinnen und Ärzte werden aus dem Dienst entlassen, jüdische Beamte werden zwangspensioniert, mit allen Mitteln versucht man die Juden aus dem kulturellen und wirtschaftlichen Leben zu verdrängen.


Hermann Maiers Sturz in Nagano

Herrenabfahrt bei den Olympischen Spielen in Nagano 1998. Über dem Olympic Course I von Happo One, dem Schauplatz der alpinen Wettkämpfe, scheint endlich wieder die Sonne. Das letzte Training hat vor sechs Tagen stattgefunden, inzwischen haben sich jedoch die Bedingungen auf der 3289 m langen Piste völlig geändert – es ist deutlich schneller geworden. Österreichs Skistar Hermann Maier, den blonden Kraftlackel aus Flachau, kümmert das wenig, er will gewinnen. Mit der niedrigen Nummer vier drückt er vom Start weg aufs Tempo, nach einer ersten harmlosen Gleitpassage und dem „Alpen-Jump“ kommt nach etwa 17 Fahrsekunden eine lang gezogene Rechtskurve, die der „Herminator“ auf einer möglichst engen Linie ansteuert. Er gibt Druck, um die Kurve „zuzumachen“ – da passiert’s: Er streift mit dem Schischuh den Schnee, der Außenski rutscht weg, Maier drückt dagegen, eine „Trampolinwirkung“ ist die Folge: Genau auf der Kante hebt er ab, rudert mit den Händen, um den Körperschwerpunkt noch einmal nach vorne zu bringen, doch es ist zu spät: „Ich liege schräg in der Luft, da sehe ich unter mir das Richtungstor. Umlegen! Noch ist nix passiert. Ich bin schon öfter so schräg in der Luft gelegen und wieder auf den Füßen aufgekommen. Okay, das Tor krieg ich nicht mehr. Dafür lande ich ordentlich. Ich lass’ also dem Körper in der Luft Zeit. Mit Gewalt geht da nichts. Ich beobachte alles von oben und will meine Landung dem Gelände anpassen. Ich glaube noch immer an ein Happy End und denk’ mir:, Wenn ich weiterflieg, fallen die Ski durch die Schwerkraft wieder nach unten, und dann fahr ich wieder.‘ (…) Da wird mir auf einmal bewusst:, Wahnsinn, jetzt schau ich schon senkrecht nach unten. Ich seh ja alles verkehrt!’


Ein Bild, das um die Welt geht: Hermann Maiers Sturz in Nagano 1998.

Nach 1,7 Sekunden in der Luft kracht Hermann Maier mit Schlüsselbein und Schulter in den Schnee, durchschlägt zwei Fangzäune und bleibt nach einigen Purzelbäumen kopfüber im Tiefschnee stecken. Aufatmen bei den Fans zu Hause, als er sich aufrappelt und in die Fernsehkamera winkt; ÖSV-Teamarzt Toni Wicker, ist der erste Helfer, der sich durch den Schnee zu ihm durchkämpft, und plötzlich steht auch noch der Fotograf Carl Yarbrough von Sports Illustrated neben Maier und freut sich über seinen Great Shot!

Drei Tage später, am 16. Februar 1998, gewinnt Hermann Maier, der mit diesem Sturz endgültig zum Medienstar und „Außerirdischen“ (Heinz Prüller) wird, auf dem Olympic Course I die Goldmedaille im Super-G, es ist die erste für Österreich in dieser Disziplin.


Leben und Sterben der Sozialistin Stefanie Kunke

Unter ihrem Mädchennamen Jelinek ist sie so wie der um drei Jahre jüngere Bruno Kreisky Mitglied im Vorstand der „Sozialistischen Arbeiterjugend“ und nach dem Februar 1934 zusammen mit ihrem Mann Hans Kunke Mitglied des Zentralkomitees der „Revolutionären Sozialistischen Jugend“: Stefanie „Steffi“ Kunke, umgekommen in Auschwitz, ist heute vergessen, Bruno Kreisky wurde Bundeskanzler und zu einem „großen Österreicher“.

 

Aus Wien-Mauer stammend, Jahrgang 1908, arbeitet Stefanie Kunke als städtische Hilfslehrerin an der Mädchen-Volks- und Hauptschule in der Feldmühlgasse 26 im 13. Wiener Gemeindebezirk. Zusammen mit ihrem Mann organisiert sie die Landesleitung der RSJ. Ihre Tätigkeit bleibt bei den Polizeistellen des Schuschnigg-Staates nicht lange unbemerkt: 1936 verhaftet man das Ehepaar. Stefanie Kunke wird am 8. Juli 1936 zu sieben Monaten Gefängnis verurteilt, Hans zu 18 Monaten – in der Urteilbegründung wird ihnen das Verteilen „illegaler sozialdemokratischer Schriften“ vorgeworfen.

Das Amnestiegesetz bringt ihnen zwar die Freiheit, doch dann erfolgt der „Anschluss“ und die Gestapo braucht nicht lange, um sich auf die Spur der beiden zu setzen: Am 20. Mai 1938 werden sie wegen Betätigung für die „Revolutionären Sozialisten“ wieder verhaftet; Hans Kunke wird nach Buchenwald verschleppt und dort am 31. Oktober 1940 erschossen; Stefanie Kunke weist man zunächst ins Frauen-KZ Lichtenburg in Sachsen ein, dann kommt sie nach Ravensbrück und von dort schließlich nach Auschwitz. Die genauen Umstände ihres Todes in Auschwitz am 14. Februar 1943 sind unbekannt, wahrscheinlich stirbt sie an Typhus. Eine Urne mit ihrer Asche gelangt nach Wien und wird am 30. März 1943 am Hietzinger Friedhof beigesetzt. Nach „heldenhaftem Ringen“ sei sie „fern der Heimat gestorben“, lässt ihre Tante Flora Jelinek am Partezettel vermerken.

In Ravensbrück erinnert heute ein Gedenkraum an Stefanie Kunke, in Wien-Mauer würdigte die Stadt Wien den Opfergang des Ehepaars Kunke mit der Kunkegasse.


Der Friede von Hubertusburg

Im Herbst 1762, nach über sechs Jahren Krieg gegen Friedrich II., sind die Truppen Habsburgs am Ende ihrer Kräfte angelangt, die Ressourcen des Reichs erschöpft, die letzten Schlachten gegen die Preußen gehen allesamt verloren, die bisherigen Verbündeten Russland, Schweden und Frankreich gehen bereits eigene Wege. Maria Theresia befürchtet, wie sie in einem Brief an Staatskanzler Fürst Kaunitz schreibt, den „Ruin der Armee“, jeden Tag verschlechtere sich die Lage, all das mache sie „zittern“; unterstützt wird sie von Feldmarschall Graf Daun, der offen auf Friedensverhandlungen drängt, da „nach obwaltenden Umständen sehr zu besorgen, daß die Armee nicht einmal den Winter hindurch erhalten sein wird“. Das Kriegsziel, die Rückgewinnung Schlesiens, kann trotz aller Opfer, darüber gibt es keine Illusionen, nicht mehr erreicht werden. Über 300.000 Soldaten sind dafür in den Tod gegangen.

Durch Vermittlung des sächsischen Kronprinzen Friedrich Christian wird am 24. November 1762 ein Waffenstillstand mit Preußen geschlossen, am 30. Dezember beginnen im Jagdschloss Hubertusburg bei Wermsdorf in Sachsen die Friedensverhandlungen. Als Unterhändler schickt Maria Theresia den Hofrat Heinrich Gabriel von Collenbach nach Sachsen, einen braven Beamten, dem nichts anderes übrig bleibt, als dem wenig ruhmvollen „Remisfrieden“ auf Grundlage der Friedensschlüsse von Breslau 1742 und Dresden 1745 zuzustimmen: Schlesien sowie die Grafschaft und Festung Glatz bleiben bei Preußen, dafür sichert Friedrich II. in einem geheimen Zusatzartikel seine Kurstimme bei der Kaiserwahl Erzherzog Joseph, dem Sohn Maria Theresias, zu und verpflichtet sich, die habsburgische Erbfolge im Herzogtum Modena zu unterstützen.


Schloss Hubertusburg. Teilkolorierter Kupferstich von Gottlieb F. Riedel. Foto: H.-P. Haack.

Im Artikel 1 der Friedensbestimmungen heißt es: Es wird fortan ein unverletzlicher, beständiger Friede, ebenso ehrliche Eintracht und vollkommene Freundschaft herrschen zwischen ihrer Majestät der Kaiserin, Apostolischen Königin von Ungarn, Königin von Böhmen einerseits und Seiner Majestät dem König von Preußen andererseits, ihre Erben und Nachkommen sowie ihre Staaten und Untertanen eingeschlossen. Folglich werden die beiden hohen vertragschließenden Parteien künftig nicht gestatten, daß sich irgendeine Feindseligkeit, heimlich oder öffentlich, mittelbar oder unmittelbar, ereignet. Sie werden nichts, unter welchem Vorwand es auch immer sein möge, vornehmen, was dem anderen zum Schaden gereicht. Vielmehr werden sie ihre größte Aufmerksamkeit dahin richten, ihre Freundschaft und ihr gegenseitiges Einvernehmen zu bewahren, und alles vermeiden, was in Zukunft die glücklich wiederhergestellte Eintracht stören könnte. Sie werden danach trachten, sich gegenseitig bei jeder Gelegenheit zu Ehre, Nutzen und Vorteil zu dienen.


Der Grazer Damen-Bicycle-Club

Konservativ-reaktionär denkenden Kritikern sind sie ein Dorn im Auge: die sportlich-elegant gekleideten Frauen im Sattel schnittiger Bicycles, die sich so selbstbewusst dem Rausch von Freiheit und Geschwindigkeit hingeben. Beim munteren „Pedalieren“ schütteln die Damen alles ab, was sie bisher beengt hat: den Mief des alten bürgerlichen Frauenbildes, vor allem aber das Korsett. Es empfehle sich, so das von der Redaktion der Wiener Mode herausgegebene Vademecum für Radfahrerinnen, dem „Radfahren ohne Corsett zu huldigen“, ein „Leibchen oder ein Büstenhalter“ würden es auch tun und die „wohlthätigen Wirkungen“ des Radfahrens nicht behindern.


Die passende Kleidung ist wichtig: Sonntagsausflug mit dem Rad, um 1900.

Gleichgesinnte Frauen schließen sich zusammen und empfinden dies durchaus als Akt der Emanzipation: Am 16. Februar 1893 findet im Gasthof „Zum goldenen Steinbock“ in der Jakominigasse 59 die Gründungsversammlung des Grazer Damen-Bicycle-Clubs (GDBC) statt. Es ist der zweite Frauenradfahrverein im deutschen Sprachraum, erst ein Jahr später erfolgt in Wien die Gründung des Ersten Wiener Bicycle-Clubs. Zur Vorsitzenden wird Elise Steininger gewählt, die zusammen mit Vicenza Wenderich die Idee zu diesem Frauenclub hat. Das Amt der „Fahrmeisterin“ übernimmt Louise Sorg, die Tochter eines Fahrradhändlers – sie ist für alle fahrtechnischen Belange zuständig: vom Fahrunterricht für Neueintretende bis zur Gestaltung von sogenannten „Clubpartien“. Besonders wichtig für die Damen ist die einheitliche Klubkleidung: Ein „Fahrdress“ mit Strohhut und ein „Galadress“ mit Schirmmütze werden beschlossen – die Schirmmütze ist der letzte Schrei und für ewig gestrige Männer eine echte Provokation.

Im ersten Vereinsjahr, so die stolze Klubstatistik, werden insgesamt 8.700 Kilometer auf fünf Clubpartien und Tourenfahrten bewältigt; im zweiten Vereinsjahr kann der Damen-Bicycle-Club immerhin auf 27 Frauen verweisen, die ihm angehören, darunter auch die Malerin Sidonie Baltl und die 1852 geborene Adelige Josa Matzner, Edle von Heilwerth, die bald darauf nach Berlin übersiedelt und hier 1897 das „Damensportblatt“ Die Radlerin gründet, das sich zum „unerreicht dastehenden tonangebenden Weltblatte“ des Damenradsports emporschwingen wird.


Der Olympiasieg Toni Innauers in Lake Placid

Für Skisprung-Star Toni Innauer ist es die zweite Chance, Olympiagold zu holen. Bei den Spielen in Innsbruck 1976, mit siebzehn Jahren, hatte er gegen seinen Teamkameraden Karl Schnabl verloren, „nur“ Silber gewonnen und sich „als einziges Opfer in einer wogenden Masse von Tätern“ gefühlt. Jetzt, vier Jahre später, will er „noch einmal einen Matchball haben und ihn spielen, ohne mir nachher etwas vorwerfen zu müssen“.

Der Wettkampf auf der kleinen Schanze im Intervale-Komplex von Lake Placid ist für 13 Uhr Ortszeit angesetzt. Das Thermometer zeigt minus 14 Grad, es ist wärmer geworden, der Wind weht aus West mit etwa 16 Stundenkilometern. Innauer hat am Vortag das interne Qualfikationsspringen des ÖSV-Teams gewonnen und ist für den ersten Wertungsdurchgang zuversichtlich: „Ich fühlte mich sauwohl, locker und happy“, wird er später in seinem Buch Der kritische Punkt über den ersten Sprung schreiben, der ihm hervorragend gelingt:


Höchstnoten für Toni Innauer: Der Vorarlberger 62 gewinnt auf der Normalschanze überlegen Gold.

89 Meter werden für ihn angezeigt – die Führung nach dem ersten Durchgang. In der Pause erinnert sich der 21-Jährige an die bitteren Stunden von Innbruck, er weiß, dass er es dieses Mal besser machen kann. Tatsächlich gelingt ihm der zweite Sprung genauso gut wie der erste: „Geist, Wille und Körper paßten zusammen.“ Wieder erwischt der Vorarlberger den Absprung perfekt, wieder landet er mit einem perfekten Telemark: „Ich hatte das Gefühl, vor Freude zerspringen zu wollen, und gleichzeitig riesige Angst, daß sie verkürzen werden.“

Doch an diesem Tag gibt es niemanden im Springerzirkus, der mit Toni Innauer mithalten könnte. Höchstweite mit 89 und 90 m in beiden Durchgängen, dazu entsprechend hohe Haltungsnoten bedeuten am Ende 266,3 Punkte und 17,1 Punkte Vorsprung auf die beiden ex aequo Zweitplatzierten Manfred Deckert aus der DDR und Hirokazu Yagi aus Japan. DDR-Sportkommentator Klaus Ullrich meint zur Leistung des Österreichers: „Wäre es nur um den Olympiasieg gegangen, hätte man Innauer nach Boxerregeln in diesem Augenblick durchaus zum Sieger durch Abbruch wegen sportlicher Überlegenheit erklären können.“

In der Stunde seines großen Sieges denkt Toni Innauer an den Mann, der ihn auf dem Weg zum Erfolg entscheidend begleitet hat: „Oben stand ganz verloren Baldur Preiml mit seinen roten Fäustlingen. Ich winkte ihm zu. Er blieb unbewegt stehen und schaute mich an. Ich wollte ihm in die Arme fallen, dann sah ich erst, daß er weinte.“


Die Mordtat des Don Julius d’Austria

Es ist Faschingsmontag, doch in Krumau (Cesky Krumlov) ist niemandem zum Lachen zumute, als die Schreckensnachricht aus dem Schloss sich in der Stadt verbreitet. Der Täter trägt einen pompösen Namen: Don Julius Caesar d’Austria, der älteste uneheliche Sohn Kaiser Rudolfs II. und seiner Geliebten Katharina Strada, geboren 1584 oder 1586. Der kaiserliche Vater hat ihm eine sorgfältige Erziehung und Ausbildung zuteil werden lassen und ihm als Residenz im Jahre 1605 das Schloss in Krumau zugewiesen, das er wenige Jahre zuvor Peter Vok, dem letzten Rosenberger, abgekauft hat. Den Sommer 1606 hat der Prinz – zeigt schließlich auch er eine besondere Leidenschaft für mechanische Uhren – auf Wunsch des Vaters im niederösterreichischen Kartäuserkloster Gaming verbracht, dann kehrte Don Julius nach Krumau zurück, wo er wohl schon 1607 Margarete Pichler, die Tochter des Baders Sigmund Pichler und der Lucie Pichlerová, kennenlernte. Mit Zustimmung der Eltern zieht das Mädchen in die ehemalige rosenbergische Residenz und lebt mit dem jungen Habsburgerspross zusammen, schon bald werden aber die dunklen Seiten des offenbar an Schizophrenie leidenden Prinzen sichtbar: Es kommt zu einem Gewaltexzess, Don Julius verprügelt Margarete, verletzt sie durch Messerstiche und wirft sie schließlich, „schrecklich verhenkert und verstochen“, aus dem Schlossfenster.


Der Schauplatz des Fenstersturzes: das Schloss in Krumau.

Das Mädchen hat Glück, fällt auf einen Misthaufen und überlebt den „Fenstersturz“. Als der Vater Margaretes es ablehnt, sie nach ihrer Wiederherstellung neuerlich zu ihm zu bringen, lässt Don Julius den Bader ins Gefängnis werfen und droht ihm mit dem Galgen; nach fünf Wochen Haft ihres Gatten gibt schließlich die Mutter nach und führt ihre Tochter doch ins Schloss. Es ist Faschingssonntag – bereits am nächsten Tag kommt es zur Tragödie: In einem Wutanfall verletzt Don Julius einen Diener, der gerade noch fliehen kann, und erschlägt dann seine Geliebte, die er verstümmelt und zerstückelt, die Leichenteile verteilt er im Schloss.

 

Das Entsetzen in den europäischen Herrscherhäusern über die Tat des „grausamen Tyrannen“ ist groß, Kaiser Rudolf II. verhängt über seinen Sohn lebenslange Haft im Krumauer Schloss. Don Julius, dessen Geisteskrankheit rasch voranschreitet und der in „Schmutz und Unordnung“ versinkt, stirbt am 25. Juni 1609; der Kommentar des Chronisten Václav Brezan: „Das Teufelein hat ihn erwürgt!“


Der Tod des Koloman Wallisch

Für Kanzler Engelbert Dollfuß ist es die Erfolgsmeldung im Kampf gegen die „Aufständischen“: Am 18. Februar kann der Nachrichtensprecher der RAVAG vermelden, dass der gesuchte Sozialist Koloman Wallisch, Führer der Schutzbundkämpfer in der Obersteiermark, auf den ein Kopfgeld von 5.000 Schilling ausgesetzt gewesen wäre, mit seiner Frau Paula auf der Flucht von Leoben nach Admont von der Polizei angehalten und festgenommen worden sei. Am nächsten Tag, dem 19. Februar, steht Koloman Wallisch zusammen mit dem Bezirkskommandanten des Schutzbundes Hubert Ruhs vor dem Standgericht. Die Anklage lautet auf „Aufruhr“ nach Paragraf 73 Strafgesetzbuch. Der Staatsanwalt, den es wenig kümmert, dass er einen ehemaligen Abgeordneten zum Nationalrat vor sich hat, nennt Wallisch in seiner Anklagerede „den bösen Geist von Obersteiermark“ und behauptet, dass Wallisch den Putsch von langer Hand vorbereitet habe. In seinem Schlussplädoyer, aus dem unverhüllt der Geist des Faschismus weht, fordert er den Schuldspruch, denn die „ganze Figur des Wallisch“ sei nicht nur ein Name, sondern „ein Programm“. Und: „Wallisch ist eine Eiterbeule am gesunden Volkskörper der Obersteiermark und diese muss ausgeschnitten werden, um den Volkskörper wieder gesund zu machen.“ Dann darf Koloman Wallisch seine Verteidigungsrede halten. Noch einmal skizziert der Arbeiterführer in wenigen Sätzen die Entwicklung seit der „Selbstausschaltung“ des Parlaments bis hin zum Verbot des Schutzbundes und zur offenen Bewaffnung der Heimwehr. Eindringlich weist er auf das Elend der Arbeitslosen hin, das diesen „Aufschrei der Massen“ unvermeidlich gemacht habe. Und er gibt sich keiner Illusion über sein Schicksal hin, weiß, dass er das auserkorene Opfer des Dollfuß-Regimes ist: „Ich weiß genau, dass ich verurteilt werden muss. Ich bettle nicht um Gnade und über den 19. Februar 1934 wird die Weltgeschichte, wird die Arbeiterschaft urteilen! Dieser Tag wird allerdings nicht in Ehrenlettern in der Geschichte der Leobener Justiz eingetragen sein. … Ich habe mein ganzes Leben der Arbeiterschaft gewidmet, ihr zu dienen, und zwar mit Erfolg, war mein Ideal. Weil ich ehrlich für die Arbeiter kämpfte und mit Erfolg mit ihnen tätig war, darum ist der Hass der Gegner so groß!“

Während die Verhandlung noch andauert, wird man am Wiener Ballhausplatz schon ungeduldig. Bundeskanzler Engelbert Dollfuß kann angeblich das Todesurteil gegen Wallisch kaum abwarten – um sieben Uhr abends lässt er schließlich telefonisch beim Leobener Gericht anfragen, warum die Verhandlung gegen den Sozialistenführer so lange dauere und er noch nicht zum Tode verurteilt sei. Das Gericht beeilt sich und muss auch nicht lange beraten, es geht schon längst nicht mehr um Gerechtigkeit – das Todesurteil ist gleichsam ein Auftrag des offiziellen Österreich an die Richter. Um 20.30 Uhr wird das Urteil verkündet: Es lautet auf Todesstrafe für beide Angeklagte. Im Publikum wird Zustimmung laut – man freut sich offen. Ruhs bittet um Gnade; Wallisch lehnt dies ab, sein Verteidiger versucht es der Form halber dennoch telefonisch in Wien, wie zu erwarten ohne Erfolg. Wallisch bleibt gefasst, eine letzte Bitte bringt er noch vor: Er möchte eine Verlängerung der Frist bis zur Hinrichtung um drei Stunden und dies wird ihm auch gewährt.


Koloman Wallisch wartet im Gefängnishof von Leoben auf seine Hinrichtung.

Die letzten Minuten seines Lebens verbringt Konrad Wallisch im Hof des Gefangenenhauses. Exakt um 23 Uhr 40 wird er zur Hinrichtung geführt. Der Holzhof wird von Scheinwerfern beleuchtet; eine Abteilung des Bundesheers ist angetreten. Da sich in Leoben niemand gefunden hat, der bereit gewesen wäre, den Galgen aufzustellen, zwingt man Häftlinge zu dieser Arbeit. Ein Loch wird gegraben, das Todesgerüst darin fixiert. Als Henker amtiert ein Fleischhauer aus Wien namens Spitzer; schon am Nachmittag hat er in den Leobener Wirtshäusern damit angegeben, dass er „den Wallisch“ hängen werde. Von ihren Zellenfenstern aus können die gefangenen Schutzbündler sehen, wie Koloman Wallisch mit festem Schritt unter die Schlinge tritt. Als der Henker sie ihm um den Hals legt, ruft er aus: „Es lebe die Sozialdemokratie! Hoch! Freiheit!“

Als der Leichnam in den Sarg gelegt wird, kann sich Spitzer, der Henker, einen höhnischen Kommentar nicht verkneifen. Eine Verbeugung vor dem Toten machend, feixt er: „Herr Wallisch, bei Ihnen war es mir ein ganz besonderes Vergnügen!“ Noch in der Nacht wird der Leichnam auf den Leobener Zentralfriedhof gebracht und begraben, die Spuren verwischt. Man befürchtet einen Märtyrerkult, niemand soll die Stelle kennen, doch einige Arbeiter haben die nächtliche Szene beobachtet; bereits am nächsten Morgen liegt deshalb ein Kranz auf der Grabstätte. Angehörige der Heimwehr lassen ihn wegbringen, doch gleich liegen wieder neue Blumen auf dem Grab. Daraufhin setzt man Paula Wallisch unter Druck – sie solle den Leichnam ihres Mannes einäschern lassen. Die Witwe lehnt ab. So tragen die Arbeiter weiterhin ihre Liebe und ihre Racheschwüre zum heiligen Grab des Märtyrers. „Der Hass der Besitzenden, der Hass der Reaktionäre, der ihn viele Jahre verfolgte, hatte sein Ziel erreicht.“ Erst im Jahre 2008 erhält der hingerichtete Arbeiterführer sein Denkmal: Am Leobener Koloman-Wallisch-Platz wird ein 4 Meter hohes und 1,5 Meter breites Monument des Leobener Künstlers Herbert Lerchegger aufgestellt.


Die Erschießung Andreas Hofers

Mantua, die alte österreichische Festung in der Lombardei, nunmehr unter französischer Herrschaft. Seit 5. Februar sitzt im Al-Vaso-Turm am sogenannten „Mühlendamm“ bei der Porta Nuova ein prominenter Gefangener: der Sandwirt Andreas Hofer, durch Verrat des Grubhofbauern Franz Raffl auf der Pfandleralm in die Hände der Franzosen gefallen. Napoleon Bonaparte, der die Niederlagen am Bergisel nicht verwinden kann, will das Blut des Tiroler Freiheitshelden fließen sehen und seine Offiziere sind willfährig: In der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 1810 wird Andreas Hofer von einem französischen Kriegsgericht im Palazzo des Grafen von Arco-Chieppio Ardizzoni zum Tode verurteilt; die Exekution für 1 Uhr angesetzt. Die „Schuld“ des Sandwirts: Er habe nach der Proklamation vom 12. November 1809, die ja die Begnadigung aller Anführer der „Rebellen“ vorsah, noch einmal zu den Waffen gegriffen, sei damit wortbrüchig geworden und habe damit für sich jede Schonung verwirkt. Hofers Verantwortung, dass er von seinen Kampfgefährten unter Androhung des Todes „umgedreht“ worden sei, findet kein Gehör; sein Pflichtverteidiger Gioacchino Basevi kann in dieser Farce eines Gerichtsverfahrens nichts mehr für ihn tun. In Wien hat zwar Kaiser Franz I. am 12. Februar Staatskanzler Metternich angewiesen, „alle tunliche Verwendung“ für die Befreiung und Rettung Hofers zu unternehmen; da man Napoleon jedoch so knapp vor der Hochzeit mit Erzherzogin Marie-Louise nicht „wehtun“ will, verschleppt man geschickt die Angelegenheit und informiert zu spät den österreichischen Botschafter in Paris, den Fürsten Schwarzenberg; auch Erzherzog Johann, an den Hofer einen letzten Hilferuf gerichtet hat, „vergisst“ einfach seinen Tiroler Mitstreiter – die beiden Habsburger opfern ihn für das Staatsinteresse.

Andreas Hofer zeigt sich bei der Verkündung des Urteils ruhig und gefasst; seinen letzten Brief schreibt er an den ehemaligen Schützenmajor Josef Pühler in Neumarkt, darin nimmt er Abschied von seiner Familie und schließt mit den Worten: Ade meine schnede Welt, so leicht khombt mir das Sterben vor, das mir die Augen nass werden, geschrieben um 5 Uhr in der freue, Und um 11 Uhr Reiss ich mit der Hilfe aller heilig zu gott.

Um 10.45 Uhr treffen die Grenadiere des Exekutionskommandos im Gefängnis ein. „Fest und aufrecht, wie der Tapfere sich stets gezeigt“ (Egmont Fehleisen), begleitet von seinem Beichtvater Propst Giovanni Manifesti, tritt Hofer aus seiner Zelle. In den Händen hält er ein mit Blumen geschmücktes Kruzifix. Er bittet noch, seinem Mitgefangenen und Sekretär Kajetan Sweth etwas Geld – sechs italienische Scudi – und ein paar Zeilen schicken zu dürfen, was ihm auch gestattet wird: Auf einen Zettel notiert er: Lieber Kajetan, empfange das letzte Vermögen, das ich habe. Lebe wohl und bete für mich. Abgelehnt wird dagegen seine Bitte, nochmals seine inhaftierten Landsleute sehen zu dürfen. Vor dem Gefängnis übergibt Hofer, so erzählt es sein Biograf Fehleisen, seinem Beichtvater noch einen 500-Gulden-Bancozettel, den dieser den gefangenen Tirolern übergeben soll, sie mögen, so seine Bitte, für seine Seelenruhe beten. Der Weg führt an den Zellen der gefangenen Landsleute vorbei; viele knien nieder und bitten um seinen Segen oder strecken ihm auch nur die gefesselten Hände entgegen.