365 Schicksalstage

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„Ich kenne kein anderes Glück, als das Glück dieser Völker, keinen höheren Ruhm als Vater dieser Völker zu seyn, die an Biedersinn, an fester und unerschütterlicher Treue, die an reiner Liebe zu ihrem Monarchen und ihrem Vaterlande keiner Nazion (sic!) Europas nachstehen. Sie haben durch schöneren Nazional-Charakter selbst dem Feinde eine unwillkürliche Achtung abgezwungen … Die Wunden, welche der Krieg schlug, sind tief … Die Staatsverwaltung hat mehr als jemals große und schwere Pflichten zu erfüllen; sie wird sie erfüllen, aber sie hat auch mehr als jemals die höchsten Rechte auf die Mitwirkung aller Volksklassen … Durch das wechselseitige Band des Vertrauens und der innigsten Liebe mit meinen Unterthanen verbunden, werde ich nur dann erst glauben, meinem Herzen als Fürst und Vater genug gethan zu haben, wenn Österreichs Flor fest gegründet, wenn vergessen ist, was seine Bürger litten und nur das Andenken an meine Opfer, an ihre Treue und an ihre hohe unerschütterliche Vaterlandsliebe noch lebt.“

Große Worte und große Versprechungen, die allerdings nicht so schnell verwirklicht werden können; Stadion gibt immerhin die Richtung vor: Straffung der Wiener Zentralverwaltung, Förderung der Entwicklung in den Provinzen und Errichtung einer „Nationalmiliz“, wie dies auch von Erzherzog Carl gefordert wird. Man will Napoleon in einem Entscheidungskampf gegenübertreten …


Der Lucona-Skandal

Ein herrlicher Tag wölbt sich über den Indischen Ozean. Ein leichter Wind weht aus Nordost, das Meer weist kaum Wellengang auf. Da Sonntag ist, haben die Matrosen auf dem Massengutfrachter „Lucona“ dienstfrei; das Schiff, das zu Mittag die Position 8.50° nördliche Breite, 70,30° östliche Länge erreicht, fährt mit automatischer Kurssteuerung und hält auf die Südspitze der Insel Minicoy zu. Ziel der „Lucona“ ist Hongkong, die Ladung: eine angeblich 212 Millionen Schilling (= etwa 15,4 Millionen Euro) teure Uranerzaufbereitungsanlage, die im italienischen Chioggia im Auftrag der Schweizer Firma Zapata AG verladen worden ist – tatsächlich handelt es sich um Schrott. Persönlich anwesend bei den Verladungsarbeiten ist der Drahtzieher dieses Geschäfts, der Prokurist der Wiener Hofzuckerbäckerei Demel, Udo Proksch (1934 – 2001), Gründer des Clubs 45 und umtriebiger Netzwerker. Zusammen mit seinem Komplizen, dem deutschen Staatsbürger Hans Peter Daimler, hat Proksch dafür gesorgt, dass die Fracht der „Lucona“ bei der Bundesländer-Versicherung auf diesen vorgetäuschten Wert versichert worden ist; mit an Bord werden in Chioggia auch Sprengstoff und ein entsprechender Zündmechanismus geschmuggelt …


Riss bei seinem Untergang sechs Menschen mit in den Tod: der Frachter Lucona.

Um 14 Uhr verlässt Kapitän Jacob Puister aus Holland das Steuerhaus und legt sich schlafen; seine Frau Adriana, genannt „Janette“, nimmt auf der Brücke ein Sonnenbad; das Steuer übernimmt der 1. Offizier Jacobus Nicolaas „Joop“ van Beckum. Als dieser um 16 Uhr in den Kartenraum geht, um die Position zu bestimmen, zerreißen plötzlich zwei gewaltige Explosionen die Stille – Vorder- und Mittelschiff sind schwer beschädigt, das Leck so riesig, dass die „Lucona“ bereits nach einer Minute zu sinken beginnt. Der Kapitän, seine Frau, der 1. Offizier und weitere drei Besatzungsmitglieder können im letzten Moment über Bord springen und sich in ein Dingey retten; sechs Menschen sterben.

Der so raffiniert eingefädelte Coup scheitert: Die Bundesländer-Versicherung schöpft Verdacht und zahlt die Versicherungssumme nicht aus; die Ermittlungen gegen Proksch stocken jedoch, da seine Freunde in eder Politik ihn jahrleang abschirmen. Erst die peniblen Aufdeckungsarbeiten der Journalisten Gerald Freihofner und Hans Pretterebner – 1987 erscheint dessen Bestseller Der Fall Lucona – führen zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und zur Verhaftung von Proksch und Daimler; ein Tauchroboter spürt das Wrack der „Lucona“ auf. 1992 wird Udo Proksch wegen sechsfachen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt; er stirbt 2001 in der Haftanstalt Graz-Karlau.


Der „Herrgott von Auschwitz“ und die „Bestie“

Das Montelupich-Gefängnis in Krakau. Ursprünglich als Kaserne für die k. u. k. Armee Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, wird das düstere Gebäude am nördlichen Rand des Stadtzentrums 1905 Sitz eines Militärgerichts, bald darauf adaptiert man es auch als Gefängnis. Während der deutschen Besatzungszeit dient es der Gestapo als „Sicherheitspolizeigefängnis“, Mord und Folter sind an der Tagesordnung; auch Oskar Schindler, mit Hilfe von „Schindlers Liste“ der Retter von 1.000 Juden aus dem KZ Pł​aszów, wird hier zweimal kurz festgehalten. Nun jedoch ist für die Polen der Tag der „Abrechnung“ gekommen: Gleich 21 Hinrichtungen stehen an diesem Wintertag des Jahres 1948 an: 19 SS-Männer und zwei Frauen finden sich auf der Todesliste, alle in den Krakauer Auschwitzprozessen zum Tode verurteilt. Unter den 21 Delinquenten sind auch ein Österreicher und eine Österreicherin: Maximilian Grabner, der Leiter der Politischen Abteilung im KZ Auschwitz, genannt der „Herrgott von Auschwitz“, und Maria Mandl, genannt „die Bestie“, die als „Arbeitsdienstführerin“ von August 1943 bis Januar 1944 gemeinsam mit dem „Schutzhaftlagerführer“ Franz Hößler im Frauenlager Auschwitz über Leben und Tod bestimmt hat.

Maria Mandl, 1912 als Tochter eines Schuhmachermeisters im oberösterreichischen Münzkirchen geboren, beginnt ihre „Karriere“ als Aufseherin im Oktober 1938 im KZ Lichtenburg; am 15. Mai 1939 wird sie „Kommandoführerin“ im KZ Ravensbrück und beeindruckt die vorgesetzten SS-Stellen durch die grausame Misshandlung von inhaftierten Frauen. Anfang Oktober 1942 wird sie ins KZ Auschwitz-Birkenau versetzt, wo sie ein wahres Schreckensregiment errichtet. Da sie Musik liebt, fördert sie das Mädchenorchester von Auschwitz, in dem Alma Rosé, die Nichte Gustav Mahlers, als Dirigentin mitwirkt.

Maximilian Grabner, 1905 in Wien geboren, verdient sich in den 1920er Jahren seinen Lebensunterhalt noch als Holzfäller; 1932 tritt er der NSDAP bei, 1938 der SS und wird 1940 nach Auschwitz versetzt. Sein „Aufgabenbereich“: das Verhören und Foltern von Häftlingen und die berüchtigten „Bunkerentleerungen“, bei denen Häftlinge willkürlich erschossen werden – Grabner entwickelt dabei eine Mordlust, die selbst der SS unheimlich wird: Er wird am 1. Dezember 1943 von seiner Funktion entbunden und von SS-Richter Konrad Morgen wegen Korruption und der Erschießung von 2.000 Häftlingen ohne Exekutionsbefehl angeklagt. Der Prozess der SS gegen ihn verläuft im Sande; nach Kriegsende wird Grabner in der Nähe von Wien verhaftet. Bei einer Gegenüberstellung mit dem ehemaligen KZ-Häftling Hermann Langbein meint er: „Ich habe nur mit Rücksicht auf meine Familie mitgewirkt an der Ermordung von 3 Millionen Menschen.“


Der Bergsturz am Dobratsch

Es ist zwischen 15 und 16 Uhr, Vesperzeit, ein Wintertag „bei hell scheinender Sonne“. In der Villacher Domkirche feiern etwa 500 Gläubige mit einem Nachmittagsgottesdienst das Fest Pauli Bekehrung, als sich plötzlich der Himmel mit „finsterem Gewölk“ überzieht und die Erde zu beben beginnt. Der Hauptstoß dauert etwa zwei Minuten – lang genug, um das Gotteshaus in den Grundfesten zu erschüttern und einstürzen zu lassen; alle Besucher der Messe kommen ums Leben, ganz Villach liegt in Trümmern. Auf dem Hauptplatz „bricht Wasser in solcher Menge auf“, dass es scheint, „als ob ein Fluss die Fläche erfüllt hätte“, in den zerstörten Häusern wütet eine Feuersbrunst und zerstört „allen Besitz“; zudem fallen „viele starke Burgen in sich zusammen: Federaun, Kellerberg, Hollenburg und andere Festen, die man gar nicht nennen kann“.

Gleichzeitig „zerspaltet“ sich „der Berg vor dem Gesichte gegenüber Mitternacht“, der Dobratsch. 150 Millionen Kubikmeter Fels stürzen von der südöstlichen Flanke des Berges ins Gailtal und verschütten, wie es in einem alten Bericht heißt, „17 Dörfer, 3 Gschlösser und 9 Gotteshäuser“; das herabgestürzte Geteinsmaterial bewirkt, dass die Gail aufgestaut wird und ein etwa drei Kilometer langer See entsteht, „Häuser und Dörfer, Güter und Leute“ ertrinken darin. Nach einigen Tagen durchbricht die Gail die Gesteinsmassen und überflutet nun das Land flussabwärts, wieder ertrinken zahlreiche Menschen – insgesamt, so schätzt man, fordert die Katastrophe an die 10.000 Menschenleben.


150 Millionen Kubikmeter Fels stürzen zu Tal: der Bergsturz am Dobratsch.

Viele glauben das Ende der Welt für gekommen, setzt doch danach auch in anderen Teilen Kärntens im Gefolge der schweren Pestepidemie dieses Unglücksjahres ein „großes jämmerliches Sterben“ ein, in welchem „kaum der vierte Teil der Menschen“ übrig bleibt: Es seind gächling junge und alte, gesund und frölich mit selzamen reden gestorben, auf allen strassen hat man tote cörper ligen funden. Dazu „regnet es auch Blut“ und etliche Flüsse färben sich „rotfarb wie Blut, sonderlich die Gurcken, Drau und die Glan“ – für die Menschen ein Zeichen für Umkehr und Buße, die Geißlerzüge finden immer mehr Zulauf. Und als man in Wolfsberg angeblich „blutige Hostien“ findet, richten sich Wut und Hass wieder einmal gegen die Juden – im September 1349 kommt es in Niederösterreich zu Pogromen.

 


Der Friede von Karlowitz

Knapp nach Mitternacht, als die Sterne nach Meinung der türkischen Unterhändler am günstigsten stehen, wird im hölzernen Konferenzhaus nahe den Ruinen von Karlowitz (Sremki Karlovce) der Schlusspunkt hinter einen beinahe 16 Jahre lang währenden Krieg gesetzt: Rami Mohammed, der Reis Effendi der Hohen Pforte, akzeptiert mit Siegel und Unterschrift die harten Bedingungen des Kaisers und seiner Verbündeten, es sind dies Polen, die Republik Venedig, der Kirchenstaat und Russland.


Der „Konferenzsaal“ in Karlowitz. Stich eines unbekannten holländischen Meisters.

Der „Große Türkenkrieg“, von Großwesir Kara Mustafa und Sultan Mehmed IV. vom Zaun gebrochen, ist zu Ende. Nach dem glorreichen Sieg vor den Toren Wiens am 12. September 1683 hat dieser die kaiserlichen Heere immer weiter nach Osten geführt, am 2. September 1686 ist die ungarische Hauptstadt Ofen (Buda) gefallen, 1688 erobert Kurfürst Max Emanuel von Bayern ein erstes Mal Belgrad für den Kaiser und schließlich ist es der neue Oberbefehlshaber über die Armeen Habsburgs in Ungarn, Prinz Eugen von Savoyen, der am 1. September 1697 bei Zenta einen vernichtenden Schlag gegen die Streitkräfte der Hohen Pforte unter Sultan Mustafa II. und Großwesir Elmas Mohammed Pascha führt. Was man Schlacht für Schlacht dem türkischen „Erbfeind“ abgerungen hat, wird nun im „Frieden von Mitternacht“ vertraglich festgeschrieben: Die Habsburgermonarchie erhält den größten Teil Ungarns mit Siebenbürgen sowie Teile Sloweniens und Kroatiens zugesprochen; die Halbinsel Peloponnes (Morea) sowie Teile Dalmatiens und der Herzegowina fallen an die Serenissima. Die Gefahr eines türkischen Angriffs, jene Bedrohung, die jahrhundertelang die Politik des Reichs und der Habsburgerherrscher bestimmt hat, ist damit für immer geschwunden, das Osmanische Reich auf den Balkan zurückgeworfen. Im Juli 1683 hat Kaiser Leopold I. vor dem auf Wien vorrückenden Riesenheer Kara Mustafas noch kläglich Reißaus genommen, jetzt sieht er sich und sein Haus auf einem neuen Höhepunkt der Macht; seine siegreichen Heerführer, allen voran Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, der „Türkenlouis“, und Prinz Eugen von Savoyen, werden als Helden gefeiert.


Der Internationale Holocaust-Gedenktag

Im Herbst 1941 wird in Auschwitz erstmals Cyanwasserstoffgas zur Tötung von Menschen eingesetzt; erste Opfer sind vor allem sowjetische Kriegsgefangene. Am 26. März 1942 trifft der erste „Sammeltransport“ mit Juden ein. Noch arbeitsfähige Menschen werden von SS-Ärzten „selektiert“, die übrigen, vor allem alte Menschen und Kinder, schickt man sofort „ins Gas“. Insgesamt werden im KZ Auschwitz-Birkenau etwa 1,35 Millionen Juden ermordet, weiters etwa 20.000 Roma und Sinti, 1.700 sowjetische Kriegsgefangene sowie 83.000 Menschen aus politischen und anderen Gründen.

Hinter diesen Opferzahlen verbirgt sich die Ermordung Tausender Österreicherinnen und Österreicher. So fährt der am 17. Juli 1942 vom Aspangbahnhof abgehende „32. Transport“ mit ungefähr 1.000 Menschen direkt nach Auschwitz; 212 Frauen werden als Häftlinge ins Lager eingewiesen, die übrigen vermutlich ermordet. Zahlreiche österreichische Opfer gelangen aus anderen Lagern in die schlesische Vernichtungsstätte: Mehr als 4.100 Österreicher werden von Theresienstadt, ca. 500 Personen in Einzeltransporten hierher gebracht. Weiters werden mehr als 3.700 österreichische Juden aus französischen Lagern, ca. 350 aus Italien und etwa 260 aus den Niederlanden nach Auschwitz transportiert. Auch aus anderen Ländern werden Menschen mit österreichischer Staatsbürgerschaft hierher verschleppt; ihre genaue Zahl kann nicht mehr festgestellt werden.


Trostloser Ort des Grauens: das Vernichtungslager Auschwitz im Januar 1945.

Vor dem Eintreffen der Roten Armee versuchen die Nazis die Spuren zu verwischen: Ab November 1944 demontiert man die Krematorien; die Häftlinge werden auf „Todesmärschen“ Richtung Westen getrieben. Als die ersten Rotgardisten am 27. Januar 1945 das Lagergelände erreichen, befinden sich hier nur noch etwa 7.500 Häftlinge.

Im November 2005 beschließt die Generalversammlung der UNO, den Tag der Befreiung von Auschwitz als „Internationalen Holocaust-Gedenktag“ zu begehen. Bereits 1996 entscheidet man sich in Deutschland dafür, diesen Tag als nationalen Gedenktag zu feiern. Am 19. Januar 1996 erklärt Bundespräsident Roman Herzog vor dem Deutschen Bundestag: „Zunächst darf das Erinnern nicht aufhören; denn ohne Erinnerung gibt es weder Überwindung des Bösen noch Lehren für die Zukunft. Und zum andern zielt die kollektive Verantwortung genau auf die Verwirklichung dieser Lehren, die immer wieder auf dasselbe hinauslaufen: Demokratie, Rechtsstaat, Menschenrechte, Würde des Menschen.“


Die letzte Schubertiade

Gastgeber Joseph von Spaun (1788 – 1865), wohlbestallter 3. Assessor bei der allgemeinen Hofkammer, ist mit Franz Schubert seit den gemeinsamen Studienzeiten an der Universität Wien befreundet. Immer wieder hat er den aufstrebenden Komponisten mit finanziellen Zuwendungen unterstützt und mit Angehörigen der Wiener Gesellschaft, mit Künstlern und Schriftstellern wie Leopold Kupelwieser, Moritz von Schwind, Johann Mayrhofer und Franz von Schober bekannt gemacht. An diesem Abend hat Spaun, der es später bis zum Leiter der Lotteriendirektion und des Generalhoftaxamtes bringen wird, zu einer Privataufführung in seiner geräumigen Wohnung in den sogenannten „Klepperställen“, heute das Haus Teinfaltstraße 8/​8A, geladen. Drei Tage vor seinem 31. Geburtstag ist Schubert bester Laune; die zahlreich erschienenen Freunde und Gäste, es sind etwa 50, verbringen mit ihm zusammen einen anregenden Abend: Höhepunkt ist die Uraufführung seiner neuen Komposition, eines Klaviertrios in B-Dur, dem man später die Opuszahl 99 beifügen wird. Gespielt wird von seinen Freunden Ignaz Schuppanzigh (Violine), Joseph Lincke (Violoncello) und Carl Maria von Bocklet (Klavier); die drei Musiker haben bereits wenige Wochen zuvor, am Stephanitag 1827, bei einer Veranstaltung des Musikvereins sein Klaviertrio in Es-Dur zur Aufführung gebracht. Das Stück, eines der großen Meisterwerke der Kammermusik, findet bei den Zuhörern begeisterte Aufnahme.

Der Abend wird zu einem vollen Erfolg; es wird gesungen und rezitiert, gescherzt und diskutiert – noch ahnt niemand, dass es die letzte „Schubertiade“ sein wird …

Acht Jahre später, 1836, erscheint Schuberts Klaviertrio erstmals im Druck; von Robert Schumann ist dazu folgender Ausspruch überliefert: „Ein Blick auf das Trio und das erbärmliche Menschenreich flieht zurück und die Welt glänzt wieder frisch.“


Schubertiade bei Joseph von Spaun. Kolorierter Holzstich nach einem Gemälde von Hans Temple.


Der Auschwitz-Erlass

Bei der Kriminalpolizeileitstelle Wien trifft ein Schnellbrief des Reichskriminalpolizeiamts (RPKA) von Berlin ein. Gerüchte schwirren schon seit einigen Wochen herum, doch nun haben die Beamten den berüchtigten Befehl Heinrich Himmlers vom 16. Dezember 1942, bekannt als „Auschwitz-Erlass“, schwarz auf weiß vor sich: „Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft“ sind nach „bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen Wochen in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dieser Personenkreis wird im nachstehenden kurz als, zigeunerische Person‘ bezeichnet. Die Einweisung erfolgt ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad familienweise in das Konzentrationslager Auschwitz.“

Dieser zusammenfassenden knappen Anweisung folgen detaillierte Durchführungsbestimmungen, ausgenommen von der Deportation sollen „reinrassige Sinte- und Lalleri-Zigeuner“ bleiben, aber auch „zigeunerische Personen, die mit Deutschblütigen rechtsgültig verheiratet sind“ sowie „sozial angepasst lebende zigeunerische Personen, die bereits vor der allgemeinen Zigeunererfassung in fester Arbeit standen und feste Wohnungen hatten“ – Bestimmungen, die in ihrer Monstrosität Himmlers Ringen mit dem Thema „Zigeuner“ und seinen Rassenwahn spiegeln: Die Verfolgung soll – hier macht sich der Einfluss des „Zigeunerforschers“ Robert Ritter auf Himmler deutlich bemerkbar – den „Mischlingen“ gelten, von denen Ritter so wenig hält: Wer nicht in ein KZ eingewiesen wird, sei daher zur „Unfruchtbarmachung“ angehalten, das gelte für alle Personen über zwölf Jahre. Die Profitmöglichkeiten werden dabei nicht vergessen: Das Eigentum der Deportierten, so Himmler, sei in „geeigneter Weise“ sicherzustellen, mitnehmen dürfen sie allenfalls Wäsche zum täglichen Bedarf und „verderblichen Mundvorrat“, die Ausweispapiere sind ihnen abzunehmen und bei den zuständigen Polizeistellen zu hinterlegen.

Unmittelbar nach Erhalt des Schnellbriefs beginnt die Kriminalpolizeileitstelle Wien mit den Vorbereitungen zur Deportation, man versucht die Vorgaben Himmlers buchstabengetreu umzusetzen; ist man sich über die „rassische Einordnung“ eines „Zigeuners“ nicht im Klaren, fordert man Gutachten von der Forschungsstelle Robert Ritters an. Insgesamt sind es acht Transporte, die im Frühjahr 1943 2.348 österreichische Zigeuner ins Auschwitzer „Zigeunerfamilienlager“ bringen; darunter sind auch Häftlinge aus den Lagern in Lackenbach und Salzburg. Kathi Horwath, die Tochter eines Spenglers aus Oberwart, die in Auschwitz ihre Mutter und zwei Geschwister verliert, erinnert sich später: „Und so kamen wir alle auf Viehwaggons, je 50 Personen, darauf stand, Auschwitz‘. Fast ohne Aufenthalt fuhren wir, drei Tage und Nächte, wir litten Hunger und Durst … “

Im August 1944 wird das Auschwitzer Familienlager aufgelöst, wer nicht mehr arbeitsfähig ist, wird in die Gaskammer geschickt, so sterben allein in der Nacht vom 2. auf den 3. August 1944 2.897 Männer, Frauen und Kinder.


Die Tragödie von Mayerling

Das Jagdschloss der Habsburger in Mayerling im Wienerwald, 29. Januar 1889, etwa 22 Uhr. Kronprinz Rudolf, der am Abend noch mit seinen Freunden Josef Graf Hoyos und Prinz Philipp von Coburg soupiert hat, zieht sich mit der 17-jährigen Mary Vetsera in sein Schlafzimmer zurück; Kammerdiener Loschek, der im Nebenzimmer schläft, erhält strengste Anweisung, niemanden vorzulassen. Nur er weiß Bescheid über die Anwesenheit des Mädchens. Er hört, wie er später aussagt, die beiden die ganze Nacht über in ernstem Ton sprechen, kann aber nichts verstehen. Folgt man der gängigen Version des Mayerling-Dramas, so nützen Mary und Rudolf die letzten Stunden zum Verfassen von Abschiedsbriefen, die man später im Zimmer der Toten findet. Rudolf schreibt insgesamt sechs Abschiedsbriefe: an seine Frau Stephanie, an seine Schwester Marie Valerie, an seine Mutter Kaiserin Elisabeth, an Loschek, an den Sektionschef Szögyeny und an den Prior von Heiligenkreuz. Nur wenige Zeilen sind es, mit denen Rudolf von seiner Frau Abschied nimmt: „Liebe Stephanie! Du bist von meiner Gegenwart und Plage befreit. Werde glücklich auf Deine Art. Sei gut für die arme Kleine, die das einzige ist, was von mir übrig bleibt. Allen Bekannten, besonders Bombelles, Spindler, Latour, Szögyeny, Gisela, Leopold etc. etc. sage meine letzten Grüße. Ich gehe ruhig in den Tod, der allein meinen guten Namen retten kann. Dich herzlichst umarmend, Dein Dich liebender Rudolf.“ Auf einen Brief an seinen Vater, den Kaiser, verzichtet Rudolf; angeblich, so erzählt später Marie Festetics, die Hofdame Kaiserin Elisabeths, habe er im Abschiedsbrief an seine Mutter festgehalten, dass er es nicht wage, an seinen Vater zu schreiben. Und wörtlich habe es dann geheißen: „Ich weiß sehr gut, dass ich nicht würdig war, sein Sohn zu sein.“

 

Mary Vetsera richtet ihre vier Abschiedsbriefe an ihre Mutter und ihre Geschwister Hanna und Feri sowie an Marie Larisch. An ihre Mutter schreibt sie: „Liebe Mutter! Verzeiht mir, was ich getan; ich konnte der Liebe nicht widerstehen. In Übereinstimmung mit ihm will ich neben ihm am Friedhof von Alland begraben sein. Ich bin glücklicher im Tode als im Leben. Deine Mary.“

Am frühen Morgen des 30. Januar, es ist 6.10 Uhr, erscheint der Kronprinz, vollständig angezogen, bei Loschek und befiehlt ihm, einspannen zu lassen. Der Kammerdiener eilt in den Hof, hört aber plötzlich zwei „Detonationen“. Er läuft zurück ins Haus, findet das Schlafzimmer Rudolfs jedoch versperrt vor: „Was nun machen, ich holte sofort Graf Hoyos, und mit einem Hammer bewaffnet, schlug ich die Türfüllung ein, so dass ich gerade mit der Hand hineinkonnte, um die Tür von innen aufzusperren. Welch grauenhafter Anblick – Rudolf lag entseelt auf seinem Bette angezogen, Mary Vetsera ebenfalls auf ihrem Bette vollständig angekleidet. Rudolfs Armeerevolver lag neben ihm. Beide hatten sich überhaupt nicht schlafen gelegt. Beiden hing der Kopf herunter. Gleich beim ersten Anblick konnte man sehen, dass Rudolf zuerst Mary Vetsera erschossen hatte und dann sich selbst entleibte.“


Auf dem Nachtkästchen findet Loschek den an ihn gerichteten Abschiedsbrief vor: „Lieber Loschek! Holen Sie einen Geistlichen und lassen Sie uns in einem gemeinsamen Grabe in Heiligenkreuz beisetzen. Die Pretiosen meiner teuren Mary nebst Brief von ihr überbringen Sie der Mutter Marys. Ich danke Ihnen für Ihre jederzeit so treuen und aufopferungsvollen Dienste während der vielen Jahre, welche Sie bei mir dienten. Den Brief an meine Frau lassen Sie ihr auf kürzestem Wege zukommen. Rudolf.“


Das Grab Mary Vetseras in Heiligenkreuz.

Graf Hoyos übernimmt es, nach Wien zu fahren und die kaiserliche Familie zu informieren; Loschek wird beauftragt, den Hofarzt Widerhofer in das Jagdschloss zu rufen. Philipp von Coburg bleibt am „Tatort“ zurück, um die Toten bis zum Eintreffen des Arztes und der Hofbeamten zu schützen. Hoyos und Loschek lassen sich von Bratfisch nach Baden bringen, wo der Kammerdiener auf Dr. Widerhofer wartet, während der Graf einen Eilzug aus Triest anhalten lässt und mit diesem nach Wien weiterfährt. Knapp nach 10 Uhr trifft Hoyos in der Hofburg ein, der Erste, der von ihm informiert wird, ist Graf Bombelles, der Obersthofmeister des Kronprinzen. Gemeinsam spricht man dann mit Baron Nopcsa, dem Obersthofmeister der Kaiserin, anschließend mit dem Grafen Paar, dem Generaladjutanten des Kaisers. Über die Hofdame Ida Ferenczy will man Kaiserin Elisabeth informieren, legt sich dafür aber eine neue Version der Ereignisse zurecht: Mary Vetsera hätte Rudolf vergiftet.

Elisabeth fällt die Aufgabe zu, Franz Joseph die Todesnachricht zu überbringen, auch er wird zunächst in dem Glauben gelassen, dass Mary Rudolf ermordet hätte …

In Mayerling ist inzwischen Dr. Widerhofer eingetroffen, der eindeutig feststellt, dass Mary den Kronprinzen nicht ermordet haben kann. Er versorgt den toten Rudolf mit einem Notverband um den Kopf und bereitet die Leiche für den Abtransport nach Wien vor; die „zweite Leiche“, die der Wiener Hof am liebsten heimlich verschwinden lassen möchte, versteckt man unter Kleidern.

Während seine Geliebte am 1. Februar heimlich auf dem Friedhof in Heiligenkreuz beerdigt wird, warten auf den toten Thronfolger die Aufbahrung in der Hofburg und ein festliches Begräbnis in der Kapuzinergruft, das nur dadurch möglich wird, dass man Rudolf für zum Zeitpunkt des Selbstmordes „geistig umnachtet“ erklärt.


Slalom-Gold für Toni Sailer in Cortina

Olympische Winterspiele in Cortina d’Ampezzo 1956. Als zweiter Alpinbewerb der Herren steht der Slalom am Programm. Die eisige Piste ist schlecht präpariert, man befürchtet ein Startnummernrennen. Respekt flößt den Läufern vor allem der Steilhang unmittelbar nach dem Start ein – blankes Eis, darunter Fels.

Der Start zum 1. Durchgang erfolgt pünktlich um 10 : 30 Uhr. Zuvor noch ein peinlicher Moment: Als die österreichische Technikertruppe am Startgelände in 1748 m Höhe eintrifft, bemerkt man plötzlich, dass man die Startnummern im Hotel „Croce bianca“ vergessen hat. Die Startrichter verteilen freie Nummern an die vier ÖSV-Läufer; ihre vorgesehenen Startplätze dürfen sie behalten – Toni Sailer bekommt die Nummer 135.


Das Rennen beginnt so gar nicht nach dem Geschmack der rot-weiß-roten Fans: Nach Stürzen von Josl Rieder und Anderl Molterer sowie einem verbremsten Lauf von Othmar Schneider ruhen alle Hoffnungen auf Toni Sailer, der sich auch durch die Ausfälle in seiner totalen Konzentration nicht beirren lässt: Elegant zieht er seine Schwünge, die Anzeigetafel weist für ihn schließlich Bestzeit aus: 1 : 27,3, knappe drei Sekunden Vorsprung. Aber noch ist die Konkurrenz nicht geschlagen: Adrien Duvillard aus Megève fährt trotz eines Absitzers 1 : 27,5, der Amerikaner Brooks Dodge 1 : 27,5 – Spannung für den von Trainer Fred Rößner ausgesteckten 2. Lauf ist garantiert. Wieder studiert Sailer den Kurs genau, wieder legt er sich seinen „Plan“ für die diesmal 92 Tore zurecht.

Die Hektik vor dem Start ist groß, Fred Rößner befiehlt: „Tonei, lass tuschn, der Duvillard wartet nicht!“ – und Toni gehorcht: Sailer lässt es wieder so richtig „tuschen“. Die Bestzeit hält zu diesem Zeitpunkt der Japaner Chiharu Igaya mit1 : 48,5 – Sailer, dem es auf dem Eis immer wieder die Ski verschlägt, behält die Nerven: Er erzielt mit 1 : 47,4 wieder die schnellste Zeit, das bedeutet klare Gesamtbestzeit. Dann die beiden schärfsten Konkurrenten: Adrien Duvillard riskiert zu viel und stürzt im Steilhang; US-Boy Brooks Dodge fährt „auf Leben und Tod“, kommt jedoch bei weitem nicht an Sailers Zeit heran – das ist die zweite Goldene für Sailer bei diesen Spielen, eine dritte im Abfahrtslauf am 3. Februar 1956 wird noch folgen – das Land, das auf dem Weg ist, eine Nation zu werden, hat seinen ersten großen Schihelden gefunden …