Elfenzeit 6: Zeiterbe

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Z serii: Elfenzeit #6
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Elfenzeit 6: Zeiterbe
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Inhalt

  Titelseite

  Die Autoren:

  Impressum

  Karte

  Was bisher geschah

  Dramatis personae

 

  Roman 11 Merlins Rückkehr

  Prolog

  1. Reise nach Rennes

  2. Den Feind im Nacken

  3. La Porte des Secrets

  4. Kobolde auf Abwegen

  5. Das Schloss der Dunklen Königin

  6. Verfolger im Nacken

  7. Nimues See

  8. Bandorchus Ausflug

  9. Der magische Wall

  10. Die letzte Drohung

  11. Salziger Nebel

  12. Elfenspiele

  13. Die Strafe

  14. Gesucht und nicht gefunden

  15. Das Portal

  16. Der Wald von Brocéliande

  17. Die Überfahrt

  18. Eine nagende Frage

  19. Auf den Spuren der Tochter

  20. Die Herrin der Korrigans

  21. Späte Erkenntnis

  22. Von Heimweh und Angst

  23. Merlins Grab

  24. Die Sonnenfinsternis

  25. Späte Rache

  26. Tiefer Schlaf

  27. Quell der Ewigen Jugend

  28. Tal ohne Wiederkehr

  29. Eloise

  Epilog

 

  Roman 12 Ragnarök

  1. Der Attentäter

  2. Mitternachtssonne

  3. Der Anschlag

  4. Isländischer Geburtstag

  5. Der Schrei nach Vergeltung

  6. Der fremde Reiter

  7. Fanmórs Rache

  8. Der Amerikaner und der Schotte

  9. Der Pantalone

  10. Der Weg nach Asgard I

  11. Der Weg nach Asgard II

  12. Die Forderung

  13. Der Kampf beginnt

  14. Der Wolf

  15. Weltendämmerung

  16. Der Sohn des Frühlingszwielichts

  17. Die Innamorati

  18. Schneefall

  Epilog

 

  Anhang

  Wie es weitergeht …

Titelseite

Jana Paradigi

Uschi Zietsch

Elfenzeit

Band 6

Zeiterbe

Das Ende aller Welten naht!

Die Elfenzwillinge Rian und David werden trotz des Tabus auf eine Reise in die Vergangenheit geschickt, zum Zeitpunkt einer bedeutenden Sonnenfinsternis. Der Untergang sämtlicher Welten droht, und es scheint nur noch einen zu geben, der dies verhindern kann: Merlin!

Der seit Jahrhunderten im Bannschlaf gefangene Magier soll von ihnen befreit werden, um die Gegenwart zu retten. Aber wo befindet er sich?

Unterdessen hat es Nadja nach Island verschlagen, dem Land aus Feuer und Eis. Odin selbst will sie davor bewahren, mit in den Untergang gerissen zu werden. Denn auf dem Idafeld hoch in den Sphären treten alle an: Elfen, Walküren, Eisriesen, Einherier und wie sie alle heißen. Zehntausende rüsten sich zur letzten Schlacht, denn der Fenriswolf wird erweckt und Ragnarök zieht auf.

Mitten in den vernichtenden Kampf hinein erklingt der Schrei eines Neugeborenen: Der Sohn des Frühlingszwielichts, die letzte Hoffnung auf Frieden …

fabEbooks

Die Autoren:

Jana Paradigi lebt und schreibt in Österreich, sie schreibt erfolgreich in verschiedenen Genres, unter anderem auch für die Endzeit-Saga MADDRAX. www.janaparadigi.de

Uschi Zietsch publiziert seit 1986 erfolgreich in verschiedenen Genres und kann auf weit über zweihundert Veröffentlichungen zurückblicken. www.uschizietsch.de

Impressum

Dieser Titel ist auch als Paperback erschienen.

Bildmaterial: kellepics/Stefan Keller

Gestaltung und Logo: Michael Steinmann Agentur

Die Karte schuf Dirk Schulz

Lektorat und Redaktion: Uschi Zietsch

Handlungsrahmen und Serienkonzept: Uschi Zietsch

© dieser überarbeiteten und erweiterten Ausgabe 2020 by Fabylon Verlag

www.fabylon.de

eMail: team@fabylon-verlag.de

Originalausgabe. Alle Rechte vorbehalten.

ISBN: 978-3-946773-28-3

Karte

Was bisher geschah

Die Dunkle Königin Bandorchu ist frei, die Grenzen des Schattenlands offen. Bei dem ersten Aufeinandertreffen zwischen Bandorchu und Fanmór am Zeitgrab von Newgrange endet der Kampf unentschieden – die Menschenwelt muss geschützt werden, damit das Gefüge nicht auseinanderbricht, und die Dunkle Königin hat noch nicht genug Macht und zu wenige Kämpfer, um bis zum Äußersten zu gehen. Die beiden Herrscher trennen sich unversöhnt. Bandorchu macht sich mit ihren Anhängern auf den Weg, ein neues Schloss zu errichten – wo, weiß niemand.

Während der Wirren hat der Getreue Nadja Oreso entführt. Bereits hochschwanger, wird sie Gefangene des Elfenmaharadschas von Jangala und Opfer der Eifersucht seiner ersten Frau, die ihr viele Prüfungen auferlegt, bis sie die vermeintliche Rivalin endlich freigibt. Sie öffnet Nadja ein Tor – doch wohin?

David darf sich nicht auf die Suche nach Nadja machen, sondern erhält den Auftrag, seine Schwester Rian nach Frankreich zu begleiten, zum See von Nimue.

Unterdessen heften Lan-an-Schie, bekannt als Anne Lanschie, und ihr nunmehr zum Vampir gewordener Gefährte Robert Waller sich an die Fersen der beiden mörderischen Verbündeten Saul Tanner und Darby O’Gill/Alebin.

 

Mit diesem Band wird ein bedeutender Wendepunkt der Serie erreicht. Nichts wird danach mehr so sein, wie es war …

Dramatis personae

Nadja Oreso steht im Brennpunkt der Geschehnisse. Ihre Bedeutung in der heraufziehenden Götterdämmerung ist unermesslich – für alle Welten und alle magischen Wesen, seien es nun Elfen, Dämonen oder Götter.

Talamh, der Sohn des Frühlingszwielichts, wird mitten in die Götterdämmerung hinein geboren – und die Welten stehen still.

Merlin ist eng mit der Artussage verbunden. Als Königsmacher bekannt, der das zerrissene Land einen will, weiß man so gut wie nichts über ihn. Über seine Mutter gibt es verschiedene Annahmen und noch mehr über seinen Vater. Man ist sich nicht einmal sicher, ob er ein Mensch ist.

Nimue, die Herrin vom See, Hüterin des Schwertes Excalibur, ist unter vielen weiteren Namen und Bezeichnungen bekannt. Die Ziehmutter von Lancelot ist untrennbar mit der Artussage verbunden.

Rhiannon/Rian Bonet wird als Heilerin gebraucht, doch sie stößt an die Grenzen ihrer Macht.

Dafydd/David Bonet weiß noch nicht, ob er seine Seele, die Nadja ihm geschenkt hat, weiterwachsen lassen soll oder sich angesichts des nahenden Krieges in der Anderswelt auf seine elfischen Wurzeln besinnen soll.

Pirx trägt seit Sizilien ein schreckliches Geheimnis mit sich herum, das ihn quält.

Der Grogoch, genannt Grog, trägt ebenso schwer an dem Geheimnis, das ihn zum Schweigen verdammt.

Edmond Halley, 8.11.1656-25.1.1742, war Astronom, Mathematiker, Kartograph, Geophysiker und Meteorologe. Er hat in Oxford studiert und bereits mit 21 Jahren eine Methode zur Bestimmung der Planeten publiziert. Als fortschrittlicher Wissenschaftler, Multitalent und Entdecker könnte er sich unter den Strenggläubigen eine Menge Feinde gemacht haben. Sein Name ist heute noch geläufig durch den von ihm erstmals entdeckten Halleyschen Kometen. Er ist mit Newton seit 1684 bekannt.

Sir Isaac Newton, 4.1.1643-31.3.1727, ist aus der Mathematik und Physik nicht mehr wegzudenken, dazu war er auch noch Alchemist, Naturforscher und vieles andere. Er hat in Cambridge studiert und gelehrt.

Der Getreue steht im Dienst Bandorchus, obwohl er sie mit Nadjas Entführung hintergangen hat. Seine wahren Motive sind weiterhin ebenso unbekannt wie seine Identität.

Der Kau und Cor, der Spriggans – die beiden sind auch nach dem Fall des Schattenlands Helfer des Getreuen, boshafte Geschöpfe, die sich um niemanden scheren.

Die Innamorati:

Fabio Oreso/Fiomha Samtmund, Nadjas Vater, hat sich einst eine Seele wachsen lassen und ist zum Menschen geworden, um seine seit mehr als zweitausend Jahren ewige Liebe Julia, die Wandernde Seele, zu finden und mit ihr zusammenzuleben.

Julia Oreso/ Donna Letitia, die Wandernde Seele. Niemand weiß, wie alt sie ist und wie viele Leben sie geführt hat. Es ist daher besser, sich nicht mit ihr anzulegen.

Bandorchu, die Dunkle Königin, ist frei – und dabei, die Menschenwelt zu erobern.

Regiatus, der Cervide, wird einen unendlichen Schmerz erleiden.

Die Blaue Dame, Herrscherin des Loch Ness, kämpft für Nadja.

Ainfar, der Tiermann, ist an den Hof der Crain zurückgekehrt.

Gofannon, der dickliche alte Gott ist immer noch Fanmórs Bóon unterworfen und hofft endlich auf seine Freiheit.

Robert Waller wurde durch Annes Biss zu ihrem Gefährten – er ist nun ein Vampir mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Er ist einzigartig, genau wie Anne.

Anne Lanschie/Lan-an-Schie hat sich zum ersten Mal in ihrem langen Leben einen Gefährten erschaffen.

Tom Bernhardt, die gute Seele und Anker der Gemeinschaft, hilft, wo er kann, und gerät immer tiefer in den Strudel der Ereignisse.

Alebin/Darby O’Gill verfolgt den finstersten aller Pläne, und es ist ihm zuzutrauen, dass er den Untergang aller Welten beschleunigt.

Saul Tanner genießt seine verbleibende Lebenszeit im Bündnis mit Alebin.

Roman 11

Merlins Rückkehr

Jana Paradigi

Prolog

Sonntag, 14. April 1715

Flor schritt mit blinder Sicherheit durch den nachtschwarzen Wald. Es war Neumond. Der kleine, fahlweiße Himmelstrabant hatte sich zwischen Sonne und Erde geschoben und zeigte den Menschen seine dunkle Seite.

Die Unwissenden verkrochen sich in solchen Stunden in ihren Häusern. Von der Furcht getrieben, das Böse könnte aus den Schatten steigen und sich ihre Seelen einverleiben. Weil sie Sünder waren. Sie alle. Das zumindest wollte die christliche Kirche ihnen glauben machen. Um die natürliche Wahrheit zu verschleiern. Um die Magie zu unterdrücken, die in jedem einzelnen steckte. Eine Macht, die einem neben der sichtbaren eine viele größere Welt offenbarte. Eine, die dem glaubenden Geist erlaubte, mit dem Universum zu tanzen!

Für Flor war diese Nacht der vollkommenen Dunkelheit ein Moment, um zusammen mit den anderen neue Energie zu tanken. Etwas Großes stand bevor. Und dies war die Stunde, in der es beginnen würde.

Das wuchernde Moos auf den Schiefersteinen dämpfte die Schritte. Flor konnte die feuchte Kühle durch die dünnen Ledersohlen spüren. Nach der langen Winterruhe war die Natur dabei, sich unter einer wärmer werdenden Sonne aufzurichten. Neue Triebe verströmten ihren süßen Duft, als Zeichen, dass sie für die Insekten im Tausch Nektar bereithielten. Selbst der Boden hatte eine intensive erdig-würzige Note.

Falter schwirrten zwischen den mächtigen, alten Stämmen des Waldes auf und ab, hin und her gerissen zwischen der Sehnsucht nach dem Mond und den Verlockungen auf der Erde.

Flor lauschte dem leisen Zirpen, Surren und Brummen. Dem Klappern und Ächzen der Bäume, wenn sie von den Windböen getragen und geschaukelt wurden. Eine Symphonie der Nacht, heilige Musik und sakrale Einstimmung für das anstehende Ritual.

Ohne Zögern, beseelt von göttlichem Urvertrauen, lief Flor weiter durch den Wald, den Pfad entlang bis zum Versammlungsplatz. An dieser Stelle öffnete sich das Gehölz und formte eine kleine Lichtung. Der Quell ewiger Jugend plätscherte leise im Hintergrund. Doch auch hier hüllte der Neumond alles in tiefes mattschwarzes Dunkel.

Flor hielt inne, konzentrierte sich, sandte die Sinne über den engen Schutzradius des Körpers hinaus, um Ausschau nach den anderen zu halten. Allein die Körperwärme verriet sechs weitere Personen, die in einem Halbkreis standen. Sie waren vollzählig.

Auch die Wartenden schienen Flor bemerkt zu haben. Es raschelte, als jemand sich bewegte. Der heranwehende Geruch von Pech und verdicktem Öl drängte den Duft des Waldes zurück. Die Zeremonie nahm ihren Anfang.

Als die vorbereitete Glut auf die Feuerstelle geschüttet wurde, stoben grellweiße Funken auf und ließen die Umrisse der anderen erkennen. Die erste Fackel wurde entzündet und auf dem vorbereiteten Ständer angebracht, gefolgt von zwei weiteren.

Jetzt erst erkannte Flor, dass auf dem Boden die heilige Schutz-Sigille mit einer breiten Spur aus Salz aufgebracht worden war. Ein Kreis als stilisiertes Bildnis des Schlangeneis durchbrochen von zwei parallelen Linien, die für das Zweiersymbol des Mondes standen.

Flor griff nach dem Amulett unter dem Kapuzengewand, um nicht den Mut zu verlieren. Jedes Mitglied besaß solch ein Kleinod mit einer ganz eigenen Sigille, um die persönlichen Fähigkeiten zu verstärken. Ein Geschenk, das man zur Weihe erhielt. Damit wurde der eigene Weg innerhalb der Gildengemeinschaft festgelegt.

Flor hatte sich für jenen entschieden, der Wissen und auch Gefahr mit sich brachte. Ein Weg, der innige Gefolgschaft verlangte. Treue, Gehorsam und Mut. Die Courage, ein Opfer zu bringen, wenn es nötig war und mit dem Leben für die Werte und das Überleben der Gemeinschaft einzustehen. Diese Nacht würde die Erneuerung des Schwurs fordern. Und mehr.

Niemand sprach, als die Mitglieder sich im Kreis aufstellten. Sieben Geweihte für sieben Zacken eines Heptagramms. Mit Hilfe von Erde, Wasser, Feuer, Luft, Energie, Geist und Seele würden sie um göttlichen Beistand bitten und die Ahnen anrufen, sich ihrem Ansinnen anzuschließen. Eine Erneuerung stand bevor. Die kosmische Konvergenz, für die sie auserwählt worden waren. Die Zeit war gekommen. Die Prophezeiung würde sich erfüllen.

Gemeinsam intonierten die sieben Wächterseelen die uralten Worte, während der Mond sein Gesicht verbarg. Als es nach sieben mal sieben Strophen endete, griff Flor nach dem vorbereiteten Beutel, entknotete das Lederband und zog es auseinander.

Ein Mitglied nach dem anderen warf sein Opfer in die Glut. Als Letztes war Flor an der Reihe. Die Kräuter und Pflanzenteile verdampften unter vielfachem Zischen und gaben ihren innewohnenden Geist frei.

Am Ende trat Cormae vor an die Feuerstelle und zückte den Zeremoniendolch. Das Zeichen für die anderen, ebenfalls vorzutreten. Noch immer brannten die Gaben auf der Glut und hoben sich in schlanken Rauchschwaden empor. Das überbordende Geruchsgemenge raubte Flor schier den Atem. Die Welt begann zu schwanken.

Einen Augenblick lang flimmerte die Wirklichkeit. Dann war da Cormaes Hand, die Flor fest am Arm packte und ins Hier und Jetzt zurückholte. Ein Mitglied nach dem anderen ergriff den Dolch, krempelte den Ärmel der Kutte hoch und nährte das Ritual mit Blut.

Erneut stimmte Cormae sakrale Ferse an, Beschwörungsformel und zugleich Gebet. Eine Danksagung für die Gnade, die die Bürde mit sich brachte. Dann war es soweit. Cormae beugte sich vor und flüsterte Flor den zugedachten Auftrag ins Ohr.

1.
Reise nach Rennes

Dublin, Irland

David und Rian saßen in der Abflughalle von Gate 418 am Dublin Airport und warteten auf ihren Flieger nach Rennes. Sie folgten einem Ruf, den sie nicht ignorieren konnten. Ob sie wollten oder nicht.

Nadja war indes immer noch verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Alles in David schrie danach, sich unverzüglich auf die Suche nach ihr zu machen. Doch es ging nicht. Noch nicht. Der Dame vom See schlug man keine Bitte ab, egal wie groß oder klein sie sein mochte.

Die Regeln der Anderswelt waren in solchen Dingen unmissverständlich und streng. Obwohl sich Davids stückchenweise gewachsene Seele nach Nadja verzehrte, er sich sorgte und nichts mehr als ihre Unversehrtheit und Nähe herbeiwünschte, war die elfische Seite seines Selbst noch immer an die Sippe der Sidhe Crain gebunden. Ihren Regeln hatte er unbedingt zu gehorchen. Deshalb waren sie auf dem Weg nach Frankreich.

Nimue, Viviane, Herrin vom See, Hüterin der Quelle oder Königin des Wassers, wie sie in den verschiedenen Welten gerne genannt wurde, gehörte zu den Alten und Erhabenen. Eine göttergleiche Fee, so geheimnisvoll und unergründlich, dass selbst die Crain nicht viel über sie wussten. Bis auf jene Geschichten, die sich auch die Menschen in Mythen, Märchen und Liedern erzählten.

Vor langer Zeit hatte Nimue es gewagt, in die Geschicke Britanniens einzugreifen. Als Hüterin des Schwertes Excalibur hatte sie viele der Fäden gezogen, war Mitwisserin und Mitwirkende in jenem Drama gewesen, das König Artus und die Tafelrunde zu einer Legende hatte werden lassen. Unter anderem, weil sie Lancelot in ihrem sagenumwobenen Reich im See aufgezogen hatte.

Seit jenen längst vergangenen Tagen war sie nicht mehr gesehen worden, weder bei den Menschen noch in der Anderswelt. Bis vor kurzem hatte kaum jemand mit Sicherheit sagen können, ob sie überhaupt noch lebte. Bis die Blaue Dame David und Rian die Botschaft ihrer Schwester überbracht hatte.

Dennoch überraschte es David ganz und gar nicht, dass Nimue die Zeit überdauert hatte und weiterhin, wenn auch aus größerer Entfernung, Anteil an den Geschicken der Menschenwelt nahm. Doch warum würde ein so mächtiges Wesen Rian bitten, ihr mit heilkundiger Hand beizustehen? Litt auch sie an dem Verlust der Unsterblichkeit? Oder erhoffte sie sich anderweitig Unterstützung?

Und was hatte der Ruf um Hilfe damit zu tun, dass den Worten der Blauen Dame zufolge jemand versuchte, Merlin zu wecken?

»Hör auf, missmutig vor dich hin zu starren. Das steht dir nicht«, sagte Rian und grinste ihn von der Seite an. Ihre immerwährende Fröhlichkeit war Fluch und Segen zugleich. Wie schmal der Grat dazwischen sein konnte, merkte David besonders, seit er sich mit menschlichen Gefühlen herumschlagen musste. Stück für Stück weckte die wachsende Seele in ihm Gemütszustände, die mal verwirrend, mal ungewohnt berührend und manchmal auch schrecklich nervig waren.

 

»Ich halte diese Warterei einfach nicht aus«, gab er mit knurrigem Unterton zurück. »Wer weiß, was Nadja gerade alles durchmacht, seit der Getreue sie entführt hat.«

»Du sagst es! Wir wissen es nicht. Weder, wie es ihr geht, noch, wo sie steckt. Also geh nicht immer gleich vom Schlimmsten aus«, erwiderte seine Schwester.

Eine Tonband-Stimme vermeldete, dass der Aer Lingus Flieger EI1011 nun zum Einsteigen bereit sei und das Boarding in wenigen Augenblicken beginnen würde.

»Nadja wird sich wie immer wacker schlagen. Wenn der Getreue sie Bandorchu vor die Füße hätte werfen wollen, hätte er in Newgrange die perfekte Gelegenheit dazu gehabt. Doch er hat es vorgezogen, mit Nadja zu verschwinden. Warum? Das werden wir bald erfahren.«

»Gleich wäre mir lieber«, sagte David.

Sie standen auf, reihten sich in die Warteschlange ein, zeigten ihre Bordkarten und stiegen unbehelligt ins Flugzeug. Mit ihrem natürlichen Charme und etwas Elfenmagie hatte Rian ihnen zwei Plätze in der ersten Klasse besorgt. Vielleicht um wieder gut zu machen, dass David genau genommen ihretwegen zu dieser Mission gezwungen worden war. Als Begleiter und Beschützer seiner Zwillingsschwester. Denn die besonderen Heilkünste, nach denen die Dame vom See verlangte, waren allein Rians Metier. Aber vielleicht wurde Davids Schwert für das benötigt, was angeblich mit Merlin geschah … ob es stimmte, dass jemand versuchte, den Zauberer aus seinem Bannschlaf zu wecken? Wie sollte das möglich sein, da niemand zu wissen schien, wo Merlins Körper lag?

Nach dem Start des Fliegers entspannte sich David ein wenig. Er wusste sein kurzes Schwert wohlversorgt in der Gepäckablage über ihm. Die Menschen konnten es natürlich nicht als solches erkennen – nicht einmal in dem Moment bei der Sicherheitskontrolle, wenn der Scanner es anzeigte. Technik konnte nicht so leicht überlistet werden, Menschenaugen hingegen schon.

Der Blick auf die fedrig-weiße Wolkendecke unter ihm vermittelte ein Gefühl von Geborgenheit und schenkte gleichzeitig einen Hauch von Zuversicht.

Es wurde Zeit, dass David seine Gedanken auf das richtete, was vor ihnen lag. Frankreich. Die Bretagne und ein Wald, der selbst in der Menschenwelt für seine magische Ausstrahlung bekannt war: Brocéliande. Angeblich die letzte Ruhestätte von Merlin, dem größten aller Zauberer.

Ihr erstes Etappenziel war Paimpont. Gleich nebenan lag der See von Comper – Nimues See. Der Beschreibung nach befand er sich im Norden des weitläufigen Waldgebietes, das einstmals bis nach Huelgoat im Westen gereicht hatte.

Durch die Modernisierung und Urbanisierung über die Jahrhunderte hinweg stand nur mehr ein Bruchteil des Baumbestandes aus längst vergangenen Zeiten, doch die Geschichten lockten noch immer keltische Kultisten, Suchende und Touristen an. So stand es zumindest im Reiseführer, den Rian am Flughafen unnötigerweise besorgt hatte.

Ob tatsächlich aus neu erwachter Leselust oder nur um ihn zu ärgern – sie ließ keine Gelegenheit aus, ihm etwas daraus vorzulesen. Sobald sie eine nennenswerte Stelle entdeckt hatte, plapperte sie los. Und wie immer war in ihren Augen fast alles eine Erwähnung wert.

Was würde Nadja bei all dem durch den Kopf gehen?, überlegte David. Wie würde sie die weiteren Schritte planen? Denn darin war sie als Journalistin geradezu brillant. Eine der vielen Eigenschaften von ihr, die David vermisste.

Alles, was mit ihr zu tun hatte, fehlte ihm. Ihre bernsteinfarbenen Augen, wenn sie ihn auf durchdringende Art ansah. Ihr unbändiger Hunger, der Rians Gier nach Süßem ohne Zweifel Konkurrenz machte, und das, bevor Nadja schwanger geworden war.

Ihm fehlte ihre chaotische Ader, wenn es nicht gerade darum ging, ein Geheimnis zu lüften oder einen Bösewicht zu enttarnen. Denn auch wenn sie als Mensch ein bisschen schusselig war, in ihrem Beruf war sie das genaue Gegenteil. Da war sie ein Profi durch und durch. Ein Grund, warum sie sich überhaupt kennengelernt hatten. Weil sie verdammt hartnäckig sein konnte. Ein Wesenszug, der in mancher Hinsicht auch bei seiner Schwester zu finden war.

Obwohl der Flug kaum länger als zwei Stunden dauern würde, begann Rian gelangweilt auf ihrem Sitz vor und zurück zu rutschen und sich mit verdächtig glitzerndem Blick in der Kabine umzusehen.

»Untersteh dich, hier oben in der Luft irgendeinen Schabernack zu treiben«, mahnte David sie. Doch das schien sie wie immer nur noch mehr anzustacheln.

»Ich fürchte, du wirst eine Weile allein Trübsal blasen müssen. Mir steht der Sinn nach ein bisschen Abwechslung und einer anregenden Unterhaltung.« Mit diesen Worten stand Rian auf, quetschte sich mit ihrer modelmäßig schlanken Figur an ihm vorbei und steuerte zielsicher auf einen Kerl zu, der eine Reihe vor ihnen auf der gegenüberliegenden Seite saß.

»Ist hier noch frei?«, hörte David sie säuseln. Den bezirzenden Augenaufschlag dazu konnte er sich, auch ohne ihn zu sehen, ausmalen.

»Désolé. Quoi?«, erwiderte der Mann sichtlich perplex und wischte sich nach einem Blick auf Rians Erscheinung in typischer Hahnenbalzmanier mit der Hand über den nicht vorhandenen Kamm seiner kurzgeschnittenen Businessfrisur.

David stöhnte innerlich auf. Sie hatten wahrlich Besseres zu tun, als jetzt irgendwelche Typen aufzureißen und am Ende vielleicht auch noch in Schwierigkeiten zu geraten, weil ihre Eroberung sich mal wieder an Rian sprichwörtlich festgesogen hatte.

Immerhin schien der Kerl Manieren zu haben. Bevor Rian sich an ihm vorbeizwängen konnte, um auf den freien Mittelplatz zu gelangen, stand er auf, trat auf den Gang und ließ sie höflich gewähren.

David konnte allein am Sitz seiner Anzugjacke erkennen, dass seine Kleidung nicht von der Stange war. Die Schuhe glänzten frisch poliert und am rechten Handgelenk funkelte das Armband einer protzigen Markenuhr. Eine kleine Überraschung, denn seinem Seitenprofil nach zu urteilen war er relativ jung. Keine dreißig und schon im Big Business. Also offensichtlich ein Mann mit Talent.

»Hallo. Mein Name ist Rian Bonet. Mein Bruder und ich sind das erste Mal nach Rennes unterwegs«, plapperte Rian drauflos, als sie sich gesetzt hatten. »Um die Sehenswürdigkeiten der Bretagne zu besichtigen. Es soll da ja nur so vor magisch-mystischen Orten wimmeln!«

»Ravi de vous rencontrer. Angenehm, Mademoiselle«, antwortete der Franzose. »Mein Name ist Philippe Bourdieu.«

Erneut strich er sich über seine perfekt gestylten Haare, drehte sich ein Stücken weiter zu ihr herum und präsentierte David damit seinen Rücken. »Frankreich, und vor allem die Bretagne, ist immer eine Reise wert«, fuhr er fort und David fiel das erste Mal seine überraschend raue Stimme auf. Hatte er sein Alter unterschätzt?

Während er noch grübelte, sah er, wie seine Schwester den Kopf auf diese typisch lasziv-provokante Art neigte und sich ein klein wenig vorbeugte. »Was für ein wohlklingender, starker Name. Dann kennen Sie sich wohl in der Gegend um Rennes aus, Philippe?«

»Das tu ich in der Tat«, antwortete er fast schon entschuldigend, aber mit spürbarer Leidenschaft hinter seinen Worten. »Meine Familie stammt aus Lorient und hat ein Ferienhaus in der Nähe von Josslin, etwas weiter östlich und nicht direkt am Meer gelegen. Aber der Ort ist ein Kleinod historischer Baukunst.«

»Das klingt wunderbar!«, jauchzte Rian. »Vielleicht kommen wir auf unserem Weg ja bei Ihnen vorbei und Sie können mir die besten Plätze in der Umgebung zeigen? Solche, die nicht im Tourismusführer stehen?«

Mit siegesgewissem Lächeln sah sie zu David hinüber und zwinkerte. Langsam dämmerte ihm, worauf das hinauslaufen sollte. Sie war dabei, ihnen eine Mitfahrgelegenheit zu organisieren. Diesmal ganz ohne Elfenzauber, allein mit den Waffen einer Frau.

»Es wäre mir eine Freude! Ach, was sag ich! Es wäre mir ein wahrhaftiges Vergnügen, Sie an die Hand nehmen zu dürfen. Es gibt so wundervolle Flecken dort. Ich würde mit Ihnen am Flussufer des Oust entlang spazieren, Sie in das Schloss der Rohan entführen und Ihnen die Schätze zeigen, die sich dort in den endlosen Regalen der imposanten Bibliothek finden lassen.« Philippe beugte sich nun ebenfalls verschwörerisch vor. »Jetzt im Sommer sind auch viele der anderen Räumlichkeiten offen zu besichtigen, die sonst nur von den Abkömmlingen der bretonischen Könige bewohnt werden.«

»Von richtigen Königen? Dann sind Sie wohl auch einer, wenn Sie dort so einfach hineindürfen«, witzelte Rian mit kindlich-unschuldigen Kichern.

Der Kerl aalte sich sichtlich in ihrer Aufmerksamkeit und David betete einmal mehr darum, dass sie bald in Rennes landen würden.

Doch Zeit war eine widerspenstige Sache. Immer, wenn man wünschte, dass sie schneller lief, tat sie das genaue Gegenteil. Der Flug schien endlos zu dauern. David drückte sich tiefer in den Sitz und stierte durch das Seitenfenster in den trüber werdenden Himmel. Das weiße Wolkenmeer hatte sich zu einer Hügellandschaft aus Grautönen aufgebauscht. Vereinzelte Regentropfen klatschten gegen die Scheibe und zogen auf dem Glas ihre Bahn, bis sie sich in sich selbst verloren hatten.

Als die Maschine endlich landete, hatte sich das Wetter zu einem eindrucksvollen Gewitter zusammengebraut. Ein grauschwarzes Monster, das von Westen her näherkam. Wenn David sich also nicht gänzlich irrte, würden sie direkt darauf zu steuern und mitten hineinfahren müssen, um nach Paimpont zu gelangen.

»Keine Sorge, mein Mietwagen wird direkt an den Ausgang des Terminals gebracht«, erklärte Philippe Bourdieu und führte Rian beflissentlich Richtung Zollkontrolle, während David gemächlich folgte.

Das Gepäck des Franzosen bestand aus einem kleinen Rollkoffer, den er mit in die Passagierkabine gebracht hatte. Ihres bestand aus dem, was sie in den Taschen trugen. Und versteckt am Gürtel. Damit war der Weg frei, um den Flughafen zügig zu verlassen.

Wie von Rians neuem Verehrer versprochen, stand sein bestellter Wagen bereits bereit. Eine funkelnagelneue schwarze Limousine mit getönten Scheiben und Ledersitzen.

Sehr angenehm. Dies versprach nicht nur ein trockenes, sondern auch ein außerordentlich bequemes Plätzchen auf der Rückbank, während Rian vorne für die gute Laune ihres rekrutierten Chauffeurs sorgen würde.

Philippe steuerte den Wagen routiniert von der Flughafenumgehung auf die Autobahn 24 Richtung Lorient und damit indirekt auf Paimpont zu. Im Radio dudelten typisch französische Chansons, während von draußen der Regen unerbittlich herniederprasselte. Rian hatte es mit ihrer unvergleichlichen Art geschafft, Philippe dazu zu überreden, einen Zwischenstopp an ihrem Zielort einzulegen.

Das in der Fahrzeugkonsole eingelassene Navigationsgerät zeigte für die eingetragene Strecke eine Fahrtzeit von knapp einer Stunde an. Für David hieß das, einmal mehr quälende Warterei und Nichtstun, während seine Gedanken zurück zu Nadja drifteten. Immer wieder stellte er sich dieselben Fragen.

Was mochte der Getreue nur mit ihr vorhaben? Was er getan hatte, war Hochverrat an seiner Königin.

Die Dunkle Königin und ihre Eroberungspläne. Auch das war etwas, mit dem sie sich beschäftigen mussten, sobald sie den Auftrag der Dame vom See erledigt hatten. Seit der Getreue Bandorchu mit Hilfe des Zeitgrabs in Newgrange zurück und in diese Welt geholt hatte, standen die Tore zum Schattenland offen.

Die einstige Königin von Earrach hatte nicht nur ihr Exil verlassen, sie hatte eine ganze Armee mitgebracht. Genau wie Fanmór, der sich dank Pirx gerade noch rechtzeitig auf dem Schlachtfeld gegen sie gestellt hatte.

Der Kampf war eher ein Kräftemessen gewesen. Am Ende hatte die Dunkle Königin sich zurückgezogen. Wohin, das wussten aktuell nur ihre Anhänger.