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Der Rekrut

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Endlich richtete sich Trien auf, band ihrem Freund den Schirm vor die Augen, nahm den Tornister auf den Rücken und faßte den Jüngling an die Hand, worauf sie beide mit leichtem Schritt ihre Reise fortsetzten und das Mädchen sagte:

»Lieber Jan, ich weiß nicht wie mir ist, ich möchte vor Freude gern tanzen und springen; jetzt will ich gern noch zwanzig Meilen gehen, ohne müde zu werden.«

»Es ist mir auch so, Trien,« antwortete der Soldat, »es kommt mir vor, als ob ich fliegen müßte; o, Freundin, wenn mein linkes Auge wieder heilen könnte! Welches Glück, welches Glück! Das Herz wird mir zu enge, wenn ich daran denke.«

»Ihr werdet genesen! Die Mutter Gottes wird schon dafür sorgen. Seht ihr nicht, daß die Hand Gottes auf uns ruht? Mein Traum bewährt sich!«

»Liebe, liebe Trien,« rief der Jüngling und drückte ihr die Hand, »unser Leben kann hienieden noch recht schön werden. Wir werden uns verheirathen, wie ihr es mir versprochen halt. Ich werde euer Sclave sein, aber mich glücklich dabei fühlen; ihr, meine allerliebste Frau, sollt Nichts thun als eurer pflegen . . . «

»Nicht so, Jan,« fiel Trien lächelnd ein, »ihr denkt wol, meine Arme wären das Faullenzen gewöhnt; ich will euch das Gegentheil zeigen.«

»Nun,« sprach der Jüngling, »ihr sollt arbeiten, so viel ihr wollt und nicht mehr, – und unsere Eltern, Trien, wie wollen wir für ihre alten Tage sorgen! Ich will die Scheidemauer zwischen unsern zwei Hütten abbrechen, damit wir Alle unter einem Dache wohnen. O, es wird ein wahrer Himmel von Wonne und Seligkeit sein!«

»Was sprecht ihr doch schön,« erwiederte das Mädchen gerührt. »Weg muß die Scheidewand, sobald wir nach Haus kommen, dann werden Großvater und unsere Mütter und Paulchen und ihr und ich und das liebe Vieh auch immer zusammen bleiben. Was für ein herrliches Leben!«

Dazu klatschte sich Trien in die Hände, wie ein Kind.

»Und dann,« fuhr Jan fort, »haben wir zu wenig Feld in Pacht, um vorwärts zu kommen; ich will einen kleinen Handel mit Reisig und Holz anfangen. Man muß doch an die Zeit denken, wenn . . .

Kaum hörbar setzte er hinzu:

»Wenn, so Gott will, unsere Familie sich vermehrt.«

Er schwieg, das Mädchen schlug die Augen nieder und weinte.

»Warum betrüben euch meine Worte?« frug der Jüngling.

Das Mädchen drückte seine Hand fester:

»Um Gottes Willen, schweigt doch von all' den schönen Sachen. Das bricht mir das Herz entzwei; doch es ist allein vor Freude. Ich bin so glücklich, Jan, daß ich fast von Sinnen komme, wenn ihr mir von dem irdischen Paradies erzählt, das unser wartet.«

»Und ich auch, Trien, ich kann aber nicht schweigen; das Herz ist mir zu voll. Wir wollen plaudernd weiter wandern, so kommen wir nach Moll, ohne es zu merken.«

So eröffnete der Soldat den Augen des entzückten Mädchens eine selige Zukunft, welche sie die Freuden des gelobten Landes im Voraus genießen ließen.

Endlich kamen sie an eine große Gemeinde. Trien gab den Tornister an Jan und beide traten Hand in Hand in das Dorf.

VII

Spät am Nachmittag schritt Trien mit ihrem Freund über den Weg an Casterlee vorbei, wo sie über die Nethe gegangen waren. Beide waren schweigend und schlecht aufgelegt, doch Keiner entdeckte dem Andern diese Gemüthsstimmung, im Gegentheil thaten sie in den wenigen Worten, die sie wechselten, ihr Möglichstes, um fröhlich zu scheinen.

Und doch hatte eine bittere Entdeckung ihre Herzen allmählich mit Pein erfüllt.

Seit dem Beginn ihrer Reise hatte Trien wol fünf bis sechs Mal die Augen des Soldaten gewaschen; sie kam an keinem Wasser vorbei, ohne zu versuchen, ob es nicht die Wunderkraft des Baches besäße, den sie zuerst auf der Haide gefunden. Doch leider! wurden ihre liebreichen Sorgen für sie selbst und den unglücklichen Jüngling ein Quell von Kummer und Sorgen.

Sei es, daß der Soldat sich wirklich täuschte, als er meinte, seine Gefährtin gesehen zu haben, sei es, daß die Kälte des Wassers und das Reiben mit dem Tuch die heilsame Wirkung erhöht hatte, immer war es nur zu wahr, daß er nicht mehr sah, so sehr er sich auch anstrengte, um das Schattenbild seiner Freundin zu entdecken. Er konnte selbst das Licht nicht mehr vertragen und schloß die Augen unter heftigen Schmerzen, sobald Trien ihm den Schirm abnahm.

So gewannen Beide unwiderstehlich die schreckliche Ueberzeugung, daß ein eitles Gaukelbild sie betrogen und die Blindheit vollkommen und unheilbar war. Wol blieb ein schwacher Hoffnungsschimmer, ein glücklicher Zweifel in ihren Herzen übrig, ,doch vermochte er nur von Zeit zu Zeit ihre Verzweiflung zu durchdringen und machte darauf die schmerzlichen Gemüthsbewegungen um so fühlbarer.

Eine zweite Ursache stimmte ihre Seelen traurig; seit dem Morgen hatten sie schon acht Meilen zurückgelegt und waren äußerst müde. Besonders war der blinde Soldat, der oft auf dem Wege stolperte, um alle Kraft gekommen. Ohne Gefühl und Bewußtsein schob er sich am Stocke seiner Freundin weiter und schritt so lässig, als wäre er eine seelenlose Maschine. Seine Füße waren wund und wenn er das Gefühl nicht ganz verloren hätte, so würde er eine feuchte Nässe in seinem rechten Schuh gemerkt haben, denn das Blut floß aus seiner Ferse.

Trien war nicht minder ermattet; sie ging immer vor sich, ohne Etwas zu sprechen, und selbst ohne sich nach dem Soldaten umzusehen. Die Arme traute sich nicht zu sprechen. Es blieb ihr kein Trost im Herzen: die Aussicht auf Seligkeit war verschwunden, die Hoffnung auf Glück dahin. Die Freude hatte sie fast um ihre Sinne gebracht, als sich ihren Augen die schöne Zukunft entfaltete; doch eben deshalb war ihr das Erwachen aus dem Traume um so peinlicher, und so muthig sie auch sonst war, jetzt beugte sie ihr Haupt unter dem schweren Joche der Verzweiflung. Denn was konnte sie sagen, um ihren Freund aufzurichten? Ihm von seinen Augen sprechen, gegen ihre eigene Ueberzeugung? Das durfte sie nicht; der Spott hätte sein Herz und ihres ganz erdrückt!

Darum ging sie stumm und mit langsamen Schlitten vor sich, in äußerst traurige Betrachtungen versunken und fast ohne Bewußtsein über ihren Zustand.

Nach einem Stillschweigen von mehr als einer halben Stunde rief der Soldat mit peinlichen Athemzügen:

»Trien, haltet still! Ich kann nicht weiter!«

»Ich bin auch erschöpft,« antwortete das Mädchen ohne sich umzusehen, wir wollen ein Weilchen ruhen und diese Nacht dort im Dorfe schlafen. Wir sind bei einem Pachthof; noch zwanzig Schritte, Jan, und wir kommen an eine Buchenhecke. Dort sitzen wir im Schatten.«

»Dann geht um Gottes Willen schnell!«

Sie faßte ihn bei der Hand, führte ihn mit dem Rücken gegen die Hecke und ließ ihn dort niedersitzen.

Der Jüngling knickte zusammen und fiel mit vorgebeugtem Kopf auf das Gras.

Hinter dem Punkte, wo sich der Soldat und seine Gefährtin befanden, lehnte sich die Hecke an einen Pavillon an. Darin saß ein Herr mit einem Buche in der Hand; er war wol sehr alt, denn sein Gesicht war voll Runzeln und die wenigen Haare, die um sein Haupt wie eine Krone saßen, waren schneeweiß. Der bis an's Kinn zugeknöpfte Rock und das rothe Ehrenzeichen verriethen den ausgedienten Officier.

Wie er hinter sich die Reisenden hörte, wandte er sich um und entdeckte durch das Laub der Hecke einen Soldaten und eine Bäuerin mit dem Tornister auf den Rücken. Zuerst war er über den Anblick sehr erstaunt; doch bald erklärte er es sich so, daß es eine Schwester sei, welche ihrem Bruder das Geleit nach Hause gab und ihm aus Liebe die Last von den Schultern genommen hatte. Dieser naive Freundschaftsbeweis brachte ihn zum Lächeln, und mit freundlichem Auge sah er die Reisenden an.

Trien hatte sich zum Blinden gesetzt und sagte:

»Jan, ihr seid so still und traurig? Was ist euch? Wol eine vorübergehende üble Laune.

Da sie keine Antwort erhielt, fuhr sie fort:

»Tröstet euch doch, Freund, und denkt, daß wir morgen wieder zu Hause sind. Von Venloo bis hierher ist es an zwanzig Meilen; in ein paar Stunden sehen wir das Dorf. Wenn wir morgen früh aufbrechen , können wir das kleine Stück Weg ganz bequem wandeln. Wir haben noch genug Grund, zufrieden zu sein; es bleibt immer ein großes Glück, daß ich die Erlaubniß bekam, euch vom Militär nach Hause wegzuführen. Was das Andere betrifft, so will ich schon dafür sorgen, daß ihr nicht zu viel Kummer im Leben haben sollt, lieber Jan . . . Warum sprecht ihr denn kein einziges Wort?«

Der Jüngling athmete mühsam und seufzte:

»Das Herz pocht mir so heftig und die Augen thun mir so weh; laßt mich ruhen!«

Einige Augenblicke lang unterbrach das Mädchen das Stillschweigen nicht; allmählich begann sie zu vermuthen, daß ihr Freund noch mehr an Traurigkeit als an Ermattung leide. Edelmüthig bezwang sie ihren eigenen Schmerz, um dem Blinden wieder Trost ins Herz zu sprechen und sagte heiter:

»Ihr seid doch sicher, Jan, mich gesehen zu haben? Das bringt mich dazu, zu meinen, es müsse in eurem linken Auge noch Leben sein, obgleich ihr jetzt wieder ganz blind seid. Das kommt von der Hitze, die auf euere Augen sticht. Habt etwas mehr Geduld bis wir zu Hause sind; wenn wir etwas vom letzten Korn verkaufen, so können wir den Doctor von Wyneghem kommen lassen. Der wird euch heilen; er hat schon größere Wunder gethan bei Menschen, die ganze Tage lang für todt da lagen. Und denkt nur, Jan, morgen sehen wir eure Mutter und den Großvater und Paulchen, und nachher will ich euch bei allen Freunden herumführen, um ihnen mit euch den guten Tag zu wünschen. Und sobald ihr ausgeruht habt, werden eure Augen nicht mehr so arg brennen und ihr seht vielleicht wieder ein wenig. Und wir wollen zusammen unter dem Lindenbaum beten und der Muttergottes für ihre Barmherzigkeit danken – denn Jan, zweifelt nicht, sie hat mich erhört und wird . . . Doch was ist das? Ich sehe Blut an eurem Strumpfe? Warum sagt ihr nichts davon?«

 

Sie zog ihm eilig die Strümpfe und Schuhe aus und trocknete mit ihrem weißen Halstuche das Blut an seinen Füßen. Dann hatte sie vor, ihm zu sagen, daß die Wunde unbedeutend war, doch kaum hatte sie ihre Augen aufgeschlagen, als sie ansing zu zittern und voll Angst rief:

»Jan, was ist Euch? Ihr werdet so blaß!«

Der Jüngling antwortete mit schwacher Stimme: »Ich weiß nicht, die Sinne vergehen mir; ich bin am Sterben.«

Dabei zitterten alle seine Glieder, sein Haupt fiel erschöpft auf die Schulter und seine Arme hingen schlaff auf das Gras herunter.

Mit unverständlichem Gewimmer legte Trien ihre Hände an seine entfärbte n Wangen und wollte sein Haupt aufrichten, dazu rief sie traurig aus:

»Jan, Jan! O! er ist todt! Wasser, Wasser! Hilfe!«

Mit diesen Worten sprang sie auf, blickte wie verrückt um sich und lief von einer Seite zur andern, um sich nach Wasser umzusehen. Um die Hecke sah sie ein offenes Gitter, das zu einem Garten mit einer Herrenwohnung führte.

Bei diesem Anblick schrie sie vor Freude auf und lief so schnell sie konnte an das Gitter, um bei den Einwohnern des Hauses Hilfe zu suchen. Doch, ehe sie durch die gewundenen Wege des Gartens an den Eingang des Hauses gelangte, sah sie aus demselben zwei Personen auf sich zukommen. Die eine war ein alter Herr mit silberweißem Haar und von würdigem Aussehen; die andere, obgleich auch bejahrt, schien noch rüstig. Eine breite Narbe, wie von einem Säbelhiebe, lief ihm von der Stirn über Mund und Kinn und machte das Gesicht etwas grimmig. Er trug eine Krücke, einige Fläschchen und etwas Leinwand. Der Mann mit der Narbe mußte der Bediente des alten Herrn sein, denn er folgte ihm schweigend und in einiger Entfernung.

»O lieber Herr,« rief Trien ganz außer sich, »gebt mir doch etwas Wasser oder Essig! Dort hinter der Hecke liegt ein armer Blinder in Ohnmacht! Seid um Gotteswillen barmherzig; übt ein Werk der christlichen Liebe und kommt mit mir!«

Der Greis lächelte voll Mitleiden und antwortete ganz ruhig, indem er das Mädchen bei der Hand faßte:

»Beruhigt euch, liebes Kind: es ist wol nichts Gefährliches. Wir werden ihn bald herstellen. Ihr müßt nicht besorgt sein, es ist eine gewöhnliche Ohnmacht in Folge eines zu starken Marsches; seid also guten Muthes.«

Trien verstand fast nichts von dem, was er sagte; es kam ihr so wundersam vor, diese Hilfe bereit zu finden, ehe Jemand den Vorfall ins Haus hatte berichten können, daß sie in der Einfalt ihres Gemüthes darin die Dazwischenkunft der Muttergottes zu entdecken glaubte. Sie starrte mit froher Verwunderung auf das Gesicht des Greises, in dem sie in ihrer Noth Schutz und Trost gefunden, und hörte ihn fragen:

»Ihr seid ein gutes Mädchen, daß ihr einen armen Soldaten so gern habt. Kommt ihr nicht von Venloo?«

»Ja wol, mein Herr; es ist recht weit von hier!«

»Und habt ihr den Tornister da auf dem Rücken den ganzen Weg getragen?«

»Ja, mein Herr,« antwortete Trien unter Thränen, »der arme Junge ist blind und kommt nicht leicht fort, da er seinen Weg nicht sieht. Wir hatten Elle; ich bin rüstig und gesund . . . Dort liegt der Arme! Todtenblaß!«

Die Thränen stürzten ihr aus den Augen. Mit gefalteten Händen rief sie:

»Er wird doch nicht sterben, bester Herr?«

Lächelnd schüttelte der Alte den Kopf und nahte dem kranken jungen Mann. Der Bediente setzte die Flaschen auf die Erde, und ohne einen Befehl abzuwarten, richtete er mit der einen Hand den Kopf des Soldaten auf, während er mit der andern seine Halsbinde losknüpfte und seine Jacke öffnete. Unterdessen wusch der Alte das Gesicht des Jünglings und seine Pulse.

Trien kniete neben ihm und beobachtete weinend, wie ihr unglücklicher Freund von den zwei Unbekannten verpflegt wurde.

Sie merkte wol, daß diese Leute mit Kranken umzugehen verstanden und zweifelte nicht, daß der Alte ein Arzt sei.

Dieser Gedanke tröstete sie und flößte ihr Muth ein; auf ihrem Gesichte war neben einer ängstlichen Erwartung auch ein Lächeln von Dankbarkeit zu sehen. Noch mehr erstaunte sie, als sie folgende Worte hörte:

»Major,« sagte der Diener, »das ist wie bei Sabijana de Alba in Spanien. Noch schaudert's mir, wenn ich daran denke!«

»Unser armer Freund, der Kapitän Steens, nicht wahr?« antwortete der Herr mit einem Seufzer . . . »Die Ohnmacht ist tief! Reich' mir das kleine Fläschchen.«

»Ja, ich sehe es noch vor mir; der Kapitän lag auch so an einem Citronenbaum; bei Vittoria hat er das Leben gelassen. Was war das für ein Fechten und Schießen! Ich war von oben bis unten blutig, und ihr auch, Major.«

Der Diener hob mit dem Finger die Augenlider des Jünglings auf und sagte:

»Er ist blind! Es ist die alte Augenkrankheit der Soldaten; wir kennen das. Doch beseht sein linkes Auge, Major; ich glaube, es ist noch nicht ganz verloren?«

Das Mädchen schrie freudig auf. Sie hatte die Wiederkehr des Lebens auf dem bleichen Gesicht ihres Freundes erspäht und mit klopfendem Herzen gesehen, wie seine Wangen sich allmählig färbten, und er sich bald auch regte.

Fast ganz von seiner Ohnmacht erholt, betastete der Blinde die Kleider der Männer, die um ihn waren, und seufzte ängstlich:

»Wo bin ich? Was ist mir geschehen?«

Und seine Hand weiter ausstreckend, klagte er:

»Trien, liebe Trien, wo seid ihr?«

Fröhlich faßte Trien seine Hände und sagte:

»Jan, dankt Gott, daß er euch hierher geführt! Ihr seid zum Glück bei guten Menschen. Sie meinen auch, daß euer linkes Auge noch nicht todt ist!«

»Wer ihr auch seid, der Herr möge euch für eure Barmherzigkeit segnen!« rief der Jüngling.

»Kamerad,« fiel der Diener ein, »wir wollen mal versuchen, ob wir nicht aufstehen können. Nur etwas Muth! So, es geht schon.«

Er faßte den Soldaten unter dem linken Arm, während der alte Herr ihn von der andern Seite unterstützte; so brachten sie zusammen den Blinden auf die Beine.

Trien, die meinte, daß die Gefälligkeit der Unbekannten nun zu Ende sei, lächelte freundlich und sprach mit glänzenden Augen:

»Meine Herren, ich bin eine arme Bauerstochter und Jan ist auch nicht reich; doch ihr könnt darauf rechnen, daß wir in unsern Gebeten lebenlang an euch denken und euch segnen werden für eure Güte. Gebt euch jetzt keine Mühe mehr; setzt ihn nur auf das Gras hin, daß er etwas ausruhe. Ich will ihm den Fuß mit Tüchern wohl umwickeln. Wir müssen ins Dorf; dort wollen wir heute übernachten. Gott gebe euch Gesundheit, und Glück auf dieser Welt und die ewige Seligkeit jenseits!«

»So ist's nicht gemeint,« antwortete der Greis, »folgt mir. Ihr seid brave Leute, ich will nicht, daß ihr euch wieder ganz abmattet. Der junge Kamerad soll nicht eher wegziehen als bis er ganz gestärkt ist; ich möchte auch gern eure edelmüthige Aufopferung belohnen, armes Kind.«

»Wir haben noch einige Flaschen von dem alten spanischen Wein, der Einen vom Tode zum Leben ruft,« fügte der Diener hinzu. »Das ist die einzige Medicin, die er braucht. Wartet nur etwas, in einer Stunde sollt ihr ihn gar nicht mehr erkennen.«

»Folgt euren christlichen Herzen, meine lieben Herrn,« sagte das Mädchen, »eure übergroße Güte rührt mich zu sehr, als daß ich viel sprechen könnte. Laßt mich aber tausend und tausend Mal danken.«

Jan hinkte ein wenig, doch nahmen ihn die beiden Alten zwischen sich, so daß er eine gute Stütze fand. Bald machte sich Trien an den alten Diener und frug leise:

»Sagt, lieber Freund, ist euer Herr ein Doctor?«

»Doctor?« antwortete der Diener. »Er war Regimentsfeldarzt unter Napoleon. Wir haben mehr Beine und Arme abgenommen als auf diesem Wege liegen können, und das heißt viel gesagt.«

»Kann er auch die Augen curiren?«

»Das will ich meinen, und besser als die jetzigen Chirurgen. Von unsern tapferen Kameraden aus der spanischen Armee sind jetzt freilich nur noch wenige am Leben; sonst gäbe es manchen, der ihm das Gesicht zu danken hat.«

»O, lieber Mann, da ersucht ihn, er möchte auch meinem armen Jan die Augen ansehen. Gott weiß, ob er ihn nicht wieder herstellen kann!«

»Laßt das nur; das thut er von selbst. Die Soldaten hat er immer gern behalten. Jan geht sobald von hier nicht weg.«

»Und wenn ihr dafür ein gutes Wort sprechen könnt, so will ich euch recht dankbar sein.«

»Darum braucht ihr mich nicht erst zu bitten; an mir soll es nicht fehlen. Soldat bleibt Kamerad, heißt das Sprichwort. Seht nur, es geht schon viel besser; ich unterstütze ihn fast gar nicht mehr.«

So waren sie bis zur Hausflur gekommen, und traten in ein schön möbliertes Zimmer. Der Greis führte den jungen Soldaten in einen breiten Lehnstuhl, und ließ ihn darin, mit dem Rücken gegen das Licht, niedersitzen. Er gab dem Bedienten einen Schlüssel, womit dieser eilend und freudig die Stube verließ. Kurz darauf kam er mit einer Flasche und ein paar Gläsern zurück. Im Vorbeigehen flüsterte er dem Mädchen zu:

»Das ist der Wein, der Einen vom Tode zum Leben ruft; ihr sollt mal sehen.«

Trien begriff nicht, was er damit sagen wollte; sie sah mit gespannter Neugierde auf den alten Herrn, der dem Jüngling ein Glas mit einer hellrothen Flüssigkeit an die Lippen setzte und dazu sprach:

»Trinkt das in langsamen Zügen aus, lieber Freund; es wird euch merkwürdig erquicken!«

»Gott, was ist das?« rief Jan verwundert, nachdem er den Wein geschluckt hatte, »es wärmt mich innerlich so schön! Vielen Dank. . . Doch jetzt habe ich Hunger.«

»Nur nicht allzuschnell, Kamerad,« bemerkte der alte Herr. »Ich will erst eueren Fuß verbinden, und mir dann euere Augen ansehen. O, da hätte ich fast vergessen, armes Mädchen. Setzt euch auf diesen Stuhl und laßt euch von Karl ein Glas Wein einschenken.«

Während der Diener beschäftigt war mit dem Mädchen zu plaudern , und den wunderthätigen spanischen Wein anzupreisen, hatte der Alte an dem Fuß den Verband angelegt, wusch nachher die Augen mit einem gewissen Wasser, und bestrich sie mit einer weißen Salbe. Hierauf zog er die Vorhänge an den Fenstern herunter, um das Licht in der Stube zu mäßigen. Dann nahte er wieder dem Soldaten und sprach:

»Jetzt öffnet die Augen, lieber Freund, und strengt euch recht an, um zu erfahren, ob ihr nichts unterscheiden könnt.«

Jan öffnete die Augen und blieb eine Weile sprachlos, obschon ihn der Greis befragte, was er entdecke. Er schien mit den erloschenen Augen einen einzigen Gegenstand zu suchen.

Plötzlich entfuhr ein lauter Schrei seiner Brust; er stand auf und ging mit vorgestreckten Händen auf Trien, die aufgesprungen war, und ihn mit fieberhafter Hoffnung nahen sah. Sie wollte ihm in die Arme fliegen, wurde aber vom Diener zurückgehalten.

Der Blinde stellte sich vor sie hin, und bot ihr mit unsicherer Bewegung die Hand, während er dazu schluchzte:

»Trien, Trien, ich bin nicht mehr blind. Nun wird Alles zur Wahrheit! Ich werde die Mutter und den Großvater und den kleinen Paul wieder anschauen können! Oh, ich sehe, daß ihr euer rothes Halstuch umhabt.«

Das Mädchen umarmte ihn unter unverständlichen Worten, die eher wie Klagen als wie Freudetöne lauteten.

Aber der Alte riß sie von dem jungen Manne los und nöthigte sie, sich wieder ruhig auf den Stuhl zu setzen. Gleich darauf band er dem Kranken den Schirm vor die Augen und frug:

»Ihr behauptet gesehen zu haben, daß euere Freundin ein rothes Halstuch um hatte. Das scheint mir nicht möglich. Täuscht ihr euch nicht?«

»Ich sehe noch nichts als graue Schatten,« antwortete der Soldat, »doch als ich blind zu werden anfing, bemerkte ich, daß das Roth im Dunkeln viel schwärzer scheint als die übrigen Farben. So weiß ich, daß es ein rothes Tuch ist.«

»Das dachte ich mir,« bemerkte der Herr, »jetzt wollen wir vorsichtig zu Werke gehen.«

Und sich gegen den Diener wendend, sagte er:

»Karl, führe den Kameraden in die Küche und laß ihm Fleisch und Brod geben; doch nicht mehr als eine halbe Ration! Dann bringe ihn in das Hinterstübchen, wo er sich schlafen legen kann. Sag' auch der Magd, daß sie dem Mädchen hier etwas zu essen schaffe.«

Sobald der Diener mit dem Soldaten hinausgegangen war, fiel Trien, unter lautem Schluchzen zu den Füßen des alten Herrn, benetzte sie mit ihren Thränen, und umarmte seine Kniee in stummer Rührung. Er wollte sie aufrichten; doch sie widerstand ihm und rief, indem sie ihre leuchtenden, blauen Augen zu ihm erhob:

»Gott wird euch dafür segnen, mein lieber Herr, daß ihr euch gegen arme Bauersleute, wie wir sind, so freundlich erwiesen habt! Ich kann euch nicht schildern, was ich fühle; doch will ich gerne zehn Jahre früher sterben, wenn ihr sie statt meiner leben könnt. Und dafür, daß ihr wie ein guter Engel meinem Jan seine Augen curiren wollt, dafür wollen wir täglich für euch beten, und zu euerem Wohl gelobe ich eine Wallfahrt!«

 

Der Greis hob das Mädchen vom Boden auf, und brachte sie mit tröstenden Worten an den Tisch, wo ihr das Essen bereitet werden sollte. Bald erschien die Magd mit einigen guten Speisen und verließ dann schnell die Stube.

Trien konnte nur wenig essen, sei es vor Ermattung oder vor Rührung; in wenig Minuten war ihre Mahlzeit zu Ende, und sie sah sich dann mit einem stillen, dankbaren Blick den Wohlthäter an, der sich neben sie gesetzt hatte und sie zum Essen aufforderte.

Sobald der alte Herr sah, daß sie fertig war, nahm er sie bei der Hand und sagte:

»Erzählt mir jetzt auch, von wo ihr her seid, und wie ihr dazu kamt, mit dem blinden Soldaten so ganz allein zu reisen, und ob euere Eltern noch leben und wo sie wohnen.«

Da begann Trien, mit ihrer angeborenen, schlichten Beredtsamkeit, von den Lehmhütten, der Constription, von der alten Mutter, dem Großvater und Paulchen, und vom Abschied zu erzählen. Doch als sie auseinandersetzte, wie viel sie gelitten, ehe sie den armen Freund in Venloo fand; wie sie fast vor Freude ohnmächtig wurde, als ihr der Ofsizier den Blinden heimzuführen gestattete; wie sie von der Muttergottes geträumt, und was sie sich unterwegs Alles mitgetheilt, da bemeisterte sich allmählich eine tiefe Rührung des alten Herrn, und zuweilen wischte er sich selbst eine mitleidige Thräne aus den Augen. Mit Entzücken hörte er dem Mädchen zu und bewunderte dessen liebevolle Aufopferung.

Sie hatte ihm nichts verschwiegen und ihm alle Pläne bekannt gemacht, die sie für die Zukunft entworfen, wie ihre Heirath mit dem Blinden und ihre Versprechungen, ihm das Leben so sehr als möglich zu versüßen. Sie berührte auch, was Jan ihr gelobt, für den Fall, daß ihm Gottes Gnade sein Augenlicht zurückgeben sollte.

Diese rührende Erzählung hatte viel Zeit genommen; und der Alte nur wenige Fragen dazwischen gestellt.

Als Trien mit innigen Dankbezeugungen endigte, und schweigend auf eine Bemerkung wartete, saß ihr Zuhörer mit zu Boden gesenkten Augen in sichtbarer Gemüthsbewegung da.

Doch bald erhob er sein Haupt und sprach:

»Ihr habt in Allem wol gehandelt, mein Kind; ihr seid ein braves, hochherziges Mädchen. Also saht ihr im Traume, daß ihr im Leben vorwärts kommen würdet, wenn ihr beide, bei Tag und Nacht, unermüdlich wirket: ihr, um eueren Freund den Kummer der Blindheit zu lindern; er, um euch euere Liebe zu vergelten; beide zugleich, um eueren Eltern in ihren alten Tagen ein ruhiges Leben zu sichern?

Nun, Gott hat euer Gebet auch erhört. Seine Hand lenkte euch hierher, und trieb auch mich dazu, euch behilflich zu sein. Ich will meine langjährige Erfahrung dazu anwenden, das linke Auge eures Jan zu heilen; und ich glaube auf einen glücklichen Erfolg rechnen zu dürfen. Um das Uebrige bekümmert euch nicht; euer schöner Traum soll ganz in Erfüllung gehen. . . Ihr schlaft heut' Nacht hier, morgen werden wir sehen, was uns zu thun bleibt. Bis zum Abend könnt ihr ausruhen oder im Garten spazieren gehen; wenn ihr etwas wünscht, so sagt es nur meinem Karl oder der Magd; es sind gute Leute, die euch durchaus zu Dienste stehen. Nun Adieu, bis zum Abend!«

Trien sah den Greis sich entfernen, ohne eine Wort zu sagen . . . Bald verließ auch sie die Stube und ging frohen Muths in den Garten; die Worte des alten Herrn beschäftigten sie noch lange.

Am nächsten Vormittage fuhr eine Kutsche aus dem Gitterthore heraus. Vorn saß Karl mit der ungeheueren Schramme, der eine lustige Weise pfiff und die Peitsche schnalzen ließ. Auf der hinteren Bank saß der junge Mann, den grünen Schirm vor den Augen, neben ihm die entzückte Trien, die ihm die Hand drückte und heiter zuflüsterte:

»Wir sind doch recht glücklich, Jan? Mein schöner Traum trifft ein! Jetzt wird sich euere Mutter freuen! Und ihr genest auch, der gute alte Herr hat es versichert!. . . Was wird man sich wundern, wenn wir, wie Barone, in einer Staatskutsche angefahren kommen!«

»Wir fahren über Gierle und Wechel-ter-Zande nach Zoersel. Dort müßt ihr mir den Weg angeben,« sagte der Kutscher und trieb seine Pferde an: »Vorwärts, Marengo, Marsch!«

Eine Staubwolke bedeckte die Chaussee, und bald war der Wagen über das Dorf hinausgekommen.