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V

Es war noch drückend heiß, obgleich die Bäume schon lange Schatten auf den Boden warfen; über Feld und Haide ruhte noch die Gluth des Sommers; kein Lüftchen bewegte sich; die Vögel saßen erschöpft und still im regungslosen Blattwerk; alle Stimmen der Natur schwiegen, so weit das Auge reichte, war kein lebendes Wesen zu entdecken; die Erde schien vor Ermattung eingeschlummert zu sein.

An dem Rande einer einsamen Chaussee, im Schatten eines Eichengehölzes lag ein Soldat; sein Kopf ruhte auf dem Tornister; seine Füße waren nackt; die Schuhe standen daneben.

Neben ihm saß eine junge Bäuerin, die voll Kummer ihren Blick auf ihn heftete, während sie ihm schweigend mit einem Birkenreis die Fliegen von Kopf und Füßen abwehrte.

Der Soldat lag auf einem Bette von wildem Thymian, der um ihn balsamisch duftete. Das Feldglöckchen bog seine Glöckchen über dessen Stirne, und ihm zu Füßen hob die himmelblaue Gentiana ihre prächtigen Kelche gegen ihn.

Ohne Zweifel ruhte er bereits seit langem; denn seine Gefährtin blickte mit einer gewissen Unruhe von Zeit zu Zeit nach ihm, als wollte sie nach dem Gang der Himmelsuhr abmessen, wie weit der Tag gerückt sei. Vielleicht hatte ihr Kummer auch eine andere Ursache. Sie bemerkte mit Entsetzen, daß die Sonne um das Gebüsch kam und einige ihrer Strahlen in voller Gluth auf des Schlafenden Körper fielen. Ihre Verlegenheit war groß; sie stand auf und schlug die Augen um sich. Zuerst wollte sie die Zweige des Gebüsches herunterbeugen und zusammenbinden, um so den Schlummer des Soldaten zu beschützen; doch dies Mittel erwies sich fruchtlos, indem das Licht am Rand des Weges von oben und von der Seite beschien.

Mit der möglichsten Vorsicht tretend schlich das Mädchen in das Eichengebüsch und schnitt mit ihrem Messer zwei Baumstämmchen ab. Dann stellte sie sich vor den schlafenden Soldaten und steckte die beiden Pfähle neben ihn in die Erde, knüpfte ihre Bänder los und hing ihre Schürze wie einen breiten Schatten vor das Gesicht des Soldaten; worauf sie wieder, voll Zufriedenheit, sich zu ihm setzte.

Einige Zeit noch beobachtete sie seinen Schlummer und horchte auf seine Athemzüge, als wollte sie die Schläge seines Herzens zählen. Doch konnte sie seine Augen nicht sehen, denn sie waren unter dem grünen Schirme verborgen.

Endlich regte sich der Soldat, tastete ängstlich um sich, streckte die Hände aus und rief mit banger Stimme:

»Trien, Trien, wo seid ihr?«

Das Mädchen faßte seine Hand und sagte:

»Hier bin ich, Jan, beruhigt euch. Was ist euch? Ihr zittert!«

»Ach, mir träumte, daß ihr von mir fortgegangen wärt,« antwortete der Jüngling indem er sich aufrichtete. »Gott, welch schrecklicher Traum! Ich habe davon noch den Angstschweiß.«

»Was sind das für Gedanken?« bemerkte das Mädchen lachend. Um so besser, daß ihr das geträumt habt, Jan; das ist ein sicheres Zeichen, daß ich euch nicht verlassen werde; Träume muß man ja immer verkehrt auslegen!«

»Das ist wahr, liebe Freundin,« sagte der Soldat und drückte ihr die Hand. »Gott im Himmel wird es euch vergelten!«

Unterdessen hatte das Mädchen die Riemen des Tornisters losgemacht, und Brot und Fleisch herausgeholt. Sie schnitt das Brod in kleine Stücke, legte sie auf den Thymian und setzte auf jedes etwas Fleisch.

Dazu sprach sie mit liebreicher Stimme:

»Nun, Jan, wie fühlt ihr euch? Seid ihr erholt? Hat der Schlaf euch erquickt?«

»Müde bin ich nicht mehr, liebe Trien,« war die Antwort; »aber ich fühle mich noch gestört von dem bösen Traume!«

»Es wird wol vorübergehen, Jan; es kommt von dem Schlafen auf dem Boden – euere Tafel ist auch gedeckt; wollt ihr zulangen?«

»Recht gerne, ich bin hungrig, Trien.«

Das Mädchen gab ihm die Stücke Brod mit dem Fleisch, eins nach dem andern, in die Hand. Während er schweigend sein Mahl verzehrte, besah sie sein Gesicht genauer und bemerkte einen eigenen Zug von trüber Muthlosigkeit. Doch in der Meinung, diese anscheinende Traurigkeit rühre noch von dem beschwerlichen Schlafe her, that sie nichts um sein Gemüth zu erheitern. Sobald sie ihm das letzte Stück Brod gereicht hatte, zog sie ihm seine Strümpfe an und knüpfte ihm die Schuhe zu. Der Soldat griff nach dem Tornister und wollte ihn tragen, doch das Mädchen ließ es nicht zu.

»Nun, Trien, laß mich ihn tragen,« sprach er, »ihr wollt auch zu viel thun. Das geht doch nicht, daß ein Mädchen den Tornister auf dem Rücken trägt; es muß schon befremdend genug sein, eine Bäuerin mit einem blinden Soldaten über die Haide ziehen zu sehen. Was werden die Leute denken?«

»Was kümmern uns die Leute, Jan? Ihr, die ihr nicht seht, müht euch dabei hundertmal mehr ab als ich; ihr stolpert ja fast bei jedem Schritte. Mich belästigt das Zeug nicht.«

Damit nahm sie den Tornister auf den Rücken, und also zur Weiterreise gerüstet, führte sie den Soldaten mitten auf die Chaussee. Sie gab ihm einen Stock in die Hand, wovon sie das andere Ende gegen ihren Rücken hielt, so daß der arme Blinde leicht ihren Fußstapfen folgen konnte. Im Gehen sprach sie:


»Wenn ich zu schnell gehe, Jan, so müßt ihr es sagen – und laßt uns etwas plaudern; es verkürzt die Zeit.«

Doch sie bekam darauf keine Antwort und sprach weiter:

»Jan, laßt eueren Kopf nicht so hängen, die Brust wird euch davon weh thun.«

Der Blinde hob den Kopf stumm in die Höhe, doch schon beim dritten Schritt hatte er sich wieder gesenkt. Sichtbar war er in ernsten Betrachtungen versunken, die ihn der Gegenwart entrückten. Deshalb rief ihm das Mädchen trotz ihres trüben Sinns, mit aufgereimter Stimme zu, um ihn zu erwecken.

»Ach, Jan, morgen Abend sind wir zu Hause! Das wird eine Freude sein! Euere arme Mutter, die meint, ihr wärt noch immer im dunkeln Spital und härmt euch ab! Was wird sie froh sein und euch vor Freude küssen! Und Paulchen, das schon so viele Thränen vergoß, als ihr ins Militär gingt! Was wird das Kind tanzen, – und dann die Mutter und der Großvater: Mich dünkt, ich sehe sie schon mit offenen Armen auf euch gelaufen kommen. . . und der Ochs, das arme Thier, wird sich auch über eure Zurückkunft freuen; ich sehe es ihm alle Tage an den Augen an, daß er euch nicht vergessen hat. . . und dann wird Großvater das fette Kaninchen abstechen, und wir schmausen Alle wie die Könige! Ach! könntet ihr das Alles nur mit ansehen!«

Also schwatzend, sah sich das Mädchen oft nach dem Blinden um, der hinter ihr nach dem Stocke sich lenkte, um an seinem Gesicht die Wirkung ihrer Reden zu entdecken. Ein zweifelhaftes Lächeln war die einzige sichtbare Veränderung. Doch selbst dieser geringe Fortschritt flößte ihr neuen Muth ein und sie fuhr fort dem Jüngling zu erzählen:

»Und so bald wir zu Haus sind, Jan, will ich immer um euch sein und euch nichts abgehen lassen. Ich werde Lieder kaufen und sie auswendig lernen, um sie euch Abends vorzusingen; wenn ich auf das Feld arbeiten gehe, könnt ihr immer bei mir sein; wir wollen während der Arbeit plaudern; was ihr nicht sehen könnt, will ich für euch mit den Händen betasten; so werdet ihr so gut wie ich wissen, wie es mit den Früchten steht, ihr sollt sie im Geiste wachsen sehen. Auch will ich euch in die Kirche führen, und des Sonntag Abends in der Krone ein Glas Bier mit euch trinken, damit ihr die Bekannten sprechen hört. Ihr werdet gar nicht daran denken, daß ihr blind seid! Was sagt ihr dazu? Ist es euch noch immer nicht recht?«

Eine Thräne drängte sich unter dem grünen Schirm des Soldaten hervor und glitt wie ein Thautropfen über seine Wange in den Sand der Chaussee. Er antwortete feierlich:

»Liebe Trien, eure Stimme klingt so schön, daß sie mein ganzes Herz ergreift. Ich horche auf euch, als ob mein Schutzengel vor mir ginge; ich sehe euch vor meinen Augen stehen: ihr habt Flügel und euer Leib strahlt wie die Sonne. Ich glaube, daß unser Herrgott euch meinen blinden Augen zeigt, wie er euch später im Himmel für eure unbegreifliche Güte belohnen wird!«

»Ach, Jan, sprecht doch nicht so fremdartig,« bemerkte das Mädchen, »ich verlange nur eine Belohnung für meine Mühe und die besteht darin, daß ihr nicht mehr so düster seid. Gestern wart ihr doch viel fröhlicher gestimmt.«

Der Blinde zog den Stock an sich und faßte das Mädchen an der Hand, um neben ihr zu gehen, dann sagte er:

»Trien, gestern war ich froh, heimkehren zu können! Doch seit diesen Morgen und während ich schlief, habe ich die Wahrheit erkannt; das nagt mir jetzt am Herzen und ich will es länger nicht verschweigen. Ich kann eure Liebe nicht annehmen, oder Gott würde mich dafür bestrafen!«

»Nun, Jan, was ist euch da in den Kopf gefahren, ihr macht mich so traurig, daß ich fast nicht mehr gehen kann. Erzählt mir, was euch auf dem Herzen liegt; ich will es euch schon ausreden.«

»Laßt uns darüber ein ernstes Wort sprechen, Trien,« sagte der Jüngling peinlich bewegt, »ihr seid schön und rüstig und zu jeder Arbeit tauglich und wollt euer junges Leben aus Liebe und Barmherzigkeit einem unglücklichen Blinden aufopfern! Und wenn dann unsere Eltern einmal auf dem Kirchhof liegen, dann werdet ihr alt sein und um meinetwillen einsam und verlassen in der Welt stehen!«

Das Mädchen, durch den düstern Ton seiner Stimme tief ergriffen, weinte bitterlich; doch der Blinde bemerkte es nicht und fuhr fort:

»Trien, den Augenblick wo wir Abschied von einander nahmen, vergeß' ich nie; ich verstand was eure schönen blauen Augen mir damals sagten, das war mein einziger Trost in meinem bittern Leiden. Selbst als der Doctor mir mit dem Höllenstein die Augen ausbrannte, und ich vor Schmerz schrie, standet ihr mit der schamrothen Stirne noch vor mir, ich fühlte noch eure Hand in der meinigen zittern. Ach, hätte mir der liebe Gott nur ein einziges Auge gelassen, so daß ich für unser tägliches Brod arbeiten könnte, ich würde auf meine Knie fallen, Trien, und euch bitten, mich als Lebensgefährten anzunehmen; es wäre dann der Zweck meines Lebens geworden, euch für eure Güte zu belohnen, – jetzt ist es aus damit.«

 

»Aber um's Himmels willen, Jan,« rief das Mädchen ärgerlich, »was sprecht ihr da zusammen, thut ihr es um mich zu quälen? Ich begreife euch nicht. Was wollt ihr in der Welt anfangen?«

– »Mich abhärmen und sterben,« schluchzte der Jüngling.

»Sterben?« rief das Mädchen, »und ihr glaubt, daß ich euch sterben lassen werde? Sprecht etwas deutlicher, ich kann die trüben Andeutungen nicht ertragen! Setzt euch etwas nieder, bis ihr euch die häßlichen Gedanken aus dem Kopfe geschlagen habt.«

Sie führte den Blinden an den Rand der Chaussee, setzte sich mit ihm auf das dürre Gras nieder, legte den Tornister bei Seite und sprach:

»Nun, Jan, laßt mich eure ganze Absicht vernehmen?«

»O, liebe Trien, ihr begreift mich wohl,« antwortete der Soldat, »ihr wollt mir eure Jugend opfern. Kann ich aber verlangen, daß ihr aus Liebe zu mir so eure ganze Zukunft wegwerft? Der Gedanke allein, daß ihr dies thun wollt, ist mir peinlich. Ihr seht mich lieber fröhlich, nun so versprecht mir, daß ihr in Zukunft nichts weiter als eine Schwester für mich sein werdet; daß ihr die Kirmeßen besucht, wie früher und die ehrbaren Liebesanträge anderer jungen Leute annehmt . . .

Das Mädchen antwortete unter bittern Thränen:

»Jan, Jan, wie könnt ihr nur so grausam sein, ihr zerschneidet mir das Herz wie ein Henker. Das habe ich für meine Güte! Mit andern Jungen soll ich umgehen, wie hab ich das verdient?«

Jan suchte die Hand des Mädchens und sagte dann mit trauriger Stimme:

»Ach, Trien, ihr wollt mich nicht begreifen, hätte ich noch drei Paar Augen, ich würde sie mir gerne Alle ausbrennen lassen, um euch lieben zu dürfen, wenn nur ihr darunter nicht leiden solltet! Und doch ist blind sein eine Pein, die Niemand fassen kann, der sehend ist! Aber Gott würde mich strafen, wenn ich das Opfer eures Lebens annähme!«

»Und wenn ich eurem häßlichen Rathe folgte»so würdet ihr mich wohl vergessen?«

»Vergessen?« schluchzte der Blinde, »es ist beständig Nacht um mich, mein ganzes Lebenlang muß ich denken und träumen! Und woran sonst, als an eure Güte und an das was eure Augen mir beim Abschiede sagten.«

»Ihr würdet die arme Trien immer gerne haben, wenn sie nach eurem Wunsche handelte?«

»Bis in den Tod!«

Das Mädchen wischte sich die Thränen aus den Augen. Ihr Gesicht gewann einen ganz anderen Ausdruck und sie sprach mit fröhlichem Stolze:

»Und ich sollte euch verlassen? Mit anderen Jungen auf die Kirmeß gehen und tanzen? während ihr am Winkel des Heerdes wochenlang da säßet und an mich dächtet, – Jan, ich weiß nicht, wie ihr dies nur denken könnt! Wenn ihr es nicht wär't, ich könnte fast böse auf euch werden. Meint ihr denn, ich hätte kein Herz, und könnte euch so im Kummer lassen? Nein, nein, ihr hattet mich gerne, so lange eure schwarzen Augen noch glänzten; nun will ich euch in der Liebe treu bleiben, obgleich ihr eure Augen verloren habt! Und sprecht mir nicht mehr von anderen Jungen ; das thut mir zu wehe, es ist als hieltet ihr nichts mehr auf mich . . . Sobald ich daran denke, kommen mir die Thränen in die Augen.«

Jan drückte die Hand des Mädchens mit stummer Bewunderung und lebhaftem Dank. Nach einer Weile sagte er:

»Trien, ihr seid ein Engel, der sich auf diese Welt verloren; ich fühle wol, daß ihr allein mir ersetzen könnt, was Gott mir genommen; doch es darf nicht sein!«

»Ja,« erwiederte das Mädchen, »ich verstehe euch wol; ihr wollt sagen, daß ich zur alten Jungfer werden könnte. Dem ist aber nicht so; ich werde ein glückliches Eheweib werden und mich verheirathen, ehe das Winterkorn ausgesäet wird!«

»Verheirathen!« wiederholte der Soldat traurig, »nun geht mir ein Lichtstrahl auf. Gott gebe, daß euer Mann euch so sehr liebt, als ihr es verdient! Also heirathen wollt ihr? Und wen? Einen Freund aus dem Dorfe?«

»Jan, seid ihr von Sinnen?« rief das Mädchen so laut, daß es hinter ihr im Tannenbusch wiederhallte. »Ja wol will ich heirathen! Doch wie könnt ihr fragen wen? – Euch selbst!«

»Gott! Mich? Einen Blinden?«

»Euch, die ihr drei Paar Augen dafür geben wolltet, mich lieben zu dürfen!«

»O Dank, Dank für so überschwengliche Güte! Sei gesegnet für so viel Liebe, doch . . .«

Trien legte ihm die Hand auf den Mund, erstickte das weigernde doch, und sprach triumphierend:

»Schweigt jetzt; ihr habt eben so ernst gesprochen, und ich hörte euch zu, ob mir auch das Herz in der Brust fast zersprang; jetzt laßt mich ausreden. Wenn Trien durch einen Unfall blind geworden wäre, würdet ihr das elende Schaf verstoßen haben? Und wenn sie euch in ihrem Unglück noch geliebt hätte, würdet ihr ihr wol den Todesstoß durch Liebkosungen mit andern Mädchen versetzen? Nun, antwortet doch!«

»Ich darf nicht.«

»Ihr müßt! Und ich will die Wahrheit hören, Jan.«

»Nun, Trien, ich würde gehandelt haben, wie ihr jetzt handelt; doch darf es nicht sein, liebe Freundin! Was würden die Leute von mir sagen?«

»Und doch wird es sein,« sprach das Mädchen mit Entschlossenheit; »ihr habt meine rechte Hand darauf. Wir sind vor Gott geeinigt , ehe der Priester seinen Segen spricht.«

Bei diesen Worten schlug sich der Soldat beide Hände vor die Stirn, und senkte den Kopf langsam gegen die Brust des Mädchens; die Rührung hatte ihn überwältigt, und er schwieg, bis Trien begeistert ausrief:

»Was kümmern uns die Leute? Wer recht handelt, braucht sich nicht zu schämen! Wenn ich mit euch zur Kirche gehe, um vor dem Altar das Jawort auszusprechen, will ich das Haupt stolz erheben und denken, daß Gott über uns weiß, was gut und was böse ist. Laßt mich nur; ich will euch zeigen, was man mit muthigem Herzen und starken Armen zu leisten im Stande ist. Es wird uns nichts abgehen, lieber Jan, dafür wird Trien sorgen, und sie wird um euch bleiben und euch trösten bis der Tod uns scheidet. Und so werden wir, mit unsern Eltern, mit Großvater und Paulchen, zufrieden und glücklich leben wie zuvor. Ist es so noch nicht recht?«

Weinend küßte der blinde Soldat ihre Hände. Noch wollte er ihr liebevolles Anerbieten ablehnen; doch das Mädchen sprach befehlend:

»Jan, hier dürfen wir nicht bleiben, wir müssen fort. Es wird schon dunkel sein, ehe wir zum Hofe kommen, wo ich vor vier Tagen schlief. Steht auf, und geht fröhlich weiter. Ich will darüber nichts mehr hören; was gesagt ist, bleibt gesagt: sprechen wir von was Anderem.«

Damit nahm sie den Tornister, reichte Jan den Stock, und beide gingen weiter, schweigend doch heiterer als vordem.

VI

Am nächsten Tage war Trien in aller Frühe wieder auf dem Wege, den Tornister auf dem Rücken und den blinden Soldaten hinter sich.

Das Gras am Rande der Chaussee und die Haidekräuter glänzten im ersten Sonnenschimmer, als wären sie mit Diamanten besäet, während die Zweige der hohen Bäume vom Thaue feucht, wie versilbert aussahen. Im Osten färbte sich der Horizont mit Purpur und Gold; über die fernen Büsche erhob sich der nächtliche Dunst und schwebte da zwischen Himmel und Erde. Das Chor der Vögel war erwacht und erfüllte die Luft mit freudigen Tönen; die Biene summte emsig über dem Thymian; die Insekten und Käfer flogen und tummelten sich umher; Alles lachte bei dem Anbruch des schönen Tages, Alles jauchzte dem neuen Lichte entgegen.

Auch das Gemüth des guten Mädchens kam in Einklang mit der fröhlichen Natur; von Zeit zu Zeit sang sie mit Lustigkeit Verse eines oder des andern Liedes oder sprach unzusammenhängende Worte, um ihrem Herzen Luft zu machen. Der Soldat schritt seit geraumer Zeit schweigend einher; endlich sprach er:

»Was seid ihr doch heiter, Trien, es ist gewiß die Wirkung des schönen Wetters; ich kann es nicht sehen, doch höre ich wol, wie die Vögel der Sonne guten Tag zurufen und wie die Bienen um mich herum summen.«

»Nein, Jan, deshalb ist es nicht,« antwortete das Mädchen und erfaßte seine Hand, »kommt neben mich, ich will euch etwas Eigenthümliches erzählen. Es ist nur ein Traum und ich hatte ihn fast vergessen; seitdem ich aber ganz wach geworden bin, sehe ich ihn wieder ganz deutlich. Es ist doch oft angenehm zu träumen, nicht wahr, Jan?«

»Zuweilen!«

»Ja, ich meine, wenn die Träume schön sind. Ich fühlte mich nie glücklicher als diese Nacht, während ich schlief; ich würde meinen Traum nicht für zwanzig Kronen geben und das ist doch entsetzlich viel. Die Träume enthalten doch oft die Wahrheit, Jan?«

»Was habt ihr denn so Schönes geträumt, Trien?«

»Ja, ihr seid auch dabei, Jan, das könnt ihr wohl glauben; o, es war so schön, hört lieber zu. Die Pächterin – Gott wird es der guten Frau lohnen – hatte mich in die kleine Schlafkammer geführt. Sobald ich allein war, kniete ich vor dem Muttergottesbilde nieder, das über dem Kamine hängt. Wie lang ich auf meinen Knien lag, weiß ich nicht; als ich aufstand, drehte sich mir der Kopf und ich war fast von Sinnen; wenigstens schien es mir so. Inzwischen war der Mond aufgegangen und schien so hell in meine Kammer, daß sie ganz eigenthümlich blau aussah. Ich hielt meine Stirn etwas gegen die Fensterscheiben, um mich zu erholen, und legte mich dann halb angekleidet auf's Bett, um ganz früh reisefertig zu sein. Doch konnt' ich nicht einschlafen; denn der Mond schien mir gerade in die Augen und ich quälte mich den Mann mit dem Reisbündel zu sehen, der darinnen steht. Ob ich endlich eingeschlafen bin, kann ich nicht sagen, doch muß ich es wohl sein, denn hört nur, was mir begegnete. – Auf einmal bekam der Mond einen Mund, und wunderschöne blaue Augen, und rothe Wangen, wie ein Apfel, und lächelte mir so freundlich zu, daß ich davon ganz entzückt war. Es war ein so schönes und liebliches Frauengesicht, wie ich es in meinem Leben noch nicht gesehen habe; wenn es so eines auf der Welt gäbe, so würde es allgemein angebetet werden. Nun hört weiter – allmählich bekam die Gestalt Arme und ein langes Kleid mit großen goldnen Blumen; auf ihrem Kopfe trug sie eine silberne Krone mit vielen blinkenden Sternen. Auf ihrem Arme ruhte ein Kind, schöner als alle Engel im Himmel. Es war die Mutter Gottes vom Kamin, die mit dem Herrgott auf dem Arm in den Lüften schwebte und mich freundlich ansah. Nun kommt es noch besser! Wie ihr in die Kammer gekommen wart, weiß ich nicht, doch ihr saßt auf einem Stuhl am Fenster und sähet trotz eurer blinden Augen die Mutter Gottes so gut wie ich, denn wir fielen zusammen auf die Kniee und streckten die Arme gegen die Scheiben, um die heilige Jungfrau anzuflehen. Diese schwebte langsam herab und kam durch die Scheiben in das Zimmer. Darauf sagte sie ein Wort zum Jesukindlein, das euch den Finger gegen die Augen hielt, und ihr, Jan, rieft mit Entzücken. ich sehe! ich sehe! Ich war davon so betroffen, daß ich von meinem Schlafe aufstand und fast aus dem Bette fiel . . . Die Erscheinung war fort! Ich hatte nur geträumt, der Mond und der Mann darin standen noch immer am Himmel, und das Muttergottesbild hing noch über dem Kamin . . . Ist das kein glücklicher Traum?«

Das Mädchen schwieg und wartete auf eine Antwort. Nach einer Pause sagte der Jüngling.

»Trien, was könnt ihr schön erzählen! Mein Herz pochte vor Freude, während ihr spracht; es,kam mir vor, als sähe ich Alles mit euch; und als ihr sagtet, daß das Jesukindlein mir die Augen berührte, fühlte ich etwas ganz Unaussprechliches; und die Mutter Gottes sah ich so klar und deutlich, daß ich die goldenen Blumen, die auf ihrem Kleide standen, auf den Sand hinzeichnen könnte!«

»Was für Blumen habt ihr darauf gesehen, Jan?«

»Große Rosen.«

»Ich auch, das ist wunderbar!«

»Und Lilien, wie deren voriges Jahr so viele in des Brauers Garten standen.«

»Und ich habe auch Rosen und Lilien gesehen! Wie ist das nur möglich? Dabei steht mir der Verstand still!«

»Ach, liebe Freundin,« schluchzte Jan, »täuscht euch nicht mit falschen Hoffnungen. Traum ist Schaum, sagt das Sprichwort; Gott hat uns nur diesen Trost auf die Reise gesandt.«

»Das ist gleich,« rief das Mädchen heiter, »seit dieser Nacht ist mir die Mutter Gottes viel lieber als früher . . . sobald wir nach Haus kommen, will ich mir beim Küster Silberpapier holen, um dem Bild am Lindenbaum eine Krone mit silbernen Sternen aufzusetzen, – und wenn es uns je möglich ist, wollen wir dem Bild auch ein Kleid mit goldenen Blumen schenken. – Doch jetzt laßt uns schneller vorangehn, ehe die Sonne ganz hoch steht, und stützt euch auf den Stock, denn der Pfad wird schmal und holperig. Wir sind unter dem Erzählen irre gegangen.«

»Liebe Trien, ihr müßt mir weiter helfen, meine Knien schmerzen mich; ich werde heute keine zehn Meilen weit gehen können.«

 

»Seid nicht ängstlich» Jan,« antwortete das Mädchen, und ging langsamer, »auf einer flachen Haide, wie diese ist, findet man sich immer zurecht. . . und ich sehe dort hinten zwei Thürme stehen, Moll und Baelen, wie man es uns diesen Morgen gesagt hat.«

»Wie weit sind wir noch davon, Trien?«

»Wol anderthalb Stunden. Werdet ihr diesen Morgen noch so weit gehen können?«

»Ja, wenn ich unterwegs etwas ausruhen kann.«

»Dann müßt ihr es sagen, sobald ihr müde seid. Jetzt wollen wir schweigen, es geht sich schneller.«

Die Sonne stand schon hoch am Horizonte und sandte auf beide Wanderer ihre Feuerstrahlen. Die Hitze wurde so heftig, daß sie mit Mühe athmeten und ihnen der Schweiß auf der Stirne stand. Doch klagte der Soldat noch nicht über Müdigkeit und folgte muthig seiner Führerin. Er hatte das Schweigen nur durch die Bemerkung unterbrochen, daß ihn seine Augen schmerzten, als ob die Sonnengluth das Stechen derselben erhöhte.

Als sie eine starke Meile zurückgelegt hatten, blieb das Mädchen mit einem Mal stehen, ohne dem Blinden etwas zu sagen. Darüber verwundert sprach er:

»Trien, warum haltet ihr so plötzlich an?«

»Oh, Jan,« antwortete Trien traurig, »da habe ich was Schönes gethan! Gott weiß, wie lange wir schon vom rechten Wege abgekommen sind; da stehen wir an einem breiten Wasser, das durch die ganze Haide läuft, und ich sehe nirgends eine Brücke.«

»Das ist ärgerlich,« rief Jan; »ich werde so müde. Ist das Wasser tief?«

»O nein; es ist nur ein seichter Bach; ich kann den Grund wol sehen; das Wasser reicht uns höchstens bis zu den Knieen.«

»Dann wollen wir es wagen, Trien, und lieber durchwaten als umkehren.«

»Doch sind die Ufer so steil, Jan; ihr könnt nicht gut hinein und heraus. Nun, Noth bricht Eisen; kommt!«

Sie brachte den Blinden bis an das Ufer, warf den Tornister jenseits und stieg in den Bach; der Jüngling frug:

Was wollt ihr anfangen, Trien?«

»Schlagt euere Arme um meinen Hals und haltet fest,« antwortete das Mädchen, während sie den Soldaten an sich zog, und ihn, trotz seiner Gegenbemerkungen, zwang, ihrem wohlgemeinten Rathe zu folgen.

Dann durchwatete sie, unter der schweren Last schwankend, das Wasser bis an das jenseitige Ufer und sagte:

»Jan, hier steht ein Weidenbusch; greift nach den Zweigen um heraufzuklimmen; ich will euch nachhelfen.«

Der Soldat folgte der Anweisung und war bald ohne Beschwerde auf festem Grunde. Trien stellte sich zu ihm und schüttelte das Wasser aus ihren Kleidern. Der Blinde sagte:

»Ihr seid doch die Güte und Freundschaft selbst, Trien! Es thut mir leid, daß ich euch für so viel Liebe und Barmherzigkeit nicht belohnen kann.«

»Nun, Jan, es ist der Mühe nicht werth davon zu sprechen,« fiel ihm das Mädchen in die Rede, »daß ich euch durch das Wasser getragen habe. Meine Kleider werden bald trocken sein. Kommt nur wieder voran; in einer halben Stunde haben wir den ersten Thurm erreicht; das muß Moll sein; dort werden wir recht lange ausruhen.«

»Ist das Wasser auch rein?« frug der Jüngling.

»So hell wie Krystall,« antwortete das Mädchen, »seid ihr durstig? Wartet, ich kann doch nur naß werden, ich will euch zu trinken geben.«

Dabei machte sie den Becher, der auf den Tornister gebunden war, los, doch der Soldat sagte:

»Nein, Trien, deshalb ist es nicht. Meine Augen stechen so peinlich, ich will sie waschen, um sie zu erfrischen.«

Das Mädchen schritt in den Bach und schöpfte den Becher voll klares Wasser, dann kam sie zum Blinden zurück, holte ein weißes Tuch aus ihrem Mieder und sprach:

»Seht nieder und laßt mich eure Augen auswaschen, sonst schüttet ihr euch die Kleider voll!«

Der Soldat gehorchte und setzte sich, den Rücken gegen die Sonne gekehrt, auf's Gras nieder. Trien nahm ihm den grünen Schirm ab und begann seine geschlossenen Augen mit dem nassen Tuche zu säubern. Da der Jüngling zu erkennen gab, daß das Waschen ihm viel Erleichterung verschaffte, benetzte sie ihm auch das Gesicht und die Stirn, bis er ihre Hand abwand und rief:

»Haltet ein, Trien, es genügt.«

Wie das Mädchen zur Seite schritt, um den Schirm zu holen, sprang der Blinde plötzlich mit einem durchdringenden Schrei auf; er streckte die Hände gegen seine Freundin aus und blieb zitternd stehen; seine Lippen bewegten sich zu unvernehmbaren Tönen.

»Was ist euch, lieber Jan?« rief das Mädchen und lief traurig auf ihn zu.

Doch er schob, sie, wie wahnsinnig, von sich weg und schrie:

»Trien, Trien! stellt euch' zurück auf denselben Platz! Seid so gut!«

Verwundert über den Ton seiner Stimme und die unbegreifliche Freude, die auf seinem Gesicht strahlte, erfüllte das Mädchen seine Bitte und stellte sich auf ein paar Schritte von ihm. Er öffnete seine erstorbenen Augen und rief mit aufgehobenen Händen:

»Trien, ich habe euch gesehen! Mein linkes Auge ist noch nicht ganz todt!«

Wie vom Blitzstrahl gerührt, zitterte das Mädchen an allen Gliedern und rief, indem sie sich dem Soldaten mit wankenden Schritten nahte:

»Nein, nein, Jan! Es ist nicht wahr! Laßt mich nicht vor Freude vergehen! Die Sonne wird euch getäuscht haben!«

»Ich hab euch gesehen!« rief der Soldat vor Freude außer sich. »Dort im dunkeln Schatten. Mein linkes Auge ist noch nicht todt, sage ich euch. O, liebe Trien, es ist euer Traum von dieser Nacht!«

Ein Schrei, der ebenso schneidend war, als hätte ihn der Schmerz entrissen, fuhr aus dem Mund des Mädchens; sie sank auf die Kniee, hob die Hände zum Himmel und sandte ein Dankgebet gegen Gott. Der Soldat sah sie, wenn auch undeutlich und in ungewissen Umrissen; auch er kniete sich neben das Mädchen nieder.

Zuerst sah ihn dieses kaum, so sehr war sie im Gebete verloren. Endlich erhob sie sich beruhigt, kehrte ihr Haupt zur Seite und rief:

»Himmel saht ihr, was ich that?«

»Ja, ich sah es,« jauchzte Jan.

»O, Mutter Gottes,« schluchzte Trien unter einer Thränenfluth, »das habt ihr gethan! Doch ich will es auch nicht vergessen, und jedes Jahr euch zur Ehre nach Scherpenheuvel baarfuß gehen!«

Nach dieser innigen Anrufung schien das Mädchen um alle Kraft gekommen zu sein, sie schlug den Arm um die Schulter des Soldaten und weinte, mit ihrem Kopf auf die Brust gelehnt. Auch der Jüngling war gerührt; es fehlten ihm die Worte, um alle Gefühle auszudrücken , die sein Herz überströmten. Eine ganze Zukunft von Dankbarkeit, von Liebe und von Glück hatte sich seinen Augen eröffnet und ihm das Paradies gezeigt.