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Baas Gansendonck

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X.
Schmach ist die Tochter des Hochmuths

Der Winter ist vorbei. Schon beginnen Bäume und Kräuter wieder ihr zartes Grün im milden Sonnenschein zu entfalten; die Vögel bauen ihre Nester und fingen ihre süßen Maienlieder; Alles prangt in jugendlicher Kraft, Alles lacht der Zukunft entgegen, als ob niemals eine graue Wolke den schönen blauen Himmel verdunkeln könnte . . .

In einer Nebenstube des heiligen Sebastian ruhte eine kranke Jungfrau, ihr Haupt auf das Kissen gelegt. Armes Lieschen! ein böser Wurm zernagt ihr Leben! – Dort sitzt sie unbeweglich und doch vor Ermattung keuchend die leiseste Bewegung ist für sie eine schmerzliche Anstrengung. Bleich und durchsichtig wie Glas ist ihr Antlitz, aber auf jeder ihrer abgezehrten Wangen glimmt ein röthlicher Fleck . . . ein böses Anzeichen. In schwere Träume versunken, entblättert sie mit ihren mageren Fingern einige Maaßlieben, die ihr wie einem Kinde zum Trost gebracht worden sind. Sie läßt die zerpflückten Blumen zur Erde fallen; ihr Kopf sinkt kraftlos auf das Kissen zurück; ihr verglaster Blick steigt himmelwärts zum Unendlichen empor; ihre Seele mißt schon den Weg der Ewigkeit.

Etwas ferner, hinter der Jungfrau, seitwärts neben dem Fenster, saß Baas Gansendonck, die Arme auf der Brust zusammengeschlagen. Er hielt den Kopf tief gesenkt und die halbgeschlossenen Augen auf den Boden geheftet, seine Gesichtszüge wie ein ganzes übriges Wesen sprachen bitteres Leid, Reue und Beschämung aus.

Von welcher Beschaffenheit waren die Gedanken des unglücklichen Vaters, der so ein einziges Kind als eine Märtyrerin hinsterben sah? Erkannte er, daß ein Hochmuth der Henker war, der das unschuldige Opfer auf die Folterbank gelegt hatte?

Wie dem auch sein mochte, er barg ebenfalls eine quäzende Schlange im Herzen; denn tiefe Runzeln des Schmerzes furchten sein Antlitz und eine abgemagerten Wangen und trägen Bewegungen zeigten nur zu deutlich, daß die letzten Funken von Selbstvertrauen, Muth und Hoffnung in einem Busen erloschen waren.

Der leiseste Seufzer einer kranken Tochter durchschauerte ihn, ihr peinliches Husten zerriß ihm das Herz. Wenn sie ihren leidenden Blick auf ihn richtete, so bebte er, als ob in ihren müden Augen für ihn das schreckliche Wort Kindesmörder zu lesen sei. – Jetzt, wo das Gefühl der Liebe in einem Innern sich rein und mächtig von den Banden des Hochmuths befreit hatte, würde er den bittersten Tod mit Freuden erduldet haben, hätte er das Leben seines Kindes dadurch auch nur um ein einziges Jahr verlängern können.

Armer Gansendonck! Ihm hatte Alles so zugelacht auf der Welt. So himmlisch schöne Träume von Glück und Größe hatten ihn sein ganzes Leben hindurch umgaukelt und gewiegt! Nun saß er da wie ein stummer Schatten bei seinem hinsterbenden Kinde – ängstlich und zitternd wie ein Missetäter auf der Bank der Schande.

Wenn auf der einen Seite das beständige Nagen des Gewissens, das stete Nachdenken seinen Körper alt gemacht, so hatte es auf der anderen Seite dagegen seinen Geist aus dem Dunkel des Hochmuths und der Vermessenheit zur Klarheit geführt und seine Gemüthsart sehr gemildert. Jetzt war eine Kleidung gering, eine Rede freundlich, seine Haltung bescheiden. Geduldig sein schweres Schicksal tragend, war jetzt eine einzige Lebensaufgabe seiner Tochter Schmerzen zu lindern, sein einziges Streben, Karls Befreiung.

Seit einer halben Stunde bereits saß Baas Gansendonck in derselben Stellung. Er hielt den Odem an und rührte sich nicht, aus Furcht die Ruhe seiner Tochter zu stören.

Endlich hob Lisa mit einem schmerzlichen Seufzer den Kopf empor, als liege ihr das Kissen nicht bequem. Baas Gansendonck näherte sich ihr mit tiefem Gefühl:

– »Lisalieb, es verdrießt Dich so, hier immer allein in dieser Kammer zu sitzen, nicht wahr? Sieh, die Sonne scheint so hell draußen, die Luft ist so sanft und frisch! Ich habe einen Stuhl in den Hof gesetzt. Soll ich Dich in den Sonnenschein führen? Der Doctor hat gesagt, daß Dir das gut thun würde.« —

– »Ach nein, laß mich hier sitzen,« – seufzte das Mädchen – »das Kissen ist so hart.« —

– »Die ewige Stille dieser Kammer ist peinlich, Lisa; Dein Herz bedarf der Erquickung.

– »Die ewige Stille?« – wiederholte die Jungfrau sinnend – »Wie muß es still und süß sein im Grabe!«

– »Laß die bitteren Gedanken, Lisa. Komm, soll ich Dir helfen? Niemand soll Dich sehn. Ich schließe die Hofthür zu; Du sollst in der schönen Buchenlaube sitzen, und sehn wie prächtig die Blumen blühen und hören wie lieblich die Vögel singen. Thu' es mir zu Gefallen, Lisa.« —

– »Nun denn Vater« – antwortete sie – »Dir zu Liebe will ich versuchen, ob ich noch so weit gehen kann.« —


Mit beiden Händen sich auf den Tisch stützend, richtete sie sich langsam auf; den Augen ihres Vaters entströmten heiße Thränen, als er sah wie sie auf ihren Füßen schwankte und alle ihre Glieder zitterten, als erliege sie unter der Last ihres Körpers. Er faßte die stumm unter dem Arme und trug sie mehr, als daß er sie stützte. So gingen Beide, Schritt für Schritt, durch das Haus und kamen, nachdem sie mehr als einmal stehen geblieben, um auszuruhen, in den Hof, wo Lisa erschöpft und schmerzlich hustend sich in den Lehnstuhl fallen ließ.

Nachdem der Baas ihr Kissen im Rücken und unter dem Kopfe zurecht gelegt hatte, setzte er sich neben sie auf einen anderen Stuhl und wartete still bis ihre Ermüdung sich verminderte.

Endlich sagte er unter Thränen, mit tröstendem Tone:

– »Habe nur gute Hoffnung, liebe Lisa; der schöne Sommer hat begonnen, die süße reine Luft wird Dich stärken. Du wirst wieder gesund werden.«

– »Ach, Vater, warum mich betrügen?« – seufzte sie den Kopf schüttelnd. – Wer mich sieht – Du auch Vater – der vergießt Thränen und weint über mein Schicksal! Es ist vorbei, nicht wahr? – Wenn die Kirchweih kommt, liege ich schon auf dem Friedhofe?«

– »Kind, betrübe Dich nicht selbst mit so schrecklichen Gedanken!«

– »Schreckliche Gedanken? Auf der Welt ist es nicht gut, Vater. Wäre ich doch schon im Himmel! Dort ist Gesundheit, Freude, ewige Liebe!«

– »Karl kommt bald zurück, Lisa. Hast Du nicht selbst gesagt, daß Du bald gesund sein werdest? Er wird Dich trösten, eine freundliche Rede Dich mit euer Kraft beseelen, daß Du Dich aus Deinen schweren Leiden herausreißest.«

– »Noch sechs Monate« – seufzte das Mädchen verzweiflungsvoll gen Himmel blickend, als frage sie Gott etwas. – Noch sechs Monate!«

»So lange nicht mehr, Lisa; Kobe ist gestern nach Brüssel gereist mit einem Briefe von unserem Bürgermeister an den Herrn, der unser Fürsprecher bei dem Minister ist. Alles läßt uns hoffen, daß wir eine Veringerung der Strafe für Karl erhalten. Dann wird er augenblicklich frei. Will‘s Gott bringt uns Kobe diesen Nachmittag die frohe Kunde von einer baldigen Erlösung. – Lisa, mein Kind, giebt dir nicht schon der Gedanke neues Leben?«

»Armer Karl!« – seufzte Lisa träumerisch – schon vier lange Monate! O Vater, ich habe gesündigt . . . aber er, der Unschuldige was muß er leiden in einem düstern Kerker!«

– »Nicht doch Lisa, ich habe ihn noch vorgestern in seinem Gefängnisse besucht. Er trägt ein Schicksal mit Geduld; machte ihn nicht Deine Krankheit traurig, er würde sich glücklich schätzen auf Erden.«

– »Er hat so viel gelitten, Vater; Du wirst ihn lieben, nicht wahr? Ihn nicht mehr verstoßen? Er ist so gut!«

– »Ihn verstoßen?« – rief der Baas mit zitternder Stimme – »ich habe ihn auf den Knieen um Verzeihung gebeten, seine Füße mit meinen Thränen benetzt . . . «

»Himmel! Und Er, Vater?«

– »Er ist mir um den Hals gefallen, hat mich geküßt und getröstet. Ich wollte mich selbst anklagen, ihm sagen, daß mein Hochmuth allein die Ursache eines Unglücks ist, ihm geloben, daß mein ganzes Leben eine Bußübung sein solle . . . Er hat mir den Mund mit einem Kusse verschlossen . . . einem Kusse, der wie ein Balsam des Himmels, Hoffnung und Kraft in mein Herz hatte und mich stark gemacht hat, nun mit geringerer Angst Gottes Beschluß zu erwarten. Gesegnet sei er, der Barmherzige, der Böses mit Liebe vergilt!«

– »Und mir hat er auch Alles vergeben, nicht wahr, Vater?«

– »Dir vergeben, Lisa? Was hast Du denn je gesündigt? Ach, wenn Du leidest, wenn eine Strafe von oben Dich zu treffen scheint, so büßest Du allein um meinetwillen so schwer, mein armes Kind!«

– »Und ich, bin ich unschuldig, Vater? War es nicht mein Leichtsinn, der ihm das Herz zerriß und ihn zur Verzweiflung brachte? Aber er hat mir doch Alles verziehen der Gute!«

– »Nein, nein!« – rief der Vater – »Karl hat Dir Nichts verziehen. In seinen Augen warst Du stets die reine, keusche Lilie. – Selbst damals als mein unsinniger Hochmuth Dich zu einer Unvorsichtigkeit zwang und Alles zusammentraf um ihm Mißtrauen einzuflößen, wehrte er sich gegen den geringsten Verdacht und sagte stolz: meine Lisa ist rein, mich allein liebt sie au Erden.«

Ein süßes Lächeln umspielte die Lippen der Jungfrau während sie sagte:

– »O, diese Gewißheit wird mir das Sterbekissen sanft machen. Wenn ich erst droben bin, werde ich Gott für ihn bitten: . . . aus dem Himmel will ich ihm zulächeln wo er geht und steht, bis er auch kommt.«

– Der frohe Ton von Lisas Stimme flößte ihrem Vater Muth ein den Versuch zu machen ihre Gedanken von so trüben Dingen abzulenken. Freudig sagte er:

– »Und Du weißt nicht, Lisa, was er mir vorgestern Alles sagte von einem schönen Garten, den er Dir anlegen will sobald er frei sein wird – von schönen Blumen, mit sich schlängelnden Wegen und Gängen, mit Lauben, Rasenplätzen und Teichen . . . Und während man daran arbeitet, will er mit Dir eine Reise nach Paris machen und Dir die schönsten Dinge auf der Welt eigen und Dir durch seine treue Liebe und allerlei Genuß und Freude den G ist erquicken . . . O, Lisa, denke nur, dann wirst Du schon Karls Frau sein. Nichts auf Erden kann Euch dann mehr trennen; Euer Leben wird ein Himmel voll Seligkeit sein! Und Karl will, daß ich mit Euch und mit seiner Mutter in de Brauerei wohne. Er soll mein Sohn sein. Du, Lisa, wirst wieder eine zärtliche Mutter haben. Ich werde mir durch Sanftmuth und Zuthulichkeit die Freundschaft der Dorfbewohner wieder gewinnen. Jeder wird uns achten und lieb haben. Wir wollen alle einander lieben, vereinigt durch das Band der Bruderliebe und friedlich unser Leben verbringen auf Erden . . . Aber Lisa, Kind, was hast Du? Du zittert! Ist Dir nicht wohl?«

 

Die Jungfrau bemühte sich, zu lächeln; man sah aber deutlich, daß ihr die Kraft dazu fehlte; sie suchte jedoch die Hand ihres Vaters, und als sie dieselbe gefunden hatte, sprach sie mit schwacher, allmälig erstickender Stimme:

– »Vaterlieb! hätte Gott im Himmel mich nicht gerufen, so würde Dein tröstendes Wort mich wohl heilen; – aber ach! was kann mich retten . . . vom Tode, den ich stets vor meinen Augen . . . wie Etwas, das ich nicht sagen kann . . . eine Wolke, – Etwas, das mir winkt. Jetzt wieder. Es läuft mir kalt über den Leib; die Luft ist zu scharf . . . Wasser! Wasser auf meine Stirn! O, Vater! lieber Vater! ich glaube . . . ich muß sterben . . . !«

Bei diesen schmerzlichen Worten schloß sie die Augen und sank leblos wie eine Leiche zusammen.

Baas Gansendonck stürzte auf die Knie vor seiner Tochter und hob die Arme flehend gen Himmel, während ein Thränenstrom ihm aus den Augen brach. Gleich darauf aber ward er sich seines Zustandes bewußt, und sprang mit fieberhafter Angst in die Höhe. Er rieb der ohnmächtigen Lisa die Pulse, hob ihr den Kopf empor, rief sie bei ihrem Namen, küsste ihr die erstarrten Lippen und benetzte ihre Stirn mit Thränen der Reue und der Liebe.

Bald nachher kam die Kranke wieder zu sich. Während ihr Vater, halb sinnlos vor Freude, die Zeichen ihres Erwachens aus dem Todesschlafe auf ihrem Antlitz belauschte, öffnete sie langsam die Augen und blickte wie verwundert umher.

– »Noch nicht! noch auf Erden!« – seufzte sie. – »O, Vater! führe mich hinein! Mir schwindelt es im Kopfe; es brennt mir so in der Brust; die Luft ehrt mir die Lungen aus; die Sonne macht mir Schmerzen.«

Baas Gansendonck hob sie mit eifersüchtiger Kraftanstrengung empor, als wolle er sein Kind von dem drohenden Tode entfernen, und trug sie in ihr Gemach.

Dort setzte sich Lisa wieder neben dem Tisch hin und legte den Kopf stillschweigend auf das Kissen.

Der Baas wollte etwas sagen, um sie zu trösten, aber sie flehte:

– »Sprich nicht, lieber Vater! ich bin so müde – laß mich ruhen!«

Baas Gansendonck setzte sich still wieder auf seinen Stuhl und vergoß stumme Thränen über den nahen Tod seiner geliebten Tochter . . .

Es war eine halbe Stunde verflossen, ohne daß eine Bewegung, ein Klang, ein Seufzer die Anwesenheit von Menschen in diesem Zimmer verrathen hätte, als man plötzlich einen Wagen vor der Thür halten hörte.

– »Da ist Kobe, Lisa! da ist Kobe!« – rief Baas Gansendonck freudig. – »Ich höre es am Tritt unseres Pferdes!«

Ein schwacher Hoffnungsschimmer ergänzte in den sterbenden Augen der Jungfrau.

Wirklich trat der Knecht in die Kammer. Lisa schien alle ihre übrigen Kräfte zu sammeln, um die frohe Nachricht zu vernehmen. Sie hob den Kopf empor und wandte ihn Kobe zu. Der Baas sprang auf und rief:

– »Nun, Kobe, nun?«

Mit Thränen in den Augen antwortete der Knecht:

– »Nichts! Der Herr, der bei dem Justizminister für Karl sprechen soll, ist nach Deutschland gereist . . . «

Ein leiser, doch höchst schmerzlicher Klageruf entfuhr Lisas Munde. Ihr Haupt fiel senkrecht in das Kiffen zurück; stille Thränen drangen ihr aus den Augen.

– »Ach! ach!« – seufzte sie beinahe unhörbar. – »Er soll mich auf Erden nicht mehr sehen.«

XI.
Disteln gesäet, Dornen gemähet

An einem schönen Morgen schritt ein junger Bauer mit großer Eile auf dem Steinwege von Antwerpen nach Breda. Er keuchte sichtbar, und der Schweiß fand in Perlen auf einer Stirn. Dennoch strahlte unaussprechliche Freude aus seinen Augen, und in den flüchtigen Blicken, die er auf die Felder und auf das dunkle Blau des Himmels warf, funkelten Dankbarkeit gegen Gott und Liebe zu der belebenden Natur. Seine Schritte waren leicht; von Zeit zu Zeit entfuhr ihm ein Schrei der Freude. Man hätte sagen mögen; daß er mit brennender Ungeduld nach einem Orte eilte, wo ein großes Glück einer harrte.

In der That, es war Karl der Brauer, dessen Fesseln plötzlich durch eine Ermäßigung der Strafe gefallen waren.

Er kehrte jetzt heim, das Herz voll seliger Träume. Er sollte eine Lisa wieder sehen, sie trösten, ihr Genesung bringen; denn war es nicht seine Verurtheilung, seine Gefangenschaft, welche die Jungfrau unter dem Drucke eines nagenden Schmerzes niederbeugte und krank machte? und mußte daher nicht seine Befreiung, seine Rückkehr das unfehlbare Heilmittel ihrer Krankheit sein? Ja, er kehrte zu ihr zurück, rein, liebevoll; er überraschte sie durch sein Erscheinen; er wollte ihr zurufen: »Stehe auf aus Deinem Schmerz, meine Lisa! Hier bin ich, Dein treuer Freund! Schöpfe Kraft aus meiner Liebe; erhebe Dein Haupt voll Hoffnung! All unser Leid ist vorüber! Blicke muthig und heiter in die Zukunft; lache dem Leben zu; es verspricht uns noch so viele schöne Jahre!«

Und eine gute alte Mutter! wie wollte er sie belohnen für ihre liebreichen Schmerzen! Er sah bereits im Geiste, wie sie ihm vor Rührung schreiend entgegeneilte, fühlte, wie sie ihm die Arme um den Hals schlug, wie ihr Kuß auf seinen Wangen glühte, ihre Thränen seine Stirn benetzten . . . Liebevoll lachte er diesem süßen Bilde zu, während das Wort »Mutter! Mutter!« ihm von den Lippen fiel.

O! selig war der Jüngling! Die wiedergewonnene Freiheit machte ihm die Brust schwellen. Die düftereiche Heideluft umwallte ihn und goß Lebensfeuer in eine Lunge; die Lenzsonne vergoldete ringsum das liebliche Grün der Tannen, und kleidete die Natur in ein prachtvolles Festgewand . . . Träumend von einer schönen Zukunft, Gott dankend mit überfließendem Herzen, Alles, was er liebte, sich vor die Seele zaubernd, seufzend vor Liebe, lachend vor Glück, schritt der Jüngling immer rascher fort, bis er sich ungefähr eine halbe Stunde Weges von seinem Geburtsdorfe befand.

Dort blieb er plötzlich zitternd stehen, als ob eine häßliche Erscheinung ihn mit Schreck und Verwirrung geschlagen habe.

Aus einem Seitenwege waren drei Herren auf den Steindamm getreten; der Eine war Herr von Bruinkasteel.

Es wäre schwer zu sagen, ob diese Personen den jungen Bauer bemerkt hätten: sie sahen ihn jedoch nicht an, sondern schlugen den Weg nach dem Dorfe ein.

Karl war rathlos. Mit dem Baron wollte er jetzt nicht in ein Gespräch kommen, denn er fühlte an dem Pochen seines Herzens, wie gefährlich es für ihn werden könne, wenn ein Feind ihn auch nur mit einem einzigen Worte verhöhnte. Stehen bleiben konnte er jedoch auch nicht. Seine Ungeduld, die Geliebte wiederzusehen und seine Mutter zu umarmen, riß ihn zu mächtig vorwärts.

Nach kurzer Ueberlegung faßte er rasch einen Entschluß. Er sprang von dem Steindamme auf einen Nebenpfad und lief zwischen Gebüsch und Feld auf Umwegen seinem Dorfe zu.

* * *

Ueber dem Dorfe schweben die langsamen Klänge der Todtenglocke . . . Auf dem Kirchhofe gähnt ein frisch aufgeworfenes Grab. Jeder Ton des Trauergeläutes halt wieder in der wartenden Grube. Es ist, als stiege eine hohle Stimme aus dem Boden empor, als seufzte die Erde voll Verlangen: »Komm, komm, komm!«

Selbst die Sinne der Thiere werden schmerzlich ergriffen von dem dumpfen Ruf des Todes. Die Hunde heulen, die Stiere brüllen dem Glockengeläute entgegen; und dennoch umfängt eine tiefe Stille die ganze Gemeine. Man verspürt keine andere Bewegung als den trägen Gang von einsamen alten Leuten, die mit Gebetbuch und Rosenkranz wie stumme Schatten nach der Kirche wandeln.

Fernher naht ein trauriges Gefolge . . . Aber wie schön zeigt sich hier der Zug nach dem letzten Ruheort!

Vier Jungfrauen in schneeweißen Gewändern tragen die Leiche ihrer Gefährtin, welche in der Blüthe des Lebens starb; andere, ebenso gekleidete Mädchen gehen nebenher, um, wenn die Reihe an sie kommt, die theure Last auf ihre Schultern zu nehmen. Hinter ihnen folgen alle Töchter der Gemeine, mit Blumen oder Weihepalmen in der Hand, ja, selbst die kleinen Mädchen, deren unschuldiges Gemüth noch nicht begreift, was das Wort »sterben« bedeutet. Viele weinen bitterlich; Alle gehen mit gesenktem Haupte und trauern über die arme Lisa, die ach! so unschuldig gebüßt hat.

Auf den Sarg sind Blumen gestreut, Rosen und Lilien, Sinnbilder jungfräulicher Reinheit. Sie duften so frisch, sie prangen so lieblich auf dem weißen Bahrtuch . . . In dem Sarge liegt auch eine Blume, eine Lilie, die der Wurm des Leides zernagt, kalt und bleich; ein unschuldiges Lamm der Sühne, ein schuldloses Schlachtopfer des Hochmuthes und der Aufgeblasenheit.

Nur drei Männer folgen unmittelbar der Leiche. Auf der einen Seite geht Kobe, der Knecht, auf der anderen Sus, der Schmied.

Mitleidig weinend unterstützen sie einen Dritten, der wie ein Betrunkener auf den Beinen schwankt. Er bedeckt sein Angesicht mit den Händen; Thränen tröpfeln durch seine Finger, seine Brust keucht sichtbar unter peinlichem Schluchzen . . . Armer Gansendonck! schuldvoller Vater! Du darfst das Auge nicht mehr auf die Bahre richten! Bei jedem Blicke nagen Gewissensbisse Dir das Herz blutig, nicht wahr? Du zittert vor Angst und Beschämung? . . . Aber ich will nicht in Dein Herz schauen. Deine Marter flößt mir Ehrfurcht ein. Deinen unglücklichen Hochmuth vergessend, weine ich auch Thränen des Mitgefühl über Dein bitteres Leiden . . .



Man naht sich dem Felde des Todes. Dort ist der Priester, der das letzte Gebet über der Leiche sprechen soll . . .

Aber was erfüllt Jeden mit Schrecken und Bestürzung? Warum dieser Schrei der Angst, der zu gleicher Zeit sich aus jeder Brust drängt? Welche gräßliche Erscheinung macht die Jungfrauen zittern?

Gott! dort ist Karl! Er bleibt einen Augenblick, wie vom Blitz getroffen, stehen und starrt mit wildem Blicke auf den Leichenzug, der ihm plötzlich vor die Augen gekommen ist . . . Niedergeschmettert erkennt er, was sich zuträgt. Die Haare steigen ihm zu Berge. Er eilt herbei; er stürzt neben der Leiche nieder; gewaltsam stößt er die Jungfrauen fort, reißt das Bahrtuch ab, und reißt sich die Hände blutig an den Schrauben. Er will den Sarg öffnen; er ruft seine Lisa; er schreit, er weint, er lacht . . . Es kommen Männer herbei und ziehen ihn mit unwiderstehlicher Gewalt von der Leiche weg . . . Aber eine neue Erscheinung entreißt ihm einen Schrei der Rache, so gräßlich und gewaltig, daß Jeder davor zurückbebt. Was hat denn ein verwildertes Auge gesehen, daß er wüthend Alles aus dem Wege räumt, und mit furchtbarem Geschrei auf Etwas, das ihn ärgert, zuläuft?

Himmel! dort an dem Fenster eines Wirthshauses steht der Baron!

Wehe! wehe! Wahnsinnig zieht der Jüngling ein Messer aus der Tasche. Es funkelt so gräßlich in der Sonne. Rasch springt er in das Wirthshaus. Es wird ein Mord geschehen. – Aber nein! er strauchelt an der Schwelle und fällt wie ein Stein mit dem Kopf auf den Boden. Jeder hebt schreiend die Arme empor, Jeder zittert . . . Aber Karl steht nicht wieder auf; er bleibt liegen, als hätte der Tod in ihm ein neues Opfer gefunden.

Der Baron, sein Feind, ist der Erste bei ihm. Er hebt mitleidig den Jüngling vom Boden auf. Auch an ihm nagt die Reue; auch ihm ruft Etwas zu: Dein Leichtsinn hat Antheil an dem Unglück, das hier ringsum so schrecklich wüthet!

Kobe läuft ebenfalls herbei. Beide setzen den Jüngling auf einen Stuhl und benetzen ihm Stirn und Brust mit Wasser. Er bleibt jedoch todtenbleich und bewegungslos sitzen . . .

Unterdessen murmelt der Priester den letzten Friedensgruß über einem Grabe, und dumpf rollen die Erdschollen auf einen Sarg . . .

Karl hat sich von der Ohnmacht erholt. Der Baron will ihn trösten . . . Kobe spricht zu ihm von seiner Mutter. Aber der Jüngling kennt weder Freund noch Feind mehr. Etwas Gräßliches blickt aus seinen Augen. Er lacht und scheint so glücklich. Er ist wahnsinnig.

Lieber Leser! Wenn Du einst zufällig durch das Dorf kommt, wo diese traurige Geschichte sich zugetragen hat, dann wirst Du vor der Brauerei zwei Männer auf einer Bank sitzen sehen und spielen, als ob die Beide noch Kinder wären.

 

Der Jüngste hat ein lebloses Gesicht, obwohl das Feuer des Wahnsinns in seinen Augen glüht; der Andere ist ein alter Knecht, der mit liebreichem Mitleid für ihn sorgt und sich bemüht, ihn zu trösten.

Frage den Knecht nach der Ursache von seines Herrn Unglück; der gute Kobe wird Dir traurige Dinge erzählen, Dir das Grab zeigen, wo Baas Gansendonck neben einem Kinde den ewigen Schlaf schläft, und sei gewiß, er wird seine Rede unfehlbar beschließen mit dem Spruche:

Hochmuth ist die Quelle alles Uebels