Das Eulenrätsel

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„Achtung, Tiger!“ Eine riesengroße gestreifte Katze sprang ins Freie.

„Entschuldigung“, murmelte Alwin, „wusste nicht, dass gerade gesprochen wird!“ Zu Lisa gewandt meinte er: „Jetzt haben wir wahrscheinlich gerade ein tierisch ernstes Gespräch unterbrochen!“

Lisa sah auf die Katze, die unter dem nächsten geparkten Auto verschwand und murmelte, „Alwin, ich glaube, wir müssen wirklich vorsichtig sein!“

„Genau! Darum sollten wir gefährliche öffentliche Anlagen meiden und lieber von meinem Mobiltelefon aus anrufen, aber bitte…“ Er überlegte kurz. „Vielleicht könnte es sich dabei ja auch um einen literarischen Hinweis handeln? Also, dann übernehme ich, wie ausgemacht, die Gesprächsführung mit Mac Futuroy und du übernimmst die mit der Katze, vielleicht versteht sie dich ja!“ Langsam schloss sich die Tür der Zelle.

Lisa ging langsam ein paar Schritte die Straße hinunter und ertappte sich bei dem Gedanken, Alwin möge den kontaktfreudigen Unternehmer gar nicht erreichen. Doch ihre Hoffnung erwies sich als nichtig.

„Schöne Grüße. Mister Futuroy wirkte erfreut, als er von uns hörte und hat uns für heute Nachmittag eingeladen.“

Eine Stunde später verließen sie tatsächlich das Hotel und machten sich zum Fährhafen von Stornoway auf den Weg.

„Von Ullapool mieten wir einen Wagen nach Inverness, Glen Affric liegt südwestlich von der Stadt. Futuroy hat mir den Weg genau beschrieben!“

Die Fahrt nach Inverness verlief ruhig und sie kamen gut voran. Lisa fiel auf, dass sie überhaupt wenig miteinander gesprochen hatten, seit sie in den Highlands angekommen waren. Je weiter sie nach Osten kamen, desto mehr Wolken brauten sich zusammen. Als sie Inverness erreicht hatten, begann es zu regnen.

„Und jetzt?“. Diesmal war es Lisa, die das fragte.

„Wir sollen uns südlich halten, die Hauptstraße Richtung Perth, und Futuroy von unterwegs aus anrufen, er würde uns lotsen!“

„Wahrscheinlich hat er einen Vertrag mit den heimischen Mobilnetzbetreibern!“, ätzte Lisa. Der Regen wurde immer heftiger. Bald krochen sie nur noch wie die immer seltener werdenden anderen Autos dahin.

„Wenn das so weitergeht, wird es Mitternacht, bis wir ankommen!“

„Wenn wir überhaupt ankommen. Was steht auf dem Schild da vorne? Ich glaube wir müssen abbiegen!“ Alwin fuhr fast schon Schrittgeschwindigkeit und betätigte den Blinker. Sie fuhren von der Hauptstraße ab und befanden sich auf einer von hohen Bäumen gesäumten Straße mit Schlaglöchern und Pfützen.

„War das jetzt schon die richtige Abzweigung? Die Straße ist eng, hinter uns fährt niemand, und es kommt uns seit fünf Minuten schon kein Auto mehr entgegen!“

„Futuroy hat den Weg so beschrieben. Aber ich sehe kaum noch etwas!“ Alwin hielt und stellte die Warnblinkanlage an.

„Du erlaubst?“ Er holte sein Telefon aus der Jacketttasche und wählte.

Grauschwarze Wolken jagten über den Himmel, die Bäume verloren ihre Blätter, als wäre es schon Herbst, und dicke Regentropfen trommelten lautstark gegen das Wagendach.

„Danke, Mister Futuroy, das ist sehr zuvorkommend von Ihnen!“ Alwin schob das Telefon wieder ein und legte seinen Arm über Lisas Sitzlehne.

„Er schickt seinen Chauffeur, er wird uns den Weg zeigen!“

„Wahrscheinlich einen einäugigen Quasimodo in schwarzer Pferdekutsche, einem langen Umhang, spitzen Zähnen und einem Sarg im Schlepptau!“, brummte Lisa.

Quasimodos Pferdekutsche war tatsächlich schwarz, hatte jedoch bedeutend mehr Pferdestärken. Der Range Rover war das einzige Auto, das ihnen in der nächsten dreiviertel Stunde begegnen sollte. Alwin startete und folgte dem schweren Geländewagen durch den nicht enden wollenden Regen.

Kapitel 13 Bedrohung im Nichtigen Reich

Eigentlich hatte er vorgehabt, die Gruppe, der nicht die Flohspinne Tarantilli angehörte, als erste zu informieren. Da man jedoch bei dieser Ansammlung kaum von einer Gruppe als solcher reden konnte, entschied er sich trotz Spinnenbissgefahr, der zweiten Interessensgemeinschaft seine Informationen zukommen zu lassen. Um so positiver überrascht war er, als er nach der Rückkehr von seinem Spionagefeldzug keine Flohspinne mehr sichten konnte.

„16 Uhr 42 Minuten 25 Sekunden, wir haben also noch genau 3 Stunden 17 Minuten und 35 Sekunden Zeit zu rasten!“ Elester, Merlot und Jim schliefen, während Eulalia alle zwei Minuten auf ihre Swatch blickte, um ja nicht die Zeit zu übersehen und sich vorzeitig aufzulösen. Sucky lag zu ihren Füßen. Er liebte seine neue Freundin sehr, da er durch sie für alle Zukunft von Hungersnöten befreit schien. Und da Eulalia es liebte, geliebt zu werden, hatte sie sich mit Sucky arrangiert.

„Autsch!“ Penny Lo kratzte sich am Hals. Kurz darauf begann es sie auch an den Armen heftig zu jucken.

„Was ist denn los?“ Pat richtete sich auf.

„Ha, nichtige Insekten! Warum jucken die denn?“ Eulalia war aufgesprungen und kratzte sich schon prophylaktisch.

„Nun, wir werden ja auch von den Pflanzen und Tieren dieses Waldes satt. Warum sollten Föhe dann nicht von uns satt werden“, bemerkte Pat verschlafen, riss eine nichtige Waldbeere von einem Strauch und frühstückte.

„Ja, juckt wohl wie ein Flohbiss!“ Eulalia sah aus, als hätte sie Seife im Mund.

„Ich bin kein nichtiges Insekt, du olle Trosse!“

„Wie bitte? Was hast du zu mir gesagt?“, fragte Eulalia verunsichert.

„Ich? Nichts“, antwortete Penny Lo.

„Olle Trosse!“

„He, was soll das?!“

„Aber, ich hab wirklich nichts gesagt, Miss Birdwitch!“

„Doofe, doofe, olle Trosse!“

„Ich verbitte mir das! Also DU hast mich die ganze Zeit genervt!“ Wütend, gereizt und überspannt von den für einen amerikanischen Mittelstandsgeist apokalyptischen Erfahrungen der letzten Tage ging Eulalia mit erhobenem Zeigefinger auf Penny Lo zu. „Ich höre doch nicht schon Stimmen! Lass diese Scherze!“

„Miss Birdwitch, ich hab es auch gehört, aber das ist nicht Penny Lo“, mischte sich Pat ein.

„Ihr verwöhntes verzogenes Pack, euch werd ich die Leviten lesen“, ertönte das Stimmchen aufs Neue.

Mit verblüfftem Gesicht kratzte sich Eulalia ratlos und langsam am Kinn.

„Haha, bin ich nicht gut?! Meine Verehrung, die Herrschaften, darf ich mich vorstellen? Ich bin Filbus, der Eulenfloh:

Stets zur Hand,

wie jeder weiß,

tropft aus mir nicht kalter Schweiß?

Wenn ich mich zum Feinde wage,

Um zu spionieren, alle Tage!

Bin der Beste wohl in meinem Fach,

da sagt jeder Feind: Ach, ach!!

Geschwind bring Informationen ich,

doch lass dich dann im Stich!

Denn niemand kann mir ganz vertrauen,

doch dafür Mauern gegen Feinde bauen!

Grüß Euch Gott,

Ihr lieben Leut,

jetzt ist Filbus Flöhe Zeit!

„Ahhh! Ich hasse Flöhe!“ Sucky frühstückte, rülpste jedoch irritiert, da Eulalia fast auf ihm ausgerutscht wäre.

„Olle Tante, du hast keinen guten Geschmack!“, sprach das helle Stimmchen von Eulalias Kinn.

„Wass’n llos?! Ruhe, es ischh noch Middernacht!“ Jim drehte sich auf die andere Seite und schlief sofort wieder ein, während sich Elester kerzengerade aufrichtete. Er klappte seine Metallspitzen aneinander.

„Ich höre eine fremde Stimme!“

„Und ich rieche sie!“ Merlots Nasenlöcher blähten sich. Umständlich schob Elster seine Kapuze aus der Stirn und sah sich um.

„Wer da? Wer ist zu uns gestoßen?“

„Haha, ich war immer wieder mal unter euch, und ihr habt mich nicht bemerkt!“

„Ein Floh! Ein hinterlistiger Floh!“, jappte Eulalia. „Und ich dachte, IHR würdet immer diese gemeinen Sachen sagen, entschuldigt bitte! “ Die einzig normale Erwachsene versuchte, Elester und die anderen anzulächeln.

„Wo bist du, Floh? Gib dich zu erkennen“, murrte Elester übel gelaunt.

„Wer kann schon einen Floh erkennen? Bin einmal hier und einmal dort, sage allen ein richt’ges Wort. Frag nie nach dem Ziel der Reise, für Informationen kenn ich Preise.“

„Ja, ja, ist schon gut, dann bleib halt unsichtbar. Aber was willst du eigentlich, und woher kommst du?“, unterbrach Penny Lo das Lautgedicht des vorlauten Insekts.

„Woher ich komm? Nun höre zu, bin auch gefangen im Nichtigen Reich wie du, mit euch bin ich gereist und…“ Da der Floh zu müde war, weiter in Reimen zu reden, sprach er endlich Klartext. „Ihr müsst wissen, ich bin nur so gut in meinem Beruf, weil ich Workaholic bin. Als die große Gruppe sich gespalten hat, hab ich mal die eine, mal die andere Gruppe ausspioniert! Natürlich wissen die anderen jetzt bereits, dass ihr an der Grenze gewesen seid, und ich hab ihnen noch Weiteres erzählt. Zugegeben, ein bisschen geflunkert habe ich schon, aber immerhin, damit es euch nicht langweilig im Nichtigen Reich wird, hab ich es geschafft.“ Filbus schwieg plötzlich geheimnisvoll.

„Was hast du geschafft?“, fragten Pat, Penny Lo und Elester fast gleichzeitig zu Eulalia gewandt, die sich unentwegt kratzte.

„Ich habe es geschafft, dass Professor Draciterius und Dr. Sanguinis Anatomis sich wieder vertragen!“

„Gratuliere, und wie?“

„Tja, wie immer im Leben gibt es irgendwo einen Haken…“

„Na, sag schon!“, drängte Eulalia und hoffte, je früher alles zu Sprache käme, desto eher würde der Floh wieder verschwinden.

„Das kostet, liebe Leute, das kostet! Aber ich kann euch versichern, es ist für euch von lebenswichtiger Bedeutung; wenn nicht, könnt ihr den Preis für die Information wieder zurückerhalten!“

Drei Minuten später war das Geschäft besiegelt, nachdem als Verhandlungsbedingung ein Beißverbot verhängt worden war. Rasch kam der Floh zum Thema.

 

„Also, Professor Draciterius und Dr. Sanguinis Anatomis vertragen sich wieder. Aber, wie ich schon sagte, alles hat seine Schattenseite. Die beiden haben sich deshalb verbündet, weil sie glauben, einen großen gemeinsamen Feind zu haben.“

„Ach ja, und wer ist der Feind?“, knurrte Elester.

„Tja, wie gesagt…“

„Raus damit!“, schrie Eulalia kampfbereit.

„Na, ist das so schwer zu verstehen? Ihr seid der Feind, ihr! Gewissermaßen…“

„Was hast du erzählt?“, fragte Pat entrüstet. „Etwa dass wir gegen sie kämpfen wollen?“

„Na ja, in gewisser Hinsicht. Es ist nun jedenfalls so, dass sie versuchen eine Armee zu rekrutieren.“

„Eine Armee?! Wenn ich dich jetzt sehen könnte, würde ich dich…!“

„Aber das ist ja das Gute, dass ich unsichtbar bin. Keine Angst, nachdem alle anderen der Gruppe in diverse Richtungen verstreut sind, besteht die Armee hauptsächlich aus zwei Personen. Ihr könnt raten aus wem!“

Nach einem kurzen Schweigen murrte Elester: „Aber was wollen sie von uns, uns vernichten?“

„Nein, das nicht. Bevor sich die Gruppe gespaltet hat, sagte Raven allen, dass sie unbedingt die Grenze überqueren müssten, um zurück ins Buch zu gelangen. Jetzt wollen sie wissen, wie man zur Grenze kommt.“

Elester lachte auf, und Eulalia fragte verwundert: „Wieso? Ich dachte es reicht, wenn man zur Grenze will! Dann kommt die Grenze schon mal auf einen zu!“

„Nun, die Grenze kommt nicht auf die ehrenwerten Herren zu, weil sie ja nicht um der Grenze willen zur Grenze wollen, sondern weil sie ins Buch wollen, das hat die Grenze natürlich beleidigt…!“

„Als ob es nicht reichen würde, dass wir uns hier in einem Reich befinden, wo man damit rechnen muss, sich nach längerer Ruhe aufzulösen… Jetzt werden wir auch noch verfolgt!“, stöhnte Eulalia

„Aber was ist mit Bel Raven, warum verfolgen sie die nicht?“, fragte Pat und sah auf einen Ast über ihm.

„Tja, von ihr weiß nicht einmal ich, wo sie sich gerade befindet“, seufzte der Eulenfloh und wirkte in seiner Ehre gekränkt.

„Aber was sollen uns die beiden schon tun? Das ist doch lächerlich“, wandte Penny Lo ein.

„Sagen Sie das nicht, junge Dame!“ Das Mädchen drehte sich schnell um. Die Stimme kam jetzt von einem Strauch hinter ihr. Mittlerweile ging es schon allen auf die Nerven, immer woanders hinzuhören, da der Floh natürlich ständig herumhüpfte. Offenbar hatte er sich jetzt auf Elesters Kopf gesetzt, der mit beiden Augen nach oben sah.

„Es stimmt, dass die Armee aus zwei Personen besteht, aber eben auch aus 199 Falken, 397 Moskitos und 65 Tauben!“

„Wie bitte?“

„Nun, alle namenlos zwar, aber wenn sich die Herrschaften an das Buch erinnern können… dort wurden sie erfolglos als Suchtrupp eingesetzt. Jetzt befinden sie sich in militärischer Ausbildung!“

„Oh, Gott, wir werden von Falkenschnäbeln, Taubenkacke und Stechmücken bedroht!“, maulte Eulalia, während Elester seinen Kopf schüttelte.

„Ist das ein Witz? Die beiden könnten uns doch fragen, wie man aus dem Nichtigen Reich herausfindet“, meinte Pat.

„Aber sie hätten sich nie einigen können, gemeinsame Sache zu machen, wären sie nicht durch einen Feind verbunden! Die Tiere würden sich nicht mit ihren fanatischen, feurigen Reden für sie einsetzen und… Vorsicht!“, jappte der Floh, und es waren seine letzen Worte für längere Zeit.

Kapitel 14 Haus Swansteen

Obwohl die Scheibenwischer auf höchster Stufe über das Frontglas huschten, war die Sicht so schlecht, als kippte jemand Eimer voll Wasser über das Autodach. Alwin konzentrierte sich darauf, die Rücklichter des Range Rovers nicht aus dem Blick zu verlieren. Lisa ermahnte ihn immer wieder, nicht zu schnell zu fahren, doch das führende Auto gab ein Tempo vor, dem schwer zu folgen war. Mittlerweile war es Abend geworden. Vom Wind und Regen gepeitscht, fielen kleine Äste auf die Straße. Jede Unebenheit im Beton wurde zum Regenloch, und so sprangen und schwammen Alwin und Lisa mehr über die schmale Landstraße als dass sie fuhren. Nach ungefähr fünf Kilometern blinkte das schwarze Auto vor ihnen und bog rechts ab. Es ging nun langsamer über eine Schotterstraße. Die beiden erwarteten jeden Moment das Wohnhaus vor sich zu sehen, während das Unwetter nach wie vor tobte. Dicht an Laubbäumen vorbei führte der schmale Weg, der nur für eine Fahrspur ausreichte. Äste kratzten an den geschlossenen Seitenfenstern und mehr als einmal schrak Lisa zurück, wenn einer davon brach.

„Hoffentlich erreichen wir bald dieses Haus, ich bekomme Kopfweh“, war der einzige Satz den sie in einem Zeitraum von zehn Minuten von sich gab.

„Nun, es kann nicht mehr allzu weit sein, wir haben ja auch nicht ewig auf den Wagen gewartet!“, entgegnete Alwin, doch auch ihm wurde langsam etwas mulmig. Hier in der Einöde waren sie Quasimodo ausgeliefert, oder wer auch immer der unbekannte Chauffeur sein mochte. Was, wenn Mac Futuroy ihnen gar nichts Wichtiges zu bedeuten hatte, diese Fahrt umsonst wäre oder sich der eigenartige Jungunternehmer als der Ururenkel von Graf Dracula erweisen würde? Als sie bergauf fuhren, um nach einem kurzen Plateau wieder steil bergab zu rutschen, begannen Alwin und Lisa ihren Beschluss vorsichtig zu hinterfragen.

„Warum sitzen wir eigentlich nicht bei einem Glas Sherry auf einer Dachterrasse in Nizza, und lassen uns die Sonne auf den Pelz scheinen?“, stellte Alwin zur Diskussion.

„Warum sind wir eigentlich keine Galapagoslemuren auf Alphazentauri zehn und leben von Philanthropie?“, entgegnete Lisa.

„Du erstaunst mich immer wieder mit deinen Urlaubsplänen!“, konterte ihr Mann, während er versuchte einem Schlagloch auszuweichen. Dem Range Rover machten diese Bodenverhältnisse nicht allzu viel aus. Alwin wollte schon zu Lisa sagen, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, bis die Achse ihres Autos brechen würde, da krachte es. Etwas gab unter dem linken Vorderrad nach, sie sackten ein, die Lenkung reagierte kaum mehr und sie schlitterten gegen den nächsten Baum. Da ihre Fahrtgeschwindigkeit jedoch fast Schritttempo gewesen war, wurden Alwin und Lisa nur leicht nach vorne geschleudert.

„Sind Sie verletzt?“ Ein älterer Herr in schwarzer Chauffeurslivree unter einem Regenschirm beugte sich in den Wagen.

„Nein, aber ich fürchte das Auto ist fahruntauglich!“, murrte Alwin.

„Bitte die Herrschaften im Range Rover Platz zu nehmen. Mister Futuroy wird sich gewiss morgen um den Wagen kümmern!“

Im Vergleich zu ihrem Mietauto kam sich Lisa in dem neuen Gefährt wie in einer Sänfte vor. Obwohl die Schlaglöcher nicht weniger wurden, schwebten sie fast über den Kies. Der Fahrer schwieg. Die beiden Gäste lehnten sich in die Ledersitze, eine Duftwolke von würzigem Tabak umgab sie. So fuhren sie, bis die Nacht hereingebrochen war und der Wagen vor einem hohen Gittertor hielt. Auf Knopfdruck des Chauffeurs öffnete sich die Absperrung und der Wagen passierte die Einfahrt. Alwin und Lisa sahen zu den Lampen am Wegesrand empor. Obwohl der Regen etwas schwächer geworden war, bog heftiger Wind die Pappelspitzen der Allee in alle Richtungen. Noch war keine Hauseinfahrt zu sehen, immer wieder tauchten Pappeln hinter scharfen Kurven auf. Erst nach weiteren fünf Minuten gab die verschlungene Zufahrt den Blick auf Mac Futuroys Anwesen frei.

„Nette Hütte!“, meinte Alwin, nachdem ihnen der Chauffeur die Türe des Wagens geöffnet hatte.

Lisas Nackenmuskel waren auf Hochspannung, die Fahrt hatte den Kopfschmerz verstärkt. So warf sie nur einen kurzen Blick auf das Gebäude, das in viktorianischem Stil erbaut vor ihnen thronte. Der Chauffeur wies sie auf den mit Steinfiguren gesäumten Treppenaufgang, wiederum sprang die Türe wie von alleine auf. Dahinter trat eine Frau mit asiatischen Zügen in den Türrahmen, ihr Hausanzug war aus reiner Seide. Sie lächelte Alwin und Lisa freundlich an.

„Seien Sie gegrüßt, Mister Futuroy erwartet Sie schon!“ Die Frau verbeugte sich leicht, Alwin und Lisa folgten ihr. Kristallkugeln an den Wänden erleuchteten die Eingangshalle, an der Decke war ein in allen Spektralfarben strahlender Luster befestigt. Es wurde ihnen bedeutet, Schuhe und Socken auszuziehen, auf einem dicken Perserteppich schritten die beiden durch den mit Marmorsäulen gezierten Gang. Portraits von schottischen Nationalhelden schmückten die Wände, dazwischen befanden sich Palmen und Spiegel, die das Licht reflektierten. Schließlich blieb die Frau stehen, verbeugte sich nochmals und zog sich zurück. Automatisch öffneten sich die Flügel einer Türe und ihr Gastgeber erschien.

„Willkommen auf House Swansteen! Wie freut es mich, Sie bei so guter Gesundheit wiederzusehen und in meinem bescheidenen Heim begrüßen zu dürfen. Es ist mir wirklich eine ausgesprochene Freude!“

Lisas Schläfen pochten, als sie Mac Futuroy mit einem breiten Grinsen und offenen Armen empfing.

„Ich hoffe, Sie werden sich hier wohlfühlen. Wie nett, dass Sie sich entschieden haben, mich zu besuchen! Morgen werde ich mich natürlich um das kaputte Mietauto kümmern, keine Sorge!“

Lisa war froh, als ihr Gastgeber nach ein paar kurzen Freundlichkeiten schließlich meinte: „Sie sind sicher müde nach der aufregenden Reise. Ihr Zimmer wurde bereits gerichtet. Wir werden ja in den nächsten Tagen genügend Zeit haben, uns eingehender zu unterhalten! Yin Su wird Sie nach oben geleiten.“

Die Frau, die sie vorhin in Empfang genommen hatte, verbeugte sich wieder und führte sie zu ihrem Zimmer, das so geräumig wie eine eigene Wohnung war. Lisa atmete auf und ließ sich auf das Plüschbett fallen. Sie schloss die Augen, froh für Momente nur Dunkelheit und kreisende Lichtflecke zu sehen.

„Wenn du mich fragst, der Sohn eines reichen Einheimischen mit genügend Startkapital, um in Amerika zu punkten. Er beschäftigt sich wahrscheinlich mit irgendeiner esoterischen Tradition wie Wum Wei oder Ti Quan Tei oder so…“, stellte Alwin sachlich fest. Lisa musste lachen, obwohl sie das Gefühl hatte, als hämmerten hundert kleine Bergwerksleutchen mit Bolzen und Hammer gegen ihre Schädeldecke.

„Jedenfalls genügt seine Präsenz nicht, um meine Kopfschmerzen verschwinden zu lassen!“

„Wo tut es denn weh?“ Alwin setzte sich aufs Bett, und legte Lisa die Hand auf die Stirn. „Entspann dich!“

Doch pötzlich sprudelte es aus Lisa hervor: „Ach, Alwin, ich denke so viel nach. Über diesen Schreibfluss und die Geschichte. Warum habe ich die Fortsetzung eines Bestsellers geschrieben? Ich wusste, das Buch würde sich niemals veröffentlichen lasse Aber es war so… natürlich für mich. Ich hatte einen Traum, etwas erklang in mir. Etwas, das mich ermunterte, Neues zu erschaffen. Aber es war notwendig meine Geschichte in eine literarische Welt zu betten, die es schon gab. Eine Form von Kontrapunktion, sozusagen, oder von… literarsymphonischem Geschehen, wenn du so willst!“

Alwin stand abrupt auf und ging unruhig im Zimmer auf und ab. Frauen an sich waren ja manchmal schwer zu verstehen, aber Frauen mit kreativen Schreibflüssen schienen zu grenzenloser Kompliziertheit zu neigen!

„Du hast eben eine spezielle Ader für Musik und Literatur. Kein Wunder, das sind ja auch die Fächer, die du unterrichtest“, entgegnete er und verschränkte die Hände vor der Brust.

„Eben, sonst hätten wir ja niemals den Korken entdeckt!“, meinte Lisa prompt.

„Wie bitte?“

Lisa legte den Kopf schief, sah ihren Mann lange an bis ein Lächeln über ihr Gesicht huschte. „Das ist ungefähr so etwas wie das Klatschen der einen Hand. Im Zen würde man es Koan nennen.“

Es dauerte noch lange, bis die beiden endlich eng umschlungen auf Haus Swansteen einschliefen.

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