Das Eulenrätsel

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„Leute, wer oder was, wie und wieso, wodurch und weswegen, ob wir oder ob wir nicht existent sind, das tut jetzt alles nichts zu Sache! Auch wenn es uns gar nicht gibt, wäre es furchtbar langweilig, uns nicht vom Fleck zu bewegen. Also schlage ich vor, wir gehen einfach weiter!“, rief Penny Lo so laut sie konnte.

„Gehen, aber in welche Richtung? Das ist hier die Frage!“, ereiferte sich Professor Draciterius aufgebracht. „Ob´ s edler im Gemüt... alle, die an unumstößliche Größen wie Bilderrahmen glauben, gehen mit mir. Wir gehen dorthin zurück, woher wir gekommen sind! Von dort werden wir unsere geistige Heimat zurückerobern – mithilfe genauer wissenschaftlicher Analyse der Wirklichkeit!“ Angesichts der Bedrohung völliger Identitätslosigkeit ging ein fanatischer Aufschrei durch die Gruppe.

Elester erblasste. Die meisten seiner Kumpanen scharten sich um den Professor. Er stand auf und sah sich um. „Nun… Wenn es so sein soll, wer geht dann mit mir?!“

Bel Raven kam mit Eulalia vom Tümpel zurück. Sie stellte sich mit der Willenlosen hinter Elester. Auch Pat Swift und Penny Lo gesellten sich zu ihm.

„Konfrontiert mit dem Nichtsein ziehe ich die Aussicht auf ein fortschrittliches Nichtseins der Aussicht auf ein rückschrittliches Nichtsein vor, also komme ich mit euch! Ihr müsst mir nur eines versprechen!“, bemerkte Merlot.

„Und das wäre?“, erwiderte Elester matt.

„Tagsüber muss ich mir die Augen verbinden, da brauche ich unbedingt jemanden, der mich führt!“

„Aberrrr dass isch doch klar, mmmein Junggge!“ Jim Hicksley torkelte herbei. „Wo DU bissch, da binnn auch ich! Highly!“

„Fein, dann sind wir ja eine wirklich starke Truppe!“, brummte Elester, während ihm seine Kapuze vor die Augen rutschte.

„Elester...“

„Ja, Bel...“

„Nun, ich kenne unsere Geschichte ja schon, und an dieser Stelle fragt Bel Raven Elester, ob er sehr verzweifelt wäre, wenn sie, natürlich nicht wegen des Glaubens an unumstößliche Größen, sondern vielmehr wegen narrativer Umstände, sich der Gruppe der siebenunddreißig anschließen würde.“

„Und was sagt Elester da?“, fragte Elester.

„Er sagt: ‚Ja, ich bin sehr verzweifelt, aber bitte geh mit den anderen, da ich so oder so sehr verzweifelt bin!’“, erklärte Bel.

„Ja, ich bin sehr verzweifelt, aber bitte geh mit den anderen, da ich so und so sehr verzweifelt bin!“, wiederholte Elester. Bel schloss sich somit der größeren Gruppe an.

Die Nacht war hereingebrochen. Das Feuer warf einen flackernden Lichtkreis. Vom Waldrand her bewegte sich eine Gestalt auf sie zu. Die hintere Reihe der Fünfundvierzig teilte sich, und der Dunkelheit entsprang ein in Reiterhose, Stiefel und kariertem Hemd daherstapfendes monokeltragendes Individuum.

„Willkommen, Lord Waxmore, wir halten gerade eine Versammlung ab. Wollen Sie mit Professor Draciterius und den anderen zurück an den Ort, an dem unsere Reise begonnen hat? Obwohl sie diesen vermutlich nie finden werden. Aber wollen sie zurück, um der Hoffnung nachzuhängen, wieder in unser Buch zu gelangen, oder...“, fragte Elester lustlos.

„Guten Abend Mylords! Unser Buch? Was verbindet mich denn mit diesem Buch? Nichts als die Erwähnung meines Namens – keine Abenteuer, keine Aufgaben, ja nicht einmal eine Nebenhandlung wurde mir zugeschrieben. Nie und niemals möchte ich dorthin zurück!“, unterbrach der Lord Elesters Ausführungen.

„Ha, Niedergang des Adels! Sie werden sich noch ansehen, Mylord! Irren Sie nur blaublütig in diesem Nichtigen Reich herum! Im Namen der siegreichen Wissenschaft werde ich diesem unwürdigen Geschehen Widerstand leisten!“ Ohne weitere Verabschiedung, dafür mit wilden Schlachtrufen, stürmte Professor Draciterius Richtung Wald davon. Sechsunddreißig Individuen folgten ihm.

Sechsunddreißig Individuen?

„Nehmt mich mit!“, keuchte es aus dem Nirgendwo. Obwohl sich Penny Lo dreimal umdrehte, konnte sie nicht erkennen, wer gerufen hatte.

„Ich sitze auf deiner linken Schulter!“

Pat Swift grinste. Dann bemerkte er: „Das ist die Flohspinne Tarantilli! Sie ist so klein, dass sie kaum zu sehen ist, und sie wiegt auch nichts. Ich glaube, sie hat dich als Sänftenträger gewählt!“

„Na von mir aus...“ Plötzlich spürte Penny Lo einen Windhauch neben sich. Draculetta, die Fledermaus, landete auf ihrer rechten Schulter und piepste: „Nicht auszuhalten, dieser Haufen! Vor allem der Professor! Hu hält ja viel aus…“

„Wartet!“ Ein graubraunes Fellbündel kollerte Pat vor die Füße. „Erbarmen, ich komm auch mit euch!“, machte sich die Meerkatze Fischa bemerkbar. Sie sprang auf Pats Schulter, der entnervt wissen wollte: „Sind wir jetzt alle vollzählig?“

„Von den Tieren schon. Selim kann hinfliegen, wo er will, Mäusegroßvater Mero ist dem Trupp mit seinen Enkeln vorausgeeilt, BMS-Spatz Posi flattert auch voraus und hört nicht viel von den Schlachtrufen des Professors, und Geier Willy schwebt erhaben in den Lüften…!“

Pat wollte etwas sagen, bekam aber Fischas Schwanz ins Gesicht.

„Können wir endlich gehen…?“, flehte Merlot. „Solange es dunkel ist, sehe ich noch etwas von der Landschaft!“

Kapitel 3 Ein seltsamer Gruß

Lisa setzte sich im Bett auf, Alwin schien noch zu schlafen. Sie musterte das Innere der kleinen Strandhütte und lauschte den Geräuschen der sterbenden Nacht. Weit entfernt ließ eine Sumpfohreule einen fauchenden Laut hören. Ein Weibchen, dachte Lisa. Es dauerte nicht lange, da drang durch die aneinandergebundenen Bambusstäbe der Hüttenwand Licht. Einer der Strahlen zauberte Maracellas Nasenspitze hervor. Das Südeseemädchen machte es sich auf Lisas Bettdecke gemütlich und lächelte ihre Schöpferin an. Lisa lächelte zurück.

Eine Männerhand wanderte langsam Lisas Bein hinauf.

„Hey Kat, schon gefrühstückt? Komm, wir setzen uns raus! Wo ist Lerry?“, meinte Maracella plötzlich und sah zur Tür. Auch Lisa blickte auf die geschlossene Tür, ohne jedoch den verschlafenen und sehr ernsten Blick ihres Mannes zu sehen.

Kurz darauf saßen Alwin Richard und seine Frau an einem Tisch vor der Hütte. Vom Wind durch Sanddünen geschützt, verzehrten sie ihr Frühstück. Lisa hörte, wie sich Alwin nach ihrem Schlaf erkundigte. Sie gab eintönige Antworten, ihre Phantasie hingegen wurde bunter und setzte sich ebenfalls an den Tisch. Während Alwin nach Worten suchte, war Lisas Aufmerksamkeit von dem gefangen, was in ihrem Geist geschah: Als Lerry erschien, holte er etwas aus seiner Hosentasche und zeigte es Kat.

„Tja, es gibt ein Rätsel auf…“, meinte Kat nachdenklich. Nach einer Pause, in der Alwin die Hawaiianischen Koch- und Essgewohnheiten schilderte, fügte Kat leise hinzu: „Entschuldigung, Miss Richard, könnten Sie sich das bitte ansehen! Es könnte wichtig sein!“

Lisa schluckte. „Ein Stück Korken am Morgen und vielleicht landen Sie am Abend in einem Topf Gemüsesuppe und wundern sich, warum Sie noch immer keine Karotte geworden sind...“, leierte sie ohne mit der Wimper zu zucken vor sich her. Alwin blickte auf das Treibgut in Lisas Hand, dann auf die Ananas. Er schnitt weitere Scheiben davon ab und fragte sich im Stillen wieder einmal, ob die Ereignisse des letzten Jahres nicht vielleicht doch zu viel für seine Frau gewesen waren.

Ein Hawaiibussard schrie landeinwärts, während das Rauschen der Brandung mit den vergehenden Minuten stärker zu werden schien. Kat, Maracella und Lerry starrten schweigend auf Lisa, während Alwin die Lippen schürzte.

Lisa nahm eine der unzähligen Ananasscheiben und biss hinein. Wieder einmal strich sich Larry seine Haare glatt. Beide Ellbogen auf den Tisch und ihr Kinn in die Hände gestützt, ließ Maracella ihren Blick nicht von Lisa.

„Hmm..., klingt nach einem ungereimten Rätsel...“, murmelte diese und erschrak.

„Wie wirklichkeitsnah“, warf Alwin ein und legte das Messer weg. Er verschränkte seine Hände vor der Brust und versuchte zu lächeln, was sehr komisch aussah. Denn während sich sein Mund verzog, als hätte er auf einen unreifen Papayakern gebissen, standen seine Augenbrauen in Startposition für einen Paragleitflug.

Lisa starrte auf den Korken, der von den meisten Muscheln und dem Seetang befreit worden war.

Gefangen im Nichtigen Reich,

Unerhört ihre Geschichte,

Sie brauchen

Hilfe

Bald!

Unbekannterweise

Aus ganzem Herzen

Respektvolle Grüße an

„An wen diese Zeilen adressiert sind, ist nicht zu erkennen…!“, murmelte Lisa mehr zu sich selbst, währendAlwin sanft meinte: „Hm, Liebling, vielleicht legst du dich wieder etwas nieder!“ Dann nahm er Lisa den Korken aus der Hand. Er konnte die Schriftzüge jedoch nicht leugnen und wiederholte kopfschüttelnd die eingeritzten Worte. Schließlich ergänzte er, „Eine moderne Form, Grüße zu schicken. Wir leben ja im Zeitalter permanenter kommunikativer Erneuerungen. Vermutlich haben wir hier auf unserem Strand übersehen, dass Apple ein neues Tablet auf den Markt brachte! Aber wie dem auch sei…!“

Er sah kurz auf, ob sich seine Frau ein Lächeln abringen würde. Doch nichts dergleichen geschah. So fuhr er seufzend fort, „Tja, leider sitzt eine besonders ausdauernde Muschel über den Namen. Das dauert Wochen, bis die Anhaftung am Korken nachlässt. Das sagt der Biologielehrer in mir. Mr Holmes, da ist nichts zu machen! Um die Adressaten herauszufinden, müssen wir warten, bis die Muschel sich ablöst. Wenn wir versuchen, das Schalentier gewaltsam zu entfernen, wäre die Schrift vermutlich völlig unleserlich! Watson. Ende.“ Mit übertriebenem Ernst verschränkte er die Hände. „Aber dann können wir die Grüße ja weiterleiten!“

 

„Alwin, hör doch auf, vielleicht braucht jemand Hilfe!“, entgegnete Lisa ungeduldig, bereute es aber sofort. Paragleiter wurden durch einen Fallwind zur Stirnmitte gedrückt und Alwin meinte energisch, „Lisa, du mußt überhaupt niemanden retten! Das ist ein Stück Treibgut, das hat nichts zu bedeuten!“ Er beugte sich zu seiner Frau herab und sah ihr tief in die Augen.

„Nichts zu bedeuten?! Aber da steht doch, dass irgendwer ohne seine Geschichte rumläuft, genauso wie ich!“ Obwohl Lisa schwieg, spürte Alwin Maracellas Worte und ihren Blick. Ihr junges Gesicht sprühte vor Energie. Lisa hatte kurz den Eindruck, als wäre Maracella eine weise Furie, die sich gegen den Dämon der Vergessenheit wehrt wie eine ihren Nachwuchs verteidigende Wolfsmutter.

Alwin sah lange in die Augen seiner Frau. „Gut Lisa, mag sein, dass es eine Botschaft ist…“

Den Rest des Tages war Alwin besonders fürsorglich und verbrachte den größten Teil des Nachmittags mit Lisa innerhalb der Hütte. Als sie abends in ein nahe gelegenes Dorf essen gingen, fasste Lisa einen Entschluss. Bei einem Glas Cherry meinte sie leise, „Cherie, es ist zwar wunderbar hier, aber ich habe das Gefühl, wir sollten nach Schottland reisen!“ In diesem Moment knackte es. Alwin hatte auf die Sauerkirsche gebissen. Er zog das Stäbchen, an welchem die Kirsche gesteckt hatte, sehr langsam aus dem Mund. „Lisa…“

„Schau, wir haben die Hütte doch den ganzen Sommer über gemietet, wir könnten doch einen kleinen Abstecher nach Schottland machen und dann die zweite Hälfte der Ferien wieder hier verbringen!“

Ihr Mann sah ihr noch tiefer in die Augen. „Es ist wegen deiner Geschichte…“, meinte er langsam.

Lisa musterte den vorbeieilenden Kellner als würde er auf einem Laufsteg Pyjamas präsentieren.

„Lisa…, wieso jetzt?“

„Es ist dringend…!“

Alwin lachte auf, der Lampion über ihnen wackelte. „Aber es war doch von vornherein klar, dass du diese Geschichte nie wirst veröffentlichen können! Was willst du denn in Schottland, vielleicht über Schlossgeister recherchieren? Warum vergisst du das Ganze nicht und schreibst eine neue, eigene Geschichte. Vielleicht eine, die zufälligerweise in Hawaii beginnt?!“ Genervt blickte Alwin zu dem pendelnden Lichtkegel hoch.

Lisa holte tief Luft und richtete ihre Wirbelsäule gerade. „Weißt du, es sind diese Figuren, die ich erschaffen habe – aus dem Nirgendwo. Die brauchen mich!“

Ihr Mann stöhnte auf, dann sah er seine Frau an, als wäre sie ein Küken, das soeben aus einem Ei geschlüpft war und meinte sanft: „Natürlich, Jim Hicksley wird irgendwo in einem Kellergewölbe seinen Rausch ausschlafen und warten, bis Schneewittchen ihn wachküsst, und Elester Claw braucht deine Hände, damit er sich die Zähne putzen kann. Hast du dir überhaupt jemals überlegt, wie sich der Kapuzenmann die Zähne putzt?“ Endlich lächelte Lisa.

„Und Eulalia Birdwitch hat sich zu einer fliegenden Suffragette verwandelt und braucht Flugstunden zur Behebung ihrer Startschwierigkeiten. Aber vielleicht sollten wir Alice Schwarzer aufsuchen und sie informieren, dass das Patriarchat endlich im Untergang begriffen ist!“ Lisa schlang die Hände um ihren Mann, zerzauste seine Haare und küsste ihn lange.

Eine für den Radarschirm unsichtbare Mücke umkreiste schon seit drei Runden den Sonnenschirm, unter dem das Eis in Cocktail- und Fruchtsaftgläsern knackte. Vielleicht wartete sie auch auf den geeigneten Moment, um in einem der Riesenvögel zwischenzulanden und sich in einen anderen Kontinent fliegen zu lassen.

Als Lisa schließlich Maracella, Kat und Lerry in der großen Halle des Flughafens verabschiedete, musste sie sich einiges anhören.

„Ihr seht klasse aus... tolle Kostümierung, sehr unauffällig…“, maulte Lerry. Mit gemischten Gefühlen schielte er auf die beiden Erwachsenen. Sie wirkten wie Privatdetektive im Auftrag für den Scheich von Dubai. Alwin hatte eine Sonnenbrille von Armani auf und trug ein beiges Cordsakko von Lagerfeld, während Lisa in einem Rock von Gucci und in einer Seidenbluse von Channell steckte. Lerry hingegen steckte seine Hände tief in die Hosentaschen. Nur Maracella schien einigermaßen frohen Mutes, obwohl natürlich auch sie gerne mitgeflogen wäre. Ihre Augen strahlten Lisa an.

„Pass auf dich auf, ich verspreche dir, wir werden unser Möglichstes tun... vielleicht auch unser Unmöglichstes!“ Lisa umarmte ihre Jacke fester. Eine kleine Ewigkeit gehörte jetzt nur ihr und Maracella, eine Ewigkeit, die aber nicht länger als der Flügelschlag eines Pfauenauges dauerte.

„Na ja, dann alles Gute!“, murmelte Lerry. Er blickte zu Boden, als prüfe er, ob seine Sandalen sauber wären. Schließlich sah er lange in Lisas Augen.

Die Koffer waren schon eingecheckt, an der Sicherheitskontrolle standen kaum Passagiere. Das Flugpersonal an den Kontrollen war freundlich, es hatte heute schon genug Streitereien mit Fluggästen gehabt. Als Alwin sein Mobiltelefon mit einem Aufkleber zurückbekam, war keine Zeit mehr, sich zu wundern. Der Flug wurde zum dritten Mal aufgerufen, als die beiden Erwachsenen zum Terminal rannten.

Kapitel 4 Eine Gans ist nicht mehr ganz klar

Da Maracella seit achtundreißig Jahren nichts anderes zu tun hatte, als Südseemädchen zu sein, konnte sie schwimmen wie ein Fisch. Sie war schon weit vom Strand entfernt, die Wellen waren nicht hoch, sie legte sich auf den Rücken und ließ sich treiben. Da berührte sie etwas am Bein. Sie atmete tief ein. Da fühlte sie wieder einen Stoß im Rücken, doch auch diesmal ließ sich das Mädchen weitertreiben, als wäre sie ein Stück Holz.

„Tscherill! Ich bin doch kitzelig!“ Barthaare berührten Maracellas Wange. Eine Robbe tauchte dicht neben Maracella auf. Tscherill war Maracellas bester Freund, sie kannte ihn seit achtunddreißig Jahren, als er ihr damals das Leben gerettet hatte.

„Help!“

Wie vom Blitz getroffen sah Maracella um sich.

„Hallo, junge Dame! I’m so tired, nicht erschrecken, wenn ich rede, ich bin eine ganz normale Gans. Nun ja, vielleicht doch nicht ganz normal, habe leider viele ganz normale Menschen auf meiner Reise erschreckt bis jetzt, ja, es tut mir so leid, so leid, Cry Baby Cry, einige werden wohl zum Arzt gehen und erzählen, sie hätten eine Gans sprechen hören, Doctor Robert, ach, es tut mir jaaa so leid, aber es geht um Leben oder Tod! Lady Madonna, ich konnte nämlich nicht mehr zurück ins Buch! Nein! Nein! Don’t Let Me Down“, sprudelte es aus der Gans hervor.

„Hallo!“, sagte Maracella etwas zögerlich. „Du kannst mit mir reden, ich bin ja auch kein normales Mädchen und verstehe dich schon...!“

„Uff, endlich, du bist die erste seit achttausend Kilometer, die mich versteht! Thank you Girl!“

„Tja, eine Hawaiigans bist du nicht, die sieht anders aus und kann nicht fliegen. Aber komm, setzt dich auf meinen Kopf, du bist ja ganz erschöpft, liebe Gans, ich schwimm mit dir zum Ufer! Tschüß Tscherill!“

Endlich watschelte die Gans über den Sand. Lerry lag am Strand und las.

„Hallo, mein Junge, was liest du da? Doch nicht etwa dieses mysteriöse Buch, dem wir alle die Misere zu verdanken haben? It’s Been a Hard Days Night…“

Mit diesen Worten ließ sich die Gans augenblicklich in den Sand fallen.

„Schläft sie noch immer?“

Die Jungs nickten.

„Ist sie vielleicht tot?“

Lerry und Kat schüttelten den Kopf.

„Sagt ihr aber heute viel!“ Mürrisch setzte sich Maracella auf ein mit Gänsefedern gefülltes Sitzkissen. Da saßen sie nun alle drei neben dem unverhofften Gast.

Ein Geräusch ließ sie zusammenzucken. Es war die Gans, die mit geschlossenen Augen den Schnabel aus dem Gefieder zog, ein paar Mal laut schnatterte, um ihn wieder unters Federkleid zu schieben.

„Sie träumt wahrscheinlich!“, meinte Maracella ernst.

Lerry legte seine Karten auf die Bastmatte am Boden. „Poker, Kat, das Spiel ist aus!“

„Mist!“

„I’m Down. Wo bin ich hier gelandet?!“ Plötzlich riss die Gans ihren Kopf hoch und blickte sich um als sähe sie nur Gänseleber.

„Wir haben uns im Meer getroffen, kannst du dich erinnern?“, beruhigte sie Maracella.

„Good Morning Good Morning. Genau! Der erste Mensch, der mich verstand! Ain’t She Sweet. Verzeihung, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Selim, mein Name! Komme eigentlich ursprünglich aus dem Londoner Zoo! Jeah!“ Nach einer etwas umständlichen Begrüßungszeremonie, bei der Lerry, Kat und Maracella ihre Namen dreimal wiederholen mussten, begann die Gans loszuplappern. „Bin ich froh, euch getroffen zu haben. Ja, ja, froh! Here Comes the Sun. Wie viele Menschen habe ich angeschnattert, aber niemand wollte zuhören, nein, nein, keiner interessierte sich für meine Geschichte! Got to Get You Into My Life“

„Schieß los! Du bist also eine englische Gans?“ Lerry strich sich die Haare wieder einmal über der Stirne glatt.

„Ein Gänserich, wenn ich bitten darf! Nun gut, wo waren wir, ach ja, es begann alles damit, dass ein aufgebrachter Spatz in den Zoo geflogen kam und jedes Tier befragte, ob es eine Eule gesehen hätte, eine ganz bestimmte Eule, nämlich. Später im Nichtigen Reich, da hab ich, ja, da hab ich diesen Spatz wiedergesehen, er heißt Posi. Do You Want to Know a Secret? Posi hat mir erzählt, dass er der Grund war, jawohl der Grund, warum ich nun nicht mehr im Londoner Zoo bin! Der Grund war er, dieser Spatz, der eine Eule gesucht hat, eine ganz bestimmte Eule, ach dieser doofe Spatz, Entschuldigung, jedenfalls, ihr müsst wissen, deshalb nun diese ganze Odyssee! Twist and Shout!“

„Im Nichtigen Reich?!“

Alle drei waren aufgesprungen.

„Was weißt du über das Nichtige Reich?“ Kat schnappte sich vorsichtshalber sein Surfbord, das in einer Ecke lehnte, da er sich damit immer am sichersten fühlte.

„Na ja, soviel weiß ich auch nicht darüber, ja darüber, nun soviel nicht, nein, nein…! Happines Is a Warm Gun.“, beschwichtigte Selim seine Zuhörer und schaute unruhig von einem zum anderen.

„Setzt euch bitte wieder hin, ja, hin, zu große Tiere waren mir schon immer unheimlich, sehr unheimlich. Don’t Bother Me! Und wenn sie der Gattung Mensch angehören, dann ganz besonders, sehr besonders, jawohl! We Can Work It Out.“ Die Gans putzte kurz ihr Gefieder, fuhr dann aber doch fort zu erzählen. „Also, ich bin letztes Jahr geboren, ja, ja, aber eigentlich älter als ihr, wisst ihr? Jap, jap! Within You Without You“ Selim entließ eine Deckfeder aus ihrem Schnabel und sah in die Runde.

Alle drei blickten gespannt auf den Vogel.

„Also, in einer für mich und andere geschaffenen Welt lebe ich nämlich im Jahr 1965. Jip, Jip! The roaring sixties, jeah, jeah, jeah! Kenn aber schon alle Beatles Lieder! Ja, Ja, ein Wunder, sozusagen! Das hört sich jetzt kompliziert an, ist es auch, aber das macht nichts! No, no, Strawberry Hills Forever, Forever, Forever!!!“

Nach einer Pause war es Maracella, die als erste etwas sagte. „Ja, bei uns ist das auch ein bisschen kompliziert. Ich zum Beispiel bin seit achtunddreißig Jahren acht Jahre alt!“ Marcella lächelte Selim an. „Das ist der Grund, warum du einen von uns finden musstest. Niemand anderer hätte dich verstanden. Wir kennen die Vorgeschichte etwas! Beatles kenn ich aber nicht.“

Kat, der sich auf sein Surfbrett gesetzt hatte, erzählte nun Selim von dem Korken, den sie entdeckt hatten. Lerry vergaß, seine Haare, wie sonst üblich, zu glätten, während Selim auf die Stirn des Jungen starrte. Dann schnatterte er weiter, und die drei hörten sich an, was die Gans noch alles zu berichten wusste.

„Across the Universe… am Anfang war natürlich totales Chaos, Come Together, jawohl Chaos, ungefähr acht, neun Tiere, aber no Walrus, no Rocky Racoon, der Rest ein Haufen sechzehnjähriger Schüler, na, wie gut, dass jetzt Sommerferien sind, Good Day Sunshine, dann waren da noch ein gefesselter und drei ungefesselte Männer, It’s All Too Much, sowie allerhand komische Figuren, sehr komische, die sich noch nie vorher gesehen hatten, Here There and Everywhere, ja, und eine ganz normale Erwachsene.... Fool on the Hill, und zwei ehrenwerte Akademiker, die allerdings etwas klein geraten…! Dear Prudence! Das war ja schlimmer als die Seargant Peppers Lonely Hearts Club Band!“

„Die kleinen Akademiker waren wahrscheinlich Professor Draciterius und Dr. Sanguinis Anantomis! Letzterer hat vor einem dreiviertel Jahr mit einem Kerzenleuchter einen Anschlag auf meine Halbtante verübt und war danach nicht mehr zu finden gewesen!“, ergänzte Lerry Selims Beschreibungen. Die Gans wackelte aufgeregt mit dem Kopf.

 

„Und die anderen, kennst du sie, Lerry?“ Maracella riss ihre Augen auf und starrte Lerry an.

„Hm, weiß nicht so genau. Also, von einer normalen Erwachsenen wüsste ich nichts! Der Gefesselte könnte Body Britten sein. Er hat versucht, meine Halbtante zu entführen, wurde dann aber überwältigt.“

„Miss Petty muss ja ein entspanntes Jahr verbracht haben“, bemerkte Kat.

„Und es waren 45 Individuen?“, fragte Lerry schnell, da er nicht wollte, dass jetzt zuviel über Bela geredet würde.

Aufgeregt blickte die Gans von einem zum anderen. Bevor sie weitersprach, öffnete sie ihren Schnabel und sah Lerry wieder lange an. „Ja, und zuerst gingen und gingen und gingen wir alle gemeinsam tagelang durch einen Wald, Magical Mystery Tour, ja, durch einen gefährlichen Wald, bis wir zu einer Heide kamen, ja, einer Heide, doch dann teilte sich die Gruppe, jawohl die Gruppe. Hello Goodbye. Einige wollten unbedingt zur Grenze, unbedingt. Ich bin mit den meisten zurückgegangen, besser gesagt, geflogen, ja zurück, weil ich dachte, das Buch ist meine Heimat, jawohl, meine Heimat, Mother Nature’s Sun, obwohl ich darin in einem Zoo lebe! I’ve Got to Find My Baby.Aber wir kamen nirgends an, nein, nirgends! Dann hab ich mich davon gemacht, ja, ja! Aber plötzlich war sie da! Es war schrecklich, ja, ja!“

„Wer war da?“, fragten alle drei gleichzeitig.

„From Me To You: Die Grenze! Sie ist scheußlich, sehr scheußlich, jawohl, hab sie aber überflogen, ja, überflogen, da gibt es einen Sumpf, einen Sumpf, jawohl, Tomorrow Never Nows, eine riesige Mauer, Mauer, ja, ja, ein Monster, uhhh, ein Monster in einer Stadt, es ist schrecklich, seeeehr schrecklich... Run for Your Life!“

„Aber wo ist denn dieses Nichtige Reich überhaupt?!“, unterbrach Lerry die Gans ungeduldig.

„Das kann ich auch nicht genau sagen, genau, aber wahrscheinlich liegt das Nichtige Reich irgendwo, jawohl irgendwo, über den Wolken Schottlands, da irgendwo hoch oben, jawohl! Lucy in the Sky with Diamonds.“

„Wie kommst du denn auf diese Idee?“ Kat hielt sein Bord fester.

„Na ja, nachdem ich das Monster überflogen hatte, Free as a Bird, das Schreckliche, das Schrecklichste, in der Stadt, einer schrecklichen, da sah ich bald darauf ein paar Inseln, ja, ja die kenn ich, von denen hat meine freie Großmutter immer meiner gefangenen Mutter erzählt, Your Mother Should Know, als sie uns besuchen kam im Londoner Zoo, ich war noch ein Küken, und meine Mutter hat mir dann, als ich größer war, abends am Zooteich…!“

„Selim!“

„Ach so, entschuldigung, ich schweife ab, ja ab…! Ich bin dann halt immer weiter der Sonne nachgeflogen, Follow The Sun, wie bereits zitiert, und dann kam lange nur noch Wasser, ganz viel Wasser, jawohl! Wäre ich nicht auf einem Schiff zwischengelandet, ja gelandet, hätte ich den Überflug nie, nie, nie überlebt, nein, nein, wäre schon tot, wie traurig! No Reply. War aber auch schon schwierig genug, sehr, sehr schwierig, von den Matrosen nicht in einen Kochtopf gesteckt zu werden, Glass Onion, Kochtopf, wie schlimm, diese Meute, jawohl, Meute, ja, ja… Revolution!“

„Armer Selim, aber sag mir bitte, wie sah denn das Monster aus?“ Maracella liebte nämlich Monster aller Art.

„Gar nicht, es ist nämlich unsichtbar! You’ ve Got to Hide Your Love Away.“

Die drei Jugendlichen starrten die Gans an.

„Nein, du siehst es nicht, nein, nein, You Won’t See Me. Aber da es immer da ist, spürst du es, ja, ja, und das Schlimmste ist sein Rachen, wie schrecklich, wenn du ihm zu nahe kommst, zu nahe ja, dann denkst du nur noch daran, was du alles haben möchtest, Pleasy Pleasy Me, jawohl, und wie du es dir am besten holen könntest, ja ja. Ich bekam eine solche Lust, nach unten zu fliegen, ja wohl, um mir alles zu stehlen was nicht niet- und nagelfest ist, ja, ja, aber ich bin ja ein Tier, jawohl, Hey Bulldog, da hab ich das Monster irgendwann ausgelacht, jawohl, ausgelacht hab ich es! Real Love. Aber wehe dem, der dieser Gier nachgibt: den frisst das Monster, frisst ihn, jawohl, mit Haut und Haar! Piggies.“

Maracella, die nicht wusste, was sie von diesem Monster halten sollte, fragte neugierig, „Und im Nichtigen Reich, gibt es da auch Monster?“

„Ich hab keines gesehen, nein, nein, aber wer weiß, ja, wer weiß schon! Dig It!

„Was sind da noch für Wesen dort?“, wollte die kleine Hawaiianerin unbeirrt wissen.

„Keine Ahnung. Everybody Has Got Something to Hide Except Me and My Monkey.“

„Also, da ihr alle auch alle aus Lisas Feder seid, könnte sich auch Tarantuga im Nichtigen Reich befinden!“, überlegte Maracella laut.

„Tarantuga? Helter Skelter!“ Selim blinzelte misstrauisch.

„Tarantuga ist so alt wie ich. Seine Geschichte hatte das gleiche Schicksal wie meine. Lisa verbrannte sie, als sie noch ein Kind war!“

„Aber warum hat sie denn all diese Geschichten verbrannt?“, warf Lerry ein und vergaß Selims Erzählung für einen Moment.

Maracella zuckte die Schultern, dann dachte sie kurz nach. Schließlich meinte sie, „Naja, wahrscheinlich glaubte Lisa, Gott sei Katholik! Eigene Welten und Figuren zu erschaffen, ist doch so ungeheuer lustig und man leidet dabei so wenig! Sie fühlte sich wahrscheinlich irgendwie schuldig und nicht mehr fromm genug.“

„Wie auch immer, das hilft uns jetzt auch nicht weiter!“, meinte Kat missmutig. Diese ganze Diskussion uferte für sein Gefühl zusehends aus. Er sehnte sich zurück zu einem Ufer, wo man wenigstens Wellenreiten konnte. Außerdem war für ihn dieses Nichtige Reich samt Treibgut mehr als rätselhaft. Er hätte jetzt viel lieber handfeste Tatsachen als Spekulationen vor sich gehabt.

„Gab es eigentlich noch eine Erzählung, die Lisa damals verbrannt hatte?“ Lerry ließ nicht locker und sah Maracella an.

„Hm, ja, die Geschichte von Walla!“

„Walla, was war denn das, eine fliegende Untertasse?“, warf Kat lakonisch ein, worauf Maracella beleidigt schwieg. Auch wenn Lisa damals ihre Geschichten verbrannt hatte, durfte niemand etwas gegen sie sagen. Schon gar nicht die Figuren aus ihrem Buch!

Sie diskutierten noch lange über diesen mysteriösen Ort, doch Selim war ihnen keine große Hilfe mehr. Da er immer etwas abseits der anderen geflogen war, wusste er nichts Genaueres mehr über die Gruppe. Außerdem hatte der Graugänserich bereits einer wunderschönen Hawaiigans zu tief in die Augen geschaut.

„Nun Freunde, ich fürchte, ich kann euch auch nicht mehr verraten, so sorry, sorry. Ihr entschuldigt mich doch? All you need is Love!“

Schon flog er fort.