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Nach Amerika! Ein Volksbuch. Sechster Band

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»Wir brauchen uns über das Hülfsverbum nicht zu täuschen, lieber Donner,« sagte der Professor wehmüthig lächelnd, »ob ich will oder nicht – ich muß!«

»Und Ihre Familie?« sagte Donner halb vorwurfsvoll.

»Sie haben recht,« seufzte der Mann, »es ist schwer für sie, geht aber doch nicht anders an; ich will nach dem »fernen Westen«, wo man, wie ich aus sicherer Quelle weiß, ein kleines improvement für fünfzig Dollar, und vierzig Acker Land für denselben Preis bekommen kann. So viel wird mir nach dem Verkauf meiner Sachen und Abzug aller Reisespesen übrig bleiben, und wir müssen dort eben ein neues Leben beginnen.«

»Und glauben Sie, daß Ihre Frauen das aushalten würden?« frug Georg ihn ernst, »kennen Sie das Leben im Westen, mit seinen Entbehrungen, seinen Beschwerden, seinem Klima?«

»Ich habe viel darüber gelesen,« sagte der Professor ausweichend.

»Du lieber Gott,« seufzte der junge Mann, »wenn ich mir da die arme Frau Professorin, die zarte Anna und selbst die kräftige Marie denken müßte – ich würde im Leben nicht wieder froh werden.«

»Aber was soll ich thun?« sagte der Professor, froh endlich einmal Jemanden zu haben, mit dem er sich aussprechen, gegen den er sein Herz erleichtern konnte, »Ihnen gegenüber brauch' ich kein Hehl daraus zu machen, denn ich weiß, Sie nehmen Theil an unserem Schicksal, das sich nicht allein durch eigene Schuld, sondern auch durch das Zusammentreffen unglückseliger Umstände so traurig gestaltet hat. Ich bin nicht im Stande das letzte Kaufgeld für die viel zu theuer bezahlte Farm, so wenig das sein mag, aufzutreiben, der Bursche in Grahamstown, dem mein Mobiliar in die Augen sticht, drängt mich mit der Zahlung, und auch meine letzte Hoffnung, Herr von Hopfgarten, ist nicht mehr aufzufinden. Ich habe mich nach ihm bei dem Wirth des St. Charles Hotels in New-Orleans erkundigt, und wenn mir die Leute die Wahrheit geschrieben, so ist Freund Hopfgarten vor kurzer Zeit nach Europa zurückgekehrt. Den Termin länger hinauszuschieben bin ich ebenfalls nicht im Stande, und werde schon nächste Woche gezwungen sein meine Farm und Mobiliar vielleicht für den sechsten Theil dessen was sie mich selber gekostet hat, zu verkaufen, und mit den Meinen dann von vorn anfangen zu müssen, ein allerdings vollkommen neues Leben zu beginnen.«

»Wenn Sie denn fest entschlossen sind,« rief da Georg, der klopfenden Herzens, das Geständniß seiner Liebe zu Marie auf den Lippen, noch nicht gewagt hatte damit herauszutreten, »wenn Sie die Wildniß wählen wollen und müssen zu Ihrem Aufenthalt – dann nehmen Sie mich mit und – seien Sie mir mehr als Freund dann, lieber Herr – seien Sie mir Vater – Vater im wahren Sinn des Worts. Lange Monden hin,« fuhr der junge Mann, als ihn der Professor staunend ansah, leidenschaftlicher fort, »habe ich die Qual der Ungewißheit, die Sehnsucht nach dem einen Wesen auf dieser Welt, das meiner Seele Ziel geworden, mit mir herumgetragen – ich darf das nicht länger mehr – geben Sie mir Marie zum Weibe, lassen Sie mich den verlorenen Sohn ersetzen, und nie, nie sollen Sie bereuen mir so vertraut zu haben.«

»Mein lieber, lieber Donner,« sagte der Professor, der sich noch immer nicht von seiner Überraschung erholen konnte »Sie wollen Ihr Schicksal an das einer Familie ketten, die sich – die sich eben nicht im Glück befindet – und weiß Marie – «

»Noch keine Sylbe – noch habe ich selber nicht gewagt, ihr meine Liebe zu gestehen,« rief Georg, »aber wenn mich nicht Alles täuschte, darf ich hoffen.«

Der Professor sah dem jungen Mann lange und fest in's Auge – bis sich sein eigener Blick in langsam aufsteigenden Thränen dunkelte, dann nahm er Georgs Hand, drückte sie fest und herzlich, und zog ihn endlich leise aber liebend an seine Brust.

»Mein lieber, lieber Vater,« flüsterte Georg.

»Mein lieber, lieber Sohn!«

»Und nun zur Mutter!« rief da Georg, dem Lust und Freude das Herz bald in der Brust zu sprengen drohte, »nun zur Mutter, ihr Sorge und Kummer, und mit den beiden Menschenquälern auch die böse Krankheit zu nehmen, die sie noch an's Lager fesselt. Wir gehen nicht nach dem Westen Vater – wir bleiben hier, und die Fenzen werden wieder ausgebessert, das Unkraut wird hinausgeworfen aus dem Felde, und die Mühle fertig gebaut, dem Wirth in Grahamstown gerad zum Trotz und Ärgern.«

Der Professor schüttelte traurig mit dem Kopf und sagte seufzend:

»Das sind Pläne, mein junger Freund, wie sie die Jugend eben entschuldigt; das ruhige Alter findet sich nicht mehr so leicht mit Unmöglichkeiten ab.«

»Und wissen Sie denn Vater – o daß ich Sie jetzt – daß ich Sie endlich so nennen darf,« sagte Georg, seinen Arm ergreifend, und ihm mit blitzenden Augen in's Antlitz sehend, »daß ich vom Glück begünstigt in Michigan in das Haus eines reichen Mannes kam, bei ihm ein Viertel Jahr in gutem Gehalt stand und ihm die beiden Kinder, die ihm schwer erkrankten, rettete? – wissen Sie, daß mich der Mann aus Dankbarkeit in den Stand setzte, durch den zweckmäßigen Kauf einer Anzahl von Bauplätzen in einer neu gegründeten Stadt, in den letzten drei Viertel Jahren nur durch einen theilweisen Verkauf derselben Parcellen wieder, fünfzehnhundert Dollar an baarem Gelde zu verdienen? – Und kennen Sie die Quittung hier von Grahamstown?« rief er unter vorquellenden Thränen lachend aus, »kennen Sie den Autographen von Ezra Ludkins? – Da behalten Sie das Papier und lesen Sie es aufmerksam durch, hoffentlich ist Alles in Ordnung und – mag mich Marie nicht – sagt sie nein – ja dann soll mich mein Rappe noch heute Abend fort – weit fort von hier tragen, gleichviel wohin. – Sagt sie aber ja – oder lacht oder weint sie nur – oder thut sie gar Nichts – und sieht sie mich nicht einmal an, dann – aber ich kann es wahrhaftig nicht länger mehr in der Ungewißheit ertragen; kommen Sie nach Vater, so rasch Sie Ihre Füße tragen, und voraus hol' ich mir mein Glück oder Leid aus Mariens Munde!«

Und den Hut freundlich gegen den Professor schwenkend ließ er ihn an der hinteren Fenz und am Holzrande zurück, und sprang in flüchtigen Sätzen dem kaum verlassenen Hause wieder zu.

Und dort? – lieber Leser, das ist eine Sache, die nur immer zwei Leute auf einmal in der Welt interessirt. Wie »Vielliebchen« aus einem Mandelkern hat der liebe Gott die Herzen, von denen immer zwei und zwei für einander geschaffen sind, über die Welt wild und bunt hinausgestreut – selig die, die ihre Theile wieder zusammenfinden.

Und Marie und Georg waren selig; an dem Abend, neben dem Bett der Mutter, der mit der frohen frischen Hoffnung auch wieder neuer Muth, neue Kraft in das Herz gezogen, wie es Georg gehofft, saßen sie Hand in Hand und plauderten und bauten mit der Schwester Pläne auf, die Glücklichen, nach Herzenslust. Und der Vater ging dabei, die Hände auf den Rücken gelegt, schmunzelnd auf und ab; in der Kinder jungem Leben ging auch ihm ein neues frisches Dasein auf – die trübe böse Zeit lag dahinten, und wenn auch bittere Erfahrungen ihn geprüft, so waren es doch eben Erfahrungen geworden, und auf ihnen weiter schreitend, mit einer jungen kräftigen Stütze jetzt an seiner Seite, konnt' er der Zukunft wieder froh in's Auge schaun.

Capitel 5
Jimmy

Die Fieberzeit, trotz ihren Schrecken von den Amerikanern scherzweis »der gelbe Jack« genannt, war vorüber; der Oktober hatte, gleich von Anfang an mit kalten und scharfen Nordwest-Winden einsetzend, die Seuche seewärts geweht, und die Luft gereinigt, und vom Norden herunter kehrten die geflüchteten Bewohner der gefährdeten Stadt in Schaaren zu ihren Wohnsitzen zurück.

Welch ein Unterschied zwischen dem New-Orleans jetzt, und dem, vier Wochen früher. Welch Drängen und Treiben überall von frischem, fröhlichem, kräftigem Volk, das herüber und hinüber drängt, kauft und verkauft, und plaudert, lacht und singt. Welch Treiben und Leben an der Levée, wo Boot nach Boot, Schiff nach Schiff anlegt, seine Waaren der neugeborenen Stadt zuzuführen; welch Treiben und Leben in den Straßen, den kleinen Adern des Verkehrs, in denen das warm pulsirende Herzblut herüber und hinüber treibt, und nur vier Wochen Unterschied, wie sahen da die Straßen aus? – wie der Strom? – wo war das Leben, das jetzt, dem schäumenden Bache gleich, aus seinen Ufern quoll?

Der Wanderer, der die Stadt in der Zeit, im August und September, betrat, und das lebendige Bild von ihr im Herzen, ein fröhlich schaffendes, lebenslustiges Volk zu finden erwartete, steht entsetzt und traut den Augen kaum.

New-Orleans, des Südens Königin, der keine andere Stadt im weiten Reich die Spitze bieten kann, scheint in der Zeit ein weiter offener Sarg – die Straßen liegen todt und leer, der Fußtritt des einzelnen flüchtigen Wanderers schallt hohl und unheimlich von den verschlossenen Häusern wieder – dort begegnet ihm ein anderer, eben so rasch, das Tuch am Munde – aber scheu weicht man sich aus und will aneinander vorüber – da zuckt der Fuß fast unwillkürlich – es ist ein Freund, den man so lange nicht gesehn, schon todt gewähnt – einerlei, vorbei; die Krankheit könnte in seiner Nähe weilen, sein Hauch vielleicht sie bringen, und mit stummem, traurigem Nicken fliehen sich die Beiden.

Wo ist dann der fröhliche Lärm der Dampfbootlandung, das Rasseln der schwerbeladenen Güterkarren mit den trunkenen Irländern, das Singen und Lachen der Neger. Dort fährt etwas über das Pflaster – wie hohl das in den leeren Straßen klingt – es ist nur der Leichenwagen, der im scharfen Trab hinausfährt, seine Doppellast abzuwerfen und neue, schon lang bestellte Fuhre zu holen. Wo ist das rege geschäftige Treiben der Läden – die meisten sind geschlossen, wer soll jetzt kaufen, und der Trauerflor an den Thüren dort und hier, und da und drüben, kündet die Stelle, wo sich die Seuche mit den langen gelben, gierigen Krallen ihre Opfer herausgeholt.

Und jetzt? – kaum ein Monat ist verflossen, daß diese Straßen wüst und öde lagen, und der große Vernichter seine Erndte in der scheinbar menschenleeren Stadt hielt; wo er mit schwülem Flügelschlag über die Dächer strich, und rechts und links in boshafter Lust seinen Giftodem einbließ in das, in jenes Haus – und seht, wie das wieder drängt und wogt, und lacht und singt und fröhlich ist, und die Todten in ihren stillen Gräbern schon lange, lange vergessen hat. Lieber Gott, Wochen sind ja auch schon darüber hingegangen, und eine fast neue Bevölkerung hat Besitz von dem Grund und Boden genommen, den die Seuche gelichtet und verödet.

 

Was damals freilich New-Orleans verlassen konnte, that es, und die Wirths- und Gasthäuser standen öd' und leer, ja man vermied die Schwellen derselben mit scheuer Angst, aus Furcht, gerade dort am meisten Kranke zu treffen, und in dem Athemzug vielleicht den Tod schon einzuziehen. So flohen auch »das deutsche Vaterland« sechs Wochen lang die meisten »Boarder«, aber die dort Wohnenden konnten nicht alle fort. Viel arme Deutsche, die mit verspäteten Schiffen nach langer Reise hier eingetroffen waren, fanden theils kein Boot mehr, das sie mit fortnahm von hier, theils hatten sie kein Geld, die in der Zeit entsetzlich hohe Passage zu bezahlen. Die Capitaine der wenigen dort anlegenden Dampfer wußten recht gut, daß Alles, was jetzt die Stadt verlassen konnte, ging, und rechneten fünf- und sechsfache Passagepreise, sich selbst für die Gefahr bezahlt zu machen, der sie die Stirn boten.

So lag eine ganze Schaar Baiern, ohne Mittel fortzukommen, in den kleinen dumpfigen Hinterstuben des »deutschen Vaterlands«, und wie die Seuche hereinbrach über die Stadt, suchte sie sich schon ihre ersten Opfer aus der Schaar.

Im »deutschen Vaterland« war aber indessen auch noch außerdem eine große Veränderung vorgegangen, und Hedwig hatte das Haus nicht allein nicht verlassen, sondern Franz seinem Vater frei und offen erklärt, daß er das junge wackere Mädchen, sobald er nur erst einmal selbstständig dastehe, wenn sie ihn haben möge, zum Weibe nehmen wolle.

Den alten Mann fesselte in dieser Zeit ein Sturz, den er von der Treppe gethan, an sein Lager, und Franz mußte überdieß indessen die Leitung der ganzen Wirthschaft übernehmen. Mit dem Plane seines Sohnes war er im Anfang aber gar nicht einverstanden, hatte die und jene Einwendungen, erklärte, er sei doch nicht ganz so arm wie Franz zu glauben scheine (und wie er ihm allerdings selber oft genug betheuert) und sein Sohn könne da wohl schon noch eine bessere Parthie machen, und sich seine Frau aus einem anderen Hause – und wenn es das größte Steingebäude in der Stadt wäre – holen. Da Franz aber, nicht gerade gleich auf eine Einwilligung dringend, hartnäckig bei dem einmal gefaßten Entschlusse blieb, gewöhnte er sich zuletzt an den Gedanken, und sah, wenn er dem Sohne das auch nicht gestand, selbst seiner abnehmenden Kräfte wegen, eher noch eine Stütze in dem fleißigen, wirthschaftlichen Mädchen.

Nur der »verschwenderische Geist« des Sohnes, wie er es nannte, machte ihm Sorge; er rief ihn deshalb auch oft an sein Bett, und beschwor ihn, doch nur um Gottes Willen auf sein eignes Gut mehr zu achten, den eigenen Nutzen mehr im Auge zu haben, denn wenn er selber einmal die Augen schließe, und nicht mehr rathen, nicht mehr wehren könne, wie bald seien dann die paar gesparten Thaler auch wieder fort, an der die Undankbarkeit der Menschen schon lange arbeite und wühle und zehre.

Franz hatte ein zu gutes Herz, dem Eigennutz mehr zu folgen als diesem, und der Vater würde dem einzigen Sohne auch wirklich schon lange den Willen gelassen, und die Wirthschaft ganz übergeben haben, hätte ihn nicht Messerschmidt bis jetzt noch immer aus allen Kräften davon abgehalten und gewarnt; wie dieser denn auch sein Möglichstes that, die Heirath mit dem jungen Hamann und dem fremden »hergelaufenen« Mädchen aus allen Kräften zu hintertreiben.

Die Seuche unterbrach das Alles – Niemand, der nicht mußte, verkehrte mit dem Anderen; Messerschmidt selber betrat in dieser ganzen Zeit das Haus nicht, Franz aber lernte gerade da den Werth des holden anspruchlosen Kindes, mit seiner Aufopferung und Herzensgüte im reinsten Lichte kennen. Hier war kein Schein mehr, wo der Tod grinsend und drohend an der Schwelle stand; hier war nicht mehr Verstellung denkbar, »das Herz des reich geglaubten Wirthssohnes«, wie Messerschmidt dem jungen Hamann oft und heimlich warnend zugeflüstert, zu fesseln; unbekümmert um Alles, wo sie nur nützen konnte, ging Hedwig ihren stillen Weg, und an den Krankenbetten stand sie oft ein Engel des Trostes und der Hülfe.

Schon seit Clara damals sich von ihrer Krankheit erholt, und selber im Stande gewesen war durch weibliche Arbeiten ihren Unterhalt wenigstens zu verdienen, hatte Hedwig Gehalt bezogen, den ihr der alte Hamann selber, trotz seinem Geiz, freiwillig erhöht, als er sich doch nicht leugnen konnte, wie sie arbeitete und schaffte, und wie sie Alles ihm zusammenhielt. Was sie aber an Geld bekommen, nahm die schwere Zeit auch wieder fort, denn keine Woche verging, in der nicht hülflose Wittwen und Waisen den Sarg des Gatten und Vaters hinausbegleitet zu seiner stillen Ruhestätte, dann aber selber verlassen und allein in der fremden Welt gestanden hätten, die ihnen eine Heimath werden sollte, und jetzt nur Tod und Elend zeigte, wohin sie schauten. Für wie viele zahlte sie da nicht das Passagegeld auf den einzelnen Dampfbooten, sie nur fort, einer gesunden Gegend zuzubringen, ehe sie hier ihr Letztes verzehrt, und mehr noch vielleicht von ihren Lieben begraben mußten; wie viele unterstützte sie hier mit Rath und That, löste die schon versetzten Koffer für sie ein, und zog sich scheu und schüchtern in ihr kleines Kämmerchen zurück, wenn ihr die Leute nur dafür danken wollten, was sie gethan.

Mit der gesunden Jahreszeit kehrte aber auch die gewöhnliche Arbeit wieder für das deutsche Gasthaus; Schiff nach Schiff traf ein, alle mit Auswanderern schwer beladen, und da sich nicht Alle gleich entschließen konnten die eben betretene Stadt, die keine Spur der überstandenen Pest mehr zeigte, gleich wieder zu verlassen, füllten sich die Gasthäuser, wie das um diese Zeit fast stets der Fall ist, bis unter die Dächer mit Fremden und ihren Gütern an. Dieß war auch immer die geschäftigste und einträglichste Zeit für den alten Hamann gewesen, und jetzt saß er, in sein Zimmer gebannt, regungslos fest auf seinem Stuhl, und durfte und konnte nicht hinaus.

Zuerst quälte und sorgte er sich denn auch ab dabei, und wollte es wohl gar erzwingen, trotz allen Ärzten und Medicinen; endlich sah er aber doch wohl ein daß es nicht ging, daß er sich Ruhe gönnen müsse, bis ihn die Glieder wieder trügen, und die Hauptarbeitszeit wohl überhaupt für ihn vorbei sei. Der Sohn drängte und bat dabei daß er nun endlich in seine Verbindung mit Hedwig willigen möchte; es sei ein anderes Leben wenn eine Hausfrau in der Wirthschaft wäre, besonders solche Hausfrau, und er, der Vater selber, könne ruhiger sein, wo er nicht fremden Menschen nur sein Eigenthum anzuvertrauen habe.

Der alte Hamann gab endlich seine Einwilligung, und Hedwig, die dem jungen Mann von Herzen zugethan war, und mehr fast noch in dem Bewußtsein nun freier handeln, noch mehr Gutes thun zu können, sich wohl und glücklich fühlte, legte am Altar ihre Hand in die seine, und zog als Herrin in das Haus hinein, das sie in Noth und Sorge, als Dienerin betreten.

Franz schwelgte in der Zeit in einem Meer von Wonne, und wenn er auch von seinem Vater – der Termin dazu war auf den ersten December festgesetzt worden – die ganze unbeschränkte Führung des Hauses noch nicht überkommen hatte, fühlte er sich doch zu glücklich im Besitz seines braven, inniggeliebten Weibes, anderen Gedanken in dieser Zeit noch Raum zu geben. Hedwig aber wirthschaftete nach wie vor, in stiller anspruchsloser Weise – wo sie helfen konnte, half sie gern, und das »deutsche Vaterland,« früher der einträglichste Platz für alle Arten diebischer Agenten, und die Höhle, in der hunderte von armen Einwanderern ihr Alles verloren, und nackt in die Welt hinausgestoßen wurden, schien ein Asyl der Hülfsbedürftigen zu werden, und erweckte deshalb auch besonders in den Herzen einzelner, bei dem früheren Gewinn Betheiligter, rege Besorgnisse.

Unter diesen standen der Agent Messerschmidt, und Jimmy der Barkeeper vorne an, denen Beiden die Hochzeit zwischen den jungen Leuten ein Dorn im Fleisch geworden, und was sie nicht mehr hintertreiben konnten, suchten sie wenigstens so viel als möglich zu stören. Franz wußte das, vermochte aber noch nicht selber irgend etwas mit Beiden anzufangen, bis er nicht die Wirthschaft allein in Händen hielt, und als unumschränkter Herr darin gebieten konnte. Der Tag rückte jedoch mehr und mehr heran, und als der November endlich verflossen war und der alte Hamann am 1sten Morgens, wie schon früher verabredet, einen Advokaten zu sich in's Zimmer kommen, und in dessen Gegenwart dem einzigen Sohne schon bei seinen Lebzeiten Haus und Wirthschaft überschreiben ließ, war Franzes erstes Geschäft, hinunter in die Bar zu gehn und dem darüber allerdings verdutzten Jimmy, wie ihr Contrakt zusammen lautete, mit vierwöchentlicher »Warnung« auf den ersten Januar des nächsten Jahres zu kündigen.

»Jimmy,« sagte er, als er zu dem Burschen hinunter in den gerade unbesetzten Schenkraum kam, »ich bin jetzt eben Herr hier im Haus geworden, und da wir Beide nicht recht zusammenpassen, meine Frau mir auch Manches von Euch erzählt hat was mir nicht gefällt, so ist's besser, daß Ihr zu der zwischen Euch und meinem Vater abgemachten Zeit das Haus verlaßt. Heute ist der erste December – am ersten Januar könnt Ihr eine andere Stelle antreten, und habt bis dahin Zeit Euch umzusehen; wollt Ihr aber früher fort, hält Euch Niemand hier – verstanden?«

»Das war deutlich genug Mr. Hamann, anyhow,« sagte Jimmy, der dabei wieder ganz in Gedanken an seiner Lieblingsbeschäftigung begann – die Finger zu knacken, »werde aber von Ihrer Güte wohl keinen Gebrauch machen, vor der bestimmten Zeit, da ich dann ebenfalls zu heirathen gedenke. Sonderbar – wollte Ihnen auch heute aufsagen.«

»Desto besser, Jimmy,« sagte Franz, »dann haben wir Einer dem Andern nicht weh gethan, und können und werden uns ziemlich gut ohne einander behelfen.«

»Jes,« sagte Jimmy, eine gleichgültige Miene dabei annehmend, »verdammt gut, denk' ich mir so; – werden eine sehr schöne Wirthschaft hier anrichten, Mr. Hamann junior.«

»Jes, Jimmy – denk' ich mir so,« lachte Franz leise vor sich hin, und verließ dann, ohne sich weiter um den Menschen zu bekümmern, das Zimmer.

»Denk' ich mir so – Einfaltspinsel« – knurrte der Barkeeper finster und verdrießlich hinter seinem neuen Principale her – »Du wirst noch Manches zu denken kriegen, mein Bursche, bis wir Beiden auseinander sind, denk' ich mir so. Und noch bist Du mich auch nicht los, und es müßte doch mit dem Henker zugehn, wenn zwischen hier und da nicht noch was auftauchen sollte, was der Sache eine andere Wendung gäbe. Was, weiß ich freilich selber noch nicht, aber daß Jimmy eine sich etwa bietende und ihm passende Gelegenheit nicht unbenutzt wird vorübergehn lassen, darauf mein Juwel, könntest Du allenfalls Gift nehmen.«

»Hallo Jimmy,« sagte da eine bekannte Stimme, und als sich der Barkeeper rasch nach der Thür umdrehte, sah er den eben nur hereingesteckten, etwas dicken Kopf des Agenten Julius Messerschmidt.

»Ah – Ihr kommt gerade recht Alterchen,« sagte Jimmy, in einer Art Instinkt dabei hinter die Bar tretend und zwei Gläser umsetzend – »was trinkt Ihr?«

»Immer Brandy Jimmy, im Winter,« sagte Messerschmidt jetzt ganz zur Thüre hereinkommend, und den Kautabak, den er nach Amerikanischer Sitte im Munde hielt, daraus entfernend, dem besprochenen Getränke Raum zu geben; »immer Brandy, und im Sommer erst recht Brandy, denn da kühlt er; besonders wenn er so gut ist wie der Hamann'sche.«

»Ihr seid doch der Einzige der ihn lobt, weil Ihr ihn selbst geliefert habt;« lachte Jimmy.

»Unsinn, Jimmy – baarer Unsinn – an dem Brandy hab' ich mein Geld verloren, und such' es nur dadurch wieder einzubringen, daß ich recht viel davon trinke. Der Brandy ist spottbillig mit sechs Cent das Glas, und an der Levée verkaufen sie ihn aus demselben Faß für zwölf und einen halben.«

»Werden wohl ihre Gründe dafür haben,« meinte Jimmy, »aber was führt Euch gerade heute Morgen her?«

»Mich gerade heute? – ist heute ein besonderer Tag, Jimmy?« frug Messerschmidt.

»Hm, nicht das ich wüßte,« meinte Jimmy, der erst herauszubekommen wünschte, was der Agent hatte, ehe er ihm von dem heute abgeschlossenen Vertrag zwischen dem alten und jungen Hamann sagte. Er wußte recht gut, wie Messerschmidt bei dem letzteren angeschrieben stand.

»Nun also, Jimmy;« meinte Messerschmidt, »aber Ihr könnt mir wohl sagen, wie's mit dem Alten steht; ich möcht' ihm ein Anerbieten machen.«

 

»Nicht zu sprechen,« sagte Jimmy trocken, »alle Geschäfte heute an die junge Firma angewiesen.«

»Hm – mit dem Jungen hab' ich gerade nicht gern viel zu thun,« brummte der Agent langsam zwischen den Zähnen durch, »wenn aber der Alte ja sagt, kann der mir auch den Hobel ausblasen. Also den Alten kann man nicht sprechen?«

»Ertheilt Niemand Audienz.«

»Und wo ist der Junge?«

Jimmy mache eine entsprechende Bewegung mit dem über die Schulter gestoßenen Daumen nach dem Hof hinaus.

»Wollt Ihr ihn einmal rufen, Jimmy?«

»Wenn's sein muß, ja,« sagte dieser.

»Apropos Jimmy – «

»Nun? – was giebt's noch?«

»Wißt Ihr, die Mecklenburger Bauern, die ich Euch gestern zugebracht – «

»Nun? – kein Geld?«

»Kein Geld?« – wiederholte der Agent, indem er die Lippen vorspitzte, so weit er sie bringen konnte – »oh Jimmy, wenn wir Beide das nur hätten, was in den zwei grünen Koffern steckt – nachher könnten wir zufrieden sein.«

»Nun, wird das Große eben nicht sein,« meinte Jimmy gleichgültig.

»Das Große nicht sein? – wenn ich ihnen nicht hätte Amerikanisches Gold für Dänisches geben müssen – und das Säckchen voll, was da drin stand – und die goldenen Uhren und Ketten die daneben lagen. Die Menschen müssen ein heidenmäßiges Geld haben, und das ist nur erst ein Theil, denn das Meiste haben sie, wie sie sagen, zu Hause gelassen, um mit dem erst einmal zu probiren, wie es hier eigentlich ist. – Jammerschade, daß sie keine Schwiegersöhne brauchen.«

»Wir Beide wären ein paar kostbare Exemplare,« schmunzelte Jimmy.

Die beiden liebenswürdigen Gesellen lachten noch zusammen als die Thür aufging, und der junge Hamann wieder in's Zimmer trat.

»Ah Franz, das ist mir lieb, daß Sie kommen,« sagte Messerschmidt in seiner vertrauten Weise; »ich hatte eine Bitte an den Alten, aber da ich höre, daß er noch auf der Kante liegt, können Sie mir auch den Gefallen thun.«

»Und das wäre?« sagte Franz, dem Mann ruhig in's Gesicht sehend.

»Sie wissen, daß ich in letzter Zeit ein Bischen in Geldverlegenheit gewesen bin,« sagte der Agent, »das verdammte Spielen, was ich schon so oft verschworen, hat mich wieder einmal angeführt, und ich mußte sogar, wogegen ich mich bis jetzt hartnäckig gesträubt, mein Quadroonmädchen, das allerdings das letzte Jahr in einem fort gekränkelt und keinen Dollar verdient hat, verkaufen. Ein deutscher Violinspieler hatte einen Narren an ihr gefressen und mir die Dirne noch gut genug bezahlt; jetzt hab' ich Niemand Anderem im Haus; Lohn möcht' ich auch nicht gern viel zahlen – «

»Bitte, kommen Sie zur Sache,« sagte Franz.

»Nun die ist einfach genug,« meinte Messerschmidt – »Sie haben da ganz kürzlich ein paar arme, aber ganz hübsche Braunschweiger Mädchen in's Haus genommen, die der jungen Frau glaub' ich, um ihren Boarding zu bezahlen, mit in der Küche helfen – bitte – Sie brauchen sich deshalb gar nicht zu entschuldigen – « setzte er rasch hinzu, als ob er etwas Derartiges von dem jungen Hamann vermuthete – »das versteht sich von selber, und ist ganz in der Ordnung; aber ich möchte gern eine von denen, die Jüngste hat mir am besten gefallen, zu mir in's Haus nehmen, das zu besorgen, was ich eben zu besorgen habe; sollte sie dann etwa noch eine Kleinigkeit im Hause schuldig sein, so könnten wir das ja am nächsten Geschäfte abrechnen.«

»Ist sonst noch etwas, Herr Messerschmidt, was Sie vielleicht an das Haus hier zu fordern haben?« sagte Franz ruhig.

»Für den Augenblick Nichts; die letzte Sendung Mecklenburger hat mir Ihr Alter ja gleich ausbezahlt; ich war damals besonders klamm.«

»Also sind wir Ihnen weiter Nichts schuldig?«

»Nicht einen Cent, bewahre, aber ich hoffe Ihnen morgen früh vielleicht – «

»Erlauben Sie mir Ihnen dann zu bemerken,« unterbrach ihn Franz ziemlich kalt und trocken, »daß von jetzt an jede Geschäftsverbindung zwischen uns aufgehört hat – «

»Unsinn, Franz – Sie wissen ja – «

»Entschuldigen Sie, mein Name ist für Sie Mr. Hamann; mein Vater hat heute die Führung dieses Hauses in meine Hände gelegt, und ich ersuche Sie, alle weiteren Bemühungen für mich zu unterlassen.«

»Hoho« – rief Messerschmidt dunkelroth im Gesicht werdend, und sich hoch dabei aufrichtend – »weht der Wind aus der Richtung, und hat der Alte richtig den dummen Streich, gemacht?«

»Ich verbitte mir solche Bemerkungen, Herr Messerschmidt – «

»Oh Herr – ich werde Ihre Schwelle nicht mehr betreten – «

»Ich bin davon überzeugt,« sagte Franz, vollkommen ruhig, »würde auch sonst mich in die unangenehme Nothwendigkeit versehn, Sie hinauszuwerfen.«

»Herr Hamann!« rief der Agent drohend.

»Herr Messerschmidt?« sagte Franz ihm ruhig aber fest und entschlossen in's Auge sehend.

»Es ist gut!« rief dieser, keineswegs gewillt dem jungen Mann entgegenzutreten; »das ist mein Dank jetzt für die jahrelange Protektion dieses Hauses, das aber jetzt kein Gast mehr betreten soll, den ich daran verhindern kann.«

»Sie werden zu spät zu Ihrem Lunch4 kommen,« sagte Franz ziemlich bedeutungsvoll auf die Thür zeigend.

»Jimmy, Sie sind mein Zeuge, wie ich hier behandelt werde,« rief Messerschmidt mit gekränktem Stolz, »Sie werden mir dafür Rede stehn müssen, Herr Hamann.«

»Sie werden wirklich zu spät zu Ihrem Luncheon kommen,« sagte der junge Hamann, die Thüre jetzt selber öffnend und mit einer ungeduldigen, nicht miszuverstehenden Bewegung hinausdeutend.

»Guten Morgen Herr Hamann!« rief da der Agent, bebend vor Zorn, drückte sich den Hut fest in die Stirn, und flog im nächsten Augenblick voll und breit gegen die Gestalten zweier anderer Männer an, die eben im Begriff waren, die beiden steinernen Stufen in das Schenkzimmer hinaufzusteigen.

»Hallo,« sagte der Erste von diesen, nur mit Mühe sein Gleichgewicht bewahrend und dem Davonstürmenden erstaunt nachsehend, »der hat's verdammt eilig – das Gesicht sollt' ich auch kennen, ging der freiwillig, oder wurd' er gegangen?«

Der junge Hamann warf einen flüchtigen Blick auf die neu Eintretenden und drehte sich dann, ohne sich weiter mit ihnen einzulassen, rasch herum und verließ das Zimmer.

»Alle Wetter, Mr. Meier!« rief da der Barkeeper den früheren »Boarder« erkennend – »wo haben Sie die Zeit gesteckt – man hat Sie ja mit keinem Auge mehr gesehn.«

»Geschäftsreisen, mein junger Freund, Geschäftsreisen,« sagte der Passagier der Haidschnucke, indem er die Augenbrauen in die Höhe zog, und mit den Achseln zuckte, »komme gerade von Milwaukie herunter, die »balsamische Luft« des Südens einzuathmen. Aber weshalb war der Mann, der da zur Thür hinaussprang und mich beinah über den Haufen warf, so in Eile? – irgend etwas Unangenehmes vorgefallen?«

»Häusliche Scenen wie sie manchmal in einer Familie vorkommen,« lachte Jimmy ausweichend – »soll ich Gläser aufsetzen?«

»Hm, ja – aber nicht hierher,« sagte Meier – »gebt uns ein paar Glas rechten steifen kalten Punch – lieber etwas reichlich Zucker und Citrone, aber desto mehr Arrak – dort in das Eßzimmer an den kleinen Ecktisch – wir haben 'was mit einander zu reden – werft auch ein paar Stück Eis hinein, und wenn Ihr noch zwei andere Gläser in Vorrath macht, schadet's ebenfalls Nichts – wir sind alle Beide durstig.«

»Ich auch,« sagte Jimmy.

»Gut mein Herz, macht Euch dann auch ein Glas zurecht; uns aber nicht schlechter, verstanden? – werdet ja wohl irgendwo so eine bestaubte Flasche noch stecken haben.«

Meier winkte dabei seinen Gefährten ihm zu folgen, und ging mit ihm in das Nebenzimmer, wo ein paar deutsche Zeitungen auflagen, und sie, mit diesen zwischen sich, ohne jedoch darin zu lesen, an einem kleinen Tisch dicht am Fenster und der nächsten Wand, Platz nahmen.

4Zweites Frühstück