Za darmo

Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika

Tekst
0
Recenzje
iOSAndroidWindows Phone
Gdzie wysłać link do aplikacji?
Nie zamykaj tego okna, dopóki nie wprowadzisz kodu na urządzeniu mobilnym
Ponów próbęLink został wysłany

Na prośbę właściciela praw autorskich ta książka nie jest dostępna do pobrania jako plik.

Można ją jednak przeczytać w naszych aplikacjach mobilnych (nawet bez połączenia z internetem) oraz online w witrynie LitRes.

Oznacz jako przeczytane
Czcionka:Mniejsze АаWiększe Aa

11
Der Spanier und das Mädchen

Eine merkwürdige Ruhe, nur manchmal von einem eigenthümlichen kecken Humor durchblitzt, hatte das Betragen des Spaniers die ganze Zeit, und zwar von dem Augenblick an charakterisirt, wo er das ihm verdächtige Gebäude in der Gesellschaft der beiden Männer betreten, bis zu da, wo er dessen Schwelle – allein – wieder überschritt, wie verwandelt aber schien er selbst in dem Moment, als er die dunkle, finstere Mauer, als er die Gefahr damit, hinter sich ließ. Wie nach jeder übergroßen, übernatürlichen Anspannung und Überreizung der Sehnen, stellte sich eine um so gewaltigere Erschlaffung ein, da sie so plötzlich war – der Schweiß trat ihm in großen Tropfen auf die Stirn und förmlich gewaltsam mußte er sich aufraffen, noch Kraft genug zu behalten, in flüchtigen Sätzen die Straße hinab zu fliehn.

Dort passirte gerade in dem Moment einer der gewöhnlichen Wagen mit zwei Pferden, das eine in der Gabel, das andere am Gurt befestigt, den Kutscher halb schlafend auf dem Bock.

»Ahi, amigo!« rief er dem mechanisch bei dem Ruf in die Zügel greifenden zu und schwang sich, ohne die Thüre zu öffnen, in das Innere – »kennst Du die Wohnung des alten englischen Señors, Don Guillelmo Nulando?«

»Si, Señor!«

»Brav, mein Bursche, rasch denn dort hin, ein gutes Trinkgeld ist Dein.«

Der Kutscher berührte seine Thiere mit der schwanken Peitsche, und der Wagen klapperte in scharfem Trab die Almendral hinauf, der Wohnung Mr. Newlands zu, den Passagier kaum zehn Minuten später, vor dessen Thüre abzusetzen.

Don Gaspar klopfte und folgte der alten Magd, die ihm öffnete, die Treppe hinauf. »Mr. Newland war auf der Börse, das Dampfschiff ankommen zu sehn, was diesen Morgen signalisirt worden, und durfte wohl kaum vor Abend zurück erwartet werden; Mistreß war ebenfalls ausgegangen und Miß Jenny allein oben im Parlour – der junge Mann hatte sie ja schon so oft besucht, Miß Jenny würde sich gewiß freuen, ihn zu sehn, sie brauchte ihn gar nicht mehr zu melden.«

Don Gaspar war schon lange, ehe die geschwätzige Alte nur die Hälfte ihrer Rede vollendet hatte, oben an der Treppe und im Vorsaal. Was er hier wollte, schien er selber nicht recht zu wissen – Abschied nehmen? – sich rechtfertigen? – das Mädchen noch einmal sehen, von dem ihm der Freund gesagt, daß ihre Seele an ihm hinge in heißer Liebe? – Es waren das dunkle Bilder, die ihm wohl vorschwebten und, einer Art von Ziel entgegentrieben, ohne daß er sich jedoch feste Rechenschaft davon zu geben gewußt hätte. Er fühlte mehr den Augenblick nahen, der sein Schicksal überhaupt entscheiden sollte, und – er mußte der Stelle noch ein Lebewohl sagen, wo er seit langen, langen Jahren wieder die ersten Stunden heiteren stillen Glücks verlebt. War es aber das Haus allein, das ihn gefesselt, mit dem gastlichen Willkommen, der ihm geboten worden, der derbe Händedruck des biederen alten Mannes, das geschwätzige, aber so herzliche Wesen der Matrone, das frohe Lachen des Kindes, das ihm sonst halbe Straßen lang entgegen lief und an seinem Hals hing – er hätte keins von alle diesem missen mögen – oder Jenny? Seine Hand hielt schon die Klinke erfaßt, und zögernd noch stand er und starrte vor sich nieder – und Jenny? hatte sich denn durch das Wort des Freundes eine ganz neue fremde Welt so plötzlich ihm erschlossen? Er wußte gar nicht, wie ihm eigentlich geschah, alte wirre Bilder tanzten vor seinem Hirn, wilde entsetzliche Gestalten drängten aus ihrem blutigen Hintergrund und wetterschwangere Wolken lagerten an dem Saum des noch vor Sekunden so sonnigen Himmels. Dort, dort vor ihm lag eine Heimath, spielende Kinder jagten sich auf dem grünenden Rasen, der alte Feigenbaum, der vor der Thür stand, warf seinen freundlichen Schatten auf ein glückliches Paar, dessen Züge er kannte. War das Blut, was dort auf dem grünen, sonnigen Rasen so röthlich blitzte und funkelte, warmes verströmtes Blut? – Nein, die Sonne hatte den Thau noch nicht weggeküßt von den Halmen, sie spiegelte sich jedoch selber so gern in der blitzenden, strahlenden Herrlichkeit. Aber das Paar dort – es waren Jennys Züge, und der Mann? das war er selber – nein, das Haar schimmerte licht und golden in den einzelnen Strahlen, die sich durch das dicht verschlungene, zitternde Laub des Baumes stahlen – das war Stierna. Was sollte auch ihm eine Heimath, ein Heerd, ein Weib, ein Kind, ihm, dem Verlassenen, Verstoßenen.

Er barg das Antlitz wie krampfhaft in der linken Hand, und vor den zusammengepreßten Pupillen tanzten die Bilder toller und wilder und schmiegten sich rasch und gefügig in wunderliche Form und Gestalt – Heimath? dort stand eine kleine, trauliche Heimath, ein niederes, ödes Gebäude, von breiten, zackigen Kacktushecken umgeben, die schmutzigrothen Backsteinmauern nur von engen, düsteren, vergitterten Fenstern unterbrochen, kein lebendes Wesen in der Nähe, kein Mensch – ja doch, da oben an dem einen Fenster, hinter dem starken Gitter, die Stirn, die heiße pochende Stirn an das kalte Eisen gepreßt, stand ein Mann – es war wunderbar, wie genau er ihn erkennen konnte, mit den bleichen Wangen und den schwarzen, tief liegenden Augen – das war er selber – und die Welt lag vor ihm, frei, frei im glühenden, jubelnden Sonnenlicht. Die Schwalben strichen um das Dach, die Sperlinge zwitscherten vom First nieder oder suchten zwischen den stachlichen Kacktusarmen frei ihr Futter; drüben über den Häusern konnte er die grasenden Heerden erkennen, die Möve kreiste über den blutgetränkten Feldern der nächsten Saladeros22, dort jene Reiter galoppirten frei, frei über die weite, grünende Steppe, und nur er – nur er – Wer war der Mann, der da dicht an der Kacktushecke vor dem Haus stehen blieb und so freundlich hinaufgrüßte? die Gestalt so bekannt, so verhaßt, in dem weiten Poncho und dem flatternden Haar – jetzt wandte sie sich nach ihm her —

»Don Luis!« schrie er, und die Thürklinke, die er noch immer gefaßt gehalten in dem wachenden Traum, brach fast vor der furchtbaren Kraft, mit der sich die Hand auf ihr schloß in krampfhafter Wuth – »Don Luis!« – ihm unbewußt öffnete sich dabei die Thür und der Aufschrei des zum Tod erschreckten Mädchens rief ihn zum ersten Mal wieder, fast seit er den Wagen verlassen, zu sich selbst zurück.

»Aber, Don Gaspar, wie Sie mich erschreckt haben,« sagte Jenny, die sich zuerst wieder gesammelt, mit leisem Vorwurf im Ton, »doch was ist Ihnen, Sie schauen todtenbleich aus,« setzte sie rasch und besorgt hinzu, »sind Sie krank? ist Ihnen etwas geschehn? um Gottes Willen, was stieren Sie mich so an? Don Gaspar?«

»Entschuldigen Sie, Señorita – entschuldigen Sie,« stammelte der Spanier, der sich gewaltsam zusammenraffte, seine Gedanken zurückzuzwingen in die alte Bahn – »die Aufregung heute, mit einem leichten Fieber und Unwohlsein, das mich schon einige Tage geplagt – der Schmerz der Trennung.«

»Trennung? Sie wollen fort?« – rief das Mädchen rasch und augenscheinlich erschreckt, denn ihre Wangen verließ jetzt das Blut, nach wenigen Sekunden mit so viel mächtigerer Fluth dorthin zurückzuströmen – »und wohin? weshalb?« —

»Wohin? – weshalb?« – wiederholte der Gefragte, kaum bewußt, daß er die Worte noch sprach, die Blicke aber fest und forschend auf die zitternde Gestalt geheftet, die vor ihm stand, und sich kaum aufrecht zu halten vermochte – »und schmerzt es Sie, daß ich gehe, Jenny?« setzte er plötzlich weicher hinzu, indem er ihre Hand ergriff, die sie ihm willenlos zu nehmen gestattete, »werden Sie den Fernen – Fremden nicht vergessen haben, wenn der letzte Staub verflogen ist, den die Hufe seiner Rosse aus den Nachbarhügeln Valparaisos geschlagen?«

Er hörte nicht das leise, kaum gehauchte »Nein,« das von den Lippen der Jungfrau floh, die Hand, welche die ihre hielt, mit dieser sinken lassend, starrte er wehmüthig lächelnd vor sich nieder und fuhr mit halblauter Stimme fort, mehr mit sich selber, als zu dem schönen Mädchen redend, das zitternd neben ihm stand und an seine Brust gesunken wäre, hätte sein Arm sich nach ihr ausgestreckt.

»O, es ist ein schmerzliches Gefühl, so weit, weit draußen in der Ferne umherzuschweifen und Niemanden zu wissen in der weiten Gotteswelt. Niemand in diesem All des Hasses und der Liebe, der sich freut, wenn wir kommen, dessen Auge sich näßt, wenn wir gehn; es ist ein trauriges Loos, den kalten Willkommen des Fremden zu hören, und sich dabei noch bewußt zu sein, in dem eigenen Herzen einen so reichen Schatz von alle dem zu tragen, was den eigenen Heerd zu einem Paradiese schaffen könnte. Jeder in der Abendluft kräuselnde Rauch, der die kleine Familie zu traulichem Kreis um das knisternde Kamin sammelt, ist ein schneidender Vorwurf in das arme Herz. Jedes blühende Kindergesicht, das ihm halb keck, halb herzig in die Augen schaut, schnürt ihm die Brust mit einem tiefen, schwer auszudrückenden, aber deshalb auch um so mächtigeren Weh zusammen, und die beiden Worte »allein« – allein und »heimathlos« wären schon in sich selbst genug, ein unglückseliges Menschenkind, das ihnen erlegen, zu Boden zu schmettern, käme nicht auch noch außerdem von den Eltern auf das – aber halt – was ich gleich sagen wollte,« unterbrach er sich da plötzlich mit ganz verändertem Ton und Ausdruck, während seine Hand fester die der Jungfrau umschloß, so fest, daß sie der Druck zu schmerzen begann, und sein Blick wie neugierig forschend, den ihren suchte, »wie ist mir denn, fürchteten Sie sich nicht vor einem – vor einem Wahnsinnigen?«

»Wie kommen Sie jetzt zu der Frage?« hauchte das Mädchen, das Haupt erbleichend von ihm abwendend.

»Ich glaube, wir sprachen einst davon in Ihrem Hause, und ich sah heute« —

 

»O, um Gotteswillen, reden Sie nicht von so Entsetzlichem,« fiel ihm die Jungfrau rasch und bittend in's Wort, »mir gerinnt das Blut in den Adern, nur bei dem eigenen Gedanken daran, und fremde Worte könnten die Bilder heraufbeschwören, die es Monate brauchen würde, wieder zu verwischen.«

»Und doch ist der Wahnsinn gar nichts so Entsetzliches,« sagte der Spanier, ihre Hand loslassend und sich das feuchte lange Haar aus der Stirn streichend.

»O, Don Gaspar,« bat das Mädchen.

»Fürchten Sie Nichts. Señorita,« beruhigte sie aber dieser mit leisem Kopfschütteln, »ich bin weit davon entfernt, Sie ängstigen oder quälen zu wollen mit thörichten Schaudergeschichten, wie sie das tolle Volk im Munde trägt; nein, ein Vorurtheil wünschte ich bei Ihnen zu besiegen, das Ihnen über kurz oder lang doch vielleicht einmal vielen Schmerz machen dürfte. – Mein Vater war wahnsinnig.«

»Aber, Señor.«

Der Spanier lachte und nahm schmeichelnd wieder ihre Hand. »Er war es ja nur, habe ich Ihnen gesagt, und zwar auf eine wunderliche Art – er glaubte, meine Mutter liebe ihn, und habe ihn deshalb geheirathet, und Jemanden, der ihm den tollen Wahn benehmen wollte – rannte er den Degen durch den Leib – wie es ein neckischer Zufall gerade wollte, traf es sich, daß das sein – eigener Bruder war.« —

»Don Gaspar, wenn Ihnen die Ruhe meiner Nächte, meines Lebens nur das Geringste gilt, so hören Sie auf,« bat aber jetzt in wirklich tödtlicher Angst das Mädchen und suchte sich von der Hand loszumachen, die sie jetzt wieder wie mit eisernem Griff umschlossen hielt. – »Ich begreife Sie nicht; was um des Himmels Willen ist mit Ihnen vorgegangen? und sehen Sie nur, wie entsetzlich Sie mich gedrückt haben,« setzte sie dann hinzu und hielt ihm die eben befreite, ganz dunkelroth gepreßte kleine Hand halb scheu noch, halb lachend entgegen.

»Schelten Sie mich – schelten Sie mich recht aus, Señorita,« rief da der Spanier, sich rasch von ihr abdrehend, »ich bin ein arger Thor, ja ich bin boshaft genug, mich gerade daran zu freuen, wenn ich die – die mir die liebsten sind, ärgern und quälen kann – und zuletzt habe ich doch nur mich selber geschlagen, wie ein thörichtes Kind. – Aber ich muß wahrlich fort,« setzte er dann rascher hinzu, »und in der Scheidestunde ist das Herz ja doch stets trüb und traurig und beschwört die Bilder herauf, die ihm die schmerzlichsten sind in der weiten Welt.«

»Aber weshalb wollen Sie fort? – was treibt Sie – was treibt Sie so plötzlich aus unserer Mitte, aus einem Kreis von Freunden, der Ihnen – zu Dank verpflichtet – so gern noch beweisen möchte, wie – wie werth Sie ihm sind« – sagte die Jungfrau schüchtern und zuletzt mit leiser bewegter Stimme hinzu.

»Weshalb?« wiederholte Don Gaspar tonlos, und schaute rasch und forschend zu dem Mädchen auf – »weshalb? – ja, wie war mir denn, weshalb kam ich doch – ach – Ihr Vater – ja doch – ist Mr. Newland nicht zu Hause? – er wird mir die Auskunft geben können.«

»Weshalb Sie fort von uns müssen,« sagte Jenny wehmüthig lächelnd und den Kopf schüttelnd, »o Sie wunderlicher Mann, wie läge das in seinen Kräften, und wird's ihn nicht selber schmerzen, wenn er Sie missen soll, der Sie ihm zuletzt ein wirklich fast unentbehrlicher Freund geworden?« —

Don Gaspar schüttelte traurig mit dem Kopf.

»Glauben Sie das nicht, Señorita – was hätte Don Guillelmo an dem wilden, launischen Gesellen, der unstät wie ein Frühlingstag, bald seine Nachsicht, bald sein Mitleiden in Anspruch nahm, oder ihn ärgerte und reizte in heftiger, unerquicklicher Debatte. Nein, nein, er wird den Fremdling bald vergessen, den einst die gütige Vorsehung wohl einmal benutzte, einen ihrer kleinen Lieblinge noch länger auf dieser Erde zu halten, den Seinen zum Trost, zur Lust, der aber jetzt schon weit, o, recht weit von hier fort sein sollte – und es auch wäre – hielten ihn nicht Banden – heilige, feste Banden.« —

»Heilige Banden?« rief Jenny rasch und erschreckt emporfahrend, und den Blick mit durchbohrender Schärfe auf ihn heftend – »feste Banden? – Sie?« —

»Banden?« wiederholte der Spanier und sein Geist sprang augenscheinlich auf dem Wort ab, nach anderer Richtung hin – »mich? – nein – noch nicht, hahaha – sie waren nicht schlau genug dazu.«

»Ich verstehe Sie nicht,« sagte das Mädchen, und das Blut schoß ihr in Strömen in die Schläfe, und färbte ihr Wangen und Nacken.

Don Gaspar schwieg erschreckt – fast instinktartig fühlte er, daß er wildes, tolles Zeug gesprochen, aber er fürchtete fast eben so, es zu widerrufen. Schweigend stand er dem holden Mädchen einige Sekunden gegenüber, jetzt zum ersten Mal, seit er das Gemach betreten, haftete sein Blick voll und ruhig auf den lieben, bewegten Zügen, und er sah, wie an den langen, seidenen, niedergeschlagenen Wimpern zwei große, schwere Thränen zitterten und langsam niedertropften.

»Jenny,« sagte er da weich und leise, und ihr näher tretend, ergriff er wieder ihre Hand – »ich habe Sie wohl recht gekränkt mit meinen harten, ungestümen Worten – und – ich war doch hergekommen aus einem ganz, ganz anderen Grunde – weshalb? weiß ich mir eigentlich selber keine Rechenschaft zu geben; ich verlasse heute die Stadt noch nicht, aber mir war, als ob ich vor der nächsten Zeit, die in grimmer, unerbittlicher Entscheidung mein wartet, Ihr holdes Antlitz noch einmal sehen, den Blick dieser sanften Augen noch einmal in meine Seele prägen müsse, sollte ich im Stande sein, zu ertragen, was – was nun eben der wunderliche Herr Gott da droben über mich auszuschütteln im Begriff ist, und dann – « er hob langsam ihre Hand an seine Lippen und drückte einen leisen, leisen Kuß darauf – »mit leichtem Muth der nächsten Zeit zu begegnen. Ich glaubte mich durch diesen Augenblick gegen Alles gewappnet, und – finde nun, daß ich mich bös, o, bös geirrt.« —

»Halloh, Kinder!« rief in diesem Augenblick eine fröhliche Stimme, und der alte Mr. Newland stand in der geöffneten Thür, die traurige Gruppe der Beiden, die ihn gar nicht kommen gehört, halb erstaunt, halb lachend betrachtend.

Jenny schrak zusammen, als ob sie auf einer bösen That betroffen worden, und wurde todtenbleich, Don Gaspar dagegen hob langsam den Kopf, und dem alten Herrn ruhig die Hand entgegenstreckend, sagte er freundlich:

»Sie kommen wie gerufen, lieber Señor, mir liegt etwas auf dem Herzen, daß ich nicht länger allein tragen kann und will, und Sie gerade sind der Mann – «

»Segne meine Seele!« unterbrach ihn aber der Alte mit lautem Lachen, »wenn der nicht mit Leesegeln an beiden Seiten vor dem Winde, zehn Knoten die Stunde geht, offene See und keine Leeküste, o! – aber darauf kommen wir nachher zurück, jetzt erst, Kinder, eine fröhliche Botschaft, daß ich die los werde, und nicht auseinanderspringe vor lauter Vergnügen – Bill kommt.«

»Bill?« rief Jenny aus ihren nur halb getrockneten Thränen hervorlächelnd, »aber wenn, Papa, wenn?«

»Übermorgen, morgen vielleicht schon!« rief der alte Mann fröhlich, »der Dampfer hat das Schiff an der Küste, gar nicht weit vom Hafen mehr getroffen, und wenn der Wind nur noch ein wenig aufräumt, können sie vielleicht morgen schon ihren Anker hier bei uns niederrasseln lassen. – Nun kommt auch der Vater des kleinen Burschen, Señor, den Sie retteten, und einen warmen, dankbaren Freund werden Sie an dem finden.«

Zwei Reiter galoppirten die Straße hinab – es war Polizei, und Don Gaspar schaute ihnen lächelnd nach – er hörte gar nicht, was der alte Herr in seiner Herzensfreude zu ihm gesagt hatte.

»Und du warst am Bord des Dampfers, Väterchen?« frug die Jungfrau, froh, einem Gespräch enthoben zu sein, das ihr das Herz zusammen zu schnüren gedroht – »hatten sie Bills Schiff signalisirt?«

»Doch wohl, Kind, doch wohl,« sagte der Greis, sie an sich heranziehend und ihre Stirn küssend – »aber an Bord war ich nicht, sondern traf eben bei dem Argentinischen Konsul einen alten Freund, der mir die fröhliche Botschaft gab. – Segne meine Seele, ich habe ihm nicht einmal Adieu gesagt, in solcher Eile war ich, Dir die Nachricht zu bringen – den Konsul wollte ich mit hierherschleppen, der hatte aber den Kopf voll und mußte auf die Polizei, und Don Luis de Gomez – «

Ein wilder, fast nicht mehr irdisch klingender Schrei unterbrach ihn hier, und als sich Beide rasch und erschreckt der Richtung zuwandten, von der jener unheimliche Laut ertönte, sahen sie den Spanier mit todtenbleichem, leidenschaftlich aufgeregtem, fast verzerrtem Antlitz, die weit geöffneten Augen starr und aus ihren Höhlen drängend auf den Erzähler geheftet, die Arme vorgestreckt, und das schwarze krause Haar in ungeregelten, fast emporsträubenden Locken über die marmorblasse Stirn geworfen, mitten im Zimmer stehen. Eben hatte er dessen letztes Wort, den Namen, aufgefangen, und die wenigen Sylben schienen einer Zauberformel gleich auf den Unglücklichen zu wirken.

»Don Gaspar – was um des Himmels Willen ist Ihnen geschehen,« riefen Vater und Tochter fast zu gleicher Zeit.

»Don Luis de Gomez!« war aber Alles, was der Spanier nur in bleicher zitternder Wuth, jede Muskel seines Körpers bebend in der furchtbaren Aufregung, auszustoßen vermochte – »Don Luis de Gomez!« und Alles was er an Haß, Wuth und Rache kannte, häufte sich in dem einen Namen des Feindes. Die geballten Fäuste schlug er dabei zusammen, und der halb geöffnete Mund zeigte die beiden Reihen perlenweißer, aber fest zusammengebissener Zähne, hinter denen vor die Laute zischten.

12
Der Ausbruch des Vulkans

Leifeldt stand noch wie in einem Traume, als ihn Don Gaspar schon mehrere Minuten verlassen hatte, und nur erst der Lärm, den der in seiner eigenen Falle gefangene Don Manuel oben machte, brachte ihn wieder zu sich selber.

Die beiden Peons unten ebenfalls wußten nicht, was sie von dem Allen denken sollten. Ihrer Meinung nach hatte es ihnen kaum anders möglich geschienen, als daß der, der sie da eben so ruhig und gleichgültig verlassen, der Bezeichnete sein müsse, den festzunehmen sie heimlich heute Nachmittag durch Don Guzman de Ribera hierher bestellt waren, und gleichwohl saß der Andere jetzt oben fest, und dieser ging ruhig und ungehindert von dannen. Und Don Manuel? – dem zu gehorchen waren sie doch herbeordert; konnte es möglich sein, daß er selber der Tolle gewesen wäre? —

Der junge Arzt stand indeß noch unschlüssig an der Treppe. Er konnte Don Manuel hier nicht gut hinter Schloß und Riegel sitzen lassen, und gleichwohl hatte er eine kleine Strafe für sein doppelgängiges Wesen verdient; Leifeldt freute sich ordentlich, daß Don Gaspar die Falle gemerkt und auf die Häupter seiner eigenen Verfolger geleitet habe. Langsam schritt er den Gang entlang und der Thüre zu, hinter der dieser schrie und tobte und herausgelassen zu werden verlangte, und seine Wuth wurde noch durch die beiden Peons vermehrt, die unten im Hof jetzt mit offenem Munde standen, zu ihm hinaufschauten und eben durch sein furchtbares Wüthen mehr und mehr darin bestärkt wurden, daß doch wirklich Don Manuel und niemand anders der plötzlich toll gewordene sei, und jetzt hier zu der Stadt Besten im Allgemeinen, und seinem eigenen insbesondere, hinter Schloß und Riegel verwahrt werden sollte. All seine Ausrufungen und Befehle, die er mit vor Zorn halb erstickter Stimme den unten Gaffenden hinunterschrie, konnten dabei nicht dazu dienen, sie vom Gegentheil zu überzeugen, und endlich, der Sache auch eine spaßhafte Seite abfindend, stießen sie sich unter einander mit den Ellenbogen, und sahen sich an und platzten dann gerade heraus in ein nicht enden wollendes Gelächter.

Wie lang diese Scene gedauert haben würde, ist unbestimmt, Don Manuel war aber durch das, was er Spott glaubte, der beiden von ihm selbst besoldeten Männer so in wirkliche Wuth gerathen, daß er schon die Stäbe seines Kerkers gefaßt hatte und in blinder Wuth daran riß und schüttelte, als der junge Arzt seine Thüre erreichte, die beiden von außen vorgeschobenen Riegel zurücktrieb und das Schloß ebenfalls zu öffnen versuchte; das aber widerstand allen seinen Bemühungen und während der Gefangene, der jetzt Jemanden an seiner Thür hörte, dieser zusprang und von innen dagegen schlug und donnerte, anstatt ruhig zu warten bis sie geöffnet sein würde, benahm er Leifeldt vollkommen die Möglichkeit, ihm verständlich zu machen, wie er gerade im Begriff sei ihn wieder in Freiheit zu setzen. Dieser war zuletzt genöthigt, zurück in den Hof zu gehen und einen der Peons zu rufen, ihm zu helfen. Eine der alten eisernen, dort herumliegenden Klammern mit hinaufnehmend, gelang es ihm endlich mit des Peons Beistand, das massive Schloß aufzudrehen und den Gefangenen zu befreien.

Der Peon mußte übrigens, wie sich Don Manuel nur erst einmal vor der Thür und ihm gegenüber sah, machen, daß er die Treppe hinunterkam, denn der gereizte Chilene warf sich in förmlichem Grimm auf den armen Teufel und schien wirklich im ersten Augenblick kaum seiner Sinne mächtig. – Die nächsten heraussprudelnden Fragen war Leifeldt auch gar nicht im Stande so rasch zu beantworten, wie sie sich Luft machten von des zornigen Mannes Lippen, und als auch der Schwede endlich, gereizt von den scharfen zornigen Worten, kurz und trotzig erwiederte, stürmte der Erbitterte fort mit Flüchen und Verwünschungen zwischen den Zähnen, Genugthuung zu holen auf der Polizei für den erlittenen Schimpf.

 

Es thun das viele Menschen.

Leifeldt sah ihm lächelnd nach, dann aber der Worte gedenkend, die ihm Don Gaspar noch zugerufen, und der eigenthümlichen Aufregung, in der er ihn heute gesehen, entließ er die Peons (der dritte, ebenfalls oben Eingesperrte hatte schon einen anderen Ausgang durch eine Nachbarzelle gefunden) und eilte mit schnellen Schritten zu seinem Hotel zurück, die erwartete Aufklärung des Freundes dort zu finden.

Don Gaspar war noch nicht da, und unruhig durchschritt er den kleinen Raum von dessen Gemach hin und her, Viertelstunde nach Viertelstunde. Bald trat er an das Fenster, hinauszuschauen, bald an die Thür zu horchen, ob sich nicht die raschen Schritte des Erwarteten hören ließen. – Niemand kam, und wie ihm endlich die feste Überzeugung schwand, mit der er bis jetzt den Freund erwartet hatte, tauchte Besorgniß in ihm auf, wohin dieser in seinem überreizten Zustand geeilt sein, was er angerichtet haben könnte. Jetzt zum ersten Mal, obgleich sein Herz kaum an etwas anderes gedacht den ganzen Morgen, als Jennys Schicksal – zuckte ihm auch, wie ein wilder Schmerz, der Gedanke durchs Hirn, Don Gaspar könne dorthin geeilt sein, und was dann waren die Folgen, wenn der Teufel, der in ihm schlummerte, die Lavagluth, auf deren düsteres, furchtbares Leuchten er nur erst einen einzigen entsetzten Blick geworfen, zum Ausbruch käme.

Rasch, und jetzt selber in fieberhafter Aufregung, durchschritt er das Gemach wohl noch zehn Minuten in immer steigender Unruhe, dann aber hielt er es auch nicht mehr aus – es litt ihn nicht länger in dem leeren Raum, und hinaus stürmte er, Newlands selber aufzusuchen und sich zu überzeugen, ob seine Befürchtungen Wahrheit gewesen wären oder nicht.

Laute, ungewohnte Stimmen, und wildes Lachen schallten zu ihm nieder, wie er nur das Haus betrat.

»Um Gottes Willen, was geht hier vor?« rief er der alten Magd entsetzt entgegen, die ihm mit zitternden Händen die Thüre öffnete.

»Don Gaspar,« war Alles, was diese erwiedern konnte, als er auch schon mit flüchtigen Sätzen die Treppe hinaufflog und die Thür aufriß. —

Ein einziger Blick hier bestätigte aber nicht allein seine schlimmste bisher gefaßte Befürchtung, sondern zeigte ihm auch, in welche Gefahr er die ihm liebsten Menschen durch sein unschlüssiges Zaudern gebracht.

Mitten im Zimmer, dicht neben dem großen, runden Tisch, auf den er sich mit der linken Hand stützte, stand der Greis, den rechten Arm um die Tochter geschlungen, die sich halb bestürzt, halb erschreckt an ihn schmiegte und Beide starrten in sprachlosen ja besorgten Staunen nach dem Spanier hinüber, der lachend und stampfend, mit blitzenden Augen und gesträubtem Haar ihnen gegenüber stand.

Keiner von ihnen gewahrte das Öffnen der Thür, den eintretenden jungen Mann, aber die so lang eingehemmte und zurückgehaltene Wuth des Tollen, die jetzt Monde lang unter der äußeren Schaale seines festen eisernen Willens gearbeitet und gegohren hatte, wie ein mächtiger Vulkan seine Gluthen wieder unter der Rinde sammelt, die er sich von seinem letzten Ausbruch selbst geschmiedet, schlug hier zum ersten Mal wieder in wilder Lohe ins Freie.

»Don Luis de Gomez!« schrie er mehr, als er es rief, »Don Luis, er ist hier – er ist hier! Teufel, wenn ich Dich fasse, wenn ich Dich halte – hier – hier zwischen den zusammengeballten Fäusten – hier zwischen den Zähnen und Armen – huih!« – und das Zimmer dröhnte von dem gellenden Aufkreisch des Rasenden. – »Und das Dein Weib? – mit dem marmorbleichen Angesicht? – das die blühende, liebeglühende Constancia?« fuhr er plötzlich fort, den Arm gegen das zusammenzuckende Mädchen ausstreckend – »das die Schlange, die mich nicht einmal im Grabe ruhen ließ mit ihren zaubertollen Reizen – das die Braut« – und zum Sprung, die Schultern zurückgedrängt, die Augen in wildem unheimlichem Feuer glühend, die Arme angezogen, bog er sich nieder, als Leifeldt dazwischen sprang und drohend die Hand gegen den Wüthenden gehoben, ausrief:

»Morelos!«

»Wahnsinnig!« hauchte Jenny, ihr Antlitz in den Händen bergend, und brach in sich selbst zusammen. Hoch empor aber zuckte der Kranke, und seine Augen flogen wie irre Pfeile von Leifeldts ihm muthig begegnender Gestalt zu dem bleichen, am Boden hingestreckten Mädchenbild, über das der Vater getreten war, mit dem jungen Arzt jede Gefahr von der Geliebten abzuwenden.

Aber diese schien für den Augenblick vorüber, wenigstens von ihnen hier abgelenkt. Des Freundes Anblick riß den Wüthenden in etwas zu der ihn umgebenden Wirklichkeit zurück.

»Leifeldt – Stierna!« rief er, mit der linken Hand rasch und heftig das wirre Haar aus seiner Stirn streichend, »und hier? – hier? – nein, nicht hier – er ist dort, bei ihm, bei ihm« – und ehe Jemand seine Bewegung hätte hindern, ja nur ahnen können, was er beabsichtigte, legte er die Hand auf das Sims des offenen Fensters und war mit einem tollkühnen Satz auf der Straße unten.

22Schlachtbänke.