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Der Wahnsinnige: Eine Erzählung aus Südamerika

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13
Das Rendez-vous

Die Höhe, von der der Wahnsinnige niedersprang, war über achtzehn Fuß, aber wie ein Federball schnellte er wieder vom Boden empor, und floh mit flüchtigen Sätzen die Straße hinab, dem Hause des Argentinischen Konsuls zu. Wohl stutzten ein paar Vorübergehende, die den waghalsigen Sprung gesehen, und auch wohl erst die lauten Stimmen oben im Hause gehört; Streitigkeiten sind aber nichts seltenes bei dem heißen Blut des Südländers, das Messer trägt er dabei nur gar locker im Gürtel, und rasche Flucht wird oft nöthig, dem Gesetz und vielleicht fatalen Folgen zu entgehen. Zufällig Gegenwärtige vermeiden aber in einem solchen Fall nichts sorgfältiger, als Zeugen solcher That zu sein. – Die Gerichte waren in Chile so weitläufig, wie in der Argentinischen Republik und man hält sich gern fern von ihrer kostspieligen Nähe.

So bog Don Gaspar, oder wie wir ihn jetzt lieber wieder bei seinem rechten Namen nennen wollen, Morelos, ungehindert, unbelästigt in die nächste Straße ein, und stand wenige Minuten später an der Thüre des Argentinischen Konsuls, die er verschlossen fand.

Den rasch geführten Schlägen des Klopfers öffnete ein junger Bursche in einem Peruanischen Poncho.

»Don Guzman ist nicht zu Hause!« sagte der Knabe, die Frage nach dem Konsul beantwortend, »wird auch vor Abend schwerlich zurückkommen.«

»Und der Fremde?«

»Don Luis de Gomez?«

Morelos faßte krampfhaft in seine eigene Seite, die Spuren der Nägel dort zurücklassend, und die Muskeln seines Gesichts zuckten wie unter dem Schmerz des Scalpells. —

»Weshalb lachen Sie, Señor?« frug der Knabe erstaunt.

»Wo ist Dein Herr?« frug der Kranke, sich gewaltsam zusammennehmend. – Wie der Schwimmer, mit sinkenden Kräften dem rettenden Ufer nah, noch einmal die Nerven anspannt zum letzten entscheidenden Moment, noch einmal hineingreift in die Fluth und ausstreicht, und die Zähne fest, fest aufeinander beißt, so fühlte er, daß der Augenblick, nach dem sein ganzes Leben gedrängt, ja dem der Geist, selbst krank und bewußtlos, entgegenstrebt, nahe sei, und nur wenige Minuten Fassung jetzt, ihn siegen lassen müssten.

»Oben in seiner Stube im ersten Stock!« sagte der junge Bursche, durch die ruhige Frage wieder getäuscht, von dem glühenden, aber ernsten Blick doch auch zugleich eingeschüchtert. – »Gleich rechts die zweite Thür,« rief er dem schon treppauf Springenden noch nach; »das Vorzimmer ist offen!«

Der Spanier fühlte mehr die letzten Worte, als daß er sie hörte; mit wenigen Sätzen war er oben – das Vorzimmer stand nur angelehnt, er öffnete es, drückte es hinter sich ins Schloß und schob den Nachtriegel vor, und wenige Sekunden später lag seine Hand auf dem Schloß der anderen Thüre, die in das Zimmer seines Todfeindes führte.

Das Herz schlug ihm hörbar in der Brust, aber kein Nerv seines Körpers bebte, wie das Metall selber so kalt und ruhig, hielt die Hand den Griff, nur das Auge blitzte in wildem, unheimlichem Feuer und ein kaltes, fast teuflisches Lächeln zuckte jetzt um seine Lippen.

Leise klopfte er an die Thür, und das laute entra von innen warf nur tiefere Gluth in seine Augen, ohne an seiner Stellung auch nur die Bewegung einer Muskel zu verändern.

Er spielte mit seinem Opfer.

Noch einmal berührte sein gebogener Finger die Thür, und lauter und ungeduldiger tönte das scharfe »Herein« des Bedrohten.

Dem Laut nach befand er sich in dem entferntesten Theile des Zimmers, wie aber statt dem Öffnen der Thür zum dritten Mal das Klopfen, nur etwas lauter als vorher ertönte, schallten rasche Schritte von innen, doch ehe sie sich vollkommen der Thüre nähern konnten, riß sie Morelos auf und stand im nächsten Moment dicht vor dem, mit einem jähen Ausruf des Schrecks zurückspringenden Argentiner.

Er wollte schreien, aber das lange, haarscharfe Messer des Feindes blitzte in dessen Hand und die nächste Sekunde, schien es, sollte sein Schicksal entscheiden. Doch über den wunderlich tollen Geist des Wahnsinnigen war ein anderer Schatten gezogen, oder hatte die Gewißheit seiner Rache, das Bewußtsein, den Feind nun endlich im Bereich seines Messers zu haben, der wild ausbrechenden Wuth, die ihn sonst nur bei Nennung des bloßen Namens befiel, die volle Schärfe genommen? Ja, er letzte sich jetzt selber an diesem Gefühl und wenn auch Mord und Blut nur sein erster Gedanke gewesen, als er die Schwelle betrat, so schien es ihn jetzt zu reuen, gleich mit einem Schlag den Jahre und Jahre lang aufgebauten Plan seiner Rache zu zerstören.

»Bst!« sagte er, mit dem warnend emporgehobenen Zeigefinger der linken Hand – »bst – Kamerad – kein Geschrei, die Nachbarn sind munter und du könntest die Polizei im Schlafe stören – siehst Du den Gruß hier?« und er hielt ihm die blanke Klinge lachend entgegen, vor der der Unglückliche scheu und entsetzt zurücktrat – »fürchte Dich nicht, Schatz, es thut nicht sehr weh – den hat mir Felipe für Dich aufgetragen.«

»Was wollen Sie von mir, Unglückseliger?« rief jetzt Don Luis in wilder Angst, denn in den Augen des Wahnsinnigen lag der Tod – »nennen Sie Ihre Wünsche, und bei der reinen Mutter Gottes, ich will sie erfüllen und kostete es mein halbes Vermögen.«

»Bst, bst, Kamerad, sprichst zu laut, viel zu laut,« flüsterte kopfschüttelnd, einen Blick nach der Thüre werfend, der Spanier, »aber eine Frage hätte ich doch an Dich – wo ist Constancia?« – und seine Augen leuchteten und funkelten, als er den Namen aussprach und die Hand umspannte krampfhaft den Griff des Messers.

Don Luis rang augenscheinlich mit sich selbst, aber die Gefahr war zu dringend mit seinem Leben zu spielen und er sagte rasch, die einzige vielleicht mögliche Gelegenheit ergreifend, sich zu retten: —

»Wünschen Sie Donna Constancia zu sehen?«

»Zu sehen?« rief der Spanier schnell und zornig, »nur zu sehen? – wo ist sie? – rasch – unsere Augenblicke sind kostbar.«

»So will ich Sie zu ihr führen,« sagte Don Luis, zum Tisch tretend und seinen Hut ergreifend, »wir brauchen das Haus nicht zu verlassen.«

»Bst, bst, Kamerad,« lautete aber wieder die Antwort seines wachsamen Hüters, »nicht hinaus, mein Bursche, den Weg dort find' ich schon nachher allein – wir haben hier noch Wichtigeres mitsammen zu besprechen. Nicht wahr, das gefiele Dir, aus dem Thor hinaus hier durch den Hof und in die menschengefüllte Straße mit dem Alarmschrei: »ein toller Hund!« hinauszuspringen? Eine Frage mußt Du mir erst beantworten, Señor – eine Frage, die mir in blutigen Zügen die langen Jahre hindurch im Hirn geschrieben stand und mich, wie die Leute in Buenos-Ayres behaupteten – wahnsinnig gemacht hat – was wurde aus meinem Bruder – aus meinem Weib?« —

»Don Morelos!« rief der Argentiner entsetzt, denn die Blicke des Feindes sprühten Feuer und es war augenscheinlich, wie er sich nur mit größter Mühe selber noch zurückhielt auf sein Opfer zu springen. – »Doch halt!« rief da der Unglückliche in seiner Todesnoth, denn ein einziger Gedanke an Rettung durchblitzte noch seine Seele, »Sie wollen Nachricht von Ihrem Bruder – die kann ich Ihnen geben.«

»Du?« rief der Spanier überrascht, und die Ruhe der Verzweiflung, die in des Gegners Blicken lag, täuschte den sonst so Schlauen.

»Wollen Sie einen Brief von ihm sehen?« frug Don Luis.

»Einen Brief?« – wiederholte Morelos und strich sich wie träumend mit den Fingern über die Stirn – »einen Brief? – wie ist mir denn – einen Brief – von – dem – Bruder?«

»Sie können sich überzeugen,« sagte Don Luis ruhig, »er liegt in jenem Pult, und wenn ich Sie täusche, mögen Sie thun mit mir, was Ihnen beliebt.«

Er nahm einen kleinen Schlüssel von dem Tisch, neben dem er stand, und schritt langsam an Morelos dicht vorbei, dem Pulte zu, als draußen an der Vorsaalthür zwei Mal stark geklopft wurde. Don Luis zuckte zusammen, Morelos lachte.

»Gehen Sie an die Thür, Don Luis,« sagte er zu diesem, »und rufen Sie hinaus, daß Sie beschäftigt sind – der geringste andere Laut, die erste Bewegung zur Flucht aber – doch ich brauche Sie nicht zu warnen.«

Don Luis schritt in furchtbarer Aufregung zur Thür, gehorsam wie ein Kind, und diese halb öffnend – und der Wahnsinnige stand mit der blanken Waffe dicht an seiner Seite – rief er laut, wer da draußen sei.

»Ich bin es, Señor,« rief eine, Morelos wohlbekannte Stimme, »ich, Don Manuel – ich habe Polizei bei mir und wünschte Sie nur auf wenige Sekunden zu sprechen.« —

Über Morelos Gesicht zuckte ein spöttisches Lächeln, aber Don Luis zögerte – dort draußen, wenige Schritt von ihm entfernt stand Hülfe, und er, er mußte hier mit einer Lüge dem Feind sich selber rettungslos in die Hände geben. —

»Bitte, Señor,« sagte der Spanier, mit kalter Höflichkeit, aber jubelndem Triumph im Blick.

»Ich komme gleich – warten Sie draußen auf mich,« rief der Gefolterte und trat von der Thür zurück, die er offen ließ, Morelos drückte sie wieder ins Schloß und schob den Riegel vor.

»Den Brief,« sagte er eintönig.

Don Luis wußte, es war ihm jeder andere Ausweg abgeschnitten, und schritt zum Pult. Dieses öffnete er und zog mit beiden Händen Gefache auf, in die er hineinschaute – er nahm mehrere Briefe heraus und sah ihre Adresse – Morelos stand dicht neben ihm, und beobachtete jede seiner Bewegungen.

»Hier ist er,« sagte er plötzlich, dem Spanier einen derselben hinüberreichend, wie dieser aber mit scheuem Blick die Adresse überflog, griff des Argentiners Hand tiefer in das Gefach und ein Pistol herausreißend, das er im Rückspringen spannte und dem Feind entgegenhielt, schrie er mit der Kraft, die ihm Todesangst und Verzweiflung gegeben, laut um Hülfe!

»Lügner und Narr!« rief Morelos, als er den Brief mit wildem Lachen zu Boden warf und mit dem Fuß stampfte – »bete – denn Deine Seele steht in wenigen Sekunden vor Gott!«

»Hülfe!« tönte des Unglücklichen Stimme und mit dem Ruf zugleich schmetterte der Schuß dem Angreifer entgegen. Die Kugel traf ihn in die Schulter, aber was achtete der Tolle einer solchen Waffe. Draußen brach die Thür zusammen unter dem Andrang der Polizeisoldaten, die den Ruf gehört, aber er hörte das Prasseln und antwortete ihnen mit einem gellenden Triumphschrei, denn unter seiner Hand lag und wand sich das Opfer und sein Messer wühlte in dessen Herzen.

 

Wenige Sekunden später warfen sich die Diener des Gesetzes gegen die innere Thür, die jedoch, stärker als die vorige, ihrem ersten Anprall kräftigen Widerstand leistete.

»Seid Ihr da?« lachte Morelos, sich emporrichtend dem geglaubten Angriff zu begegnen, »aha, meine Burschen, läßt Euch das Eichenholz nicht herein?«

»Öffnet, Don Luis – öffnet, Señor – im Namen des Gesetzes.«

»Hahahaha!« lachte der Tolle, »öffnet Euch selber und holt Euch Don Luis de Gomez!« und das Fenster öffnend, das auf die, rings den Hof umziehende Veranda führte, sprang er auf diese hinaus und floh, das blutige Messer wieder in seiner Scheide bergend, darauf hin, durch eins der anderen Fenster vielleicht einen Ausgang zu entdecken.

14
Die Verfolgung. – Schluß

Seine Verfolger waren indessen aber auch nicht müßig gewesen. Der Konsul selber, eben von der Polizei zurückgekehrt, wo er sich schon einen Verhaftsbefehl und Hülfe verschafft hatte, hörte kaum die Schreckensbotschaft, daß der Wahnsinnige zu seinem Opfer eingedrungen sei und wahrscheinlich schon sein Schlimmstes gethan habe, sandte augenblicklich einen Theil der Mannschaft in den Hof, ihn in Empfang zu nehmen, wenn er dort hinunterspringen sollte, und ließ durch eine andere kleine Abtheilung die Hinterthür besetzen, zu der eine schmale Treppe von der Veranda niederführte.

Don Manuel war beordert, dieselbe anzuführen, und ihm ebenfalls der Schlüssel zu dieser Pforte, die gewöhnlich offen stand, anvertraut worden. Seine Ordre war, diese Thür so rasch als möglich zu verschließen und dann das weitere zu erwarten. Don Guzman ließ unterdessen Don Luis Thür sprengen, von wo aus sie den Flüchtigen, blieb er nun auf der Veranda oder zog er sich in eines der Zimmer zurück, leicht erreichen konnten.

Don Manuel säumte auch nicht, solchem Befehle nachzukommen; galt es ja noch außerdem die Scharte auszuwetzen von heut Nachmittag, wo ihn der Tolle überlistet, trotz all seiner Schlauheit; rasch deshalb über den Hof eilend, und die Pforte, durch die er dorthin gelangt, ebenfalls von außen verriegelnd, postirte er seine Leute vor die Hinterthür des Hauses, ohne weitere Ordre, da er sich ihnen augenblicklich wieder anschließen wollte, und er selber lief die Treppe hinauf, die Verandathür zu schließen, als er sich in demselben Moment nicht allein in der Nähe, sondern auch in der Gewalt des Flüchtigen fand, der, die Thür bemerkend, sie gerade aufriß, als Don Manuel den Schlüssel gehoben hatte, ihn in das Schlüsselloch zu schieben.

Der Chilene stand da wie vom Schlag gerührt, und die Überraschung lähmte ihm wirklich im ersten Augenblick alle Glieder. Nicht so Morelos, dessen tollkühner Muth im Nu die sich ihm bietende Gelegenheit ergriff, den würdigen Caballero selber, der zu seinem Verderben hierher beordert worden, zu seiner Flucht zu benutzen.

»Ha, Gott zu Gruß, Compañero,« rief er lachend, indem er mit der Rechten sein Messer halb aus der Scheide ziehend, dem zum Tod Erschrockenen mit der Linken auf die Schulter klopfte; »schon fertig mit der Besichtigung jener alten Zimmer? hahaha, Kamerad, es freut mich, Dich gerade jetzt hier zu finden, ich habe Lust zu einer Spazierfahrt, und Du sollst mich begleiten – Ruhe, Bursche, Ruhe!« zischte er drohend zwischen den Zähnen durch, als er sah, wie des Mannes Hand langsam nach dem Gürtel zu schleichen suchte, »die erste verdächtige Bewegung, und Du bist ein Kind des Todes – so und nun fort.«

Und damit den Schlüssel aus der widerstandslosen Hand nehmend, ohne diesen jedoch aus dem Bereich seines Armes zu lassen, schloß er rasch die Thür hinter ihnen und schritt, seine Hand auf Don Manuels Schulter haltend, die steile Treppe nieder, die sie bald zur Außenthür brachte.

Die dort postirten Wachen staunten nicht wenig, ihren Führer in solcher Begleitung zurückkomme zu sehen, Morelos war aber nicht der Mann, einem gewonnenen Vortheil auch einen Moment nur zu entsagen.

»Zurück, Caballeros!« rief er barsch, als die beiden Wächter nach innen, jedoch wie im Zweifel, zuspringen wollten, und das Messer schaute drohend wieder aus seinem Versteck, »zurück, oder dieser Herr da ist eine Leiche – freiwillig werde ich mich dem Gericht überliefern, und Don Manuel wird mich begleiten – Sie aber gehen zurück und sagen das dem Herrn des Hauses – wenn er mich zu sprechen wünscht, werde ich auf dem Polizeigebäude zu finden sein. – Kommen Sie, Don Manuel,« und den Arm des also Überraschten ergreifend, der gar nicht wußte, ob der entsetzliche Mensch Ernst mache mit seiner Betheuerung, schritt er mit ihm die Straße hinunter, während die Diener der Gerechtigkeit, vollkommen verdutzt durch das ernste, zuversichtliche Benehmen des Mannes – dem sie überdieß nur zu gern aus dem Weg gingen, zurückblieben.

Rasch schritten indeß die beiden Männer die kleine Straße nieder, die nach der Hauptstraße der Stadt zu führte, als sie eine der dort überall haltenden Droschken überholten.

»Halt an, Kamerad!« rief Morelos, dem Kutscher winckend, »fünf Dollar, wenn Du mich, so rasch Deine Pferde laufen, die Almendral hinunterfährst – hier, Dein Geld!« —

»Darf nicht galoppiren, Señor,« sagte der Mann.

»Trabe dann.«

»Die Almendral hinunter?« frug Don Manuel erschreckt, dorthin lag nicht das Polizeigebäude, ein Blick seines Begleiters aber und ein leises Drücken von dessen Arm überzeugte ihn bald, wie er willenlos nur zu gehorchen habe. – Sie stiegen ein, Don Manuel voran, aber ehe ihm Morelos folgte, hielt er sich einen Augenblick an dem Schlag des Wagens fest, er sah todtenbleich aus und es war augenscheinlich, wie er mit einem furchtbaren Schmerz rang.

»Caracho, Señor!« rief der Kutscher, der sich nach ihm umschaute, »Sie sind verwundet.« —

»Ich will eben zum Doktor, Amigo,« lächelte der Kranke, und sich gewaltsam zusammenraffend, hob er sich in den Wagen an Don Manuels Seite.

»Fort, mein Bursche, fort – und was die Pferde laufen können.«

Der Kutscher hieb auf die Thiere und im scharfen Trab rasselten sie eben um die nächste Ecke, als von des Konsuls Haus die Verfolger niedersprangen.

»Schneller – schneller, Amigo.«

»Ich darf nicht galoppiren, Señor.«

»Ich zahle die Strafe, Freund – Du weißt, Ärzte und Polizei dürfen, und Kranke werden dasselbe Recht haben.«23

Der Peon hieb in die Pferde und die Thiere, selber gereizt durch das stete Strafen der Peitsche, griffen aus in vollem Carrière die Straße hinunter.

»Halt an, Compañero,« schrie ein an der nächsten Ecke ihnen begegnender Polizist entgegen, und versuchte dem Wagen vorzuspringen, aber das Handpferd biß nach ihm und er fuhr zurück, während der leichte Wagen vorbeistob, als ob ihn die Winde führten.

»Wo ist das Haus, Señor, die Almendral ist beinah zu Ende,« frug der Kutscher, die Zügel fest in der Hand, den Kopf halb herumwendend.

»Weiter!« war die einzige Antwort, die er erhielt, und donnernde Hufschläge wurden schon hinter ihnen laut.

Jetzt hatten sie das Ende der Stadt erreicht und über eine kleine Brücke hin donnerte der Wagen den letzten Häusern entgegen.

»Ist es hier?« frug der Kutscher noch einmal, und wandte sich seinem wunderlichen Passagiere zu.

»Weiter!« tönte die monotone Antwort – aber die Worte klangen hohl und unheimlich.

»Weiter? – ich fahre nicht weiter!« rief der Kutscher erstaunt, »hier ist meine Grenze.«

»Du fährst,« sagte Morelos eintönig, und er hätte das Messer nicht gebraucht, das er aus der Scheide zog; der Blick, mit dem er dem entsetzten Rosselenker ins Auge schaute, trieb diesem das Blut als Eis ins Herz zurück.

Wilder hieb er in die Pferde, den schrägen Hügel hinauf keuchten die Thiere, mit Schaum bedeckt, schnaubend und in die Zügel knirschend. – Don Manuel sah sich um – zehn oder zwölf Reiter waren in kaum hundert Schritt Entfernung hinter ihnen und ein rascher Satz aus dem Wagen konnte ihn jetzt aus dem Bereich seines Feindes bringen. Aber dessen Hand lag auf seinem Arm und ein eignes, unheimliches Lächeln spielte um seine Lippen.

Die Pferde keuchten und schnoben den Berg hinan – jetzt hatten sie den Gipfel erreicht, aber nur einen scheuen Blick warf der Peon zurück und hieb mit neuer Kraft auf die armen, schon zum Tod erschöpften Thiere.

»Halt – Caracho, verdammter!« schrie die Stimme eines der vordersten der Verfolger in wildem Grimm, »halt, oder ich reiße Dich mit dem Lasso vom Wagen herunter.«

Ein Schlag mit der Peitsche auf die eigenen Thiere war die Antwort – das blanke Messer lag neben dem armen Teufel von Peon und er fürchtete weniger die Drohung des Reiters, als den kalten, drohenden Stahl des entsetzlichen Fremden.

Wieder zog sich der Weg eine kleine Erhöhung hinan, und der Kutscher hieb aufs Neue in seine Thiere, aber deren Kräfte waren erschöpft. Das Sattelpferd, mit dem kurzen Lasso am Gurt befestigt, wollte dem geschwungenen Arm entgehen – noch einmal warf es sich mit der Anstrengung aller Sehnen vorwärts, aber die Glieder versagten ihm den Dienst, und wie es stürzte, war es nicht mehr im Stand, sich wieder zu erheben.

In demselben Moment fast hielten die ersten Reiter neben dem Wagen, und zwei davon, mit geschwungenem Lasso heranreitend, wandten sich gegen den entflohenen Mörder.

»Im Namen des Gesetzes!« rief der Erste, »Ihr seid mein Gefangener, Señor Morelos!«

Don Manuel blickte scheu zu ihm auf – noch immer ruhte seine Hand auf seinem Arm, und dasselbe kalte Lächeln spielte um die bleichen Lippen und stieren Augen – er war todt.

Die eigenen Pferde vor den Wagen spannend, und es dem Kutscher überlassend, seine abgehetzten und fast aufgeriebenen Thiere nachzubringen, sprengten die Polizeidiener mit der Leiche in die Stadt zurück.

Sechs Monate waren seit jenem Tag verflossen – es war Frühling in Valparaiso. – Die Pfirsichen blühten und der Feigenbaum schoß seine saftigen Blätter; die Natur, durch eine lange Regenzeit wieder frisch gekräftigt, trieb und keimte in lustigen Knospen und Blumen, und die Vögel bauten ihre Nester der herrlichen Jahreszeit zu Ehren, und das große Fest einer neuen Auferstehung mit zu feiern in Liedern und Liebe. Warm und sonnig lag der junge Morgen auf der thaubedeckten Flur, und ein frischer Nachtregen hatte den Staub fortgewaschen von den Gräsern, die jetzt blitzten und funkelten in dem goldenen Licht.

In der von Schiffen überstreuten Bai regte es sich ebenfalls von gar geschäftigem Leben. – Boote und kleine Fahrzeuge schossen herüber und hinüber und besonders um ein mächtiges Schiff drängte die kleine Flotte bunt bemalter Nachen, Früchte und Provisionen an Bord zu schaffen für eine lange Reise.

Von der Gaffel des nach London bestimmten Fahrzeugs flatterte lustig die englische Flagge; das Vormarssegel war schon gelöst, der zweite Anker schon driftig geworden und die Raaen flogen herum, die Schothörner der gelösten Segel wurden ausgezogen unter dem fröhlichen, jubelnden Singen der Matrosen, die ja heimwärts gingen.

Auf dem Quarterdeck des Packetschiffs standen alte, liebe Bekannte von uns, aber der Tod hatte eine tiefe Wunde in die Familienbande der armen Leute gerissen, und sie zogen heim, um zu versuchen ob vaterländische Luft den Schlag vernarben könne, der hier wieder und immer wieder aufbrach in bitterem Weh.

Es waren Newlands, und vor zwei Monaten hatten sie ihr Töchterlein hinaufgetragen auf den stillen Gottesacker, zwischen die hohen beengenden Mauern, die den Schlummer der Todten bewachten.

Bills Vater war wieder in See gegangen und sie nahmen den Kleinen mit nach England, ihn dort zu einem braven und wackeren Mann heranzuziehen – bis sie selber der Todesengel abrufen würde.

Heute Morgen noch hatten sie von dem blumengeschmückten Grab ihrer Jenny Abschied genommen und jetzt drückten sie dem letzten Freund die Hand, der in den letzten schweren Monaten nicht von ihrer Seite gewichen und Schmerz und Leid redlich mit ihnen, und oft, ach fast noch schwerer als sie selbst getragen hatte. – Es war Stierna, der junge Schwede. Bill wollte den jungen Mann gar nicht von sich lassen, und die alte Dame hatte seine Hand gefaßt und flüsterte leise.

 

»Und ihr Grab?«

»Ich kann ihm nicht den heimathlichen Boden geben,« sagte der junge Arzt mit halb abgewandtem Antlitz – er wollte das Herz der alten Frau nicht noch schwerer machen als es war – »aber ich will ihr hier eine Heimath von Blumen bauen, in der fremden Erde – im Tode wenigstens – da es die Lebende dem Freund verweigerte.«

Der alte Mr. Newland drückte dem jungen Mann schweigend und tief ergriffen die Hand.

»Señor, es ist Zeit,« sagte da der Bootsmann, den Stierna mit herausgenommen hatte in den Hafen, ihn zurückzubringen ans Land, wenn das Schiff unterwegs sein sollte – die Segel waren gebläht und mit einer leichten, aber günstigen Brise stand das wackere Fahrzeug dem schmalen Eingang der Bai entgegen, den es in wenigen Minuten erreichen mußte.

Stierna griff noch einmal den Knaben auf und küßte seine Stirn, seine kleinen, schwellenden Lippen, und das Herz wollte ihm fast brechen, wenn er in die Augen schaute – noch einmal drückte er die Hände derer, die ihm Vater und Mutter geworden waren in der fremden Welt, und wenige Minuten später schoß der stolze Bau, von den schwellenden Segeln geführt, hinaus in die freie, wogende, offene See – im Heck des kleinen Bootes aber, die Augen in den fest dagegen gepreßten Händen bergend, saß der junge Arzt und weinte wie ein Kind.

23Es ist in Valparaiso nur der Polizei und den Ärzten erlaubt, in der Stadt zu galoppiren.